JUN/JUL.17

Twin Peaks EINSCHLAUFEN Betrifft: Verwirrt von einer verworrenen Erzählung

Die junge Frau ist bereits seit einer Weile tot, Memos an seine Sekretärin Diane ins Diktierge- Impressum Nº 05.17 doch nun ist ihre Leiche aufgetaut. Sie steckt in rät spricht. Seine Nachforschungen auf dem Land DER MUSIKZEITUNG LOOP 20. JAHRGANG einer Plastiktüte, und unter ihren Fingernägeln werden ihn an die Grenzen der geistigen Gesund- ziehen die Ermittler mit Pinzetten ein winziges heit bringen, denn hier draussen scheint die All- P.S./LOOP Verlag Zettelchen mit dem Buchstaben R drauf hervor. tagslogik aufgehoben. Langstrasse 64, 8004 Zürich Der Sheriff ist vor Ort, sein Gehilfe schiesst an Als «» ausgestrahlt wurde, war die Tel. 044 240 44 25, Fax. …27 der Fundstelle mit zittriger Hand ein paar Bilder, Welt noch eine andere. Mobiltelefonie und In- www.loopzeitung.ch dann bricht er in Tränen aus. Sie finden keine ternet waren unerschwinglich oder unbekannt, Erklärung dafür, wer Laura Palmer – die junge was die Zuschauer vor einige Herausforderungen Verlag, Layout: Thierry Frochaux Frau in der Tüte – ermordet haben könnte, der stellte. Um dem verworrenen Plot folgen und den [email protected] Fall scheint eine Nummer zu gross zu sein für die Überblick über das verwirrend zahlreiche Perso- Kleinstadtpolizisten. Kurze Zeit später erhalten nal behalten zu können, benötigte man eine Liste Administration, Inserate: Manfred Müller sie Verstärkung: Das FBI schickt Special Agent und einen Plan. Die entsprechenden Informatio- [email protected] Dale B. Cooper, der das Verbrechen in ländlicher nen lieferten die Fernsehzeitschriften – oder das Idylle aufklären soll. Booklet der Soundtrack-CD. Es konnte auch nie Redaktion: Philippe Amrein (amp), Mit dieser Ausgangslage lancierte im schaden, Papier und Bleistift zur Hand zu haben. Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe Frühling 1990 seine Fernsehserie «Twin Peaks», Entsprechend ausgerüstet sassen wir dann also in der er über zwei Staffeln hinweg eine aufwüh- vor dem Fernseher, Woche für Woche. Auf dem Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Yves Baer, lende, dunkle und beklemmende Geschichte er- Bildschirm flackerte die Titelsequenz auf, und aus Thomas Bohnet (tb), Chrigel Fisch (fis), zählte, die so ziemlich alles enthält, was einem den Lautsprechern erklang die Bariton-Gitarre Christian Gasser (cg), Michael Gasser (mig), Nachts den Schlaf rauben kann: Grenzerfahrun- des Eröffnungsstücks. Es war die perfekte musi- Christa Helbling (hel), Hanspeter Künzler (hpk), gen und geheime Tagebücher, rückwärts gedrehte kalische Untermalung: dräuende Synthesizer und Tony Lauber (tl), Philipp Niederberger, Szenen, schummrig ausgeleuchtete Traumsequen- tremolierende Akkorde, Raschelschlagzeug, Vib- Jürg Odermatt, Sarah Sartorius, Stefan Zihlmann zen, Augenklappen, einen Einarmigen, einen rafon und Fingerschnippen. Riesen, einen Zwerg, Doppelleben und Drogen- Nun folgt also – ein Vierteljahrhundert später – Druck: Tagblatt Print, St. Gallen sucht, Parapsychologie, Schwarze Magie und ein die dritte Staffel. Wir holen die alten Unterlagen tödliches Schachspiel. Das Leben in der Klein- aus dem Privatarchiv, legen sie auf dem Fernseh- Das nächste LOOP erscheint am 7.7.2017 stadt Twin Peaks ist geprägt von permanentem tischchen bereit, giessen Kaffee ein und lassen uns Misstrauen, auch gegenüber dem Ermittler von von David Lynch noch einmal den Schlaf rauben. Titelbild: Audrey Horne & Dale B. Cooper der Bundespolizei, der sich vom lokalen Kaffee zu Komplimenten hinreissen lässt und detaillierte Deputy Guido

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Langstrasse 64, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] julee cruise

DIE STIMME dem Soundtrack zu «Twin Pop Instrumental» gewann, und der Soundtrack mit Beteili- Als Julee Cruise 1985 auf Angelo Peaks» auftauchen sollten. gung von Julee Cruise verkaufte sich alleine in den USA über «Ich war mir nicht sicher eine halbe Million mal. 1993 spannte das Trio für das Al- Badalamenti und David Lynch traf, über diesen Stil, als wir den bum «The Voice of Love» erneut zusammen und machte in Plattenvertrag bekamen», ähnlichem Stil weiter. Aus der Instrumentalversion von «She nahm die Laufbahn der Sängerin erzählte Cruise dem «Rol- Would Die for Love» wurde das Titelthema des Films «Twin ling Stone». «Ich spielte die Peaks: Fire Walk with Me», doch die Platte konnte nicht eine unerwartete Wendung. Demos Freunden vor, und mehr vom – bereits abflachenden – «Twin Peaks»-Hype pro- jemand meinte: ‹Weisswein- fitieren. Anschliessend trennten sich die Wege. Julee Cruise In den ersten zwei Staffeln von «Twin Peaks» hatte Julee Muzak.› Aaaahh!» Aber sie ging zurück zum Theater, als Ersatz von mit Cruise nur zwei Auftritte als namenlose Nachtclub-Sängerin erkannte, dass Badalamenti den B 52’s auf Tournee und verschwand dann länger von der in der Bang Bang Bar. Doch ihr traumhafter, sphärischer unverwechselbare «mood Bildfläche. Erst zu Beginn der Nullerjahre tauchte sie wieder Gesang und der Song «Falling» sind für immer mit der Se- pieces» komponierte, und auf, etwa als Sängerin für Khan auf dem Track «Say Good- rie verbunden. Cruise wurde damit zu einer Pionierin des sie liebte die Lyrics von bye». Mit ihm und anderen Elektronikern entstand 2002 ihr , und noch heute wird Sängerinnen gerne das Lynch. Die Resonanz auf drittes «The Art of Being a Girl», auf dem sie stimm- Attribut einer «Julee-Cruise-Stimme» zugeschrieben. Dabei Platte und Konzerte hinge- lich eine andere Bandbreite präsentierte und sich mehr im war sie früher mehr in der Belting-Gesangstechnik zuhause, gen war anfänglich beschei- Trip-Hop, Cabaret und Bossa Nova als im früheren Lynch/ schmetterte ihre Lieder mit Soul und Eindringlichkeit. «Ich den. Ein Vertreter der Plat- Badalamenti-Sound bewegte. Dann wieder nur sporadische sang mit viel Kraft», sagt sie über ihre frühen Tage als The- tenfirma sagte zu Cruise, Lebenszeichen auf Tonträgern, vor allem im elektronischen ater- und Revue-Sängerin in New York, wo sie auch einmal die zu der Zeit nebenbei Umfeld – etwa mit Pluramon, oder 2011 mit dem spielte. Der Wandel der damals 29-Jährigen noch als Kellnerin arbeitete, ehemaligen Dee-Lite-Mitglied DJ Dmitry als Produzent für begann 1985 mit David Lynchs Film «Blue Velvet». Lynch unmissverständlich: «Für ihr viertes Album «My Secret Life», das jedoch wenig Be- engagierte als Gesangscoach für Schau- dich ist es vorbei.» Rückbli- achtung fand. spielerin Isabella Rosellini und wollte im Film eigentlich Tim ckend hat das Album aber Buckleys «Song to the Siren» in der Version von This Mor- bis heute nichts von seinem «ICH HABE KEINE AHNUNG» tal Coil verwenden. Doch er bekam die Rechte dafür nicht. Reiz eingebüsst und be- Stattdessen entstand zusammen mit Badalamenti das Lied sticht durch die Kombinati- Dazwischen wurde sie auch immer mal wieder für «Twin «Mysteries of Love». Cruise, die Badalamenti vom Theater on von Cruises schläfrigem Peaks»-Abende gebucht. In einem Interview erinnert sie sich her kannte, wurde mit dem Casting einer Sängerin beauf- Gesang, Lynchs Spiel mit an einen besonders denkwürdigen in einem 5-Sterne-Hotel tragte, aber keine der Kandidatinnen überzeugte. Schliesslich Klischees und Badalamentis in St. Petersburg, das für den Anlass komplett im «Lynch- versuchte sie es selber. «Es war Liebe auf den ersten Ton», so Verbindung von Retro-Sti- Stil» dekoriert wurde: «Ich sang sieben Lieder und verdiente Badalamenti. Und für Julee Cruise der Beginn der Hinwen- len mit – für damals – mo- an einem Abend mehr als sonst mit einer ganzen Tour.» Für dung zum Dream Pop: «Im Studio sagte David immer: ‹Sing derner Studiotechnik. die dritte Staffel gehört sie nun ebenfalls zum Ensemble und wie ein Engel, sing wie ein Engel...›», erinnerte sie sich später. Dann kam «Twin Peaks». arbeitete nach 25 Jahren erstmals wieder mit Lynch und Ba- Zeitgleich mit «Floating dalamenti zusammen. Wie ihr Auftritt in Ton und/oder Bild WEISSWEIN-MUZAK UND ELEKTRONIK in the Night» arbeiteten aussehen wird, weiss aber noch niemand, und die 60-Jähri- Lynch und Badalamenti ge hat ihm Vorfeld auch nichts verraten: «Ich habe wirklich Es war der Beginn einee äusserst fruchtbaren siebenjäh- auch an der Entwicklung keine Ahnung, es ist ein echtes Enigma, das nur David Lynch rigen Zusammenarbeit mit Lynch als Texter, Badalamen- der TV-Serie und ihrer Be- auflösen und erklären kann.» Auch was danach kommt, ob ti als Komponist und Cruise als Sängerin und Muse. Im gleitmusik. Aus «Falling» sie auf die Bühne zurückkehrt oder eine neue Platte auf- September 1989 erschien ihr Debütalbum «Floating in the machte der Komponist das nimmt, weiss Julee Cruise nicht. Nur eines ist sicher: Ihre Night» mit den Stücken «Falling», «The Nightingale» oder «Twin Peaks Thema», das Stimme wird für immer diejenige von «Twin Peaks» bleiben. «Into the Night», die ein halbes Jahr später alle auch auf den Grammy für das «Best Philipp Anz SZENE

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TEST OF TIME

LIEBLINGSFILME DER ACHTZIGER UND NEUNZIGER AUF DEM PRÜFSTAND JUNI/JULI 2017

xenix.ch DER TOD IST ECHT Als veröffentlichte Phil Elverum Musik, in der ähnliche Mysterien wohnten wie in David Lynchs «Twin Peaks». Dann starb seine Frau – und alles wurde anders.

