HARTMUT SCHWARZBACH / ARGUS Uigurische Ex-Häftlinge (in Tirana)*: Warten, dass das Leben endlich weitergeht

MENSCHENRECHTE Flucht in die Hölle Im Jahr 2000 verließen fünf Männer aus Angst vor Folter und Gefängnis ihre Heimat im Norden Chinas, sie träumten von einer Zukunft in den USA. Unterwegs gerieten sie in Amerikas Krieg gegen den Terror – und fanden sich am Ende in Guantanamo wieder. Von Hauke Goos

ie hocken auf ihren Betten, in einer Flüchtlingsorganisation der Uno. Es ist Sie sehen aus, als hätten sie sich schon Baracke am Stadtrand, und warten. der Tag, an dem Angela Merkel einmal feingemacht für ihr zweites Leben. SDie Tür steht offen, es ist ein wol- besucht. In Peking trifft sie Staatschef Hu Die Männer sind Uiguren, Angehörige kenloser Spätfrühlingstag in Tirana, drau- Jintao, in den Gesprächen, heißt es, soll einer turkstämmigen Minderheit im äußers- ßen staut sich schon die Mittagshitze. Kei- es auch um Menschenrechte gehen. Ein ten Nordwesten Chinas. Die Uiguren le- ner der fünf Männer sagt etwas. Sie ha- Standardsatz, er gehört zur Routine jeder ben in der Region , an der Grenze ben den Vormittag gewartet, den ganzen China-Reise. Aber er ist auch ein Stück zur Mongolei, sie träumen davon, eines Tag davor, die vergangenen fünf Jahre – Hoffnung, an das man sich klammern Tages einen eigenen Staat zu besitzen, Ost- darauf, dass eine Entscheidung fällt, dass kann. turkestan. Für die chinesische Regierung irgendein Land auf der Welt sich bereit- Die fünf Männer tragen kurzärmelige sind sie deshalb potentielle Terroristen. erklärt, sie aufzunehmen, dass das Warten Hemden und nagelneue Turnschuhe: Abu Vor sechs Jahren verließen die Männer ein Ende hat. Bakker, der Älteste, der die Rolle des An- ihre Heimat. Sie wollten den Repressalien Sie wollen, dass ihr Leben endlich wei- führers übernommen hat; Adel, auf den der Behörden entkommen, sie hofften, in tergeht. daheim in China drei kleine Kinder war- der Fremde ein freieres, besseres Leben Vom Fenster aus beobachten die Män- ten; Akhdar, der die meiste Zeit schweigt; zu finden. Dann kam der 11. September, ner, wie auf dem staubigen Innenhof Ahmed, der die Warterei eines Tages so und die Männer gerieten zwischen die ein weißer Toyota des UNHCR hält, der satt hatte, dass er einen Brief an Condo- Fronten der Weltpolitik. Sie wurden bom- leezza Rice schrieb. Und Ayub, der Jüngs- bardiert und verprügelt, verraten, ver- * Von links: , Akhdar Qasem Basit, te, der mit 18 sein Elternhaus verließ, weil dächtigt und gedemütigt. Schließlich lan- Adel Abdulhehim, Ayub Haji Mohammed, . er in den USA studieren wollte. deten sie in Guantanamo.

48 der spiegel 28/2006 Gesellschaft

Gefangenenlager Guantanamo (auf Kuba) „Soll das Gerechtigkeit sein?“

daheim in Xinjiang, das er und die anderen nur Ostturkestan nennen. Ein paar Jahre arbeitete er in einer staatlichen Leder- fabrik, später machte er sich selbständig: ein stiller, verständnisvoller Mann mit ei- ner großen Brille, auf seinem T-Shirt steht „Athletic 76 – Boys of Europe“. Er stamme aus einem nationalistischen Elternhaus, sagt Abu Bakker. Es war ein ohnmächtiger, lautloser Nationalismus: Sie haderten mit der chinesischen Politik, sie träumten von der Unabhängigkeit, aber sie wagten nie, etwas zu unternehmen. Bis zum Februar 1997. Damals gingen in Abu Bakkers Heimatstadt Yining die Ui- guren auf die Straße, sie forderten soziale und religiöse Freiheit. Abu Bakker, damals 28 Jahre alt, marschierte nicht mit. Er hat- te drei Jahre zuvor geheiratet, wenig spä- ter gebar ihm seine Frau einen Sohn. Er glaubte, vorsichtig sein zu müssen. So wurde er Zeuge, wie die Polizei die Demonstranten auseinandertrieb: „Sie schossen auf Kinder, setzten Wasserwerfer ein, bei Temperaturen von minus 20 Grad, sie verhafteten Zehntausende“, sagt er. Mindestens 10 Menschen wurden damals getötet, über 190 verletzt. Für Abu Bakker, Ehemann, Vater, Klein-

