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Rüdiger Konrad. Waldemar Pabst 1880–1970: Noskes „Bluthund“ oder Patriot?. Beltheim-Schnellbach: Verlag Bublies, 2012. 348 S. ISBN 978-3-937820-17-0.

Manfred Wichmann. Waldemar Pabst und die Gesellschaft zum Studium des Faschismus 1931–1934. : Edition Organon, 2013. 276 S. , , ISBN 978-3-931034-15-3.

Reviewed by Klaus Gietinger

Published on H-Soz-u-Kult (June, 2014)

Waldemar Pabst, eine bislang fast vergessene anhand mehrerer wichtiger Autoren der Gesell‐ Figur der Konterrevolution 1918/19, genießt in schaft, darunter Friedrich Wilhelm (F. W.) Heinz, den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit in Eduard Stadtler und August Winnig, und behan‐ der historischen Forschung. Manfred Wichmann delt das Ende der GSF im Jahr der „Machtüber‐ beschäftigt sich in seiner Untersuchung mit einem nahme“ Hitlers und der NSDAP 1933. weißen Fleck der historischen Faschismusfor‐ Pabst, der faktische „Generalstabsofzier“ der schung, der „Gesellschaft zum Studium des Fa‐ Konterrevolution, war als Hauptverantwortlicher schismus“ (GSF), in der Pabst eine tragende Rolle der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Lu‐ spielte. Wichmanns von Wolfgang Wippermann xemburgs am 15. Januar 1919 und als Urheber betreute Dissertation ist das Ergebnis langjähriger des widerrechtlichen Schießbefehls des Oberbe‐ Forschungen. In sechs Kapitel gegliedert, behan‐ fehlshabers (SPD) vom 9. März delt seine Arbeit zunächst die Rezeption des italie‐ 1919, der die Tötung gefangener Revolutionäre nischen Faschismus in der deutschen Rechten oder auch nur als solcher Verdächtiger anordnete, und stellt dann die drei wichtigsten Akteure der die treibende Kraft der von Januar bis Mai 1919 GSF vor: die treibende Kraft, Waldemar Pabst, das von Freikorpstruppen begangenen Massaker an Aushängeschild Carl Eduard von Sachsen-Coburg Revolutionären und Unbeteiligten. Zudem war er und Giuseppe Renzetti, den Kontaktmann zu Be‐ der maßgebliche organisatorische Kopf des Kapp- nito Mussolini. Anschließend beschäftigt er sich Putsches vom März 1920 und nach dessen Miss‐ sowohl mit der Entstehung der GSF als auch mit lingen über zehn Jahre lang Motor der gegen die ihren über 100 ordentlichen Mitgliedern und 220 österreichische Demokratie gerichteten Studienmitgliedern, umreißt die Diktaturkonzepte Heim(at)wehren. In diesem Zusammenhang H-Net Reviews agierte er nicht nur zeitweilig (1925–1928) als lige Sozialdemokraten (August Winnig) und, last wohldotierter Agent des deutschen Außenminis‐ not least, den reaktionären Adel (Wilhelm von ters Gustav Stresemann, sondern knüpfte auch Hohenzollern, Georg Freiherr von Manteufel). In wichtige Kontakte zum italienischen Faschismus, Vortragsveranstaltungen und Arbeitsgruppen soll‐ der ihm nicht nur als Wafenlieferant diente. Wie‐ te die Anwendung des Faschismus durchexerziert der zurück in Deutschland, versuchte er 1931 den werden. Aufbau einer „weißen Internationale“, also den Wichmann arbeitet den entscheidenden Zusammenschluss faschistischer Strömungen aus Nachteil der GSF heraus: Zwar saßen ihre Mitglie‐ Italien, Ungarn, Österreich und Deutschland. Und der in Verwaltung, Wirtschaft, Militär und Publi‐ als dies