Christina Maria Pachler

Kriegsbewältigung in Zwischen Aufarbeitung und Revisionismus

DIPLOMARBEIT

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Philosophie

Studium: Lehramtsstudium UF Englisch UF Geschichte, Sozialkunde, Polit.Bildg.

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

Begutachter Univ.-Prof. Dr. Dieter Pohl Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Institut für Geschichte

Klagenfurt, April 2019

Eidesstattliche Erklärung

Ich versichere an Eides statt, dass ich

- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit selbstständig verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe,

- die während des Arbeitsvorganges von dritter Seite erfahrene Unterstützung, einschließlich signifikanter Betreuungshinweise, vollständig offengelegt habe,

- die Inhalte, die ich aus Werken Dritter oder eigenen Werken wortwörtlich oder sinngemäß übernommen habe, in geeigneter Form gekennzeichnet und den Ursprung der Information durch möglichst exakte Quellenangaben (z.B. in Fußnoten) ersichtlich gemacht habe,

- die eingereichte wissenschaftliche Arbeit bisher weder im Inland noch im Ausland einer Prüfungsbehörde vorgelegt habe und

- bei der Weitergabe jedes Exemplars (z.B. in gebundener, gedruckter oder digitaler Form) der wissenschaftlichen Arbeit sicherstelle, dass diese mit der eingereichten digitalen Version übereinstimmt.

Mir ist bekannt, dass die digitale Version der eingereichten wissenschaftlichen Arbeit zur Plagiatskontrolle herangezogen wird.

Ich bin mir bewusst, dass eine tatsachenwidrige Erklärung rechtliche Folgen haben wird.

Christina Maria Pachler e.h. Klagenfurt, April 2019

Abstract (Deutsch)

Die folgende Diplomarbeit beschäftigt sich mit dem Thema Kriegsaufarbeitung in Japan und stellt den Ablauf ebenjener anhand vier umstrittener Themen der Nachkriegszeit dar. So wird zunächst auf die Rolle des Yasukuni-Schreins eingegangen und erklärt, warum die Besuche des Schreins durch japanische PolitikerInnen im Ausland regelmäßig auf Ablehnung stoßen. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Streit um die Darstellung der Kriegsverbrechen in japanischen Geschichtslehrbüchern und nimmt auf wichtige Etappen wie die Schulbuchprozesse Ienaga Saburōs Bezug. Hinsichtlich der „Trostfrauen“ soll geklärt werden, welche Schritte die japanische Regierung zur Entschädigung der ehemaligen Zwangsprostituierten setzte. Der letzte Abschnitt handelt vom Nanking-Massaker, das in zahlreichen Publikationen unterschiedlich aufgearbeitet wurde. Insgesamt stellte sich die Frage, welche Aspekte förderlich bzw. hinderlich für die Kriegsaufarbeitung in Japan waren und es teilweise noch immer sind. Des Weiteren wurde versucht, die Hintergründe der revisionistischen Tendenzen und die Leitfiguren der nationalistischen Bewegung zu ermitteln. Im Ergebnis zeigte sich, dass die Haltung hinsichtlich der eigenen Kriegsvergangenheit zutiefst gespalten ist, was dementsprechend einer Aussöhnung mit den Nachbarländern im Wege steht. Als Ausgangspunkt für die ambivalente Einstellung müssen die alliierten Kriegsverbrecherprozesse gesehen werden, die von der japanischen Bevölkerung eher als „Siegerjustiz“ empfunden wurden und auch keine Verantwortungsübernahme begünstigten. Konservative Politiker und Historiker, die nach der Besetzung des Landes entlassen worden waren, kehrten bald wieder in ihre Ämter zurück und sorgten dafür, dass das Erziehungsministerium kritische Darstellungen der Kriegsgräuel in den Lehrbüchern zu unterbinden begann. Indes sammelten sich um den Yasukuni-Schrein als Zentrum des japanischen Gefallenenkults verschiedene Organisationen, welche die seit 1955 fast durchgehend an der Macht befindliche LDP mit ihren Wahlstimmen unterstützen. Ebenso involviert ist die , eine mächtige Lobby mit dem Ziel, die staatsshintōistische Vorkriegsideologie wiederherzustellen. Ihre VertreterInnen finden sich in Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Journalismus und widmen sich unter anderem der Leugnung des Nanking-Massakers und der Leiden der Trostfrauen.

Abstract (English)

The following diploma thesis concerns itself with Japan’s way of remembering and accounting for its wartime past, specifically by looking at four contested aspects of the post-World War II era. The paper begins by outlining the role of the and explains why visits by senior politicians to said site create controversy abroad. Another chapter focuses on the struggle over the portrayal of war crimes in Japanese history textbooks and describes its important stages, for instance the textbook trials initiated by the historian Ienaga Saburō. Regarding the so-called “”, the next section aims to trace the steps the Japanese government has taken to compensate the former forced prostitutes. Finally, the Massacre is addressed by analyzing its (oftentimes very different) depictions in various publications. Overall, the guiding question asked which circumstances encouraged and prevented Japan from coming to terms with its past – even now. Additionally, attempts were made to identify the causes and agents of revisionist tendencies. In conclusion, it became evident that Japan’s attitude towards its wartime past is deeply split, which hinders reconciliation with its neighboring countries. The origins of this ambivalent approach can be found in the Allied war crimes trials, which were predominantly perceived as “victor’s justice” und thus did not inspire the population to accept responsibility. Conservative politicians and historians who were dismissed after the Allied occupation soon returned to their posts and made sure that the descriptions of war crimes in history textbooks were significantly toned down. Meanwhile, several organizations rallied around the Yasukuni Shrine as a national center for the commemoration of the war dead. They would later offer their support and votes to the LDP, which has governed Japan near-continuously since 1955. Another key player is the Nippon Kaigi, a powerful lobby aiming to reintroduce the prewar ideology of State Shintō. To achieve their end goal, Nippon Kaigi members engage in politics, science, business, and journalism with the intent to deny such as the or the exploitation of the comfort women.

Inhalt

Eidesstaatliche Erklärung

Abstract

1. Einleitung 7

2. Grundlegende Etappen der Kriegsaufarbeitung 11

3. Der Yasukuni-Schrein 16

3.1. Geschichte und Rolle 16

3.2. Besondere Problematik 20

3.3. Politische Besuche und Reaktionen 25

3.4. Alternative Gedenkstätten 38

4. Die Schulbuch-Kontroverse 41

4.1. Geschichtslehrbücher in der Besatzungszeit 41

4.2. Konservative Gegenreaktion und „Eiszeit“ 43

4.3. Ienaga Saburōs Schulbuchprozesse 46

4.4. Schulbuchaffären 49

4.5. Wiedererstarken des Revisionismus 57

4.6. Versuche länderübergreifender Kooperation 62

5. Die Trostfrauen 69

5.1. Hintergründe und Anwerbung 69

5.2. Kriegsverbrecherprozesse und erste Übereinkommen 71

5.3. Beginn der Aufarbeitung 74

5.4. Haltung der japanischen Regierung 77

5.5. Konservative Gegenreaktion 83

5.6. Versuche internationaler Aufarbeitung 84

5.7. Linie der Abe-Administration 88

6. Die Nanking-Debatte 95

6.1. Verlauf des Massakers 95

6.2. Grundlegende Kontroversen 97

6.3. Kriegsverbrechertribunale in Tokio und Nanking 100

6.4. AutorInnenstreit 106

6.5. Sonstige revisionistische Bestrebungen 111

7. Zusammenfassung 116

Literaturverzeichnis 121

1. Einleitung

In Asien war die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt von der japanischen Ausdehnungspolitik. Nach dem Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg 1894-1895 konnte das „Land der aufgehenden Sonne“ die östliche Mandschurei besetzen. Der Sieg über die europäische Großmacht Russland 1905 bestärkte Japan noch weiter in seinem imperialistischen Expansionsstreben. Nur wenige Jahre später wurde Korea unter dem Namen Chōsen zur offiziellen Kolonie Japans erklärt. Mit dem von japanischen Soldaten provozierten Mandschurischen Zwischenfall 1931 und der Errichtung des Marionettenstaats Mandschukuo im Folgejahr weitete Japan seine Einflusssphäre auf dem Kontinent stetig aus. 1937 begann dann der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg, wobei durch die japanischen Truppen insbesondere ab dem Sommer 1942 eine Vernichtungspolitik unter dem Motto „Töte alles, verbrenne alles, plündere alles“ geführt wurde. Diese Kriegspolitik kostete Millionen ChinesInnen das Leben und beraubte zahllose weitere Personen ihrer Heimat. Auch in den Nachbarländern, allen voran in Korea, Indonesien und den Philippinen, fielen hunderttausende ZivilistInnen den japanischen Kriegsverbrechen zum Opfer. Erst mit der Kapitulation Japans am 15. August 1945 endete der größte Krieg, der sich jemals im asiatisch-pazifischen Raum zugetragen hatte. Japan wurde schlagartig mit der Siegermacht USA konfrontiert, deren Demokratisierungspolitik die ersten Nachkriegsjahre bestimmte. Führende Regierungspolitiker und Militärs mussten sich indes vor den Kriegsverbrechertribunalen in Tokio und Yokohama verantworten.

Auch wenn das Ende des Pazifikkriegs bereits mehr als 70 Jahre zurückliegt, ist die Aufarbeitung der japanischen Kriegs- und Kolonialpolitik noch lange nicht abgeschlossen. Dabei wird Japan oft die Verdrängung der Kriegsvergangenheit, insbesondere von Verbrechen wie dem Nanking-Massaker oder der sexuellen Ausbeutung der „Trostfrauen“, unterstellt. Besuche hochrangiger PolitikerInnen am berüchtigten Yasukuni-Schrein sowie revisionistische Geschichtsdarstellungen in japanischen Schulbüchern verstärken diesen Eindruck noch. Aus diesen Gründen kritisieren Nachbarländer wie die Volksrepublik China und Südkorea in regelmäßigen Abständen den Umgang

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Japans mit der Kriegsvergangenheit. So steht das Thema letztlich noch heute in Ostasien auf der innenpolitischen Tagesordnung.

In der vorliegenden Arbeit soll ein kritischer Blick auf den Umgang Japans mit seiner Geschichte geworfen werden, besonders in Bezug auf das Schaffen von nationaler Identität nach dem Zweiten Weltkrieg. Es stellt sich zunächst die Frage, welche Aspekte förderlich bzw. hinderlich für die Kriegsaufarbeitung in Japan waren. Aber auch die Hintergründe der revisionistischen Tendenzen und die Leitfiguren der nationalistischen Bewegung müssen behandelt werden.

Bezüglich der verwendeten Literatur bildeten drei Sammelwerke den Ausgangspunkt für die weitere Recherche. Neben Christoph Cornelißens Werk „Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945“ waren dies Mikyoung Kims „Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia“ und „Historical War Crimes Trials in Asia“ von Daqun Liu. Auch Thomas U. Bergers Monographie „War, Guilt, and World Politics after World War“ lieferte einige interessante Ansatzpunkte. Zusätzliche Informationen wurden diversen Zeitschriftenartikeln und Onlinepublikationen, darunter das Asia-Pacific Journal: Japan Focus, entnommen. Auch japanische Zeitungsberichte, hauptsächlich jene der englischsprachigen Japan Times, finden sich in der zitierten Literatur, um über aktuelle Tagesthemen in Japan Auskunft geben zu können. Daneben wurden Gesetzestexte wie die japanische Verfassung und Normalisierungsverträge mit China und Südkorea zu Rate gezogen. Schließlich wird im Text mitunter auf Berichte der UNO verwiesen, die das Aufarbeitungspotential Japans eingehend demonstrieren.

Der Aufbau der Abhandlung gestaltet sich dementsprechend wie folgend: In einem ersten, kurzen Kapitel soll ein Überblick über die wichtigsten Etappen der Kriegsaufarbeitung in Japan gegeben werden. Hier findet sich eine Erörterung jener Vorfälle, welche die öffentliche Diskussion der Kriegsvergangenheit anregten. Danach erfolgt eine Analyse der Problematik um den Yasukuni- Schrein. In diesem Abschnitt wird unter anderem erläutert, welche Rolle der Schrein im Militarismus des Kaiserreichs spielte und welche Aspekte dafür verantwortlich sind, dass Besuche des Schreins durch japanische PolitikerInnen noch heute als umstritten gelten. Das darauffolgende Kapitel widmet sich den

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Kontroversen um die Geschichtslehrbücher, welche einen weiteren Streitpunkt in der japanischen Kriegsaufarbeitung darstellen. Die Bedeutung der Schulbücher für das japanische Geschichtsbild unterstreicht die Historikerin Claudia Schneider mit den Worten: „Textbooks serve as one of the important arenas where the past, as well as a country’s image of itself and others, is contested.“1 Auf die kritischen Geschichtsdarstellungen unter der US-amerikanischen Besatzungsmacht folgte eine konservative Phase, die den Historiker Ienaga Saburō dazu brachte, vor Gericht jahrzehntelang gegen die Zensur seiner Bücher anzukämpfen. Bei den sogenannten „Schulbuchaffären“ demonstrierten hingegen andere asiatische Staaten für eine angemessene Behandlung der japanischen Kriegspolitik in den Lehrbüchern. Der nächste Abschnitt geht auf die Leiden der als „Trostfrauen“ bezeichneten Zwangsprostituierten des japanischen Militärs ein. Auch hier wird versucht, in chronologischer Reihenfolge Meilensteine in der Aufarbeitung sowie revisionistische Gegenreaktionen zu beschreiben. Dazu zählen vor allem die Bemühungen verschiedener ziviler Gruppen, welche die japanische Regierung schlussendlich dazu bewegen konnten, durch offizielle Entschuldigungen und Entschädigungszahlungen Verantwortung für die Kriegsverbrechen zu übernehmen. Zuletzt beschäftigt sich die Arbeit noch mit dem Nanking-Massaker, das vor allem durch Iris Changs Werk „The Rape of Nanking“ international ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Schon zuvor hatten die Kriegsverbrechertribunale in Tokio und Nanking versucht, eine „offizielle“ Version der Geschehnisse festzuschreiben. Dass dies nicht vollständig gelang, zeigte sich an Konflikten zwischen namhaften AutorInnen, die jeweils ihre eigene Version des Massakers vertraten.

Im Zusammenhang mit den Übersetzungskonventionen der ostasiatischen Sprachwissenschaften muss nun noch auf einige orthographische Besonderheiten eingegangen werden. Da diese Diplomarbeit dem Fachgebiet Geschichte entspringt, wurde den in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft geläufigen Begriffen wie „Nanking-Massaker“ und „Tokioter Prozesse“ der Vorzug gegeben. Bekannte japanische und chinesische

1 Siehe: Claudia Schneider, The Japanese History Textbook Controversy in East Asian Perspective. In: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 617 (2008) 107-122, hier: 108. 9

Orts- und Personennamen wurden daher in „eingedeutschter“ Schreibweise übernommen; so etwa Tokio (Tōkyō), Nanking (Nanjing), Peking (Beijing), Mandschukuo (Manzhouguo), Jangtsekiang (Chang Jiang) und Chiang Kai-shek (Jiang Jieshi). Koreanische Namen wurden mit Rückgriff auf die im Westen gebräuchliche, weder mit dem McCune-Reischauer-System noch der Revidierten Romanisierung übereinstimmenden Umschrift übersetzt. Als Beispiel hier der Name der ehemaligen südkoreanischen Präsidentin Park Geun-hye (MR: Pak Kunhye; RR: Bak Geun-hye). Japanische und koreanische Wörter im Fließtext wurden vorzugsweise klein geschrieben; davon ausgenommen jedoch die Namen von Personen, Körperschaften und Ortschaften, aber auch Buch- und Liedertitel, Gesetze und Verträge, Religionen sowie mit Namen verbundene Ehrentitel („ Tennō“). Da die auflagenstärksten japanischen Zeitungen bei ihrer Selbstbezeichnung noch auf das alte Hepburn-System (ersichtlich in der Verwendung des Wortes shimbun statt shinbun) zurückgreifen, wurde dies in den folgenden Seiten übernommen. Für chinesische Namen wurde bis auf oben gelistete Ausnahmen überwiegend die Pinyin-Umschrift gewählt. Nach der ostasiatischen Namensordnung werden Familiennamen zudem zuerst genannt, außer es handelt sich um AutorInnen, die in ihren Publikationen eine abweichende Namensschreibweise bevorzugen.

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2. Grundlegende Etappen der Kriegsaufarbeitung

Die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen begann in Japan mit der Erzwingung ebenjener durch die US-amerikanische Besatzungsmacht. Wie in Deutschland wurden hier Kriegsverbrecherprozesse geführt, unter anderem das vom Internationalen Militärtribunal für den Fernen Osten (IMTFE) geleitete Tokioter Tribunal gegen ausgewählte Kriegsverbrecher der Kategorie A2 und die Yokohama-Prozesse gegen Kriegsverbrecher der Klassen B3 und C4. Daneben wurden zwischen 1946 und 1951 in anderen asiatischen Ländern 2.244 weitere Kriegsverbrecherprozesse angestrengt, die allerdings international wenig Beachtung fanden.5

Die Prozesse endeten mit der Vollstreckung von 920 Todesurteilen, wobei 701 der hingerichteten Personen persönliche Schriften hinterließen, die 1954 als Gesamtwerk mit dem Titel Seiki no Isho („Das Testament des Jahrhunderts“) veröffentlicht wurden. Das Werk verdeutlichte, dass viele der zum Tode Verurteilten ihr Ende nicht als Konsequenz strafbaren Handelns, sondern als patriotischen Akt der Selbstopferung für ihr Land und den Kaiser sahen. In der japanischen Bevölkerung löste die Publikation demnach große Sympathie aus. Die von den ausländischen Parteien geführten Militärtribunale wurden dagegen als Racheakt bzw. als Siegerjustiz empfunden. Die Historikerin Franziska Seraphim bestätigt dies in ihren Ausführungen: „Ohne Zweifel befanden sich die alliierten Ankläger in einer Machtposition, die sie ruchlos als ‚Siegerrecht‘ ausnutzten und dafür kritisiert wurden. Eng damit verbunden war die eurozentristische Sichtweise der Alliierten, die dem Tribunal unterlag und wichtige Besonderheiten der japanischen Befehlskette sowie entscheidende Punkte des Krieges in Asien und im Pazifik ausblendete.“6 Die „Besonderheiten

2 Dies sind „Verbrechen gegen den Frieden“, also die Planung und Durchführung eines Angriffskrieges. Diese Kategorie umfasste leitende Befehlshaber in Politik und Militär. 3 „Konventionelle Kriegsverbrechen“, die Missachtung von Kriegsrecht, betraf ebenso hauptsächlich Befehlshaber. 4 „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, d.h. Mord, ethnische Ausrottung, Versklavung, Deportation und andere unmenschliche Akte gegen ZivilistInnen. Dies betraf meist Soldaten vor Ort. 5 Vgl. Franziska Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien und globale Erinnerungskulturen. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 77- 92, hier: 77. 6 Ebd., 80-81. 11

der japanischen Befehlskette“ umfassten die im Vergleich zum deutschen System eher verschwommenen Strukturen der japanischen Befehlshierarchie, die von den Alliierten verkannt wurden. Auch Kaiser Hirohito musste sich nicht vor Gericht verantworten; dies was jedoch eine bewusste Entscheidung, um die Stabilität der US-amerikanischen Besetzung des Landes zu sichern. Weiters unangetastet blieben Kriegsverbrechen wie die Menschenversuche der japanischen Militäreinheit 731 in China, welche weder in den Tokioter Prozessen noch in den Verfahren der Klassen B und C angeklagt wurden. Stattdessen zeigten die USA großes Interesse an den Ergebnissen der chemischen Experimente und kauften sie den Japanern ab. Hinzu kam, dass die US- amerikanische Besatzungsmacht die Diskussion über alliierte Kriegsverbrechen, wie etwa die umstrittenen Atombombenabwürfe, unterband.7

Die Kriegsverbrecherprozesse bildeten zwar die Basis für die Kriegsaufarbeitung, boten der breiten Masse in Japan allerdings gleichzeitig die Gelegenheit, die Schuld für die Verbrechen einzig an den angeklagten Generälen festzumachen. Das von den Interessen der mächtigen Wirtschaftskonzerne (zaibatsu) gelenkte Militär (gunbatsu) habe das obrigkeitstreue japanische Volk in diese Konflikte hineinmanövriert, was bereits in der Anklageschrift des Tokioter Militärtribunals in der Bezeichnung „Konspiration“ ersichtlich wurde. Seit Hiroshima und Nagasaki von Atombomben getroffen worden waren, nahm der überwiegende Teil der japanischen Bevölkerung indes eine Opferrolle ein und blendete die aufgrund von rassischem Überlegenheitsdenken verübten genozidalen Kriegsverbrechen im pazifischen Raum aus. Insofern konnte es hier kaum zu einer Übernahme von Verantwortungsbewusstsein in der Bevölkerung kommen.8

Nach dem Ende der amerikanischen Besatzungszeit und der Unterzeichnung des Friedensvertrags von San Francisco 1951 wurde die Aufarbeitung des Kriegsgeschehens wieder vernachlässigt. Obwohl der Vertrag die Anerkennung

7 Vgl. Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 80-84. 8 Vgl. Ken’ichi Mishima, Generationswechsel und Erinnerungskulturen in Japan. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 344-358, hier: 344, 347; Wolfgang Schieder, Kriegsregime des 20. Jahrhunderts. Deutschland, Italien und Japan im Vergleich. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 28-48, hier: 29-30; Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 81-82. 12

der Urteile des IMTFE voraussetzte, wurden die meisten japanischen Kriegsverbrecher der Kategorie A wieder aus der Haft entlassen. Die politische Restauration des Landes und die Reintegration der heimgekehrten Soldaten hatten Priorität. Organisationen wie die 1950 etablierte Nihon Chūgoku Yūkō Kyōkai (die „Gesellschaft japanisch-chinesischer Freundschaft“) kümmerten sich um die Repatriierung und Reintegration der Kriegsverbrecher, die sie als geläutert ansahen. 1956 kehrten dann etwa eintausend japanische Soldaten aus sowjetischer und chinesischer Kriegsgefangenschaft zurück. Aus ihnen bildete sich der Chūgoku Kikansha Renraku Kai („Verein der China-Rückkehrer“), welcher ein Jahr später ein Buch mit dem Titel Sankō („Drei Alles“9) publizierte. In diesem Werk beschrieben die Soldaten – die sich selbst als Kriegsverbrecher (senpan) bezeichneten – detailliert ihre Erinnerungen an die Massaker, die sie an der chinesischen Zivilbevölkerung begangen hatten. Das Buch verkaufte sich innerhalb von zwei Monaten mehr als 50.000 Mal, bis rechte Gruppierungen ein Verkaufsverbot erwirkten. Sie behaupteten, die Kriegsgefangenen seien in China einer Gehirnwäsche unterzogen und zu Falschaussagen verleitet worden. Die Bekenntnisse seien bestenfalls kommunistische Propaganda, die unter Druck und mit Aussicht auf Entlassung aus der Gefangenschaft entstanden sei. Der Verein der China-Rückkehrer antwortete auf die Vorwürfe mit der Publikation einer weiteren Schrift, die den Titel Shinryaku („Invasion“) trug. In der Folgezeit organisierten die ehemaligen Soldaten weitere Veranstaltungen, hielten Vorträge und gaben Interviews in den japanischen Medien. Über ihre Erfahrungen in chinesischer Gefangenschaft berichteten sie, sie seien dort (im Unterschied zu den sowjetischen Arbeitslagern) wider Erwarten gut behandelt worden. Ihre Zeit verbrachten sie in beheizten Räumen, wo ihnen ausreichend Nahrung und medizinische Versorgung zur Verfügung standen. Da sie keinen Arbeitsdienst leisten mussten, beschäftigten sie sich stattdessen mit der Niederschrift ihrer Kriegserfahrungen. Obwohl in der Volksrepublik China bis heute noch Umerziehungslager existieren, so mussten die Soldaten zumindest keine sinnlosen Geständnisse über frei erfundene Taten abgeben. Und auch andere ehemalige japanische Soldaten, die nicht in Kriegsgefangenschaft gerieten, veröffentlichten später Bekenntnisse über die verübten Gräueltaten.

9 Im Bezug auf als „Drei-Alles-Strategie“ bezeichnete japanische Vernichtungspolitik in China – „alles töten, alles verbrennen, alles plündern“. 13

Strafrechtliche Verfolgung haben die Männer zwar keine zu befürchten; dennoch setzen sie sich mit ihren kritischen Äußerungen zum Kriegsgeschehen dem Zorn rechtsextremer Gruppierungen aus.10

Mitte der 1960er Jahre setzte durch verschiede Vorkommnisse ein langfristiger Wandel im japanischen Geschichtsbewusstsein ein. Zu nennen ist dabei zunächst der Vietnamkrieg, den Japan zwar als ungerecht empfand, das Land jedoch gleichzeitig an die eigene Kriegspolitik in China erinnerte. Auch die Aufnahme der diplomatischen Kontakte zur Volksrepublik China, die im Staatsbesuch Premierminister Tanaka Kakueis in Peking 1972 gipfelten, und vor allem der 1965 begonnene Schulbuchprozess Ienaga Saburōs, trugen zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Kriegsvergangenheit bei. Die nächsten Aufarbeitungswellen läutete der Tod Kaiser Hirohitos 1989 und der 50. Jahrestag des Kriegsendes im Jahr 1995 ein. Die Debatten drehten sich hier hauptsächlich um die Frage der Kriegsschuld sowie um die Angemessenheit der offiziellen Entschuldigung Japans bei den Nachbarländern. Zur gleichen Zeit erstarkten allerdings auch revisionistische Strömungen, welche forderten, dass Japan stolz auf die eigene Vergangenheit zurückblicken solle.11

Im Jahr 2000 setzte sich das in Tokio stattfindende „Women’s International War Crimes Tribunal for the Trial of Japanese Military Sexual Slavery“ zum Ziel, die während der alliierten Kriegsverbrecherprozesse nicht geahndeten Sexualstraftaten wie Zwangsprostitution und Vergewaltigungen von Frauen ins Licht der Öffentlichkeit zu rücken. Diese Bemühungen hatten aber nur begrenzten Erfolg. Zudem wird die Aufarbeitung auch heute noch auf bestimmte Streitpunkte wie die japanischen Schulbücher oder den Yasukuni-Schrein

10 Vgl. Petra Buchholz, Krieg und Kriegsverbrechen in japanischen „Eigengeschichten“. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 299-314, hier: 307-310; Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 86-87. 11 Vgl. Sebastian Conrad, Krisen der Moderne? Faschismus und Zweiter Weltkrieg in der japanischen Geschichtsschreibung. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 168-180, hier: 175-176; Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker, Nationale Erinnerungskulturen seit 1945 im Vergleich. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 9-27, hier: 18-20; Yuji Ishida, Das Massaker von Nanking und die japanische Öffentlichkeit. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 233-242, hier: 237-238. 14

reduziert. Die politisch-sozialen Gegebenheiten im kaiserlichen Japan der Vorkriegszeit und das dem Expansionsstreben zugrundeliegende rassische Überlegenheitsdenken werden dagegen kaum hinterfragt. Daneben versuchen RevisionistInnen aus Politik und Wissenschaft, jene Teile der Historiographie, die ihrem Geschichtsbild widersprechen, aktiv aus dem öffentlichen Gedächtnis zu löschen. Personen, die sich dem entgegenstellen – insbesondere HistorikerInnen, JournalistInnen und AktivistInnen – müssen mitunter mit Einschüchterung und Gewaltanwendung von Seiten neo-nationalistischer Gruppierungen rechnen.12

12 Vgl. Cornelißen et al., Nationale Erinnerungskulturen seit 1945, 19-20; Matthew A. Killmeier, Naomi Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength from the Gods. Yasukuni Shrine, Collective Memory and the Japanese Press. In: Media, War & Conflict 3 (2010) 334-354, hier: 337; Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 78. 15

3. Der Yasukuni-Schrein

3.1. Geschichte und Rolle

Beim Yasukuni-Schrein handelt es sich nicht um eine Grabstätte, wie oftmals angenommen wird, sondern um eine shintōistische Verehrungsstätte der über zwei Millionen Kriegstoten Japans. Unter Kriegstoten werden hierbei alle Gefallenen verstanden, die in den militärischen Auseinandersetzungen Japans ab dem Jahre 185313 im Dienste des Kaisers (tennō) ihr Leben ließen. Neben Soldaten und Kriegsgefangenen finden sich auch Frauen und Kinder, die zu Hilfsaktionen auf dem Schlachtfeld eingesetzt wurden, Zivilbedienstete, FabriksarbeiterInnen in der Kriegsindustrie, BeamtInnen und ZivilistInnen unter den verehrten Seelen. Der Schrein verzeichnet die Namen und persönlichen Daten der über 2.466.000 Toten, welche durch die Registrierung in das Buch der Seelen (reijibo) formell Aufnahme finden. Auch heute noch werden den im Yasukuni-Schrein verehrten Toten täglich Opfergaben und Lobpreisungen dargeboten. Zweimal jährlich, im Frühjahr und Herbst, finden große Zeremonien statt, an denen die Opfergaben des Kaisers förmlich und im Beisein von Mitgliedern der kaiserlichen Familie überreicht werden. Aus diesen Gründen besuchen jedes Jahr mehrere Millionen Menschen den Schrein.14

Der Schrein mit der ursprünglichen Bezeichnung Shōkonsha („Schrein zur Anrufung der Seelen“) wurde 1869 als Symbol der neuen Meiji-Herrschaft und des Sieges über das Tokugawa-Shōgunat errichtet. Während dieser Periode war das vormals abgeschiedene Japan im Begriff, sich in einen modernen und einheitlichen Staat zu verwandeln. Es war der tennō, der im Mittelpunkt der neu geschaffenen politisch-religiösen Ideologie des Staatsshintō stand. Dabei handelte es sich um eine Abwandlung des traditionellen Shintō, bei der die Abstammung des Kaisers als Nachfahre der Sonnengöttin Amaterasu besonders betont wurde. BürgerInnen waren ihrem göttlichen Souverän und Landesvater dabei zu Gehorsam verpflichtet, was bereits an den neu eingeführten

13 Darunter der Boshin-Krieg, die Saga- und Satsuma-Rebellionen, die Sino-Japanischen and Russisch-Japanischen Kriege, der Erste Weltkrieg, die Mandschurei-Krise und der Zweite Weltkrieg. 14 Vgl. Yasukuni Jinja, History. URL: https://www.yasukuni.or.jp/english/about/history.html (25.03.2019).

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Grundschulen gelehrt wurde. Der Meiji Tennō war es auch, der beschloss, den Shōkonsha-Schrein in Kudan jenen Verstorbenen zu widmen, die ihr Leben im Dienste des Kaisers gegeben hatten. 1879 erfolgte die Umbenennung des Tempels in Yasukuni jinja, was übersetzt „Schrein des friedlichen Landes“ bedeutet. Ebenso wurde die Stätte in den Rang eines kaiserlichen Schreins mit Sonderstatus gesetzt und zur zentralen Kultstätte des Staatsshintō erhoben. Dort sollten fortan die nach shintōistischer Vorstellung rastlosen Seelen der Toten angebetet werden, um sie zu besänftigen und sie in wohlwollende Schutzgottheiten (shinrei) zu verwandeln, die über das Land wachen. Im Diesseits durch sozialen Status und Rang getrennt, wurden die Seelen der Verstorbenen mit der Aufnahme in den Schrein als einander ebenbürtig anerkannt. Der Tod im Dienste des tennō war also nach staatsshintōistischer Ansicht ein Märtyrertod, der die unmittelbare Verehrung als HeldIn nach sich zog. Die Aussicht auf die Verehrung der eigenen unsterblichen Seele – sogar durch den Kaiser selbst – begünstigte die Akzeptanz in der Bevölkerung, das Leben im Kriegsfall zu opfern. Schon bald stieg auch die Zahl der neuen Soldaten in der kaiserlichen Armee an. Der Märtyrer-Gedanke wurde folglich zum zentralen Element des sogenannten „Yasukuniismus“ (auch genannt Yasukuni shisō oder „Yasukuni-Gedanke“), der insbesondere in Folge des Japanisch-Russischen Krieges von 1904-1905 und der damit verbundenen Aufnahme beinahe 90.000 neuer Seelen in den Schrein immer weitere Teile der Bevölkerung erreichte.15

Auch während des Zweiten Weltkriegs übte der Schrein seine militaristische Funktion weiterhin aus. Darauf lässt der Inhalt des populären, aus der Kriegszeit stammenden Lieds Kudan no Haha („Die Mutter von Kudan“, dem Ort des Yasukuni-Schreins) schließen. Hier heißt es etwa:

„Ein riesiges Tor16 ragt auf bis in den Himmel. Welch Ehre, in einem solch großartigen Schrein als Gott verehrt zu werden.

15 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 335-336, 348; Kunichika Yagyū, Der Yasukuni-Schrein im Japan der Nachkriegszeit. Zu den Nachwirkungen des Staatsshintō. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 243-253, hier: 244-246; Yasukuni Jinja, History (25.03.2019). 16 Torii sind freistehende Durchgänge, die als Eingangstore zu Shinto-Schreinen fungieren. 17

Deine Mutter kann vor Freude zu Tränen gerührt sein.“17

Unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs änderte sich der Status des Schreins dann erheblich. Die alliierte Besatzungsmacht begann mit dem Abriss von Monumenten, die mit dem Militarismus des japanischen Kaiserreichs in Verbindung gebracht wurden. Nach mehrmaligen Debatten wurde jedoch beschlossen, den Yasukuni-Schrein vor diesem Schicksal zu bewahren, um der Bevölkerung weiterhin die Möglichkeit zu geben, den Gefallenen zu gedenken. Am 1. Januar 1946 legte Kaiser Hirohito eine Deklaration über das Menschsein des tennō ab, entsagte also zumindest formell dem Staatsshintō. Zusätzlich wurde eine neue Verfassung verabschiedet, mit welcher der Kaiser politisch entmachtet wurde. Diese noch heute gültige Staatsordnung beinhaltet einen Katalog demokratischer Grundrechte, der wiederum die explizite Trennung von Staat und Religion vorsieht. So heißt es im Artikel 20 der Verfassung: „No religious organization shall receive any privileges from the State, nor exercise any political authority.“18 Damit wurde der Staatsshintō de facto abgeschafft und alle etwa 80.000 japanischen Schreine zu autonomen, nichtstaatlichen Einrichtungen erklärt. Zur neuen Aufsichtsbehörde wurde eine unabhängige Privatorganisation namens Jinja Honchō („Zentralbüro der Schreine“) ernannt. Offiziell war der Staat also nicht mehr in den Betrieb des Tempels involviert, inoffiziell arbeitete jedoch das Gesundheitsministerium eng mit dem Yasukuni- Schrein zusammen, um die Aufnahme der Seelen der etwa 2 Millionen gefallenen japanischen Soldaten zu erwirken. In der Zwischenzeit fielen die Reaktionen der japanischen BürgerInnen auf die neue säkulare Ordnung großteils positiv aus. Bestürzung zeigte sich nur in den konservativen Teilen der Gesellschaft. Der Großteil der Bevölkerung war jedoch kriegsmüde geworden und fühlte sich von der kaiserlichen Führungsriege betrogen. Einer Wiederherstellung der Macht des tennō stimmten in einer Umfrage nur 27% der befragten Personen zu.19

17 Siehe: Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 249. 18 Siehe: The Official Website of the and His Cabinet, The . 03.11.1946. URL: https://japan.kantei.go.jp/constitution_and_government_of_japan/ constitution_e.html (25.03.2019). 19 Vgl. Thomas U. Berger, War, Guilt, and World Politics after World War II (New York 2012) 151; Sachie Mizohata, Nippon Kaigi. Empire, Contradiction, and Japan’s Future. In: The Asia- Pacific Journal, Japan Focus 14, Iss. 21 (2016). URL: https://apjjf.org/2016/21/Mizohata.html (25.03.2019); Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 246-248. 18

Einige Zeit später begannen sich die Anhänger des Staatsshintō erneut zu sammeln. Das mit dem Yasukuni-Schrein verbundene Zentralbüro der Schreine, welches die staatsshintōistische Vorkriegsideologie unbeirrt weiterführte, wuchs zu einer einflussreichen politischen Lobby heran. Zu diesen beiden Institutionen gesellte sich noch die Vereinigung der Kriegshinterbliebenen (Nihon Izokukai), die ebenfalls nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen worden war und sich ursprünglich für die Wiedereinführung der Kriegshinterbliebenenrente engagierte. Mit der Forderung nach der Wiedereinsetzung des Yasukuni- Schreins als staatliche Einrichtung begann sich der Verein aber immer mehr politisch-ideologisch aufzuladen. Mit fast einer Million wahlberechtigter Mitglieder wurde er außerdem zu einem bedeutenden Machtfaktor für die konservativen Teile der LDP und fungierte als Verbindungsglied zwischen der Partei und dem Schrein. All diese Gruppen betonten die zentrale Rolle des Yasukuni-Schreins für die Kriegserinnerung, versuchten aber auch die kritische Sicht auf die Kriegszeit zu unterbinden und sich für vermehrten Nationalstolz einzusetzen.20

1964 unterschrieben immerhin 6.680.000 JapanerInnen das Anliegen, dem Yasukuni-Schrein erneut einen Sonderstatus zukommen zu lassen. Auch zwischen 1969 und 1974 kam es zu zahlreichen parlamentarischen Debatten im Zuge eines solchen Gesetzesvorschlags. Protest gab es dabei hauptsächlich von Seiten buddhistischer und christlicher Gruppierungen sowie den mitte- und linksorientierten Teilen des Parlaments. Obwohl die UnterstützerInnen des Yasukuni-Schreins im Unterhaus durchaus Erfolge verbuchen konnten, endete die Bewegung 1974. Sie scheiterte an der Notwendigkeit einer für die Wiederverbindung von Staat und Religion erforderlichen Verfassungsänderung, welche die Zustimmung von zwei Drittel der Abgeordneten im Parlament sowie den positiven Ausgang einer Volksabstimmung verlangte.21

20 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 338; Mizohata, Nippon Kaigi (2016); Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 249. 21 Vgl. Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 250. 19

3.2. Besondere Problematik

Neben der inhärenten Problematik des Yasukuni-Schreins im Zusammenhang mit dem heute immer noch latent präsenten Staatsshintō sowie dem nationalistisch-militaristisch geprägten Yasukuniismus finden sich noch weitere bedenkliche Aspekte in der Geschichte des Tempels.