«Twin Peaks» könnte auch dem immer wieder Nebel- in Anacortes spielen. Denn hörner zu hören sind, die dort, am äussersten nord- auch aus «Twin Peaks» westlichen Zipfel der USA stammen könnten. – nur unweit vom Drehort in Snoqualmie Valley ent- ZWISCHEN DEN MYSTERIEN fernt –, existiert ebenfalls alles, was ein Setting für Zurück im provinziellen eine klaustrophobische Anacortes, radikalisierte und mysteriöse TV-Serie Elverum seine damals be- benötigt. Es gibt neben reits insulare Musik, die dem Kleinstadtleben ewige experimentelle Perkussion, Wälder, einen mysteriösen LoFi-Rock und Folkele- Berg namens Mount Eerie, mente vereint und von Dampf, der aus den pop- seiner dünnen, sanften, ulären Saunen hinausweht, doch überaus einnehmen- Holzverarbeitungswerke – den Stimme zusammenge- und die Grenze zu Kanada halten wird. Er gründete für allerlei Schmuggelge- sein eigenes Label, nannte er mit der kanadischen Comiczeichnerin und Musikerin schäfte ist auch sehr nah. sich nach dem mysteriösen Geneviève Castré zusammenlebte. In Anacortes, Washing- Hausberg Mount Eerie, ton, lebt Phil Elverum. während der Einfluss von DIE VERHEERUNG Seine Urahnen zogen hier , Naturele- einen Gorilla auf, den sie menten, Wikingersagen 2015 – nur vier Monate nach der Geburt ihrer Tochter in einen Zoo schicken und Zenmotiven stärker – wurde bei Castré Krebs diagnostiziert. Sie starb im ver- mussten, nachdem er ih- wurde. Unüberhörbar gangenen Sommer. Wie geht nun ein Musiker, der bislang nen das Haus zerstörte, wurden auch die Spuren, private Befindlichkeiten in seinen Songs soweit wie möglich und sie waren gross im die Angelo Badalamentis gemieden hat, mit einer solchen Tragödie um? Phil Elverum Fischereigeschäft tätig, von «Twin Peaks»-Soundtrack wählte den wohl radikalsten und schmerzhaftesten Weg: dem nicht mehr viel übrig bei Elverum hinterliessen. Er spielte im Zimmer, in dem seine Frau verstorben ist, mit geblieben ist. Nur noch die Am Explizitesten geschah ihren Instrumenten und Aufnahmegeräten Songs ein, die di- Fähren fahren fort, verlas- dies auf «Wind’s Poem», rekt an Geneviève gerichtet sind, in denen er erzählt, wie er sen den Ort, an dem nie- dem Album aus dem Jahr ihre Asche verstreut, wie der Pöstler Post bringt, die an sie mand mehr leben will. El- 2009, das zu den ein- adressiert ist, wie er den Ort besucht, wo sie ein Haus bauen verum ist einer der wenigen drücklichsten Arbeiten im wollten, wie er Naturausflüge mit der Tochter unternimmt. Rückkehrer – nach Jahren Mount-Eerie-Katalog zu Und wie er immer wieder zusammenbricht. in der Bundes hauptstadt zählen ist. Im Song «Be- «Why share so much?», fragt er im Text, der die Platte «A Olympia, wo er unter dem tween Two Mysteries» Crow Looked at Me» begleitet, «why tell you, stranger, Alias The Microphones baut Elverum ein Sample about these personal moments, the devastation and the einige der aufregendsten aus dem Laura-Palmer- hanging love?» Seine Antwort: «I make these songs and put Alben der jüngeren Indi- Thema ein und singt: «The them out into the world just to multiply my voice saying egeschichte eingespielt hat. town rests in the valley be- that I love her.» Als musikalische Blaupause für «A Crow Er war zur Jahrtausend- neath twin peaks, buried in Looked at Me» nennt Elverum «», ein Al- wende Aufnahmetechniker space. What goes up here bum, das noch unter dem Palace-Music-Alias bei K Records und genoss in the night, in that dark, eingespielt hat. «I tried to make it simple and pretty», freien Zugang zum hausei- blurry place?» Ja, was schreibt Elverum. genen Studio: «Ich wachte passiert? Ein Sänger stirbt Entstanden ist eine Platte, in der die Verheerung, die der Tod jeweils auf und ging direkt mit dem Ausfaden des seiner Frau bei ihm hinterlassen hat, selbst für den entfernten ans Aufnehmen. Dort drin Songs, doch Elverum bleibt Zuhörer schmerzlich und beinahe körperlich spürbar wird. war mei ne eigene Welt, und sagt: «So here I am». Anders als bei aktuellen Songzyklen über den Tod wie etwa nur ich, am Herumspielen «So here I am», zurück in «Carrie & Lowell» gibts keine Erlösung, mit Sound», erinnert er Anacortes also, von wo aus keine Filter wie bei Nick Caves «», und schon sich in einem Interview an er immer wieder Platten gar keinen Trost, denn: «When real death enters the house, diese Zeit, in der auch sein in die Welt hinausschickte all poetry is dumb». Was bleibt, ist unermessliche Trauer, klassisches Microphones- – darunter auch die Auto- und die Worte: «I love you.» Album «The Glow, Pt. 2» tune-Explorationen «Pre- Benedikt Sartorius (2001) entstanden ist, auf Human Ideas» –, und wo Mount Eerie: «A Crow Looked at Me» (P.W. Elverum & Sun) FLACKERNDE FRAGMENTE Billie Holiday den jungen «Little» Jimmy. Er sang in den Bands von Lionel Hampton und Charlie Parker; er sang bei der Inauguration von Präsident Eisenhower (und 40 Jah- re später bei jener von Bill Clinton). Ray Charles, Dinah Washington oder Marvin Gaye bewunderten ihn. Es gab wundervoll jazzige Scott-Alben in den Sixties, aber es gab auch zermürbende Rechtsstreitigkeiten. Jimmy Scott gab die Musik auf, arbeitete lange Jahre als Krankenpfleger, im Warenlager, als Liftboy. Am Begräbnis seines Freundes Doc Pomus 1991 sang er «Someone To Watch Over Me», und seine Unglaublichkeit fiel Leuten wie dem Sire-Records- Labelboss Seymour Stein oder Lou Reed auf. Scott gelang, schon tief in seinen Sechzigern, eine zweite Karriere. David Lynchs Gespür für aussergewöhnliche Musiker und seine Performance in «Twin Peaks» halfen ihm dabei. Ihre Kol- laboration mündete in eine der (alb)traumhaftesten Filmse- quenzen ever. Der Anfang vom Ende von Agent Cooper as we knew him... Jürg Odermatt

Die ultimative Zerstückelung Alles begann mit der «Twin Peaks»-Ausstrahlung im fran- jimmy scott zösischen Fernsehen am Montagabend. Ich nahm mir vor, keine Folge zu verpassen, doch geriet ich schon bald aus dem Takt – und stieg wieder ein, als das Fernsehen der Suisse Romande Lynchs Serie in sein Programm hievte. Die originalen Staffeln von «Twin Peaks» Aber auch da unterliefen Leben und Arbeit den Vorsatz des nahtlosen Seriengenusses: Als Redaktor und Moderator ei- gewährten beklemmende Einblicke in ner abendlichen Radiosendung war ich immer mal wieder auch am «Twin Peaks»-Abend beschäftigt, und ich hatte eine seltsame Kleinstadt – und wirken weder Fernsehgerät noch Videorekorder, um die Lücken zu schliessen. Und Streaming? Unter Streaming verstanden noch immer nach. Vier Erinnerungen. wir damals allenfalls das sich in der Flussströmung Trei- benlassen. «Twin Peaks» habe ich fragmentiert wahrgenommen. Ge- wisse Episoden sah ich mehrmals, andere habe ich bis heu- te nie gesehen. Unglaublich unter Platanen Ein Urlaub in Portugal erlaubte mir einen Zeitsprung: Aus «David Lynch hatte mich gesehen und wollte mich in sei- dem ersten Staffeldrittel hüpfte ich unvermittelt in die Spät- ner Serie. Er mochte meine Aura. Die Storyline verstand ich überhaupt nicht. Er stellte mich in Anzug und Krawatte in einen dunklen Raum, wo ich einen Zwerg ansingen soll- te.» Jimmy Scott musste lachen, als er erzählte, wie es zu seinem denkwürdigen Auftritt in der finalen Episode von «Twin Peaks» gekommen war. Das surreal-unheimliche Ambiente in der Black Lodge, der Gang mit roten Vorhän- gen und gezackten Bodenmustern, das flackernde Licht, die pseudogriechische Statue, der rückwärts vorwärts spre- chende Zwerg (diesmal als entrückter Tänzer) – das gan- ze Nachtmahr-Szenario ist wieder da. Wie ein Lufthauch durch den Raum schweben Angelo Badalamentis Synthie- fahnen zusammen mit einer jazzy Instrumentierung feat. Saxsolo, gebeseltes Schlagzeug, gestrichener plus gezupfter Kontrabass – und über allem schwebt dieser Sänger: «I’ll see you in the trees, under the sycamore trees.» Stimme und Performance, die ungewohnte Lage und Phrasierung, ausgestreckte Arme, altes Handmikrofon – das alles ver- schob die Szenerie weit in eine spooky Parallelrealität. Der Sänger war Jimmy Scott, und seine Stimme fand auch hier die Direttissima zu allen sorgsam weggesperrten hellen und dunkleren Gefühlen. Eine seltene Erbkrankheit führte dazu, dass der 1925 Ge- borene keine Pubertät, keinen Stimmbruch hatte. Zeitle- bens war Scott ein Aussenseiter, er war speziell – und es gab Leute, die Ohren und ein Herz hatten und das realisier- dale b. cooper ten: «Ich höre, was du tust, und du tust es richtig», lobte log lady phase der zweiten Staffel. Ohne Angst vor einem Spoiler Woher diese Obsession rührt, ist schwer zu sagen – abgese- einen verdammt guten Kaf- blieb ich, die Augen gebannt auf den kleinen Bildschirm hen davon, dass in der Serie eine Horde «cheese eaters» das fee trinkt, Nadine Hurley fixiert, im Restaurant sitzen, ich verspeiste meinen Bacal- Great Northern Hotel aufsuchen (diese heissen «Vikings» mit ihren Vorhängen – You hao und trank meinen Vinho verde und hörte die Prota- sind aber nicht einmal Dänen, sondern Norweger). «Viel- name it, Diane. Doch was gonisten von Ausserirdischen (hä? sagte ich zu meiner leicht ist es einfach deshalb, weil wir alle die Serie viel zu wäre «Twin Peaks» ohne damaligen Freundin, Ausserirdische?) fabulieren. Ein paar früh gesehen haben, als sie in den Neunzigern im Fernsehen den feinen Humor: Wer Tage später, an einem Sonntag, verlustierten wir uns auf lief», meint meine dänische Freundin. Niemand ahnte, wie kann heute ein Glacé von der Promenade eines Fischerdorfs, die von schick schep- gruselig die Serie tatsächlich sein würde, also liess man den Ben & Jerrys kaufen, ohne pernden Mono-Lautsprechern beschallt wurde. Und was Nachwuchs einfach mal schauen. In Dänemark laufen alle an die ungleichen Brüder tröpfelte zwischen zwei portugiesischen Schlagern in die- Filme und Serien im Fernsehen in der Originalversion – der Ben & Jerry Horn zu den- sen sonnigen Frühsommertag? Richtig, die «Twin Peaks»- Ausdruck «damn good coffee» gehört seither zur däni- ken, die das Sägewerk ver- Titelmelodie… schen Umgangssprache dazu, wenn man zusammen einen kaufen möchten? «Twin Irgendwann – mit gebührender Verspätung – schaltete sich Kaffee trinkt (und die Dänen trinken sehr viel Kaffee). Peaks» überforderte in sei- auch das Deutschschweizer Fernsehen ein, und ich war wie- Die Serie sah damals auch ein gewisser Lars von Trier. Ein ner radikalen Erzählart das der dabei. Weil ich mich in gewissen Episoden an bestimm- paar Jahre später schuf er, inspiriert von «Twin Peaks», Publikum – und nahm Se- te Szenen erinnerte, nicht aber an andere, beschlich mich mit der Serie «Riget» das dänische Pendant: eine Kranken- rien wie «24» vorweg. Für der Verdacht, David Lynch habe die Serie für jeden Sender hausserie mit absurden Wendungen, seltsamem Humor das Storytelling meiner lite- anders geschnitten. Recherchen ergaben, dass er das nicht und Momenten des Unheimlichen, des «Uhygge». rarischen Texte war Twin gemacht hatte. Schade. Diese bewusste Zerstückelung und Die Twin-Peaks-Obsession meiner dänischen Freundin Peaks elementar: Denn je- beliebige Montage wäre ein konzeptioneller Geniestreich führte so weit, dass sie sich auf dem Klassenfoto in der der Autor steht grundsätz- gewesen, spielt doch «Twin Peaks» mit Fragmentierung, Oberstufe als Log Lady verkleidete. Die neue Staffel will sie lich einmal vor der Frage, Lückenhaftigkeit und Unlogik und stellt Atmosphäre über sich via Skype mit ihrer Schulfreundin, die mittlerweile in wie man eine Geschichte Narration, Vermutungen über Fakten, Assoziationen über London lebt, ansehen: «Twin Peaks» gehört zur Jugend in über mehrere Kapitel ent- Chronologie. Dänemark dazu wie das gemeinsame Pflicht-Betrinken nach wickelt, ohne den Span- Ich habe «Twin Peaks» bis heute nie komplett und chrono- der bestandenen Schulabschlussprüfung. nungsbogen zu verlieren logisch korrekt gesehen. Ehrlich gesagt habe ich nur eine Sarah Sartorius – nach dramatischem Ein- sehr vage Ahnung, wie sich der Plot tatsächlich entwickelt. bruch der Zuschauerzah- Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich die Schluss-Episoden len musste Lynch sich aus überhaupt je gesehen habe. Ich habe jedoch der Versu- der Story stehlen, weshalb chung, mir die DVDs für ein Binge-«Twin Peaks»-Watching Eine Ampel in der Dunkelheit die Serie so lange unfertig zu besorgen, bis heute widerstanden. Denn ich bin über- Diane, in meiner Jugend gab es den «Twin Peaks»-Mo- blieb. «Akte X» wäre ohne zeugt, mit meiner erratischen und zerstückelten Rezeption ment, nach dem nichts mehr so war wie zuvor. Zusammen Twin Peaks undenkbar ge- die ultimative «Twin Peaks»-Erfahrung gemacht zu haben. mit meinem Vater schaute ich damals jede Folge. Und in wesen – neben der Mystery der Schule gab es nur pro oder contra «Twin Peaks». Es und dem ermittelnden FBI Christian Gasser sollte das neue Jahrtausend anbrechen, bis ich die Serie er- gibt es noch mehr Berüh- neut im Fernsehen sah und kurz darauf die DVDs kaufte. rungspunkte: Don Davies, Seither habe ich die Serie zweimal integral geschaut. Beim der Major Briggs spielt, ist ersten Wiedersehen staunte ich, wie viel mir in Erinnerung in den X-Akten Dana Scul- Dänemarks «Uhygge»-Obsession geblieben war, Szenen wie das Ergrauen von Leland Palmer lys Vater. David Duchovny Es gibt «Twin Peaks»-Fans – und es gibt dänische «Twin oder die einsam im Dunkeln hängende Ampel. ermittelt in Twin Peaks als Peaks»-Fans. In Dänemark ist David Lynchs Serie omni- «Twin Peaks» blieb aber vor allem wegen den Charakte- Special Agent Dennis Bry- präsent. Und zwar nicht nur, wie jetzt bei uns, kurz vor ren in Erinnerung: James Hurley, der an Larry Mullen Jr. son, ein Transvestit. Doch der Ausstrahlung der dritten Staffel. In Kopenhagen fin- erinnert, Dr. Jacoby mit den verschiedenfarbigen Brillen- ich schweife ab… Bevor den regelmässig «Twin Peaks»-Themenpartys in Musik- gläsern, die Log Lady, die mit ihrem Holzscheit spricht, ichs aber vergesse, Diane, clubs statt, und seit ein paar Jahren gibt es das Log Lady der arrogante Pathologe Albert Rosenfield, Hawk, der bitte bestellen Sie schon Café. Ein bis zur Toilette durchgestyltes Lokal mit «Twin indianische Sheriff-Deputy. Aus den Figuren ergaben sich mal die neue Staffel auf Peaks»-Reminiszenzen, schwarzweiss-gemustertem Boden, die Running Gags: Deputy Andy, der bei jeder Leiche ei- DVD vor. schwarzem Kaffee und Cherry Pie. nen Weinkrampf kriegt, Agent Cooper, der in jeder Folge Yves Baer