nicht gelang, war ihm der Versuch, den zistik in einfussreichen Positionen, doch hatten italienischen, schon seit 1923 regierenden Fa‐ sie weder eine Massenbasis noch eine Massenpar‐ schismus – in welcher Form auch immer – auf tei, noch tatsächliche miliz-miltärische Gewalt Deutschland zu übertragen, durchaus eine An‐ hinter sich (wie Pabst noch 1919). Und so ging strengung wert: Die Gründung der GSF war die Pabsts Konzept des losen Zusammenschlusses fa‐ Folge. Die Existenz der Gesellschaft und ihr Agie‐ schistischer und konservativer Verbände, von Eli‐ ren können als ein weiterer Beleg dafür gelten, ten und Denkern nicht auf. Hitlers Massenpartei, dass herrschende Eliten, Wirtschaftsfunktionäre, seine Massenbasis, seine Milizverbände (haupt‐ hohe Militärs und rechte einfussreiche Publizis‐ sächlich SA) und schließlich auch sein Rückhalt in ten ab Ende der Zwanzigerjahre die parlamentari‐ den herrschenden Eliten waren efektiver, weil sche Demokratie Weimars ins Fadenkreuz nah‐ autoritär auf ihn allein als charismatische Führer‐ men und eine faschistische Herrschaft anstrebten. fgur zugeschnitten. Pabsts Versuch, die alte Wichmann gelingt es, den Stellenwert der Putschstrategie (hier: einer Elite) wiederzubele‐ GSF innerhalb der zahlreichen Bestrebungen ben, versagte vor der moderneren Strategie Hit‐ maßgeblicher und einfussreicher Eliten Richtung lers, der ein von sich selbst bereits weitgehend Diktatur zu verdeutlichen: Sie war ein politischer lahmgelegtes parlamentarisches System nutzte, Klub, der sich hauptsächlich aus Mitgliedern drei‐ um mit Rückhalt in den herrschenden Eliten, ei‐ er rechter politischer Strömungen speiste, die sich ner gewalttätigen Miliz (SA) sowie mit der Zustim‐ 1931 in der Harzburger Front zusammengeschlos‐ mung der Mittelschichten und Randgruppen der sen hatten: der Deutschnationalen Volkspartei Arbeiterbewegung über Wahlen an die Macht zu (DNVP), dem Stahlhelm und der NSDAP. Pabst kommen. Und genau in dem Jahr, in dem Hitler schwebte hier sozusagen eine „Weiße Nationale seine Macht mit brutalster Gewalt festigte, hatte Vereinigung“ vor, die das Vorbild des italieni‐ die GSF – sehr gegen den Willen Pabsts – abzutre‐ schen Faschismus auf deutsche Verhältnisse ten. Er selbst hatte politisch ausgespielt und wid‐ durchzusetzen helfen sollte. Die Mitglieder waren mete sich als Wehrwirtschaftsführer und Rüs‐ sorgsam ausgesucht und repräsentierten – um tungslobbyist der Vorbereitung des Krieges. nur einige Beispiele zu nennen – sowohl die NSD‐ Wichmanns Untersuchung glänzt auch durch AP (Hermann Göring, Hjalmar Schacht, Hans den dokumentarischen Anhang, der u. a. eine Mit‐ Frank, Wilhelm Kube, Hans Hinkel), herrschende gliederliste der Gesellschaft liefert, sowie einen Wirtschaftseliten (Friedrich Minoux, G. Wolf), bestens ausgearbeiteten wissenschaftlichen Appa‐ hohe Militärs bzw. Paramilitärs (Franz von Epp, rat. Mit seiner Arbeit schließt Wichmann eine Joachim von Stülpnagel. Wilhelm Reinhard, Theo‐ wichtige Lücke. dor Duesterberg) als auch maßgebliche rechte Pu‐ Die von Michael Heinz unter dem Pseudonym blizisten (Franz Schauwecker, F. W. Heinz, Eduard Rüdiger Konrad vorgelegte Biografe „Waldemar Stadtler, Hanns Heinz Ewers, Curt Hotzel), ehema‐