Obwohl der Yasukuni-Schrein in der Absicht geschaffen wurde, die Seelen der Verstorbenen zu besänftigen, wurden diese ohne die Zustimmung ihrer Familien in den Tempel aufgenommen. Unter den im Schrein notierten Namen befinden sich auch jene von 50.000 ChinesInnen, 27.863 TaiwanesInnen und 21.181 KoreanerInnen, die gezwungen wurden, im Krieg auf japanischer Seite zu kämpfen. Der Yasukuni-Schrein weigert sich indessen, die verehrten Seelen freizugeben, ungeachtet deren Nationalität oder der Wünsche von Familienangehörigen. Kontinuität und nationales Interesse werden in den Vordergrund gestellt; die tatsächliche Verehrung der Toten und der Wille der Angehörigen sind dabei zweitrangig.22

Des Weiteren propagiert der Yasukuni-Schrein im Einvernehmen mit AnhängerInnen des japanischen Neo-Nationalismus (shin minzokushugi) eine revisionistische Sicht auf den Weltkrieg. Der sogenannte „Großostasiatische Krieg“ (daitōa sensō) sei geführt worden, um die Völker Asiens aus den Fängen des westlichen Kolonialstrebens zu befreien. Japan habe sich nur verteidigt, um das eigene Überleben zu sichern. So verwendet der Yasukuni-Schrein auf seiner offiziellen Homepage auffallend oft die Formulierung „[the spirits of those who] died to protect their homeland“23, was kaum mit dem Führen von Angriffskriegen sowie der Begehung von Kriegsverbrechen im besetzten Ausland vereinbart werden kann. Als im Jahr 1993 Premierminister Hosokawa Morihiro (damals Mitglied der Nihon Shintō, der „Neuen Partei Japans“) und zwei Jahre später Murayama Tomiichi (von der Shakai Minshutō, der Sozialdemokratischen Partei Japans) die japanische Kriegsführung als Angriffskrieg charakterisierten und sich

22 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 336, 349. 23 Siehe: Yasukuni Jinja, Worshipping. URL: https://www.yasukuni.or.jp/english/about/ worshipping.html (25.03.2019). 20

formal bei den Nachbarländern entschuldigten, protestierten der Verein der Kriegshinterbliebenen und andere nationalistische Gruppierungen.24

Ein weiteres Beispiel, das die revisionistischen Tendenzen um Yasukuni anschaulich demonstriert, ist das seit 1882 bestehende Kriegsmuseum Yūshūkan. Es befindet sich in unmittelbarer Nähe des Schreins und beinhaltet eine Ausstellung über die Gefallenen, inklusive Relikte wie etwa Waffen oder handgeschriebene Korrespondenz. Eine kritische Beleuchtung des Kriegsgeschehens findet allerdings nicht statt; stattdessen scheint sich das Museum zur Aufgabe gemacht zu haben, die japanischen Kriegsanstrengungen zu glorifizieren. Der Kaiser wird noch immer als zentrale Figur Japans zelebriert, während die Opferbereitschaft der Soldaten gerühmt wird. Durch ihren Tod soll Japan zu einer friedlichen und wohlhabenden Nation geworden sein. Die Kriegsverbrechen werden gar nicht erst erwähnt und auch die schlussendliche Niederlage wird ausgeblendet.25 Ein am Museum angestellter Priester kommentierte dazu nur: „[S]upposing there was a Nanking [Massacre] or a Unit 731, that would be a crime in time of war. Here we are not exhibiting the history of crime, but how war is fought between countries as a matter of justice.“26

Ab April 1959 begann der Yasukuni-Schrein, Kriegsverbrecher der Kategorien B und C in die Namensliste der HeldInnen aufzunehmen. Im Oktober 1966 befanden sich bereits die Seelen von 939 solcher im Rahmen der Tokioter Prozesse verurteilten Personen im Tempel. Die wohl größte Kontroverse in der Geschichte des Schreins erfolgte jedoch 1978 mit der in aller Stille durchgeführten Aufnahme von 14 Kriegsverbrechern der Klasse A, womit einem 1966 ergangenen Vorschlag der japanischen Regierung Rechnung getragen wurde. Mehr noch, das Gesundheitsministerium hatte bereitwillig Informationen über die Männer zur Verfügung gestellt, ohne die eine Aufnahme nie erfolgt wäre. Unter den verehrten Personen befanden sich von nun an 14 Angehörige der

24 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 336-337; Yagyū, Der Yasukuni- Schrein, 246. 25 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 337; Yasukuni Jinja, Yushukan Museum. URL: http://www.yasukuni.or.jp/english/yushukan/ (25.03.2019). 26 Siehe: Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 337. 21

politischen und militärischen Elite Japans, die wegen Verbrechen gegen den Frieden für schuldig befunden bzw. angeklagt wurden. Es sind dies:

1. Tōjō Hideki: General, japanischer Premier- und Kriegsminister, führender Verantwortlicher für den Angriff auf Pearl Harbor und die damit verbundene Ausweitung des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs zum Pazifikkrieg, 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 2. Doihara Kenji: General, führender Verantwortlicher für die Besetzung der Mandschurei, führender Kopf der chinesischen Unterwelt (insb. Opiumhandel), 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 3. Matsui Iwane: General, Kommandant der japanischen Truppen in Nanking, 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 4. Kimura Heitarō: General, Vize-Kriegsminister und Mitglied des Obersten Kriegsrats, Oberbefehlshaber der japanischen Truppen in Burma (unter anderem verantwortlich für die dortige Ausbeutung von Kriegsgefangenen), 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 5. Hirota Kōki: Premierminister, Außenminister während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Kriegs, Mitwisser des Nanking-Massakers, 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 6. Itagaki Seishirō: General, Kriegsminister, führender Verantwortlicher für die Eskalation des Kriegs in China, 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 7. Mutō Akira: Generalleutnant, führender Verantwortlicher für die Eskalation des Kriegs in China, Beteiligter am Nanking-Massaker, 1948 zum Tode verurteilt und hingerichtet 8. Matsuoka Yōsuke: Außenminister, führender Verantwortlicher für den Rücktritt Japans aus dem Völkerbund, Initiator des Dreimächtepakts, starb 1946 während des Prozesses eines natürlichen Todes 9. Nagano Osami: Admiral, führender Verantwortlicher für den Angriff auf Pearl Harbor sowie die Kriegsführung der japanischen Marine, starb 1947 während des Prozesses eines natürlichen Todes 10. Shiratori Toshio: Botschafter in Italien, führender Vermittler zwischen den Achsenmächten, 1948 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, starb 1949 eines natürlichen Todes

22

11. Hiranuma Kiichirō: Premierminister, kaiserlicher Berater, 1948 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, starb 1952 kurz nach seiner vorzeitigen Entlassung eines natürlichen Todes 12. Koiso Kuniaki: General, Premierminister, 1948 wegen seiner Rolle als Mitwisser der Kriegsverbrechen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, starb 1950 eines natürlichen Todes 13. Umezu Yoshijirō: General, Vize-Kriegsminister und Mitglied des Obersten Kriegsrats, 1948 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, starb 1949 eines natürlichen Todes 14. Tōgō Shigenori: Botschafter in Deutschland, Außenminister, unterschieb die japanische Kriegserklärung an die USA und das Vereinigte Königreich, 1948 zu 20 Jahren Haft verurteilt, starb 1950 eines natürlichen Todes

Erst ein halbes Jahr später, im April 1979, berichtete das Blatt Asahi Shimbun erstmals über die Aufnahme der Straftäter. Vor allem liberal eingestellte BürgerInnen zeigten sich bestürzt und auch Kaiser Hirohito zog privat Konsequenzen. Die Tatsache, dass der Yasukuni-Schrein keine Rücksicht auf individuelle Taten nimmt und Kriegsverbrecher wie die anderen Toten kollektiv als nationale Helden verehrt, sorgt im In- und Ausland weiterhin regelmäßig für Empörung.27

Um die ehrfurchtsvolle Grundeinstellung gegenüber dem Schrein zu erklären, muss an dieser Stelle kurz auf die Besonderheiten des japanischen Totenkults eingegangen werden. Dieser zeichnet sich durch den Glauben an die Präsenz der Geister der Verstorbenen aus, welche ihre Nachfahren im Diesseits leiten und beschützen sollen. In Verbindung mit der Tugend des Pflichtbewusstseins besteht also prinzipiell das Bedürfnis, die Vergangenheit der Vorfahren nicht kritisch zu hinterfragen. Im Gegenteil, die Seelen der Verstorbenen finden keine Ruhe, wenn man ihren Tod als sinnlos bezeichnet, was dementsprechend vermieden wird.28 Im Falle des Priesters und früheren kaiserlichen Marinekommandanten Matsudaira Nagayoshi, der für die geheime Aufnahme der 14 Kriegsverbrecher in den Schrein verantwortlich war, fällt zusätzlich auf, dass

27 Vgl. Mong Cheung, Political Survival and Yasukuni in Japan’s Relations with China (Abingdon-on-Thames/New York 2017) 31-32. 28 Vgl. Buchholz, Krieg und Kriegsverbrechen, 306; Yasukuni Jinja, Worshipping (25.03.2019). 23

dieser offen die Legitimität der Tokioter Prozesse ablehnte. Unter dem gleichen Gesichtspunkt wurde 2005 am Schrein ein Gedenkstein für Radhabinod Pal errichtet, den einzigen Richter des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten, der sich für den Freispruch aller Angeklagten einsetzte. Pal bezweifelte die Unbefangenheit der Richter und befürchtete, dass die Verfahren der Siegerjustiz dienen würden. Er unterstellte den USA, den Krieg mit Japan provoziert zu haben und sah im Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki ebenfalls eine Verübung von Kriegsverbrechen. Pals Sicht auf die Verfahren wurden repräsentativ für all jene, welche die Rechtmäßigkeit der Prozesse und deren Urteile anzweifeln. Die Verehrung der Ahnen ohne Rücksicht auf ihre Taten, die Ablehnung der Urteile aus den Kriegsverbrecherprozessen sowie der von der US-amerikanischen Besatzungsmacht hervorgebrachten Verfassung gehen dabei Hand in Hand. Es ist daher nicht verwunderlich, dass gerade der Yasukuni-Schrein repräsentativ für die Defizite in der Kriegsaufarbeitung wurde, die Japan insbesondere von den Nachbarländern unterstellt werden.29

In den 1980ern und 1990er Jahren kam es schließlich vermehrt zu Klagen japanischer BürgerInnen, die den noch immer vorhandenen Aspekten des Staatsshintō kritisch gegenüberstanden und sich für die strikte Trennung von Staat und Religion aussprachen. Sie wandten sich gegen die Regionalverwaltungen, die dem Yasukuni-Schrein jedes Jahr im Rahmen der Festlichkeiten symbolische Kleingaben (geschmückte Zweige, genannt tamagushi) aus Steuermitteln zukommen lassen. Von vielen Richtern wurde jedoch zugunsten des Staates entschieden; sie sahen die Gesten als soziale Höflichkeitsbezeugungen und nicht als Ausdruck religiöser Ansichten.30

29 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 336-337; Julian Ryall, Yasukuni Shrine. Kamikaze Pilot Statue and Zero Fighter Plane among Exhibits. In: The Telegraph Online, 15.08.2014. URL: https://www.telegraph.co.uk/news/worldnews/asia/japan/11031860/ Yasukuni-Shrine-Kamikaze-pilot-statue-and-Zero-fighter-plane-among-exhibits.html (25.03.2019). 30 Vgl. Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 251. 24

3.3. Politische Besuche und Reaktionen

Zunächst muss angemerkt werden, dass es in Japan an einer einheitlichen nationalen Gedenkfeier für die Kriegstoten fehlt. Stattdessen gibt es zwei miteinander konkurrierende Veranstaltungen, beide am 15. August, dem Tag der Kapitulation Japans. Die Regierung zollt allen japanischen Kriegsgefallenen (nicht nur jenen des Zweiten Weltkriegs) mit einer Zeremonie im Nippon Budōkan-Stadion in Tokio Tribut, bei welcher der Kaiser, der Premierminister und weitere Abgeordnete anwesend sind. Am gleichen Tag hält auch der Yasukuni- Schrein eine Zeremonie ab, um ebenso die Gefallenen der verschiedenen Kriege Japans zu ehren. Auf den Hintergrund des Zweiten Weltkriegs inklusive der Kriegsverantwortlichkeit geht keine der beiden Veranstaltungen ein.31

Im Bewusstsein um die problematische Rolle des Yasukuni-Schreins wurden dessen Zeremonien jahrzehntelang zumindest offiziell nicht von japanischen Regierungsoberhäuptern besucht. Inoffizielle Besuche etablierten sich bereits ab 1951 durch den Premierminister Yoshida Shigeru32 und im Jahr darauf besuchte auch Kaiser Hirohito erstmals wieder den Schrein, ohne allerdings Bezug auf den Zweiten Weltkrieg zu nehmen. In den Folgejahren fanden weitere inoffizielle Visitationen statt, wobei sich Mitte der 1970er Jahre die rechtsorientierten Teile der LDP, der Yasukuni-Schrein selbst und der Verein der Kriegshinterbliebenen erneut mit lautstarken Forderungen bemerkbar machten. In der Zwischenzeit hatten sie ihre Strategie geändert und verlangten nun nicht mehr die Wiedereinsetzung des Schreins als staatliche Institution, sondern ersuchten um offizielle Visitationen des Schreins durch den tennō und die RegierungsvertreterInnen. Zu diesem Zweck wurde die unter Führung des Vereins für Kriegshinterbliebene stehende Eirei ni Kotaeru Kai („Gesellschaft, die den Seelen der gefallenen Soldaten antwortet“) gegründet, deren erster Vorsitzender Ishida Kazuto, zuvor Oberrichter am Obersten Gerichtshof, wurde. Indessen wurden die inoffiziellen Besuche durch RegierungsvertreterInnen auch nach der Aufnahme der 14 Kriegsverbrecher in den Schrein fortgeführt, unter

31 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 348. 32 Mong Cheung zählt hier bereits Premierminister des Jahres 1945 hinzu, wobei in dieser Zeit noch nicht von einer etablierten Nachkriegsordnung ausgegangen werden kann (Vgl. Cheung, Political Survival and Yasukuni, 33). 25

anderem durch Miki Takeo, der 1975 als erster Premierminister einen Yasukuni- Besuch am 15. August ansetzte. Dies führte zu scharfen parlamentarischen Debatten über die Verfassungsmäßigkeit der staatlichen Involvierung in die religiösen Angelegenheiten des Schreins, die laut Artikel 20 der japanischen Verfassung33 untersagt ist. Miki selbst betonte, dass es sich bei seiner Visitation um einen Privatbesuch gehandelt habe. Seine Regierung setzte außerdem vier Richtlinien, mit denen inoffizielle von offiziellen Besuchen abgegrenzt werden sollten. Diese lauteten:

1. Es darf kein Regierungsfahrzeug benutzt werden, um zum Schrein zu gelangen. 2. Die tamagushi dürfen nicht aus Steuergeldern bezahlt werden. 3. Der Premierminister darf sich nicht mit seinem offiziellen Titel im Schrein anmelden. 4. Der Premierminister darf den Schrein nicht zusammen mit anderen RegierungsvertreterInnen besuchen.

Wurden diese Regeln eingehalten, so sollte es sich um einen inoffiziellen Besuch handeln. Schon drei Jahre später allerdings wurden diese Vorgaben durch Mikis Nachfolger Fukuda Takeo missachtet. Obwohl er seine sonstigen Yasukuni- Visitationen im April oder Oktober durchführte, besuchte er 1978 den Schrein am Tag der Kapitulation. Er kam im Regierungsfahrzeug an, schrieb sich mit seinem Titel als Premierminister in der Visitationsliste ein und wurde obendrein von seinem leitenden Kabinettssekretär und zwei weiteren Regierungsmitgliedern begleitet. Da er die tamagushi aber aus eigener Tasche bezahlte, wurde sein Besuch letztendlich doch als Privatangelegenheit eingestuft. Noch im selben Jahr änderte die Regierung oben gelistete Kriterien für die Yasukuni-Besuche und betonte, dass es jedem Premierminister im Rahmen der Glaubensfreiheit freistehe, den Schrein zu besuchen. Solange nur die tamagushi aus eigener Tasche bezahlt werden, seien die Besuche als privat anzusehen.34

33 „The State and its organs shall refrain from religious education or any other religious activity.“ Siehe: The Official Website of the Prime Minister of Japan, The Constitution of Japan (03.11.1946). 34 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 151; Cheung, Political Survival and Yasukuni, 33; Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 250-251. 26

Am 15. August 1980 suchte Premierminister Suzuki Zenkō im Beisein seines Kabinetts den Schrein auf. Im folgenden Jahr organisierte sich die sogenannte „Gesellschaft der Parlamentsabgeordneten, die den Yasukuni-Schrein besuchen“ (Minna de Yasukuni Jinja ni Sanpaisuru Kokkaigiin no Kai), was Suzuki bestärkte, den Schrein am Tag der Kapitulation erneut zu besuchen. Im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger, die ihre Besuche als Privatangelegenheiten deklarierten, vermied Suzuki es, bekanntzugeben, ob es sich um offizielle oder inoffizielle Visitationen handelte. Das Datum der Besuche sowie die Präsenz seiner Kabinettsmitglieder erweckten jedoch ersteren Eindruck, was ihm Kritik von Seiten der Opposition sowie der japanischen Medien einbrachte, die ihm die „Wiederherstellung des kaiserlichen Regimes“ vorwarfen. Auch in China begannen Medien wie die Renmin Ribao nun langsam Notiz von den Visitationen des Schreins zu nehmen. Unter der Suzuki-Administration wurde zudem erneut die Verfassungsmäßigkeit der Yasukuni-Besuche durch PolitikerInnen diskutiert, mit dem Schluss, dass diese nicht mit der in der Verfassung vorgesehenen Trennung von Staat und Religion zu vereinbaren seien. Suzuki setzte seine Yasukuni-Visitationen trotzdem fort und besuchte den Schrein erneut am 15. August des Jahres 1982.35

1983 hatte sich die politische Situation soweit geändert, als dass bereits 37 der 47 Präfekturparlamente Japans Unterstützungserklärungen für die offiziellen Besuche des Yasukuni-Schreins durch den Premierminister abgegeben hatten. Am 15. August 1985, dem 40. Jahrestag der Kapitulation Japans, erfolgte schließlich durch den LDP-Politiker Nakasone Yasuhiro der erste offizielle Besuch des Yasukuni-Schreins durch ein Regierungsoberhaupt seit dem Krieg. Nakasone betonte die offizielle Natur seines Besuchs, was ihm scharfe Kritik von Seiten linksgesinnter PolitikerInnen sowie der Tageszeitungen Asahi Shimbun und Mainichi Shimbun einbrachte. Er plädierte für einen verstärkten Patriotismus im Land und setzte sich außerdem für die Aufstockung des Verteidigungsbudgets ein, das nun erstmals wieder 1% des Bruttonationaleinkommens überschritt.

35 Vgl. Cheung, Political Survival and Yasukuni, 33, 36-37; Kimura, Discovery of Disputes. Collective Memories on Textbooks and Japanese-South Korean Relations. In: The Journal of Korean Studies 17 (2012) 97-124, hier: 117; Yomiuri Shimbun, Asahi Shimbun, Yasukuni Shrine, Nationalism and Japan’s International Relations. In: The Asia-Pacific Journal, Japan Focus 3, Iss. 6 (2005). URL: https://apjjf.org/-Yomiuri-Shimbun/1918/article.html (08.04.2019) 2. 27

Waren vor 1985 die inoffiziellen Besuche des Yasukuni-Schreins durch japanische Premierminister im Ausland noch kaum Anlass zu Protest, so änderte sich dies nun grundlegend. China und Südkorea befürchteten unter Nakasone ein erneutes Erstarken des japanischen Militarismus. In beiden Ländern kam es deshalb zu umfassenden Protesten, was wiederum die betreffenden Regierungen veranlasste, Japan offizielle Beschwerden zukommen zu lassen.36 Nach dem Einspruch Hu Yaobangs, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, zu dem Nakasone bis dahin gute persönliche Kontakte gepflegt hatte, setzte der japanische Premierminister alle weiteren Besuche des Schreins aus. Dies stieß wiederrum beim rechten LDP-Flügel und dem Verein der Kriegshinterbliebenen auf Ablehnung. Als diese ihn im Folgejahr unter Druck setzten und von ihm verlangten, Yasukuni erneut zu besuchen, rechtfertigte sich Nakasone mit der Behauptung, die ehrenhaften Geister der Gefallenen würden nicht wollen, dass er etwas täte, was dem nationalen Interesse schaden könne. In seiner neuen zurückhaltenden Position wurde Nakasone von seinem einflussreichen Kabinettssekretär Gotōda Masaharu und anderen PragmatikerInnen der LDP unterstützt.37

In der japanischen Bevölkerung wurde Nakasones offizieller Yasukuni-Besuch dagegen durchwegs positiv aufgenommen. Laut einer nationalen Umfrage der auflagenstarken Tageszeitung Yomiuri Shimbun im September 1985 stimmten 52% der Befragten dem offiziellen Besuch des Schreins zu; nur 25% waren explizit dagegen. Von letzteren Stimmen gaben wiederum 29% (und damit 7,25% aller Befragten) an, sich um die diplomatischen Beziehungen zu den Nachbarländern zu sorgen, während 13% (3,25% aller Befragten) meinten, die Visitationen seien deshalb abzulehnen, da der Yasukuni-Schrein die Kriegsverbrecher der Klasse A verehre. Eine weitere Umfrage der Zeitung Asahi Shimbun im Folgemonat kam zu einem ähnlichen Schluss. 50% der hier

36 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 169-170, 208; Cheung, Political Survival and Yasukuni, 36; Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 251. 37 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 170; Kazuhiko Togo, Development of Japan’s Historical Memory. The San Francisco Peace Treaty and the in Future Perspective. In: Asian Perspective 35 (2011) 337-360, hier: 349. 28

Befragten unterstützten den offiziellen Besuch des Premierministers, während 23% ihn für problematisch hielten.38

Nakasones offizieller Yasukuni-Besuch am 15. August 1985 sollte für acht Jahre die letzte Visitation des Schreins durch einen japanischen Premierminister sein. Erst Premierminister Miyazawa Kiichi suchte 1993 den Schrein wieder auf, tat dies jedoch im Geheimen. Damit wollte er wohl ein Versprechen einlösen, dass er vor seiner Wahl zum LDP-Vorsitzenden im Jahr 1991 gegeben hatte, um sich die Unterstützung des Vereins der Kriegshinterbliebenen zu sichern. Mit dem LDP-Politiker Hashimoto Ryūtarō, der zuvor Präsident des Vereins der Kriegshinterbliebenen gewesen war, wurde der Schrein im Juli 1996 dagegen wieder offen besucht. Dies verstärkte die zu dieser Zeit in der chinesischen Regierung ohnehin schon bestehende ablehnende Haltung gegenüber Japan noch zusätzlich. Denn Mitte der 1990er Jahre gab es bereits Konflikte zwischen den zwei Ländern, unter anderem wegen der beidseitig beanspruchten Senkaku/Diaoyutai-Inselterritorien, der rapiden militärischen Aufrüstung Chinas und der verbesserten militärischen Kooperation zwischen Japan und den USA, die China als kommunistische Macht gegen sich gerichtet fühlte.39

2001 gab der Politiker Koizumi Jun’ichirō das Versprechen, jedes Jahr am 15. August den Yasukuni-Schrein zu besuchen, wenn er zum Vorsitzenden der LDP gewählt werde. Er erreichte dieses Ziel und wurde Premierminister gerade wegen der starken Unterstützung der Yasukuni-Anhänger, insbesondere des Vereins der Kriegshinterbliebenen, an die er sich bewusst gewandt hatte, da ihm in der eigenen Partei die Machtbasis fehlte. Er besuchte den Yasukuni-Schrein allerdings zu einem anderen Zeitpunkt, nämlich am 13. August des Jahres, und vermied es zu sagen, ob sein Besuch offizieller oder privater Natur war. Das konnten wiederum die Neo-NationalistInnen nicht gutheißen. So behauptete der damalige Gouverneur der Präfektur Tokio, Ishihara Shintarō, Koizumi scheine

38 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 169; Kazuya Fukuoka, Memory and Others. Japan’s Mnemonic Turn in the 1990s. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on-Thames/New York 2019) 63-78, hier: 67. 39 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 210; Cheung, Political Survival and Yasukuni, 36; The Japan Times Online, Prime Ministers’ Yasukuni Visits. 16.08.2006. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2006/08/16/national/politics-diplomacy/prime-ministers- yasukuni-visits/ (25.03.2019). 29

„unter dem Druck Chinas und Südkoreas zusammengebrochen zu sein“40. Tatsächlich hatte Koizumi durch seinen verfrühten Besuch des Schreins versucht, den diplomatischen Schaden, den er bereits durch die Proteste führender chinesischer, koreanischer und auch japanischer PolitikerInnen hatte kommen sehen, in Grenzen zu halten. Auch betonte er, dass er Yasukuni nicht aufgesucht habe, um die japanische Kriegsschuld oder die Kriegsverbrechen zu leugnen, sondern einzig um die Gefallenen zu betrauern. Trotzdem stieß Koizumis Verhalten bei den Nachbarländern auf Ablehnung. In Südkorea wurde ein Importstopp auf japanische Kulturgüter verhängt, jegliche militärische Besprechungen mit Japan ausgesetzt und der südkoreanische Botschafter vorübergehend nach Seoul zurückbeordert. In Peking hingegen ließ die chinesische Führung alle direkten Treffen mit Koizumi aussetzen und beschränkte sich stattdessen auf Informationen aus anderen Treffen sowie multilateralen Besprechungen.41

Zwischen 2001 und 2006 besuchte Koizumi den Yasukuni-Schrein jährlich. Für ihn waren die Visitationen eine einfache Möglichkeit, sich die kontinuierliche Unterstützung des Vereins der Kriegshinterbliebenen und anderer konservativer sowie revisionistischer Gruppen zu sichern. Auch wenn seine Besuche zunächst nicht am Tag der Kapitulation stattfanden, so sahen sich ebenjene Gruppierungen doch in ihren Anliegen bestärkt. Sie vertraten die Ansicht, dass es sich bei den Yasukuni-Visitationen um eine innerstaatliche Angelegenheit handle, während Kritik durch andere Länder als Einmischung empfunden wurde. Vom Premierminister verlangten sie, Patriotismus zu zeigen und den negativen Stimmen nicht nachzugeben. Im Gegenzug konnte Koizumi während seiner Amtszeit die Anzahl der LDP-Sitze im Parlament vergrößern. Er selbst betonte inzwischen, dass seine Besuche des Schreins nur privater und nicht politischer Natur seien. Auch das Element der persönlichen Freiheit und den Traditionsaspekt der Visitationen ließ er hervorheben. Dies wurde in der japanischen Presse auch überwiegend so veröffentlicht. Nur wenige Artikel befassten sich hingegen mit dem politischen Hintergrund von Koizumis

40 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 349. 41 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 226, 214-215. 30

Visitationen und dem Druck, den seit Beginn seiner Kampagne insbesondere neo-nationalistische Gruppen auf ihn ausübten.42

Trotz seiner regelmäßigen Yasukuni-Besuche bemühte sich Koizumi im Gleichzug um eine Entschuldigungspolitik bei den Nachbarländern. Im Oktober 2001, als sich die außenpolitischen Wogen wieder zu glätten begannen, legte er einen Kranz an der Marco-Polo-Brücke, an der 1937 der Zweite Japanisch- Chinesische Krieg eröffnet wurde, nieder. Ebenso unterstützte er die Gründung gemeinsamer historischer Recherchegruppen mit China und Südkorea. Um 2003 begannen sich in beiden Ländern mit Roh Moo-hyun sowie Hu Jintao und Wen Jiabao allerdings neue politische Führungen zu etablieren, die gegenüber der japanischen Position zur Kriegsvergangenheit weniger Toleranz zeigten. Die Beziehungen Japans zu den Nachbarländern begannen sich daher in den Folgejahren zu verschlechtern. In der Volksrepublik China kam es bereits 2003 zu mehreren anti-japanischen Ausschreitungen und 2005 begann die Situation schließlich vollends zu eskalieren. Im April des Jahres erreichte eine Internetkampagne gegen die japanischen Bemühungen, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu erwirken, über 30 Millionen Unterschriften. Gleichzeitig gab es landesweite Ausschreitungen, bei denen japanische Geschäfte und Einrichtungen wie Konsulate mit Steinen und Abfall beworfen wurden. Mehrere JapanerInnen wurden dabei verletzt. Auf japanischer Seite wurde der Tonfall daraufhin schärfer und auch liberale Gruppierungen und Medien wie die Zeitung Asahi Shimbun übten verstärkt Kritik an der chinesischen Regierung, welche die Proteste nicht unterband. Schließlich musste die chinesische Führung doch einschreiten, da sie die diplomatischen Interessen des Landes gefährdet sah. Nach Restriktionen bei Mobilfunkanbietern und Internetprovidern, durch welche sich die Proteste organisierten, und einer Medienkampagne, die zu sozialer Stabilität aufrief, endeten die Ausschreitungen rasch. Auch die japanische Politik bemühte sich, die Lage zu beruhigen.43 So beteuerte Koizumi in einer öffentlichen Ansprache im Rahmen der Bandung-Konferenz 2005: „In the past, Japan, through its colonial rule and aggression, caused tremendous damage and

42 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 226; Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 338, 340. 43 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 215-217. 31

suffering to the people of many countries, particularly to those of Asian nations. Sincerely facing these facts of history, I once again express my feelings of deep remorse and heartfelt apology, and also express the feelings of mourning for all victims, both at home and abroad, in the war. I am determined not to allow the lessons of that horrible war to erode, and to contribute to the peace and prosperity of the world without ever again waging a war.“44 Damit wiederholte er wesentliche Teile der am 15. August 1995 ergangenen Entschuldigung des damaligen Premierministers und Sozialdemokraten Murayama Tomiichi, die noch heute als Meilenstein der Diplomatie gewertet wird.45

Doch es waren nicht nur PolitikerInnen, die sich zu dieser Zeit um die negativen Auswirkungen des japanischen Umgangs mit der Kriegsvergangenheit sorgten. Auch die japanische Öffentlichkeit schien ihre Meinung zu ändern. Während im März 2005 in einer Asahi Shimbun-Umfrage noch 54% den Yasukuni-Besuchen des Premierministers zustimmten (und 28% diese ablehnten), waren bei der Folgeumfrage im Krisenmonat April nur mehr 36% der Befragten dafür (und bereits 46% dagegen). Die Wichtigkeit der Ausübung des Totenkults war also hinter die internationalen Interessen Japans getreten.46

Obwohl die Ausschreitungen mit April 2005 endeten, blieben die chinesisch- japanischen Beziehungen bis zum Ende von Koizumis Amtszeit angespannt. Als Vizepremier Wu Yi Japan im Mai des Jahres einen Besuch abstattete, brach sie diesen vorzeitig ab, da konservative LDP-PolitikerInnen noch immer darauf bestanden, dass die Yasukuni-Besuche eine innerstaatliche Angelegenheit Japans seien. Während des Ostasiengipfels im Dezember 2005 stellte sich China dann auf die Seite Südkoreas, als es erneut Kritik am Umgang Japans mit der Kriegsvergangenheit übte. Die diplomatischen Beziehungen wurden zusätzlich noch durch Konflikte um den Inhalt japanischer Schulbücher sowie um die beidseitig beanspruchten Inselterritorien strapaziert. An dieser Stelle begann sich sogar die japanische UnternehmerInnenschaft einzuschalten, da sie sich um die

44 Siehe: Anna Fifield, A (Very) Short ’s War Apologies. In: The Washington Post Online, 13.08.2015. URL: https://www.washingtonpost.com/news/worldviews/wp/2015/08/ 12/a-very-short-history-of-japans-war-apologies/ (25.03.2019). 45 Ebd. 46 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 218. 32

ökonomischen Interessen des Landes sorgte. Sie forderte öffentlich von der LDP, die Besuche des Yasukuni-Schreins durch den Premierminister einzustellen.47

2006 erreichte Koizumi schließlich das Ende seiner Amtszeit als Vorsitzender der LDP. Seinen letzten Yasukuni-Besuch als Premierminister setzte er am 15. August an und erfüllte somit zumindest teilweise sein Versprechen, das er während seiner Kampagne gegeben hatte. Im Laufe seiner Amtszeit hatten ihn allerdings hunderte japanische BürgerInnen genau deswegen geklagt, da sie ihm vorwarfen, mit seinen Visitationen gegen die im Artikel 20 der Verfassung festgelegte Trennung von Staat und Religion zu verstoßen. Eine einheitliche rechtliche Auslegung der betreffenden Verfassungsbestimmung kam jedoch nicht zustande.48

Bei Koizumis Nachfolger, Abe Shinzō, handelt es sich um den Enkel Kishi Nobusukes, den als Kriegsverbrecher der Kategorie A angeklagten späteren Premierminister, der seinerzeit für seine Ausbeutungspolitik in der japanisch besetzten Mandschurei bekannt war. Abe besuchte den Yasukuni-Schrein mehrmals, noch bevor er 2006 das erste Mal zum Premierminister gewählt wurde, und stimmte den Visitationen seiner Vorgänger zu. Auch zum Verein der Kriegshinterbliebenen und anderen konservativen Gruppen hatte er bereits gute Kontakte. Trotzdem erklärte er während seiner Kandidatur, er wolle dem Schrein keine offiziellen Besuche abstatten, um die Beziehungen Japans zu den Nachbarländern nicht zu belasten. Als Zeichen seines guten Willens galt sein erster Auslandsbesuch auch nicht Washington, sondern Peking. Seit Koizumis dortigem Aufenthalt im Jahr 2001 war kein japanischer Premierminister in die chinesische Hauptstadt eingeladen worden. Die Geschichtsproblematik versuchte Abe während seiner ersten Amtszeit so gut wie möglich zu meiden, obwohl sie noch im selben Jahr zum Thema wurde, als er angab, die kaiserliche

47 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 218-220. 48 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 349; Reiji Yoshida, ‘Stubborn Maverick’ Makes Good on Promise. In: The Japan Times Online, 16.08.2006. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2006/08/16/national/politics-diplomacy/stubborn-maverick- makes-good-on-promise/ (08.04.2019). 33

Regierung Japans sei nicht in die Zwangsrekrutierung der Trostfrauen involviert gewesen.49

Seit seiner zweiten Amtszeit Ende 2012 ist Abe (wie ein Großteil seines Kabinetts) Mitglied der Nippon Kaigi („Japan-Konferenz“), einer politisch einflussreichen und gut vernetzten rechtskonservativen Organisation mit etwa 38.000 Mitgliedern. Einen erheblichen Teil seiner ideologischen Basis bezog der Verband dabei vom Zentralbüro der Schreine, weshalb seine Ziele ebenfalls als neo-imperialistisch, nationalistisch sowie revisionistisch beschrieben werden können. Unter anderem fordert die Japan-Konferenz eine Änderung der Nachkriegsverfassung, um den tennō erneut als Staatsoberhaupt einzusetzen und Japan mittels eines offiziellen Heeres Raum zur militärischen Selbstverteidigung zu geben. Gleichsam setzt sie sich für die Wiedereinführung des Staatsshintō, verbunden mit der Wiedereinsetzung des Yasukuni-Schreins als staatliche Organisation, ein. In ihren Publikationen ruft die Japan-Konferenz zu vermehrtem Nationalstolz auf und kritisiert das „masochistische“ Geschichtsbild, das dem Land im Rahmen der illegitimen US-Siegerjustiz aufgezwungen worden sei. Die Urteile der Tokioter Prozesse erkennt sie nicht an, denn Japan sei eine Befreiernation, die sich für die vom westlichen Kolonialismus versklavten Länder Asiens eingesetzt habe. Kriegsverbrechen wie das Nanking-Massaker werden indes als Fabrikation bezeichnet. Der Einfluss der Japan-Konferenz ist in Abes Politik zu erkennen. So konnte dieser 2006 und 2014 Änderungen im Bildungsbereich durchsetzen, die nationalistisch-patriotische Werte in der Erziehung fördern und die Verbreitung konservativ-revisionistischer Geschichtsbücher begünstigen. Ebenso macht er sich für eine Verfassungsänderung50 stark, mit der die japanischen Selbstverteidigungskräfte den Status einer offiziellen nationalen Armee erhalten sollen.51