REUTERS händler, war diese Demonstration eine Art Erweckungserlebnis. Er beschloss, künftig Die sechs Jahre dauernde Reise der Uiguren aus Xinjiang seine Meinung zu äußern, auch öffentlich. KIRGISIEN Die Uiguren besaßen schon einmal einen TADSCHI- Xinjiang eigenen Staat, 1944 bis 1949, sie wollen ei- KISTAN gentlich nur zurück, was ihnen gehörte. „Plötzlich begannen wir, China offen zu kri- USA AFGHA- Tora tisieren. Wir begriffen, dass es kein Verbre- ALBANIEN Bora CHINA NISTAN chen ist, Uigure zu sein, Geld zu verdienen, Guantanamo Kandahar für ein besseres Leben zu arbeiten.“ KUBA 1998, ein Jahr nach den Unruhen, wur- PAKISTAN de Abu Bakker verhaftet. Sie quälten ihn mit Elektroschocks, bis er gestand, was im- mer sie ihm vorwarfen. 1000 km Nach sieben Monaten ließen sie ihn lau- fen. Die Angst blieb: Er bangte um seine Familie, um sein Leben, nachts fürchtete er Der Fahrer des weißen Toyota steigt den mächtigen Wirtschaftspartner China sich vor dem Klopfen an der Tür. jetzt aus und marschiert Richtung Büro. zu verärgern. Abu Bakker beschloss, China zu verlas- Die Blicke der fünf Männer folgen ihm. Ayub, der Jüngste, läuft zum Fenster. sen. Im Januar 2000 brach er auf, Rich- Sie teilen sich drei Schlafräume und eine In der Ferne schimmern Berge. Er ist tung Kirgisien. Er verkaufte russische Uh- Toilette. Die Wände sind schwimmbad- schmächtig, sein schwarzes Hemd trägt er ren auf dem Markt, handelte mit Seilen grün, die Fenster haben Gitter, nackte über dem Gürtel, auf der Oberlippe steht und Taschen. Er wollte Geld verdienen, Glühbirnen hängen von der Decke; das ein schwarzer Flaum; seit die Männer frei das war die Idee, er wollte seine Frau Nationale Flüchtlingslager Albaniens war sind, lassen sie sich wieder den traditio- nachholen, ihr gemeinsames Kind, sie woll- früher eine Kaserne. Vor dem Tor steht ein nellen Schnurrbart wachsen. Er zeigt nach ten Richtung Westen ziehen, in die Tür- uniformierter Wachmann. draußen. Ums Lager läuft eine Mauer, kei, wo viele Uiguren leben, und vielleicht, Solange sie Gefangene der Amerikaner etwa vier Meter hoch. Auf der Krone eines Tages, in die USA. waren, interessierten sich vor allem Men- glänzt Stacheldraht in der Sonne. Sie sind Für die meisten Uiguren sind die USA schenrechtler für sie. Jetzt, nach ihrer Frei- frei, aber sie bleiben Gefangene – fünf das Ziel ihrer Wünsche. Das gelobte Land. lassung, sind sie von einem moralischen junge Männer, die das Pech hatten, zur Es gibt ein paar uigurische Gemeinden, zu einem sehr praktischen Problem ge- falschen Zeit am falschen Ort zu sein; Radio Free Asia sitzt dort, 1998 wurde in worden: In den USA sind sie nicht er- fünf Männer, die in den Krieg zogen, ohne Washington die uigurisch-amerikanische wünscht, nach China können sie nicht es zu merken. Gesellschaft gegründet. Die USA gelten als zurück, zahlreiche andere Länder, darun- Abu Bakker Qassim, der Älteste, hat tolerant; wer es in die USA schafft, kann ter Deutschland, weigern sich, die Uigu- lange gehofft, dass alles nur ein großes für die uigurische Sache kämpfen, ohne ren aufzunehmen – zu groß ist die Angst, Missverständnis sei. Er hat Sattler gelernt, sein Leben zu riskieren. In Kirgisien lern-

