stachlige argumente Zeitschrift des Landesverbandes Berlin / Nr. 181 / März 2011 / 2,10 €

T HEMA 100 Jahre Frauen

PARTEILEBEN MENSCHEN UND ZEITEN DEBATTE Renate Künast – Für Berlin – Ägyptische Lektionen Fritz Kuhn – Hartz IV inhalt editorial

4 Micha Wendt ist verstorben. Ein Freund und Weggefährte ist von uns gegangen, der als kluger und kritischer Geist 20 38 48 von Beginn an für unsere Grund- und Gründungswerte Demokratie und Umweltschutz stand. Seine Mitgliedsnummer 1 hat er als Aufgabe und Berufung begriffen. Wolfgang Wieland wirft für uns ein Blick auf das bewegte Leben seines Freundes.

angestachelt !

Am 8. März ist es soweit: Der Internationale Frauentag jährt sich zum einhundertsten Mal. Wir konnten eine breite Autor_innengruppe von aktiven Frauenpolitiker_innen für die Realisierung unseres Titelthemas gewinnen. Ein Grund zur Freude ist das Jubiläum Titelthema aber nicht nur. Dieser Termin veranschaulicht auch, dass das offene politische Ringen um die Gleichstellung der Geschlechter nun einhundert Jahre andauert und bis heute 4 100 Jahre Parteileben Debatte Menschen und Zeiten nicht vollständig erreicht ist. Nicht zuletzt das aktuelle Beispiel von Merkels Macht- internationaler Frauentag wort zu der Ablehnung der Frauenquote zeigt: Wir haben noch einen langen Weg vor von Ursula Künning, Anja Kofbinger, 20 Für Berlin: Renate Künast 36 Der Staat hat sozial zu sein 45 Ägyptische Lektionen uns – oder wie es die gruene.de –Seite so treffend kolportiert: Eine Chefin reicht doch! Sehernaz Jähnel, Christine Wübbena, im Gespräch zu sein, Teil II – Ein Gastkommentar von Da heißt es nicht nur am 8. März: Protestieren und Einfordern. Die Hälfte der Macht Sarah Radtke von Ronald Wenke ein Interview mit Volker Beck den Frauen – mindestens! Fritz Kuhn 7 Frauen sind keine 22 Aus der Werkstatt von Oliver Münchhoff 46 Glück im Unglück Nicht ganz so lange, aber mindestens genauso vehement wie die Gleichstellung zuverdienerinnen: zum Programm von Arne Haeger von Frauen wird die gemeinsame (inklusive) Beschulung von Kindern mit und ohne Die Ausbreitung unfreiwilliger von 38 Löchrige Inklusion ‑ Behinderung gefordert – nicht zuletzt auch von der UN-Konvention über die Rechte teilzeitarbeit stoppen! Die Vielfalt anerkennen 48 Michael Wendt von Menschen. Dies soll durch das Inklusionskonzept des Senats in Berlin umgesetzt von Dr. Christel Degen 24 Schwarz-Grün in Steglitz- und an