49 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 221-222; Zheng Wang, Old Wounds, New Narratives. Joint History Textbook Writing and Peacebuilding in East Asia. In: History and Memory 21 (2009) 101-126, hier: 118-119. 50 Ziel ist Artikel 9 der Nachkriegsverfassung, welcher besagt: „In order to accomplish [international peace], land, sea, and air forces, as well as other war potential, will never be maintained.“ Siehe: The Official Website of the Prime Minister of Japan, The Constitution of Japan (03.11.1946). 51 Vgl. Mizohata, Nippon Kaigi (2016); Yoshifumi Tawara, Tomomi Yamaguchi, What Is the Aim of Nippon Kaigi, the Ultra-Right Organization That Supports Japan’s Abe Administration? In: 34

Im Dezember 2013 stattete Abe dem Yasukuni-Schrein schließlich seinen ersten Besuch als Premierminister ab. Es war die erste Visitation seit dem Jahr 2006 und auch hier hagelte es Kritik aus dem Ausland, insbesondere der Volksrepublik China und Südkorea. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Qin Gang, äußerte sich auf der Webseite des Ministeriums mit den Worten, der Besuch Abes repräsentiere das Bestreben, die japanische Kriegsvergangenheit der Invasion und Kolonialherrschaft zu glorifizieren und den Ausgang des Zweiten Weltkriegs in Frage zu stellen. Auf den japanischen Vorschlag eines Gipfeltreffens zwischen den beiden Premierministern reagierte das chinesische Außenministerium mit der öffentlichen Stellungnahme, Abe sei in Peking nicht willkommen.52 Doch auch die USA, einer von Japans wichtigsten Verbündeten, übten diesmal Kritik in einem Schreiben, das auf der Webseite der US-Botschaft in Tokio veröffentlicht wurde. „Japan is a valued ally and friend“, ließ der Botschafter ausrichten. „Nevertheless, the is disappointed that Japan’s leadership has taken an action that will exacerbate tensions with Japan’s neighbors.“53

Seitdem sendet Abe jedes Jahr nur selbstbezahlte Opfergaben – und das nicht in seiner Funktion als Premierminister, sondern als Vorsitzender der LDP. Ebenso lässt er sich durch einen Berater vertreten, welcher den Schrein für ihn betritt. Trotzdem werden diese Gesten ebenso wie die Besuche des Tempels durch andere ParlamentarierInnen in der Volksrepublik China und Südkorea mit Misstrauen betrachtet.54

The Asia-Pacific Journal, Japan Focus 15, Iss. 21 (2017). URL: https://apjjf.org/2017/21/ Tawara.html (25.03.2019). 52 Vgl. Reiji Yoshida, Mizuho Aoki, Abe Visits Yasukuni, Angering Beijing and Seoul. Trip Expected to Fire Up Hard-Liners, Bring About ‘Huge Repercussions’. In: The Japan Times Online, 26.12.2013. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2013/12/26/national/abes- surprise-visit-to-yasukuni-sparks-criticism (08.04.2019); Xiaoming Zhang, Historical Memory Issues in China’s Relation with Its Neighbors. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on-Thames/New York 2019) 416-429, hier: 418. 53 Siehe: U.S. Embassy and Consulates in Japan, Statement on Prime Minister Abe’s December 26 Visit to Yasukuni Shrine. 26.12.2013. URL: https://jp.usembassy.gov/statement- prime-minister-abes-december-26-visit-yasukuni-shrine/ (25.03.2019). 54 Vgl. Nikkei Asian Review Online, Japan PM Abe Refrains from Visiting Yasukuni Shrine on WWII Anniversary. 15.08.2018. URL: https://asia.nikkei.com/Politics/International-Relations/ Japan-PM-Abe-refrains-from-visiting-Yasukuni-Shrine-on-WWII-anniversary (25.03.2019). 35

Was die kaiserlichen Visitationen des Yasukuni-Schreins betrifft, so besuchte Hirohito den Schrein acht Mal seit dem Kriegsende, stellte seine Besuche allerdings 1975 ein. Über die Beweggründe des Kaisers herrschte lange Unklarheit. Eine revisionistische Version, basierend auf den Aufzeichnungen eines Mitglieds seines Hofstaats, behauptet, er habe von der Aufnahme der Kriegsverbrecher in den Schrein gewusst und dieser zugestimmt, da er mit dem Urteil der Tokioter Kriegsverbrecherprozesse nicht einverstanden gewesen sei. Dies konnte jedoch trotzdem keine Erklärung für das Fernbleiben des Kaisers liefern. Ein anderer, 2006 veröffentlichter Bericht aus dem Tagebuch eines dem Kaiser nahestehenden Hofbeamten meint dagegen, Hirohito habe der Verehrung der Kriegsverbrecher nicht zugestimmt, weshalb er Yasukuni nicht mehr aufsuchen wollte. Nachdem das Blatt Nikkei letztere Version im Juli des Jahres, kurz vor Koizumis geplantem Yasukuni-Besuch am Tag der Kapitulation, veröffentlichte, erfuhr es scharfen Protest von Seiten der revisionistischen und neo-nationalistischen Gruppierungen. In der Folge wurde sogar ein Brandbombenanschlag auf den Sitz der Zeitung in Tokio verübt. Als der Nikkei- Bericht aber von weiteren Zeitungen und HistorikerInnen aufgegriffen und bestätigt wurde, änderte sich die Situation. Der Verein der Kriegshinterbliebenen begann plötzlich moderate Töne anzuschlagen und auch der Vorschlag, den Yasukuni-Schrein durch die Versetzung der Seelen der 14 Kriegsverbrecher politisch zu „entschärfen“, erfuhr nun vermehrte Unterstützung. An der Einstellung der Premierminister Koizumi und Abe änderte die Veröffentlichung hingegen nichts.55

Wie sein Vater so weigert sich auch , tennō ab 1989, dem Yasukuni- Schrein seine Aufwartung zu machen. Stattdessen entsendet er jedes Jahr ein rangniedriges Mitglied der kaiserlichen Familie zu den offiziellen Zeremonien im Tempel. Dass der Yasukuni-Schrein darüber nicht erfreut ist, zeigte sich spätestens im Oktober 2018. Hier wurden Kommentare des obersten Priesters Kohori Kunio publik, in denen er die Einstellung des Kaisers mit dem Vorwurf kritisierte, durch sein ständiges Fernbleiben den Schrein aktiv „vernichten“ zu

55 Berger, War, Guilt, and World Politics, 221; The Japan Times Online, Hirohito Visits to Yasukuni Stopped Over War Criminals. 21.07.2006. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/ 2006/07/21/national/hirohito-visits-to-yasukuni-stopped-over-war-criminals/ (25.03.2019); Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 337, 349. 36

wollen. Dass der Kaiser stattdessen zu Kriegsschauplätzen im In- und Ausland gereist war, um den Gefallenen dort Tribut zu zollen, kränkte Kohori. Auch über Naruhito äußerte er sein Missfallen, da dessen Frau und künftige Kaiserin Masako Shintō-Schreine „verabscheue“ und daher Yasukuni wohl ebenfalls nicht besuchen werde. Nach diesem Skandal musste der Priester umgehend zurücktreten.56

Bei eingehender Betrachtung klingen Kohoris Überlegungen hinsichtlich des Kronprinzen durchaus wahrscheinlich. Denn bei Naruhito handelt es sich um den ersten japanischen Thronerben, der im Ausland studierte. Mit Owada Masako heiratete er zudem eine vielgereiste Harvard-Abgängerin, die ebenfalls die Universität von Oxford besuchte. Während sich Naruhito wie der Rest der kaiserlichen Familie aus Traditionsgründen57 mit politischen Kommentaren zurückhalten muss, erregte er 2015 im Rahmen einer Pressekonferenz internationales Aufsehen, als er folgendes zu den revisionistisch- nationalistischen Tendenzen in der japanischen Politik bemerkte: „I myself did not experience the war, but it is important to look back on the past humbly and to correctly pass down tragic experiences and the history behind Japan to generations that have no direct knowledge of the war, at a time when memories of the war are about to fade.“58 Ebenso verwies er auf den Wert der Verfassung, die Japan „Frieden und Wohlstand“ gebracht habe und betonte, dass Frieden auch weiterhin das höchste Gut bleiben müsse. Von vielen wurden diese Worte als Kritik an der Politik Abes aufgefasst. Obwohl politisch machtlos darf die Vorbildwirkung der kaiserlichen Familie auch im heutigen Japan letztendlich nicht unterschätzt werden.59

56 Vgl. The Asahi Shimbun Online, Yasukuni Chief Priest Resigns over Criticism of Emperor Akihito. 11.10.2018. URL: http://www.asahi.com/ajw/articles/AJ201810110053.html (25.03.2019). 57 Dabei handelt es sich um eine Erweiterung von Artikel 4 der Verfassung: „The Emperor shall perform only such acts in matters of state as are provided for in this Constitution and he shall not have powers related to government.“ Wenn sich bereits der Kaiser aus dem politischen Geschehen heraushalten muss, so muss das umso mehr für seine rangniederen Familienmitglieder gelten. Siehe: The Official Website of the Prime Minister, The Constitution of Japan (03.11.1946). 58 Siehe: Julian Ryall, Heir to Japanese Throne Appeals for “Correct” Second World War History. In: The Telegraph Online, 23.02.2015. URL: https://www.telegraph.co.uk/news/ worldnews/asia/japan/11429201/Heir-to-Japanese-throne-appeals-for-correct-Second-World- War-history.html (25.03.2019). 59 Ebd. 37

3.4. Alternative Gedenkstätten

Bei einem Gedenkort handelt es sich um einen einvernehmlich akzeptierten Platz, der mit der Vergangenheit in Verbindung gebracht werden kann. „Yasukuni shrine is a mnemonic site that embodies concrete traces of the past in the form of the souls of the war dead. But it is not instrumental to consensual but conflicting memories of the past“60, summieren die MedienwissenschaftlerInnen Killmeier und Chiba die Problematik um den Yasukuni-Schrein. Obwohl das Bedürfnis nach einem zentralen Ort, an dem den Gefallenen Japans respektvoll gedacht werden kann, nachvollziehbar ist, scheint der umstrittene Schrein nicht der ideale Ort dafür zu sein.

Bereits seit Nakasones kontroversen Visitationen gab es daher Bestrebungen, Yasukuni politisch-ideologisch zu „entschärfen“ bzw. einen Alternativplatz für die Abhaltung der Gedenkfeiern zu finden. So erfolgte im November 1985 durch Nakasones leitenden Berater Sejima Ryūzō der erste Vorschlag, die Seelen der 14 Kriegsverbrecher der Kategorie A aus dem Schrein zu nehmen. Zu einem weiteren Vorstoß in diese Richtung kam es 1996 nach Hashimotos Yasukuni- Visitation, diesmal angeregt durch den LDP-Generalsekretär Katō Kōichi. Drei Jahre später schlug schließlich der LDP-Politiker Nonaka Hiromu vor, neben der Entfernung der Seelen der 14 Kriegsverbrecher dem Tempel auch die religiöse Bedeutung zu nehmen. So solle er besser zur Abhaltung nationaler Gedenkzeremonien für die Kriegsgefallenen geeignet sein. Über diesen Vorschlag entbrannten zahlreiche Debatten und vor allem die Vereinigung der Kriegshinterbliebenen sprach sich lautstark dagegen aus. Der Yasukuni-Schrein stellte hingegen stets klar, dass die Seelen der Kriegsverbrecher nicht mehr überführt werden können, sobald sie offiziell im Schrein aufgenommen wurden.61

Drei Jahre später setzte sich dann der Kabinettssekretär Fukuda Yasuo als Leiter einer durch Premierminister Koizumi etablierten Kommission dafür ein, die öffentlichen Zeremonien für die Kriegstoten nicht mehr am Yasukuni-Schrein, sondern an einem anderen, säkularen Ort abzuhalten. Fukudas Idee stieß

60 Siehe: Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 348. 61 Vgl. Cheung, Political Survival and Yasukuni, 32; Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 338; Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 252. 38

allerdings beim Verein der Kriegshinterbliebenen und bei konservativen LDP- PolitikerInnen auf Ablehnung. Im Juni 2002 versammelte sich sogar eine Gruppe von 125 LDP-ParlamentarierInnen unter Anleitung des ehemaligen Generalsekretärs Koga Makoto in Tokio, um eine öffentliche Warnung an Fukuda zu richten. Dieser solle die Gefühle der Kriegshinterbliebenen nicht ignorieren und auch Yasukunis zentrale Rolle als Ort zur Besänftigung der Heldenseelen nicht antasten. Eine andere Stätte für die Verehrung der Toten zu wählen, komme einem Verrat an jenen Soldaten gleich, die sich damals während des Kriegs geschworen hatten, sich „bei Yasukuni wiederzusehen“.62

Was eine konkrete Alternativstätte für die Totenverehrung betrifft, so existiert ein säkularer Ort dieser Art bereits. 1959 wurde der Chidorigafuchi-Nationalfriedhof in Tokio eröffnet, wo sich die sterblichen Überreste aller unidentifizierten japanischen Kriegstoten aus dem Zweiten Weltkrieg befinden. Der Friedhof zeichnet sich weiters durch das Grab des unbekannten Soldaten aus, das allen Kriegsopfern gewidmet ist. Auf zwei steinernen Monumenten sind zudem selbstverfasste Gedichte der Kaiser Hirohito und Akihito zu lesen, welche betont neutral gehalten wurden. „Wann immer wir an jene denken, die ihr Leben ganz der Sache unseres Landes widmeten, schmerzt unser Herz voll tiefer Emotion“, dichtete Hirohito. Sein Sohn und Nachfolger schrieb schlicht: „Im Hinblick auf die Zeit, die ich erlebte, als es noch keinen solch großen Krieg gab, sind meine Gedanken bei jenen Menschen, die diese schrecklichen Umstände durchlebten.“63 Durch den Verzicht auf patriotische Worte im Sinne einer revisionistischen Kriegsdarstellung64 grenzt sich der Nationalfriedhof deutlich vom Yasukuni-Schrein ab. Da Yasukuni allerdings eine Monopolstellung auf dem Gebiet des Totenkults beansprucht, lehnte der Schrein schon die Errichtung des Nationalfriedhofs offen ab.65

Im Jahr 2005 sah es schließlich so aus, als könne hinsichtlich eines Alternativschreins eine Kompromisslösung erreicht werden. Auch Japans

62 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 216; Matthew Penney, Bryce Wakefield, Right Angles. Examining Accounts of Japanese Neo-Nationalism. In: Pacific Affairs 81 (2008/2009) 537-555, hier: 544. 63 Siehe: Ministry of the Environment, Chidorigafuchi National Cemetery. URL: https://www.env.go.jp/garden/chidorigafuchi/english/index.html (25.03.2019). 64 Wie sie etwa auf der Homepage des Yasukuni-Schreins zu lesen sind. 65 Vgl. Yagyū, Der Yasukuni-Schrein, 250. 39

auflagenstärkste Tageszeitungen Yomiuri Shimbun, Asahi Shimbun, Mainichi Shimbun und Nikkei stellten sich in ihrer Berichterstattung geschlossen hinter die Bewegung, die vor allem von moderaten LDP-PolitikerInnen und der Opposition getragen wurde. Ein solcher Schrein sollte die Kriegsverbrecher der Klasse A ausschließen und PolitikerInnen die Gelegenheit geben, den Gefallenen zu gedenken, ohne Spannungen im In- und Ausland zu schüren. Erneut stellten sich aber der Yasukuni-Schrein sowie Neo-NationalistInnen gegen das Vorhaben. Premierminister Koizumi ließ ebenso verlauten, dass er Yasukuni weiterhin besuchen werde. Der Verein der Kriegshinterbliebenen zeigte sich indes gespalten; die Angehörigen der einberufenen Soldaten waren einem alternativen Schrein gegenüber durchaus aufgeschlossen, während die Familien von Karriereoffizieren dies ablehnten.66

Die Versuche, Yasukuni durch die Versetzung der Seelen der Kriegsverbrecher zu einem allgemein anerkannten Gedenkort zu machen, scheinen jedenfalls die ursprüngliche Rolle und Aufgabe des Schreins im militaristischen System des Staatsshintō zu verkennen. Solange Yasukuni seine Funktion im japanischen Totenkult weiterhin ausüben kann, legitimieren sich der Schrein und die mit ihm verbundenen revisionistisch-nationalistischen Gruppierungen selbst. Dazu Killmeier und Chiba: „As long as Yasukuni contains the souls of the war dead, it monopolizes the mnemonic site of commemoration. And the Yasukuni issue holds a national collective memory of the war hostage.“67 Denn was Yasukuni, den Staatsshintō und die Kriegsvergangenheit betrifft, so gibt es keinen innerstaatlichen Konsens in Japan. Eine Seite erkennt die Kriegsaggressionen offen an und fordert Rücksichtnahme gegenüber den Nachbarländern, während die andere die Verantwortung für die Kriegsverbrechen abweist und unbeirrt den Gefallenen im Schrein huldigt. Ein nationales kollektives Gedächtnis kann so auch weiterhin nicht zustande kommen.68

66 Vgl. Killmeier, Chiba, Neo-Nationalism Seeks Strength, 349, 351. 67 Ebd., 348. 68 Ebd., 347. 40

4. Die Schulbuch-Kontroverse

4.1. Geschichtslehrbücher in der Besatzungszeit

Streit über die Inhalte des japanischen Schulunterrichts gab es zwar schon vor und während des Zweiten Weltkriegs, doch unter dem repressiven Staatsapparat des militaristischen Kaiserreiches hatten Gegenbewegungen kaum eine Chance.69

Nach der Besetzung Japans unter dem Supreme Commander for the Allied Powers (SCAP) wurden bereits im September 1945 erste Schritte eingeleitet, welche auf Reformen im Bildungsbereich abzielten. An erster Stelle stand dabei die Säuberung des Schulunterrichts von imperialistisch-militaristischen Elementen, beginnend mit konservativ eingestellten Teilen des Lehrkörpers. Schon vor dem Beginn der Okkupation hatten 115.778 LehrerInnen und BeamtInnen den Dienst quittiert; nachdem die alliierten Behörden die über 700.000 Verbliebenen überprüften, wurden bis April 1949 6.000 weitere im Bildungsbereich Tätige gekündigt. Insgesamt verließen in diesen Jahren 22% der LehrerInnen und BeamtInnen aus der Vorkriegszeit ihre Posten. Viele der Verbliebenen waren politisch links eingestellt bzw. schwenkten nun um. Sie schlossen sich später zur linksgerichteten Lehrergewerkschaft Nikkyōso zusammen. Die Säuberung der Administration und des Lehrkörpers wurde von den Alliierten nicht direkt gehandhabt, sondern großteils den JapanerInnen selbst überlassen. Generell stützten sich die Besatzer unter General Douglas MacArthur stark auf die japanische Regierung, deren Strukturen weitestgehend unangetastet blieben.70

Ende Dezember 1945 ließ der SCAP das Fach Moralkunde (shushin), das SchülerInnen zu Gehorsam und Selbstopferung angeleitet hatte, ersatzlos streichen. Auch das Fach Geschichte wurde ausgesetzt, während das

69 Vgl. Yoshiko Nozaki, War Memory, Nationalism and Education in Postwar Japan, 1945-2007. The Japanese History Textbook Controversy and Ienaga Saburō’s Court Challenges (Abingdon- on-Thames/New York 2008) 2. 70 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 149; Yoshiko Nozaki, Mark Selden, Historical Memory, International Conflict, and Japanese Textbook Controversies in Three Epochs. In: Journal of Educational Media, Memory, and Society 1, No. 1: Teaching and Learning in a Globalizing World (2009) 117-144, hier: 119. 41

Erziehungsministerium anordnete, betreffende Unterrichtsmaterialen einzuziehen. Da nun neue Lehrbücher für den Geschichtsunterricht gebraucht wurden, beauftragte der SCAP elf japanische Historiker, ein demokratisch- säkulär geprägtes Volksschullehrbuch zu verfassen. Sie sollten dabei folgende Prinzipien befolgen:

1. Es durfte keine Propaganda in die Schulbuchinhalte einfließen. 2. Es durften keine militaristischen oder ultranationalischen Elemente in die Texte inkludiert werden. Die Verherrlichung des Shintō wurde ebenso verboten. 3. Bedeutende Leistungen einfacher BürgerInnen auf den Gebieten der Wirtschaft, Forschung und Kunst mussten einbezogen werden. Wenn angemessen, so durften auch Leistungen der Kaiser gelistet werden.

Das neue, erste Geschichtslehrbuch der Nachkriegszeit erschien im Herbst 1946 und trug den Titel „Der Fortschritt der Nation“ (Kuni no Ayumi). Im Unterschied zu vielen seiner Vorgänger beginnt dieses Lehrbuch nicht mit der japanischen Götterlegende, sondern mit der Entwicklung der Menschheit seit der Steinzeit. Zu den Autoren zählte der Historiker Ienaga Saburō, der angab, bei der Gestaltung des Inhalts von Seiten der Besatzungsbehörden weitestgehend freie Hand gehabt zu haben. Bezüglich dieses Lehrbuchs ließ die Bildungsbehörde des SCAP hauptsächlich sprachlich-grammatikalische Änderungen vornehmen und verlangte zusätzlich nach einem finalen Abschnitt über den demokratischen Staatsaufbau Japans unter den Alliierten. Im Vergleich zur japanischen Zensur während der Kriegszeit empfand Ienaga die Aufsicht der Alliierten über die Schulbuchinhalte folglich als weniger repressiv. Neben dem „Fortschritt der Nation“ wurden zu dieser Zeit noch zwei weitere Geschichtslehrbücher von staatlicher Seite herausgegeben: „Die Geschichte Japans“ (Nihon no Rekishi; 1946) für den Gebrauch an Mittelschulen und „Japanische Geschichte“ (Nihon Rekishi; 1947) für Lehrerbildungsanstalten. Es sollten gleichzeitig die letzten Schulbücher sein, die im Auftrag des japanischen Staates verfasst wurden.71

71 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 149; Nozaki, War Memory, Nationalism and Education, 5-6; Susanne Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 285-298, hier: 288. 42

1947 wurde das „Erziehungsgrundgesetz“ (Kyōiku Kihonhō) verabschiedet, mit dem fortan demokratische Prinzipien und individuelle Freiheiten in den Unterricht aufgenommen wurden. Auch wurden die SchülerInnen nun im Sinne einer pazifistischen Einstellung erzogen. Gleichzeitig ließen die Alliierten das Verfassen von Lehrbüchern durch den Staat verbieten. Die neuen Textbücher sollten folglich von unabhängigen Stellen verfasst werden. Im Folgejahr konnte die japanische Regierung aber die Einrichtung eines Kontrollverfahrens für die Lehrbücher etablieren. Die Öffentlichkeit empfand diesen Schritt als positiv, da sie sich davon eine verstärkte Kontrolle der Schulbuchinhalte und die Entfernung militaristischen Gedankenguts erhoffte. Tatsächlich thematisierten viele der in den Folgejahren verfassten Lehrbücher die japanischen Kriegsverbrechen und bezeichneten die japanische Okkupation asiatischer Territorien als Akt der „Aggression“.72

4.2. Konservative Gegenreaktion und „Eiszeit“

1951 wurde der Friedensvertrag von San Francisco unterzeichnet, durch den Japan im Jahr darauf seine volle Souveränität wiedererlangte. Mit dem offiziellen Ende der Besatzungszeit schwand jedoch der liberale Einfluss im Erziehungsministerium. Konservativen Politiker, die vom SCAP entlassenen worden waren, schafften es, in einflussreiche Positionen zurückzukehren.73 Sie empfanden die Reformen der Besatzungsmacht als zu tiefgreifend und fürchteten gleichzeitig die Verbreitung kommunistischen Gedankenguts durch die Lehrergewerkschaft Nikkyōso. So setzten sich jene Politiker folglich dafür ein, Kindern und Jugendlichen wieder mehr Vaterlandsliebe nahezubringen. Statt Pazifismus sollte im Schulunterricht erneut die Pflicht der Landesverteidigung betont werden. Ultranationalistische Historiker, welche durch die Demokratisierungsbestrebungen der Alliierten ebenfalls zuvor ihre Ämter verloren hatten, wurden nun im Erziehungsministerium als Inspekteure für Schulbücher wiedereingestellt. Infolgedessen verschwanden (gegen den Willen

72 Vgl. Shinichi Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan. A Chronological Overview. In: Journal of Educational Media, Memory, and Society 2, No. 2: Contextualizing School Textbook Revision (2010) 113-121, hier: 115. 73 Vgl. Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan, 115-116. 43

der Autoren) alle die Staatsentscheidungen und den Kriegsverlauf hinterfragenden Passagen sowie die Beschreibungen der Kriegsgräuel aus den Lehrbüchern. Bereits 1956 wurden aufgrund „anti-japanischer“ Inhalte circa 30% der Schulbücher, die dem Erziehungsministerium zur Prüfung vorgelegt wurden, für inadäquat befunden. In den Folgejahren verstärkte sich diese Tendenz noch. AutorInnen wurde aufgetragen, nichts Negatives über den Pazifikkrieg zu schreiben. Der Gebrauch des Ausdrucks „Krieg“ wurde eingeschränkt und in weiteren Schulbuchauflagen durch die Worte „Zwischenfall“ oder „Vorfall“ ersetzt. Statt „der japanischen Armee“ war nun oft von „unserer Armee“ die Rede. Solche und ähnliche Änderungen lassen sich aus Vergleichen der Schulbuchauflagen rekonstruieren, auf die zurückgegriffen werden muss, da das Erziehungsministerium lange Zeit keine Protokolle über die Zulassungsverfahren erstellte.74

Im Jahr 1955 etablierte sich überdies ein mächtiger konservativer Block, als sich entsprechend gesinnte PolitikerInnen der Demokratischen Partei mit den Liberalen zur Liberaldemokratischen Partei zusammenschlossen. Sie stellten sich auf die Seite des Erziehungsministeriums und gegen die linke Nikkyōso. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Geschichtslehrbücher zum Streitthema zwischen den konservativen RegierungspolitikerInnen und aufklärerischen Gruppen, die neben der Lehrergewerkschaft auch linke Intellektuelle und AkademikerInnen sowie AnhängerInnen der politischen Mitte umfassten.75

Obwohl nur wenige Übersetzungen der Lehrbücher aus den 1950er und 1960er Jahren vorliegen, lassen sich einige Beispiele für den konservativ- nationalistischen Einfluss auf deren Inhalte finden:

1956 wurde das Schulbuch „Japanische Geschichte für die Oberschule“ (Kōkō Nihonshi) des Historikers Nishioka Toranosuke noch mit folgendem Text zugelassen: „Sie [die Regierung] begann im August den Krieg auch in Shanghai, woraufhin See- und Luftstreitkräfte die chinesische Hauptstadt Nanking bombardierten und an allen Fronten den Krieg gegen China eröffneten. Bis zum

74 Vgl. Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan, 115-116; Ishida, Das Massaker von Nanking, 237; Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 288-289. 75 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 150; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 108-109. 44

Ende des Jahres besetzte die japanische Armee das Gebiet des nördlichen China und am 13. Dezember die Stadt Nanking.“76 In der zweiten Auflage von 1960 finden sich keine Erwähnungen japanischer Aggression mehr; stattdessen lautet die Passage nun: „Im August erstreckte sich das Feuer des Krieges auch auf Shanghai, woraufhin See- und Luftstreitkräfte die chinesische Hauptstadt Nanking bombardierten. Die Situation entwickelte sich zu einem Krieg gegen China an allen Fronten. Bis zum Ende des Jahres besetzte unsere Armee das Gebiet des nördlichen China und am 13. Dezember die Stadt Nanking.“77 Die vierte, 1968 erschienene Auflage des Buches beinhaltet eine Darstellung des „Japanisch-Chinesischen Zwischenfalls“ (vormals: „Japanisch-Chinesischer Krieg“) und weist noch weitere Veränderungen auf. Der oben zitierte Textteil lautet hier: „Im August erstreckte sich das Feuer des Krieges auch auf Shanghai und entwickelte sich zu einem Krieg gegen China an allen Fronten. Bis zum Ende des Jahres besetzte unser Land das Gebiet des nördlichen China und am 13. Dezember die Stadt Nanking.“78 Die Beschreibung der Bombardierung Nankings war also zwischenzeitlich entfernt worden.79

Ähnlich erging es dem von Ienaga Saburō verfassen Schulbuch „Neue Japanische Geschichte“ (Shin Nihonshi). Gravierende Veränderungen finden sich vor allem zwischen der zweiten Auflage 1956 und der dritten Auflage von 1959. 1956 durfte Ienaga etwa noch schreiben: „Unter dem Vorwand, die Völker Ostasiens von der europäischen und amerikanischen Präsenz zu befreien und eine ‚Großasiatische Wohlstandssphäre‘ zu errichten, machte sich die japanische Regierung vielmehr daran, diese Völker unter die eigene Herrschaft zu zwingen.“80 Diese Textpassage sowie der Rest des mit „Die Isoliertheit Japans“ betitelten Abschnitts fehlen in der nächsten Auflage. 1956 äußerte sich Ienaga auch zu ideologischen Belangen, indem er bemerkte: „[…] und geblendet von den ersten Siegen Deutschlands stürzte die japanische Armee das sich widersetzende Kabinett Yonai Mitsumasas, schloss mit Deutschland und Italien den Dreimächtepakt und brachte ihre feindliche Gesinnung gegenüber den

76 Siehe: Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 289. 77 Ebd. 78 Ebd., 290. 79 Ebd., 289-290. 80 Ebd., 290. 45

demokratischen Staaten offen zum Ausdruck“.81 In der Auflage von 1959 sind der deutsche Einfluss und der Sturz Yonais verschwunden. Es heißt stattdessen: „[…] schloss das Kabinett Konoe Fumimaros mit Deutschland und Italien den Dreimächtepakt, was zur Entstehung der Achse Berlin-Rom-Tôkyô führte“.82 Auch Sätze über die „selbst in vielen Jahren nicht heilbaren Wunden“ der asiatischen Völker, die Japan diesen zufügte, fehlen hier.83

Aufgrund der anhaltenden Zensur durch das japanische Erziehungsministerium erhielt die Zeit ab den späten 1950er Jahren von kritischen Stimmen die Bezeichnung „Eiszeit der Schulbücher“84. Diese dauerte bis 1970 an, als Ienaga Saburō während seines zweiten Prozesses um die Lehrbücher einen entscheidenden Sieg gegen das Erziehungsministerium erringen konnte.85

4.3. Ienaga Saburōs Schulbuchprozesse

Nachdem der Lehrbuchautor Ienaga Saburō, der inzwischen als Professor an der Pädagogischen Universität Tokio arbeitete, mehrmals vom Erziehungsministerium zur Abänderung hunderter Textstellen in seinen Werken gezwungen worden war, entschloss sich dieser am 12. Juni 1965 die japanische Regierung zu verklagen. In einer öffentlichen Stellungnahme verkündete er: „I cannot fall silent and overlook the present state of the [textbook] screening, which tramples underfoot the constitution and the fundamental education law and attempts to rob people’s consciousness of the spirit of peace and democracy.“86 In der Zensur der Schulbuchinhalte sah er eine Verletzung der verfassungsmäßig garantierten Meinungsfreiheit und forderte daher Schadenersatz für den entstandenen Aufwand. Noch im gleichen Jahr erfolgte die Gründung der „Nationalen Kontaktgruppe zur Unterstützung des Prozesses um die Schulbuchzulassung“ (Kyōkasho Kentei Soshō o Shiensuru Zenkoku Renrakukai), in der sich etwa 25.000 HistorikerInnen, JuristInnen, PädagogInnen

81 Siehe: Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 290. 82 Ebd. 83 Ebd. 84 Ebd., 291. 85 Vgl. Nozaki, Selden, Historical Memory, International Conflict, 124. 86 Siehe: Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan, 116. 46

und LehrerInnen zusammenfanden, um Ienagas Anliegen zu unterstützen. Dennoch entschied 1974 das Bezirksgericht Tokio zugunsten der Regierung und befand das Zulassungsverfahren insgesamt für verfassungskonform. Es erkannte aber, dass das Erziehungsministerium seine Kontrollbefugnisse überschritten hatte und sprach Ienaga daher eine Entschädigungssumme von 100.000 Yen zu. Sowohl Ienaga als auch die Regierung legten Berufung beim Obergericht Tokio ein, welches im März 1986 die Position der Regierung bekräftigte. Es stellte weiters keine Verfehlungen bei der Überprüfung von Ienagas Schulbüchern fest und sprach dem Historiker somit seine Schadenersatzforderung ab. Ienaga wandte sich daraufhin an den Obersten Gerichtshof, der die Anfechtung des Urteils 1993 abwies.87

Nachdem Ienagas Schulbuch 1966 erneut abgelehnt wurde, strengte er im Jahr darauf parallel zum ersten Prozess ein zweites Verfahren an, wieder mit der Begründung, das Lehrbuchprüfverfahren des Erziehungsministeriums sei nicht verfassungskonform. Im 1970 ergangenen Urteil am Bezirksgericht Tokio stellte sich Richter Sugimoto Ryōkichi auf die Seite Ienagas und bezeichnete die Eingriffe der Regierung in die Lehrbücher als Kompetenzüberschreitung und Zensur. Diese wegweisende Entscheidung verstärkte die Liberalisierungstendenzen in den Schulbüchern und läutete das Ende der „Eiszeit“ ein. Infolgedessen wurde in der 1978 erschienenen Version von Ienagas Schulbuch „Neue Japanische Geschichte“ das zuvor als „Zwischenfall von Nanking“ bezeichnete Kriegsverbrechen neuerlich als „Massaker“ betitelt. Die Kriegsgräuel fanden auch in anderen Schulbüchern erneut Erwähnung, wobei Mitte der 1980er Jahre zudem die von der japanischen Armee auf Okinawa begangenen Morde bzw. erzwungenen Massenselbstmorde der ZivilistInnen wieder thematisiert wurden. Gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts legte das Erziehungsministerium Berufung beim Obergericht ein, das aber ebenfalls Ienagas Standpunkt bekräftigte. Daraufhin wandte sich das Ministerium an den Obersten Gerichtshof, der den Fall zurück an das Obergericht verwies. 1989 erwirkte die Regierung, dass der Prozess fallengelassen wurde; zum einen, da

87 Vgl. The George Washington University, History Textbooks. The Ienaga Cases. URL: https://www2.gwu.edu/~memory/issues/textbooks/textbookcases.html (25.03.2019); Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 290-291. 47

die Richtlinien für die Schulbuchzulassung inzwischen überarbeitet wurden, zum anderen, weil die Auflage des Schulbuchs mittlerweile veraltet war.88

Als Ienagas Geschichtslehrbuch 1983 vom Erziehungsministerium wieder mit der Aufforderung zur Abänderung von Textstellen abgewiesen wurde, klagte er im Jahr darauf in einem dritten Prozess. Unter anderem hatte sich das Ministerium gegen die Behandlung des Nanking-Massakers, der Kampfhandlungen auf Okinawa und der japanischen Einheit 731, die in der Mandschurei Menschenversuche mit tausenden Todesopfern durchführte, ausgesprochen. Während des Verfahrens erfuhr Ienaga Unterstützung durch die Berichte der Forschungsgemeinschaft für Nanking, die 1984 von Fujiwara Akira gegründet wurde. Im 1989 ergangenen Urteil sprach das Bezirksgericht Ienaga nur im Hinblick auf eine einzige Textstelle Recht zu. Eine generelle Evaluation der Verfassungsmäßigkeit der Lehrbuchkontrolle hatte hingegen nicht stattgefunden. Sowohl Ienaga als auch die japanische Regierung legten daraufhin Berufung ein. 1993 befand das Obergericht Tokio die Thematisierung des Nanking-Massakers im Schulbuch für zulässig. Ienaga, der sich mehr erhofft hatte, wandte sich daraufhin an den Obersten Gerichtshof, der 1997 auch die Menschenversuche der Einheit 731 als Verbrechen anerkannte und die zuvor erfolgte Entfernung bzw. Umschreibung betreffender Passagen über die Kriegsverbrechen für rechtswidrig erklärte. Ienaga wurden zudem 400.000 Yen Schadenersatz zugesprochen. Die Verfassungskonformität des Prüfverfahrens für die Schulbücher wurde vom Höchstgericht allerdings bestätigt, solange sich dieses auf die Richtigstellung sachlicher Fehler und Unstimmigkeiten beschränke.89 Die Urteile im dritten Schulbuchprozess zeigten ihre Auswirkungen in den 1990er Jahren, als etwa die Menschenversuche der Einheit 731 wieder Einzug in einige Schulbücher fanden. Viele Änderungen wurden zunächst über die Fußnoten vorgenommen, bevor sich entsprechende Textpassagen einige Jahre später auch im Haupttext wiederfanden.90

88 Vgl. The George Washington University, History Textbooks (25.03.2019); Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 290-292. 89 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 185-186; The George Washington University, History Textbooks (25.03.2019); Ishida, Das Massaker von Nanking, 240. 90 Vgl. Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 292. 48