der spiegel 28/2006 49 NEUMANN / ULLSTEIN BILDERDIENST Hochebene in der chinesischen Uiguren-Region Xinjiang: Traum vom eigenen Staat te Abu Bakker irgendwann Adel kennen, und Ahmed Adil. Ahmed, damals 26, war bardierten. Die Männer flohen in die Ber- Adel Abdulhehim, auf den drei Kinder zu zuerst nach Kasachstan gegangen und von ge. Sie hatten so gut wie keine Lebensmit- Hause warten. Adel, sechs Jahre jünger als dort nach Pakistan. Er hoffte, Geld fürs telvorräte, sie froren, also suchten sie Zu- Abu Bakker, hat ein paarmal im Gefängnis Visum verdienen zu können, aber das Le- flucht in Höhlen. Kurz vor ihrem Aufbruch gesessen. Sein Schwager war einer der Or- ben in Pakistan war teurer als vermutet, war Ayub Haji Mohammed zu ihnen ge- ganisatoren der Demonstration vom Fe- und so war er nach einem Jahr pleite. Er stoßen, der Jüngste der Gruppe. Sein Va- bruar 1997 gewesen, später wurde er hin- will am liebsten nach Deutschland oder ter hat es mit dem Im- und Export von gerichtet. Die beiden wollten in die Türkei, nach Kanada. Und Akhdar, 27, der wie Kleidern und Stoffen zu bescheidenem weil ein Uigure, den sie flüchtig kennen, Abu Bakker aus Yining stammt, und der Wohlstand gebracht. Weil seine Familie dort eine Fabrik für Lederwaren betreibt. seine Heimat verließ, weil er irgendwann entfernte Verwandte in den USA hat, soll- Mitte 2001 durchquerten sie Tadschiki- ins Visier des chinesischen Geheimdienstes te Ayub in Amerika studieren. Seine Eltern stan, kurz darauf überschritten sie die geriet. schickten ihn zunächst zu Freunden der Grenze zu Pakistan. Um Geld zu sparen, Ein Mann im Lager besaß ein Radio. Um Familie nach Pakistan, von dort sollte es wollten sie mit dem Bus fahren, dafür die Stimmung nicht noch weiter zu drü- weitergehen ins gelobte Land. benötigten sie ein Visum für Iran. Weil Pa- Die Männer wussten nicht, kistan uigurische Flüchtlinge häufig nach dass sie sich in den Bergen China zurückschickt, entschieden die bei- Alle Länder haben Angst, den mächtigen von Tora Bora versteckten, den, lieber in auf die Visa zu dort, wo die USA Bin Laden warten. Sie hatten von einer uigurischen Wirtschaftspartner China zu verärgern. vermuteten. Zwei Monate Gruppe gehört, die nahe der afghanischen harrten sie aus. Dann be- Stadt Jalalabad in einer Art Lager lebt, cken, gab er nur noch gute Nachrichten schlossen sie, zurückzugehen nach Pa- kurz hinter der Grenze, dort wollten sie weiter, und so erfuhren die Männer nichts kistan, über schneebedeckte Gipfel, in unterkommen. von dem, was sich am 11. September 2001 einem kräftezehrenden Dreitagemarsch. Es gibt, was dieses Lager angeht, zwei in den USA ereignete. Nur Adel wurde In einem Dorf, schon auf pakistani- Meinungen. Abu Bakker und die anderen eingeweiht. Al-Qaida habe Amerika ange- schem Gebiet, empfing man sie herzlich. beschreiben es als einen Haufen baufälliger griffen, sagte der Mann mit dem Radio. Auffallend herzlich, so kam es ihnen spä- Gebäude, ein paar Hütten, mehr nicht. Für Die USA verlangten von den Taliban, Osa- ter vor, aber als sie dort eintrafen, er- die amerikanische Regierung ist es ein ma Bin Laden auszuliefern, der sich in Af- schöpft, hungrig, ratlos, waren sie dank- Trainingscamp, aufgebaut und finanziert ghanistan verstecke. Die beiden waren sich bar, dass ihnen zu Ehren sogar ein Schaf von al-Qaida, in dem muslimische Terroris- sicher, mit diesem Konflikt nichts zu tun zu geschlachtet wurde. Anschließend führte ten ausgebildet wurden für den Kampf haben. Sie waren nur Gäste in Afghani- man sie zur Moschee. Die Polizei durch- gegen Amerika. stan. Amerika war doch ihr Verbündeter. suche das Dorf, hieß es dort, man werde Im Lager lernten die beiden zwei weite- Ihre Zuversicht endete, als amerikani- sie an einen sicheren Ort bringen, sie sol- re Uiguren kennen: Akhdar Qasem Basit sche Truppen im Oktober ihr Lager bom- len auf Toyota-Pick-ups klettern.