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Pabst 1880–1970. Noskes ‚Bluthund‘ oder Patriot?“ Kein gefangener Regierungssoldat wurde je in will man dagegen schon nach der Lektüre des Berlin an die Wand gestellt und erschossen. Bei Vorworts beiseite legen. Michael Heinz ist der den Märzkämpfen in Berlin 1919 – wohlgemerkt Sohn des Freikorpsofziers und maßgeblichen hier im Kampf – kamen ca. 70 Regierungssoldaten Mitglieds der Terrorgruppe Organisation Consul um, aber auf der Gegenseite über 1200 der revol‐ (OC) F. W. Heinz, welcher nicht nur am Kapp- tierenden Arbeiter, die massenhaft – dem wider‐ Putsch beteiligt war, sondern auch an der Vorbe‐ rechtlichen Schießbefehl Pabsts/Noskes entspre‐ reitung der Ermordung Matthias Erzbergers und chend – als Gefangene nach dem Kampf an die Walther Rathenaus. Später zählte Heinz allerdings Wand gestellt wurden. Auch ging der Schießbe‐ – im Gegensatz zu Pabst – zu den Putschisten ge‐ fehl Pabsts/Noskes auf eine bewusst von Pabsts gen Hitler Susanne Meinl, Nationalsozialisten ge‐ Presseabteilung (federführend: Fritz Grabowsky) gen Hitler. Die nationalrevolutionäre Opposition verbreitete Zeitungsente zurück, es seien unzähli‐ um Friedrich Wilhelm Heinz, Berlin 2000. und ge Polizisten umgebracht worden. Auch diese Mel‐ baute nach dem Zweiten Weltkrieg (hier wieder dung war falsch. Niemand wurde in den März‐ mit Pabst d’accord) den ersten Geheimdienst der kämpfen „in bestialischer Weise“ von den „Spar‐ Bundesrepublik auf. Susanne Meinl / Dieter Krü‐ takisten“ umgebracht, wie von Heinz (S. 197) wei‐ ger, Der politische Weg von Friedrich Wilhelm ter behauptet. Da wiegt schon weniger schwer, Heinz. Vom Freikorpskämpfer zum Leiter des dass er die Märzkämpfe als die „Marneschlacht Nachrichtendienstes im Bundeskanzleramt, in: der Roten Revolution“ bezeichnet (S. 193). Dieser Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 42 (1994), Begrif wurde von Rudolf Hilferding nur für die S. 39–69. So ging Pabst in den Fünfziger- und Sech‐ Januarkämpfe 1919 und ohne die Farbe „rot“ ver‐ zigerjahren im Hause Heinz aus und ein und war wendet. – Originaltexte Pabsts (hauptsächlich sein dem jungen Michael Heinz als „Onkel Waldemar“ unveröfentlichtes Memoirenfragment) vor dem bestens bekannt. Aus diesem Zusammenhang her‐ Leser ausbreitet. Heinz, der im Besitz von Pabsts aus ist er ganz ofensichtlich bemüht, mit seinem Bibliothek und (unvollständigen) Kopien seines Buch eine Art Ehrenrettung Pabsts zu betreiben. Nachlasses ist, macht sich dabei weder die Mühe, Schon im Vorwort klingen Verschwörungstheori‐ Pabsts auf zwei Bundesarchiv-Standorte (Freiburg en an, „deutsche Massenmedien“, „moderne Ge‐ und Berlin) verteilten Gesamtnachlass durchzuar‐ schichtsbücher“ und „bestimmte Internetlexika“ beiten, geschweige denn dessen Hinterlassen‐ beschrieben die „spartakistischen Protagonisten“ schaften in Tirol (Landesarchiv ) und als „hehre Lichtgestalten“ (S. 10) und Friedrich der Schweiz (Bundesarchiv Bern), noch berück‐ Ebert und Gustav Noske dagegen „als blutrünstig sichtigt er neuere Erkenntnisse der in den letzen und antidemokratisch“ (S. 12). Dafür fehlt aller‐ Jahren erschienenen Sekundärliteratur Manfred dings jeglicher Beleg. Einige Zeilen später ver‐ Wichmann, Gesellschaft zum Studium des Fa‐ sucht Michael Heinz, die selbst im Zuge des Zu‐ schismus. Antidemokratisches Netzwerk zwi‐ sammenbruchs des sogenannten Realsozialismus schen Rechtskonservatismus und Nationalsozia‐ obsolet gebliebene These von der Verhinderung lismus, in: Bulletin für Faschismus- und Welt‐ des Bolschewismus durch Mehrheitssozialisten kriegsforschung, H. 31/32, Berlin 2008, S. 72–104; (SPD) und Freiwilligenverbände 1918–1920 wie‐ Doris Kachulle, Waldemar Pabst und die Gegenre‐ derzubeleben. Das ganze Buch hindurch arbeitet volution. Vorträge, Aufsätze aus dem Nachlass. er sich daran ab, dies zu beweisen, indem er – teil‐ Hrsg. von Karl Heinz Roth (Bulletin für Faschis‐ weise fehlerhaft kommentiert So behauptet er mus- und Weltkriegsforschung, H. 5), Berlin 2007; (S. 195), es habe auf beiden Seiten nur „selten Par‐ Klaus Gietinger, Der Konterrevolutionär. Walde‐ don“ gegeben. Dies ist erwiesenermaßen falsch. mar Pabst – eine deutsche Karriere, Hamburg