Im November 2002 verstarb Ienaga Saburō im Alter von 89 Jahren. Insgesamt hatte er mehr als drei Jahrzehnte gegen die japanische Regierung prozessiert; an der Praxis des Zulassungsverfahrens für Lehrbücher änderte sich jedoch wenig. Dieses liegt auch heute noch fest in den Händen der nationalistisch- konservativen Regierungspartei LDP, die ihre politische Gesinnung weiterhin in die Gestaltung der Schulbücher einfließen lassen kann.91

4.4. Schulbuchaffären

Neben Ienagas Anstrengungen hat auch Druck aus dem Ausland, insbesondere aus der Volksrepublik China und Südkorea, wesentlich zur Aufnahme der Kriegsverbrechen in die japanischen Schulbücher beigetragen. Sonderbar ist dagegen die Tatsache, dass der Streit um die Lehrbuchinhalte lange nicht von den Nachbarländern registriert wurde. Während Ienagas Prozesse mitsamt der ersten Urteile in Japan großes Aufsehen erregten, nahm etwa Südkorea diese kaum zur Kenntnis.92

Zum außenpolitischen Thema wurden die japanischen Schulbücher erst 1982, als sich aufgrund von medialen Berichten eine diplomatische Krise entwickelte, die als (erste) „Schulbuchaffäre“ bezeichnet wird. Sowohl die Volksrepublik China als auch Südkorea erfuhren über Medien wie die liberale Asahi Shimbun, dass die Regierung Japans den Schulbuchverlag Jikkyō Shuppan gezwungen habe, den ab 1931 erfolgten Einmarsch in China nicht mehr als „Invasion“ (shinryaku), sondern unter Gebrauch des Wortes „Vorrücken“ (shinshutsu) zu beschreiben. Diese als einseitig empfundene Geschichtsschreibung führte in 15 ostasiatischen Staaten zu einer Welle von Protesten und zu einer breiten Diskussion um den Umgang Japans mit der Kriegsvergangenheit.93

Tatsächlich stimmten die für die Krise ursächlichen Berichte der japanischen Zeitungen nicht. Stattdessen hatte sich Folgendes zugetragen: Nachdem die Regierung Japans im Juni des Jahres alle neuen Schulbücher auf einmal

91 Vgl. Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 191. 92 Vgl. Kimura, Discovery of Disputes, 112. 93 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 167-168; Ishida, Das Massaker von Nanking, 239; Kimura, Discovery of Disputes, 112. 49

herausgegeben hatte, schloss sich eine Gruppe von JournalistInnen zusammen, um gemeinsam die Inhalte der Lehrbuchmuster zu überprüfen. Ein Reporter des Senders Nippon Television hörte von der Zensur der Jikkyō Shuppan- Lehrbücher, nahm diese als gegeben an und berichtete während einer Besprechung den anderen JournalistInnen davon. Daraufhin veröffentlichten die ReporterInnen ihre Artikel, ohne allerdings die betreffenden Schulbücher auf besagte Veränderungen zu überprüfen. Ein ausdrücklicher Befehl des Erziehungsministeriums an den Verlag, das Wort „Invasion“ durch „Vorrücken“ zu ersetzen, war in diesem Fall aber nie erfolgt. Zu dieser Zeit kennzeichnete nämlich das Ministerium im Rahmen der Lehrbuchkontrolle die jeweiligen Manuskripte mit zwei Arten von Kommentaren. Textstellen, die mit einer „Anmerkung A“ versehen wurden, mussten von den AutorInnen zwingend abgeändert werden, sonst durfte das Schulbuch nicht veröffentlicht werden. Im Gegensatz dazu wurde mit der „Anmerkung B“ lediglich eine unverbindliche Empfehlung des Ministeriums an die AutorInnen abgegeben, eine bestimmte Textpassage noch einmal zu überdenken. Seit den 1970er Jahren wurden jegliche Schilderungen der japanischen „Invasion“ Chinas mit der „Anmerkung B“ versehen. Einige Verlage nahmen in diesen Fällen tatsächlich die vom Erziehungsministerium gewünschten Änderungen vor, andere kamen ihnen nicht nach. Letzteres geschah auch 1982, als keine/r der AutorInnen der Empfehlung folgte, das Wort „Invasion“ zu ersetzen.94

Die ersten Berichte japanischer Medien über den vermeintlichen Vorfall erregten in der Republik Korea zunächst nur wenig Aufmerksamkeit. Dies änderte sich jedoch nach den Reaktionen aus China. Am 21. Juli übte die Renmin Ribao, das Sprachrohr der Kommunistischen Partei Chinas, offen Kritik an der japanischen Regierung und den Darstellungen in den Geschichtslehrbüchern. Zwei Tage später antwortete die Regierung Japans mit der Stellungnahme, die Lehrbuchkontrollen seien „fair und objektiv“. Noch am gleichen Tag wurde allerdings über einen Lehrbuchkontrolleur berichtet, der die japanische Mobilmachung in Korea als „legal“ und unerzwungen bezeichnete. Er behauptete, da KoreanerInnen zu dieser Zeit japanische Staatsbürgerschaft

94 Vgl. Kimura, Discovery of Disputes, 109, 111; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 109. 50

besaßen, seien Begriffe wie „Zwangsarbeit“ oder „Wehrpflicht“ verfehlt. Stattdessen seien es Freiwillige gewesen, die ihr Leben im Zuge des japanischen Militarismus ließen. Südkoreanische Medien zeigten sich empört über diese Aussage und unterstellten Japan imperialistische Tendenzen. Auch die südkoreanische Regierung bekundete nun in einer öffentlichen Stellungnahme ihr Missfallen über die Neuigkeiten aus Japan. Die Antwort japanischer Regierungsvertreter provozierte wieder eine Gegenreaktion auf koreanischer Seite, und so begann der Streit zu eskalieren. Am 26. Juli wandte sich die kommunistische Führung Chinas schließlich in einem offiziellen Protestschreiben an die japanische Regierung und ließ weiters eine bereits ergangene Einladung an den japanischen Erziehungsminister Ogawa Heiji zurückziehen. Die Schulbuchaffäre erzürnte auch andere ostasiatische Staaten, die daraufhin öffentlich Kritik an Japan übten. Darüber hinaus kritisierte ein britischer Vertreter des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge Japan wegen der Verzerrung historischer Tatsachen. All diese Länder und Parteien sahen in der Überarbeitung der Schulbücher ein Zeichen für das Wiedererstarken des japanischen Militarismus und Imperialismus.95

Im September 1982 waren die meisten der japanischen Zeitungen auf die ursprünglichen Fehler in der Berichterstattung aufmerksam geworden. Sie entschuldigten sich bei ihren LeserInnen für die fehlerhafte Recherche bezüglich der Jikkyō Shuppan-Lehrbücher und berichtigten die betreffenden Artikel. Einige Blätter, darunter Asahi Shimbun und Mainichi Shimbun, setzten ihre Kritik am Schulbuchprüfverfahren trotzdem fort, unter anderem durch Berichte über die laufenden Ienaga-Prozesse. Sie thematisierten auch politische Faktoren wie die Erhöhung des japanischen Verteidigungsbudgets und brachten diese in einen nationalistischen Zusammenhang. Dies bekräftigte in Südkorea und der Volksrepublik China den Eindruck, dass in der japanischen Gesellschaft ein Rechtsruck erfolgt war, der sich dementsprechend auf die Schulbücher auswirkte. Die Einstellung japanischer Regierungsvertreter, welche die

95 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 167-168; Kimura, Discovery of Disputes, 112-113; Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 292-293. 51

Diskussion um die Schulbuchinhalte wiederholt als interne Angelegenheit Japans verteidigten, stießen dort nur auf Unverständnis.96

Um China und Südkorea zu besänftigen, musste Regierungssprecher Miyazawa Kiichi im Oktober 1982 die sogenannte „Nachbarländerklausel“ verkünden, nach welcher sich die japanische Regierung bereit erklärte, die Schulbücher in Zukunft unter Rücksichtnahme auf die Gefühle der Nachbarländer zu gestalten. Schon kurz zuvor fand Bildungsminister Ogawa Heji ungewöhnlich direkte Worte, als er die japanischen Militäraktionen in China öffentlich als „Invasion“ bezeichnete. Konservative Gruppen zeigten sich über diese neue Politik des Entgegenkommens allerdings weniger erfreut. Sie sahen darin ein Nachgeben der Regierung auf internationalen Druck hin, betrachteten die Schulbuchprüfung als innerstaatliche Angelegenheit und machten sich für die Streichung der Nachbarländerklausel stark.97

Im November 1982 übernahm Nakasone Yasuhiro das Amt des Premierministers. Er setzte zunächst die Politik der Annäherung fort, indem er neue Schulbücher konservativer AutorInnen, welche die Kriegsverbrechen beschönigten, überprüfen und revidieren ließ. Ebenso betonte er mehrmals, dass es sich bei der Invasion Chinas um einen Angriffskrieg handelte. Nakasones politisches Entgegenkommen gegenüber den Nachbarländern stand jedoch schon bald im Widerspruch zu seiner eigenen konservativ-patriotischen Grundeinstellung. Mit dem Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan und der Verstärkung ihrer Präsenz im Pazifik fühlte sich der Inselstaat zunehmend bedroht. Die Effektivität des nuklearen Schutzschilds der USA für Japan wurde bezweifelt, weshalb es unter der Regierung Nakasones folglich zu Bestrebungen kam, die militärischen Befugnisse des Landes zu erweitern und die Rüstungsausgaben zu erhöhen. Gleichzeitig legte Nakasone Wert auf eine positive Bewertung der Vergangenheit, um den japanischen Patriotismus zu fördern. So verstärkten sich auch die Bemühungen, dieses Gedankengut in die Schulbücher einfließen zu lassen. Ein 1984 veröffentlichtes konservatives Geschichtslehrbuch war erst der Anfang einer Reihe von Werken, die sich etwa

96 Vgl. Kimura, Discovery of Disputes, 111-113. 97 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 169; Ishida, Das Massaker von Nanking, 238-239; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 109-110. 52

der Verleugnung und Verharmlosung des Nanking-Massakers widmeten. Die kurz zuvor verlautete Nachbarländerklausel wurde dabei offensichtlich missachtet.98

Indessen stand die japanische Bevölkerung dem Vorhaben der Regierung, die eigene Landesgeschichte zu beschönigen, eher kritisch gegenüber. Einer 1982 erfolgten Umfrage der Zeitung Mainichi Shimbun nach zu urteilen unterstützten nur 6% der Befragten die Position, das Thema der japanischen Kriegsverbrechen nicht im Schulunterricht zu behandeln. Dagegen vertraten 92% die Meinung, dass alle Aspekte der Kriegsvergangenheit Japans in den Schulen beleuchtet werden sollen. Was den Inhalt der umstrittenen Schulbücher betraf, so ergab sich ein etwas anderes Bild. In einer Umfrage der Yomiuri Shimbun gaben nur 27,6% der befragten Personen an, die Schulbücher für historisch inakkurat zu befinden, während 18,3% sie aus der japanischen Perspektive für richtig betrachteten. 3,7% gaben an, der Inhalt der Geschichtslehrbücher sei historisch korrekt. Weitere 28,5% meinten jedoch, ungeachtet des Tatsachengehalts der Angaben zeigen die Schulbuchinhalte mangelndes Feingefühl gegenüber China und Korea. Die Umfragen machten deutlich, dass, trotz Unsicherheit über den Wahrheitsgehalt der in den Schulbüchern abgedruckten Fakten, die Mehrheit der Befragten (56,1%) den Intentionen der Regierung kritisch gegenüberstand. Eine Umfrage des japanischen Kabinettsbüros im Jahr 1984 führte zu ähnlichen Ergebnissen. Hier gaben über 50% der TeilnehmerInnen an, die japanische Geschichte sei seit der Meiji-Zeit von Aggression geprägt gewesen, und 82,5% meinten, das japanische Volk solle intensiv über die in China und Korea begangenen Kriegsverbrechen reflektieren. 44,8% waren allerdings der Meinung, dass die militärische Expansion Japans unvermeidbar gewesen sei, und 45,5% vertraten die Ansicht, der Krieg habe die Befreiung der asiatischen Völker vom westlichen Kolonialismus beschleunigt. 36,1% der befragten Personen gaben an, das Militär habe die japanischen BürgerInnen, die selbst als Opfer des Kriegs anzusehen seien, getäuscht. Hier wurde demnach die

98 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 167, 169-170; Ishida, Das Massaker von Nanking, 239. 53

Opfermentalität der japanischen Bevölkerung, die sich vom westlichen Kolonialismus und Zweiten Weltkrieg geschädigt sah, besonders deutlich.99

Nur wenige Jahre später wurden die japanischen Geschichtslehrbücher erneut zum grenzüberschreitenden Streitgrund. Bei dieser zweiten Schulbuchaffäre im März 1986 ging es um die Zulassung des kontroversen Oberschullehrbuchs „Neuauflage der Geschichte Japans“ (Shinpen Nihonshi), welches von der nationalistischen Gruppierung Nihon o Mamoru Kokumin Kaigi („Nationale Konferenz zum Schutze Japans“)100 herausgegeben wurde. Sie war mit dem versöhnlichen Kurs der Regierung während der ersten Schulbuchaffäre nicht einverstanden und sah die Schulbuchinhalte überdies als innerstaatliche Angelegenheit Japans an. Die politische Gesinnung der Autoren zeigte sich in den auffallend unkritisch gehaltenen Darstellungen des japanischen Kaiserreichs sowie des Kriegsverlaufs. Das Nanking-Massaker wurde indes abermals als „Zwischenfall“ bezeichnet, wobei die Verfasser auch anerkanntes Wissen in Frage stellten. Eine Vielzahl japanischer LehrerInnen sprach sich daher gegen das Werk aus und sorgte durch ihren Einfluss dafür, dass es kaum in den Schulen zum Einsatz kam. Währenddessen erhob die chinesische Führung in Peking Protest und auch Südkorea zeigte sich empört über die Zulassung des Schulbuchs. In den darauffolgenden politischen Debatten wurde der tief verwurzelte Konservatismus in der Regierung deutlich, als sich der Bildungsminister Fujio Masayuki auf unsensible Art und Weise über das Nanking- Massaker und den Yasukuni-Schrein äußerte. Bezüglich des japanischen Vorgehens in Korea ließ er verlauten, dass die Annexion des Landes im beiderseitigen Einvernehmen erfolgt sei. Obwohl Nakasone ihn daraufhin zum Rücktritt zwang, verstärkte sich bei den Nachbarländern der Eindruck, dass Japan keine Reue hinsichtlich des Kriegsgeschehens zeigte.101

99 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 168. 100 Aus dieser politisch gut vernetzten Vereinigung sollte sich später die Nippon Kaigi entwickeln, welche auch heute noch hinter den Kulissen der japanischen Politik eine einflussreiche Rolle spielt. 101 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 170; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 110; Takashi Yoshida, Advancing or Obstructing Reconciliation? Changes in History Education and Disputes over History Textbooks in Japan. In: Elizabeth A. Cole (Ed.), Teaching the Violent Past. History Education and Reconciliation (Lanham/Plymouth 2007) 51- 79, hier: 63. 54

Wenngleich nach den Protesten aus China und Südkorea die revisionistischen Passagen in der „Neuauflage der Geschichte Japans“ bereinigt wurden, verwarf das Erziehungsministerium die Änderungen nur wenige Jahre später wieder. In der zweiten, 1991 herausgegebenen Auflage wird der Zweite Japanisch- Chinesische Krieg wieder als „Zwischenfall“ bezeichnet. Überdies werden mehrmals die revisionistischen Ausdrücke „Großostasiatischer Krieg“ sowie gyokusai („zerbrochenes Juwel“; die Bezeichnung für einen ehrenvollen Tod ohne Kapitulation) verwendet. Letzterer wird (im Unterschied zur Nennung in anderen Schulbüchern) nicht relativiert; das heißt, es erfolgt keine Erklärung, dass es sich dabei um eine Märtyrertaktik handelte, mit der die japanische Armee vom ungünstigen Kriegsverlauf ablenken wollte. Ebenso werden die Übergriffe der japanischen Armee an der Zivilbevölkerung von Okinawa verschwiegen und stattdessen die Opferbereitschaft der dortigen BürgerInnen hervorgehoben. Auch in diesem Schulbuch fehlt von den Trostfrauen und der Einheit 731 jede Spur.102 Das Massaker von Nanking findet sich nur in einer Fußnote, die gleichsam die dortigen Kriegsverbrechen in Frage stellt: „Um Nanking kämpften beide Seiten mit äußerster Heftigkeit. Es wird berichtet, dass die japanische Armee nach dem Fall der Stadt zahlreiche chinesische Soldaten und Zivilisten tötete und verwundete, was internationale Kritik zur Folge hatte (das so genannte Massaker von Nanking).“103 1993 verkaufte sich die „Neufassung der Geschichte Japans“ nur 6.409 Mal. Die geringen Verkaufszahlen standen dabei in keiner Relation zu den diplomatischen Konsequenzen, welche das Erziehungsministerium durch die Zulassung revisionistisch-konservativer Schulbücher provozierte. Trotzdem hielt die japanische Regierung an der Veröffentlichung der Werke fest.104

Im Hinblick auf die japanische Bildungspolitik war in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren trotz der gelegentlichen Publikation konservativer Lehrbücher eine aufklärerische Tendenz erkennbar. Dies war ein Ergebnis der nachlassenden sowjetischen Bedrohung im Kalten Krieg, welche Japan zwang, sich aufgrund ökonomischer Interessen verstärkt um positive Beziehungen zu den Nachbarländern zu bemühen. Die diplomatische Annäherung setzte sich

102 Vgl. Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 293, 296. 103 Ebd., 296. 104 Ebd., 297. 55

während und nach dem Zerfall des Ostblocks fort und wurde zum Beispiel im Mai 1991 deutlich, als der damalige Premierminister Kaifu Toshiki während einer Ansprache in Singapur verkündete: „I express our sincere contrition for past Japanese actions which inflicted unbearable suffering and sorrow upon a great many people of the Asia-Pacific region.“105 Eine kurze Periode von Nicht-LDP- Regierungen trug ebenso zu einem offeneren Gesprächsklima bei. 1993 bestätigte Premierminister Hosokawa Morihiro öffentlich, dass Japan einen Angriffskrieg geführt habe. Zwei Jahre später folgte die berühmte Entschuldigung Murayama Tomiichis bei den Nachbarländern Japans. In diesen Jahren enthielten viele der vom Erziehungsministerium genehmigten Schulbücher Informationen über Kriegsverbrechen wie das Nanking-Massaker und die Einheit 731.106 Um 1994 hatten auch die Trostfrauen bereits Einzug in die meisten der japanischen Geschichtslehrbücher genommen – 22 von 23 Werken erwähnten sie, allerdings in unterschiedlichem Umfang:

Zu den ausführlichsten Darstellungen zählt etwa jene des 1995 erschienenen Schulbuchs „Japanische Geschichte A: Geschichte von der Gegenwart aus betrachtet“ (Nihonshi A: Gendai kara no Rekishi). Hier ist etwa zu lesen: „Weiter wurde eine riesige Anzahl Frauen in Freiwilligentruppen zusammengefasst und Frauen aus den von Japan besetzten Gebieten, angefangen mit Korea, unter dem Vorwand der Frontarbeit als Trostfrauen rekrutiert.“107 Die betreffende Fußnote ergänzt: „Es gibt keine genauen offiziellen Zahlen, aber es handelt sich um eine enorme Anzahl [von Frauen]. Trostfrauen wurden in jeder Region Südostasiens rekrutiert, angefangen mit China und den Philippinen.“108 Ursprünglich hatte das Werk noch Zahlen zu den Zwangsprostituierten enthalten, die jedoch von den SchulbuchinspektorInnen beeinsprucht und daher entfernt worden waren. So hieß es damals noch: „Schätzungen belaufen sich auf 60.000 bis 70.000 Personen“.109 Ebenfalls 1995 schrieb Ienaga Saburō in seinem Lehrbuch „Neue japanische Geschichte B“ (Shin Nihonshi B): „Weiterhin wurden zahlreiche koreanische Frauen als Trostfrauen zwangsverschleppt und an die

105 Siehe: Berger, War, Guilt, and World Politics, 171. 106 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 185; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 110. 107 Siehe: Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 294. 108 Ebd. 109 Ebd., 295. 56

Front beordert.“110 Auch er inkludierte eine Fußnote: „Es hat sich herausgestellt, dass unter den Trostfrauen neben Koreanerinnen und Japanerinnen auch Holländerinnen, Filipinas und andere waren.“111

Im Vergleich dazu erwähnt das im selben Jahr herausgegebene Werk „Japanische Geschichte für die Oberschule“ (Kōkō Nihonshi: Nihonshi B) die Trostfrauen nur beiläufig in einem Satz: „Unter den Frauen gab es auch solche, die in den Kriegsgebieten in Trosteinrichtungen der Armee arbeiten mussten.“112 Neben der Vermeidung von Zahlenangaben untersagte das Erziehungsministerium auch den Gebrauch des Wortes „Vergewaltigung“. Dies wurde unter dem Gesichtspunkt der „pädagogischen Rücksichtnahme“ gehandhabt. Die Notwendigkeit ebenjener ist allerdings im Hinblick auf die Tatsache, dass besagte Geschichtslehrbücher für den Gebrauch von 17- 18jährigen SchülerInnen vorgesehen waren, stark zu bezweifeln.113

4.5. Wiedererstarken des Revisionismus

Ab Mitte der 1990er Jahre entwickelte sich eine Gegenbewegung zu den bereits erwähnten Liberalisierungstendenzen in den Geschichtslehrbüchern.

1996 gründete Fujioka Nobukatsu, Erziehungswissenschaftler an der Universität Tokio, die „Forschungsgemeinschaft für ein liberales Geschichtsbild“ (Jiyuushugi Shikan Kenkyuukai), welche sich für ein positives Geschichtsverständnis und einen gesunden Nationalstolz aussprach. Sie stellte sich damit gegen das von konservativen Kreisen kritisierte „Kriegsbild der Schande“, das in der Behandlung der Kriegsverbrechen in vielen Schulbüchern zum Ausdruck komme. Durch eigene Publikationen, aber auch durch Kooperation mit nationalistischen Medien wandte sich die Forschungsgemeinschaft in regelmäßigen Abständen an die Öffentlichkeit. Eine Zeit lang veröffentlichten ihre Mitglieder täglich Zeitungsartikel in der Sankei Shimbun, in denen sie sich unter anderem gegen die Thematisierung der Trostfrauen in den Schulbüchern aussprachen.

110 Siehe: Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 294. 111 Ebd. 112 Ebd. 113 Ebd., 294-295. 57

Betreffend der Trostfrauen gaben sie an, dass diese vom japanischen Militär gut behandelt und nicht ausgebeutet wurden. Fujioka veröffentlichte indes 1996 im Rahmen der Forschungsgemeinschaft sein Buch „Geschichte, welche die Schulbücher nicht lehren“ (Kyōkasho ga Oshienai Rekishi), welches sich mehrere hunderttausend Mal verkaufte. Im Unterschied zu der von ihm als „anti- japanisch“ bezeichneten Geschichtsschreibung in den Schullehrbüchern handelt sein Werk von japanischen Heldentaten basierend auf Loyalität und Obrigkeitstreue.114 Fujioka selbst leugnet weiters, dass es das Massaker von Nanking in dieser Dimension jemals gegeben habe; es sei nur eine Nebenhandlung des regulären Kampfgeschehens gewesen.115

Im gleichen Jahr organisierten Fujioka und seine Gesinnungsgenossen, darunter der Literaturwissenschaftler Nishio Kanji, die „Gesellschaft für das Erstellen neuer Geschichtslehrbücher“ (Atarashii Rekishi Kyōkasho o Tsukuru Kai). Im Unterschied zur 2014 aufgelösten Forschungsgemeinschaft hält dieser Verein auch heute noch regelmäßig Konferenzen ab und veröffentlicht eigene Schriften. Unterstützt werden die Akademiker dabei von nationalistisch eingestellten LDP- PolitikerInnen, wie etwa dem derzeitigen japanischen Premierminister Abe Shinzō, unter dessen Leitung die Gesellschaft 1997 stand. 2001 veröffentlichte die Vereinigung schließlich ihr eigenes Schulbuch für Mittelschulen, das „Neue Geschichtslehrbuch“ (Atarashii Rekishi Kyōkasho), welches vom Erziehungsministerium genehmigt wurde. Darüber entbrannte innerhalb und außerhalb Japans ein öffentlicher Streit. In Japan hatten sich bereits führende HistorikerInnenverbände sowie das „Kinder- und Schulbuch-Netzwerk 21“ (Kodomo to Kyōkasho Zenkoku Nettowāku 21)116 gegen die Zulassung des Schulbuchs ausgesprochen. Gemeinsam mit links- und mitteorientierten PolitikerInnen warfen sie dem Werk eine unausgewogene und unsensible Darstellung der japanischen Kolonialherrschaft und der Kriegsverbrechen vor. Tatsächlich bewirkte der öffentliche Druck eine Abschwächung der

114 Vgl. Conrad, Krisen der Moderne, 176; Yangmo Ku, Comfort Women Controversy and Its Implications for Japan-ROK Reconciliation. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on-Thames/New York 2019) 261-276, hier: 269; Mishima, Generationswechsel und Erinnerungskulturen, 356-357. 115 Vgl. Ishida, Das Massaker von Nanking, 241. 116 Die Nachfolgeorganisation der 1998 nach dem letzten Schulbuchprozess aufgelösten „Nationalen Kontaktgruppe zur Unterstützung des Prozesses um die Schulbuchzulassung“. 58

revisionistischen Erzählweise im Schulbuch. Im Gegenzug erhoffte sich die Gesellschaft von diesem Kompromiss wohl höhere Verkaufszahlen.117 Daher inkludierte sie Passagen über die Kriegsverbrechen und schrieb etwa in einem Bericht über die Tokioter Prozesse: „At the Trial, it was established that in 1937, during the war between Japan and China, the Japanese army, at the time of the occupation of Nanking, murdered many Chinese people (The Nanking Incident). However, points of doubt have emerged relating to the primary sources concerning the actual circumstances of the incident; there are many opinions and debate continues even today.“118 Das Massaker wurde zwar verharmlost; eine gänzliche Verleumdung, wie sie manche Mitglieder der Gesellschaft in ihren persönlichen Schriften praktizieren, fand jedoch nicht statt. Nichtsdestotrotz bestellte in Peking der chinesische Außenminister den japanischen Botschafter zu sich, um seinen Unmut über die Veröffentlichung des Lehrbuchs kundzutun. Südkorea ging sogar so weit, seinen Botschafter in Tokio für kurze Zeit abzuberufen.119

Ähnliche Reaktionen provozierte die 2005 herausgegebene zweite Auflage des „Neuen Geschichtslehrbuchs“. Diese enthält wiederum eine Untertreibung des Nanking-Massakers, lässt jedoch andererseits verlauten: „In invaded areas, the Japanese army also carried out acts of unjustifiable murder and abuse against enemy soldiers who had become prisoners of war as well as civilians.“120 Solch direkte Worte waren in der ersten Auflage nicht gewählt worden. Sogar über den Krieg gegen China äußerten sich die Autoren nun kritisch: „The war in China dragged on and an end was nowhere in sight. There were some movements for peace, but the military’s hard-line commitment to continue the war was prioritized without fail. In 1940, Minseitō party representative Saitō Takao asked in the Imperial Diet ‘What is the point of this war?’ but the government could offer no clear answer.“121 Dessen ungeachtet kam es zwei Wochen nach der Zulassung des Lehrbuchs in mehreren chinesischen Städten zu anti-japanischen Protesten, bei denen BürgerInnen japanische Flaggen verbrannten und zum Boykott

117 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 269; Penney, Wakefield, Right Angles, 548-549; Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 285-286. 118 Siehe: Penney, Wakefield, Right Angles, 549. 119 Ebd.; Petersen, Geschichtspolitik in japanischen Schulbüchern, 286. 120 Siehe: Penney, Wakefield, Right Angles, 549. 121 Ebd. 59

japanischer Produkte aufriefen. Am 9. April marschierten zwischen 10.000- 20.000 DemonstrantInnen zur japanischen Botschaft in Peking und bewarfen diese mit Steinen. In Seoul, Südkorea, hackten sich während Protesten vor der japanischen Botschaft zwei Personen die Finger ab. Sie bekundeten so ihren Unmut über die Situation um die von Südkorea und Japan beanspruchten Dokdo- /Takeshima-Inseln, die in der neuen Auflage des Lehrbuchs als zu Japan gehörig bezeichnet werden.122

Die Kontroversen um die Veröffentlichung der Werke der „Gesellschaft für das Erstellen neuer Geschichtslehrbücher“ wirkten sich jedoch auch auf die anderen Schulbücher aus, die aus Sorge vor konservativen Gegenreaktionen einen zurückhaltenderen Stil zu adaptieren begannen. Während 1997 Mittelschullehrbücher für Geschichte noch Zahlen zum Nanking-Massaker enthielten, fehlen diese in den meisten, um 2005 herausgegebenen Neuauflagen. Der Ausdruck „Massaker“ verschwand ebenso fast vollständig und wurde durch das Wort „Zwischenfall“ ersetzt. Ähnlich erging es der Bezeichnung „Trostfrauen“, die um diese Zeit nicht mehr in den Schulbüchern auftaucht.123

Wenngleich die Zulassung ihrer Schulbücher als Erfolg für die Gesellschaft um Fujioka zu werten ist, so sorgten der Einsatz des Schulbuch-Netzwerks sowie einer Reihe von BürgerInneninitiativen letztendlich dafür, dass beide Auflagen des Geschichtslehrbuchs kaum zum Einsatz kamen. Nur 0,1% der Schulen hatten die erste Ausgabe 2002 in Gebrauch. 2006 nutzten wiederum nur 0,4% der japanischen Schulen das „Neue Geschichtslehrbuch“ im Unterricht. Im Vergleich zur ersten Auflage stellte dies zwar eine Steigerung dar; das von der Gesellschaft selbstgesteckte Ziel von 10% Marktanteil wurde aber bei weitem nicht erreicht.124 Im Gegenteil, 2007 ließ der Verlag Fusōsha das Lehrbuch der Gesellschaft mit folgender Begründung fallen: „We want [the New History Textbook] to go to another company for simple economic reasons. If the acceptance rate is the same as last time, it is sure to create a colossal deficit for our textbook unit.“125 Auch die allgemeine Akzeptanz, die sich die „Gesellschaft

122 Vgl. Wang, Old Wounds, New Narratives, 102. 123 Vgl. Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 115-116. 124 Vgl. Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan, 118; Penney, Wakefield, Right Angles, 548; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 111. 125 Siehe: Penney, Wakefield, Right Angles, 550. 60

für das Erstellen neuer Geschichtslehrbücher“ für ihre Arbeit erhofft hatte, sowie das nachhaltige Einwirken auf die Kriegserinnerung in der japanischen Gesellschaft blieben aus. Ein weiterer Rückschlag für die Vereinigung stellte sich im Januar 2006 ein, als Nishio Kanji seinen Austritt erklärte. Er zeigte sich desillusioniert über das bisher Erreichte und ließ verlauten: „I no longer feel that I can communicate with young people.“126

Tatsächlich sah es zu dieser Zeit aus, als würde das revisionistische Lager um die Schulbücher zerfallen. Die Trennung vom Verlag Fusōsha markierte gleichzeitig die Spaltung der Gesellschaft in zwei Lager. Die Gruppe um Fujioka arrangierte sich mit dem Verlag Jiyūsha und führt indes die Gesellschaft fort, während andere Mitglieder sich zum Kyōkasho Kaizen no Kai („Verein zur Verbesserung der Schulbücher“) zusammenschlossen und seitdem für Ikuhōsha, ein Tochterunternehmen des Fusōsha-Verlagshauses, publizieren. Jede dieser Gruppen brachte in den Folgejahren ein eigenes Geschichtslehrbuch heraus. Unter Jiyūsha erschien das „Neue Geschichtslehrbuch für Mittelschulen“ (Chugaku Shakai: Atarashii Rekishi Kyōkasho); Ikuhōsha veröffentlichte die „Neue Geschichte Japans“ (Atarashii Nihon no Rekishi). Beide Werke folgen der Linie des „Neuen Geschichtslehrbuchs“, wobei das Jiyūsha-Lehrbuch überhaupt keine Informationen zum Nanking-Massaker enthält. Seit 2010 wird das Ikuhōsha-Schulbuch von konservativen LDP-PolitikerInnen, darunter Abe Shinzō, im Rahmen einer Kampagne beworben. Im Hintergrund zieht erneut die mächtige Nippon Kaigi die Fäden, zu welcher der „Verein zur Verbesserung der Schulbücher“ gute Kontakte pflegt. Gleichzeitig begannen politisch gleichgesinnte BürgermeisterInnen und GouverneurInnen, die lokalen Bildungsausschüsse mit RevisionistInnen zu besetzen, um so Einfluss auf die Schulbuchwahl auszuüben. Durch die Entscheidungen der Ausschüsse konnten die Ikuhōsha-Bücher bereits in Schulen in ganz Yokohama und im Tokioter Bezirk Ōta eingeführt werden. 2016 wurden sie in Bildungsstätten Osakas in Gebrauch genommen, wenn auch unter Protesten. Mittlerweile liegt der Marktanteil der Ikuhōsha-Lehrbücher bei 6%. Die Schulen selbst müssen dabei die Verfügungen der Bildungsausschüsse akzeptieren. Gleichzeitig schwindet der Einfluss der

126 Siehe: Penney, Wakefield, Right Angles, 550. 61

LehrerInnengewerkschaften, die sich gegen die Benutzung revisionistischer Schulbücher im Unterricht aussprechen können.127

Seit 2015 lässt sich in allen neu zugelassenen japanischen Geschichtsbüchern zusätzlich lesen, dass die umstrittenen Inseln Senkaku/Diaoyu (die von der Volksrepublik China beansprucht werden) und Dokdo/Takeshima (derzeit im Einflussbereich Südkoreas) zu Japan gehören. Sechs der sieben in diesem Jahr herausgebrachten Lehrbücher verharmlosten zudem die Rolle des Militärs bei den Massensuiziden auf Okinawa. Nur ein Schulbuch thematisiert die Trostfrauen.128

Der konservative Einfluss der Abe-Administration zeigt sich indes mit der Wiedereinführung des Fachs Moralkunde (dōtoku), das seit April 2018 in Grundschulen und mit April 2019 in allen Mittelschulen Japans unterrichtet wird. Kritische Stimmen sehen darin eine Rückkehr zu den Indoktrinationspraktiken des Kaiserreichs. Die Lehrbücher für das Fach wurden zudem vom Erziehungsministerium selbst entworfen, ohne einer Kontrolle von außen unterworfen zu sein. Um keine Probleme während des Kontrollverfahrens zu bekommen, lehnen sich AutorInnen bei der Erstellung neuer Moralkunde- Lehrbücher daher stark an die vom Ministerium gewünschten Inhalte an.129

4.6. Versuche länderübergreifender Kooperation

„If textbooks and other narratives of history can become a source of conflict between different countries, then, conversely, their revision through joint writing can promote reconciliation and conflict resolution.“130 Mit diesen Worten beschreibt Wang Zheng die Möglichkeit, durch gemeinsame

127 Vgl. Kazuya Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy at a Crossroads? Joint History Research, Politicization of Textbook Adoption Process, and Apology Fatigue in Japan. In: Global Change, Peace & Security 30 (2018) 313-334, hier: 324; Mina Pollmann, Why Japan’s Textbook Controversy Is Getting Worse. In: The Diplomat, 08.04.2015. URL: https://thediplomat.com/2015/04/why-japans-textbook-controversy-is-getting-worse/ (25.03.2019); Collin Rusneac, Sven Saaler, “Education and Patriotism” (Kyōiku to Aikoku). A Documentary. In: The Asia-Pacific Journal, Japan Focus 16, Iss. 18 (2018). URL: https://apjjf.org/2018/16/Rusneac.html (25.03.2019). 128 Vgl. Pollmann, Why Japan’s Textbook Controversy Is Getting Worse (08.04.2015). 129 Vgl. Rusneac, Saaler, “Education and Patriotism” (2018). 130 Siehe: Zheng Wang, Old Wounds, New Narratives, 106. 62

Geschichtsschreibung die historisch-politischen Wogen zwischen Japan und seinen Nachbarländern zu glätten. Tatsächlich wurden in den vergangenen zwei Jahrzehnten einige vielversprechende Projekte gestartet.