Berliner Schulen Ein Nachruf von werden, auf das Ulrike Bürgel einen Blick wirft. zehlendorf: Nicht immer leben Wolfgang Wieland 10 Die frauen- und leicht, aber produktiv von Ulrike Bürgel Unser Parteileben ist derzeit natürlich geprägt von dem Sprung ins Rote Rathaus. mädchenpolitische von Carsten Berger 50 Mit der Quote gegen Renate Künast erläutert im Gespräch mit Ronald Wenke, warum unsere Stadt eines erfolgsgeschichte in 40 Das S-Bahn-Dilemma - das Dschungelcamp politischen Wechsels so dringend bedarf. Stefan Gelbhaar lässt den Werkstattprozess Friedrichshain-Kreuzberg 26 Aufgelistet – Über die ein isoliertes Problem? von Holger Michel noch einmal Revue passieren. Auch diesmal stellen wir wieder einen Kreisverband vor: von Tine Hauser-Jabs aufstellung Grüner Landes- Ein Interview mit Carsten Berger wirft einen Blick auf Steglitz–Zehlendorf. listen und warum dabei jedes Matthias Oomen 51 Termine 12 Neue Rollen braucht das Land Mitglied wichtig ist von Ulrike Bürgel und Nichts ist aktuell mehr in der Debatte als der faule Kompromiss um die Hartz-IV von Sebastian Walter von Nicole Holtz Oliver Münchhoff 51 Impressum Regelsätze. Oliver Münchhoff suchte zum zweiten Mal nach dem Sozialstaat und hat auch diesmal bei der Bundesregierung nichts finden können. Fritz Kuhn erläutert im 14 Unsere zentralen 28 Los geht´s 42 Feuerfuchs-Politik Gespräch, warum wir Grüne dem Kompromiss nicht zugestimmt haben. Ein Fazit Frauenpolitischen Forderung von Christine Dörner von Ronald Wenke daraus kann vorweg genommen werden: Schwarz-Gelb hat den Geist des Urteiles zu Zusammengestellt von Christian_e den Regelsätzen offensichtlich nicht verstanden. Seyffer, unter Mitarbeit von 30 Jeden Tag einen Euro 44 Wie gefährlich sind Yvonne Weber von Barbara Fischer „Pro Berlin“ und Die Entwicklungen in Nordafrika gehen an uns natürlich nicht vorbei. Volker Beck wirft „Die Freiheit“? einen Blick auf die bewegten Menschen und Zeiten in Ägypten und fordert, Lehren 15 Von der Frauenbewegung 30 Von uns – über uns von Daniel Gollasch daraus zu ziehen. zu Queer – eine Übersicht der Begriffe So, und bevor ihr startet mit der Lektüre: Auf jeden Fall einen Termin im Kalender dick von Ursula Künning grün markieren. Am 8. und 9. April ist Landesmitgliederversammlung im Tempodrom. Alle unsere Mitglieder können dort über unsere Vertreter_innen auf der Landeslisten 16 Vom Geschlechterkampf entscheiden. Kommt zahlreich.