50 der spiegel 28/2006 Gesellschaft

„Es war eine Falle“, sagt Abu Bakker Terrorverdächtige, aber sie wussten nicht, Warum bringen sie ihm nicht etwas heute, „aber woher sollten wir das wis- warum. anderes? sen?“ Er steht mit den anderen auf dem Guantanamo Bay ist ein Stützpunkt der Keine Ahnung, antworteten die Wäch- Hof des Flüchtlingslagers, sie sind in Si- amerikanischen Kriegsmarine im Süden ter; er solle sich an höhere Stellen wen- cherheit. Sie versuchen zu verstehen, wie- Kubas, es ist Niemandsland: Ausländische den. so jeder Schritt, den sie machten, ein Staatsbürger, die dort festgehalten wurden, Ayub magerte ab. Zeitweise wog er nur Schritt in die falsche Richtung war. konnten vor amerikanischen Gerichten noch 52 Kilogramm. „Wenn ich mich hin- Sie landeten in jener Nacht zuerst auf ei- nicht klagen. Je näher die Männer dem ge- setzte, saß ich auf den Knochen. Da war ner pakistanischen Polizeistation und dann lobten Land kamen, desto weiter entfern- kein Fett mehr, kaum noch Muskeln.“ Min- in einem pakistanischen Gefängnis. Die te es sich von ihnen. destens sechsmal begann er einen Hun- Amerikaner hatten ein Kopfgeld ausgesetzt Sie waren keine Kriegsgefangenen und gerstreik, „es machte sowieso kaum einen auf Muslime, die verdächtig sind, al-Qaida keine Kriminellen, sondern „feindliche Unterschied“. zu unterstützen. Kämpfer“. Es gab keine Anklage, keine Einmal schenkten ihm ein paar mitleidi- „Wir waren überrascht“, sagt Abu Bak- Haftprüfungstermine, keinen Verteidiger. ge Soldaten einen Apfel, außerhalb der Es- ker, „aber wir waren auch zuversicht- Nach dem Willen von Präsident Bush könn- senszeiten. Ayub trug ihn in seine Zelle. lich. Wir haben gedacht: Wenn wir uns ten sie festgehalten werden, solange der Wenig später fanden die Wächter den Ap- als chinesische Uiguren zu erkennen ge- „Krieg gegen den Terror“ dauert. Sie wur- fel. Aber der Stiel fehlte. ben, dann liefern uns die Pakistaner an den verhört, immer wieder. Haben sie „Wo ist der Stiel?“, riefen sie. „Wo hast China aus. Also haben wir behauptet, us- Kontakt zur „Islamischen Bewegung Ost- du ihn versteckt?“ bekische Afghanen zu sein. Wir hofften, turkestan“? Die chinesische Regierung be- Er wusste es nicht. Er fragte sie, ob dass sie uns dann den Amerikanern über- hauptet, die Uiguren unterhielten Verbin- sie glauben, dass er sich aus dem Stiel ei- geben.“ Weil China ihr Feind ist, glaubten dungen zu Bin Laden, der ihren Kampf um nen Dietrich basteln wolle? Der Stiel sie, Amerika sei ihr Ver- brachte ihm 28 Tage Ein- bündeter. zelhaft ein. „Uns wurden die Hände Ende 2004, einige Mona- gefesselt und die Augen te nachdem das US-Ver- verbunden“, sagt Ahmed. fassungsgericht den Guan- Mannschaftsbusse brachten tanamo-Gefangenen ein die gefangenen Uiguren Recht auf Haftprüfung zu- nach Kandahar. gesprochen hatte, erhielten „Kandahar war schlim- die Häftlinge zum ersten mer als das chinesische Ge- Mal Gelegenheit, vor ei- fängnis“, sagt Abu Bakker. nem Tribunal zu den gegen „Ayub, der jüngste unserer sie erhobenen Vorwürfen Gruppe, wurde in Kanda- Stellung zu beziehen. Es har von Soldaten zusam- ging um ihren Status als mengeschlagen, sie bogen „feindliche Kämpfer“, um seine Arme zurück und ihre Zukunft. hieben ihm auf die Knie.“ Ayub, abgemagert, zer- Sie wurden verhört, an- mürbt durch die monate- geschrien, geschlagen, er- lange Einzelhaft, war miss- neut verhört. trauisch. Sie führten ihn in „Do you speak English?“ einen kleinen Raum, er