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2009. , woraus erhebliche Erkenntnis- und Dar‐ und bringt Pabsts Handlungsweise als vermeintli‐ stellungslücken resultieren. Weder taucht die chem Bewahrer vor dem „Bolschewismus“ Ver‐ „weiße Internationale“ auf noch die GSF (obwohl ständnis entgegen (S.163–165, S. 172, S. 188), um sein Vater Mitglied war), noch Pabsts Kampf für dann wieder zu schreiben, dass es „aus heutiger den italienischen und den Austrofaschismus, Sicht keine juristische“ Rechtfertigung dieser Tat schon gar nicht sein Anbandeln mit NS-Splitter‐ gebe (S. 172). Dass er hier ausdrücklich nur von gruppen (Walther Stennes, Gebrüder Straßer). der juristischen Ebene, nicht jedoch von der mo‐ Dies hat einen praktischen Grund: In seinem Be‐ ralischen spricht, ist bezeichnend. Die Verstri‐ streben, Pabsts braune Weste weiß zu waschen, ckung Gustav Noskes bezweifelt Heinz an einer muss Heinz dies alles ausblenden. Entgegen sei‐ Stelle (S. 165), kurz darauf spricht er jedoch von ner Absicht, vornehmlich seinen „Helden“ spre‐ „indirekter Absprache mit Regierungsstellen“ chen zu lassen, fehlen solche Zitate von Pabst, die (S. 167) und noch später gar von „politischer Mit‐ nicht in Heinz’ Konzept passen. Nur zwei Beispie‐ täterschaft“ der SPD-Regierung (S. 187). Dass er le: Als man sich am 10. Dezember 1929 in einer sich hierzu aus der oben genannten Sekundärlite‐ Besprechung der Bundesleitung der österreichi‐ ratur – wo es ihm nützlich erscheint – ohne Quel‐ schen Heimwehren in Wien noch nicht stark ge‐ lenangabe bedient (S. 160, 174f.), sie aber gleich‐ nug für einen Putsch fühlte, stellte Pabst fest: „Ich zeitig ohne Namens- oder Titelnennung und ohne fasse zusammen: Wir werden versuchen, auf dem Zitat in Bausch und Bogen (schon im Vorwort) demokratischen Wege Einfuss im Parlament zu verwirft, ist schlichtweg ärgerlich. gewinnen, wir müssen aber diesen Weg möglichst 2008 scheiterte in Berlin eine Platzbenennung bald durch den faschistischen ersetzen“ Tiroler nach Waldemar Pabst. Antragstellerin war die Landesarchiv, Akten der Selbstschutzverbände, NPD, als deren Wähler sich Pabst in einem Brief XII12, 1929, Bl. 804. , und am 22. März 1933 erklär‐ in den Sechzigerjahren geoutet hatte. Immerhin te er im zum Hugenberg-Konzern gehörenden wird auch Michael Heinz’ Buch Pabst – und dies Berliner Lokalanzeiger, dass sich die Ziele der NS‐ erscheint erfreulich – nicht zur historischen Galli‐ DAP und der „in den meisten Fällen“ onsfgur der Neuen Rechten erheben. Dazu ist deckten und dass Österreich nun das zu versu‐ dessen Massentauglichkeit – auch wenn er nicht chen habe, „was wir in Deutschland in einer wun‐ schlechter schrieb als Hitler – zu gering. derbaren Erhebung des gesamten nationalisti‐ schen Volkes am 30. Januar 1933 geschafen ha‐ ben“. Waldemar Pabst, Einigt euch in Österreich, in: Berliner Lokalanzeiger vom 22.3.1933, nachge‐ wiesen in: Bundesarchiv Berlin, R 8034 III (Zei‐ tungsausschnittsammlung Reichslandbund), Nr. 342. Hier spricht nun wirklich nicht, wie von Heinz behauptet, ein Konservativer, dem „eine konstitutionelle Monarchie englischen Beispiels“ (S. 10) vorschwebte. Auch beim Mord an Liebknecht und Luxem‐ burg, den Heinz bisweilen auch nur als „Tötung“ bezeichnet (S. 167, 172), verwickelt er sich in Wi‐ dersprüche. So zitiert er seitenlang das „Rechts‐ gutachten“ eines Pabst-Freundes, das den Mord als „Staatsnotstand“ rechtfertigte (S. 167–172),

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Citation: Klaus Gietinger. Review of Konrad, Rüdiger. Waldemar Pabst 1880–1970: Noskes „Bluthund“ oder Patriot?. ; Wichmann, Manfred. Waldemar Pabst und die Gesellschaft zum Studium des Faschismus 1931–1934. H-Soz-u-Kult, H-Net Reviews. June, 2014.

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