Während sich in Japan und der Republik Korea schon seit den frühen 1990er Jahren private Gruppen und Organisationen im Rahmen gemeinsamer historischer Forschung austauschten, folgte die erste offizielle Initiative 1997. Hier kamen der südkoreanische Präsident Kim Young-sam und der japanische Premierminister Hashimoto Ryūtarō überein, das „Gemeinsame japanisch- koreanische Komitee zur Förderung der Geschichtswissenschaft“ (Nikkan Rekishi Kenkyū Sokushin ni Kansuru Kyōdō Iinkai) einzurichten, um die historische Recherche in beiden Ländern voranzutreiben. Das aus sechs Mitgliedern bestehende Komitee traf sich zwischen 1997 und 2000 insgesamt fünf Mal. Zudem nahm es mit 24 weiteren ForscherInnen aus Japan und Südkorea am „Korea-Japan Forum für Geschichte“ (Nikkan Rekishi Fōramu) teil, das 1998 in Miyazaki, Japan, und 1999 in Daejeon, Südkorea, tagte. In einem an beide Regierungen gerichteten Schlussbericht erklärte das Komitee im Jahr 2000, dass es erforderlich wäre, weiter zu kooperieren und gemeinsame Unterrichtsmaterialien auszuarbeiten. Da es jedoch keinen konkreten Plan zum weiteren Vorgehen sowie zu den Unterrichtsinhalten vorlegen konnte, wurden die Ergebnisse von KritikerInnen als unerheblich eingestuft. Mehr noch, sie sahen das Projekt als leere Geste der japanischen Regierung, die einen aufrichtigen Dialog mit Südkorea vermeiden wolle.131

Im Oktober 2001 beschlossen Premierminister Koizumi und Präsident Kim Dae- jung ein zweites staatliches Projekt zur japanisch-koreanischen Geschichtsforschung. Es wurde als Antwort auf den japanischen Schulbuchstreit des Jahres 2001 ins Leben gerufen, aber auch Koizumis kontroverser Yasukuni- Besuch im August des Jahres machte eine verstärkte Kommunikation mit Südkorea erforderlich. Das „Gemeinsame Forschungskomitee für Geschichte“ (Nikkan Rekishi Kyōdō Kenkyū Iinkai) sollte die Fragen um die

131 Vgl. Lionel Babicz, Japon, Chine, Corée. Vers une conscience historique commune? In: Ebisu 37 (2007) 19-46, hier: 22; Japan Center for International Exchange, Korea-Japan Joint Committee for Promoting History Studies. URL: http://www.jcie.or.jp/thinknet/forums/k- j_history.html (25.03.2019). 63

Geschichtsdarstellungen in den Schulbüchern ein für alle Mal klären. Es nahm seine Tätigkeit im Folgejahr auf und setzte sich zum Ziel, den japanisch- koranischen Austausch von der Antike bis in die Gegenwart zu beleuchten. Zwischen Mai 2002 und März 2005 fanden sechs Treffen statt, in deren Rahmen sich die HistorikerInnen der Identifizierung von gemeinsamen geschichtlichen Bereichen und damit verbundenen Problemfeldern widmeten. Pädagogische Belange wie das Entwerfen gemeinsamer Unterrichtsmaterialien wurden hingegen nicht berücksichtigt. Allerdings kam es bald zu Streitigkeiten zwischen den GeschichtswissenschaftlerInnen. Besonders über die Bewertung der japanischen Kolonialherrschaft in Korea und die Entschädigung der Trostfrauen herrschte Uneinigkeit. Im Juni 2005 veröffentlichte das Komitee seinen Abschlussbericht, der im Internet sowohl auf Japanisch als auch auf Koreanisch zur Verfügung gestellt wurde. Der 1.400 Seiten lange Report war eher fachspezifisch gehalten und erregte folglich nur wenig Aufsehen in der Bevölkerung. Wirkliche Auswirkungen auf die japanische Geschichtsschreibung hatte er ebenso wenig, da Japan sich weigerte, die Forschungserkenntnisse des Komitees in seine Schulbücher einfließen zu lassen. Darüber war letztlich ein Streit mit der koreanischen Seite entbrannt.132

2007 ging das Projekt in eine zweite Phase, wobei sich die WissenschaftlerInnen erneut in Untergruppen zu den verschiedenen geschichtlichen Epochen austauschten. Doch vor allem im zeitgeschichtlichen Bereich kam es erneut zu Reiberein. Koreanische ForscherInnen bestanden darauf, dass ihr Land von Japan ausgebeutet und die Bevölkerung ihrer Identität beraubt worden war; Japan entgegnete wiederum, es habe die Modernisierung Koreas vorangetrieben. Folglich machte der 2010 veröffentlichte, 2.000 Seiten lange Abschlussbericht deutlich, welch unterschiedliche Auffassungen Japan und Südkorea von ihrer modernen Geschichte haben. Damit verbunden bestand auch Uneinigkeit darüber, was in den Schullehrbüchern behandelt bzw. nicht thematisiert werden sollte. Offizielle Bemühungen, durch gemeinsame

132 Vgl. Babicz, Japon, Chine, Corée, 22-26; Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy, 319. 64

historische Forschung den Streit um Japans militaristische Vergangenheit beizulegen, waren damit jedenfalls gescheitert.133

Die erste private Initiative, ein gemeinsames japanisch-koreanisches Schulbuch zu verfassen, geht auf das Jahr 2001 zurück. Eine Gruppe von 11 japanischen und südkoreanischen MittelschullehrerInnen, ihrerseits Mitglieder der Lehrergewerkschaften von Hiroshima und Daegu, gründeten ein gemeinsames Publikationsteam für Unterrichtsmaterialien. Auch sie stellten sich gegen die Veröffentlichung des revisionistischen „Neuen Geschichtslehrbuchs“ in Japan. Ursprünglich hatte sich die Gruppe vorgenommen, über neuzeitliche und zeitgeschichtliche Themen zu schreiben; nach einigen Überlegungen beschloss sie jedoch, von dieser tiefgreifenden Problematik Abstand zu nehmen. Ihr 2005 in Japan und Südkorea veröffentlichtes Werk handelt somit von den japanisch- koreanischen Beziehungen zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert und trägt den Titel „Koreanische Gesandtschaften nach Japan: Von Toyotomi Hideyoshis Invasion Koreas bis zur Freundschaft“ (Chōsen Tsūshinshi: Toyotomi Hideyoshi no Chōsen Shinryaku kara Yūkō e).134

Im Jahr 2002, nicht allzu lange nach der umstrittenen Zulassung des „Neuen Geschichtslehrbuchs“, organisierten sich unabhängige WissenschaftlerInnen, LehrerInnen und BürgerInnen aus Japan, Südkorea und der Volksrepublik China. Sie trafen sich im Rahmen des „Ostasiatischen Friedensforums für Geschichtsbewusstsein“ (Rekishi Ninshiki to Higashi Ajia no Heiwa Fōramu) in Nanking, um über die Anerkennung geschichtlicher Vorfälle und deren Behandlung in Schulbüchern zu diskutieren. Das Forum stellte sich offen gegen eine revisionistische Geschichtsschreibung und beschloss, ein erstes gemeinsames Geschichtslehrbuch für alle drei Länder zu verfassen.135 Dazu wurde ein gemeinsamer Redaktionsausschuss von über 50 Personen, darunter ForscherInnen, LehrerInnen und NGO-MitarbeiterInnen, eingerichtet. Bemerkenswert war, dass das aufwendige Projekt ohne Sponsoren oder andere Fördermittel begonnen wurde. Nach elf Treffen wurde im Mai 2005 schließlich

133 Vgl. Kimura, Discovery of Disputes, 97-98; Korea JoongAng Daily Online, A Small Step for the Future. 24.03.2010. URL: http://koreajoongangdaily.joins.com/news/article/ article.aspx?aid=2918236 (25.03.2019). 134 Vgl. Babicz, Japon, Chine, Corée, 30-31. 135 Vgl. Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan, 118. 65

eine gemeinsame Unterrichtsbeilage136 für das Fach Geschichte in allen drei Ländern gleichzeitig veröffentlicht. Das Werk, das im Japanischen den Titel „Mirai o Hiraku Rekishi: Higashi Ajia 3-Goku no Kingendaishi“ („Geschichte, welche die Zukunft öffnet: Die moderne Geschichte dreier ostasiatischer Staaten“) trägt, sollte eine Alternative zum ebenfalls 2005 herausgegebenen „Neuen Geschichtslehrbuch“ darstellen, gegen dessen Einführung an Schulen sich die Forumsmitglieder aussprachen. Der ergänzende Unterrichtsband beginnt mit der Modernisierung Japans nach der Meiji-Restauration, wobei sich etwa die Hälfte des Buches detailliert der japanischen Expansion und der Invasion der Nachbarländer widmet. Ein weiteres Kapitel befasst sich mit dem Wiederaufbau der drei Nationen nach dem Krieg und den Bemühungen um Aussöhnung. Im Epilog mit dem Titel „Für eine friedliche Zukunft Ostasiens“ werden mehrere umstrittene Themen behandelt, welche noch heute die Beziehungen Japans zu den Nachbarländern beeinträchtigen. Dabei geht es um Entschädigungsfälle, Trostfrauen, Streitigkeiten um die Schulbuchinhalte und die Besuche des Yasukuni-Schreins durch japanische Regierungsoberhäupter. Es lässt sich schwer feststellen, wie oft das Buch inzwischen in Klassenzimmern zum Einsatz kam; verkauft hat es sich in allen drei Ländern jedenfalls gut. In der Volksrepublik China war die erste Auflage von 20.000 Exemplaren bereits innerhalb von zwei Tagen vergriffen. Die japanische und koreanische Version verkaufte sich ebenso 20.000 Mal innerhalb der ersten Woche. Das Interesse an solchen Projekten ist damit nicht von der Hand zu weisen. Neben Lob gab es aber auch Kritik am Schulbuch, hauptsächlich da es wichtige innenpolitische Ereignisse wie den Chinesischen Bürgerkrieg und die Etablierung der kommunistischen Führung in China einfach übergeht. In gleicher Weise wird der Zweite Weltkrieg auf den Pazifikkrieg reduziert. Manche KritikerInnen empfehlen das Buch daher nur in Ergänzung zu anderen Schulbüchern.137

Am ersten März 2007, dem Jahrestag der koreanischen Unabhängigkeitsbewegung gegen die japanische Besetzung, wurde das Buch

136 Das Werk wurde nicht als Schulbuch veröffentlicht, da es dazu in allen drei Ländern ein strenges Zulassungsverfahren hätte durchlaufen müssen (Vgl. Wang, Old Wounds, New Narratives, 116-117). 137 Vgl. Babicz, Japon, Chine, Corée, 36; Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 117-118, Wang, Old Wounds, New Narratives, 106-109, 116. 66

„Die Geschichte des japanisch-koreanischen Austausches: Gemeinsame Geschichtsunterrichtsmaterialien für Japan und Korea: Von der Vorgeschichte bis zur Moderne“ (Nikkan Kōryū no Rekishi: Nikkan Rekishi Kyōtsū Kyōzai: Senshi kara Gendai made) zeitgleich in Südkorea und Japan publiziert. Es war der erste Versuch einer Gruppe von etwa 20 LehrerInnen und ForscherInnen aus Japan und Südkorea, die vollständige Geschichte der japanisch-koreanischen Beziehungen niederzuschreiben. Das Werk entstand nach zehnjähriger Arbeit, während der sich die ProjektteilnehmerInnen frei austauschen konnten. So war es ihnen möglich, offiziellen Druck und andere Einschränkungen, die ihnen im Rahmen staatlicher Zusammenarbeit erwachsen wären, zu vermeiden. Bedauerlicherweise liegen auch hier keine Informationen über den Gebrauch in Schulen vor.138

Im Gegensatz zur Zusammenarbeit mit Südkorea gab es zwischen Japan und der Volksrepublik China nur wenige Initiativen für eine gemeinsame Geschichtsforschung.139

2006 wurde zwischen Premierminister Abe140 und Staatspräsident Hu Jintao offiziell die Gründung der „Gemeinsamen japanisch-chinesischen Forschungskommission für Geschichte“ (Nitchū Rekishi Kyōdō Kenkyū) beschlossen. Damit wurde zugleich eine Annäherung zwischen den beiden Ländern signalisiert. Die Kommission bestand aus 22 Mitgliedern (darunter HistorikerInnen und PolitikwissenschaftlerInnen), die sich in Untergruppen den verschiedenen geschichtlichen Epochen widmeten. Zwischen 2006 und 2010 fanden vier Treffen statt. Schon während der ersten Sitzung kam es zu offenen Meinungsverschiedenheiten, weshalb die Übereinkunft getroffen wurde, keine gemeinsame japanisch-chinesische Geschichte zu schreiben. Dafür sollten Einzelberichte verfasst werden, welche die WissenschaftlerInnen der anderen Seite mit Anmerkungen versehen konnten. Von Anfang an war die Kommission jedoch durch die politischen Ansichten insbesondere der chinesischen VertreterInnen eingeschränkt, welche in ihrer Geschichtsschreibung auf die

138 Vgl. Babicz, Japon, Chine, Corée, 27. 139 Vgl. Schneider, Japanese History Textbook Controversy, 117. 140 Seit Koizumis Yasukuni-Besuch im Jahr 2001 hatte kein japanischer Premierminister mehr eine Einladung nach Peking erhalten. Abe bemühte sich folglich um diplomatische Annäherung. 67

vorgegebenen Erzählungen der kommunistischen Führung zurückgriffen. Nach dem Abschluss des Projekts 2010 wurden daher keine ähnlichen Versuche der geschichtswissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Volksrepublik China und Japan mehr vereinbart.141

Im gleichen Jahr, als die japanisch-chinesische Forschungskommission ihre Arbeit aufnahm, brachte eine Gruppe chinesischer und japanischer WissenschaftlerInnen ein Buch namens „Geschichtsbewusstsein, das Grenzen überschreitet: Versuch eines japanisch-chinesischen Dialogs“ (Kokkyō o Koeru Rekishi Ninshiki: Nitchū Taiwa no Kokoromi) heraus. Es entstand nach fünf Jahren Arbeit und wurde auf Japanisch und Chinesisch veröffentlicht. Kritische Stimmen bemängelten jedoch, dass der chinesische Beitrag eher bescheiden bemessen war. Von den elf MitarbeiterInnen stammten nur drei aus China, wobei sie auch nicht mehr in der Volksrepublik tätig waren. Trotzdem bietet das Werk einen Überblick über die wichtigsten Vorkommnisse der japanisch-chinesischen Beziehungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Von 13 Kapiteln behandelt eines den Marionettenstaat Mandschukuo; ein weiteres ist dem Nanking- Massaker gewidmet. Auch gegenwärtige Kontroversen wie die Besuche des Yasukuni-Schreins werden thematisiert.142

Neben diesen Werken wurden insbesondere in japanisch-koreanischer Zusammenarbeit noch weitere Geschichtsbücher von inoffiziellen AkteurInnen erstellt. Dabei sind es zumeist WissenschaftlerInnen und LehrerInnen, die sich gegen die revisionistischen Tendenzen in der japanischen Geschichtsschreibung stellen. Aufgrund des mangelnden Drucks, die offizielle Position der eigenen Regierung vertreten zu müssen, scheinen Privatinitiativen auf diesem Gebiet wesentlich erfolgreicher zu sein. Auch wenn noch lange keine Überwindung der historischen Differenzen zwischen Japan und seinen Nachbarländern in Sicht ist, haben BürgerInnen bereits bemerkenswerte Schritte in der gegenseitigen Kooperation gesetzt.

141 Vgl. Babicz, Japon, Chine, Corée, 32-33; Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy, 320-322. 142 Vgl. Babicz, Japon, Chine, Corée, 33-34. 68

5. Die Trostfrauen

5.1. Hintergründe und Anwerbung

Der Begriff „Trostfrauen“ (Ianfu) bezeichnet Mädchen und Frauen, die vom japanischen Militär in den Kolonien und okkupierten Gebieten zwischen 1932 und 1945 systematisch verschleppt und zur Prostitution gezwungen wurden. Zu etwa 80-90% waren dies Koreanerinnen, aber auch Mädchen und Frauen aus China, Taiwan, den Philippinen, Indonesien (zuvor unter niederländischer Herrschaft), Malaysia und Vietnam zählten dazu. Sie mussten Soldaten in sogenannten Troststationen (Ianjo) dienen, die dem Zweck dienten, die Moral der Armeeangehörigen zu heben. Die Troststationen wurden von privaten Vertragsnehmern oder militärischen Einheiten betrieben, die manchmal auch auf lokale, bereits existierende Bordelle zurückgriffen. Eine erste solche Station befand sich bereits um 1932 in Shanghai; mit dem Zweiten Japanisch- Chinesischen Krieg 1937 wurden sie dann großflächig angelegt.143

Aussagen über die Gesamtzahl der Trostfrauen sind umstritten und weichen mitunter stark voneinander ab. Der konservative japanische Historiker Hata Ikuhiko etwa geht von 20.000 Zwangsprostituierten aus, während die Schätzungen des liberal eingestellten Geschichtswissenschaftlers Yoshimi Yoshiaki zwischen 45.000 und 200.000 Trostfrauen schwanken.144 Neben der Anzahl der Trostfrauen sind vor allem die Art der Anwerbung sowie die dahinterstehenden Akteure strittig. Laut konservativer Ansicht waren die Trostfrauen freiwillige, bezahlte und gut behandelte Prostituierte. Auch die Beteiligung des japanischen Militärs bzw. der Regierung an der Errichtung des Trostfrauen-Systems wurden und werden noch immer abgestritten. Stattdessen wird die Mitwirkung von KoreanerInnen bei der Rekrutierung der Frauen hervorgehoben und unterstrichen, dass auch koreanische Soldaten in der japanischen Armee die Troststationen nutzten. Die gewaltsame Verschleppung der oft noch minderjährigen Mädchen und die Anwerbung durch Vorspiegelung

143 Vgl. Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy, 315; Ku, Comfort Women Controversy, 261-262; Shunichi Takekawa, Reconciliation Prospects and Divided War Memories in Japan. An Analysis of Major Newspapers on the Comfort Women Issue. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on-Thames/New York 2019) 79-94, hier: 81. 144 Vgl. Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy, 315. 69

falscher Tatsachen werden dabei ausgeblendet, bzw. als Ausnahmefälle klassifiziert. Dabei landeten unter denselben Umständen auch professionelle Prostituierte in den Troststationen.145

Ursprünglich sollten durch den Einsatz berufsmäßiger Sexarbeiterinnen Vergehen der japanischen Soldaten an der Zivilbevölkerung vermieden und die Ausbreitung von Geschlechtskrankheiten eingedämmt werden. Nachdem jedoch bald keine freiwilligen Prostituierten mehr gefunden werden konnten, begann das japanische Militär Zivilistinnen einzuziehen. Sie wurden durch Täuschung, wie etwa durch falsche Stellenangebote, oder mit Gewalt rekrutiert. Andere wurden von ihren verarmten Familien in die sexuelle Sklaverei verkauft. Die Trostfrauen erfuhren eine menschenunwürdige Behandlung und mussten im Durchschnitt täglich 20-30 Männern dienen, an Spitzentagen sogar 60. Sie litten unter anhaltender Gewaltanwendung und trugen langfristige physische und psychische Schäden, wie etwa Infertilität und posttraumatische Belastungsstörungen, davon. Zu Kriegsende wurden die Frauen entweder von den Soldaten zurückgelassen, umgebracht oder zum Suizid gezwungen. Viele weitere erlagen später ihren Verletzungen oder begingen Selbstmord. Während einige der Überlebenden von den Alliierten nach Hause geschickt wurden, blieben andere oft aus Scham im Ausland zurück. Denn vor allem in Korea wurden die Trostfrauen noch zusätzlich stigmatisiert.146 Sie entsprachen nun nicht mehr den konfuzianischen Werten der Keuschheit und Reinheit, die an junge Frauen gestellt wurden. So weigerten sich manche Familien, ihre „entehrten“ Töchter wieder aufzunehmen. Ehemalige Trostfrauen mussten ihre Vergangenheit mitunter sogar vor ihren Ehepartnern verbergen, um nicht verlassen zu werden. Eine Überlebende namens Lee Young-ok berichtete über ihre Erfahrungen: „At that time, a woman’s chastity was considered to be more important than her life. How could I tell people I was daily raped by many soldiers. It would have been a great humiliation to my parents.

145 Vgl. Mikyoung Kim, Introduction. Memory and Reconciliation in East Asia. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on- Thames/New York 2019) 1-10, hier: 4; Takekawa, Reconciliation Prospects and Divided War Memories, 81; Hiro Saito, The History Problem. The Politics of War Commemoration in East Asia (Honolulu 2017) 164-165. 146 Vgl. Asian Women’s Fund, Who Were the Comfort Women? Women Were Collected. URL: http://www.awf.or.jp/e1/facts-05.html (08.04.2019); Ku, Comfort Women Controversy, 261-262. 70

Many times I regretted I came back home alive. It would have been better for me to die there.“147

Gerade wegen der Leiden, welche die Frauen erdulden mussten, wirkt der positive Klang des Begriffs „Trostfrauen“ befremdlich. In ihm zeigen sich kulturell- religiöse Traditionen wie das konfuzianische Ideal der Harmonie und kotodama, der shintōistische Glaube an die magische Kraft der Wörter. Nach dem Prinzip der Harmonie wird auf das Erzielen von Konsens und das Vermeiden von Konflikten Wert gelegt. Kotodama andererseits geht davon aus, dass negative Wörter die Realität beeinflussen können, welche daher tunlichst vermieden werden. Vor allem Begriffe im Zusammenhang mit Krieg und Gewalt sind davon betroffen. Beide Vorstellungen spiegeln sich bis heute im japanischen Sprachgebrauch und Journalismus wieder. So lässt sich auch erklären, warum Sexsklavinnen als „Trostfrauen“ bezeichnet werden. Nachdem das Thema jedoch insbesondere im Zusammenhang mit den japanischen Geschichtslehrbüchern zum Streitfall avancierte, begannen japanische AutorInnen, den kontroversen Ausdruck „Trostfrauen“ seltener zu verwenden. Westliche Medien wie The Guardian, The New York Times und The Washington Post berichten über die Zwangsprostituierten mittlerweile unter der expliziten Beschreibung „Sexsklavinnen in Kriegszeiten“. In der akademischen Literatur ist der Begriff „Trostfrauen“ jedoch weiterhin geläufig.148

5.2. Kriegsverbrecherprozesse und erste Übereinkommen

Der zwischen 1946 und 1948 tätige Internationale Militärgerichtshof für den Fernen Osten bezog zwar Massenvergewaltigungen durch die japanische Armee in Nanking und Manila in die Anklage mit ein, jene an anderen Orten wurden allerdings ausgeblendet.149 Stattdessen beschränkten sich die Verfahren auf

147 Siehe: Katrina Maynes, Korean Perceptions of Chastity, Gender Roles, and Libido. From Kisaengs to the Twenty First Century. In: Grand Valley Journal of History 1, Iss. 1, Art. 2 (2012) 1-19, hier: 16. 148 Vgl. Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy, 315; Killmeier, Chiba, Neo- Nationalism Seeks Strength, 339. 149 Vgl. David Cohen, Öffentliche Erinnerung und Kriegsverbrecherprozesse in Asien und Europa. In: Christoph Cornelißen, Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945 (Frankfurt am Main ²2004) 51- 71

Verbrechen gegen den Frieden, welche nebenbei auch die Alliierten betrafen. Dazu zählten etwa der ohne vorherige Kriegserklärung erfolgte Angriff auf Pearl Harbor sowie die Misshandlung alliierter Kriegsgefangener. Die an AsiatInnen begangenen Kriegsverbrechen wie etwa das Nanking-Massaker oder die Ausbeutung koreanischer ZwangsarbeiterInnen in japanischen Minen und Fabriken wurden hingegen kaum beachtet. Auch die Trostfrauen erfuhren bei den Tokioter Prozessen keine Aufmerksamkeit, obwohl die USA um die systematische Rekrutierung der Zwangsprostituierten wussten. In Japan selbst wurde das Thema ebenfalls verschwiegen. Tatsächlich ließen unmittelbar nach der Kriegsniederlage das Militär und die Regierung Japans zahlreiche belastende Dokumente vernichten, um etwa wegen der gewaltsamen Behandlung der Sexsklavinnen nicht zur Verantwortung gezogen zu werden.150

Obwohl einige ehemalige Trostfrauen in den Kriegsverbrecherprozessen der Klassen B und C als Zeuginnen aussagten, wurde ihr Anliegen auch hier nicht weiter verfolgt. Von einer Entschädigung der Frauen konnte ohnehin keine Rede sein. Die Japan im Friedensvertrag von San Francisco auferlegten verminderten Reparationszahlungen wurden von den USA gegen den Protest anderer asiatischer Länder wie China und den Philippinen durchgesetzt. Im Artikel 14 des Vertrags wurde festgelegt, japanisches Vermögen in Übersee im Gesamtwert von umgerechnet etwa 25 Milliarden US-Dollar einzuziehen. Jene Länder, in denen sich die Geldwerte befanden, durften diese als Reparationszahlungen behalten. Daneben entrichtete die japanische Regierung zusätzlich eine Milliarde US-Dollar an die zwischen 1941 und 1945 besetzten Länder Burma, Vietnam, Indonesien und die Philippinen und versprach, mit den übrigen Staaten zu verhandeln. Über das Internationale Komitee vom Roten Kreuz spendete Japan gemäß Artikel 16 des Friedensvertrags 16 Millionen US-Dollar zugunsten alliierter Kriegsgefangener. Keine Kompensation erhielten hingegen die Trostfrauen sowie die hunderttausenden chinesischen und koreanischen ZwangsarbeiterInnen, die von Japan während der Besetzung ausgebeutet

66, hier: 59; Dan Zhu, From Tokyo to Rome. A Chinese Perspective. In: Daqun Liu, Binxin Zhang (Ed.), Historical War Crimes Trials in Asia (Brussels 2016) 31-57, hier: 31. 150 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 262-263; Gi-Wook Shin, Divided Memories and Historical Reconciliation in East Asia. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on-Thames/New York 2019) 402-415, hier: 408. 72

wurden. Auch Koreaner, Chinesen und Taiwanesen, die vor 1945 noch die japanische Staatsbürgerschaft besessen und im japanischen Heer gedient hatten, wurden ignoriert. Die japanische Regierung wandte sich vorrangig den eigenen Heimkehrern und Familienmitgliedern der Gefallenen zu, die durch Vereine wie den Nihon Izokukai zu den wahren Opfern des Kriegs erklärt wurden. Die ohnehin schon von den USA zugunsten der japanischen Wirtschaft herabgesetzten Kompensationszahlungen müssen daher als Lippenbekenntnis zur Zufriedenstellung der Alliierten betrachtet werden.151

Bezüglich der Aufarbeitung des Kriegsgeschehens ging es in der Zeit zwischen 1945 und 1965 vordergründig um die Rechtmäßigkeit der japanischen Kolonialherrschaft in Korea, welche auf staatlicher Ebene diskutiert wurde. Kriegsverbrechen kamen auch deshalb kaum zur Sprache, da die repressiven Diktaturen Rhee Syng-mans (1948-1960) und Park Chung-hees (1961-1979) Diskussionen über politische Belange, inklusive Einzelheiten aus der Kolonialzeit, unterbanden. Park selbst war ein ehemaliger Leutnant in der Armee des Mandschurischen Kaiserreichs, war also zumindest damals pro-japanisch eingestellt. Mitglieder seiner Regierung unterzeichneten am 22. Juni 1965 den Grundlagenvertrag zwischen Japan und der Republik Korea, mit dem die Beziehungen zwischen beiden Ländern normalisiert und diplomatische Kontakte offiziell wiederhergestellt werden sollten. Gleichzeitig wurde ein Übereinkommen unterzeichnet, in dem Japan sich bereit erklärte, 300 Millionen US-Dollar an Wirtschaftshilfe und Kredite in Höhe von insgesamt 500 Millionen US-Dollar an Südkorea zur Verfügung zu stellen.152 Mit diesem Vertrag sollten die finanziellen Fragen aus der Kriegsvergangenheit endgültig geklärt werden. Für Japan stellte das Dokument später die Grundlage für die Abweisung der individuellen Entschädigungsforderungen von Trostfrauen dar, deren Anliegen erst nach der Unterzeichnung des Vertrags ins Blickfeld der Öffentlichkeit rückten. Auf der koreanischen Seite wurde später behauptet, dass das Thema Trostfrauen 1965

151 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 152-154; Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 83. 152 Vgl. United Nations Treaty Collection, No. 8473. Agreement on the Settlement of Problems concerning Property and Claims and on Economic Co-operation between Japan and the Republic of Korea. 22.06.1965. URL: https://treaties.un.org/doc/Publication/UNTS/ Volume%20583/volume-583-I-8473-English.pdf (25.03.2019). 73

nicht Teil der Verhandlungen war, vom Übereinkommen also nicht erfasst wurde.153

5.3. Beginn der Aufarbeitung

Erst in den späten 1970er und vor allem in den 1980er Jahren wurden die japanischen Kriegsverbrechen neu aufgerollt. In Japan erregte Yoshida Yūto 1977 großes Aufsehen, als er das Tabu des Schweigens brach und seine Kriegserinnerungen, die er zuerst in Brief- und Tagebuchform festgehalten hatte, unter dem Schriftstellernamen Yoshida Seiji veröffentlichte. Sein erstes Buch trug den Titel Chōsenjin Ianfu to Ihonjin: Moto Shimonoseki Rōhōdōin Buchō no Shuki („Koreanische Trostfrauen und Japaner: Bericht des früheren Mobilisierungsdirektors von Shimonoseki“); 1983 folgte sein zweites Werk Watakushi no Senso Hanzai: Chōsenjin Kyōseirenkō („Meine Kriegsverbrechen: Zwangsverschleppung von Koreanern“). Durch die Offenlegung seiner Taten versuchte Yoshida mit seiner Rolle während der japanischen Besetzung Koreas abzurechnen, ungeachtet dessen, dass ehemaligen Soldaten in Japan keine strafrechtliche Verfolgung drohte. Auch als Kriegsverbrecher war er nie verurteilt worden. Über seine Vergangenheit gab Yoshida an, zwischen 1942 und 1945 in Korea unter anderem mit der Rekrutierung von Zwangsprostituierten betraut gewesen zu sein – einen Prozess, den er als „Sklavenjagd“ (dorei gari) bezeichnete. Von bewaffneten Truppen begleitet habe er auf der Insel Jeju junge Koreanerinnen aus den Fabriken und Häusern gelockt bzw. sie gewaltsam verschleppen lassen, wobei die Frauen nur wenig später von den Soldaten vergewaltigt wurden. So schrieb Yoshida: „Wir setzten die Mädchenjagd fort. […] Die Truppen […] drangen in das nächste Gebäude ein, wo sich hinter auf dem Boden gestapelten gesalzenen Fischen zwanzig bis dreißig Menschen verbargen. […] Ein junges Mädchen, das von einem Soldaten an der Schulter gepackt wurde, schrie auf und schüttelte seine Hand ab. Eine ältere Frau drückte das Mädchen an sich und stellte sich zeternd auf. Der Soldat stieß die ältere Frau weg und schlug dem jungen Mädchen mit der flachen Hand laut klatschend ins

153 Vgl. Fukuoka, Japanese History Textbook Controversy, 319; Kimura, Discovery of Disputes, 103. 74

Gesicht; […] es kam zu einer heftigen Reiberei; schließlich drängten die Frauen, deren Kleider zerrissen und deren Brüste entblößt waren, sich heulend an die Stapel gesalzener Fische; sie wurden von den Soldaten in das Becken getreten und fielen zu Boden […]; die Soldaten ergriffen ihre Fußgelenke und schleppten sie lachend hinaus […]. Die Mädchen wurden vor mir niedergelegt, sie krümmten sich vor Schmerzen und hielten sich jammernd aneinander fest. […] Sie wurden von den herumstehenden Truppen mit Holzschwertern traktiert und dann auf die Lastwagen gestoßen.“154 Aufgrund solch emotionaler Schilderungen verkauften sich Yoshidas Bücher erfolgreich. Sie wurden ins Koreanische übersetzt und immer wieder von den Medien aufgegriffen. Sogar die UNO stützte sich 1996 auf Yoshidas Aussagen, als sie in einem Sonderbericht die Trostfrauen explizit als Sexsklavinnen qualifizierte. Neben der Veröffentlichung seiner Werke gab Yoshida zudem Interviews und hielt Vorträge, bei denen er sich wie folgend über seine Beweggründe äußerte: „Es geht mir nicht darum, dass ich, der Kriegsverbrecher, nach so vielen Jahren nun durch eine Beichte meinem Herzen Ruhe verschaffe. Auch wenn ich der Einzige sein sollte, der diese Fakten aufschreibt und der Nachwelt hinterlässt, kann ich den Enkeln von uns Japanern damit die Gewissheit geben, dass es Jahrzehnte zuvor wenigstens einen Menschen gab, der unter Tränen der Scham Selbstkritik übte an dem, was während der Annexion Koreas geschah; vielleicht werden sie dann an ihren Vorfahren nicht völlig verzweifeln.“155 Im gleichen Zug stellte sich Yoshida gegen die noch heute verbreitete Diskriminierung von in Japan lebenden KoreanerInnen und erinnerte daran, dass viele von ihnen erst durch die japanische Besatzungspolitik nach Japan kamen.156

Neben Yoshidas Wirken trug auch die Schulbuchaffäre von 1982 zur Neubewertung der Kriegsvergangenheit bei. In Japan wurden zu dieser Zeit die Kriegsverbrecherprozesse erneut thematisiert, wobei sich ein Symposium 1983 in Tokio auch mit den Leiden der Trostfrauen befasste. Südkorea stand zwar bis zur Demokratisierung in den späten 1980er Jahren unter der Kontrolle autoritärer

154 Siehe: Buchholz, Krieg und Kriegsverbrechen, 309-311. 155 Ebd., 311. 156 Ebd.; Julian Ryall, Seiji Yoshida’s Lies about “Comfort Women” Exploited by Japan’s Right. In: South China Morning Post Online, 12.10.2014. URL: https://www.scmp.com/news/asia/ article/1614619/seiji-yoshidas-lies-about-comfort-women-exploited-japans-right (25.03.2019). 75

Regime157, anti-japanische Kritik war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits erlaubt. Angeregt durch die internationale Frauenrechtsbewegung und den mit der Schulbuchaffäre empfundenen Rechtsruck in der japanischen Gesellschaft begannen auch hier Debatten um die Kriegsverbrechen die Öffentlichkeit zu erreichen. 1988 führten drei Mitglieder des Verbundes koreanischer Kirchenfrauen („Korea Church Women United“) eine Befragung zum Thema Trostfrauen in japanischen Metropolen durch. Im Jahr darauf protestierte der Verbund mit weiteren hauptsächlich christlichen Frauenorganisationen gegen die Entsendung eines südkoreanischen Botschafters zur Beerdigung Kaiser Hirohitos. 1990 formierte sich aus dem Zusammenschluss von 37 Frauenorganisationen eine NGO namens „Korean Council for the Women Drafted for Military Sexual Slavery by Japan“, die jede Woche vor der japanischen Botschaft in Seoul demonstrierte. Nachdem das Korean Council noch im gleichen Jahr Verstärkung durch die Tätigkeit des Koreanischen Rechercheinstituts für Chongsindae158 erfuhr, stellte es sich an die Spitze einer transnationalen Bewegung, die Gerechtigkeit für die Trostfrauen forderte. Im Frühjahr 1990, kurz vor dem Besuch des südkoreanischen Präsidenten Roh Tae-woo in Japan, richteten die Frauengruppen einen offenen Brief an die japanische Regierung und forderten eine offizielle Entschuldigung und Kompensationszahlungen.159 Premierminister Kaifu Toshiki weigerte sich jedoch, überhaupt eine Untersuchung zu den betreffenden Kriegsverbrechen durchführen zu lassen. Die Position der japanischen Regierung lautete bis dahin, sie sei niemals in das System der Zwangsrekrutierung von Sexsklavinnen involviert gewesen. Dieses sei stattdessen von privaten Vertragsunternehmen organisiert worden. 1991 brach schließlich eine ehemalige Trostfrau, Kim Hak-sun, ihr Schweigen. Sie berichtete im Rahmen einer Pressekonferenz unter Tränen über das ihr widerfahrene Leid, nachdem sie mit 17 Jahren zur Zwangsprostitution gezwungen worden war. Ihre Aussage erregte großes mediales Interesse und einige christliche Organisationen und Frauengruppen Japans begannen mit dem

157 Zuletzt durch Chun Doo-Hwan, Präsident von 1980 bis 1988. 158 Unter kor. chongsindae bzw. jap. teishintai wurde der Freiwilligenkorps koreanischer ArbeiterInnen verstanden, der verschiedene manuelle Tätigkeiten für die japanische Besatzungsmacht durchführte. Darunter waren FabriksarbeiterInnen, aber auch Sexsklavinnen. Mit der Zeit wurde der koreanische Begriff zu einem weiteren Euphemismus für Trostfrauen. 159 Vgl. Kimura, Discovery of Disputes, 100, 104-105; Ku, Comfort Women Controversy, 263- 264; Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 87-88. 76

Korean Council zusammenzuarbeiten. Japanische AktivistInnen waren es auch, die sich um die juristischen Belange kümmerten, als Kim und zwei weitere ehemalige Trostfrauen im Dezember 1991 eine Sammelklage gegen die japanische Regierung einreichten. Jede der Frauen forderte 20 Millionen Yen Schadenersatz. Zwischenzeitlich fand der Historiker Yoshimi Yoshiaki in den Archiven der Nationalen Verteidigungsagentur Materialen, welche die Position der japanischen Regierung widerlegten. Tage vor dem Besuch des Premierministers Miyazawa Kiichi in Südkorea veröffentlichte die Asahi Shimbun im Januar 1992 einen auf Yoshimis Ergebnissen basierenden Exklusivbericht über das Involvement des japanischen Militärs in das Trostfrauen-System. Ebenso forderte sie die Regierung auf, sich offiziell bei den Überlebenden zu entschuldigen. Dies wurde auch von anderen Zeitungen wie der Mainichi Shimbun und der konservativen Yomiuri Shimbun verlangt. Die Asahi forderte aber zusätzlich eine Entschädigung für die zwangsrekrutierten Frauen. Im März 1992 wandte sich das Korean Council schließlich an die UNO Menschenrechtskommission und ersuchte diese um die Durchführung einer Untersuchung. Die UNO nahm daraufhin die Aussagen von Mitgliedern des Korean Councils sowie einer früheren Trostfrau auf und thematisierte die Ergebnisse 1993 während der Weltkonferenz für Menschenrechte. Infolgedessen wurde Zwangsprostitution als Verbrechen gegen die Menschlichkeit anerkannt.160

