Feierabendmusik in der Kirche Katholische Stadtkirche St. Agatha, Dietikon; Freitag, 27. Oktober 2017, 18.40 Uhr

JJeessuuss bblleeiibbeett mmeeiinnee FFrreeuuddee und andere wunderbare musiikalliische Momentte

Panflöte: Sulamith Spillmann Orgel: Bernhard Hörler

Programm

Gottfried Heinrich Stölzel Bist du bei mir (1685 – 1750) (aus der Oper Diomedes oder die triumphierende Unschuld, 1718)

Johann Sebastian Bach Jesus bleibet meine Freude (1685 – 1750) (aus der Kantate Nr. 147; 1723/1716)

Franz Peter Schubert Moment Musical (1897 – 1828) (D 780 bzw. Opus 94, Nr. 3; zwischen 1823 und 1828)

Louis Vierne Berceuse (1870 – 1937) (Opus 31, Nr. 19; 1913)

Gabriel Fauré Pavane (1845 – 1924) (Opus 50; 1887)

Franz Peter Schubert Ständchen (1897 – 1828) (aus Schwanengesang, D 957; 1828)

Zum Programm

Gottfried Heinrich Stölzel wurde am 13. Januar 1690 in Grünstädtel, einem Ortsteil der Stadt Schwarzenberg im Erzgebirge, als Sohn des lokalen Organisten Heinrich Stölzel und der Richtertochter Katharina Lange geboren. Er wuchs mit acht Geschwistern in der Lehrer- wohnung des Schulhauses von Grünstädtel auf. Von seinem Vater erhielt er den ersten Mu- sikunterricht. Im Jahr 1703 war er Schüler im Lyzeum in Schneeberg und im Jahr 1705 im Gymnasium in Gera. Während dieser Zeit erhielt er Musikunterricht von bedeutenden zeitge- nössischen Musikern. Im Jahr 1707 begann er in ein Theologiestudium und wurde auch hier musikalisch gefördert. So förderte einer seiner Lehrer, Melchior Hoffmann, die Auf- führung seiner Werke. In dieser Zeit entstanden persönliche Bekanntschaften mit den beiden Komponisten und Musikern Johann Friedrich Fasch (1688–1758) und Johann Georg Pisen- del (1687–1755). Nach einem kurzen Studienaufenthalt in Italien ging Stölzel nach Prag und dann nach Breslau, wo er im Jahr 1710 in städtischen Adelsfamilien Musikunterricht erteilte und auch komponierte. Im Jahr 1713 ging er wieder nach Italien, wo er u. a. mit Antonio Vi- valdi (1678–1741) den Kontakt pflegte und so den Einstieg in die internationale Musikwelt fand. Im Jahr 1717 folgte Gottfried Heinrich Stölzel zur Zweihundertjahrfeier der Reformation ei- nem Ruf nach zum Komponieren von kirchlichen Werken. Vom 1. Januar 1718 bis zum 30. September 1719 amtete er als Kapellmeister am Hof in Gera, wozu auch die Arbeit als Musiklehrer am Gymnasium gehörte. Im Jahr 1719 heiratete er Christiane Dorothea (1694–1750), die Tochter des Hofdiakonus Magister Johann Knauer und hatte mit ihr zehn Kinder. Im Jahr 1719 zog Gottfried Heinrich Stölzel mit seiner Frau nach Gotha, wo er von Herzog Friedrich II. zum Hofkapellmeister ernannt worden war. Auch hier war er als Musiklehrer tä- tig, verfasste einige musiktheoretische Schriften und betätigte sich außerdem als Schriftstel- ler. Er pflegte alle musikalischen Gattungen seiner Zeit und führte die Hofkapelle in Gotha zu einer neuen Blüte. Er komponierte aber auch für die Höfe in Gera, Sondershausen (hier be- sonders geistliche Werke) und Zerbst. Im Jahr 1739 wurde Gottfried Heinrich Stölzel Mitglied der Correspondierenden Societät der musicalischen Wissenschaften. Er starb am 27. No- vember 1749 in Gotha. Gottfried Heinrich Stölzel war als Komponist äußerst produktiv und wurde von seinen Zeitge- nossen, oft höher geschätzt als (auch Händel und Telemann waren zeitlebens bekannter als Bach). Neben zahlreichen Orchesterwerken, Kammermusikwerken, Oratorien, Messen, Motetten und Passionen schrieb er auch weltliche Kantaten. Ein Großteil seiner Werke ist allerdings verschollen. Das wohl bekannteste Werk Gottfried Heinrich Stölzels ist die wunderschöne Arie Bist du bei mir, die lange Johann Sebastian Bach zugeschrieben wurde, da sie ohne Komponisten- angabe im Notenbüchlein für von 1725 enthalten ist. Die Arie stammt nun allerdings aus Stölzels Oper Diomedes oder die triumphierende Unschuld, deren Urauf- führung am 16. November 1718 in Bayreuth stattfand. Während die Oper selbst verschollen ist, wurde eine von Stölzel geschriebene Orchesterfassung der Arie ums Jahr 1915 von Max Schneider gefunden und bis zum Zweiten Weltkrieg im Archiv der Sing-Akademie zu Berlin aufbewahrt. Der Continuopart von BWV 508 im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach ist in der Stimmführung gegenüber der Arie von Stölzel verändert. Weil der Eintrag nun nicht die Handschrift von Johann Sebastian Bach, sondern von Anna Magdalena Bach selbst auf- weist, ist die Urheberschaft dieses Continuoparts nach wie vor unklar. Nach dem Krieg war die originale Partitur der Arie verschwunden und galt als Kriegsverlust. Trotz all dieser Fakten, die eine Urheberschaft Bachs ausschließen und ihn auch als Bear- beiter in Frage stellen, nahm (1901–1990) das Werk in das von ihm im Jahr 1950 verfasste Bachwerkeverzeichnis auf und gab ihm die Nummer BWV 508. Im Jahr 2000 schließlich wurde die oben erwähnte stölzelsche Orchesterfassung im Konservatorium von Kiew wiederentdeckt.