„No.“ / AP GREG BAKER durfte sich auf einen wei- „Warum sprecht ihr mo- Uigurische Straßenhändler im chinesischen Kashgar: Potentielle Terroristen ßen Plastikstuhl setzen, vor therfucker kein Englisch?“ ihm nahm leicht erhöht der Antworten sie mit „Yes“, hieß es: „Wo Unabhängigkeit unterstütze und dirigiere; Vorsitzende Platz, auf einem schwarzen habt ihr motherfucker gelernt, Englisch zu die „Islamische Bewegung Ostturkestan“ Ledersessel. Ayubs Füße wurden an einen sprechen?“ sei eine Art Zweigorganisation der Qaida. Bolzen im Fußboden gekettet. Nach einer Woche entdeckt einer der Abu Bakker und die anderen verneinen Das Tribunal warf ihm vor, nach Afgha- Uiguren auf dem Ärmel einer Uniform die eine Mitgliedschaft, bis heute. Sie sind Satt- nistan gegangen zu sein, um Schießen zu US-Flagge. „Wir sind in den Händen der ler, Studenten, kleine Händler, keine Ter- lernen. Anschließend sei er mit einer Amerikaner!“, ruft er den anderen er- roristen, sagen sie. Sie halten die „Islami- Gruppe bewaffneter Araber nach Pakistan leichtert zu. „Wir sind in Sicherheit!“ Sie sche Bewegung Ostturkestan“ für ein geflohen. Die Anhörung wurde protokol- erzählen den amerikanischen Soldaten Phantom, erfunden und am Leben gehal- liert. Man kann in den Protokollen nach- vom Freiheitskampf der Uiguren. „Ihr habt ten von der chinesischen Geheimpolizei. lesen, wie Ayub bis zuletzt glaubte, das die falschen Leute“, versichern sie immer Ayub, der Jüngste, litt am meisten unter Tribunal in Guantanamo funktioniere wie wieder. „Wir haben nichts gegen euch. Im den Methoden der Amerikaner. Er hat eine ein normales Gericht. Gegenteil, wir haben einen gemeinsamen Lebensmittelallergie, er darf keine Eier, „Sie haben gesagt, dass Sie nach Afgha- Gegner: China.“ kein Brot, keinen Fisch essen, ein Arzt im nistan gingen, aber nicht, um an Waffen Sechs Monate blieben sie in Kandahar, Lager bestätigte es. Die Wächter hielten ausgebildet zu werden“, sagt der Proto- dann brachte man sie zum Flughafen: ge- sich an Ayubs Diätplan, indem sie Dinge, kollführer. „Was war dann der Grund?“ knebelt, die Augen verbunden, Hände und gegen die er allergisch ist, einfach weg- „Das habe ich schon vor zweieinhalb Füße gefesselt, mit Ohrenschützern. Zu- ließen. Es gab Tage, an denen sie ihm einen Jahren gesagt“, antwortet Ayub. „Alles ist sätzlich wurde ihnen eine Kapuze über den leeren Teller in die Zelle stellten. in den Unterlagen. Das habe ich Ihnen be- Kopf gestülpt. Warum sie ihm einen leeren Teller brin- reits gesagt.“ Mitte 2002 landeten sie in Guantanamo, gen, wollte Ayub wissen. Ayub, Abu Bakker, Adel, Ahmed und sie bekamen die Häftlingsnummern 260, Der Arzt habe eine Diät angeordnet, Akhdar erhielten den Status „No longer 276, 279, 283 und 293. Sie waren jetzt antworteten sie. “. Sie galten nun nicht