5.4. Haltung der japanischen Regierung

Nachdem die japanische Regierung nur unzureichend auf die Forderungen der ehemaligen Trostfrauen und deren UnterstützerInnen reagierte, arrangierten AnwältInnen, HistorikerInnen und Intellektuelle die „Internationale öffentliche Anhörung betreffend der Nachkriegsentschädigung durch Japan“ (Nihon no Sengo Hoshō ni Kansuru Kokusai Kōchōkai) im Dezember 1992 in Tokio. Dazu lud das Korean Council ehemalige Trostfrauen aus sechs Ländern ein, die dort aussagen konnten. Eine der Frauen, Kang Soon-ae, erzählte unter anderem, wie

160 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 198; Ku, Comfort Women Controversy, 264-267; Takekawa, Reconciliation Prospects and Divided War Memories, 82-83. 77

sie mit 13 Jahren verschleppt wurde, um in einer Troststation täglich etwa 30 Soldaten zu dienen. Nach der Anhörung etablierte das Korean Council im Folgejahr eine NGO zur Recherche über die Kriegsverbrechen, das „Center for Research and Documentation on Japan’s War Responsibility“. Auch dieses war den ehemaligen Trostfrauen durch Recherchetätigkeiten vor Gericht behilflich.161 Im Rahmen der transnationalen Bewegung zugunsten der Trostfrauen war die japanische Regierung gezwungen, ihre Einstellung zu ändern. Im Januar 1992 gab Chefkabinettssekretär Katō Kōichi nach einer internen Untersuchung über die Trostfrauen öffentlich zu, dass die japanische Regierung in die Rekrutierung der Prostituierten involviert war: „[T]he inquiry has revealed that the Government had been involved in the establishment of comfort stations, the control of those who recruited comfort women, the construction and reinforcement of comfort facilities, the management and surveillance of comfort stations, the hygiene maintenance in comfort stations and among comfort women, and the issuance of identification as well as other documents to those who were related to comfort stations.“162 Gleichzeitig entschuldigte sich Katō im Namen der Regierung bei den ehemaligen Trostfrauen und bekräftigte das Bekenntnis Japans zum Pazifismus. Da er jedoch nicht auf die gewaltsame Verschleppung der Frauen eingegangen war, folgten Proteste von Frauengruppen aus asiatischen Nachbarländern. Im Rahmen weiterer Untersuchungen 1993 nahmen RegierungsvertreterInnen die Zeugenaussagen 15 früherer Trostfrauen in Seoul auf.163 Am 4. August 1993 berichtigte Chefkabinettssekretär Kōno Yōhei die Worte Katōs und räumte ein, dass die japanische Armee Frauen in die sexuelle Sklaverei gezwungen hatte: „The then Japanese military was, directly or indirectly, involved in the establishment and management of the comfort stations and the transfer of comfort women. The recruitment of the comfort women was conducted mainly by private recruiters who acted in response to the request of the military. The Government study has revealed that in many cases they were recruited against their own will, through coaxing coercion, etc., and that, at times, administrative/military personnel directly took part in the recruitments. They lived

161 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 264-265. 162 Siehe: Asian Women’s Fund, How Did the Comfort Women Issue Come to Light? URL: http://www.awf.or.jp/e2/survey.html (25.03.2019). 163 Ebd.; Ku, Comfort Women Controversy, 266-267; Nozaki, Selden, Historical Memory, International Conflict, 130. 78

in misery at comfort stations under a coercive atmosphere.“164 Trotz dieses Bekenntnisses bemängelten Trostfrauen und deren UnterstützerInnen das Abschieben der Verantwortung auf private AnwerberInnen, womit die Hauptrolle der japanischen Regierung an der Etablierung des Systems übergangen wurde. Die Abweisung individueller Schadenersatzforderungen ehemaliger Trostfrauen war ein weiterer Kritikpunkt. Kōno stellte zwar keine Entschädigungszahlungen in Aussicht, aber immerhin förderten seine Worte die verstärkte Aufarbeitung des Themas in den japanischen Geschichtslehrbüchern. Innerhalb der nächsten Jahre fanden sich (wenn auch nur kurze) Darstellungen zu den Trostfrauen in den meisten Schulbüchern.165 Am 23. August 1993 fühlte sich indes Premierminister Hosokawa Morihiro dazu veranlasst, im Parlament folgende Aussage zu machen: „First, on this occasion, we would like to express our deep remorse and apology for the fact that invasion and colonial rule by our nation in the past brought great sufferings and sorrow upon many people.“166 Dies war das erste Mal, dass ein japanischer Premierminister die Expansionspolitik des kaiserlichen Japans als Angriffskrieg charakterisierte und sich dafür entschuldigte. Hosokawas Schritt in Richtung einer Aussöhnung mit den Nachbarländern wurde jedoch von konservativen PolitikerInnen nicht gutgeheißen. Auch der Izokukai und der Yasukuni-Schrein protestierten. All diese Parteien hielten weiterhin an dem Narrativ fest, der „Großostasiatische Krieg“ habe der Selbstverteidigung Japans gedient.167

Hosokawas Rede, die er ein Jahr später im japanischen Parlament wiederholte, wurde letztlich wegweisend für die berühmte Murayama-Deklaration von 1995. Damals, zum 50. Jahrestag der japanischen Kapitulation, veröffentliche Premierminister Murayama Tomiichi eine Stellungnahme zur Kriegsvergangenheit Japans, in der er unter anderem bemerkte: „During a certain period in the not too distant past, Japan, following a mistaken national policy,

164 Siehe: Asian Women’s Fund, How Did the Comfort Women Issue Come to Light (25.03.2019). 165 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 267; Nozaki, Selden, Historical Memory, International Conflict, 130. 166 Siehe: Sven Saaler, Could Hosokawa Morihiro’s Political Comeback Restore Sanity to Japanese Politics? 細川政界復帰、日本の政局に常識の復活をもたらし得るか. In: The Asia- Pacific Journal, Japan Focus. URL: https://apjjf.org/-Sven-Saaler/4784/article.html (25.03.2019). 167 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 271-272; Saaler, Could Hosokawa Morihiro’s Political Comeback Restore Sanity (25.03.2019). 79

advanced along the road to war, only to ensnare the Japanese people in a fateful crisis, and, through its colonial rule and aggression, caused tremendous damage and suffering to the people of many countries, particularly to those of Asian nations. In the hope that no such mistake be made in the future, I regard, in a spirit of humility, these irrefutable facts of history, and express here once again my feelings of deep remorse and state my heartfelt apology. Allow me also to express my feelings of profound mourning for all victims, both at home and abroad, of that history.“168 Diese Deklaration gilt noch heute als offizielle Position der japanischen Regierung zur Kriegsvergangenheit. Gleichzeitig versuchte das Murayama-Kabinett 1995 die „Resolution zur Erneuerung der Entscheidung für den Frieden aufgrund der Lehren aus der Geschichte“ (Rekishi o Kyōkun ni Heiwa he no Ketsui o Arata ni suru Ketsugi) im Parlament zu verabschieden. Über deren Inhalt entbrannten jedoch Diskussionen zwischen Murayamas Sozialistischer Partei Japans169 und dem Koalitionspartner LDP. Letztere stellte sich, unterstützt durch den Izokukai und das Zentralbüro der Schreine, gegen ein dezidiertes Bekenntnis zum Pazifismus und die öffentliche Anerkennung der Kriegsverbrechen Japans. Folglich ließ die LDP den Resolutionsentwurf überarbeiten, mit dem Ergebnis, dass dieser nun keine ausdrückliche Entschuldigung für die Kriegsverbrechen mehr enthielt. Obendrein wurde in dieser Version versucht, den Kriegsverlauf mit Verweis auf den westlichen Kolonialismus zu relativieren.170 So hieß es: „During a historical period in which the Western powers (rekkyo) engaged in acts of aggression against other nations as well as competed with each other for [the expansion of] colonial rule, our nation, caught in that vortex, ended up fighting many other nations out of consideration of its own safety. We must reflect upon (hansei) those past wars and humbly learn lessons from history where the horrors of war tormented many people.“171 Nach weiteren Verhandlungen einigten sich die Parteien auf eine verwässerte Kompromisslösung, die allerdings niemanden wirklich

168 Siehe: Ministry of Foreign Affairs of Japan, Statement by Prime Minister Tomiichi Murayama “On the Occasion of the 50th Anniversary of the War’s End”. 15.08.1995. URL: https://www.mofa.go.jp/announce/press/pm/murayama/9508.html (25.03.2019). 169 Ab 1996 die Sozialdemokratische Partei Japans. 170 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 183-184; Saaler, Could Hosokawa Morihiro’s Political Comeback Restore Sanity (25.03.2019). 171 Siehe: Ryuji Mukae, Japan’s Diet Resolution on World War II. Keeping History at Bay. In: Edward R. Beauchamp (Ed.), History of Contemporary Japan since World War II (Abingdon-on- Thames/New York 2011) 329-348, hier: 340. 80

zufriedenstellte. Die finale Resolution besagte: „On the occasion of the 50th anniversary of the end of World War II, this House offers its sincere condolences to those who fell in action and victims of wars and similar actions all over the world. Solemnly reflecting upon many instances of colonial rule and acts of aggression in the modern history of the world, and recognizing that Japan carried out those acts in the past, inflicting pain and suffering upon the peoples of other countries, especially in Asia, the Members of this House express a sense of deep remorse.“172 Der Beschluss beinhaltete weder eine ausdrückliche Bekräftigung der pazifistischen Grundeinstellung Japans noch eine Entschuldigung wegen der Kriegsverbrechen. Worte wie „Beileid“ und „Reue“ waren den japanischen Nachbarländern daher zu wenig.

Im November 1994 veröffentlichte die Internationale Juristenkommission, die inzwischen mit dem Korean Council zusammenarbeitete, einen detaillierten Report zum koreanisch-japanischen Normalisierungsvertrag von 1965. Die JuristInnen argumentierten dabei, dass der Grundlagenvertrag nur materielle Schäden umfasste, nicht aber Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen im Rahmen von Kriegsverbrechen. Daher hätten ehemalige Trostfrauen durchaus das Recht, individuelle Schadenersatzforderungen zu stellen. Der Report widersprach der Ansicht der japanischen Regierung und machte einmal mehr deutlich, dass die Entschädigungsfrage noch immer offen war.173 Infolgedessen wurde im Sommer 1995 unter Premierminister Murayama der Asiatische Frauenfonds eingerichtet, auch um die Aussöhnung insbesondere mit Südkorea voranzutreiben. Aufgabe des Fonds war es, in Zusammenarbeit mit NGOs noch lebende Trostfrauen zu identifizieren und sie finanziell zu unterstützen. Jeder der ehemaligen Trostfrauen wurden 2 Millionen Yen Schadenersatz angeboten, wobei der überwiegende Teil der Gelder von der japanischen Regierung zur Verfügung gestellt wurde. Zusätzlich wurden zwei verschiedene Entschuldigungen an die Frauen übermittelt; eine erging durch die japanische Regierung und eine weitere durch NGOs im Namen des japanischen Volkes. Die komplizierte Struktur des

172 Siehe: Ministry of Foreign Affairs of Japan, Prime Minister’s Address to the Diet. 09.06.1995. URL: https://www.mofa.go.jp/announce/press/pm/murayama/address9506.html (25.03.2019). 173 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 265. 81

Frauenfonds erweckte allerdings den Eindruck, dass die japanische Regierung nicht wirklich bereit sei, den ehemaligen Trostfrauen entgegenzukommen. Auch die Tatsache, dass der Fonds als nichtstaatliche Einrichtung geführt wurde, ließ die Nachbarländer glauben, die Regierung Japans würde sich weigern, selbst Verantwortung zu übernehmen. Unter diesem Argument berichtete auch die Asahi Shimbun kritisch über die einmalige Zahlung der „Sympathiegelder“ (mimaikin). Daraufhin kam es in Südkorea und anderen asiatischen Ländern zu Kampagnen, welche die japanischen Bemühungen um die Entschädigungen als unzureichend und kränkend abwiesen und eine direkte Entschädigung von der Regierung verlangten. Die südkoreanischen Medien griffen indes auf das bewährte Bild des „reuelosen Japans“ zurück. Koreanische Frauenrechtsgruppen forderten die Auflösung des Fonds und 1997 bot die Regierung Südkoreas jeder ehemaligen Trostfrau Kompensationszahlungen in Höhe von umgerechnet je 26.000 US-Dollar an, unter der Voraussetzung, dass die Frauen auf die Entschädigung durch den japanischen Frauenfonds verzichteten.174 Deshalb traten nur mehr wenige ehemalige Trostfrauen an den Fonds heran. Bis 2007 etwa hatten nur 60 der über 200 in Südkorea lebenden früheren Zwangsprostituierten Zahlungen des Frauenfonds entgegengenommen. Dessen Mitglieder kritisierten, dass AktivistInnen Druck auf die Frauen ausüben würden, damit diese die Gelder nicht annehmen. Überhaupt sei die Intention des Fonds, Wiedergutmachung zu leisten, verkannt worden. Die indonesische Regierung hingegen nahm die Zahlungen des Frauenfonds an und richtete damit eigene Sozialhilfeprogramme für ehemalige Trostfrauen ein. Auch die Niederlande etablierten mit den erhaltenen finanziellen Mitteln eine eigene Organisation, um für die 79 dort anerkannten ehemaligen Trostfrauen zu sorgen. 2007 stellte der Asiatische Frauenfonds schließlich seine Tätigkeit ein.175

174 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 187; Ku, Comfort Women Controversy, 267-268; Saito, The History Problem, 166-167. 175 Vgl. Takekawa, Reconciliation Prospects and Divided War Memories, 84. 82

5.5. Konservative Gegenreaktion

Als Reaktion auf Chefkabinettssekretär Kōnos Eingeständnis 1993 und die Aufnahme der Trostfrauen in die Geschichtslehrbücher versammelte sich noch im selben Jahr eine Gruppe einflussreicher LDP-PolitikerInnen, darunter der spätere Premierminister Hashimoto Ryūtarō, im Rahmen des neu gegründeten „Untersuchungskomitees für Geschichte“ (Rekishi Kentō Iinkai). Dieses vertrat ein nationalistisches Geschichtsbild, laut dem Japan während des Zweiten Weltkriegs in Notwehr gehandelt habe. Die Kriegsverbrechen seien nur erfunden worden, um dem Ansehen Japans zu schaden. Besonders ab Mitte der 1990er Jahre begann die konservative Kampagne gegen die transnationale Frauenbewegung Fuß zu fassen. An deren Spitze stellte sich rasch die Forschungsgemeinschaft für ein liberales Geschichtsbild unter Fujioka Nobukatsu. Die Erwähnung der Zwangsprostituierten in den neuen Lehrbüchern für Mittelschulen provozierte die RevisionistInnen zum Verfassen einer Reihe neuer Schriften, darunter das am 15. August 1995 vom Untersuchungskomitee für Geschichte herausgegebene Buch „Eine Zusammenfassung des Großostasiatischen Krieges“ (Daitōa Sensō no Sōkatsu). Darin betonten die AutorInnen die Notwendigkeit einer nationalen Bewegung in Japan zur Verbreitung der „korrekten“ historischen Betrachtungsweise. Hinsichtlich der Trostfrauen behaupteten erfahrene PolitikerInnen, JournalistInnen und Intellektuelle, bei den Frauen habe es sich um professionelle, freiwillig tätige Prostituierte gehandelt. Entgegen der revisionistischen Bemühungen bekräftigte die japanische Regierung in den Folgejahren jedoch weiterhin die Murayama- Erklärung von 1995, zum Beispiel im Oktober 1998 durch Premierminister Obuchi Keizō. Auch Koizumi Jun’ichirō entschuldigte sich im Rahmen seiner Korrespondenz durch den Asiatischen Frauenfonds bei den früheren Trostfrauen. Die Auflösung des Fonds zugunsten direkter Zahlungen von Seiten der Regierung wurde jedoch nicht erwogen. So ließen auch die japanischen Gerichte individuelle Schadenersatzklagen ehemaliger Trostfrauen überwiegend abweisen. 1996 zeigte sich Premierminister Hashimoto Ryūtarō, ehemaliger Präsident des Izokukai, mit dem Verfassen der Entschuldigungsschreiben für den Frauenfonds nicht mehr einverstanden. Nachdem ein führendes Mitglied des Fonds aus Protest zurücktrat und der Vorfall in den Medien großes Aufsehen

83

erregte, sah sich das Hashimoto-Kabinett doch dazu bewogen, die Briefe zu senden. Etwa zur selben Zeit fielen einige LDP-Politiker durch Aussagen auf, die der offiziellen Linie der Regierung widersprachen. Der Abgeordnete Okuno Seisuke meinte etwa, die Trostfrauen seien Freiwillige gewesen, die von gewerblichen Unternehmen angeworben worden waren. Auch der Politiker Shimamura Yoshinobu schob die Verantwortung für die Rekrutierung der Zwangsprostituierten auf andere, in diesem Fall auf ausländische Prostitutionsringe, ab. Der Landwirtschaftsminister Nakagawa Shōichi gab überdies an, es sei nicht feststellbar, ob die Trostfrauen durch Zwang rekrutiert worden waren oder nicht.176

5.6. Versuche internationaler Aufarbeitung

1996 veröffentlichte die UNO einen Sonderbericht zu den Trostfrauen, in dem die Autorin und Menschenrechtsexpertin Radhika Coomaraswamy diese als Opfer sexueller Sklaverei qualifizierte. Sie beschrieb weiters den Verlauf der systematischen Errichtung von Troststationen und erörterte die Gründe für die Etablierung ebenjener auf japanisch-besetztem Gebiet: „The rationale behind the establishment of a formal system of comfort stations was that such an institutionalized and, therefore, controlled prostitution service would reduce the number of rape reports in areas where the army was based. […] As the war continued and the number of Japanese soldiers based in various parts of East Asia increased, the demand for military sexual slaves increased, so that new methods of recruitment were created. This involved the increased use of and force in many parts of East Asia, and especially in Korea.“177 Am Ende des Berichts wurde die japanische Regierung dazu aufgefordert, ihre Verantwortung für die Errichtung und Verwaltung der Troststationen einzugestehen, betreffende Dokumente zu veröffentlichen und die

176 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 268-270; Gabriela Romeu, The Japanese History Textbook Controversy amid Post-War Sino-Japanese Relations. In: Japanese Studies Review 18 (2014) 67-90, hier: 71-72. 177 Siehe: United Nations Economic and Social Council, Report of the Special Rapporteur on Violence against Women, Its Causes and Consequences, Ms. Radhika Coomaraswamy, in Accordance with Commission on Human Rights Resolution 1994/45. 04.01.1996. URL: http://hrlibrary.umn.edu/commission/country52/53-add1.htm (25.03.2019). 84

Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Auch solle sie sich bei den Trostfrauen öffentlich entschuldigen und diese entschädigen. Die japanische Regierung erhob indes Einspruch gegen die Anwendung des Begriffs „Sklaverei“ und behauptete, deren Verbot sei damals kein internationales Recht gewesen. 1998 wurde diese Ansicht mit Verweis auf Artikel 6 (c)178 des Statuts für den Internationalen Militärgerichtshof von 1945 in einem weiteren UNO- Sonderbericht widerlegt. Somit sei die Verschleppung und Versklavung der Frauen als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu werten.179

Im Jahr 2000 initiierte eine japanische Organisation namens „Violence Against Women in War Network“ mit Unterstützung 150 weiterer asiatischer NGOs das sogenannte „Women’s International War Crimes Tribunal for the Trial of Japanese Military Sexual Slavery“ (im Folgenden: „Frauentribunal“) in Tokio. Dieses hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die japanische Regierung für die an Frauen begangenen Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen. Auch sollte der Trivialisierung von Verbrechen gegen Frauen, insbesondere Sexualverbrechen, entgegengewirkt werden. Die Notwendigkeit des Tribunals wurde mit der Lückenhaftigkeit der früheren Kriegsverbrecherprozesse, die Vergewaltigung und Zwangsprostitution nicht in der Anklage berücksichtigt hatten, begründet. VertreterInnen aus neun Ländern (Nord- und Südkorea, die Volksrepublik China, die Philippinen, Indonesien, Taiwan, Malaysia, Osttimor und die Niederlande) erhoben deshalb Anklage gegen den japanischen Staat, inklusive des verstorbenen Kaisers Hirohito. Das Verfahren wurde unter dem Vorsitz erfahrener, ehrenamtlich tätiger RichterInnen geführt; dazu zählte unter anderem Gabrielle Kirk-McDonald, die frühere Präsidentin des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien. 75 ehemalige Trostfrauen sagten während des Prozesses aus, wobei sich zahlreiche weitere Betroffene über Videoaufnahmen zu Wort meldeten. HistorikerInnen und JuristInnen

178 Crimes against Humanity: „murder, extermination, enslavement, deportation, and other inhumane acts committed against any civilian population, before or during the war; or persecutions on political, racial or religious grounds in execution of or in connection with any crime within the jurisdiction of the Tribunal, whether or not in violation of the domestic law of the country where perpetrated..“ Siehe: Lillian Goldman Law Library, Nuremberg Trial Proceedings Vol. 1. Charter of the International Military Tribunal. URL: http://avalon.law.yale.edu/imt/ imtconst.asp (14.04.2019). 179 Vgl. Gabriel Jonsson, Can the Japan-Korea Dispute on “Comfort Women” Be Resolved? In: Korea Observer 46 (2015) 1-27, hier: 8-9; United Nations Economic and Social Council, Report of the Special Rapporteur (04.01.1996). 85

präsentierten zusätzliche Beweismaterialien aus staatlichen Archiven sowie Memoiren und Tagebucheinträge ehemaliger Militärs und ZivilistInnen. MilitärexpertInnen erklärten die Strukturen der japanischen Armee während PsychologInnen die seelischen Folgen der Zwangsprostitution erörterten. Zwei frühere japanische Soldaten sagten zudem über ihre Erfahrungen mit den Troststationen aus. Die japanische Regierung wurde ebenfalls eingeladen, am Tribunal teilzunehmen und sich vor diesem zu rechtfertigen, blieb dem Prozess jedoch fern. Stattdessen wurden die Urteile japanischer Gerichte zu Rate gezogen, um den Standpunkt der Regierung Japans zu verdeutlichen. Das am 4. Dezember 2001 ergangene Urteil des Frauentribunals bestätigte, dass die Troststationen vom japanischen Militär systematisch errichtet und betrieben wurden und dass der japanische Staat sich nach damals geltendem Recht der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht hatte. Im Rahmen der Befehlsverantwortung wusste Kaiser Hirohito entweder um die Kriegsgräuel oder hätte zumindest von diesen wissen müssen. Auch er wurde somit für die Kriegsverbrechen verantwortlich gemacht. Abschließend setzten die RichterInnen den Umfang der empfohlenen Wiedergutmachungszahlungen fest und forderten eine offizielle Entschuldigung von Seiten der japanischen Regierung ein. Obwohl das Frauentribunal kein rechtlich bindendes Urteil erlassen konnte, so machte der symbolische Charakter des Verfahrens die Rolle der Zivilgesellschaft in der Kriegsaufarbeitung deutlich. Kritisiert wurde allerdings, dass die Verantwortung der chinesischen und koreanischen Regierungen, die den Opfern jahrzehntelang Hilfe versagten und ihre Stimmen unterdrückten, während des Frauentribunals nicht thematisiert wurde. Um die diplomatischen Beziehungen nicht zu gefährden, machte das internationale Tribunal daher bei der Verantwortung Japans halt. Auf Reaktionen stieß es zudem höchstens bei rechtsradikalen Gruppierungen Japans; von den japanischen Medien wurde das Frauentribunal hingegen kaum beachtet. Dies könnte allerdings zumindest teilweise durch den Einfluss der japanischen Regierung auf die nationalen Medien erklärbar sein. Es ist bekannt, dass die Regierung Druck auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunksender NHK ausübte und diesem untersagte, Dokumentationen zu zeigen, in denen das Involvement der Regierung in das Trostfrauen-System thematisiert wurde. Eine Dokumentation über das Frauentribunal wurde nach Absprache mit Abe Shinzō, damals stellvertretender

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Leiter des Kabinettssekretariats, und Wirtschaftsminister Nakagawa Shōichi so verändert, dass Zeugenaussagen von Opfern und ehemaligen Soldaten entfernt und auch die Ergebnisse des Tribunals nicht erwähnt wurden.180

Aufgrund anhaltender Kontroversen um die Trostfrauen stellte der Ausschuss der Vereinten Nationen für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im September 2001 fest: „The Committee expresses its concern that the compensation offered to wartime ‘comfort women’ by the Asian Women’s Fund, which is primarily financed through private funding, has not been deemed an acceptable measure by the women concerned. […] The Committee strongly recommends that the State party find an appropriate arrangement, in consultation with the organizations representing the ‘comfort women’, on ways and means to compensate the victims in a manner that will meet their expectations, before it is too late to do so.“181 Damit wurde Japan aufgefordert, sich betreffend der Kompensation der früheren Zwangsprostituierten an deren Wünschen zu orientieren. Die Aussage über die „überwiegende Privatfinanzierung“ des Frauenfonds stand jedoch im Widerspruch zu den offiziellen Angaben der japanischen Regierung, wonach diese den Großteil der Gelder aufgebracht hatte: „Approximately 600 million yen was donated to the [Asian Women’s Fund] by the people of Japan, and the Government of Japan, with a view to fulfilling its moral responsibility, provided a total of 4.8 billion yen to the AWF.“182 Im Hinblick auf die japanische Bildungspolitik erließ die UNO weiters die Empfehlung, die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen in den Schulbüchern voranzutreiben.183

180 Vgl. Christine Chinkin, Toward the Tokyo Tribunal 2000. In: Women’s Initiatives for Gender Justice. URL: http://www.iccwomen.org/wigjdraft1/Archives/oldWCGJ/tokyo/chinkin.html (25.03.2019); Ku, Comfort Women Controversy, 270-271; Seraphim, Kriegsverbrecherprozesse in Asien, 78, 89-90. 181 Siehe: United Nations Economic and Social Council, Consideration of Reports Submitted by States Parties under Articles 16 and 17 of the Covenant. Concluding Observations of the Committee on Economic, Social and Cultural Rights. Japan. 24.09.2011. URL: https://tbinternet.ohchr.org/_layouts/treatybodyexternal/Download.aspx?symbolno=E%2fC.12% 2f1%2fAdd.67&Lang=en (25.03.2019). 182 Siehe: Ministry of Foreign Affairs of Japan, History Issues Q&A. 06.04.2018. URL: https://www.mofa.go.jp/policy/q_a/faq16.html (25.03.2019). 183 Vgl. Arai, History Textbooks in Twentieth Century Japan, 120. 87

5.7. Linie der Abe-Administration

Im März 2007 erregte Premierminister Abe internationales Aufsehen, als er die Existenz der Zwangsprostituierten in der japanischen Armee leugnete. Im Speziellen behauptete er, dass kein Zwang auf die Frauen ausgeübte worden war. Seine Kommentare standen im Widerspruch zur denkwürdigen Kōno- Erklärung, die er zu revidieren überlegte. Nach Prosteten aus dem Ausland, insbesondere aus Südkorea und der Volksrepublik China, musste Abe seine Aussagen überdenken. Im April des Jahres stattete er Washington einen Besuch ab und auch hier wurden die Trostfrauen zum Thema des Dialogs zwischen dem japanischen Premierminister und Präsident George W. Bush. Abe entschuldigte sich daraufhin bei diesem für seine Äußerungen über die Kriegsgräuel; an die Trostfrauen selbst wandte er sich dagegen nicht. Ende Juli 2007 verabschiedeten die USA ferner eine durch den Kongressabgeordneten Michael Honda angeregte Resolution, in der Japan zur Übernahme der Verantwortung für die Kriegsverbrechen aufgerufen und dem Premierminister zu einer öffentlichen Entschuldigung bei den noch lebenden Trostfrauen geraten wurde. Erneut wurde der japanischen Regierung nahegelegt, SchülerInnen im Rahmen des Geschichtsunterrichts verstärkt über die Kriegsverbrechen aufzuklären.184

2013 ließ Abe im Parlament verlauten, dass er der Murayama-Erklärung nicht vollständig zustimme und ebenso der Meinung sei, Japan habe sich keiner „Aggression“ im Krieg schuldig gemacht – dazu gebe es nämlich keine international anerkannte akademische Definition. Daraufhin folgten scharfe Gegenreaktionen aus der Volksrepublik China und Südkorea.185 Noch im selben Jahr besuchte Abe dann den umstrittenen Yasukuni-Schrein, wofür er sich wieder im In- und Ausland rechtfertigen musste. Damals gab er an: „Politicians must be humble (kenkyo) about the issue of historical view. Governments must

184 Vgl. Congress.gov, H.Res.121. A Resolution Expressing the Sense of the House of Representatives That the Government of Japan Should Formally Acknowledge, Apologize, and Accept Historical Responsibility in a Clear and Unequivocal Manner for Its Imperial Armed Forces’ Coercion of Young Women into Sexual Slavery, Known to the World as “Comfort Women”, during Its Colonial and Wartime Occupation of Asia and the Pacific Islands from the 1930s through the Duration of World War II. 30.07.2007. https://www.congress.gov/bill/110th- congress/house-resolution/121/text (25.03.2019); Nozaki, Selden, Historical Memory, International Conflict, 134. 185 Vgl. Ku, Comfort Women Controversy, 271. 88

not determine a particular historical view as a correct one. This issue is up to historians.“186 Im darauffolgenden Jahr setzte Abe allerdings einen fünfköpfigen Ausschuss zur Untersuchung der Kōno-Erklärung ein und überließ die historische Recherche einem einzigen Geschichtswissenschaftler, dem konservativen Historiker Hata Ikuhiko. Dessen Hinzuziehung muss als rein politischer Schachzug zur Bekräftigung der Position der Abe-Administration gesehen werden. Wenig überraschend kam der Untersuchungsausschuss im Juni 2014 zu dem Schluss, dass das Kōno-Statement von 1993 unter dem Druck der südkoreanischen Regierung zustande gekommen sei. Es sei Teil der diplomatischen Verhandlungen gewesen und spiegle deshalb keine Fakten wider. Der Bericht des Ausschusses wurde sowohl von der Regierung Südkoreas als auch von der kommunistischen Führung Chinas zurückgewiesen. Im gleichen Jahr stellte die japanische Regierung ebenfalls ein Ansuchen auf Abänderung des UNO-Sonderberichts von 1996, wobei nicht bekanntgegeben wurde, welche Teile des Berichts von den Korrekturwünschen betroffen waren. Auch dieses Vorhaben ging mit dem Trend der Abe-Administration einher, den Tatsachengehalt politisch relevanter Bekundungen zugunsten der Trostfrauen zu beanstanden. Südkorea jedenfalls verurteilte den Schritt und sah ihn als weiteren Versuch der „Beschönigung“ der japanischen Kriegsvergangenheit. Die UNO indes ließ das Ansuchen umgehend abweisen.187

Inzwischen wurde die Debatte um Yoshida Yūtos Memoiren fortgesetzt. Nachdem HistorikerInnen sein zweites Werk Watakushi no Senso Hanzai bis ins Detail überprüft hatten, wurden Widersprüche zu seinem ersten Buch entdeckt. In Interviews mit EinwohnerInnen von Jeju, wo ein von Yoshida beschriebener Überfall auf eine Fabrik angeblich stattgefunden hatte, konnte sich jedenfalls niemand an den Vorfall erinnern. 1996 gab Yoshida in einem Interview mit dem Wochenblatt Shūkan Shinchō schließlich zu, Teile seiner Erzählungen frei erfunden zu haben. Sein Handeln rechtfertigte er wie folgend: „There is no profit in writing the truth in books. Hiding the facts and mixing your own assertions into

186 Siehe: Saito, The History Problem, 166. 187 Vgl. Mikyoung Kim, Introduction, 7; Ankit Panda, Japan Denied Revision of UN Comfort Women Report. In: The Diplomat, 17.10.2014. URL: https://thediplomat.com/2014/10/japan- denied-revision-of-un-comfort-women-report/ (25.03.2019); Saito, The History Problem, 166. 89

the story is something that newspapers do, too.“188 Der Skandal um Yoshidas Werke zog sich über Jahre hin, in denen sich die liberale Asahi Shimbun in ihrer Berichterstattung jedoch weiterhin stark auf die erfundenen Erzählungen stützte. Nach eigenen Erhebungen, einschließlich Interviews mit den Einheimischen auf Jeju, sah sich das Blatt dann gezwungen, die Versäumnisse öffentlich einzuräumen und sich zu entschuldigen. Infolgedessen wurden alle Artikel über Yoshida zurückgezogen und ein leitender Redakteur der Zeitung entlassen. Rechtsgerichtete Blätter wie die Yomiuri Shimbun nutzten sogleich die Gelegenheit, um die Asahi Shimbun zu diskreditieren. Konservative PolitikerInnen und rechte Gruppierungen behaupteten zudem, da Yoshidas Berichte erfunden waren, seien auch die anderen Zeugnisse über die Trostfrauen unglaubwürdig. Sie fordern von der UNO, die Aburteilung Japans wegen der Rekrutierung von Zwangsprostituierten zurückzuziehen. Auch das US- Repräsentantenhaus solle seine 2007 erfolgte Stellungnahme zu den Trostfrauen zurücknehmen. Im Oktober 2014 gingen sogar Bombendrohungen an die Angestellten zweier Universitäten, die Yoshida in den 1990er Jahren bei der Verbreitung seiner Erzählungen halfen. Obwohl Yoshidas fiktive Memoiren die Debatte um den Umgang Japans mit dem Thema Trostfrauen anregten, schadeten die Kontroversen um die Erfindung ebenjener dem Anliegen der Zwangsprostituierten. Konservative Stimmen benutzten sie letztlich als Nachweis dafür, dass ihre Überzeugung von der Fabrikation der Kriegsverbrechen gerechtfertigt sei.189

Am 28. Dezember 2015 erklärten sowohl die japanische als auch die südkoreanische Regierung (damals noch unter Präsidentin Park Geun-hye), dass beide Länder die Streitfrage um die Trostfrauen beilegen wollen. Japan willigte ein, 1 Milliarde Yen (fast 9 Millionen US-Dollar) aus staatlichen Geldern an die Regierung Südkoreas zu überweisen, die dort eine Stiftung zugunsten der ehemaligen Trostfrauen einrichten werde.190 Gleichzeitig ließ der japanische Außenminister Kishida Fumio im Rahmen einer Pressekonferenz verlauten: „The

188 Siehe: Ryall, Seiji Yoshida’s Lies about “Comfort Women” (12.10.2014). 189 Vgl. Ryall, Seiji Yoshida’s Lies about “Comfort Women” (12.10.2014); Takekawa, Reconciliation Prospects and Divided War Memories, 82. 190 Vgl. Ankit Panda, The “Final and Irreversible” 2015 Japan-South Korea Comfort Women Deal Unravels. In: The Diplomat, 09.01.2017. URL: https://thediplomat.com/2017/01/the-final- and-irreversible-2015-japan-south-korea-comfort-women-deal-unravels/ (25.03.2019). 90

issue of comfort women, with an involvement of the Japanese military authorities at that time, was a grave affront to the honor and dignity of large numbers of women, and the Government of Japan is painfully aware of responsibilities from this perspective. As Prime Minister of Japan, Prime Minister Abe expresses anew his most sincere apologies and remorse to all the women who underwent immeasurable and painful experiences and suffered incurable physical and psychological wounds as comfort women.“191 Mit dieser offiziellen Entschuldigung, dem Eingeständnis der Rolle des japanischen Militärs und den entsprechenden Kompensationszahlungen an die Überlebenden sollte ein Schlussstrich unter das Thema Trostfrauen gezogen werden. Explizit wurde dabei auf die „finale und unwiderrufliche“ Art des Übereinkommens eingegangen, laut dem beide Regierungen es in Zukunft unterlassen werden, sich gegenseitig wegen der Trostfrauen vor der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der UNO, zu beschuldigen oder zu kritisieren.192 Allerdings war die Vereinbarung schon von Anfang an kontrovers. Zunächst muss der wahre Grund des Zustandekommens ebenjener bezweifelt werden. Die japanische und südkoreanische Regierung waren nämlich weniger an einer aufrichtigen Aussöhnung im Hinblick auf die Kriegsvergangenheit interessiert, sondern reagierten auf gemeinsame außenpolitische Belange wie etwa das nordkoreanische Atomprogramm und den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. Demgemäß wurden die überlebenden Trostfrauen überhaupt nicht in die Verhandlungen miteinbezogen. In rechtskonservativen Kreisen Japans wurde die Vereinbarung mit Rücksicht auf frühere Entschädigungsbemühungen als unnötig angesehen, während kritische Stimmen in Südkorea Präsidentin Park vorwarfen, die Würde der Überlebenden zugunsten diplomatischer Vorteile verkauft zu haben. Im August 2016, nach der Etablierung der Stiftung, verklagten zwölf ehemalige Trostfrauen die südkoreanische Regierung mit der Begründung, das Übereinkommen habe die Verantwortung der Regierung Japans für die Kriegsgräuel nicht ausreichend festgestellt. Weitere Einwände gegen die Legitimität der Vereinbarung folgten, als Präsidentin Park Geun-hye im

