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Repositorium für Medienwissenschaft

Lars Schmeink Sean McQueen: Deleuze and Baudrillard: From to 2018 https://doi.org/10.17192/ep2018.1.7744

Veröffentlichungsversion / published version Rezension / review

Empfohlene Zitierung / Suggested Citation: Schmeink, Lars: Sean McQueen: Deleuze and Baudrillard: From Cyberpunk to Biopunk. In: MEDIENwissenschaft: Rezensionen | Reviews, Jg. 35 (2018), Nr. 1. DOI: https://doi.org/10.17192/ep2018.1.7744.

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Sean McQueen: Deleuze and Baudrillard: From Cyberpunk to Biopunk Edinburgh: Edinburgh UP 2016 (Plateaus: New Directions in Deleuze Studies), 277 S., ISBN 9781474414371, GBP 24,99

Mit seinem Buch Deleuze and marxistischer Kritik und psychoanaly- ­Baudrillard zeichnet Sean McQueen tischer Theorie und in seinem Objekt Bewegungen kritischer Positionen zwischen Literatur und Film. In der nach, wie sie in den letzten Jahrzehnten gedanklichen Konzeption lässt sich die intellektuelle Auseinandersetzung McQueens Werk zwischen control und mit zeitgenössischer Kultur bestimmt contagion verorten, wie er auch seine haben. Seine Arbeit fokussiert dabei zwei Hauptabschnitte betitelt. Vor eine Entwicklung, die am besten allem aber bewegt sich die Arbeit zwi- anhand der sie eingrenzenden Pole schen Cyberpunk und Biopunk, zwei beschrieben ist – er selbst formuliert Subgenres der Science-Fiction, die sie als ein „cognitive mapping of the McQueen als logische lineare Entwick- transition from late to bio- lung versteht. Folgt man McQueen, capitalism“ (S.1). Doch dies sind nicht so stellen sich die als sym- die einzigen Pole, vielmehr bewegt bolische Bühne dar, auf der sich die sich die Arbeit zugleich auch fokal oben genannten geistesgeschichtlichen zwischen den großen Persönlichkeiten Verwandlungen darlegen lassen. So Jean Baudrillard und Gilles Deleuze, spricht er vom „becoming-­Deleuzian“ historisch zwischen dem 20. und dem (S.2) der Science-Fiction, vom Zer- 21. Jahrhundert, methodisch zwischen fall der akademischen Faszination mit 46 MEDIENwissenschaft 01/2018

Baudrillard’schen Simulakren und dem -Werkanalysen in Kapiteln zu ‚Cyber‘ in Cyberculture, und Anthony Burgess‘ A Clockwork Orange Cyberpunk sowie dem sternenglei- (1962), David Cronenbergs Videodrome chen Aufstieg von Deleuze, mit seinen (1983), J.G. Ballards Crash (1973) und becomings, die sich im Biokapital, der schließlich Ray Bradburys Fahrenheit Biopolitik und eben im Biopunk wie- 451 (1953) und George Orwells Nine- derfinden lassen. teen Eighty-Four (1949) durch. Ken- McQueen folgt in der Arbeit den ner_innen der Science-Fiction werden von ihm vorgegebenen Bewegungen, bei dieser Liste stutzen, werden diese analysiert eine Vielzahl zentraler Werke abgesehen von Videodrome typi- Werke und legt so einen Bezug der scherweise nicht als Cyberpunk klassi- Science-Fiction auf die Entwicklungen fiziert. Und tatsächlich kann McQueen des Kapitalismus offen. McQueens nicht überzeugend darlegen, inwiefern Stärken sind dabei seine Sattelfe- hier notwendiger Bestandteil stigkeit in der Philosophie und seine seines Diskurses ist – in der psychoa- rigorose und teilweise deutliche Kritik nalytisch-marxistischen Melange seiner an der verbreiteten Lesart der beiden Lesarten spielen Genreüberlegungen Theoretiker. Er seziert in jedem sei- kaum eine Rolle. ner Kapitel bestehende Deutungen In seinem zweiten Abschnitt zum und scheut sich auch nicht, diese mit Biopunk ist McQueens Auswahl an Gusto als fehlerhaft oder einseitig auf- Primärwerken zwar auch nicht unan- zudecken. Wer allerdings nicht wie fechtbar, doch finden hier mitVincenzo ­ McQueen jedes Werk von ­Baudrillard, Natalis Splice (2009), Brandon­ Deleuze, Félix Guattari, Slavoj Žižek, ­Cronenbergs Antiviral (2012), Kazuo Giorgio ­Agamben, , Ishiguros Never Let Me Go (2005) und Jacques Derrida, Antonio Negri/ dem weniger bekannten Roman Repos- Michael Hardt und anderen Theore- session Mambo (2009) von Eric Garcia tiker_innen unserer Zeit verinnerlicht wenigstens allgemein als Biopunk aner- hat, der wird sich oftmals vor den Kopf kannte Werke eine Analyse. McQueens gestoßen fühlen. McQueens Ausfüh- historische Verortung von Karel Čapeks rungen verzeihen keine Wissenslü- R.U.R. (1921) als „foundational bio- cken, und seine Prosa ist stilistisch punk text“ (S.160) lässt sich allerdings seinen Vorbildern angepasst: in Teilen in Frage stellen. Auch problematisch hermetisch, in Teilen zu blumig und mag sein, dass die Analysen nur wenig sprachschöpferisch. auf die Medialität der Werke eingehen Hinsichtlich seiner Einzelanalysen und somit Theaterstück, Romane und kartografiert McQueen in neun Kapi- Filme auf einer gemeinsamen ana- teln den Weg von Cyberpunk zu Bio- lytischen Ebene stehen, ohne jewei- punk, wobei sich seine Detailschärfe in lige Spezifika in der Vermittlung in Sachen kritischer Textarbeit nicht auf Betracht zu ziehen. die Ebene seines Primärkorpus über- Deleuze and Baudrillard ist eine tragen lässt. So führt er seine Cyber- intensive Auseinandersetzung mit den Medien / Kultur 47

Arbeiten der beiden im Titel genannten tung des Kapitalismus, eines sich aus- Theoretiker und kann in den Deleuze weitenden Posthumanismus oder auch Studies sicher für Aufsehen sorgen. Im als Verkörperung eines „becoming- Bereich der Medienwissenschaft, aber minoritarian“ (S.33), also einer Haltung auch für Forschende in den Science- jenseits mehrheitlicher Subjektpositi- Fiction-Studies ist das Buch hingegen onen, wie Deleuze und Guattari es in nicht immer schlüssig. Gerade die Sper- A Thousand Plateaus: Capitalism and rigkeit der theoretischen Basis und die Schizophrenia (Minneapolis: University Weigerung McQueens, die Konzepte of Minnesota Press, 1980) formuliert der Analyse deutlicher zu klären, dürfte haben, sicher von zentraler Bedeutung es Nicht-Deleuzianer_innen erschwe- für die heutige Medien- und Kultur- ren, das Werk fruchtbar zu machen. wissenschaft. Dabei ist das Thema des Biopunk, als Zeichen einer sich verändernden Hal- Lars Schmeink (Hamburg)