zum Geschlechterdialog - photocase, Johann Müller G azurek nailiaschwarz Münchhoff, affiella - photocase / I nhalt: hui-buh - photocase, O liver von Sven Lehmann Nun aber viel Spaß bei der Lektüre. Und natürlich freuen wir uns über Leserbriefe – itel: R itel:

© T bitte an: [email protected] Eure Redaktion

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"Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen: Sie bekommen nichts!" (Simone de Beauvoir)

Im geteilten Deutschland wurde im Osten wieder an die Tradition des Internationalen Frauentags angeknüpft. Die Betriebe gestalteten den Tag feierlich, Blumen wur- Frauen in aller Welt begehen im Jahr 2011 zum hundertsten den verschenkt und verdiente Frauen geehrt. Im Westen Mal den Internationalen Frauentag. Der Ursprung dieses hingegen blieb der Frauentag bedeutungslos. Feiern so- Tages beruht auf einer Legende. Sie besagt, dass im Jahr wie Demonstrationen gegen Gewalt an Frauen fanden, 1857 Textilarbeiterinnen in New York gegen unmenschli- von autonomen Frauengruppen organisiert, eher in der che Arbeitsbedingungen und für gleichen Lohn streikten Walpurgisnacht vom 30. April zum 1. Mai statt. Nach der und dass dieser Streik blutig niedergeschlagen wurde. Wiedervereinigung Deutschlands gelangte der Frauen- Der Erzählung nach gedachten fünfzig Jahre später, am tag allmählich wieder ins gesamtdeutsche Bewusstsein. 8. März 1907, New Yorker Sozialistinnen dieses Streiks und Frauen aus Ost und West fordern an ihm bis heute Maß- begründeten damit den Internationalen Frauentag. nahmen gegen Gewalt an Frauen, Lohngerechtigkeit und echte Teilhabe in allen Bereichen der Gesellschaft, Politik Soweit der Gründungsmythos. Fakt ist, dass 1910 anläss- und Wirtschaft. lich der zweiten Internationalen Frauenkonferenz in Ko- penhagen der Antrag auf einen Frauentag gestellt wurde. Grünes frauenpolitisches Engagement Die deutsche Sozialistin Clara Zetkin und anderen Dele- gierte wollten damit einen Tag zur Agitation für das Frau- Das Jahr 2011 hält neben 100 Jahren Frauentag weite- enwahlrecht schaffen. Dem Antrag wurde stattgegeben re Jubiläen für Feministinnen – und ein paar verstreute und Clara Zetkin gilt somit als Begründerin des Internati- Feministen – bereit: Die Grüne Frauenquote wird 25, das onalen Tages der Frauen, der – damals noch am 19. März Berliner Landesgleichstellungsgesetz 20 Jahre alt und – 1911 erstmals in Deutschland, Österreich, Dänemark, der martialische Naturen können sich über 10 Jahre Frauen in Schweiz und den USA stattfand. der Bundeswehr freuen. Übertreiben werden sollte es mit dem Feiern allerdings nicht, denn es gibt noch viel zu tun. Zunächst variierten die Termine, bis schließlich 1917 der 8. Vor allem, da von der jetzigen Regierung keine weiteren März zum festen und verbindlichen Datum erklärt wurde. Impulse für Fortschritt und Geschlechtergerechtigkeit zu Der Kampf für das Frauenwahlrecht stand in Deutschland erwarten sind. in den ersten Jahren an erster Stelle, bis es 1918 endlich eingeführt wurde. Danach wurde der Tag für andere Wahlrecht für Frauen gibt es inzwischen fast überall auf 100 Jahre Forderungen genutzt. Die Legalisierung des Schwanger- der Welt, nur Saudi-Arabien, die Komoren und Mikronesi- schaftsabbruchs, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und die en bilden eine traurige Ausnahme. Weltweit liegt der An- Senkung der Lebensmittelpreise waren wichtige Themen. teil der Parlamentarierinnen inzwischen bei knapp 19 %, Internationaler Der Frauentag bezog auch politisch Stellung und wies auf ist damit aber noch weit von den 30 % entfernt, die die die steigende faschistische Gefahr hin. Am 8. März 1931 Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking angepeilt hat. Dass Frauentag lautete die Losung der letzten zentralen Kundgebung: das Ungleichgewicht im deutschen Parlament verkleinert „Gegen Naziterror und Krieg, für Sozialismus und Frie- wurde, dazu haben die grünen Männer und Frauen eini- von Ursula Künning, Anja Kofbinger, den“. Aufgrund seines sozialistischen Ursprungs konnte ges beigetragen, als sie zum 75. Frauentag beschlossen, Sehernaz Jähnel, Christine Wübbena der Frauentag unter den Nationalsozialisten nicht mehr Frauen und Männern bei der Vergabe der Parteiämter und und Sarah Radtke stattfinden. In Nazideutschland wurde die Frau zuneh- Mandate gleich zu behandeln. Damit haben sie einen his- mend auf ihre Rolle als Mutter reduziert, die Einführung torischen Schritt getan, der nach nur 25 Jahren sogar die des Mutterkreuzes und die Erhebung des Muttertags zu CSU erreichte, die es jetzt mal mit 40 % Frauen versuchen

© Bettmann / C orbis einem offiziellen Feiertag waren die Folgen. wollen.

