Akkulturation Wie Ein Franzose Den Englischen Fußball Neu Erfand
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Akkulturation Wie ein Franzose den englischen Fußball neu erfand Albrecht Sonntag „Ich bereue nichts. Nur, dass ich nicht als Engländer geboren wurde. Wegen des Fußballs.“ (Eric Cantona, Juli 2003). Im globalen Human Resources-Management hat es sich inzwischen herumgesprochen: eine große Zahl von Auslandsentsendungen viel- versprechender und fachlich kompetenter Mitarbeiter scheitert an den hohen Anforderungen, die eine erfolgreiche Anpassung an die kulturellen Gegebenheiten vor Ort mit sich bringt. Der Prozess der Akkulturation ist ein heikler Balanceakt. Er geht oft schief, aber wenn mal alles stimmt, dann können sich ganz erstaunliche Synergien entwickeln. Das gilt auch für den Fußball, wie zum Beispiel die innige Eric Cantona präsentiert Liebesbeziehung zwischen Diego Maradona und Neapel zeigt. Einen „Looking for Eric“ auf noch größeren, weil dauerhafteren Impakt hinterließ Eric Cantona in dem Festival von Cannes nur fünfeinhalb Jahren in England: auf sich selbst, auf Manchester 2009 (Foto: Wikipedia) United, und auf den gesamten englischen Fußball. Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Ort 1 Bevor er im Herbst 1992 nach einem nur halbjährigen Gastspiel von Leeds nach Manchester wechselte, war Eric Cantona eigentlich immer der falsche Mann zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen. Sechs Klubs in sechs Jahren, alle im Zorn verlassen. Nicht einmal dem großen Guy Roux, der in fünf Jahrzehnten bei der AJ Auxerre so viele große Talente in der ruhigen burgundischen Provinz zur Entfaltung gebracht hat, gelang es, den cholerischen, exzentrischen und maßlos stolzen Einzelgänger dauerhaft einzubinden. Nach der Ausbildung in Auxerre und Stationen in Marseille (zweimal!), Montpellier und Nîmes löste er im Dezember 1991 eigenhändig seinen Vertrag auf und erklärte, im Alter von grade mal 25 Jahren, seine Karriere für beendet. Und dieser Spieler wurde in einer in 185 Ländern durchgeführten Umfrage des Premier League-Sponsors Barclay’s zum „All-Time Favourite Player“ der Premiership gewählt! Heute noch, bald zwanzig Jahre nach seinem Abschied aus Manchester, singt Old Trafford das legendäre (wenn auch wenig originelle) „Oooh, Aaah, Cantona“ und gibt spontane standing ovations, wenn der „King“ mal auf Besuch ist. Offensichtlich haben die Fans in Manchester ein untrügliches Gefühl dafür, was ihr Verein diesem arroganten französischen Kotzbrocken verdankt. Und das ist eine ganze Menge. Vor Eric Cantona hatte der damals weder adlige noch erfolg- reiche Alex Ferguson sich sieben Jahre lang vergeblich abgemüht, die Meisterschaft wieder nach Manchester zu holen. Während der fünf Cantona-Jahre in Old Trafford gewann United allerdings gleich vier Meisterschaften, und der einzige Titel, der ihnen versagt bliebt, war der aus der Saison 1994/1995, als ebenjener Cantona wegen seiner Karate-Einlage gegen einen rassistischen Zuschauer für acht Monate gesperrt war. Deutlicher als durch seine Abwesenheit hätte er seinen immensen Einfluss auf Spielweise und Erfolge von United gar nicht dokumentieren können. Dabei wollte oder konnte er ursprünglich gar nicht nach Manchester, sondern einfach nur nach England, wie ihm Michel Platini geraten hatte, der es einfach nicht mitansehen konnte, wie eines der größten französischen Talente im Schmollwinkel verkümmerte. Sheffield United zeigte www.essca.fr/EU-Asia @Essca_Eu_Asia Interesse, ließ sich aber im Januar 1992 nach einem Probetraining für Cantonas Empfindlichkeit ein paar Tage zu lange Zeit, um ein Vertragsangebot zu unterbreiten. Wie zu erwarten war, knallte er umgehend die Tür zu und unterschrieb stattdessen beim erstbesten Klub, der ihn haben wollte. Fünf Monate später war Leeds United nach einer 18-jährigen Durststrecke endlich wieder einmal (und aller Voraussicht nach zum letzten Mal) englischer Meister. Die neue Saison war noch keine drei Monate alt, da wollte Leeds den unkontrollierbaren franzö- sischen Stinkstiefel schon wieder loswerden, und Alex Ferguson griff zu (für lächerliche 1,2 Millio- nen Pfund). Ein halbes Jahr später war United Meister, zum ersten Mal seit 26 Jahren (aber nicht zum letzten Mal). „The perfect player in the perfect club at the perfect moment“, wie Ferguson dem Cantona-Biographen und England-Kenner Philippe Auclair ins Mikrophon diktierte. Die wahre Geburtsstunde der Premier League 2 King Eric, wie er auf einem Ölgemälde im National Football Museum in Manchester thront. (Foto: NFM) Ferguson hatte intuitiv erfasst, dass er hier die Gelegenheit hatte, seinen jungen Talenten wie Ryan Giggs oder David Beckham einen kontinental geschulten Führungsspieler zur Seite zu stellen und so zu verhindern, dass sie im – aus heutiger Sicht grottenschlechten – englischen Fußball versumpften. Wie der