Die Erfindung Der Naga
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Die Erfindung der Naga Die Erfindung der Naga Identität zwischen kolonialer Konstruktion, politischem Kalkül und religiöser Instrumentalisierung Alban von Stockhausen »Wir müssen uns immer vor Augen halten, dass eine Ein mischung in alte und tiefverwurzelte Bräuche gefährlich sein kann. Auch wenn das angestebte Ideal aus unserer Sicht absolut einwandfrei ist, könnten sich die eintretenden Veränderungen als enttäuschend erweisen und möglicherweise nicht dem entsprechen, was wir angesichts unsere Theorie erwartet hatten« (Balfour 1923: 15). Als Henry Balfour am 31. März 1923 vor die Mitglieder der Lon- »Die Veränderung oder die Unterdrückung von speziellen doner Folk-Lore Society trat, musste ihm bewusst gewesen sein, Gewohnheiten und Bräuchen, die uns unser aufgeklärter Staat dass vieles von dem, was er in seiner Präsidentenansprache mit- mit Geringschätzung oder Abscheu betrachten lässt, könnte in zuteilen gedachte, weit über das hinausging, was die versammel- vielen Fällen schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. ten Zuhörer an Wortbeiträgen gewöhnt waren. Als erster Ku- Viele dieser für uns unerwünschten Praktiken sind eng verwo- rator des Pitt Rivers Museums war er in Oxford bekannt dafür, ben mit der grundlegenden Sozialstruktur der Menschen und in den Vitrinen seines Museums die Grundideen der stark vom bilden einen integralen Bestandteil derselben. Das plötzliche Evolutionismus geprägten britischen Social Anthropology nach- gesetzliche Verbot eines solchen, zwar unangenehmen, aber zubauen, einer Wissenschaft, die zu diesem Zeitpunkt eng mit alteingesessenen Elements, könnte leicht die gesamte Sozial- den Beamten in den britischen Kolonien verknüpft war. struktur durcheinanderbringen und damit die Grundlagen unterminieren, auf denen die tribalen oder Gruppenzusam- Seine kurz zuvor beendete, dreimonatige Reise zu den Naga menhalte aufgebaut wurden. Soziale Systeme benötigen einen hatte ihn jedoch derartig beeinflusst, dass er nicht umhin- langjährigen Evolutionsprozess und entstehen unter besonde- kam, seine Zweifel an der im Feld beobachteten britischen ren Umweltbedingungen« (Balfour 1923: 16). Kolo nialsituation mit mehr oder weniger deutlichen Worten in seine Rede einfließen zu lassen. Unklar erschien ihm in erster Die Zweifel, die Balfour auch auf die grundsätzliche Rezeption Linie, inwiefern die Auseinandersetzung mit den Einwohnern fremder Kulturen durch europäische Beobachter ausdehnte, der kolonialisierten Gebiete überhaupt etwas zu deren eigenen fielen in eine turbulente Zeit, in der durch die Kolonialmacht Nutzen beitrug. Er erkannte, dass die Eingriffe der kolonialen und die christlichen Missionare einige jener Grundlagen ge- Administration in die Kultur der indigenen Gesellschaften legt wurden, die das heutige Selbstbild der Naga nachhaltig drohte, zu drastischen und weitreichenden Veränderungen zu prägen sollten. führen. Diese würden unweigerlich Probleme, nicht nur in der kolonialen Administration, sondern auch bezüglich der Identi- Fragt man heute in den Naga-Gebieten nach Identität, so zeigt tät der Betroffenen nach sich ziehen. sich schnell, dass eine solche Frage nicht nur sehr emotional, sondern auch recht uneinheitlich beantwortet wird. Identität 57 Alban von Stockhausen wird häufig mit Ethnizität gleichgesetzt, die sich je nach Kon- Untermauerung meiner Argumentation möchte ich zunächst text auf eine Lokalkultur oder auf eine gemeinsame Kultur die von den Vertretern des britischen Imperiums und nicht aller ›Naga‹ bezieht. In den meisten Fällen verweisen die Ant- minder von den Missionaren unterschiedlicher Herkunft vor- worten jedoch in der einen oder anderen Weise auf die durch angetriebene Entwicklung einer gemeinschaftlichen Identität frühe britische Monographien oder die christliche Kirche vor- ›Naga‹ umreißen, wie sie von Anbeginn der Kontakte zu den gegebenen Definitionsgrenzen. Somit finden sich einige der Bewohnern der Naga-Berge gefördert wurde. Anschließend von Balfour geäußerten Befürchtungen heute bestätigt. Als soll aufgezeigt werden, wie die Möglichkeit, Identität zu for- problematisch erwies sich nicht nur der Umstand, dass Iden- mulieren, noch heute politisch und gleichermaßen religiös titätszuschreibungen sich vor Ankunft der Briten auf andere instrumentalisiert wird. Zur Illustration möchte ich einige soziale Gruppen bezogen, als die heutigen: Die unmittelbare Beispiele von Identitätskonstrukten im heutigen Nagaland Familie, das Dorf1 oder der Clan schienen als Identifikations- herausgreifen und aufzeigen, dass sich diese derselben Argu- einheit weitaus wichtiger gewesen zu sein als das, was heute im mente und Strategien bedienen, die schon von den Briten und stammesübergreifenden Ethnonym ›Naga‹ zusammengefasst Missionaren verwendet wurden. In