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Der erwähnte zwanzigste Geburtstag des Landesgleich- berechtigung vor dem Gesetz, kämpfen in Indien gegen Zukunftsvisionen stellungsgesetzes (LGG) ist ein Jubiläum, das uns Berliner die andauernde Unterdrückung von Frauen und Mädchen Grüne ganz besonders freut. Es war das buchstäblich letz- und machen in Somalia auf die besonderen Gefahren in Und in Zukunft? Werden wir im Jahr 2111 das zweihun- te große gemeinsame Projekt, dass Rot-Grün 1990 noch Kriegsgebieten, wie Vergewaltigung, Verschleppung oder dertste Jubiläum des Internationalen Frauentags bege- verabschiedete. Es ist aus heutiger Sicht nicht besonders Verstümmelung, aufmerksam. Gleichberechtigung nach hen? Oder wird es dann keinen Frauentag mehr geben? spektakulär, aber damals war es das erste seiner Art und unseren Begriffen kennen die Frauen in diesen Ländern Wenn ja, wofür werden wir kämpfen und streiten? Werden somit richtungweisend. In den letzten Jahren ist es uns nicht. Sie werden wegen ihres Geschlechts massiv diskri- wir nach wie vor die Quote und gleiches Geld für gleich- auch aus der Opposition heraus gelungen, das LGG immer miniert und sind täglicher Gewalt ausgesetzt. wertige Arbeit fordern? Wenn wir auf Deutschland und wieder auf die parlamentarische Tagesordnung zu setzen Berlin blicken, könnte es wirklich so kommen. und Verbesserungen und Klarstellungen zu erreichen. In vielen kommunistisch geprägten Ländern wie Russ- Wurden früher die begehrten, gut dotierten Vorstandspo- land, Serbien, Vietnam oder Nepal ist dieser Tag sogar Dafür spricht: Laut Grundgesetz sind Männer und Frauen sitionen in landeseigenen Betrieben gerne unter der Hand ein gesetzlicher Feiertag. Dass aber auch ein gesetzlicher bereits seit 62 Jahren gleichberechtigt. Die deutsche Wirk- an gute Freunde vergeben, müssen sie heute öffentlich Feiertag nicht vor Menschenrechtsverletzungen schützt, lichkeit sieht nach wie vor anders aus. Obwohl 51 % der ausgeschrieben werden, um nur ein besonders prägnan- sieht man in Nepal, wo Frauen kaum Rechte zugestanden Hochschulabsolventen weiblich sind, liegt der Anteil bei tes Beispiel zu nennen. werden, weder auf privater noch auf politischer Ebene. den Vorständen bei nur 3,2 %. Das Wörtchen Rabenmutter hat sich noch immer nicht überlebt. Die Journalistin und Als Clara Zetkin auf die Idee kam, einen weltweiten Tag In den letzten zwanzig Jahren ist zwar eine Aufbruchstim- ehemalige Chefredakteurin der taz, Bascha Mika, veröf- der Frau auszurufen, lagen die Missstände und Repressa- mung auf internationaler Ebene zu beobachten. Es wird fentlicht gerade ein Buch mit dem Titel „Die Feigheit der lien auf der Hand. Das tun sie heute immer noch. Deshalb zunehmend darauf geachtet, dass viele Mädchen eine Frauen“, worin sie die Hartnäckigkeit von Rollenbildern möchten wir mit einer besonderen Aktion an Clara Zetkin Schulausbildung erhalten. Immer mehr Frauen machen mit der „Bequemlichkeit“ von manchen Frauen in Verbin- erinnern. Am 8. März werden wir die Dorotheenstraße in sich dank der Mikrokredite selbstständig oder