191 Siehe: Ministry of Foreign Affairs of Japan, Announcement by Foreign Ministers of Japan and the Republic of Korea at the Joint Press Occasion. 28.12.2015. URL: https://www.mofa.go.jp/a_o/na/kr/page4e_000364.html (25.03.2019). 192 Ebd. 91

Dezember des Jahres ihres Amtes enthoben wurde. Alle potentiellen NachfolgerInnen für den Posten kamen überein, das Abkommen einer neuerlichen Prüfung unterziehen zu wollen. Als im Januar 2017 vor dem japanischen Konsulat in Busan die Statue einer Trostfrau errichtet wurde, stand die Vereinbarung erneut vor der Zerreißprobe. Japan sah den Fall als Anlass, kurzzeitig seinen Botschafter und Generalkonsul zurückzurufen. Denn schon über ein ähnliches Monument, das 2011 vor der japanischen Botschaft in Seoul aufgestellt wurde, hatte sich Japan mit Berufung auf das Übereinkommen beschwert. Entfernt wurde jedoch keine der Statuen. Nachdem Moon Jae-in zum Präsidenten Südkoreas gewählt wurde, äußerte dieser seine Bedenken über die Art der Konfliktlösung seiner Vorgängerin und bezeichnete die Vereinbarung mit Japan als „fehlerhaft“. Später bestätigte er allerdings das Übereinkommen, das in der Zwischenzeit in Teilen umgesetzt worden war. Etwa die Hälfte der Gelder aus Tokio wurde in Anspruch genommen, wobei Zahlungen an 34 der 47 ehemaligen Trostfrauen ergingen. Mit Stand November 2018 leben aber nur mehr 27 der früheren Trostfrauen Südkoreas; ihr Durchschnittsalter liegt inzwischen bei über 90 Jahren. Ende 2018 kündigte die südkoreanische Regierung dann die Auflösung der Stiftung an – statt der von Japan gesponserten „Reconciliation and Healing Foundation“ solle die Entschädigung der ehemaligen Trostfrauen aus dem Budget der südkoreanischen Regierung erfolgen.193 Jin Sun-mee, Ministerin für Gleichstellung und Familie, verkündete dazu: „After considering diverse opinions over the ‘Reconciliation and Healing Foundation’ based on victim-centric principles, we have decided to push for the dissolution of the foundation.“194 Japan ließ daraufhin den koreanischen Botschafter nach Tokio einberufen, um sich bei ihm zu beschweren. Die Liquidation der Stiftung wird jedoch trotzdem vollzogen und könnte mehrere Monate, eventuell sogar ein Jahr in Anspruch nehmen. Hinsichtlich der von der japanischen Regierung

193 Vgl. Celeste Arrington, South Korea Ended Its Review of Its “Comfort Women” Deal with Japan. Here’s What You Need to Know. In: The Washington Post Online, 11.01.2018. URL: https://www.washingtonpost.com/news/monkey-cage/wp/2018/01/11/south-korea-ended-its- review-of-its-comfort-women-deal-with-japan-heres-what-you-need-to-know/ (25.03.2019); The Japan Times Online, South Korea Says It Will Dissolve Japan-Funded “Comfort Women” Foundation. 21.11.2018. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2018/11/21/national/politics- diplomacy/south-korea-says-will-dissolve-japan-funded-comfort-women-foundation/ (25.03.2019); Panda, The “Final and Irreversible” 2015 Japan-South Korea Comfort Women Deal Unravels (09.01.2017). 194 Siehe: The Japan Times Online, South Korea Says It Will Dissolve (21.11.2018). 92

bereitgestellten und teilweise bereits ausgezahlten Gelder hat die Regierung Südkoreas angedeutet, Japan voll entschädigen zu wollen.195

Neben den außenpolitischen Bemühungen der japanischen Regierung um die Kompensation der ehemaligen Trostfrauen darf in keinem Fall vergessen werden, dass innenpolitisch noch immer Maßnahmen gesetzt werden, mit denen das Thema bewusst verharmlost wird. Abgesehen von den Schulbuchinhalten betrifft dies vor allem die Medien. Selbstzensur ist dabei gang und gäbe, denn viele HerausgeberInnen befürchten, durch kritische Berichterstattung über die Kriegsvergangenheit wichtige Kontakte, AbonnentInnen und Werbeeinnahmen zu verlieren. Abe und sein Chefkabinettssekretär Suga Yoshihide bemängelten bereits mehrmals die Berichterstattung der Asahi Shimbun, die daraufhin Artikel über die Trostfrauen zurückzog. Das Blatt Yomiuri Shimbun musste sich 2014 nach öffentlicher Kritik entschuldigen, in einem englischsprachigen Artikel über die Trostfrauen den „irreführenden“ Ausdruck „sex slaves“ verwendet zu haben. Auch Reuters wurde wegen derselben Wortwahl im Dezember 2018 von einem japanischen Regierungsvertreter gerügt. Indes konnte sich die Japan Times, die wichtigste englischsprachige Zeitung Japans, in der Vergangenheit erhöhte Einnahmen aus Regierungsanzeigen sowie ein Exklusivinterview mit Abe sichern, nachdem sie die Kolumne von Jeff Kingston, Leiter für Asiatische Studien an der Temple University Japan, über die revisionistischen Tendenzen der Abe-Administration fallen ließ. Im Dezember 2018 fand zudem eine Krisensitzung im Hauptquartier der Japan Times statt, während der Mizuno Hiroyasu als leitender Redakteur erklärte, er wolle vermeiden, dass der Zeitung eine „anti-japanische“ Einstellung unterstellt werde. Daher sollen etwa koreanische Kriegsarbeiter nicht mehr als „Zwangsarbeiter“ bezeichnet werden und auch bei den Trostfrauen alle Formulierungen, die explizit auf Nötigung und Gewaltanwendung schließen lassen, unterbleiben. Die Bezeichnung der Frauen als „Opfer“ solle ebenso vermieden werden wie die Bezugnahme auf die Anwesenheit von Mädchen in den Kriegsbordellen. Überhaupt dürfe das Wort „brutal“ nicht mehr im Zusammenhang mit der japanischen Okkupation Koreas

195 Vgl. The Japan Times Online, South Korea Says It Will Dissolve (21.11.2018); Hyunmin Michael Kang, South Korea Decides to Dismantle “Comfort Women” Reconciliation and Healing Foundation. In: The Diplomat, 27.11.2018. URL: https://thediplomat.com/2018/11/south-korea- decides-to-dismantle-comfort-women-reconciliation-and-healing-foundation/ (25.03.2019). 93

verwendet werden. Mit diesem Schritt erhoffte sich Mizuno gesteigerte Werbeeinnahmen durch japanische Firmen und andere Institutionen. In einer E- Mail an die Nachrichtenagentur Reuters rechtfertigte er die neuen Maßnahmen mit den Worten, er und weitere leitende Redaktionsmanager wollen „eine objektivere Sicht auf umstrittene, schwer zu beschreibende Themen“196 ermöglichen. Weiters stellte er klar, dass er nicht auf externen Druck reagiert habe. Auch behauptete er in einem internen Memo: „We’re not historians or arbiters of history, nor are we judges.“197 Die Wichtigkeit faktenbezogener, kritischer Berichterstattung unterstrich er jedenfalls nicht. Während konservative Stimmen Mizunos Haltung begrüßen, befürchten einige LeserInnen, dass der neue Stil der Japan Times zu einer Beschönigung der Kriegsverbrechen führt. Das südkoreanische Außenministerium reagierte daraufhin mit einer öffentlichen Stellungnahme: „We regret that some Japanese media organizations have adopted terms that distort the historical facts regarding the victims of comfort women for the Japanese military, and forced labor, which is merely an attempt to sidestep the essence of the problems.“198

196 Siehe: Mari Saito, Ami Miyazaki, “Fear” and “Favor” Chill Newsroom at Storied Japanese Paper. In: Reuters, 25.01.2019. URL: https://www.reuters.com/article/us-japan-politics- newsroom-insight/fear-and-favor-chill-newsroom-at-storied-japanese-paper-idUSKCN1PI36V (25.03.2019). 197 Ebd. 198 Ebd. 94

6. Die Nanking-Debatte

6.1. Verlauf des Massakers

Während der japanischen Besetzung in Asien wurden zahllose Kriegsverbrechen verübt, darunter hunderte Massaker an der Zivilbevölkerung. Insgesamt waren es wohl an die 20 Millionen ChinesInnen, die der Umsiedlungs- und Vernichtungspolitik des Kaiserreichs Japan zum Opfer fielen. Besonders bemerkenswert in seiner Größenordnung war dabei das Massaker von Nanking, das sich zwischen Dezember 1937 und Januar 1938 zutrug.199

Am 7. Juli 1937 begann der Zweite Japanisch-Chinesische Krieg mit einem Feuergefecht zwischen Truppen an der Lugouqiao-Brücke (Marco-Polo-Brücke) nahe Peking. Welche Seite den Schusswechsel aus welchen Gründen provoziert hatte ist auch heute noch umstritten. Das Kaiserreich Japan nahm den Vorfall jedenfalls zum Anlass, eine großangelegte Invasion Chinas zu starten. Im August 1937 wurde Shanghai zum Schauplatz der Kampfhandlungen, wobei die japanischen Truppen hohe Verluste verzeichnen mussten. Die Regierung unter Premierminister Konoe Fumimaro und der Generalstab kamen daher zunächst überein, den Krieg auf die Stadt zu begrenzen. Nach der Eroberung Shanghais im November 1937 änderten sie jedoch ihre Meinung und die Kampfhandlungen wurden fortgesetzt. Inzwischen hatte der japanische General Matsui Iwane eigenmächtig beschlossen, die chinesische Stadt Nanking einzunehmen. Diese war damals Hauptstadt der chinesischen Nationalregierung unter Chiang Kai- shek und hatte somit symbolische Bedeutung für die japanische Kriegsführung gegen China. Matsuis Truppen waren bereits auf dem Weg in Richtung Nanking, als der japanische Generalstab am 1. Dezember 1937 den offiziellen Befehl zur Einnahme der Stadt absegnete. So marschierten nun vier japanische Divisionen mit insgesamt etwa 200.000 Mann gen Nanking. Bei den meisten der Soldaten handelte es sich allerdings um disziplinlose und von den Kampfhandlungen in Shanghai kriegsmüde gewordene Reservesoldaten, die noch kurz zuvor ein normales Leben als Zivilisten geführt hatten. Bereits vor dem Einmarsch in Nanking eskalierte die Brutalität und aufgrund der knappen Versorgungslage

199 Vgl. Cohen, Öffentliche Erinnerung und Kriegsverbrecherprozesse, 62. 95

begann sich ethnisches Überlegenheitsdenken immer mehr durchzusetzen. Die Soldaten beraubten die Bevölkerung ihrer Nahrung, vergewaltigten Frauen und ermordeten all jene, die auch nur den geringsten Widerstand gegen ihr Vorgehen leisteten. Als Vorsichtsmaßnahme, um Partisanenkämpfe zu vermeiden, wurden zahllose ChinesInnen getötet. Einige HistorikerInnen sehen darin die erste Phase des Massakers, noch bevor die japanischen Truppen überhaupt Nanking erreichten.200

Die eigentliche Schlacht von Nanking fand im frühen Dezember 1937 statt. Den japanischen Truppen gelang es rasch, die Stadt einzukesseln und den chinesischen Widerstand zu zerschlagen. Am 12. Dezember erhielten die chinesischen Soldaten den Rückzugsbefehl und flohen aus der Stadt. Bereits am nächsten Tag marschierten die Japaner ein, wobei Nanking zu diesem Zeitpunkt bereits nahezu vollständig abgeriegelt war. Die Soldaten plünderten Geschäfte, steckten Häuser in Brand und vergewaltigten tausende Frauen. Vor dem Yijiang- Tor, dem einzigen noch offenen Stadttor, drängten sich Flüchtlinge und Deserteure, die daraufhin gruppenweise von den japanischen Soldaten ermordet wurden. Diese zweite Phase des Massakers zog sich über die folgenden Tage hin.201

Da die japanischen Soldaten vermuteten, dass sich weitere Deserteure und Kriegsgefangene kurzfristig unter die chinesischen Zivilisten gemischt hatten, wurde ab dem 14. Dezember in einer dritten Phase eine „Säuberungsaktion“ durchgeführt. Die Gefangenen wurden unter Missachtung völkerrechtlicher Konventionen über die Behandlung von Kriegsgefangenen202 ohne Gerichtsprozesse der Reihe nach hingerichtet. Im Hinblick auf die geplante Abhaltung der offiziellen Siegesfeier am 17. Dezember versuchten die Truppen daher besonders rasch vorzugehen. An besagter Feier sollte nämlich auch ein Mitglied der kaiserlichen Familie, der General und Prinz Asakanomiya Yasuhiko, teilnehmen. Als Kommandant der japanischen Truppen in Nanking war es angeblich sein Befehl gewesen, alle Gefangenen zu töten. Rückblickend bleibt

200 Vgl. Ishida, Das Massaker von Nanking, 233-234. 201 Ebd., 234-235. 202 Darunter die Haager Abkommen 1899 und 1907 und das Genfer Protokoll über das Verbot chemischer und biologischer Kriegswaffen 1925. 96

jedoch unklar, ob der Befehl für das Massaker von ihm persönlich oder nur in seinem Namen erlassen wurde. Eine Anordnung, mit dem Morden aufzuhören, erteilte er allerdings ebenfalls nicht.203 Das systematische Vorgehen der Japaner bei der Ermordung der Kriegsgefangenen wurde weiters in den Tagebucheinträgen des Generalleutnants Nakajima Kesago ersichtlich. Er schrieb: „Since our policy is, in principle, to take no prisoners, we attempted to dispose of all of them. However, they continued to surrender in droves, first 1,000, then 5,000, then 10,000. We could not begin to disarm such a large number of soldiers. […] The Operations Section was unbelievably busy because we had to dispose of far more prisoners than we had anticipated. […] Later, I learned that Sasaki’s204 unit alone had processed approximately 15,000 individuals, that a company commander with the garrison at Taiping Gate had processed approximately 1,300, that there was a concentration of approximately 7,000 near Xianhe Gate, and that enemy soldiers were still surrendering.“205 Noch vor seinem Ende erlangte das Nanking-Massaker einen solch berüchtigten Ruf, dass sogar fernab stationierte japanische Militärführer davon erfuhren. So gab etwa der General Okamura Yasuji später an: „I surmised the following based on what I heard from Staff Officer Miyazaki, CCAA Special Service Department Chief Harada and Hangzhou Special Service Department Chief Hagiwara a day or two after I arrived in Shanghai. First, it is true that tens of thousands of acts of violence, such as looting and rape, took place against civilians during the assault on Nanking. Second, front-line troops indulged in the evil practice of executing POWs on the pretext of (lacking) rations.“206

6.2. Grundlegende Kontroversen

Das Nanking-Massaker selbst wird heute von der japanischen Regierung bis zu einem gewissen Grad anerkannt. Dennoch drehen sich zahlreiche Debatten um die Toten; etwa, ob es sich bei den Opfern um ZivilistInnen, Soldaten oder

203 Vgl. Ishida, Das Massaker von Nanking, 234-235; Daqun Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice? Revisiting the Case of Tani Hisao. In: Daqun Liu, Binxin Zhang (Ed.), Historical War Crimes Trials in Asia (Brussels 2016) 113-151, hier: 142, 148. 204 Sasaki Tōichi, der leitende Kommandant der 30ten Brigade der 16ten Division. 205 Siehe: Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 137-138. 206 Ebd., 142-143. 97

Kriegsgefangene handelte und wie diese konkret verstarben, speziell im Hinblick auf systematische Tötungen. Besondere Uneinigkeit besteht jedoch hinsichtlich der Zahl der Opfer, wobei sich genaue Angaben nur schwer ermitteln lassen. Auch hier zerstörten japanische Militärs die betreffenden Akten nach der Kapitulation.207

Nachforschungen des Kriegsverbrechertribunals von Nanking ergaben 1946, dass geschätzte 190.000 Menschen den Massenhinrichtungen zum Opfer fielen. Die Leichen wurden dann meist verbrannt oder in den Jangtsekiang geworfen. 150.000 weitere Personen wurden dagegen einzeln ermordet. Karitative Organisationen fanden die sterblichen Überreste und führten sie später einer angemessenen Bestattung zu. Im Gegensatz zu den vom Nanking-Tribunal festgestellten 340.000 Toten nannte das Urteil der Tokioter Kriegsverbrecherprozesse 1948 andere Zahlen. Hier war von mehr als 200.000 ZivilistInnen und Kriegsgefangenen die Rede, die nachweislich in Nanking getötet worden waren.208

In Anbetracht dieser abweichenden Opferzahlen haben sich in Japan selbst mittlerweile drei große Lager zum Nanking-Massaker gebildet. Es gibt zunächst jene, die den Massenmord als Tatsache akzeptieren, wobei die Zahl der Toten auf etwa 200.000 geschätzt wird. Daneben finden sich Personen, die das Massaker verharmlosen und höchstens 10.000 Opfer anerkennen. Und schließlich gibt es solche, die das Nanking-Massaker als Fabrikation bezeichnen, da ihrer Ansicht nach nur Soldaten und keine ZivilistInnen ums Leben kamen.209 Laut Auffassung dieser Gruppe, die aus führenden japanischen WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen besteht, könne höchstens von einem „Zwischenfall“ im Rahmen des normalen Kampfgeschehens die Rede sein. Der Historiker und Revisionist Higashinakano Shūdō etwa behauptet, dass sich das gesamte Ausmaß des „Zwischenfalls von Nanking“ auf „sieben Vergewaltigungen“210 belaufe. Auch der frühere Gouverneur von Tokio und

207 Vgl. Cohen, Öffentliche Erinnerung und Kriegsverbrecherprozesse, 61; Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 144. 208 Vgl. Wang, Old Wounds, New Narratives, 113. 209 Ebd., 112. 210 Siehe: James Burnham Sedgwick, Memory on Trial. Constructing and Contesting the “Rape of Nanking” at the International Military Tribunal for the Far East, 1946-1948. In: Modern Asian Studies 43 (2009) 1229-1254, hier: 1233. 98

ehemalige Kabinettsminister Ishihara Shintarō gab an, dass Massaker sei eine „Erfindung der Chinesen“211.

Indes legte die chinesische Regierung die Opferzahl mit 300.000 Toten fest, was auch am Eingang der Gedenkstätte in Nanking festgehalten wurde. Chinesische Geschichtslehrbücher stützen sich ebenso auf diese Zahl.212 Noch höher geschätzt wurde sie in Iris Changs 1997 publiziertem Bestseller „The Rape of Nanking. The Forgotten Holocaust of World War II“. Die Journalistin orientierte sich zunächst an der offiziellen chinesischen Position, als sie die Zahl der Toten mit 260.000-350.000 Personen bezifferte. Daneben ging sie in ihrem Werk auch von 20.000-80.000 Fällen der Vergewaltigung aus. Chang überhöhte jedoch das Ausmaß der Verbrechen deutlich. Zum einen suggerierte sie durch ihren Buchtitel, das Nanking-Massaker sei „vergessen“, obwohl sich eine Beschreibung der Vorfälle in allen englischsprachigen Geschichtswerken über die japanische Besetzung Chinas findet. Zum anderen setzte sie Nanking mit dem Holocaust, das heißt mit der sorgfältig geplanten Ermordung der ca. 6 Millionen europäischen Juden, gleich. Dazu muss angemerkt werden, dass sich die japanische Kriegspolitik der „verbrannten Erde“ in Nordchina durchaus mit dem deutschen Vernichtungskrieg an der Ostfront vergleichen lässt. Die japanischen Truppen gingen im Rahmen ihrer als „Drei-Alles-Strategie“ bezeichneten Kriegsführung systematisch vor, als sie die chinesische Bevölkerung massenweise ermordeten oder zwangsumsiedelten. Trotzdem lässt sich Nanking selbst nicht als Holocaust bezeichnen. Die Entscheidung, die Stadt einzunehmen, und das Handeln der undisziplinierten japanischen Reservesoldaten waren dafür zu spontan. Als „Ausrutscher“ kann das Nanking- Massaker dennoch nicht gesehen werden – dagegen sprechen die weiteren Kriegsverbrechen der japanischen Besetzer.213

Somit ist das Nanking-Massaker eines der Hauptthemen der „Geschichtskriege“, die sich Japan und die Volksrepublik China immer noch liefern. Angeheizt wurden die Debatten insbesondere durch die Schulbuchaffäre von 1982 und die

211 Siehe: Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 144. 212 Vgl. Wang, Old Wounds, New Narratives, 112-113. 213 Vgl. Cohen, Öffentliche Erinnerung und Kriegsverbrecherprozesse, 61-62; Ishida, Das Massaker von Nanking, 235; Sedgwick, Memory on Trial, 1233. 99

aufstrebende revisionistische Bewegung gegen die „masochistische“ Geschichtsschreibung in Japan. Auch im Wettkampf um die kulturelle, wirtschaftliche und politische Hegemonie in Ostasien fungieren die japanischen Kriegsverbrechen als Mittel zur gegenseitigen Manipulation. Der Hintergrund des Massakers und die menschlichen Schicksale scheinen bei dem Streit um die Opferzahlen indes vergessen zu werden.214 So erinnert der Historiker Yang Daqing: „It is too simplistic […] to reduce the debate to merely a political or ideological battle, because it also raises important questions about how memory works and how histories are to be made. At a fundamental level, the debate over the Nanjing Massacre can be seen as a contest between the memories of the victim and those of the perpetrator.“215 Die „eine Wahrheit“ sei laut Yang ohnehin nicht mehr ermittelbar.216

6.3. Kriegsverbrechertribunale in Tokio und Nanking

In Japan unterband das kaiserliche Regime zunächst jegliche Berichterstattung über das Nanking-Massaker und hielt sowohl Täter als auch ZeugInnen an, nicht über die tatsächlichen Vorkommnisse in der Stadt zu sprechen. Die japanischen Medien berichteten ebenfalls nur vom erfolgreichen Einmarsch der Truppen in die Stadt. Die Situation änderte sich erst mit der Besetzung des Landes und insbesondere durch die Aufklärungspolitik der US-Amerikaner. Nun wurden die japanischen Zeitungen angewiesen, erstmals über die Kriegsverbrechen zu berichten. Daneben versuchte die US-amerikanische Besatzungsmacht die japanische Bevölkerung durch eine Radiosendung namens „Büchse der Wahrheit“ über die Kriegsgräuel zu informieren. Im Rahmen des US- amerikanischen Einflusses auf die Bildungspolitik wurden Berichte über das Nanking-Massaker bald auch in die Schulbücher aufgenommen.217

214 Vgl. Sedgwick, Memory on Trial, 1232. 215 Siehe: Daqing Yang, The Malleable and the Contested. The Nanjing Massacre in Postwar China and Japan. In: Takashi Fujitani, Geoffrey M. White, Lisa Yoneyama (Ed.), Perilous Memories. The Asia-Pacific War(s) (Durham/London 2001) 50-86, hier: 77. 216 Ebd., 77-78. 217 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 150; Ishida, Das Massaker von Nanking, 236. 100

In der Zwischenzeit widmeten sich mehrere alliierte Tribunale aktiv der Aufarbeitung der Kriegsverbrechen Japans. Die Tokioter Prozesse beschäftigten sich zwar mit dem Nanking-Massaker, urteilten jedoch nur im Zusammenhang mit Verbrechen gegen den Frieden.218 Daneben luden auch die Anklagebehörde und die Verteidigung nur jene ZeugInnen vor, deren Aussagen in das von ihnen konstruierte Bild der Vorfälle in Nanking passten. Die Stimmen tausender weiterer Opfer wurden entweder von vornherein nicht berücksichtigt oder während der Verhandlungen nicht gehört.219

Die Legitimität der Tokioter Prozesse wurde von RevisionistInnen jedoch aus anderen Gründen in Frage gestellt. Sie sehen bereits in der Beweisaufnahme durch die Strafverfolgung grobe Ungerechtigkeiten, denn Artikel 13 der Charta des IMTFE schrieb folgendes vor: „The Tribunal shall not be bound by technical rules of evidence […] and shall admit any evidence which it deems to have probative value.“220 Mit dieser Bestimmung wurde der Anklagebehörde die Zeugenaufnahme erleichtert, denn im Gegensatz zu den (oft bereits in Haft sitzenden) Tätern mussten ZeugInnen weite Strecken nach Tokio zurücklegen. So waren letztlich nur 10 von 30 ZeugInnen der Vorfälle in Nanking während der Prozesse anwesend. Die Aussagen der abwesenden Personen waren zwar im Vorfeld in eidesstattlichen Erklärungen festgehalten worden, einem Kreuzverhör konnten sie allerdings nicht unterzogen werden. Die Anklagevertretung lag bei der Beweisaufnahme somit klar im Vorteil gegenüber der Verteidigung, weshalb letztere auch mehrmals Beschwerde gegen das Überwiegen der schriftlichen Beweisstücke erhob.221 Einer der Verteidiger, der US-Amerikaner William Logan, kritisierte das Vorgehen des Gerichts im August 1946 mit den Worten: „The accused in a criminal case is entitled to be confronted by the witnesses, to see them, hear their testimony, and have the opportunity of cross examination […]. [Without this] to our mind the trial would result in anything but a fair trial because

218 Bei der Auswahl der Kriegsverbrechen gingen die Alliierten ebenso selektiv vor, denn Verbrechen vor 1937, wie etwa der Mandschurei-Zwischenfall von 1931 und die anschließende Besetzung der Region durch das Kaiserreich Japan, wurden nicht behandelt. Siehe: Togo, Development of Japan’s Historical Memory, 346. 219 Vgl. Sedgwick, Memory on Trial, 1248-1249. 220 Siehe: University of Oslo Faculty of Law, International Military Tribunal for the Far East Charter (IMTFE Charter). 19.01.1946. URL: https://www.jus.uio.no/english/services/library/ treaties/04/4-06/military-tribunal-far-east.xml (08.04.2019). 221 Vgl. Sedgwick, Memory on Trial, 1240-1241. 101

it would result in a battle of affidavits.“222 Obwohl William F. Webb, der Präsident des Tribunals, dieser Ansicht zustimmte, musste sich das IMTFE seiner Erklärung nach weiterhin auf schriftliche Zeugnisse stützen, damit die Verfahren nicht für Jahre in die Länge gezogen wurden. Hinsichtlich jener Schriftstücke, auf die sich die Verteidigung berief, schien Webb allerdings eine gewisse Voreingenommenheit an den Tag gelegt zu haben. So wandte er sich an die Verteidiger mit den Worten: „Time is wasted. I suggest you list [all the documents], tender them in a bunch, have them objected to and rejected.“223 Webbs Bereitschaft, die Beweisdokumente „in Bündeln“ zurückzuweisen, erweckte den Eindruck von mangelnder Fairness.224

Von den zehn anwesenden ZeugInnen, auf die sich die Strafverfolgung berief, waren weiters nur drei Gewalt von Seiten japanischer Soldaten ausgesetzt gewesen. Liang Dingfang, Sheng Deyi und Wu Zhangde waren die einzigen Opfer von Nanking, die den Tätern öffentlich gegenübertraten. Sie wurden einer konfrontativen Befragung durch die Verteidigung ausgesetzt, während der versucht wurde, ihre Aussagen als unglaubwürdig oder irrelevant darzustellen. Den Verteidigern gelang es tatsächlich, die Glaubwürdigkeit der BelastungszeugInnen in Zweifel zu ziehen, indem sie auf minutiöse Abweichungen in den einzelnen Aussagen hinwiesen. Gleichzeitig bestritten sie die im Rahmen der Bestattung der Toten ermittelten Opferzahlen. Die Existenz von Diskrepanzen in den Prozessen wurde weiters durch die abweichende Stimme des indischen Richters Radhabinod Pal bestätigt. Dieser gab an, Teile der Beweisaussagen als „verzerrt“ und „übertrieben“ zu empfinden und erklärte die Beschuldigten als Einziger für unschuldig.225 Die Prozesse selbst kritisierte er mit den Worten: „The so-called trial held according to the definition of crime now given by the victors obliterates the centuries of civilization which stretch between us and the summary slaying of the defeated in a war. A trial with law thus prescribed will only be a sham employment of legal process for the satisfaction of a thirst for revenge. […] Formalized vengeance can bring only an ephemeral

222 Siehe: Sedgwick, Memory on Trial, 1241. 223 Ebd., 1240-1241. 224 Ebd. 225 Ebd., 1241-1242, 1248-1249. 102

satisfaction, with every probability of ultimate regret.“226 General Matsui Iwane soll daraufhin seinem Seelsorger im Gefängnis mitgeteilt haben, dass er Pals „philosophische“ Position sehr zu schätzen wisse.227

Im November 1948 legte das IMTFE schließlich seine offizielle Version der Vorfälle in Nanking im Urteilsspruch dar: „Japanese soldiers swarmed over the city and committed various atrocities. […] they were let loose like a barbarian horde to desecrate the city. […] Individual soldiers and small groups of two or three roamed over the city murdering, raping, looting and burning. There was no discipline whatsoever. […] Organized and wholesale murder of male civilians was conducted with the apparent sanction of the commanders on the pretense that Chinese soldiers had removed their uniforms and were mingling with the population. Groups of Chinese civilians were formed, bound with their hands behind their backs, and marched outside the walls of the city where they were killed in groups by machine gun fire and with bayonets.“228 Bezüglich der Opferzahlen und der Dauer des Massakers gab das Tribunal an, dass zwischen der Einnahme Nankings am 13. Dezember 1937 und dem frühen Februar 1938 etwa 20.000 Frauen vergewaltigt wurden und zwischen 100.000-200.000 Menschen starben. Bei den Zahlen und Datumsangaben stützte sich das Gericht auf die Angaben der Strafverfolgung und übernahm auch einige sprachliche Formulierungen, wie etwa die Bezeichnung des japanischen Vorgehens als „Verbrechensorgie“ einer „barbarische Horde“, welche die Stadt „schändete“229. Während der Abfassung des Urteilsentwurfs meinte der französische Richter Henri Bernard daher sogar: „[O]ne could almost say that we will only review the prosecution argument.“230 Die Ähnlichkeiten zwischen den Argumenten der Strafverfolgung und dem finalen Urteil lieferte KritikerInnen einen weiteren Grund, die Rechtsprechung des Tribunals als einseitige Siegerjustiz zu klassifizieren.

226 Siehe: Kei Ushimura, Pal’s “Dissentient Judgment” Reconsidered. Some Notes on Postwar Japan’s Responses to the Opinion. In: Japan Review 19 (2007) 215-224, hier: 219. 227 Vgl. Yuma Totani, Japanese Receptions of Separate Opinions at the Tokyo Trial. In: Daqun Liu, Binxin Zhang (Ed.), Historical War Crimes Trials in Asia (Brussels 2016) 59-76, hier: 60. 228 Siehe: Sedgwick, Memory on Trial, 1238. 229 Ebd., 1239. 230 Ebd. 103

Eine einheitliche Aufarbeitung der Vorfälle in Nanking konnte durch die Kriegsverbrecherprozesse in Tokio somit nicht zustande kommen. Auf der einen Seite bestätigte das IMTFE die Existenz des Nanking-Massakers und legte fest, was genau geschehen war. Auf der anderen Seite, so der Historiker Mark Eykholt, waren „Versuche, das Nanking-Massaker zu verschleiern und zu verleugnen Teil jeder Verteidigung“231 während der Prozesse. Auf genau diese Argumentation der Verteidigung berufen sich RevisionistInnen und Nanking- LeugnerInnen noch heute.232 Timothy Brook bestätigt dies wie folgend: „The IMTFE trial in Tokyo has been used as a touchstone to confirm and deny all manner of claims concerning the incident. Those who feel aggrieved over Japan’s conduct toward China cite the evidence produced at the trial to authenticate the scale and brutality of the massacre. Those who feel that Japan and the emperor system have been unfairly blamed for the war in East Asia scour the trial proceedings for failures in logic and evidence that demonstrate to their satisfaction that the ‘Tokyo trial view of history’ is nothing but anti-Japanese distortion and fabrication. For both sides, the Tokyo judgment is fuel for ideological fire.“233 Die Strittigkeit der Urteile scheint jedoch gerade bei Kriegsverbrecherprozessen eine unvermeidbare Konsequenz zu sein.234

Neben den Tokioter Prozessen gegen die Hauptkriegsverbrecher wurden innerhalb und außerhalb Japans noch andere Verfahren zur Verurteilung von Kriegsverbrechern der Klassen B und C abgehalten. Zehn Tribunale fanden in China statt, darunter jenes in Nanking, das am 15. Februar 1946 eröffnet wurde. Auf der Anklagebank saßen 24 Japaner, denen die Teilnahme am Nanking- Massaker zur Last gelegt wurde. Unter den Angeklagten befanden sich vier japanische Offiziere: Generalleutnant Tani Hisao, der mit seiner Sechsten Division als erster in Nanking einmarschierte, Hauptmann Tanaka Gunkichi, der Kommandant des 45sten Regiments, und die Leutnants Mukai Toshiaki und Noda Tsuyoshi. Letztere erlangten vor allem durch ihren angeblichen Wettstreit, auf dem Weg nach Nanking zuerst 100 Personen mit dem Schwert zu töten (Hyakunin-giri Kyōsō), Bekanntheit. Der Wettbewerb wurde später zum Symbol

231 Siehe: Sedgwick, Memory on Trial, 1234. 232 Ebd., 1242-1243. 233 Ebd., 1234. 234 Ebd., 1235. 104

der Abartigkeit sowie der mangelnden Disziplin der japanischen Truppen. Da die japanischen Zeitungen damals stolz über den Wettbewerb berichteten, wurde beiden Militärs so ihre Beteiligung an den Morden nachgewiesen.235 Im Urteil vom 26. Januar 1949 erhielten acht Personen, darunter die vier genannten Offiziere, die Todesstrafe. Ein weiterer Kriegsverbrecher war bereits in Untersuchungshaft verstorben. Die übrigen 14 Militärangehörigen wurden mit Gefängnisstrafen belegt. Eine Ausnahme bildete hingegen der General Okamura Yasuji, der Oberbefehlshaber der China-Expeditionsarmee, den Chiang Kai-shek unter Schutz stellen ließ. Er wurde daher freigesprochen und arbeitete später als militärischer Berater für Chiang. Eine ähnliche Sonderbehandlung erfuhr Prinz Yasuhiko, der 1937 den Befehl zum Nanking-Massaker gegeben hatte. Da General Douglas MacArthur der kaiserlichen Familie Immunität garantierte, wurde Yasuhiko weder in Tokio noch in Nanking vor ein Gericht gestellt.236

1951 musste Japan mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von San Francisco offiziell die Urteile des IMTFE und der anderen alliierten Tribunale, inklusive jenes in Nanking, anerkennen. In Wirklichkeit aber wurden viele der durch die Kriegsverbrecherprozesse zum Tode Verurteilten in Japan als Patrioten und Helden angesehen. Zugunsten der noch gefangenen Kriegsverbrecher gab es daher öffentlich wirksame Kampagnen, weshalb die Männer 1958 allesamt aus der chinesischen Haft entlassen wurden. Es ist selbstredend, dass dadurch vor allem die Wirkung der Nanking-Prozesse wesentlich gemindert wurde.237

235 Vgl. Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 114; Chieko Suzuki, The Hundred Head Contest. Reassessing the Nanjing Massacre. In: The Asia-Pacific Journal, Japan Focus 2, Iss. 2 (2004). URL: https://apjjf.org/-Suzuki-Chieko/1792/article.html (08.04.2019); Xintong Wang, The Nanjing Trial and Its Impact on the Chinese and Japanese Peoples. In: Daqun Liu, Binxin Zhang (Ed.), Historical War Crimes Trials in Asia (Brussels 2016) 153-171; hier: 155-156, 159- 161. 236 Vgl. Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 114, 148; Wang, The Nanjing Trial and Its Impact, 161-162. 237 Vgl. Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 114, 120; Wang, The Nanjing Trial and Its Impact, 154. 105

6.4. AutorInnenstreit

Ende der 1960er Jahre interviewte Honda Katsuichi, Journalist der Asahi Shimbun, die chinesischen Überlebenden von Nanking. Er sammelte ihre Schilderungen in Buchform und veröffentlichte sie 1972 unter dem Titel Chūgoku no Tabi („Die Reise nach China“). Hondas Werk verkaufte sich millionenfach und erregte großes Aufsehen in der japanischen Öffentlichkeit, vor allem wegen seiner Beschreibung des Tötungswettstreits zwischen Mukai und Noda. Im gleichen Jahr publizierte ein Historiker an der Waseda-Universität, Hora Tomio, das Buch Nankin Jiken („Der Vorfall von Nanking“), in dem auch er den Ablauf des Massakers detailliert beschrieb. Die konservative Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten. Der Autor Yamamoto Shichihei begann Honda über das konservative Blatt Shokun zu attackieren, wobei sich Honda auf die öffentliche Debatte einließ und Yamamotos Leugnung der durch Mukai und Noda begangenen Gräueltaten entkräftete. 1973 mischte sich Suzuki Akira in die Debatte ein; er brachte ein Werk namens Nankin Daigyakusatsu no Maboroshi („Die Illusion des Nanking-Massakers“) heraus, das sich der Verharmlosung des Nanking-Massakers widmete. Hinsichtlich des Wettstreits zwischen Mukai und Noda behauptete der Journalist, die beiden Leutnants wären auf der Grundlage von Falschmeldungen zu Unrecht hingerichtet worden. Suzukis Publikation verkaufte sich aufgrund der brisanten Thematik über 200.000 Mal und erhielt sogar den renommierten Ōya-Sōichi-Preis für nicht-fiktionale Literatur.238 Hora wiederum konnte nicht hinnehmen, dass seine Arbeit diskreditiert wurde, und veröffentlichte mehrere Beweisaussagen, welche die Tötung der Kriegsgefangenen durch Mukai und Noda zum Inhalt hatten. Die Diskussion für sich entscheiden konnte er letztlich mit den Aufzeichnungen Shijime Akiras, der als Volksschüler den Erzählungen Nodas lauschte. Dieser soll damals gesagt haben: „Whenever we took over a trench, we would shout ‘Ni, lai, lai’ (Hey you, come, come). Chink soldiers are damn fools, so they would come out in hordes. We would line them up and cut down every last one. […] I got a reputation for slicing up 100 men, but almost all of them were in this manner. […] Two of us had a killing contest, but later on people would ask me, ‘Wasn’t it really an easy