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Was macht ein Regisseur, der keinen Film plant? David Lynch hat für sich eine Antwort gefunden. Statt surrealisti- sches Kino zu kreieren, malt er vermehrt und veröffentlicht seine zweite Platte, «The Big Dream». Aber egal welcher Kunstform Lynch gerade nachgeht, stets ist Düsterheit mit im Spiel. Gestartet hat der Amerikaner seine Laufbahn als Schüler der Pennsylvania Academy of Fine Arts, Mitte der 60er-Jahre. Eines seiner ersten Gemälde trug den Titel «The Bride» und zeigte die abstrakte Figur einer Braut bei der Selbstabtrei- bung. Weil ihm bei seiner Kunst Ton und Bewegung fehlten, begann Lynch 1970 in Los Angeles Film zu studieren. Eines seiner frühesten Projekte hiess «». Von der ersten Drehbuchfassung bis zur Fertigstellung sollten zwar über fünf Jahre verstreichen, doch Lynchs Beharrlichkeit zahlte sich aus. Der Film, der Horror mit surrealen Bildern vereint, gilt unterdessen als Klassiker. Mit «Blue Velvet», «Wild at Heart» und der TV-Serie «Twin Peaks» feierte der Regisseur und Drehbuchautor, der vier- mal für einen Oscar nominiert wurde, seine grössten Erfol- ge. Nachdem sich 1992 «Twin Peaks – der Spielfilm» als Flop erwies, geriet die Karriere von Lynch ins Trudeln. In der Branche haftete ihm der Ruf eines Risikofaktors an. Mit «Lost Highway» (1997) und «Mulholland Drive» (2001) durfte er nochmals am kommerziellen wie künstlerischen Erfolg schnuppern, doch: Sein bis dato letzter Film – «Inland Empire» – spielte am ersten Kino-Wochenende nur magere 27 508 Dollar ein. Trotz positiver Kritiken. Seither lässt der Allround-Künstler seine Finger von der Kamera. PSYCHOTISCH UND VERZERRT

In den Werken des 67-Jährigen hatte die Musik stets eine wichtige Rolle inne. Sie half, rätselhafte Sequenzen zu ei- nem stimmigen Ganzen zu verbinden. Nicht, dass der vierfache Vater die Soundtracks je selbst generiert hätte, aber seine Vorstellungen bestimmten die Arbeiten stets mit. Auch jene von Hauskomponist Angelo Badalamenti. Ob- schon sich Lynch etliche Male an Pop-Projekten von Julee Cruise oder Danger Mouse beteiligte, kam es einer mitt- leren Überraschung gleich, als er 2011 seine Debütplatte «Crazy Clown Time» veröffentlichte. guren, die den American Dream einzig vom Hörensagen Auch der Nachfolger «The Big Dream» beinhaltet moder- kennen. Lynch lässt es rauschen, knarren und den Synthe- nen Blues. Und ein Dutzend kauzige Lieder voller Elekt- sizer schier endlos schlaufen. Statt fertigt er nun robeats, hallender Gitarren und voll von verfrotzeltem Music noir. Sprechgesang. Die Stücke seien beim Jammen ent standen, Im Vergleich mit dem Vorgänger muten die Songs auf «The sagte Lynch gegenüber dem Branchenblatt «Billboard». Big Dream» souveräner an, gefasster. Aber nicht weniger Das passt. Die akkordarme Musik wirkt, als ob sie in verschroben. Mit irgendwelchen Wohlklängen hat das alles einem solitären Bunker in der Wüste aufgezeichnet wor- nichts zu tun. Das Album erschreckt nicht, doch es lässt den wäre. Alles staubtrocken, alles ein wenig psychotisch, frösteln. Die launische Single «I’m Waiting Here» mit der vieles verzerrt. Auf Melodisches wird verzichtet, ganz zu- schwedischen Sängerin soll es als Bonustrack ge- gunsten des Monochromen. Mit dünner, aber hypnotisie- ben. Fürs eigentliche Set muss Lynch das Stück jedoch als render Stimme, die bisweilen nach absentem Gebiss klingt, zu hell, zu freundlich und zu melancholisch befunden ha- erzählt Lynch von gefährlichen Frauen, Antihelden oder ben. Es hätte die albtraumartige Atmosphäre auf «The Big verschwundener Glace. Dream» unterbrochen. Und Lynch wäre nicht Lynch, hätte In «We Rolled Together» zitiert Lynch den Blues-Klassiker er das zugelassen. Eigensinnig war er schon immer. Meist «Mystery Train», und mit «The Ballad of Hollis Brown» zu Recht. covert er Bob Dylan. Damit stellt er sich ganz in die Folk- Michael Gasser Tradition. Sein bevorzugtes Thema sind geschundene Fi- David Lynch: «The Big Dream» (Pias/MV) NEU VERKLEBT dieser Aufführung um eine Auftragsarbeit handeln könnte Eigentlich braucht kein Mensch (tatsächlich haben Stewart und seine Band den Soundtrack erstmals als Auftrag für die Gallery of Modern Art im aus- eine Neubearbeitung von Angelo tralischen Brisbane gespielt). Vielmehr war hier eine bewe- gende Musik der Angst und der Schönheit zu entdecken, Badalamentis klassischem «Twin in welcher der Originalscore noch gut erkennbar durch- schimmerte, aber eben doch in etwas Neues transformiert Peaks»-Score. Doch dann kamen Xiu Xiu wurde. In ein Werk nämlich, das für sich steht und auch – und bewiesen das Gegenteil. ohne Kenntniss der Vorlage funktioniert. ÄRGER MIT DEM VIDEOTAPE Ein Frühlingstag in Den Haag war zu Ende, als wir noch einmal in die örtliche Kathedrale pilgerten. Man lauschte Das war vor einem Jahr, und ich war noch nicht sonderlich erst den Deklamationen von Blixa Bargeld, schnappte sich vertraut mit der TV-Serie: Zu lange hatte ich Angst vor das vorletzte Bier des Festivalwochenendes und wartete, dieser Reise mit all den Eulen, Intrigen, mysteriösen Mord- bis die Baumwipfel von «Twin Peaks» auf der Leinwand fällen und lustigen Absurditäten. Die Umsetzung von Xiu erschienen und die Band Xiu Xiu den Soundtrack von Xiu um Jamie Stewart war aber sicherlich mitentscheidend Angelo Badalamenti mit ihren eigenen Mitteln neu inter- dafür, dass ich die Furcht vor «Twin Peaks» verloren habe, pretierte: Mit Xylo- und Vibraphon, elektrischen Gitarren, auch wenn in der Aktualisierung der kalifornischen Kunst- Keyboard, Fistelgesängen und erschütternden Noises. Die pop-Band alles noch einmal verschärft ist: Der Horror, die Musikerinnen und Musiker wechselten immer wieder die lauernden Gefahren, aber auch der Humor, denn die Serie Instrumente, mal gaben sie «Audrey’s Dance» in einem un- ist ja zuweilen auch einfach hochkomisch. heimlich verschleppten Swing, mal «Laura Palmer’s The- Jamie Stewart ist bekannt für seine «Twin Peaks»-Obsessi- me» mit Klavier und schwerer Perkussion, und natürlich on, doch als die Serie ursprünglich ausgestrahlt wurde, sei – gegen Schluss – «Falling», das in der grossen Kirche eine er noch ein bisschen zu jung und zu uncool gewesen, um al- zusätzliche Dimension erhielt. les zu begreifen, sagte er in einem Interview mit «Vice». Er Das Erstaunliche: Hier war nie Nostalgie im Spiel, und hatte aber ältere Freunde, die ihn zu einer «Twin Peaks»- jamie stewart schon gar nicht kam je der Gedanke auf, dass es sich bei Party mitschleppten, wo er dann allen auf den Geist fiel mit seinem ständigen Geplapper, während die Serie über den Bildschirm flimmerte. Er wusste aber: Da steckte ei- niges drin, dem er nachgehen wollte. Sobald er alt genug war, lieh er wie ein Besessener die einzelnen Staffeln in der Videothek auf VHS-Kassetten aus. Als die finale Episode lief, riss das Band und zerstörte seinen Videoplayer. «Ich habe das Tape sorgfältig zusammengeklebt, ging in den La- den und kaufte einen neuen Videorecorder auf Kredit – ich war damals total pleite. Zu meiner Erleichterung hielt das Band», sagt Stewart. Seither kam er nie mehr richtig los von «Twin Peaks», denn: «Es gibt keine andere Show, die so schrecklich, amüsant, kreativ, ungewöhnlich, lustig, schwierig, schön, seltsam, berührend, inspirierend oder detailliert wie ‹Twin Peaks› ist.» Mehr noch: «Es hat die besten Charaktere überhaupt, den besten Soundtrack, die besten Dialoge, die beste Handlung und die besten magischen Wesen.» Nun mag Stewart übertreiben, denn es ist ja nicht so, dass die Serie frei von Ärgernissen im Plot oder mässigen Schau- spielerleistungen wäre. Folgen in der Mitte der Serie, die eher an eine kommune TV-Soap denn an ein Meisterwerk der Popkultur erinnern. Aber abseits dieser Einschränkung kann man in «Twin Peaks» all die Themen orten, die Ste- wart einst für seine Songs ausgemacht hat: Familie, Politik, Sex, Liebe und Lieblosigkeit, Suizid, und wie alles mitein- ander verbunden ist. Mittlerweile ist «Xiu Xiu Plays Twin Peaks» auch als Plat- te regulär erschienen, und wie bereits das Konzert funkti- oniert die Adaption auf dem Abspielgerät der Wahl: Als eigenständiges Werk, das klassische Melodien und Songs wie «Sycamore Trees» – im Original gesungen von Jimmy Scott, die hier nun eingetauscht ist mit der Angstfalsett- Stimme Stewarts – und «Into the Night» in den Xiu-Xiu- Katalog überführt. Berückend schön ist das, und unheim- lich beängstigend. Bleibt nur noch offen, was Stewart von der Log Lady wissen möchte. Seine Frage: «Why am I such a loser?» Benedikt Sartorius

Xiu Xiu: «Xiu Xiu Plays Twin Peaks» (Polyvinyl) NEU VERKLEBT AUSSERIRDISCH SCHÖN chrysta bell empfohlen, ein Stück aus der Feder von Lynch und seinem Hauskomponisten Angelo Badalamenti, das «Twin Peaks»-Fans in der Version von Jimmy Scott kennen. IN SAMTVORHÄNGEN