überneh- dung bringt. Und sagt Nein zur gesetzli- Mitte, in der sich unter anderem das Jakob-Kaiser-Haus men in Wirtschaft und Politik Verantwortung. Viele Län- chen Quote für Frauen in Führungspositionen. und die Büros der Bundestagsabgeordneten befinden, in der haben Gesetze beschlossen, die die Gleichheit der einem symbolischen Akt in Clara-Zetkin-Straße umbenen- Geschlechter fördern, Homosexualität entkriminalisieren Dagegen spricht das positive Beispiel anderer Länder: Nor- nen. So hieß sie vor der Wende schon einmal. Allerdings und Gewalt gegen Frauen in jeglicher Form unter Strafe wegen brachte in wenigen Jahren mehr als 800 Frauen in wollte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl nicht, stellen. Aufsichtsräte. Frankreich, Spanien, die Niederlande – viele dass seine Abgeordneten unter einer solch merkwürdigen Clara Zetkin folgen diesem Beispiel. Auch die Deutsche Telekom hat Postanschrift residieren und beschloss, der Straße ihren Dennoch sind Stereotypisierung und Diskriminierung sich vor einem Jahr zur Quote bekannt. Besser noch wäre, vorsozialistischen Namen zurückzugeben. Der konservati- aufgrund des Geschlechts weiterhin in allen Kulturen und wenn wir die Quote nicht mehr bräuchten und Geschlecht ve CDU-Politiker Philipp Mißfelder brachte uns letztes Jahr Gemeinschaften vorhanden. In Ländern wie Nepal, China keine Rolle mehr spielte. Nicht in Vorständen, nicht in Wirt- auf die richtige Idee, als er in seiner Rede zum Frauentag oder Indien haben Mädchen deutlich schlechtere Lebens- schaft und Politik und nicht in den Köpfen. Dann würden Clara Z. ausdrücklich für ihre Verdienste zur Einführung einem geselligen Brunch, um die Geschlechtergerech- bedingungen als Jungen. Sie werden schlechter ernährt, wir uns in hundert Jahren andere Ziele setzen. Und den des Frauentags rühmte. An diesem schönen Beispiel sieht tigkeit zu debattieren, während in Bangladesch und Ko- medizinisch kaum versorgt und dürfen oft nicht zur Schu- Blick über den Tellerrand werfen und die Frauen in jenen man wieder einmal, wie gut die egalitäre Zusammenarbeit lumbien die Frauen auf den Straßen demonstrieren. In le gehen. Eine hohe Sterblichkeitsrate, Mangelernährung Ländern unterstützen, in denen es noch weit schlechter zwischen Männern und Frauen schon klappt. Die Männer Afghanistan hingegen versammeln sich einige wenige in und Analphabetismus sind die Folgen. Gewalt gegen Frau- um die Frauenrechte bestellt ist. reden drüber, die Frauen setzen es um. geschlossenen Räumen, um die aktuelle Situation zu be- en ist in zu vielen Ländern alltäglich. Besonders in Kriegs- sprechen. und Konfliktsituationen nimmt die sexuelle Gewalt gegen Frauentag international Frauen überhand. Besorgniserregend ist auch, dass weib- Ursula Künning, Anja Kofbinger, Sehernaz Jähnel, Während bei uns in Europa der Fokus auf Lohnunge- liche Genitalverstümmelung, Kinderheirat, Zwangsehen Christine Wübbena, Sarah Radtke Der Frauentag wird weltweit unterschiedlich gewürdigt. rechtigkeit und Erhöhung des Anteils von Frauen in Füh- sowie der Handel mit jungen Frauen nach wie vor weit

