HARTMUT SCHWARZBACH / ARGUS Uigurische Ex-Häftlinge (in Tirana)*: Warten, dass das Leben endlich weitergeht MENSCHENRECHTE Flucht in die Hölle Im Jahr 2000 verließen fünf Männer aus Angst vor Folter und Gefängnis ihre Heimat im Norden Chinas, sie träumten von einer Zukunft in den USA. Unterwegs gerieten sie in Amerikas Krieg gegen den Terror – und fanden sich am Ende in Guantanamo wieder. Von Hauke Goos ie hocken auf ihren Betten, in einer Flüchtlingsorganisation der Uno. Es ist Sie sehen aus, als hätten sie sich schon Baracke am Stadtrand, und warten. der Tag, an dem Angela Merkel China einmal feingemacht für ihr zweites Leben. SDie Tür steht offen, es ist ein wol- besucht. In Peking trifft sie Staatschef Hu Die Männer sind Uiguren, Angehörige kenloser Spätfrühlingstag in Tirana, drau- Jintao, in den Gesprächen, heißt es, soll einer turkstämmigen Minderheit im äußers- ßen staut sich schon die Mittagshitze. Kei- es auch um Menschenrechte gehen. Ein ten Nordwesten Chinas. Die Uiguren le- ner der fünf Männer sagt etwas. Sie ha- Standardsatz, er gehört zur Routine jeder ben in der Region Xinjiang, an der Grenze ben den Vormittag gewartet, den ganzen China-Reise. Aber er ist auch ein Stück zur Mongolei, sie träumen davon, eines Tag davor, die vergangenen fünf Jahre – Hoffnung, an das man sich klammern Tages einen eigenen Staat zu besitzen, Ost- darauf, dass eine Entscheidung fällt, dass kann. turkestan. Für die chinesische Regierung irgendein Land auf der Welt sich bereit- Die fünf Männer tragen kurzärmelige sind sie deshalb potentielle Terroristen. erklärt, sie aufzunehmen, dass das Warten Hemden und nagelneue Turnschuhe: Abu Vor sechs Jahren verließen die Männer ein Ende hat. Bakker, der Älteste, der die Rolle des An- ihre Heimat. Sie wollten den Repressalien Sie wollen, dass ihr Leben endlich wei- führers übernommen hat; Adel, auf den der Behörden entkommen, sie hofften, in tergeht. daheim in China drei kleine Kinder war- der Fremde ein freieres, besseres Leben Vom Fenster aus beobachten die Män- ten; Akhdar, der die meiste Zeit schweigt; zu finden. Dann kam der 11. September, ner, wie auf dem staubigen Innenhof Ahmed, der die Warterei eines Tages so und die Männer gerieten zwischen die ein weißer Toyota des UNHCR hält, der satt hatte, dass er einen Brief an Condo- Fronten der Weltpolitik. Sie wurden bom- leezza Rice schrieb. Und Ayub, der Jüngs- bardiert und verprügelt, verraten, ver- * Von links: Abu Bakker Qassim, Akhdar Qasem Basit, te, der mit 18 sein Elternhaus verließ, weil dächtigt und gedemütigt. Schließlich lan- Adel Abdulhehim, Ayub Haji Mohammed, Ahmed Adil. er in den USA studieren wollte. deten sie in Guantanamo. 48 der spiegel 28/2006 Gesellschaft Gefangenenlager Guantanamo (auf Kuba) „Soll das Gerechtigkeit sein?“ daheim in Xinjiang, das er und die anderen nur Ostturkestan nennen. Ein paar Jahre arbeitete er in einer staatlichen Leder- fabrik, später machte er sich selbständig: ein stiller, verständnisvoller Mann mit ei- ner großen Brille, auf seinem T-Shirt steht „Athletic 76 – Boys of Europe“. Er stamme aus einem nationalistischen Elternhaus, sagt Abu Bakker. Es war ein ohnmächtiger, lautloser Nationalismus: Sie haderten mit der chinesischen Politik, sie träumten von der Unabhängigkeit, aber sie wagten nie, etwas zu unternehmen. Bis zum Februar 1997. Damals gingen in Abu Bakkers Heimatstadt Yining die Ui- guren auf die