Johann Sebastian Bach wurde am 21. März 1685 in Eisenach geboren. Er lebte und wirkte von 1703 bis 1707 als Organist in Arnstadt, im Jahr 1707 Organist in Mühlhausen und ab dem Jahr 1708 in Weimar als Hofmusiker beim Herzog Wilhelm Ernst, danach fünf Jahre beim Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen und ab dem Jahr 1722 in Leipzig als Kantor an der Thomaskirche und als Lateinlehrer. Bachs erste Frau Maria Barbara starb bereits im Jahr 1720 und hinterließ ihm vier Kinder. Anderthalb Jahre später heiratete er seine Cousine Anna Magdalena und hatte mit ihr neun weitere Kinder. Einige seiner Söhne wurden ebenfalls bedeutende Musiker; der bekannteste davon ist wohl Carl Philipp Emanuel Bach. Johann Sebastian Bach starb am 28. Juli 1750 in Leipzig und gilt heute als einer der wichtigsten Komponisten Deutschlands seiner Zeit. Der Choral Jesus bleibet meine Freude aus der oft aufgeführten, in Leipzig entstandenen Kantate Nr. 147 ist zu Recht eines der bekanntesten Werke des Meisters. 2

Franz Peter Schubert wurde am 31. Januar 1797 als dreizehntes von insgesamt siebzehn Kindern geboren. Sein Vater, ein Lehrer an einer Pfarrschule, brachte ihm das Geigenspiel bei, der Kapellmeister der Lichtentaler Pfarrkirche, Michael Holzer, erteilte ihm Orgelunter- richt, als er gerade mal sieben Jahre alt war. Im Oktober 1808 kam er wegen seiner schönen Stimme an die Wiener Hofkapelle und in das Kaiserliche Konvikt. Unter seinen Lehrern war auch Antonio Salieri (1750–1825), dem lange der nie stattgefundene Mord an Mozart ange- hängt wurde. Mozarts Werke wurden allerdings am Kaiserlichen Konvikt gespielt, ebenso jene von Joseph Haydn, so dass der Junge schon früh mit hochstehender Musik in Berüh- rung kam. War Schubert anfänglich ein guter Schüler, ließen seine Leistungen besonders in Mathema- tik und Latein plötzlich nach. Darum kehrte er im Oktober 1813 zu seinen Eltern zurück. Er komponierte zu diesem Zeitpunkt bereits schon seit sicher drei Jahren. Ende 1814 wurde er für zwei Jahre Schulgehilfe seines Vaters, 1817/1818 noch einmal kurz. Doch der Lehrerbe- ruf vertrug sich nicht mit dem Komponieren, weshalb er die Stelle bald aufgab. Das Problem war nun, dass die Verlagshäuser sich nicht für seine Kompositionen interessierten. Der Ta- gesablauf des inzwischen 21jährigen sah nun so aus, dass er den ganzen Morgen kompo- nierte, um 14 Uhr aß, nachher spazieren ging und schließlich wieder komponierte oder seine zahlreichen Freunde besuchte. Um 1820 nahm die Anzahl der komponierten Werke etwas ab, dafür war Schuberts Stil nun ausgereifter. Er schrieb insgesamt etwa 600 Lieder. Schubert hatte zeitlebens nie wirkliches Liebesglück erleben dürfen, dagegen war er schon früh häufig krank, wobei die Krankheiten sich auch auf seine Psyche niederschlugen. Inzwi- schen konnte er seine Kompositionen zwar verkaufen, wurde aber nicht reich damit. Schu- bert neigte nämlich zu Kneipenbesuchen, bei denen er das Geld wieder ausgab; ebenso zeichnete sich eine Alkoholkrankheit ab. Am 19. November 1828 starb Schubert laut Toten- schein an Nervenfieber, oft galt jedoch die Syphilis als Todesursache. Die Moments musicaux sind eigentlich sechs Klavierstücke, die von Schubert zwischen 1823 und 1828 komponiert worden und im Frühjahr 1828 erschienen sind. Die Bezeichnung der sechs Stücke geht auf die falsch geschriebene Bezeichnung Momens musicals, welche der Erstverleger Maximilian Marcus Joseph Leidesdorf (1787–1840) der Sammlung gegeben hat. Sie zählen zu den bekanntesten Klavierkompositionen Schuberts. Das dritte, heute Abend gespielte Stück, das auch als Air Russe bekannt ist, besticht durch seine Leichtigkeit, die dadurch noch begünstigt wird, dass das in Moll beginnende Stück in Dur schließt. Von August bis Oktober 1828 vertonte Schubert 13 Gedichte von Ludwig Rellstab (1799– 1860) und Heinrich Heine (1797–1856). Die ganze Sammlung wurde erst im Jahr 1829, also ein Jahr nach dem Tod des Komponisten, von dessen Verleger Tobias Haslinger (1787– 1842) mit einer schubertschen Vertonung eines Gedichts von Johann Gabriel Seidl (1804– 1875) ergänzt und als Ganzes herausgegeben. Weil posthum veröffentlicht, erhielt die Sammlung den Titel Schwanengesang. Das vierte Lied, das beinahe schon meditative Ständchen, schrieb Schubert auf einen Text von Ludwig Rellstab.