So treffen sich Frauen in Schweden an diesem Tag zu rungspositionen liegt, fordern Frauen in Iran ihre Gleich- © Bettmann / C orbis verbreitet sind.

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Frauen sind keine Zuverdienerinnen: Die Ausbreitung unfreiwilliger Teilzeitarbeit stoppen! von Dr. Christel Degen

In den vergangen Jahren wurden Niedriglohnstrategien als Unfreiwillige Teilzeit - ein strukturpolitisches Problem laufmodell. Bereits heute leben in Ost und West die meisten und wurden in der Wirtschaftskrise zur Achillesferse der wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Erfolgsmodell ge- Teilzeitbeschäftigten vorwiegend von ihrem Einkommen. deutschen Konjunktur. Denn sie entwerten Qualifikationen priesen. Werbekampagnen für einen Standort mit billigen Die Fragmentierung von Arbeit ist vor allem in den neuen und dämpfen zudem die Binnenmarktnachfrage. Nicht nur in Arbeitskräften sollten Unternehmen nach Ostdeutschland Bundesländern so weit fortgeschritten, dass große Teile der Frauen sind schon lange keine Zuverdienerinnen mehr. Aber Ostdeutschland muss künftig nicht mehr auf Billiglohn, son- anlocken, Lohndumping als Standortvorteil war salonfähig. Arbeitswelt davon bestimmt sind. Nach Angaben des Statis- in jüngster Zeit haben die politisch beabsichtigte Ausweitung dern auf ein hohes Bildungsniveau und qualitativ hochwer- Dabei war Deutschland zuvor lange für eine ausgeglichene tischen Bundesamts gingen rund 9 Millionen Personen aller des Niedriglohnsektors sowie massive Reallohnverluste dazu tige Arbeit gesetzt werden. Das Thema „Gute Arbeit“ gehört Lohnstruktur bekannt, die Einkommensunterschiede waren abhängig Beschäftigten in ganz Deutschland im Jahr 2009 geführt, dass die Bedeutung der Einkommen der Arbeitneh- ins Zentrum der Wirtschaftsförderung. relativ gering. Während jedoch der Niedriglohnanteil in den einer Teilzeitbeschäftigung mit einer Wochenarbeitszeit von merinnen für das Haushaltseinkommen in Deutschland meisten EU-15-Ländern stagnierte oder abnahm, stieg er in maximal 20 Stunden nach. Doch während in den alten Bun- zugenommen hat. Die Autorin ist als Referatsleiterin für Struktur-Industrie- Deutschland seit Mitte der 90er Jahre sogar an. Im Jahr 2000 desländern „nur“ 15,6 Prozent angeben, unfreiwillig in Teilzeit politik, KMU, Aufbau Ost beim Bundesvorstand des DGB lag der Anteil nach Angaben der Europäischen Kommission zu arbeiten, würde in Ostdeutschland jeder zweite Teilzeit- Gerade in der Wirtschaftskrise hat sich gezeigt: Niedriglohn- tätig und bei uns in der LAG Wirtschaft aktiv. erstmals über dem EU-Durchschnitt. beschäftigte lieber eine Vollzeitbeschäftigung ausüben. Für strategien waren schon im Aufschwung kein Erfolgsmodell die große Mehrheit der Betroffenen in Ostdeutschland ist Der Minijob – Motor der Teilzeit Teilzeitarbeit mittlerweile die einzige berufliche Perspektive, wenn sie nicht in den Westen auswandern wollen. Die Ergeb- Die Hartz-Reformen haben zu einer weiteren Fragmentie- nisse einer Studie des Wissenschaftszentrum Berlin zeigen, rung und Verschlechterung der Beschäftigungsverhältnisse dass viele Teilzeitkräfte in Ost und West gern länger arbeiten geführt. In immer mehr Branchen wie dem Einzelhandel oder würden. der Gebäudereinigung wurden nur noch Teilzeitarbeitsplät- ze angeboten, häufig auf der Basis von Minijobs. Aber für die Unfreiwillige Teilzeitarbeit muss zurückgedrängt und Min- meisten Beschäftigten in Ostdeutschland ist Teilzeitarbeit destlöhne eingeführt werden, um Armutslöhne und spätere eine Notlösung. Die Beschäftigten – überwiegend Frauen, Altersarmut zu vermeiden. Minijobs sind häufig parzellierte aber auch immer mehr Männer – erhalten in der Regel ge- Vollzeitarbeit und müssen dringend in reguläre Beschäfti- ringere Stundenlöhne als vergleichbare Vollzeitkräfte mit der gung umgewandelt werden. Als Sofortmaßnahme brauchen Folge, dass häufig zusätzlich Lohnersatzleistungen beantragt wir die Wiedereinführung der zeitlichen Obergrenze von 15 werden müssen und die Altersarmut bei dieser Gruppe der Stunden pro Woche bei Minijobs. Beschäftigten vorprogrammiert ist.