Straße, sie forderten soziale und religiöse Freiheit. Abu Bakker, damals 28 Jahre alt, marschierte nicht mit. Er hat- te drei Jahre zuvor geheiratet, wenig spä- ter gebar ihm seine Frau einen Sohn. Er glaubte, vorsichtig sein zu müssen. So wurde er Zeuge, wie die Polizei die Demonstranten auseinandertrieb: „Sie schossen auf Kinder, setzten Wasserwerfer ein, bei Temperaturen von minus 20 Grad, sie verhafteten Zehntausende“, sagt er. Mindestens 10 Menschen wurden damals getötet, über 190 verletzt. Für Abu Bakker, Ehemann, Vater, Klein- REUTERS händler, war diese Demonstration eine Art Erweckungserlebnis. Er beschloss, künftig Die sechs Jahre dauernde Reise der Uiguren aus Xinjiang seine Meinung zu äußern, auch öffentlich. KIRGISIEN Die Uiguren besaßen schon einmal einen TADSCHI- Xinjiang eigenen Staat, 1944 bis 1949, sie wollen ei- KISTAN gentlich nur zurück, was ihnen gehörte. „Plötzlich begannen wir, China offen zu kri- USA AFGHA- Tora tisieren. Wir begriffen, dass es kein Verbre- ALBANIEN Bora CHINA NISTAN chen ist, Uigure zu sein, Geld zu verdienen, Guantanamo Kandahar für ein besseres Leben zu arbeiten.“ KUBA 1998, ein Jahr nach den Unruhen, wur- PAKISTAN de Abu Bakker verhaftet. Sie quälten ihn mit Elektroschocks, bis er gestand, was im- mer sie ihm vorwarfen. 1000 km Nach sieben Monaten ließen sie ihn lau- fen. Die Angst blieb: Er bangte um seine Familie, um sein Leben, nachts fürchtete er Der Fahrer des weißen Toyota steigt den mächtigen Wirtschaftspartner China sich vor dem Klopfen an der Tür. jetzt aus und marschiert Richtung Büro. zu verärgern. Abu Bakker beschloss, China zu verlas- Die Blicke der fünf Männer folgen ihm. Ayub, der Jüngste, läuft zum Fenster. sen. Im Januar 2000 brach er auf, Rich- Sie teilen sich drei Schlafräume und eine In der Ferne schimmern Berge. Er ist tung Kirgisien. Er verkaufte russische Uh- Toilette. Die Wände sind schwimmbad- schmächtig, sein schwarzes Hemd trägt er ren auf dem Markt, handelte mit Seilen grün, die Fenster haben Gitter, nackte über dem Gürtel, auf der Oberlippe steht und Taschen. Er wollte Geld verdienen, Glühbirnen hängen von der Decke; das ein schwarzer Flaum; seit die Männer frei das war die Idee, er wollte seine Frau Nationale Flüchtlingslager Albaniens war sind, lassen sie sich wieder den traditio- nachholen, ihr gemeinsames Kind, sie woll- früher eine Kaserne. Vor dem Tor steht ein nellen Schnurrbart wachsen. Er zeigt nach ten Richtung Westen ziehen, in die Tür- uniformierter Wachmann. draußen. Ums Lager läuft eine Mauer, kei, wo viele Uiguren leben, und vielleicht, Solange sie Gefangene der Amerikaner etwa vier Meter hoch. Auf der Krone eines Tages, in die USA. waren, interessierten sich vor allem Men- glänzt Stacheldraht in der Sonne. Sie sind Für die meisten Uiguren sind die USA schenrechtler für sie. Jetzt, nach ihrer Frei- frei, aber sie bleiben Gefangene – fünf das Ziel ihrer Wünsche. Das gelobte Land. lassung, sind sie von einem moralischen junge Männer, die das Pech hatten, zur Es gibt ein paar uigurische Gemeinden, zu einem sehr praktischen Problem ge- falschen Zeit am falschen Ort zu sein; Radio Free Asia sitzt dort, 1998 wurde in worden: In den USA sind sie nicht er- fünf Männer, die in den Krieg zogen, ohne Washington die uigurisch-amerikanische wünscht, nach China können sie nicht es zu merken. Gesellschaft gegründet. Die USA gelten als zurück, zahlreiche andere