Mit ihrem neuen Album emanzipiert sich Bell mu- sikalisch von Lynch. Auf dem clever getimten «We Dissolve» ist der Regisseur nicht mit von der Partie, dafür John Parish (PJ Har- vey) als Produzent, sowie Geoff Downes (Asia, Yes), Stephen O’Malley von Sunn O))) und Adrian Utley (Por- tishead) als Gastmusiker. Portishead bilden denn auch die offensichtlichste Referenz, denn deren nacht- schattigen Balladen kom- men auch jemandem in den Sinn, der das Promo-Sheet nicht gelesen hat. Chrys- ta Bell singt mit dunkler Stimme und viel, aber nicht übertriebener Emphase, die Bühne mit Samtvorhang denkt man sich automatisch Souvenirs blieb ihr Erfolg auf die Umgebung von Austin dazu. Mit Chrysta Bell hat David Lynch eine begrenzt. «This Train», ein Gemeinschaftswerk mit Lynch, Das Album enthält eine Rei- sorgte 2011 dann international für Aufhorchen. Dass der he bemerkenswerter Stücke. seiner typischen Frauenfiguren Texanerin dabei öfter Attribute wie «dark» und «sexy» an- Etwa «Over You», dessen gehängt wurden, liegt in der Natur der Sache. eleganter Groove der Weh- geschaffen. Sie spielt ihre Rolle gut, Auch ausserhalb des Aufnahmestudios hilft der Regisseur klage einer Frischgetrennten gern: Bells Stück «Polish Poem» lief am Ende von Lynchs Ki- ein bisschen Luft verschafft. und singen kann sie auch. nofilm «Inland Empire», und für die neue Staffel von «Twin Oder «Monday», das zeigt, Peaks» hat sie eine der über 200 Rollen übernommen. dass Bell und ihre Mitstrei- David Lynch und die Frauen. Ein schwieriges Thema. Wer ter auch eingängigen Pop einmal gesehen hat, wie er in einem der widerwärtigsten MIT DEM KÖRPER SINGEN können, wenn sie wollen. Übergriffe der Filmgeschichte Willem Dafoe auf Laura Das Titelstück könnte Dern loslässt, wird nie mehr unbefangen auf eine lynch’sche Beim ersten Treffen mit Lynch war Bell gerade mal 19. künftig die Art Filmszenen Frauenfigur blicken können. Ob «Wild At Heart», «Twin Doch täte es ihr Unrecht, wenn man sie als reine Erfindung untermalen, für die bisher Peaks» oder «Blue Velvet» – am liebsten inszeniert Lynch des Regisseurs werten würde. Musikalisch geprägt wurde gerne Caves «Red Right Frauen als Fantasiewesen aus einer guten alten Zeit, die es sie von ihrer Mutter, die selber Sängerin ist. Das Posieren Hand» genommen wurde. nie gab. Es sind Vamps, verführerisch und verzweifelt einen vor einer Kamera lernte sie spätestens bei Model-Jobs, Und «Beautiful» gefällt mit Retter suchend, der sie aus ihrer Abhängigkeit von miesen etwa für die italienische «Vogue». Auch beim Musizieren der Sorte Soul, die Typen, Drogen und Schlimmerem holt. versteckte sie sich noch nie: «Ich war immer eine dieser mit «Black Eyed Boy» zele- Der Mann, auf der anderen Seite, ist bei Lynch entweder Sängerinnen, die mit ihren Händen arbeitet und mit ihrem brierten. ein Psychopath, ein Trottel oder aber ein grundsätzlich Körper singen», erklärte sie in einem Interview. Auch wenn er seine Finger anständiger Kerl, der sich von der Femme fatale an Orte Chrysta Bell ist kein Dummchen. Sie weiss, mit Alben lässt bei «We Dissolve» nicht und in Zustände führen lässt, in denen er seine eigenen De- sich heutzutage kaum noch Geld machen, aber sex sells im- im Spiel hatte: Lynch dürf- fizite an einer hilfsbedürftigen Frau gesundstösst. Lynchs mer. Darum lockt sie in einem Video auf ihrer Website, den te das Album gefallen. Frauen sind Projektionsflächen, die Männer selbstgerechte «Red Diamond Insider Access» für 3.99 Dollar im Monat Und weil unsereiner trotz Schlappschwänze. zu kaufen, um «Bilder, die ich selbst gemacht habe» und Vorbehalten gegen Lynchs Über Chrysta Bell sagt Lynch: «Als ich sie das erste Mal andere «Schätze» zu entdecken. Sie hat dabei etwas mehr Frauenbild die Faszination bei einem Auftritt sah, kam sie mir vor wie eine Ausserir- an und ist auch die bessere Schauspielerin, ansonsten aber für fremde, seltsame Wel- dische. Die schönste Ausserirdische aller Zeiten.» Anders erinnert das Filmchen an Werbeclips, die spät nachts im ten nicht verloren hat, sind gesagt: Sie passt perfekt in sein Schema – atemberaubend, Fernsehen laufen. auch wir der Fantasiefigur nicht von dieser Welt und ein bisschen verloren. Die ganze Inszenierung würde wenig nützen, wenn Chrysta Chrysta Bell verfallen. Bell dient Lynch als Muse, und sie übernimmt diese alt- Bell nichts drauf hätte. Und wer nicht nur Augen hat, son- modische Frauenrolle mit viel Einsatz – und nicht zu ih- dern auch Ohren, merkt schnell, dass sie eine tolle Sängerin Reto Aschwanden rem Nachteil. Als Sängerin der Gypsy-Swing-Band 8 1/2 ist. Neuentdeckern sei ihre Version von «Sycamore Trees» Chrysta Bell: «We Dissolve» (Meta Hari)

DIE NEUEN PLATTEN Sound Surprisen Vierzehn Tracks aus der Frühzeit des Rap und kein «household name» in Sicht! So bewirbt das Londoner La- bel Soul Jazz Records seinen Sampler «Boombox 2: Early Independent Hip Hop, Electro and Disco Rap 1979-83». Die Werbung lügt nicht; Namen wie Harlem World Crew, Der Plan Julian Sartorius Ozomatli Lonnie Love, Zoot II, Manujothi, Eddie Cheba und Grand Unkapitulierbar Hidden Tracks Non-Stop: Mexico Master Chilly T dürften nur Fachleuten und Sammlern be- (Bureau B) (Everest Records/Irascible) to Jamaica kannt sein – historische Grössen wie die Sugarhill Gang (Cleopatra Records) und Grandmaster Flash, Kurtis Blow und Africa Bam- Das ist eine Überraschung: Allein das Konzept ist be- baataa sucht man auf dieser Doppel-CD vergeblich. 26 Jahre nach dem letzten stechend: Da wandert ein Die Idee, populären Latin- Wie schon auf dem erfolgreichen ersten Boombox-Sam- Album «Die Peitsche des Schlagzeuger auf dem Jura- Stücken einen Reggae-Touch pler tauchen wir tief ein in die Gründer- und Pionierzeit Lebens» hat sich das ur- Höhenweg von Basel nach zu verpassen, ist nicht neu, des Rap. In den Siebzigerjahren war New York so gut wie sprünglich in Düsseldorf Genf und trommelt, haut, wird aber selten so zün- bank rott, und während in Manhattans Lower East Side der ansässige, inzwischen zwi- klöppelt, klopft, poltert, dend umgesetzt wie von Punk entstand, entwickelten in der South Bronx DJs wie schen Berlin und Überlin- schabt, schrammt, kratzt Ozomatli. Die Truppe aus Kool Herc, African Bambaataa und Grandmaster Flash gen am Bodensee verstreut mit zwei Schlagzeugstö- Los Angeles lässt Oldies in eine neue Form schwarzer Tanzmusik und schwarzen lebende Trio Der Plan cken auf alles und allem, neuem Gewand erstrahlen Selbstbewusstseins. In Diskotheken, aber vor allem draus- wieder für ein Album zu- was ein aufmerksamer und animiert – dank mitwir- sen, an den Block Partys der desolaten Gettos, duellierten sammengefunden. 1979 Wandertrommler auf einer kenden Latin-Stars wie Jua- sich die Soundsystems. Je grösser die Skills der DJs und gegründet, gehörte die solchen Tour antrifft. Das nes, Régulo Caro und Gaby MCs, je schärfer und obskurer die eingesetzten Breaks und Band mit zu den Vorrei- ist nichts anderes als der Moreno – eine junge Gene- je fetter die Anlage, desto besser. Diese Geschichte zeich- tern des deutschsprachigen unendliche Klangreichtum ration, ihre Party mit diesen net übrigens der amerikanische Comic-Autor Ed Piskor in Pop. Minimalistisch, elek- der ländlichen Welt. Noch Klassikern zu feiern. «Non- «Hip Hop Family Tree: 1970s-1981» (Papa Guédé) auf tronisch, verspielt, dadais- wunderbarer als das Kon- Stop: Mexico to Jamaica» stimmige und anekdotenreiche Weise nach. tisch, aufregend: Die «deut- zept ist indes seine Umset- zeigt die Beziehung zwi- Rap war lange ein Live-Ding, bis die umstrittene Labelbe- schen Residents» sorgten zung: Zurück im Studio schen mexikanischen und sitzerin Silvia Robinson ein Trio castete und mit überall ge- damals für tolle Songs und bearbeitete Julian Sartorius karibischen Sounds auf. In klauten Ideen den Track «Rapper’s Delight» zimmerte. Das eigenwillige Konzerte. seine Feldaufnahmen; er «Eres» schwebt Asdrubal Si- war 1979, ein Jahr später schaffte es die Sugarhill Gang Seit Anfang der Neunziger schnitt, zerstückelte und erras Gesang über den Dub- auch in der Schweiz auf den zweiten Platz der Single-Hit- verfolgten sie eigene Wege. loopte sie, fügte sie zusam- Elementen im Mix. Herb parade – «Rapper’s Delight» war der erste Rap-Welthit in Frank Fenstermacher und men, schichtete sie auf- und Alperts Trompete veredelt einer Zeit, in der noch kaum jemand ausserhalb der South Kurt Dahlke alias Pyro- untereinander, verknüpfte ein von Cumbia-Rhythmen Bronx wusste, was Rap war. 1982 erschien «The Message» lator waren beim Come- rhythmische Impulse zu und Dub-Echos geprägtes von Grandmaster Flash & The Furious Five – und damit back der Fehlfarben dabei, mal sperrigen, mal swin- «Bésame Mucho». Stark ist etablierte sich Rap auch in Europa als ernstzunehmender Moritz Reichelt ist weiter- genden Rhythmen und liess die Version von «Oye Mi und auch gesellschaftlich höchst relevanter Stil. Auch kom- hin als malender Künstler auch der Natur viel Raum, Amor» – mit rollenden Sna- merziell: In der Schweiz landete «The Message» immerhin aktiv. Nachdem die drei dem Wind, dem Wasser, res, Flöte und funkig-blue- auf Platz 11 der Single-Hitparade. 2014 bei Andreas Doraus den Kuhglocken. Dann sigen Gitarren. Ska liefert «Boombox 2: Early Independent Hip Hop, Electro and fünfzigstem Geburtstag und wann zerschneidet ein das Rückgrat von «Como la Disco Rap 1979-83» erforscht die Zeit zwischen «Rapper’s zusammengespielt hatten, Automotor die Idylle. Ob Flor», Gaby Morenos seidi- Delight» und «The Message». Es ist die Frühzeit des New hat Der Plan wieder Blut damit gleich «die Schweiz ge Stimme dominiert «Sola- Yorker Raps aus der Bronx und Harlem, die Bands (denn geleckt und dieses schöne jenseits der gängigen Kli- mente una Vez». Sly & Rob- hier sind vielfach noch Bands am Werk; die DJs setzten sich Album eingespielt – mit schees neu vermessen bie verpassen «Evil Ways» erst im Fahrwasser Grandmaster Flashs als Namensgeber verschrobenen Popstudien wird» (Pressetext), ist nicht (bekannt von Santana) eine der Soundsystems durch) bedienten sich schamlos in Disco und echten Popsongs. Mit wirklich relevant; relevant bedrohliche Dringlichkeit. und Funk, klauten Melodien und Basslinien wie Queens «Lass die Katze stehn» ist, dass Sartorius mit die- «Andar Conmingo» kommt «Another One Bites the Dust», die sie sich wiederum ge- ist ihnen sogar ein kleiner ser kühnen und verspielten als Mix aus Banda, Lovers genseitig ausliehen oder streitig machten wie gewisse Rei- Hit und der beste Katzen- Klangcollage ein betören- Rock, Cumbia und Pop, die me, so das oft gehörte «hip hop hippy di hop». Die Tracks song seit Helge Schneiders des Stück ungewöhnlicher Mariachi-Hymne «Volver, sind – tanzbodenfreundlich – selten unter fünf Minuten «Katzenklo» gelungen. Musik geschaffen hat, das Volver» als Dub-Reggae. Im lang und geben den MCs genügend Raum für durchaus Alte Fans erkennen den auch Nicht-Wanderern «Land of a Thousand Dan- noch gemächlich rundumschlagende Sprechgesänge. Party- Plan aufs erste Ohr, und gefallen dürfte. Die Wan- ces» gastieren G. Love und mucke war das, «rock that body, rock rock that body» auch heute klingt das nicht derer – das Album gibt es Rapper Chali 2na, «Come oder «Keep the beat, the beat, the beat, the beat, the step angestaubt, trotz gelegent- auch als Wanderkarte mit and Get Your Love» erfährt and your step, don’t don’t you don’t, don’t don’t you don’t, lich hörbarer Patina. «Der Download-Code – werden mit jazzigen Bläsern, Cum- don’t don’t you don’t stop», überschäumende, lebensfro- Plan 2017 ist nicht mehr so künftig der Natur und ihrer bia-Perkussion und einem he, mitreissende Partymusik. Oder, in den Worten von eckig und swingt besser», Umgebung aktiver zuhö- Mariachi-Dreh in der Me- T.J. Swann und Pee Wee Mel: «Partytime is anytime and sagt Moritz R. Da ist was ren: Musik ist überall, und lodie das Ozomatli-Styling. anytime is partytime.» dran. alles kann Musik sein. Der Sommer kann kommen! Christian Gasser tb. cg. tl. DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Das gewaltige Victoria & Albert-Museum in Kensington riecht förmlich nach Imperialgeschichte: Überall stehen schöne, in Marmor gemeisselte Griechen herum, filigran gearbeitetes Silberbesteck beweist, dass es dekadente Rei- che gab, lange bevor sich Popstars Schlösser leisten konn- ten und Fussballer Kunst sammelten. Das V&A ist den Sophia Slowdive Perfume dekorativen Künsten und dem Kunsthandwerk gewidmet, Kennedy Slowdive Genius und dazu wird inzwischen auch die Popkultur gezählt. Mit Sophia Kennedy (Dead Oceans/Irascible) No Shape der grossartigen, noch heute durch die Welt wandernden (Pampa Records) (Matador/MV) David-Bowie-Ausstellung setzte das Museum vor vier Kaum hatten Slowdive Jahren neue Massstäbe. Fast 312 000 Besucher zog das Mit «Build Me a House» 1995 ihr drittes Album, Eine herrschaftliche Park- Ereignis an. Interessanterweise war aber die nachfolgende eröffnet Sophia Kennedy «Pygmalion», veröffent- anlage aus dem 17. Jahr- Ausstellung zum Werk des Mode-Designers Alexander Mc- ihr Debütalbum. Das darin licht, wurden sie von ih- hundert. Darin flaniert ein Queen noch populärer. Was einem den Schluss aufzwingt, eingesetzte Piano erinnert rem Label Creation fal- Liebender. Der Himmel dass der heutige Zeitgeist einen avantgardistischen Mode- durchaus an House, den lengelassen. Worauf sich färbt sich mal rosa, mal schöpfer spannender findet als einen Musikanten, der den Musikstil. Doch wer ein die Band alsbald auflöste. graugelb. Ein diffuses Un- Sountrack einer Epoche schuf. reines Tanzalbum erwartet, Auch weil die Musikpres- behagen liegt in der Luft. Die Bowie-Ausstellung war insofern wegweisend, als dar- sieht sich getäuscht, obwohl se ihren Shoegaze-Sound Perfume Genius’ viertes in nicht nur ein bisschen Memorabilia zu bewundern war. die Platte auf DJ Kozes zu ignorieren begonnen Studioalbum «No Shape» Mittels vielen anderen Objekten wurden Verbindungen Pampa-Label erschienen ist. hatte, um ganz auf den erzählt die Geschichte ei- zwischen gesellschaftlichen Entwicklungen, Zeitgeist und Die Amerikanerin aus Ham- aufkommenden Britpop ner gereiften Liebe. Einer kreativem Schaffen aufgezeigt, die weit über das Phänomen burg, die bis jetzt vor allem zu fokussieren. Einige der Liebe, die einhergeht mit Bowie hinaus reichten. Bowie selber stellte zahllose Doku- fürs Theater komponierte, Mitglieder von Slowdive, dem Gefühl des Angekom- mente zur Verfügung. Klar, dass ein solches Erfolgsrezept zeigt sich mit Produzent darunter Neil Halstead menseins im Leben und bei nicht so schnell eingemottet wird. Drum jetzt dasselbe in Mense Reents nun als Pop- und Rachel Goswell, for- sich selbst. Dass sich Mike Grün mit Pink Floyd. und Vaudeville-Künstlerin mierten sich in der Folge zu Hadreas aka Perfume Ge- Das ist nicht unlogisch. Keine andere Band beschäftigte sich und Sängerin. «Bewährtes Mojave 3 und frönten fünf nius dies hart erkämpft intensiver mit der visuellen Komponente ihrer Präsentation aufgreifen und es durchein- Platten lang countrygefärb- hat, ist hör- und spürbar. als sie. Ausgehend vom psychedelischen Farbgetümmel der anderwirbeln» möchte Ken- ten Liedern. 2014 fanden Jahrelang rang der Musi- Sixties entwickelte man ein vielschichtiges Bildvokabular, nedy. So hat es neben dem Slowdive für eine Serie von ker aus Seattle um Akzep- das die Grundlage schuf für die gigantischen Multimedia- Piano auch für Maultrom- Live-Auftritten wieder zu- tanz als Homosexueller, Shows von heute und überhaupt die Sprache der Pop- meln Platz, für Akustisches sammen, zwei Jahre später kämpft mit seiner chroni- videos. Angesichts der spektakulären Kulisse, vor der sich wie Elektronisches, für wurde verkündet: ein neues schen Darmerkrankung, die Geschichte von Pink Floyd abspielte, wäre es geradezu Latin-Rhythmen und Dubs- Werk ist in Arbeit. «Noch gegen seine Depressionen unmöglich, daraus eine langweilige Ausstellung zu ma- tep-Anklänge. Ihre Stimme bevor wir uns wiederver- und Drogensucht. Seit acht chen. «Pink Floyd – Their Mortal Remains» ist denn auch ist dunkel und herb, dann einigten, dachten wir über Jahren ist er clean und in ei- durchaus unterhaltsam. Natürlich bekommt der Besucher schichtet sie diese zu kos- neues Material nach», sag- ner festen Beziehung – seit am Eingang einen Empfänger samt Kopfhörer um den Hals mischen Chören auf, phra- te Drummer Nick Chaplin seinem letzten Album «Too gehängt, der ihn durch die Räume begleitet. Je nach Po- siert in «Dizzy Izzy» mit dem «Guardian». Jetzt liegt Bright» (2014) wirkt der sition dringen daraus Musik, die zum Ausstellungsobjekt kindlicher Reimlust oder das schlicht «Slowdive» Musiker selbstbewusster passt, oder Interviews mit allen lebenden Bandmitgliedern erweist in «Baltimore» ihrer genannte Œuvre vor. Neu denn je. Auf «No Shape» zu all den roten Fäden, die durch das Leben der Band füh- Heimatstadt eine melancho- erfunden haben sich die glänzt er mit einem gekonn- ren: die Anfänge im Blues, das Zusammenspiel von Bild lische Reverenz. «Mit mei- Briten nicht: Die Gitarren ten Stilmix zwischen Pop, und Musik in der Psychedelik, das tragische Leben von Syd ner Stimme stelle ich immer wirken immer noch intro- R’n’B und Klassik, über- Barrett, der Zorn, der die Motivation für «The Wall» und einen anderen Charakter spektiv, obschon Slowdive schreitet die Grenze zum «Animals» kreierte, und viele andere Aspekte mehr. dar», sagt Kennedy. Unter- ihr Tempo minimal erhöht Kitsch und Pomp stilsicher Wie Bowie haben auch die Floyds in ihren Archiven gegra- wegs in den experimentier- haben und dennoch nicht und zeigt seine Stimme in ben und viele faszinierende Souvenirs zusammengetragen. freudigen Soundwelten von dringlicher, dafür resolu- vollem Variantenreichtum. Ganz anders als bei Bowie hört bei Floyd die musikalische «Sophia Kennedy» lernt ter klingen. Während sich Dennoch, die Zweifel am Experimentierlust ungefähr in dem Moment auf, da ihnen man jeden einzelnen davon «Go Get It» in räumlicher Glück steigen zwischenzeit- der Erfolg gewaltige Konzertlokalitäten aufzwingt. Bowie gerne kennen. Üppigkeit aalt, kehrt «Eve- lich immer wieder hoch. Es reflektierte in seiner Musik und seiner Selbstarstellung bis rybody Knows» die perlen- ist die Angst, dass aus dem am Schluss den Geist der Zeit. Pink Floyd ungefähr ab anz. den Seiten des Dream-Pop Rosa vielleicht doch wieder «Wish You Were Here» reflektieren nur noch die Mauern, hervor. Im Kern sind Slow- ein Graugelb oder Schwarz in denen sie als Superstars gefangen waren. So vermittelt dive ihren Musikrezepten werden könnte. Und diese der erste, bedeutend umfassendere Teil der Ausstellung treu geblieben, haben diese lässt auf «No Shape» er- einen ausgezeichneten Eindruck von den Freuden der jedoch dergestalt aufge- drückend starke Stimmun- Psychedelik und der grauen Umgebung, in welcher diese frischt, dass das Ergebnis gen entstehen. florierte. Beim Rest geht es nur noch ums technologische aktuell wirkt und sogar Staunen. Ist aber auch ganz lustig. Eigentlich. berührt. hel.