Louis Vierne wurde am 8. Oktober 1870 in Poitiers geboren. Seit 1880 erhielt Vierne Kla- vierunterricht bei Henri Specht in Paris. Im selben Jahr hörte er erstmals César Franck in der Kirche Sainte-Clotilde. Dieses Schlüsselerlebnis bezeichnete er später in seinen Memoiren eine Offenbarung. Weil er von Geburt an schwer sehbehindert war, trat er im Jahr 1881 ins Pariser Blindeninstitut ein und wurde dort auf dem Klavier und der Violine unterrichtet. Ab 1887 unterrichtete ihn Louis Lebel auf der Orgel und ab dem Jahr 1889 Adolphe Marty. Ebenfalls ab 1889 nahm Vierne Unterricht in Fuge bei César Auguste Franck (1822–1890). Später wurde er am Pariser Conservatoire Schüler von Charles Marie Widor (1844–1937). Im Jahr 1894 gewann er den Premier Prix d’Orgue am Pariser Conservatoire. Weil Widor den jungen Louis Vierne wegen seiner hohen Begabung bevorzugt behandelte und ihn bereits im Jahr 1892 zu seinem Stellvertreter an der Kirche Saint-Sulpice gemacht hatte, wurde er von seinen neidischen Mitstudenten spöttisch Le petit Widor genannt. Vierne hatte später bis ins Jahr 1911 selbst am Pariser Conservatoire eine Orgelklasse, bevor er zur Schola Cantorum wechselte. Im Jahr 1900 wurde Louis Vierne Titularorganist an der Pariser Kathedrale Notre Dame. Die große, 86 Register zählende Orgel war von 1863 bis 1868 durch den berühmten Pariser Or- gelbauer Aristide Cavaillé-Coll, den vermutlich genialsten Orgelbauer aller Zeiten, erbaut und 3 lange Jahre durch einen wenig begabten Titularorganisten, Eugène Sergent, gespielt wor- den, der ihre Möglichkeiten nicht auszuschöpfen wusste, ganz zum Leidwesen des Orgel- bauers, der in Notre Dame eine ganz besondere Orgel geschaffen hatte! Louis Vierne dage- gen liess sich vom wundervollen Farbenreichtum dieser Orgel zu einzigartigen expressiven Klangmalereien inspirieren. Gesundheitlich hatte Louis Vierne allerdings kein Glück. Im Jahr 1906 musste er nach einem komplizierten Beinbruch seine Pedaltechnik völlig neu erlernen. Im Jahr 1907 erkrankte er lebensbedrohlich an Typhus und einige Jahre später an grünem Star, was zur völligen Er- blindung führte. Privat ging es ihm auch nicht besser, wenn nicht gar schlechter: Im Jahr 1899 hatte Louis Vierne die Sängerin Arlette Taskin (*1880) geheiratet. Die Ehe, aus welcher die drei Kinder Jacques (1900–1917), André (1903–1913) und Colette Germaine (1907– 1961) hervorgingen, wurde im Jahr 1909 wieder geschieden. Es sollte aber noch schlimmer kommen: Der jüngere Sohn André starb am 7. September 1913 an Tuberkulose und der älte- re Sohn Jacques wurde am 11. November 1917 standrechtlich erschossen, nachdem er öf- fentlich gegen die Schrecken des Ersten Weltkriegs protestiert hatte. Das alles ist eigentlich fast nicht zu ertragen! Trotz all dieser schweren Schicksalsschläge blieb Viernes Schaffenskraft ungebrochen und er unternahm bis zuletzt sehr viele Konzertreisen in Europa und in Nordamerika. Der Tod ereilte Louis Vierne am 2. Juni 1937 während seines legendären