exzellente Journalist Simon Kuper zu Recht in Erinnerung ruft, wurde die Premier League in einer dunklen Zeit aus der Taufe gehoben, als es noch keine Eurostar- und Low-Cost-Verbindungen zu einem unbekannten Kontinent gab. Einer Zeit, in der sich „einbeinige Mittelfeldspieler von Strafraum zu Strafraum durchtackelten und grobschlächtige talentfreie Angreifer sich im Schlamm wälzten“, wie Philippe Auclair zusammenfasst. Cantona machte den Weg frei für die Premier League, wie man sie heute kennt. Seine Erfolge erlaubten der Führungsriege eines Klubs wie Arsenal, einen unbekannten französischen Manager zu verpflichten, der in die englische Geschichte eingehen wird als der erste Trainer, der eine Mannschaft aus elf verschiedenen Nationalitäten aufs Feld schickte. Das United der 90er Jahre füllte die neuen Stadien, die nach dem Hillsborough-Desaster endlich gebaut wurden und mit den Millionen aus dem aufkommenden Satellitenfernsehen finanziert wurden. Und Cantona brachte mehr als nur fußballerische Klasse mit. Sein unberechenbarer Charakter und unbestreitbares Charisma trafen genau zur richtigen Zeit auf eine Medienlandschaft, in der sich Fußball- journalismus nicht mehr nur auf Spielberichte und Statistiken beschränkte, sondern nach Stories und Persönlichkeiten um das Spiel herum gierte. www.essca.fr/EU-Asia @Essca_Eu_Asia Cantona gab den Medien, was sie brauchten. Er musste sich dazu nicht einmal verstellen. Seine natürliche, bodenlose Arroganz, die schon in seiner Körpersprache auf dem Platz sichtbar wurde (der Hemdkragen!) und sich außerhalb des Spielfelds meist in verächtlicher Interviewverweigerung ausdrückte, passte wunderbar zu seinem in der englischen Liga nie vernommenen furchtbaren französischen Akzent; und vor allem passte sie zum neuen Manchester United, das nicht mehr für das Münchner Flugzeug-Unglück von 1958 bemitleidet, son- dern für Erfolge bewundert werden wollte. Man muss sich vor Augen rufen, dass das heutige Börsenphänomen Manchester United, einer der reichsten Fußballklubs der Welt, eigentlich eine Geschöpf der Mitte der neunziger Jahre ist und seinen atemberaubenden Aufstieg aus dem Schattendasein der 70er und 80er Jahre einer Art nationaler Hassliebe verdankt, die den hiesigen zwiespältigen Gefühlen den Bayern gegenüber nicht unverwandt ist. Auf keinen Fall ist es übertrieben, Cantona in der Entwicklung nicht nur von United, sondern der gesamten Premier League eine Schlüsselrolle zuzuschreiben. Die Fans spüren das, und sie lassen es ihren französischen Helden heute noch spüren. Sogar Cantona selbst, der nun wahrhaftig nie an Minderwertigkeitskomplexen litt, zeigt sich immer wieder ehrlich berührt und glaubhaft verwundert darüber, wie sehr er in dieser Stadt zum Mythos geworden ist. Der Fußballer als Künstler und der Künstler als Fußballer So ist es auch nicht überraschend, dass er selbst Ko-Autor des 2009 angelaufenen Films „Looking for Eric“ ist. Kein Geringerer als der große Ken Loach, dem nach seinen zahlreichen Freiheitsdramen und Kapitalismuskritiken zwischendurch wieder mal nach etwas leichterer Unterhaltungskost zumute war, machte ihm den Vorschlag, gemeinsam aus der irrationalen Ver- ehrung eines mythischen Fußballhelden eine anrührende, sentimentale Komödie zu entwickeln. 3 Und Cantona ist ja in der Tat gar kein so schlechter Schauspieler, vor allem, wenn er nicht zu viel reden muss. Schon während seiner Karriere hatten die Marketing-Leute bei Nike erkannt, dass er ausnehmend gut rüberkam in den damals revolutionären Werbespots der Marke, die grade erst dabei war, den Fußball als Markt zu erschließen. Und seit seinem abrupten, im Sommer 1997 im Alter von grade mal 30 Jahren völlig überraschend angekündigten Karriere-Ende taucht er immer wieder in kleineren und größeren Rollen im französischen Kino auf. Diesmal spielt er also auf der Leinwand die Rolle, in der er schon vor 20 Jahren brillierte: sich selbst, steigt als Heilsfigur von einem Poster in die raue Wirklichkeit hernieder und hilft einem wahren Gläubigen, sein Leben besser zu meistern. Wie Simon Kuper spitz- züngig bemerkt, wirkt er unter den meist übergewichtigen United- Fans tatsächlich wie aus einer anderen Welt... Cantona ist in dieser Rolle schon deshalb so glaubwürdig, weil er sich bereits während seiner aktiven Karriere nie als banalen Fußball-Profi, sondern eher als Performance-Künstler angesehen hatte. Er unterstrich dies auch außerhalb der Stadien, ließ sich beim Malen abbilden, stellte Photographien aus, produzierte Theater- stücke und begann seine sporadische Schauspielerei. In Frankreich amüsierte man sich glänzend darüber, was das eigene „enfant terrible“ beim Nachbarn anstellte (zumal er ja gleichzeitig auch das Image des französischen Fußballs auf der Insel nachhaltig aufwertete). In der französischen Fernsehsatire, den bitterbösen Guignols de l’Info (etwa „Das Kasperletheater