Hanspeter Künzler mig. DIE NEUEN PLATTEN

Ride Cigarettes Fredda Aldous Weather Diaries After Sex Land Band Harding (Wichita/MV) (Le Pop Musik) Gargoyle Party (PIAS/MV) (Heavenly/MV) (4AD/MV) Volle 21 Jahre nach ihrem Französische Chansons, letzten Wurf überraschen Ich bin seit ziemlich genau die die Weite des amerika- Knapp drei Jahre nach Im Internet findet man ein uns Ride in Originalbe- 20 Jahren rauchfrei. Davor nischen Südwestens in sich «Phantom Radio» taucht Video von 2009, in dem die setzung mit ihrem fünften hatte ich 60 Stück am Tag tragen, Chansons, die wie Mark Lanegan erneut in Folk-Sängerin Lorina Har- Album. Ride? Genau, die weggeschmaucht. Unlängst die spektakulären, über den Elektro-Rock ein und ding auf einer kleinen Büh- vier Boys aus Oxford, die habe ich mich mit einer flache Prärien ziehenden betont dabei nicht nur den ne in Wellington zusammen zusammen mit Lush und noch rauchenden Freundin Wolkenformationen atem- Blues, sondern auch die mit ihrer damals 19-jähri- Slowdive als Crème der darüber unterhalten, ob mir beraubend leicht wirken, Gothic-Elemente. «Lord of gen Tochter Hannah «Ex- Shoegazing-Szene galten. das Rauchen fehle: Eigent- frei klingen und sich bei the fire in the sky / Getting actly What to Say» singt: Selbige borgte sich die Gi- lich nicht, denn die meisten jedem Hinschauen verän- level, neon devil / holy holy ein schöner Song mit eben- tarrenteppiche von My waren «Suchtzigaretten» dern, Chansons, in denen in my mind / To abide and solchem Harmoniegesang. Bloody Valentine aus, dreh- und eher kein Genuss – bis Bewegung und Wurzeln, crucify», singt der 52-Jähri- Fünf Jahre später wurde te die Lautstärke hinunter, auf die nach einem guten Sehnsucht und Heimweh ge in «Blue Blue Sea», lässt aus Hannah Aldous Har- fügte ein paar Effektpedale Essen oder nach Sex. Also: sich die Waage halten – die Kirchenorgel gegen ding, und ihr gleichnamiges hinzu und zelebrierte das Einen klasse Bandnamen solche Chansons schenkt Synthesizer auflaufen und Debütalbum überzeugte, neblige Fernweh. «Shoega- hat sich der Mann mit der uns die französische Sin- steuert auf apokalyptische klang aber nicht unbedingt ze» war wenig mehr als schläfrigen Stimme für sein ger/Songwriterin Fredda Momente zu. Dabei klingt schön-harmonisch. «Goth eine Fussnote in der bri- Projekt ausgesucht. Greg auf ihrem fünften Album der frühere Frontmann der Folk» nannte es die Neusee- tischen Rockgeschichte, Gonzalez aus Texas füllt «Land». Der Titel ist be- wie ein länderin, bei dem die Angst aber in den letzten Jahren mit seiner Band bereits wusst gewählt: «Land», Prophet des Untergangs, hinter jeder Ecke lauerte. hat eine neue Generation mittelgrosse Hallen. Nun beziehungsweise «lande» doch: Die Stimmung auf Mit einem Vertrag über die Freuden psychedelisch erscheint nach einer EP ist in mehreren Sprachen der zehnten Platte unter ei- drei Alben beim Label 4AD schimmernder Gitarren dieses hübsche Debüt. Frü- verständlich, allerdings genem Namen wirkt gelas- ausgestattet, produzierte sie entdeckt. Gitarrist Andy her hätte man diese Musik mit jeweils anderen Nu- sener, möglicherweise auch nun den Nachfolger «Par- Bell hat seit dem letzten vielleicht auch Slowcore ancen. Immer schwingt bloss schicksalsergebener. ty» mit John Parish und gilt Mal mit Oasis und Beady genannt. Die wunderbaren in diesem Wort der Bezug Das Album kommt einem bereits als die Folkkünstle- Eye Popstarerfahrungen Mazzy Star kommen einem zur Natur mit, die auch staubigen Western gleich, rin des Jahres. Die neuen gesammelt. Sänger Mark in den Sinn, aber irgendwie in den Songtiteln präsent bei dem nicht irgendwel- Songs hätten «Liebe und Gardener zeigte vor Kur- auch Souled American und ist: Flüsse, rosafarbener che Pistoleros, sondern die Kraft» zum Thema, sagt zem mit einem grossartigen die Tindersticks. Wir hören Schnee, Blumen, Heiden, eigene Seele der Gegner ist. Harding, wobei sie immer Album an der Seite von ruhige und langsame Songs Morgenstimmungen. Der Die meisten der zehn Songs noch sehr dunkel klingen. Ex-Cocteau-Twin Robin mit tollen Melodien und Produzent Pascal Parisot – hat Lanegan gemeinsam Sie kommen mit wenigen Guthrie, dass er noch im- schönen Arrangements, die verantwortlich auch schon mit dem Briten Rob Mar- Instrumenten, einem Pia- mer träumerische Melodi- verträumt wirken. Lieder, für frühere Fredda-Alben shall, Gitarrist bei Exit no, akustischer und elek- en aus dem Ärmel schüt- die wie eine Zigarette nach – und der Mixer Jim Wa- Calm, verfasst – und Zufall trischer Gitarre oder Sa- teln kann. Und siehe da: gutem Sex wirken. Songs ters (u.a. Calexico) haben oder nicht: Die Saitenins- xophon-Tupfern aus. Das «Weather Diaries» könn- mit hohem Suchtfaktor. für Freddas neue Lieder trumente kommen wieder Phänomenale ist Hardings te das beste Ride-Album Der einzige Nachteil: Es ein luftiges, durchlässiges muskulöser und auch for- Gesang, da sie von Nico überhaupt sein. Die innig klingt halt doch alles recht Klanggewand gewoben, in scher daher. Das mündet über Melanie bis Kate Bush ineinander verschlungenen ähnlich. welchem Glück und Me- in einen plakativen Sound, alle Register beherrscht. Gitarrenriffs und neblig lancholie, Verspieltheit und der sich auf «Emperor» «Horizon» fesselt mit sei- verzerrten Akkorde bilden tb. Introversion atmen und als Ode an die Einsamkeit ner Urgewalt ebenso wie ein fürwahr hypnotisches zartbittere Trompeten auf und auf «Drunk On De- «Imagening My Man», ein Hörspektakel, und Garde- filigrane Gitarrenakkorde struction» als Sinnieren Duett mit Perfume Genius ners Gesang streicht um die und unaufdringlich swin- zwischen heulenden Gitar- und einem verstörenden Klänge wie eine Katze um gende Rhythmen antwor- ren und Loops entpuppt. «Hey! Yes!»-Kinderchor im die Beine. Ein verblüffend ten. Songs wie Wolken; und «Gargoyle» ist nicht frei Refrain. «Party» ist ein un- starkes Comeback, das wie in den Wolken entdeckt von Pathos, präsentiert sich berechenbares, packendes, sich vor der Vergangenheit man in Freddas Songs und aber derart selbstbewusst, beeindruckendes Album. wahrlich nicht zu schämen Chansons immer wieder dass es wohltut. braucht. Neues. anz. mig. hpk. cg. Live: 12.7., Montreux Jazz Festival www.garedelion.ch SZENE Silostrasse 10 LieferscheinGARE LS3