der spiegel 28/2006 51 Der Flug dauerte zwölf Stunden. Bis zu- letzt hatten die Uiguren Angst, nach China zurückgebracht zu werden. Gegen 21 Uhr Ortszeit landeten sie auf dem Mutter-Te- resa-Flughafen von Tirana, in einem der ärmsten Länder Europas – drei Tage vor dem Anhörungstermin in Washington. Die Männer waren nie zuvor in Alba- nien gewesen, sie wussten gar nicht, dass dieses Land existiert. Vermutlich sind sie die einzigen Uiguren in ganz Albanien. , ihr Anwalt, erfuhr von der Freilassung per E-Mail, als die Uiguren be- reits gelandet waren. Im Nationalen Flüchtlingslager wurden die fünf Männer im Quergebäude unter- gebracht, gleich neben den Toiletten. Es gibt ein Volleyballnetz, eine Wäscherei, eine kleine Bücherei. Auf dem Nachttisch von Ayub liegt ein Wörterbuch, Arabisch- Englisch. „I am an experienced diver“, liest Ayub, er lächelt.

HARTMUT SCHWARZBACH / ARGUS SCHWARZBACH HARTMUT Ein Bus bringt sie ins Zentrum, wann Flüchtling Ahmed Adil (in Tirana): Fühlt sich so Freiheit an? immer sie es wünschen. Aber sie haben kein Geld, sie kennen niemanden hier, also länger als gefährlich. Eine gute Nachricht. den, wendete er sich mit einem Eilantrag schlendern sie ein wenig ratlos über den Aber es gab niemanden, der sie den Ge- an den Supreme Court. Doch es gab kein Platz, fünf Außerirdische im Feierabend- fangenen übermittelte. Zweieinhalb Jahre Land, das bereit war, die Uiguren aufzu- verkehr. Sie versuchen, ein Gefühl dafür waren sie jetzt schon in Guantanamo. nehmen. Insgesamt zwei Jahre lang sei zu bekommen, wie die Freiheit sich an- Sie wussten auch nicht, dass in den USA nach einem geeigneten Land gesucht wor- fühlt, aber es ist nicht ganz einfach. die Kritik an den Verhörmethoden wuchs, den, heißt es von offizieller amerikanischer Ein paar Tage nach der Ankunft ruft an der Behandlung der Häftlinge, an Gu- Seite, über hundert Regierungen seien ge- Ahmed seine Mutter in China an. Er hat sie antanamo überhaupt. Inzwischen vermit- fragt worden, aber alle hätten abgelehnt. zuletzt vor sieben Jahren gesehen. telten Menschenrechtsorganisationen An- Am 19. Januar 2006 schrieb Ahmed ei- Zuerst ist seine Tante dran. „Salam alai- wälten den Kontakt zu Häftlingen. nen Brief an Außenministerin Condoleez- kum“, sagt Ahmed. Sie reicht den Hörer Sabin Willett, ein Rechtsanwalt aus Bos- za Rice. „Es überschreitet meine Vorstel- weiter. ton, meldete sich, weil er es nicht hinneh- lungskraft, dass ein Land wie die USA, das „Bist du’s, Mutter?“, fragt Ahmed. men will, dass die Bush-Regierung die dafür eintritt, die demokratischen Rechte Dann weinen beide. Grundlagen der amerikanischen Verfas- unterdrückter Völker zu befördern und zu Ahmed erkundigt sich nach der Familie, sung aushöhlt. Im März 2005 reichte er für beschützen, jemanden so behandelt, wie beide wissen, dass der chinesische Geheim- Abu Bakker Qassim und Adel Abdulhe- ich behandelt worden bin. Ich frage mich, dienst das Gespräch vermutlich mithört. him einen Antrag ein, er wollte die