Länder, darun- Abu Bakker Qassim, der Älteste, hat tolerant; wer es in die USA schafft, kann ter Deutschland, weigern sich, die Uigu- lange gehofft, dass alles nur ein großes für die uigurische Sache kämpfen, ohne ren aufzunehmen – zu groß ist die Angst, Missverständnis sei. Er hat Sattler gelernt, sein Leben zu riskieren. In Kirgisien lern- der spiegel 28/2006 49 NEUMANN / ULLSTEIN BILDERDIENST Hochebene in der chinesischen Uiguren-Region Xinjiang: Traum vom eigenen Staat te Abu Bakker irgendwann Adel kennen, und Ahmed Adil. Ahmed, damals 26, war bardierten. Die Männer flohen in die Ber- Adel Abdulhehim, auf den drei Kinder zu zuerst nach Kasachstan gegangen und von ge. Sie hatten so gut wie keine Lebensmit- Hause warten. Adel, sechs Jahre jünger als dort nach Pakistan. Er hoffte, Geld fürs telvorräte, sie froren, also suchten sie Zu- Abu Bakker, hat ein paarmal im Gefängnis Visum verdienen zu können, aber das Le- flucht in Höhlen. Kurz vor ihrem Aufbruch gesessen. Sein Schwager war einer der Or- ben in Pakistan war teurer als vermutet, war Ayub Haji Mohammed zu ihnen ge- ganisatoren der Demonstration vom Fe- und so war er nach einem Jahr pleite. Er stoßen, der Jüngste der Gruppe. Sein Va- bruar 1997 gewesen, später wurde er hin- will am liebsten nach Deutschland oder ter hat es mit dem Im- und Export von gerichtet. Die beiden wollten in die Türkei, nach Kanada. Und Akhdar, 27, der wie Kleidern und Stoffen zu bescheidenem weil ein Uigure, den sie flüchtig kennen, Abu Bakker aus Yining stammt, und der Wohlstand gebracht. Weil seine Familie dort eine Fabrik für Lederwaren betreibt. seine Heimat verließ, weil er irgendwann entfernte Verwandte in den USA hat, soll- Mitte 2001 durchquerten sie Tadschiki- ins Visier des chinesischen Geheimdienstes te Ayub in Amerika studieren. Seine Eltern stan, kurz darauf überschritten sie die geriet. schickten ihn zunächst zu Freunden der Grenze zu Pakistan. Um Geld zu sparen, Ein Mann im Lager besaß ein Radio. Um Familie nach Pakistan, von dort sollte es wollten sie mit dem Bus fahren, dafür die Stimmung nicht noch weiter zu drü- weitergehen ins gelobte Land. benötigten sie ein Visum für Iran. Weil Pa- Die Männer wussten nicht, kistan uigurische Flüchtlinge häufig nach dass sie sich in den Bergen China zurückschickt, entschieden die bei- Alle Länder haben Angst, den mächtigen von Tora Bora versteckten, den, lieber in Afghanistan auf die Visa zu dort, wo die USA Bin Laden warten. Sie hatten von einer uigurischen Wirtschaftspartner China zu verärgern. vermuteten. Zwei Monate Gruppe gehört, die nahe der afghanischen harrten sie aus. Dann be- Stadt Jalalabad in einer Art Lager lebt, cken, gab er nur noch gute Nachrichten schlossen sie, zurückzugehen nach Pa- kurz hinter der Grenze, dort wollten sie weiter, und so erfuhren die Männer nichts kistan, über schneebedeckte Gipfel, in unterkommen. von dem, was sich am 11. September 2001 einem kräftezehrenden Dreitagemarsch. Es gibt, was dieses Lager angeht, zwei in den USA ereignete. Nur Adel wurde In einem Dorf, schon auf pakistani- Meinungen. Abu Bakker und die anderen eingeweiht. Al-Qaida habe Amerika ange- schem Gebiet, empfing man sie herzlich. beschreiben es als einen Haufen baufälliger griffen, sagte der Mann mit dem Radio. Auffallend herzlich, so kam es ihnen spä- Gebäude, ein paar Hütten, mehr nicht.
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