letzten Konzerts (seinem 1750-sten!) in der Notre Dame. Maurice Duruflé, der als Registrant neben ihm stand, berich- tete über dieses tragische Ereignis: Vierne hatte soeben mit großem Ausdruck sein letztes Werk, das "Triptyque" gespielt. Ich stand neben ihm, um zu registrieren. Als er den letzten Satz des Triptyque ("Stele pour un enfant défunt") begann, wurde er blaß, seine Finger hin- gen förmlich an den Tasten und als er seine Hände nach dem Schlußakkord abhob, brach er auf der Orgelbank zusammen: Ein Gehirnschlag hatte ihn getroffen. An dieser Stelle des Programms sollte er über das gregorianische Thema "Salve Regina" improvisieren. Aber anstelle dieser Hommage der Patronin Notre-Dames hörte man nur eine einzige lange Pe- dalnote: Sein Fuß fiel auf diesen Ton und erhob sich nicht mehr. Im Jahr 1914 erschien Viernes 1913 komponierte Sammlung 24 Pièces en style libre pour Orgue ou Harmonium. Die Berceuce mit dem Untertitel Sur les paroles classiques schrieb Vierne für seine Tochter Colette Germaine. Welch große Liebe eines Vaters zu seiner klei- nen Tochter spricht aus den überaus zärtlichen und berührenden Klängen dieses schlichten Wiegenliedes! Wer die Augen schließt, kann am Schluss innerlich sehen, wie die damals sechsjährige Colette auf einer Bank auf der Empore von Notre Dame einschlummert, wäh- rend ihr Vater das Stückchen an der Orgel spielt...

Gabriel Fauré wurde am 12. Mai 1845 in Pamiers im französischen Département Ariège geboren. Er studierte in Paris an der bekannten Kirchenmusikschule von Louis Niedermeyer. Ab 1861 unterrichtete ihn Camille Saint-Saëns. 1874 wurde er zum Titularorganist an der Église de la Madeleine ernannt, wo ihm eine sehr schöne Orgel von Aristide Cavaillé-Coll aus dem Jahr 1858 zur Verfügung stand. Gabriel Fauré starb am 4. November 1924 in Paris. Faurés Werk umfasst 121 Opusnummern, wovon das bekannteste mit Sicherheit das großar- tige Requiem ist, das er 42jährig im Jahr 1887 komponierte. Die wunderschöne Pavane entstand vor 1887 und war ursprünglich ein Klavierwerk. Als sol- ches wurde es von Fauré mehrmals aufgeführt, wobei er es in einem recht hohen Tempo spielte, nämlich mit mehr als 100 Viertelschlägen pro Minute. Im Sommer 1887 schrieb Fauré die Orchesterversion, welche am 25. November 1888 vom Pariser Orchestre Lamou- reux uraufgeführt wurde. Am 28. November 1888 folgte die Uraufführung der Chorfassung bei der Société Nationale de Musique in Paris. Das Werk wurde vom Publikum in allen Ver- sionen von Anfang an hochgeschätzt. Im Jahr 1917 kam noch eine Ballettversion dazu. Faurés Pavane diente auch als Vorbild für das Stück Passepied in der Suite bergamasque von Claude Debussy (1862–1918) oder für die Pavane pour une infante défunte von Maurice Ravel (1875–1937).

Bernhard Hörler

In der Feierabendmusik vom kommenden Freitag, 3. November 2017 um 18:40 Uhr spielt meine Violinistin Olga Stępień wunderschöne Melodien zu Allerseelen und wird dabei von mir an der Orgel begleitet. 4