Regie- ob die amerikanische Regierung vorhat, Zwei Tage vorher hatte Abu Bakker sei- rung zwingen, seinen Mandanten endlich mich hier bis in alle Ewigkeit gefangenzu- ne Frau wiedergesehen, auf einer DVD. den Prozess zu machen. Seine Familie hatte sie auf Willett, Harvard-Absolvent, Partner ei- Umwegen nach Guantanamo ner angesehenen Bostoner Kanzlei, sieht Weil China ihr Feind ist, glauben die geschickt, aber dann konnte mit seinem markanten Kinn und der Tolle er sie nicht ansehen, weil sich in der Stirn ein bisschen aus wie der junge Männer, Amerika sei ihr Verbündeter. kein Übersetzer fand, der be- John F. Kennedy. In seiner Freizeit schreibt stätigen konnte, dass der In- er Krimis, er hat ein Gefühl für Timing, für halten, falls sie kein Land findet, das mich halt harmlos sei. So flog die DVD am Ende Dramatik. „Wahrscheinlich gibt es nir- aufnimmt. Soll das Gerechtigkeit sein?“ mit nach Tirana. gendwo auf der Welt eine Gruppe von Für den 8. Mai wurde eine Anhörung Abu Bakker starrte auf den Bildschirm. Muslimen, die pro-amerikanischer sind als angesetzt, in Washington. Für die Regie- In dem Film sitzen alle Familienmitglieder die Uiguren“, sagte er vor Gericht. „Die rung war es ein gefährlicher Termin, gut um einen Tisch, zusammen mit Freunden, Uiguren haben schon immer unter der re- möglich, dass die Uiguren persönlich hät- sie bitten Gott, Abu Bakker zu beschützen. ligiösen und politischen Unterdrückung ten erscheinen müssen – sobald sie jedoch Er sah seinen Vater, der inzwischen gestor- durch die chinesischen Kommunisten ge- amerikanischen Boden betreten, haben sie ben ist, er sah seine Frau und seinen Bru- litten. Ich kann mich an Zeiten in diesem das Recht, politisches Asyl zu beantragen. der, der im Schnee mit Abu Bakkers Kin- Land erinnern, als uns jemand mit dieser Plötzlich ging alles sehr schnell. dern Fußball spielt. Es waren Zwillinge, sei- Geschichte extrem sympathisch war.“ Wil- Anfang Mai besuchte ein Offizier die ne Frau war schwanger gewesen, als er sie lett will die Verfassung seines Landes gegen fünf Uiguren. „Die amerikanische Regie- verließ. Die beiden sind jetzt sechs Jahre die Regierung in Schutz nehmen. Für die rung hat endlich ein Land gefunden, das alt. Abu Bakker hat sie noch nie gesehen. fünf Männer ist er der erste Mensch, der euch aufnehmen wird“, verkündete er. Ahmed, Ayub, Abu Bakker und die an- ihnen wirklich helfen will, seit sie China „Welches Land?“ deren ehemaligen Guantanamo-Häftlinge verlassen haben. Sie hofften auf Deutschland, in Mün- sind ohne Hass, gleichmütig, geduldig. Sie Vier Monate später durfte Willett seine chen lebt die größte uigurische Gemeinde hoffen nach wie vor, ihre Frauen und Kin- Mandanten zum ersten Mal in Guantana- Europas, es wäre eine Chance. der wiederzusehen. mo besuchen. Als er erfuhr, dass sie längst Dazu könne er nichts sagen, antwortete Am liebsten, sagen sie, würden sie in von den Vorwürfen freigesprochen wur- der Offizier. den USA leben. ™

52 der spiegel 28/2006