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Elisa Day Amanda Palmer Camille Ray Davies Thea Gilmore Atme und zähle & Edward Ouï Americana The Counterweight bis zehn Ka-Spel (Because/Warner) (Sony) (Cooking Vinyl) (QFTF/Prolog) I Can Spin a Rainbow (Cooking Vinyl) Zu den Höhepunkten des Vor drei Jahren veröffent- Mit 18 Jahren veröffent- Elisa Day? Da war doch diesjährigen Frühlingsfes- lichte Ray Davies seine lichte Thea Gilmore ihr was. Genau: Gemäss Der heute in Holland le- tivals Printemps im fran- Memoiren, jetzt kommt erstes Album. Das war Schauermär wurde einst bende Edward Ka-Spel zösischen Bourges gehörte die Musik zum Buch. In 1998. Inzwischen ist sie eine junge Frau dieses führt seit fast vierzig Jah- der Auftritt des Nouvelle- 15 Songs reflektiert der bereits bei ihrem 16. an- Namens von ihrem Lieb- ren die Legendary Pink Chanson-Stars Camille. Brite sein ambivalentes gelangt, und noch immer haber umgebracht. Eine Dots, eine von der engli- Nach vierjähriger Livepau- Verhältnis zu Amerika. Er kennt kaum eine Kirchen- Geschichte, die Nick Cave schen New Wave gezeugte se stellte sie ihr neues Al- versetzt sich in seine Ju- maus ihren Namen. Das zum Anlass nahm, seine Experimental-Combo, die bum und das neue Bühnen- gend im London der Fünf- ist traurig, aber auch ir- Mörderballade «Where the von Anfang an gern mit program vor. Und das war zigerjahre, als die USA der gendwie verständlich. Gil- Wild Roses Grow» zu sch- dem eigenen Mythos spiel- fantastisch! Wie immer bei grosse Sehnsuchtsort wa- mores Stimme ist weder reiben. Bei Isabelle Ritter te. Ennet des Atlantik hatte der 39-Jährigen, die ihre ren, das Land der Inspira- besonders eigenartig noch alias Elisa Day gehts jedoch die zwanzig Jahre jüngere Karriere als Sängerin beim tion, der Westernhelden, ausserordentlich flexibel. weder düster noch blutig, Amanda Palmer das Glück, Coverprojekt Nouvelle des Rock’n’Roll, der Biki- Ihre Lieder machen keine sondern vielmehr poetisch dass sie als 15-Jährige einer Vague startete und mit dem ni-Mädchen, der Cadillacs Grimassen, erzählen keine zur Sache. Auf ihrem zwei- Pink-Dots-LP begegnete, grandiosen Album «Le Fil» und der Swimming-Pools. schockierenden Geschich- ten Album «Atme und zäh- und die Band hat sie seither einen Riesenhit landete, «The Invaders» erinnert ten und duften auch nicht le bis zehn» manövriert die nie mehr losgelassen. Viel gab es eine glänzend durch- an die British Invasion der nach Heroin. Ihre Arrange- Jazzsängerin ihre Band mal später entstand zwischen komponierte und cho- Sechziger. Beatles, Stones, ments lassen keine Harfen elegant, mal überkandidelt Palmer, die inzwischen mit reographierte Show. Die Animals, Them, Herman’s aufbrausen und keine Ana- zwischen Pop, Folk, Jazz den schrillen Dresden Dolls Songs auf dem neuen Al- Hermits, Who, Kinks. Die- log-Synthies furzen. Kurz- und Tom-Waits-Anleihen durch die Landen zog, eine bum, dem Nachfolger von se Bands wurden damals um: Spektakulär ist nichts hindurch. Das von einem künstlerische und persön- «Ile Veyou» (2011), geben nicht überall mit Begeis- an den Liedern dieser Piano angetriebene «Black- liche Verbindung. Selbige nur einen vagen Eindruck terung empfangen. Die Engländerin, die einst ihre board Story in New York» trägt nun erste greifbare des Livespektakels wieder. US-Musikergewerkschaft Lehre im Studio machte, zeigt sich funky, strebt nach Früchte. Eingespielt innert Denn eigentlich muss man erteilte The Kinks ein Auf- wo Fairport Convention ab Grooves und erinnert mit- drei Wochen in England, Camille Dalmais live sehen. trittsverbot. Deren Sänger und zu aufkreuzten. Auch unter an die Chansons von haben die beiden ein Al- So gut die Platten auch erinnert sich: «Cultures vom Stil her ist sie nicht so Joe Dassin. Für ihre Texte bum aufgenommen, das sind – im Konzert wirkt clash like chalk and cheese/ leicht einzuordnen. Viel- schöpft Elisa Day nicht nur eher in die Welt von Rec- das noch einmal um ein Misunderstood in the land leicht triffts am ehesten ein aus sich selbst, sie bedient Rec Records anno 1986 Vielfaches besser. «Ouï» – of the free». Dem Mythos Vergleich mit Sandy Den- sich auch gerne bei Ernst passt als in den heutigen das erst fünfte Album der Amerika stellt Ray Davies nys letztem Album «Ren- Jandl («Otto’s Mops») oder Indie-Groove. Und das ist Sängerin in 15 Jahren – ist eine ernüchternde Realität dezvous», wo die Songs Christian Morgenstern als grosses Kompliment zu dennoch ein tolles Kon- gegenüber, er singt über den Mainstream streifen, («Der Werwolf»): In ihren verstehen! Geführt da von zeptwerk. Eines, das aus- jugendliche Unbedarftheit, ohne sich ihm an die Brust Liedvarianten nimmt die einer feinen Geige, dort von gesprochen fein arrangiert die Musikindustrie, Ras- zu werfen. Aber auch das Künstlerin deren abstruse einem simplen Piano, be- ist und zwischen Chanson, sismus, über die Schwierig- ist nicht fair: Natürlich hat Lyrik auf, spielt mit Sam- wegt sich die elektronisch/ Pop, Vokalexperiment und keiten, Tourneeleben und Gilmore eine eigene Stim- ples ihrer Stimme, zerfetzt organische Kammermusik Folk changiert. Da gibt es Familie unter einen Hut me, und in dieser schwebt die Silben oder unterlegt meist in gesetzten Tempi fast schon klassische Pop- zu kriegen. «Americana» eher Zuversicht mit als die sie mit Kindergeschrei und daher. Palmer und Ka-Spel songs wie die Vorabsingle ist seine persönliche Rück- im englischen Folk omni- Spielzeugpiano. Das klingt lassen sich Zeit, dazu in «Fontaine de lait», aber schau, eingespielt mit den präsente Melancholie. Auf keck und ist hinterlistig. intimen Sprechgesängen auch das seltsame «Sous Jayhawks in London. Die ihre unaufdringliche Art An anderer Stelle bietet ihre eigentümlichen Ge- le sable» oder «Lasso», Americana-Pioniere und sind Gilmores Lieder aus- die Sängerin nur scheinbar schichten zu erzählen. Die dessen minimalistischen der Meister des sarkasti- serordentlich fein gestrickt. geschmeidigen Jazz, unter Stimmung ist theatralisch, Sounds die Stimme von schen Songwritings loten Wären sie ein Pullover, dessen Oberfläche es bebt ohne indes grosse Gesten Camille zur Geltung brin- die stilistischen Nuancen würden wir uns jeden No- und brodelt. Haften bleibt aufzutischen oder sonstwie gen. Wer sie live erleben und lyrischen Qualitäten vember von Neuem freuen, raffinierte Musik, stets fin- aufgeregt zu tun. Ein in der möchte: Am 16. Juni singt der amerikanischen Roots- wenn wir ihn endlich wie- tenreich aufbereitet. Tat stil- und stimmungsvol- Camille am Festi’Neuch in Musik aus – Country, Folk, der aus dem Schrank be- les Artefakt! Neuenburg. Blues und Rock. freien dürfen. mig. hpk. tb. tl. hpk. DIE NEUEN PLATTEN Heavy Harvest Wer poltert und flext da an der Türe? Mit abgesägter Gi- tarre, verzerrtem Bass, kreischendem Organ und brettern- dem Ohrfeigenschlagzeug? Sind es die Geister der Punk- und Hardcore-Heroen Black Flag, Helmet, Circle Jerks, Shellac, Hüsker Dü und Bad Brains? Nein, es sind die Drei von der Punkstelle. Genauer: die drei Twentysomethings The Secret Fionn Regan Various Artists von Heavy Harvest aus Basel, die mit «Rats» (Irascible) ihr Sisters The Meetings Resistance Radio: erstes Langeisen an die Wand nageln. «Rat Wiper» heisst You Don’t Own Me of the Waters The Man In The High der erwähnte Türpolter-Song, gewidmet ist er Greg Sage Anymore (Abbey Records/Irascible) Castle Album von den Wipers, einer der einflussreichsten Bands der US- (New West) (30th Century) Westküste. HH-Frontmann O’Neal, Bassist Aaron und Für sein Debüt, «The End Drummer Jonas verdichten eine Menge Wut, Frust, An- Wenn ein knorriger Rasta of History» (2006), wurde Inspiriert ist das von Sam archie, Verachtung und Lärm zur Punk-, Hardcore- und seinen Jah besingt, käme Fionn Regan nicht nur für Cohen und Brian Burton Rock-Frischzellenkur. Was sie mit «Rats» abliefern, ist so ich doch nie auf die Idee, den Mercury Music Prize (Danger Mouse) produzierte ziemlich das Aufregendste an ungestümer Musik aus Basel deswegen Berührungsängste nominiert, sondern auch Konzeptalbum von Ama- seit Navels erster 7-Inch «Forsaken Speech» (2006). HH zu entwickeln. Gleiches gilt von Lucinda Williams ge- zons TV-Serie «The Man legen einfach los. Obwohl meist unpolitsch in ihren Lyrics, für Pops Staples oder Nus- hypt: Der Ire sei die Ant- In The High Castle». Sie scheisst die junge Band – kraft ihrer Attitude – doch expli- rat Fateh Ali Khan. Wenn wort seiner Generation auf spielt in einer Welt, in der zit auf alles, was an Politik, Macht, Blendung und Arro- da aber im CD-Büchlein Bob Dylan. Nun bedeutet die Alliierten den Zweiten ganz unseren Planeten beherrscht. Und ihre Scheisse klingt als erstes dem allmächtigen der Vergleich mit His Bob- Weltkrieg verloren haben besser als das meiste, was in diesem Jahr an DIY-Music Vater gedankt wird dafür, ness nicht selten den künst- und die USA je zur Hälfte rausgekommen ist. Befreiung durch Chaos. dass er ihnen eine Stimme lerischen Todeskuss, aber: von den Deutschen und den «Ich bin ein Nagetier, ich knabbere deine Füssen an, ich geschenkt habe und über- Obschon sich sein Label Japanern regiert werden. esse die Scheisse vom Fussboden weg», heisst es in «Rat haupt die Quelle alles Guten Lost Highway weigerte, «Resistance Radio» heisst Wiper». Ganz schön panische, nihilistische Wut hängt da in sei, dann schiebt sich eine Regans Folgewerk zu ver- der fiktive Piratensender der Luft. Alle zehn Songs gehen steil: «The Wait» ist kom- dicke Wolke vor die Sonne öffentlichen und dieses bis des amerikanischen Wider- primierte Nacht, Angst, Sehnsucht. «Brain» ist pure Ma- meiner guten Laune. Nicht heute unter Verschluss hält, stands. Und diese Kollektion schine, «Season of the Witch» ein dreckiger, schneller Bas- ganz sauber, oder? So legte erweist sich der Singer/ von Covers eher düsterer tard, «Motionless» der kläffende Traum eines Irren, «Softly ich die CD dann doch noch Songwriter als beharrlich. Songs aus den späten Fünf- Spoken» ein ultradichter Tobsuchtsanfall, «Eraserhead» ein ein, und siehe da, ich habe «The Meetings of the Wa- zigern und frühen Sechzi- würgender Albtraum, und alles zusammen prächtig frisch es in keinster Weise bereut. ters» ist sein erstes Album gern. Passend zur Serie, in und verdammt mächtig. Für die «Rats»-Aufnahmen ist die Laura und Lydia Rogers, seit fünf Jahren und offen- der sich die Menschen nach Band ins Studio von Marc Bouffé (Hathors) gereist. Das hat Schwestern aus Muscle bart einen Musiker, der von Freiheit und Liebe sehnen, sich gelohnt: Die rohe Energie wurde weiter komprimiert, Shoals, Alabama, hatten so seinem Folk früherer Tage croont Norah Jones die der wilde Drive perfekt eingefangen. Und so poltern HH etwas wie einen Senkrecht- Abstand genommen hat, von Sehnsucht und Melan- lauter an die Tür und schleifen uns zu ihrer Party, während start. 2010 produzierte T- ohne diesen je zu verleug- cholie erfüllte «Unchained da draussen die Welt als orientierungsloser Kahn durch die Bone Burnett ihr Debüt, sie nen. Bevor er die elf Songs Melody». Sharon Van Etten Meere zieht. Fertig mit Punk-Gemütlichkeit: Hier kommen tourten mit Dylan und Wil- aufgezeichnet hat, soll Re- beschwört «The End of the die Ratten. In die Fresse. Aber with Love. lie Nelson und waren Stars. gan mit dem Gedanken ge- World». Beck wagt sich an Dann floppte ihr zweites spielt haben, sich nur noch die Elvis-Nummer «Can’t Chrigel Fisch Album, Universal droppte visueller Kunst zu widmen. Help Falling In Love» und sie, es folgte der Konkurs. Zwar hat er den Schritt Angel Olsen an Connie Dank Crowdfunding und (noch) nicht vollzogen, Francis’ Country-Pop-Heu- gutem Zureden von der un- doch: Seine Kompositionen ler «Who’s Sorry Now». vergleichlich tollen Brandi drehen sich zunehmend um James Mercers «A Taste of Carlile, die sich als Produ- literarische Naturmeta- Honey» geht unter die Haut. zentin anerbot, haben sie phern, bei denen es weniger Auch Curtis Hardings ulti- nun ein drittes Album auf- um die konkrete Bedeu- mativer Hilferuf «Lead Me genommen. Mal ganz sim- tung als um das evozierte On» sorgt für Gänsehaut. pel nur mit Banjo, mal et- Bild geht. Statt durchwegs Ebenfalls vertreten sind Ben- was üppiger mit Elektrizität auf akustische Gitarren jamin Booker, Michael Ki- und Cello, bewegen sich die zu setzen, orchestriert Re- wanuka, Grandaddy, Kevin Schwestern zwischen stil- gan die Platte mehrheitlich Morby, Kelis und . lem Veranda-Folk, erheben- elektronisch. Einige Tracks Danger Mouse und Sam Co- dem Country-Pathos und klingen dabei so subtil und hen bringen das Kunststück Everly Sisters. Allmächtiger kontemplativ, dass man fertig, dass diese 18 Songs hin oder her, ein Album so denken könnte, Fionn Re- den Charme des Unperfek- schön, dass es manchmal gan wolle eins mit Mutter ten verströmen. «Resistance fast nicht zum Aushalten ist. Erde werden. Radio» klingt retro und gleichzeitig modern. hpk. mig. tl. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Roland Janes ist eine Memphis-Legende, hat er doch auf mehr als 150 Jerry-Lee-Lewis-Songs Gitarre gespielt, Auf- nahmestudios bis in dieses Jahrhundert hinein betrieben und mehrere kleine Plattenfirmen erschaffen, darunter das grossartige Label ARA Records, auf dem neben Danny Burk Stefan Sulke Maxïmo Park Neo Noire & The Invaders (Certified PR Records) auch die Gitarren- Liebe ist nichts Risk to Exist Element meisterwerke von Travis Wammack erschienen sind. Klaro für Anfänger (Cooking Vinyl) (Czar of Crickets) wusste er, wie man das Schlagzeug-Intro zu «Ain’t Going (Staatsakt) Nowhere» aufnehmen muss, dass man meint, ein ganzes Maxïmo Park aus New- Vor zwei Monaten hatten Schlagorchester spaziere durchs Trommelfell. Und wenn Wer hätte gedacht, dass castle erkämpften sich un- wirs hier von den Hathors dann die Rhythmusgitarre mit dem Bass einen monotonen man anno 2017 noch über seren Respekt an der Seite aus Winterthur, jetzt sind Teppich legt, der zwanzig Jahre später von Suicide hätte ge- ein neues Album von Stefan von Bloc Party mit eckiger, Neo Noire aus Basel dran. sampelt werden können, und die verzerrten Gitarrensolo- Sulke schreiben würde? Das post-punkiger Melodik, Die beiden Bands teilen läufe so gut klingen, dass man sie am liebsten als Standard- hängt sicherlich auch damit feinen Lyrics und dem ko- nicht nur gern die Bühne, Einstellung in jedem Verstärker vorschreiben würde, dann zusammen, dass «Liebe ist mischen Hütchen, das per- sondern auch eine Vorlie- hat man wieder mal einen Garage-Klassiker. Leider wird nichts für Anfänger» beim manent auf den Kopf von be für den Rock der 90er. dann «Till I’m Sure» ein Gesang aufgepfropft, der ihn zu hippen Berliner Indielabel Sänger Paul Smith geleimt Die Basler orientieren sich einem schlechten Beatles-Verschnitt degradiert. Als Instru- Staatsakt erscheint. Im Ge- war. Siebzehn Jahre sind auf ihrem Debüt etwas mental hätte das sehr gut funktioniert, denn tief im Hinter- gensatz zu den politischen seit ihrer Gründung vergan- weniger am Grunge, auch grund fidelt sich Jimmie Crawford die Finger wund. Songwritern der 70er- und gen, elf seit dem Debüt «A wenn Alice In Chains oder Lumpy Records steht sonst eher für abgedrehten Hard- 80er-Jahre sang Sulke per- Certain Trigger». Einzelne Soundgarden anklingen. core-Punk. Und trotzdem gäbe es kein passenderes Label sönliche Gegenentwürfe Maximos haben Soloalben Neo Noire neigen aber für die Wiederveröffentlichung der 2011 erschienenen und bittersüsse Liebeslie- veröffentlicht, ein Bassist mehr zum Epischen, nach- «Wax City»-Kassette von Mr. Wax. Da kombiniert dieser der. Und jetzt taucht der ist ausgestiegen, beim letz- zuhören bei «Home» und im Titelstück Hip-Hop-Beats, Hammond-Orgel, Synthies, Sohn Berliner Juden, der in ten Album hat man mit dem Elfminüter «Infinite Schreibmaschine und Samples mit verschrobenem Death- Shanghai geboren wurde, Elektronik experimentiert. Secrets», den Billy Cor- Rock-Wave eines Jimmy Smack. «Join the Wax Clan» in der Schweiz aufgewach- Sonst hat die Band die ra- gan beim Comeback der ist nach zwanzig Sekunden schon vorbei, «ID Theft and sen ist und in Frankreich sante Folge von Trends, die Smashing Pumpkins wohl Human Cloning and More» ist mehr Soundcollage (mit seinen ersten Song veröf- seither an ihr vorbeigetrabt auch goutiert hätte. Einen Klopfen unterlegte Gesprächsfetzen aus einem japanischen fentlich hat, also wieder ist, erstaunlich ungescho- Höhepunkt setzt «Shotgun Samurai-Film?), und «Dark Clouds» und die beiden wei- auf. Die Stimme ist immer ren überstanden. «Risk to Wedding»: Die Strophe teren Songs wären perfekte Titelsongs eines 80er-No-Fu- noch sanft und schön ge- Exist» bleibt dem Grundre- reitet auf einem Verwand- ture-Splatter-Films. Zurück bleibt man leicht verstört, aber altert. Wir hören Pop zwi- zept treu. Nur bei der Pro- ten von Ministrys «Just beeindruckt, nicht erfrischt, sondern eher erdrückt, und schen Schlager und Chan- duktion der power-poppi- One Fix»-Riff, der Refrain man hat eigentlich genug. Und will doch alles gleich noch son, der mal von einem gen Gitarrenlieder und bei stürmt in Pophöhen, wie einmal hören. Piano dominiert ist, mal den Texten hat sich etwas sie die NIN-Ableger Filter von hübschen Gitarren wie geändert. In Stücken wie suchten. Die Songs haben Philipp Niederberger bei «Zwei Fremde in einem «Get High (No, I Don’t)», Neo Noire also, und die fremden Haus». Bläser und das dem schleimigen Aus- spielerischen Fähigkeiten eine Mundharmonika bei länderfeindlichkeitspoliti- auch. Kein Wunder, das «Eu-Ro-Pa», Selbstironie ker Nigel Farage gewidmet Quartett besteht aus ge- im Song «Edelmetalalter» ist, schreibt sich Smith so standenen Musikern: Tho- oder in «Marilyn» runden richtig deftig die Wut aus mas Baumgartner (Gurd, die sympathische Platte dem Bauch. Die frische Mi- Undergod), Frederyk Rot- des 73-Jährigen ab, dessen litanz ist willkommen, we- ter (Zatokrev), Franky Songs so etwas wie deut- niger sicher ist man sich ob Kalwies (Disgroove) und sche Chansons sind. des kosmetisch erneuerten David Burger (Slag In Cul- Sounds: Aus rätselhaften let). Entstanden sind Neo tb. Gründen hat man sich dem Noire beim Jammen am glanzpapierhaften Synthie- Küchentisch in der WG Sound der mittleren 80er von Baumgartner und Rot- Jahre verschrieben. Die ter, herausgekommen ist Resultate erinnern stellen- ein Album, das die Gitar- weise frappant an Tears renmusik der 90er gekonnt for Fears oder den Brit- aufleben lässt. Funk von Beggar & Co. Hmmmm… ash.