238 Vgl. Ishida, Das Massaker von Nanking, 238; Suzuki, The Hundred Head Contest (2004) 2; Wang, The Nanjing Trial and Its Impact, 166-167. 106

matter?’ And I would reply, ‘for me, it was nothing at all.’“239 Auch Hora publizierte ein weiteres Buch, Nankin Daigyakusatsu: „Maboroshi“ ka Kōsaku hihan („Das Nanking-Massaker: Kritik an der Schaffung der ‚Illusion‘“), in dem er Suzukis Argumente Punkt für Punkt widerlegte. Trotzdem wurde die Leugnung und Verharmlosung des Nanking-Massakers in konservativen Zeitungen und Zeitschriften wie der Sankei Shimbun, Seiron, Bungeishunjū und der bereits erwähnten Shokun fortgeführt.240

Auch die Schulbuchprozesse Saburō Ienagas und die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Volksrepublik China regten die Diskussion um die japanischen Kriegsverbrechen weiter an.241 1972 kamen Japan und die Volksrepublik in einem gemeinsamen Kommuniqué überein, den Japanisch- Chinesischen Krieg offiziell zu beenden. Die japanische Regierung reflektierte über ihr Handeln mit den Worten: „The Japanese side is keenly conscious of the responsibility for the serious damage that Japan caused in the past to the Chinese people through war, and deeply reproaches itself.“242 Im Artikel 5 des Vertrags erklärte China ferner seinen Verzicht auf Reparationszahlungen. Für chinesische Kriegsopfer bedeutete dies folglich, dass die meisten ihrer Klagen auf Schadenersatz abgewiesen wurden.243

Als ebenso bedeutsame Zeit für die Aufarbeitung der Vorfälle in Nanking sollte sich die Mitte der 1980er Jahre herausstellen. 1984 erschien zunächst Tanaka Masaakis Buch „Die Erfindung der ‚Gräuel von Nanking‘: Über General Matsuis Tagebuch“ („Nankin Gyakusatsu“ no Kyokō: Matsui Taishō no Nikki o megutte). Tanaka, der während der Eroberung Nankings als Sekretär General Matsuis fungiert hatte, berief sich auf dessen private Aufzeichnungen, um die Existenz

239 Siehe: Bob Tadashi Wakabayashi, The Nanking 100-Man Killing Contest Debate, 1971-75. In: Bob Tadashi Wakabayashi (Ed.), The Nanking Atrocity, 1937-38. Complicating the Picture (New York/Oxford ²2017) 115-148, hier: 139. 240 Vgl. Suzuki, The Hundred Head Contest (2004) 3. 241 Vgl. Kiyoteru Tsutsui, The Trajectory of Perpetrators’ Trauma. Mnemonic Politics around the Asia-Pacific War in Japan. In: Social Forces 87 (2009) 1389-1422, hier: 1403. 242 Siehe: Ministry of Foreign Affairs of Japan, Joint Communique of the Government of Japan and the Government of the People’s Republic of China. 29.09.1972. URL: https://www.mofa.go.jp/region/asia-paci/china/joint72.html (08.04.2019). 243 Vgl. Ja-hyun Chun, The Role of Compensation in Sino-Japanese Reconciliation. Compensation as a Means to Restore Justice. In: Mikyoung Kim (Ed.), Routledge Handbook of Memory and Reconciliation in East Asia (Abingdon-on-Thames/New York 2019) 212-224, hier: 220. 107

des Massakers abzustreiten. Dieses sei nichts weiter als Propaganda der Alliierten und der chinesischen Regierung gewesen. Im Jahr darauf veröffentlichte Tanaka Matsuis vollständiges Tagebuch unter dem Titel Matsui Iwane Taishō no Jinchū Nikki („Das Kriegstagebuch General Matsui Iwanes“), wobei sich später herausstellte, dass er den Inhalt von Matsuis Aufzeichnungen an mehreren hundert Stellen verändert hatte. Somit verloren Tanakas Worte jegliche Glaubwürdigkeit. 1984 etablierte sich weiters die durch Fujiwara Akira ins Leben gerufene Forschungsgemeinschaft für Nanking (Nankin Jiken Chōsa Kenkyūkai), die es sich zur Aufgabe machte, den revisionistischen Tendenzen in der Geschichtsschreibung entgegenzuwirken. Ihre Arbeit war insbesondere für den Ausgang des letzten Schulbuchprozesses entscheidend, in dem RevisionistInnen eine klare Niederlage erlitten. Die Forschungsgemeinschaft nutzte psychologische Ansätze zur Untersuchung der Tagebücher von Generälen und Soldaten und beschäftigte sich ebenso mit der Frage der Gewalteskalation in und um Nanking. Ihre auch durch Oral History gewonnenen Ergebnisse flossen in eine Vielzahl von Büchern und Dokumentensammlungen mit ein, welche die Mitglieder in nur wenigen Jahren veröffentlichten.244

Zwischen 1984 und 1985 ersuchte Kaikōsha, eine Organisation für Kriegsveteranen und -hinterbliebene, ihre Mitglieder um schriftliche Zusendungen über ihre Erfahrungen in Nanking. Die Briefe sollten im Newsletter des Vereins erscheinen, wobei Kaikōsha erwartete, so liberale Darstellungen des Massakers widerlegen zu können. Tatsächlich erhielten die HerausgeberInnen zahlreiche Briefe von Veteranen, in denen diese allerdings zugaben, bei den Ereignissen in Nanking entweder zugesehen oder mitgewirkt zu haben. Dennoch versuchte Kaikōsha im Anschluss, das Massaker zu verharmlosen, indem verlautet wurde, es seien nur 3.000-13.000 ZivilistInnen und Kriegsgefangene ums Leben gekommen. Der Verein bezeichnete die Morde dennoch als unverzeihlich und reagierte mit einer im Newsletter publizierten Entschuldigung an die chinesische Bevölkerung.245

244 Vgl. Ishida, Das Massaker von Nanking, 240; Liu, The Nanjing Trials – Victor’s Justice, 114- 115; Suzuki, The Hundred Head Contest (2004) 3. 245 Vgl. Togo, Development of Japan’s Historical Memory, 348; Tsutsui, The Trajectory of Perpetrators’ Trauma, 1415. 108

Ende der 1980er Jahre wurde die Kriegsaufarbeitung durch eine Reihe von Umständen erneut angeregt. Auf den Tod Kaiser Hirohitos 1989 folgten Diskussionen um die japanische Kriegsschuld und die Verantwortung des tennō für die Kriegsführung. Gleichzeitig war die japanische Wirtschaft zur zweitmächtigsten der Welt aufgestiegen. Die ökonomische Expansion und Zusammenarbeit mit anderen asiatischen Ländern machte den japanischen FirmenchefInnen bewusst, welch großer Bedarf nach Aussöhnung noch herrschte. Sie begannen daraufhin, verschiedene liberale Volksbewegungen zur verstärkten Thematisierung der Kriegsvergangenheit zu unterstützen und forderten für die Nachbarländer eine offizielle Entschuldigung bei der japanischen Regierung ein. In der Zwischenzeit vernetzten sich AktivistInnen international und wiesen vor allem Menschenrechtsorganisationen auf die mangelnde Aufarbeitung der japanischen Kriegsverbrechen hin. Die Regierung Japans musste dem Druck schließlich nachgeben, was in der Kōno-Erklärung 1993 und der Murayama-Entschuldigung von 1995 mündete. Diese Bekundungen stießen bei Neo-NationalistInnen hingegen auf Unmut. Schon im Mai 1994 etwa bestritt der Justizminister Nagano Shigeto das Nanking-Massaker sowie die aggressive Kriegsführung Japans. Daraufhin musste er seinen Posten verlassen. Drei Monate später behauptete der Generaldirektor der Umweltschutzbehörde, Sakurai Shin, die japanische Expansionspolitik sei nicht in aggressiver Absicht erfolgt und habe sich zudem positiv auf Asien ausgewirkt. Auch er musste daraufhin zurücktreten. Da die Leugnung der Kriegsgräuel im neuen politischen Klima nun weniger leicht vertretbar geworden war, versuchten andere konservative PolitikerInnen, JournalistInnen und Intellektuelle ihre Strategie zu ändern. Sie konzentrierten sich nun vor allem auf die Verharmlosung der Kriegsverbrechen. Hinsichtlich Nankings wurde behauptet, nur wenige tausend ZivilistInnen seien ermordet worden, weshalb das Massaker kaum an den Kriegsverbrechen anderer Länder gemessen werden könne. Um politisch linksgerichtete Stimmen zu entkräften deuteten Neo-NationalistInnen vielfach auf die Gräueltaten kommunistischer Regimes wie etwa jene unter Stalin und Mao.

109

Auch auf die Atombombenabwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki wurde verwiesen, um vom Thema der japanischen Kriegsverbrechen abzulenken.246

1997 erregte „The Rape of Nanking“, das Werk der chinesischen Amerikanerin , vor allem in den USA große Aufmerksamkeit. HistorikerInnen hingegen standen Changs Ausführungen zum Nanking-Massaker eher kritisch gegenüber. Laut Joshua Fogel, damals Professor für Geschichte an der Universität von Kalifornien, Santa Barbara, habe Chang die Glaubwürdigkeit der von ihr als Beweise präsentierten Dokumente und Interviews nicht sorgfältig genug überprüft. Auch ihre Behauptung, das Massaker sei in Japan „vergessen“ worden, und ihr Versuch der Gleichsetzung Nankings mit dem Holocaust wurden bemängelt. Trotz dieser Ungereimtheiten überlegte der liberal eingestellte Verlag Kashiwa Shobō, eine japanische Übersetzung von Changs Werk in Auftrag zu geben. Dazu baten seine VertreterInnen die Autorin, alle beanstandeten Textstellen im Buch zu überarbeiten. Da Chang dem Auftrag jedoch nicht hinreichend nachkam und sich ebenso weigerte, ihre Publikation durch eine Sammlung von kritischen Fachkommentaren ergänzen zu lassen, musste Kashiwa Shobō das Projekt schließlich fallen lassen. Der Verlag befürchtete, dass die Mängel im Werk Neo-NationalistInnen bzw. RevisionistInnen nur weitere Gründe liefern würden, das Nanking-Massaker abzustreiten. Stattdessen wurde der Entschluss getroffen, das von der Forschungsgemeinschaft von Nanking verfasste Buch „Dreizehn Lügen der Leugner des Nanking-Massakers“ (Nankin Daigyakusatsu Hiteiron Jūsan no Uso) zu veröffentlichen. Unterdessen vermied es Chang weiterhin, ihre Behauptung vom Genozid in Nanking zu revidieren. Erzkonservative Gruppen wie die „Gesellschaft für das Erstellen neuer Geschichtslehrbücher“ nutzten die Gelegenheit, um nicht nur Chang und Opfervertretungen wie das Korean Council zu kritisieren, sondern auch um die Arbeit professioneller HistorikerInnen zu diskreditieren.247 So erklärte Fujioka Nobukatsu das „Zeitalter der ExpertInnen“ für beendet und ließ zudem verlauten: „Ordinary people have misunderstood that only historians, experts of history, can understand how to interpret the history. But history is an academic discipline

246 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 183; Tsutsui, The Trajectory of Perpetrators’ Trauma, 1404-1405. 247 Vgl. Saito, The History Problem, 168-169. 110

examining facts that are the closest to ordinary people’s common sense and, therefore, ordinary people are allowed to evaluate historical research in light of their common sense. […] Even amateurs can refute historians’ distorted arguments if they use their sound reason.“248 Auf dieser Basis operiert die Gesellschaft selbst, denn bei vielen ihrer Mitglieder handelt es sich nicht um ausgebildete HistorikerInnen. Die Gründungsmitglieder Fujioka Nobukatsu und Nishio Kanji etwa waren zwar als Universitätsprofessoren tätig, beschäftigten sich jedoch mit Erziehungswissenschaften und Germanistik. Ein weiterer prominenter Angehöriger des Vereins, der Universitätsprofessor Higashinakano Shūdō, spezialisierte sich auf Geistesgeschichte. Bei Kobayashi Yoshinori hingegen handelte es sich um einen Manga-Zeichner, der an der Universität französische Literatur studiert hatte. Sie alle bestritten dennoch lautstark, dass das Nanking-Massaker jemals stattgefunden hatte.249

6.5. Sonstige revisionistische Bestrebungen

Indes beteiligten sich auch LDP-PolitikerInnen an der Leugnung des Massakers von Nanking. Nachdem das Friedensmuseum „Peace Osaka“ eine Ausstellung über die oppressive japanische Kolonialpolitik mitsamt ihren Kriegsgräueln gezeigt hatte, musste es im Jahr 2000 nach politischem Druck von Seiten der LDP eine revisionistische Veranstaltung mit dem Titel „Die größte Lüge des 20. Jahrhunderts: Die vollständige Überprüfung des Massakers in Nanking“ auf ihrem Gelände dulden.250

Vor allem die Opfer des Massakers litten unter den revisionistischen Äußerungen. Eine Überlebende von Nanking, Xia Shuqin, verklagte im November 2000 die prominenten japanischen Revisionisten Matsumura Toshio und Higashinakano Shūdō wegen Rufschädigung. Beide Autoren hatten zuvor die Glaubwürdigkeit von Xias Aussagen öffentlich bestritten, weshalb Xia während des Prozesses erklärte: „What angers me the most is that they claim I am a false witness. This is unbearable. […] I am a witness to history and I want

248 Siehe: Saito, The History Problem, 169. 249 Ebd., 169-170. 250 Vgl. Berger, War, Guilt, and World Politics, 184. 111

to serve notice that Japan’s history cannot be denied.“251 Xia selbst war acht Jahre alt gewesen, als sie am 13. Dezember 1937 von etwa 20 japanischen Soldaten in ihrem Haus attackiert worden war. Nur sie und ihre vierjährige Schwester überlebten die Bayonettstiche; sieben weitere Familienmitglieder, darunter ein Neugeborenes, kamen bei dem Überfall ums Leben. Obwohl Videoaufnahmen der verwundeten Xia existieren, bestritt Higashinakano, dass es sich bei dem Mädchen und Xia um dieselbe Person handelte. Im August 2006 befand ein Gericht in Nanking die beiden Autoren in Abwesenheit für schuldig und verurteilte sie zur Zahlung von 1,6 Millionen Yuan. Auch sollten sie Xia eine öffentliche Entschuldigung zukommen lassen. Noch im gleichen Jahr brachte Xia ihr Anliegen vor das Bezirksgericht Tokio, das ebenso zu ihren Gunsten entschied und ihr 4 Millionen Yen zusprach. Higashinakanos Berufung wurde dagegen vom Obersten Gerichtshof Japans abgewiesen.252

Etwa zur gleichen Zeit versuchten die Angehörigen der hingerichteten Leutnants Mukai und Noda, gegen die „haltlose“ Berichterstattung über den Tötungswettstreit in Nanking vorzugehen. 2003 klagten sie die Asahi und Mainichi Shimbun (vormals: Tōkyō Nichi Nichi Shimbun) sowie den Verlag Kashiwa Shobō und Autor Honda Katsuichi wegen Verleumdung auf 36 Millionen Yen Schadenersatz. Die Klage wurde vom Bezirksgericht Tokio allerdings abgelehnt, da den Zeitungen nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie den Wettstreit erfunden hatten.253 Auch hier entschied ein japanisches Gericht also nicht im Sinne der RevisionistInnen. Ein Mitglied der Forschungsgemeinschaft für Nanking, Suzuki Chieko, äußerte sich dagegen eher differenziert, was die Neubetrachtung des Tötungswettstreits anbelangte: „[R]ather than condemn the two officers who wielded swords in this atrocity, we should reveal and broadcast

251 Siehe: Sedgwick, Memory on Trial, 1251. 252 Vgl. Jun Hongo, Nanjing Survivor Wins ¥4 Million in Libel Suit. In: The Japan Times Online, 03.11.2007. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2007/11/03/national/nanjing-survivor-wins- 4-million-in-libel-suit/ (08.04.2019); The Japan Times Online, Author on Nanjing Loses Libel Appeal. 07.02.2009. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2009/02/07/national/author-on- nanjing-loses-libel-appeal/ (08.04.2019); Sedgwick, Memory on Trial, 1251. 253 Vgl. Wang, The Nanjing Trial and Its Impact, 154-155, 167; Yumi Wijers-Hasegawa, Wartime Killing Contest Trial Starts. Daughter Cites Pain from “Groundless” Published Accounts. In: The Japan Times Online, 08.07.2003. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2003/07/08/national/ wartime-killing-contest-trial-starts/ (08.04.2019). 112

the truth that the core problem was in the Japanese militarist education that fashioned this kind of soldier.“254

2017 erregte einer der größten japanischen Hotelbetreiber, die APA Group, im Zusammenhang mit der Leugnung von Kriegsverbrechen öffentliches Aufsehen. Ihr Geschäftsführer, Motoya Toshio, hatte in jedem Hotelzimmer selbstverfasste revisionistische Literatur platziert. In den von ihm unter dem Pseudonym Fuji Seiji herausgebrachten Büchern Riron Kingendai Shigaku/Theoretical Modern History: Honto no Nihon no Rekishi („Die wahre Geschichte Japans“) Teil 1 und 2 werden sowohl in japanischer als auch in englischer Sprache Kriegsgräuel wie das Nanking-Massaker bestritten. So schreibt Motoya, das Massaker sei eine Erfindung der chinesischen Regierung gewesen und habe niemals stattgefunden.255 Seine Darstellung der Vorfälle sieht stattdessen wie folgend aus: „[The Japanese Army] occupied Nanking on December 13 [1937]. At that time the defeated soldiers pillaged and slaughtered the citizens. These defeated soldiers stole clothing from civilians and became plainclothes soldiers (guerillas), so the Japanese Army carried out a search-and-destroy operation against the plain-clothes soldiers (guerillas). International law allowed the killing of these plain-clothes soldiers. The regular citizens were slaughtered by these defeated soldiers (the barrier troops were shooting fleeing Chinese soldiers to death). However, these truths have been warped and the story about 300,000 people being massacred at Nanking has been circulated through information strategy warfare. There was no reason for the Japanese Army, which had already captured Nanking, to carry out a massacre there.“256 Widerrechtliche Tötungen von ZivilistInnen seien demnach nur von den chinesischen Soldaten begangen worden: „There was no Nanking Massacre. […] There is absolutely nothing to suggest that a massacre took place. It is said Chiang Kai-shek’s army hunted down and put to death the pro-Japanese citizens of Nanking, killing as many as one thousand people in one day. The story of the massacre by the Japanese

254 Siehe: Suzuki, The Hundred Head Contest (2004) 4. 255 Vgl. Shusuke Murai, Despite Calls for Boycott, Apa Hotel Chain Will Keep Books Denying Nanking Massacre. In: The Japan Times Online, 25.01.2017. URL: https://www.japantimes.co.jp/news/2017/01/25/national/despite-calls-boycott-apa-hotel-chain- will-keep-books-denying-nanking-massacre/ (08.04.2019). 256 Siehe: APA Group, The Official Statement of APA Group about the Freshly Raised Controversy over the Paragraph of the Our-Room-Equipped Book. URL: https://www.apa.co.jp/ newsrelease/8467 (08.04.2019). 113

Army was fabricated to cover this up.“257 Zu den Trostfrauen gab Motoya an, die Frauen seien freiwillig in japanischen Kriegsbordellen tätig gewesen: „An advertisement soliciting comfort women states that their monthly pay was the equivalent of three million yen in today’s currency. They were not sex slaves, but rather well-paid, high-class prostitutes. This is a historical truth.“258 Wie andere RevisionistInnen so absolvierte jedoch auch Motoya keine Ausbildung zum Historiker und beruft sich alternativ auf „logisches“ Denken259 abseits der „einengenden“, „konventionellen“ Theorien260.

Über soziale Medien verbreiteten sich im Januar 2017 Meldungen über die APA- Bücher und deren Inhalte. Im Vorfeld der in Sapporo stattfindenden asiatischen Winterspiele schaltete sich daraufhin das Koreanische Olympiakomitee ein und forderte die japanischen OrganisatorInnen auf, Motoyas Schriften aus den Hotelzimmern zu entfernen. Daneben rief die staatliche Tourismusverwaltung Chinas sogar zum Boykott der APA-Hotels auf. Erst nach einer schriftlichen Aufforderung erklärte sich die APA Group bereit, die Bücher in Sapporo zumindest für die Dauer der Winterspiele wegzuschließen.261 Danach sollten sie wieder dort aufliegen, wobei sich die Gruppe auf ihrer offiziellen Webseite rechtfertigte: „[W]e have no intention to withdraw this book from our guest rooms, no matter how many denounces may be made about it from whatever viewpoint. Japan constitutionally guarantees freedom of speech and no one-sided pressures could force any assertion made get repealed.“262 Die Vorfälle in den Hotels wurden von der japanischen Regierung jedenfalls nicht weiter kommentiert. Dafür richtete ein Sprecher aus, die Regierung wolle sich nicht in die Aktivitäten eines Privatunternehmens einmischen.263 Dass besagte Aktivitäten auf neo-nationalistischem Gedankengut basieren, welches insbesondere durch die Politik Abes gefördert wird, ist dabei wenig

257 Siehe: Seiji Fuji, Information Warfare Is Always Rampant across the World. In: Apple Town, Essay 299, 27.06.2017. URL: http://en.apa-appletown.com/essay/705 (08.04.2019). 258 Ebd. 259 Siehe: Seiji Fuji, Theoretical Modern History. In: Apple Town, Essay 273, 12.05.2015. URL: http://en.apa-appletown.com/essay/59 (08.04.2019). 260 Siehe: APA Group, The Official Statement of APA Group (08.04.2019). 261 Vgl. Murai, Despite Calls for Boycott (25.01.2017). 262 Siehe: APA Group, The Official Statement of APA Group (08.04.2019). 263 Vgl. The Mainichi Online, Korean Olympic Committee Wants Nanjing Massacre Denial Books Removed from APA Hotels. 26.01.2017. URL: https://mainichi.jp/english/articles/ 20170126/p2a/00m/0na/014000c (08.04.2019); Murai, Despite Calls for Boycott (25.01.2017). 114

verwunderlich. So äußert auch Motoya seinen Zorn über das „anti-japanische“ Geschichtsbild, das Japan ursprünglich von den USA aufgezwungen wurde und noch immer von liberalen Medien wie der Asahi Shimbun verbreitet wird. In Motoyas Zeitschrift Apple Town heißt es dazu etwa: „In particular, at present there are forces inside and outside the country that show contempt for Japan based on obvious falsehoods, so it is essential that we turn our gaze towards correct history. We must ascertain what is correct and not be taken in by strategy warfare. If education and news reports by the media are not in line with this, many of the citizens will become masochistic without knowing the truth.“264 Zu dieser „Wahrheit“ zählen laut Motoya die Zugehörigkeit der Senkaku- und Takeshima- Inseln zu Japan265, die zentrale Rolle des Yasukuni-Schreins im öffentlichen Leben Japans266 und die Notwendigkeit der von Abe angestrebten Verfassungsänderung mitsamt der Stärkung des japanischen Militärs267.

264 Siehe: Fuji, Theoretical Modern History (12.05.2015). 265 Ebd. 266 Vgl. Toshio Motoya, Seiichi Eto, Japan Has Finally Begun Breaking Free of the Postwar Regime. In: Apple Town, Big Talk 313, 30.06.2017. URL: http://en.apa-appletown.com/bigtalk/ 716 (08.04.2019). 267 Vgl. Toshio Motoya, Kenya Akiba, The Asahi Shimbun’s Reporting on the Comfort Women Issue Is the Media’s Worst Crime in the Postwar Era. In: Apple Town, Big Talk 265, 05.09.2014. URL: http://en.apa-appletown.com/essay/49 (08.04.2019). 115

7. Zusammenfassung

Es ist die gespaltene Haltung Japans hinsichtlich der eigenen Kriegsvergangenheit, die einer Aussöhnung mit den Nachbarländern im Wege steht. Auf der einen Seite bekräftigt die japanische Regierung nach außen hin Entschuldigungen führender Politiker (allen voran jene Chefkabinettssekretär Kōnos und Premierminister Murayamas) für die aggressive Kriegspolitik, auf der anderen Seite werden revisionistische Schulbücher zugelassen und Kriegsverbrecher im Yasukuni-Schrein verehrt. Japan scheint demnach hin- und hergerissen zwischen der für das Land wichtigen Zusammenarbeit mit den Nachbarstaaten und einer Trotzhaltung, bei der Kritik aus dem Ausland als Einmischung in die eigenen Angelegenheiten verstanden wird. Kriegsverbrechen wie das Nanking-Massaker oder die Ausbeutung der Trostfrauen werden zum diplomatischen Spielball im Wettstreit um die wirtschaftliche Vormacht in Ostasien, während die eigentlichen Opfer außer Acht gelassen werden.

Doch woher kommt diese Einstellung? Es waren ausländische Besatzungsmächte, die Japan nach dem Ende des Pazifikkriegs zwangen, sich seiner Taten zu stellen. Demnach kam es zur Abhaltung von Kriegsverbrecherprozessen wie dem Tokioter Tribunal, bei dem allerdings einige der schwersten Verbrechen (z.B. die Menschenversuche der Einheit 731, das Nanking-Massaker oder die Exploitation der ZwangsarbeiterInnen und Trostfrauen) nicht behandelt wurden. Auch bei der Auswahl der vor Gericht gestellten Personen gingen die Alliierten selektiv vor; Mitglieder der kaiserlichen Familie wie Kaiser Hirohito oder Prinz Yasuhiko mussten sich nicht vor den Richtern verantworten. Aufgrund der Einseitigkeit der Prozesse wurden die Tribunale eher als Siegerjustiz empfunden und büßten folglich in der Bevölkerung an Akzeptanz ein. Die Argumente der Verteidigung, welche die Glaubwürdigkeit der ZeugInnen in Zweifel zogen, sowie die abweichende Meinung des Richters Radhabinod Pal werden heute noch von RevisionistInnen zitiert, wenn es um die Bewertung der Verfahren geht. Indes konstruierte sich nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki in der japanischen Bevölkerung ein Opfermythos. Die BürgerInnen tendierten folglich eher dazu, sich auf ihr eigenes Leid zu konzentrieren und die Verantwortung für den Krieg

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am Kern des Regimes festzumachen. Statt den eigentlichen Geschädigten des Kriegs – den im Ausland Ermordeten, Verfolgten und Verschleppten – zu gedenken, wurden die japanischen Soldaten als die wahren Opfer betrachtet. Sie seien echte Patrioten gewesen, die ihr Leben für den Kaiser gaben. Dementsprechend werden sie noch heute öffentlich geehrt, etwa bei Zeremonien im Yasukuni-Schrein.

Im Laufe der frühen 1950er Jahre, nach der Wiederherstellung der japanischen Souveränität, kam die Kriegsaufarbeitung in Japan zunächst zum Erliegen. Die Heimkehr und Reintegration der Soldaten standen im Vordergrund. In der Zwischenzeit kehrten konservative Politiker und Historiker, die zuvor vom SCAP entlassen worden waren, wieder in ihre Ämter zurück. Ihr Einfluss sollte sich bald in den Texten der Geschichtslehrbücher widerspiegeln, da das Erziehungsministerium kritische Darstellungen der Kriegsgräuel zu unterbinden begann. Ein Historiker, Ienaga Saburō, entschloss sich daraufhin, die japanische Regierung wegen der Eingriffe in die Schulbuchinhalte zu verklagen. Er prozessierte über 30 Jahre lang, konnte jedoch keine Änderung des Zulassungsverfahrens erwirken. Stattdessen veröffentlichten neo- nationalistische Gruppierungen wie die Gesellschaft für das Erstellen neuer Geschichtslehrbücher (Atarashii Rekishi Kyōkasho o Tsukuru Kai) revisionistische Schulbücher, in denen bestimmte Kriegsverbrechen überhaupt nicht mehr thematisiert wurden. Zudem hielten in den letzten Jahren, nicht zuletzt durch das Einwirken der LDP auf die lokalen Bildungsausschüsse, immer mehr revisionistische Werke Einzug in die Klassenzimmer. Auch das Fach Moralkunde wurde wieder eingeführt, um japanische Kinder im Sinne des Patriotismus zu erziehen. Parallel dazu versuchten länderübergreifende Initiativen, gemeinsame Schulbücher zu erstellen. Während offizielle Projekte vielfach unter dem Druck, die Position der jeweiligen Regierung zu vertreten, scheiterten, erzielten insbesondere japanisch-koreanische Privatinitiativen bemerkenswerte Ergebnisse.

Am Yasukuni-Schrein wird indes ersichtlich, dass die in der Nachkriegsverfassung festgelegte Trennung von Staat und Religion nie vollständig vollzogen wurde. So wurden die Seelen der 14 im Rahmen der

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Tokioter Prozesse angeklagten bzw. verurteilten Kriegsverbrecher erst durch die Zusammenarbeit des Schreins mit dem Gesundheitsministerium aufgenommen. Des Weiteren nimmt Yasukuni eine Monopolstellung im Gefallenenkult ein, nicht zuletzt wegen des hohen Stellenwerts der Ahnenverehrung in Japan und des shintōistischen Glaubens an die Schutzkräfte der verstorbenen Vorfahren. Die Seelen ebenjener können nämlich keine Ruhe im Jenseits finden, wenn ihr Leben kritisch hinterfragt wird. Auch über die Verfassungsmäßigkeit der Besuche des Schreins durch japanische PolitikerInnen herrscht Uneinigkeit. Diese stehen vor allem seit der offiziellen Visitation Premierminister Nakasones 1985 im Blickpunkt der Nachbarstaaten. Der Einfluss des Yasukuni-Schreins und der mit ihm verbundenen Organisationen Jinja Honchō (Zentralbüro der Schreine) und Nihon Izokukai (Vereinigung der Kriegshinterbliebenen) ist dabei nicht zu unterschätzen. Ihre AnhängerInnen wurden zu einem bedeutenden politischen Machtfaktor, was sich vor allem am Aufstieg Koizumis 2001 zeigte, dem es innerhalb der LDP ursprünglich an Rückhalt gefehlt hatte. Um sich die weitere Unterstützung der neo-nationalistischen Organisationen zu sichern, machte der Premierminister dem Yasukuni-Schrein folglich jedes Jahr seine Aufwartung. Die Kaiser Hirohito und Akihito blieben Yasukuni dagegen fern und auch der künftige tennō, Naruhito, zeigt wenig Interesse an der Durchführung von Visitationen.

Im Jahr 2000 wurde das Women’s International War Crimes Tribunal ins Leben gerufen, das sich mit der Aufarbeitung von an Frauen begangenen Kriegsverbrechen beschäftigte. Es war das Ergebnis einer transnationalen Frauenrechtsbewegung, bei der Bürgerinitiativen wie das Korean Council ehemaligen Trostfrauen ihre Unterstützung zukommen ließen. Daneben hatte ein ehemaliger Mobilisierungsdirektor, Yoshida Yūto, in Buchform Beichte über seine Vergangenheit abgelegt. Seine Erzählungen über die Trostfrauen erreichten sogar die UNO und trugen damit wesentlich zur Anregung der Diskussionen bei. Nachdem allerdings bekannt wurde, dass es sich bei seinen Memoiren um fiktive Erzählungen handelte, waren revisionistische Gruppen erst recht davon überzeugt, dass es sich auch bei den anderen Kriegsverbrechen um Fälschungen handelte. Unterdessen bemühte sich die japanische Regierung, den ehemaligen Trostfrauen entgegenzukommen; Entschuldigungen und Entschädigungsversuche wurden jedoch oftmals von den Opfervereinigungen

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kritisiert bzw. abgewiesen, ihrer Ansicht nach keine klare Verantwortungsübernahme durch die Regierung selbst erfolgte. Ein wirklicher Schritt in diese Richtung wurde erst 2015 mit der Etablierung der Reconciliation and Healing Foundation gesetzt, für welche die japanische Regierung Gelder direkt nach Südkorea überwies. Doch auch hier handelte es sich um einen außenpolitischen Schachzug Japans und Südkoreas, bei dem die früheren Trostfrauen nicht wirklich berücksichtigt wurden. Die Stiftung selbst wurde durch die südkoreanische Regierung einseitig aufgelöst, um die Entschädigung der Frauen letztlich selbst zu übernehmen. Ob die wenigen alten Damen, die noch am Leben sind, die von ihnen gewünschte aufrichtige Entschuldigung der japanischen Regierung jemals erhalten werden, bleibt fraglich.

Hinsichtlich des Nanking-Massakers müssen die Bestrebungen verschiedener AutorInnen und Forschungsgruppen genannt werden, die das Massaker in ihren Werken aufarbeiten. Neben Honda Katsuichi und Hora Tomio sind die Bemühungen der von Fujiwara Akira gegründeten Forschungsgemeinschaft für Nanking (Nankin Jiken Chōsa Kenkyūkai) zu erwähnen. Letztere konnte bereits während der Schulbuchprozesse bedeutende Erfolge für sich verbuchen. Die Mängel in Iris Changs Buch „The Rape of Nanking“ dagegen lieferten RevisionistInnen wie Fujioka Nobukatsu einen weiteren Anlass, die Kriegsverbrechen zu leugnen und die Geschichtswissenschaft zu diskreditieren. So hält auch der Hotelbesitzer Motoya Toshio nichts von ExpertInnen und den „konventionellen“ Theorien des Fachs. Laut ihm sei das Nanking-Massaker von der chinesischen Regierung erfunden worden, um dem Ansehen Japans zu schaden. Solche und noch andere Äußerungen verbreitet Motoya offen in sämtlichen seiner Hotels, in denen unter anderem Gäste aus Südkorea und China untergebracht werden.

Als hauptverantwortlich für dieses Klima ist die japanische Regierung anzusehen. Ihr obliegt die Lehrbuchkontrolle und die Verantwortung für die Besuche des Yasukuni-Schreins durch ihre VertreterInnen. Dass die konservative LDP seit ihrer Gründung 1955 beinahe durchgehend die Regierung stellt, erscheint ebenso kaum förderlich für die Aufarbeitung. Der derzeitige Vorsitzende der Partei, Abe Shinzō, steht nun kurz davor, der am längsten amtierende japanische

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Premierminister in der Geschichte des Landes zu werden. Als ehemaliger Leiter der Gesellschaft für das Erstellen neuer Geschichtslehrbücher pflegt er gute Kontakte zum Verein der Kriegshinterbliebenen. Wie die überwiegende Mehrheit seines Kabinetts ist Abe zudem Mitglied der mächtigen Nippon Kaigi-Lobby, die sich zum Ziel gesetzt hat, Japans frühere Glorie wiederherzustellen. Zu diesem Zweck sollen SchülerInnen nicht nach pazifistischen Prinzipien erzogen werden, sondern über die Notwendigkeit der Landesverteidigung lernen. In Verbindung mit einer angestrebten Verfassungsänderung zugunsten der Armee befürchten Nachbarländer indes ein Wiedererstarken des japanischen Militarismus. Daneben soll der Staatsshintō wiedereingeführt werden und der tennō erneut an die Spitze des Staates zurückkehren.

Am 1. April 2019 wählte das japanische Kabinett den Namen und zugleich die Regierungsdevise für die Ära des nächsten Kaisers, Naruhito. Die Wahl fiel auf das Wort , was offiziell mit „schöne Harmonie“268 zu übersetzen ist. Entgegen der Tradition wurden jedoch keine Schriftzeichen aus klassischen Werken der chinesischen Literatur entliehen, sondern es wurde zum ersten Mal auf eine japanische Gedichtsammlung zurückgegriffen.269 Ein nationalistisches Element wird somit deutlich, was durch alternative Lesungsmöglichkeiten der beiden kanji nur noch verstärkt wird. So bedeutet das Zeichen für rei auch „Befehl“ oder „Anweisung“, während wa neben „Frieden“ und „Harmonie“ als älteste Bezeichnung für Japan selbst steht. In welche Richtung sich Japan in dieser neuen Ära entwickeln wird, bleibt abzuwarten.

268 Siehe: Botschaft von Japan in Deutschland, Entscheidung über den neuen Äranamen. URL: https://www.de.emb-japan.go.jp/aktuelles/190401reiwa.html (14.04.2019). 269 Ebd. 120

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