diesen Beispielen scheint wird. Auch die mittlerweile selbstverständlichen Stammesbe- mir Identität gleichermaßen bewusst ›geformt‹ und ›kalku- zeichnungen besaßen vor Ankunft der Briten kaum Gewicht; liert‹ zu werden. Das Selbstverständnis der Naga scheint so sie wurden in erster Linie für das Bedürfnis des Kolonialappa- im Laufe der Zeit immer mehr zu einer formbaren Masse ge- rates nach klaren – und dadurch kontrollierbaren – Einheiten worden zu sein, instrumentalisiert nicht nur durch die briti- und Kategorien geschaffen. Wie relativ diese von außen kon- sche Kolonialmacht und die christlichen Missionare, sondern struierten Bezeichnungen sind, zeigt sich am Beispiel der heu- in der heutigen Zeit auch durch die Naga selbst: durch allerlei tigen Khiamniungan (ehemals Kalyo Kengyu). Christoph von Gruppierungen, die für sich den Anspruch erheben, ›Naga‹ zu Fürer-Haimendorf berichtet 1939, dass »die Pangsha-Leute repräsentieren. Mehr denn je scheint Identität bei den Naga selbst ihr Dorf Wailam nennen«, den Ausdruck Kalyo Kengyu ein politisches Mittel zu sein – im religiösen wie im politischen nicht kennen und »für sich selbst überhaupt keine Stammes- Kontext. Wer die ›Definitionshoheit‹ darüber besitzt, kann bezeichnung« verwenden (Fürer-Haimendorf 1939: 197). Es sich selbst als Teil des Selbstverständnisses konstituieren. Die wurden demnach Verwaltungseinheiten geschaffen, die eine Leidtragende dieses Wettbewerbs ist – wie später dargestellt Deckungsgleichheit mit der Identität der benannten Personen wird – die jüngste Generation, die sich zu einer völlig neuen implizieren sollten, eine Annahme, die mit der Zeit immer tie- Definition von Identität gezwungen sieht. fer ins tatsächliche Selbstbild der betroffenen lokalen Gruppen einfloss. Die Bewohner der Naga-Berge übernahmen damit ein Konzept von Identität, das nicht nur von der britischen Ko- Die Naga und die britische Kolonialmacht lonialmacht, sondern auch von den baptistischen Missionaren so für sie ausgedacht und vorgesehen worden war. Aus der blos- »Die zwei wichtigsten Fakten, an die man sich erinnern soll- sen Andersartigkeit dieser neuen Zuschreibungen erwuchsen te, sind indes erstens, dass das Wort ›Naga‹ klare geographi- zahlreiche Disparitäten – bis heute präsent in der vielfältigen sche Grenzen hat und zweitens, dass die derart bezeichnete Art und Weise, wie die Naga ihre Identität in der Gegenwart Rasse unterteilt ist in buchstäblich unzählige unabhängige ausformulieren. Stämme, die in einem ständigen Krieg miteinander stehen« (Peal 1874: 477). Der vorliegende Buchbeitrag möchte aufzeigen, in welcher Weise die Identität der verschiedenen Lokalkulturen der Schon lange vor Ankunft der Engländer hatte es Kontakte Naga-Berge durch die Kolonialherrschaft und die christli- zwischen den Bewohnern der assamesischen Ebene und den che Mission grundlegend verändert wurde und wie sich Spu- Bewohnern der Naga-Berge gegeben – nicht nur friedlicher ren einer solchen – von auswärts ›vordefinierten‹ – Identität Natur, wie die Schilderungen aus den Chroniken der über 600 im alltäglichen Leben der heutigen Naga wiederfinden. Zur Jahre die Assam-Ebene regierenden Ahom-Dynastie belegen 58 Die Erfindung der Naga ê Abb.1. Konnten Konflikte nicht auf der Basis einer lokalen Rechtssprechung beigelegt werden, so brachte man sie vor die koloniale Administration. Dies war beispielsweise der Fall, wenn es zwischen verschiedenen Stämmen zu Landstreitigkeiten kam, aber auch, wenn sich die neu konvertierten Christen eines Dorfes nicht mehr an den Gemeinschaftsarbeiten beteiligen wollten (vgl. Mills 1926c: 419ff.). Das Photo zeigt J. P. Mills und eine Gruppe von Sema vor dem Administrationsbungalow in Kohima. (HEK 1936) (Barua 1985). Oft waren es erst diplomatische Schachzüge sei- den Betrieb der Plantagen immer wieder durch Kopfjagden tens der Ahom, die die häufig blutigen Auseinandersetzungen und die Versklavung von Teearbeitern gestört (Domville-Fife mit den Dörfern der Bergregionen beendeten – so beispiels- 1924: 1079, in Schäffler 2006b: 273). Auf diese ersten Kontakte weise die Heirat eines Ahom-Königs mit einer Frau der Konyak folgte eine Zeit blutiger Strafexpeditionen, durch welche die (Yaden 1981: 5). Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts zeigen sich Dörfer mit Gewalt zur Kooperation mit der Kolonialmacht ge- vermehrt begrenzte Kontakte ökonomischer Natur (Hartwig zwungen werden sollten. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts 1970: 48). Schon damals gab es bei den Hügelbewohnern die änderten die Engländer ihre Strategie im Umgang mit den Tendenz, sich vom ›Außen‹ oder auch ›Anderen‹ abzugren- Bewohnern der Naga-Berge und begannen, vermehrt auf das zen, auch wenn das ›Eigene‹ lediglich auf einer häufig von System der indirect rule umzustellen, nicht zuletzt auch bedingt Rivalitäten und Feindschaften,