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GIPFEL TREFFEN DEN FREIRAUM ERARBEITET Das Gewicht legt das Pro- Mach es selbst: Das ist das Erfolgs- gramm stärker als früher auf Denn viel Geld war nicht vorhanden, als Marcel Bieri, Edina Schweizer Musik. Das Line- rezept des Festivals B-Sides auf dem Kurjakovic, Reto Achermann und Patrick Müller 2006 das Up liest sich wie die «Music erste B-Sides auf dem Sonnenberg organisieren. Es war die Sound of 2017»-Liste der Sonnenberg bei Luzern. Dieses Jahr Zeit, als das Kulturzentrum Boa politisch umstritten war und BBC, einfach umgemünzt kultureller Freiraum Mangelware. Für die Vier war klar, dass auf Schweizer Acts. Da wäre lockt ein lokal fokussiertes Line-Up, das etwas passieren musste. Nur in welcher Form und an wel- die Basler Newcomer-Band chem Ort, das war noch unklar. Und so sprang Kollege Zu- Zeal & Ardor, die Black auch internationale Grössen umfasst. fall ein: Als Bieri eines Morgens den Sonnenberg hinauf jogg- Metal mit Gospelgesängen te, erblickte er hinter der Bergstation der Sonnenbergbahn ein paart, oder das Luzerner Bereits die Anreise ans B-Sides-Festival bietet den Besu- Schotterfeld, das erst gerade von der Gemeinde Kriens mit Duo a=f/m, dass mit seiner chern ein erstes Abenteuer: Die Fahrt mit der Standseilbahn Stromanschluss und Abwasserleitung versehen worden war. zeitgeistigen Mischung aus von Kriens auf den Sonnenberg. Auf Biegen und Brechen Sie reichten sogleich ein Konzept ein, das auf Nachhaltigkeit 90er-Pop, R’n’B und Dark kämpft sich der klapprige Holzwagen auf 704 Meter über setzte – ein Festival, das überregionale Ausstrahlung besitzt Wave keinen internationa- Meer – und führt die Festivalgäste schwer arbeitend aufs und regional verankert ist. «Das B-Sides war von Anfang an len Vergleich zu scheuen Gelände. Oben angekommen, eröffnet sich den Besuchern eng mit der Kulturszene vernetzt», sagt Bieri. Die Unterstüt- braucht. Es ist kein Geheim- eine Panoramasicht mit Blick auf Stadt, See und Berge. zung verschiedener Exponenten aus dem Luzerner Kulturku- nis mehr: Das B-Sides bietet Doch das Festival hat noch mehr fürs Auge zu bieten. Die chen hat letztendlich diesem damals noch jungen Team die alljährlich ein abwechs- meisten Bauten auf dem Gelände sind von Helfern herge- Glaubwürdigkeit geschenkt, die dann die Gemeinde Kriens lungsreiches Programm für stellt und verbaut. «Aus finanziellen Überlegungen machen dazu bewogen hat, das Projekt zu bewilligen. Musikliebhaber – und das wir soviel wie möglich selber. Die Sachen zu mieten, ist Gleich bei der ersten Ausgabe kannte Petrus kein Erbarmen: an einem einzigartigen Ort. teuer und nicht nachhaltig», sagt Marcel Bieri, der für das Der Wind war derart stark, dass Helfer die Zeltblachen fest- Und das Festival ist auch ein Programm und die Produktion des B-Sides zuständig ist. halten mussten, damit sie nicht davonfliegen. Im ersten Jahr gutes Beispiel dafür, dass es Und mittlerweile gehört dieses D.I.Y-Ethos zum Erfolgsre- besuchten geschätzt 500 Leute das damals noch zweitägige harte Arbeit und Durchhal- zept des Festivals. Im Essenszelt gibt es statt Fast Food je- Festival. Letztes Jahr verzeichnete man 4500 Besucher wäh- tewillen braucht, um kultu- weils fünf bis sechs Menüs, die mit frischen und regionalen rend drei Tagen. relle Freiräume zu erschaf- Produkten von einer ehrenamtlich arbeitenden Küchenbri- Klingende Namen wie Shearwater, The Notwist, Tocotronic fen. Luzern ohne B-Sides? gade zubereitet werden. Bierzelte und Werbebanner sucht oder Caribou, die allesamt bereits auf dem Sonnenberg auf- Mittlerweile unvorstellbar. man auf dem Gelände vergebens. Nachhaltigkeit ist für die spielten, fehlen dieses Jahr im Programm. Aber man sollte ja Organisatoren keine leere Marketing-Floskel, sondern ein Popularität nicht mit Qualität verwechseln, denn mit Agnes Stefan Zihlmann Grund dafür, dass dieses Openair von Jahr zu Jahr orga- Obel, Moon Duo und Dear Reader sind immer noch Hoch- 15. bis 17.6., Sonnenberg, Kriens/ nisch wachsen konnte. karäter aus dem Ausland vertreten. Luzern, www.b-sides.ch NACHTSCHICHT

Sternstunden mit Steiner und Madlaina Wüten mit Japandroids

Es war ein Sonntagabend im Herbst, und eigentlich war man nach Baden Am Anfang war die Universität. Dort, genauer: in der kanadischen Pro- ins Royal gefahren, um Gemma Ray zu erleben. Eine Vorband gabs auch, vinzhauptstadt Victoria, trafen sich Brian King und David Prowse. Sie aber meistens verbringt man die Wartezeit dann doch lieber im Fumoir, besuchten gemeinsam Konzerte und beschlossen schliesslich, eine eigene wenns schon eins hat. Diesmal aber blieb man vor der Bühne sitzen. Nora Band zu gründen. So entstanden im Jahr 2006 Japandroids. Das Duo sie- Steiner und Madlaina Pollina waren nicht einfach der Support Act, sondern delte nach Vancouver über, spielte unzählige Shows und veröffentlichte eine Entdeckung. Unterstützt von einem trommelnden Gitarristen spielten zwei frühe EPs. Zwei Jahre später machten sie sich dann an die Aufnah- sie ein Konzert, das aus einem Sonntagabend im Herbst eine Sternstunde men des Debütalbums «Post-Nothing» – und beschlossen, sich aufzulösen. machte. Die Zürcherinnen wandeln in der Folk- bzw. Songwriter-Tradition Doch kaum hatten sie die Band auf Eis gelegt, meldeten sich verschiedene und schaffen es, auf diesem gut abgegrasten Feld eigene Spuren zu hinter- Labels, also machten King und Prowse – vorerst nur temporär und eher lassen. Man sucht bei Neuentdeckungen gern Vergleiche, an diesem Abend widerwillig – weiter. Der Rest ist (Erfolgs-)Geschichte. Von der Fachpresse aber war man zu gebannt vom Gebotenen, um im Hirn nach Referenzen kam frenetisches Lob, auch für den Zweitling «Celebration Rock» (2012), zu kramen. Nun steht wieder ein Auftritt am Sonntagabend an, und zwar und diverse Konzertreisen führten das Duo in der Folge um den halben im El Lokal, und diesmal sind Steiner und Madlaina die Hauptattraktion. Erdball. Danach verschwanden Japandroids für ganze drei Jahre komplett Wer nicht nach Zürich will, kann die Musikerinnen auch in Basel und von der Bildfläche. Es gab keine Konzerte mehr und auch keine Updates Winterthur erleben. Dort spielen sie zwar jeweils an einem Montag, doch auf der bandeigenen Website. Bis Ende Januar 2017, als das dritte Album Sternstunden können auch zum Wochenauftakt eintreten. (ash) «Near to the Wild Heart of Life» erschien. Darauf wüten King und Prowse in alter Frische weiter, als wären sie nie weg gewesen. Sind sie die legitimen 28.5., El Lokal, Zürich, 29.5., Roter Bären, Basel, 19.5., Portier, Winterthur Nachfolger von Hüsker Dü? Definitiv! (amp)

1.6., Rote Fabrik, Zürich Kilbi mit Phil Hayes & The Trees

Normalerweise beschliesst der geneigte Konzertbesucher den Mai mit einer Reise nach Düdingen, wo Ende des Wonnemonats jeweils die dreitägige Kilbi stattfindet. Bis anhin war das zumindest so, doch bei der diesjährigen Ausgabe – für die Geschichtsbücher: es ist die 27. Auflage – rutscht das Fes- Trennungsschmerz mit Molly Burch tival in den Juni hinein. Bei allen anderen Aspekten hingegen bleiben sich die Veranstalter vom Team Bad Bonn treu. Es gibt also drei Tage allerfeins- Aufgewachsen ist Molly Burch in Los Angeles. Später zog sie fürs Stu- ter Musik jeglicher stilistischer Ausprägung, von pickelhart bis blütenzart. dium nach North Carolina und lebt mittlerweile in Austin, Texas. Diese Die unvergleichliche Angel Olsen wird sich dabei ebenfalls hinter die Mi- Stationen kann man in ihrer Musik wiederentdecken, im Nachhall von krofone stellen wie das uneinholbare Post-Jazz-Trio Schnellertollermeier Westcoast-Rock, Jazz, Sixties-Pop und Country. Sie liebe Billie Holiday oder die unerreichte Ostschweizer Combo Lord Kesseli and The Drums. und Nina Simone, sagt Burch, möge aber genauso Sängerinnen wie Solan- Und am Sonntag legt der unermüdliche DJ Fett auf – weil Tradition eben ge, Angel Olsen, Weyes Blood oder Natalie Prass. So ist ihr Debütalbum nun mal verpflichtet. «Please Be Mine» romantischer Indie-Pop-Folk mit Retro-Flair, der ihren Ebenfalls am grossen Finaltag stehen Phil Hayes & The Trees auf den hei- sinnlichen Gesang mit langsamen Tempi und sparsamen Arrangements ligen Bühnenbrettern. Das Zürcher Trio um den charmanten Schauspieler kombiniert. Eigentlich ist es ein Breakup-Album – die Songs behandeln (der übrigens auch verwegen gut tanzen kann) hat vor wenigen Monaten die damalige Trennung von Freund und Gitarrist Dailey Toliver. Und Mol- sein zweites Album «Blame Everyone» (Dala/Irascible) rausgehauen, den ly Burch schickt im betörenden «Downhearted» Zeilen wie «I’ve got my schnörkellosen Nachfolger zum fulminanten Debüt «Hooligan Postcards». arms, my legs, my hands, my touch / Und das hört man sich am besten live an der frischen Luft an, mit ganz vie- my eyes, my lips, I guess I don’t need too much» in die Nacht. Inzwischen len netten Menschen. Oder wie es im Editorial des Programmhefts heisst: sind die beiden aber wieder zusammen und auch gemeinsam als Duo in Eu- «Die Kunst der Stunde gehört der grossen Runde.» (amp) ropa unterwegs. Ein kleines Setting, das gut zu diesen Liedern passt. (anz)

2.-4.6., Bad Bonn, Düdingen, www.badbonn.ch 7.6., Neubad, Luzern; 8.6., 1. Stock, Münchenstein NACHTSCHICHT

Anfeuern mit The Courtneys Former Franks mit The Roman Games

Sie heissen richtig zwar anders, aber in ihrer Band sind sie Cute Courtney An die Ostfront, Römerinnen und Römer! Es gibt was zu feiern: 25 Jahre (Schlagzeug/Lead Vocals), Classic Courtney (Gitarre/Backing Vocals) und The Roman Games nämlich. Die Debüt-LP «The Crimes of Small Talk» Crazy Courtney (Bass/Backing Vocals). Das Trio aus Vancouver beginnt der Rorschacher Band kam 1992 raus. Damit war die Band (Roman El- seine Songs nicht immer mit «1, 2, 3, 4» und ist auch nicht dem «Under sener, Peter Niedermaier, Fredy Stieger und Oli Rohner) eine späte Blume three minutes or die»-Credo der Ramones verpflichtet – ihr Song «Lost der Ostschweizer 80er-Alternative-Blütezeit.1996 lösten sich The Roman Boys» nimmt sich für seine Hommage an Teenager-Vampirfilme der Acht- Games auf, Elsener zog nach New York, machte weiter Musik und prä- ziger fast sieben Minuten Zeit. Aber The Courtneys sind auch auf ihrem sentiert nun sein Band-Jubiläum zweimal live. Mit dabei: ihre damaligen zweiten Album «The Courtneys II» durchaus der Punk-DIY-Ästhetik ver- «Rivalen», die Former Franks (1990 in Rorschach gegründet). Die Ost- pflichtet, wenn die Instrumente manchmal etwas unkontrolliert auseinan- schweiz hatte immer ihre Bandszene, recht überschaubar, und fast immer der rattern oder zum spielerischen Wettkampf gegeneinander ansetzen. Die UK-Sound hörig: Beatles, The Clash, The Fall, The Jam. Man war, an- drei Frauen mögen Power-Pop, ausfransende Gitarrenläufe, übermütige ders als die Punks, immer schick unterwegs und traf sich in den 80ern in Drums, eingängige Melodien und Chöre, und der kanadische Teil ihrer der selbstverwalteten Grabenhalle St. Gallen. Egal ob Bands aus Wil (The Tour stand nicht von ungefähr unter dem Motto «Bubblegummy». Das Büchsenbeers, Stitch), Kreuzlingen (Abgas), Romanshorn (Freds Freunde, macht Spass und darf am Konzert dann schon mit einem «Hey ho, let’s Die Aeronauten, Guz), Bischofszell (Roadrats, The Smash), Weinfelden go!» angefeuert werden. (anz) (Halle K), Rorschach (Here Hare Here, The Boiled Stanleys), Schaffhausen (Eugen) oder dem Vorarlberg (Null Komma Nichts, Chaos). 2017 kehren 7.6., Gonzo Club, Zürich; 8.6. TapTab, Schaffhausen die Gladiatoren aus allen Himmelsrichtungen nach Gülle zurück, in die Grabenhölle. Und nach Rorschach. Pflichttermine! (fis)

16.6., Treppenhaus, Rorschach; 17.6., Grabenhalle, St. Gallen

Scheppern mit Priests

Es hat eine ganze Weile gedauert, ehe die Priests ihr erstes reguläres Album Schweigen mit Kurt Vile & The Violators beisammen hatten. Nach einer Reihe von Kleinveröffentlichungen in allen möglichen Formaten – 7-Zoll-Vinyl, 12-Zoll-Vinyl, Kassette – machten sie Optimistisch betitelt ist es nicht gerade, das Album. Aber ehrlich und ohne sich letztes Jahr daran, ihr grosses Debüt aufzunehmen. Als man die Lie- Grossbuchstaben: «believe i’m goin down…». Darauf verhandelt Kurt Vile der im Kasten hatte, kamen allerdings Zweifel auf ob der Qualität. Und das Abrutschen im Alltag und vokalisiert zu repetitiv gezupfter Gitarren- so beschloss das Quartett, das Werk noch einmal einzuspielen. Das hat begleitung in bisweilen freien Assoziationen das Alleinsein. Es geht also sich durchaus gelohnt, wie «Nothing Feels Natural» beweist. Hier trifft um das Aufsummieren der eigenen Befindlichkeit, und das könnte schnell schepperndes Schlagzeug auf Schreigesang und Surfgitarren und fügt sich zu einer selbstmitleidigen, weinerlichen Angelegenheit werden. Doch der zu einer mitreissenden Mischung aus Lärm und Raum und Wut. Do-it- ehemalige Staplerfahrer aus Philadelphia beherrscht das Verfassen melan- yourself-Punk eben, wie er in der Priests-Heimatstadt Washington DC eine cholisch grundierter Songs meisterhaft. Seine traurigen Erkenntnisse und lange Tradition hat. Das äussert sich auch in den von Politik und Protest Beobachtungen deponiert er in aufgeräumten Arrangements, die auf ihre durchwirkten Texten, in denen die Mühsal des Lebens in der spätkapita- absolute Essenz reduziert sind. Jeder Schlenker auf dem Griffbrett ist wohl- listischen Welt verhandelt werden. Dies prägt auch den Bandalltag. Da die überlegt, jedes Zusatzgeräusch aus dem Hintergrund gekonnt positioniert, Musikerinnen und Musiker nämlich mit diversen Nebenjobs ihren Lebens- was immer wieder beklemmend schöne Momente schafft und sprachloses unterhalt verdienen müssen, proben die Priests jeweils um 8 Uhr morgens. Staunen einfordert. Dieses gesammelte Schweigen bringt man am besten Frühaufsteher-Punk, sozusagen. (amp) mit zum Konzert. Dort ist es sehr gut aufgehoben. (amp)

28.6., Rote Fabrik, Zürich 12.7., Rote Fabrik, Zürich SZENE Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

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