Mit der Aufhebung der Begrenzung der Wochenstundenzahl Sinkende Löhne bei sinkender Arbeitszeit auf 15 Stunden wurde dem Missbrauch von Minijobs vom Ge- setzgeber Tür und Tor geöffnet. Mit der Segmentierung von In ganz Deutschland arbeiten vor allem Frauen in Teilzeit. Arbeit und dem Boom der Minijobs wird die betriebliche und Zweifellos ist die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frau- gewerkschaftliche Organisations- und Verhandlungsmacht en positiv. Aber immer mehr Frauen teilen sich ein immer klei- eingeschränkt. Zwar ist die Diskriminierung von Teilzeitbe- neres Stück vom Kuchen. Seit Jahren sinken die durchschnitt- schäftigten nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz unzu- liche Arbeitszeit und der Verdienst von Frauen, während sich lässig. Jedoch gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Mini- das Gesamtarbeitsvolumen nicht erhöht. Das liegt vor allem jobberInnen in Betrieben häufig niedrige Löhne erhalten als daran, dass hierzulande immer noch sozial- und steuerpoliti- vergleichbare sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Dies sche Anreize für die traditionelle Arbeitsteilung gesetzt wer- tritt auch in Betrieben mit Tarifbindung auf. So wird eine dau- den. Dabei sieht die gesellschaftliche Realität längst anders erhafte Existenzsicherung der betroffenen Arbeitnehmer- aus. Denn die Ernährerehe hat es in Ostdeutschland traditi- Innen untergraben. onell nicht gegeben und in Westdeutschland ist sie ein Aus-

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„Eine Idee, die ankommt, ist eine Idee, die gefragt ist“ (Popper)

mehr Frauen sitzen und dass sich die Mitgliedszahlen ge- Sportverein für Frauen und Lesben „Seitenwechsel“ fing schlechtergerecht entwickeln. Die Vereine und Projektefrau- damit an, in Kooperation mit den Schulen des Bezirks aktive en antworteten mit großer Begeisterung und Ernsthaftigkeit Mädchenarbeit zu leisten. Sie tun dies sehr erfolgreich und für das Thema. Die Frauen in den Vereinen waren im Auf- mit immerwährendem Enthusiasmus. Das veränderte sport- bruch zu neuen sportpolitischen Ufern und teilten unser An- politische Klima ist überall zu spüren. Wir freuen uns, dass liegen vollkommen. Wir ermittelten gemeinsam Kriterien für hier Ideen gedeihen, zum Beispiel Frauenfußballteams aus die Förderung des Frauen- und Mädchensports: Wir wünsch- anderen Kontinenten einzuladen und weltweit einmalige Be- ten uns mehr weibliche Vorbilder, ein anderes Bild in der Be- gegnungen im Frauenfußball zu ermöglichen. richterstattung und eine Kooperation von Vereinen mit Kitas und Schulen. Wir diskutierten neue Zielvereinbarungen mit Heute kann sich fast niemand mehr vorstellen, dass es ein- den Vereinen, die unserem Wunsch nach mehr weiblichen mal anders war. Inzwischen ist es Usus, das Frauen- und Mitgliedern und Vorständen und anderen Strukturen (Frau- Mädchensport der gleiche Stellenwert zukommt wie dem enschwimmen!) nachkommen sollten und blieben am „Ball“. Sport der Männer. Es bleibt zwar noch einiges zu tun, aber Allerdings hatten wir Grünen im Bezirk auch eine Studie die Wege zum gegenderten Ziel sind geebnet. Nun schauen vorliegen, deren Ergebnisse uns ermunterte, auch weiter in- wir uns die Jungs an! tensiv um den nichtorganisierten Freizeitsport zu kümmern. Dessen Anhänger, vor allem die Frauen, so zeigte die Studie, waren nicht besonders versessen auf Vereinsstrukturen. Sie brauchten zudem oft eine Flexibilität, die nicht mit festen Zeiten in Einklang zu bringen war. Außerdem setzten sie an- dere Prioritäten:

Die frauen- und Über zwei Drittel der Nutzer waren Männer, nur knapp ein Nicht siegen, sondern Spaß haben! Nicht Hochleistung, son- Drittel Frauen. Bei den Jungen und Mädchen waren die Zahlen dern Gesundheitsprävention! Nicht Wettkampf, sondern ge- mädchenpolitische noch gravierender: ca. 80 % Jungs und nur ca. 20 % Mädchen. meinsames Erleben! Nicht Vereinshierarchie, sondern basis- demokratische oder eigene Entscheidungen fällen können! Erfolgsgeschichte in Über Mädchen und Frauen migrantischer Abstammung und Es wird niemanden wundern, dass diese Prioritäten uns Grü- Friedrichshain-Kreuzberg ihre Nutzung von Bezirkssanlagen sowie ihre Bedürfnisse an nen am Herzen liegen. Sie sind wie aus einem grünen Pro- diese war nichts bekannt. Da gab es einen weißen Fleck auf gramm entnommen. von Tine Hauser-Jabs der Karte der sportpolitischen Landschaft und ansonsten vorurteilsbeladene Blockadementalität. In einem Bezirk mit Wir legten los und organisierten in guten Diskussionen die Menschen aus über 180 Herkunftsnationen durften wir Grü- Mehrheiten für einen Kurswechsel in der Bezirksverordne- Bis zum Jahr 2000 war die sportpolitische Welt in Friedrichs- nen uns die gesammelte bornierte „Sachkenntnis“ der Sport- tenversammlung. Es folgten Veranstaltungen mit den Zu- hain-Kreuzberg noch in der alten Ordnung: Die Sportanlagen experten anderer Fraktionen zu Gemüte führen: ständigen des Bezirksamts, den aktiven Sportlerinnen und waren fest in der Hand der Männer und besonders Fußball- „Der Türke will seine Tochter nicht im Sportverein sondern in den im Bezirk ansässigen Vereinen, die die Notwendigkei- spieler. Über Frauenfußball wurde noch nicht viel geredet, der Küche haben!“ (CDU) , „Warum sollten Frauen und Mäd- ten für einen Kurswechsel eindringlich untermauerten. Und auch wenn er immer erfolgreicher wurde. So besetzten ins- chen anderer Abstammung andere Bedürfnisse an den Sport schließlich wurden wir „Pilotprojekt´“ auf Landesebene für besondere die Männer die öffentlichen Fußballplätze, als sei haben? Schwimmen ist Schwimmen egal wer schwimmt!“ Frauen- und Mädchensport. „Leyla rennt!“ ein Mädchen- dies ein Naturgesetz. (SPD). Da gab es also viel zu tun. sportfest wurde geboren. Wir gaben dem Sportplatz am Anhalter den Namen von Lili Henoch, einer erfolgreichen jü- Aber die Frauen wollten nicht mehr am Rande der Plätze ste- Wir ließen Frauenprojekten und den Sportvereinen zukom- dischen Sportlerin, zehnfachen Weltmeisterin und Turnleh- hen, sondern selbst auf die Plätze und in die Hallen wollten men, dass sich unsere sportpolitischen Kriterien im Bezirk rerin an der jüdischen Schule Rykestraße, die von den Nazis und dort aktiv ihren Sport treiben. Und es wurden immer verändern sollen und forderten dass Frauen und Mädchen umgebracht wurde. Auf dem Lili Henoch-Sportplatz spielten mehr! Doch eine Erhebung über die Nutzung von Bezirks- künftig an öffentlichenA nlagen gemäß ihrem Bevölkerungs- plötzlich türkische Mädchen (mit und ohne Kopftuch) Fuß-

sportanlagen brachte Erschreckendes ans Licht: anteil teilhaben müssen, dass künftig in den Vereinsgremien designs - fotolia © sirena ball! Der in unserem Bezirk ansässige größte europäische

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Neue Rollen braucht das Land Von Sebastian Walter

Jakob Hein, vielen bekannt durch die schlagfertigen Auftrit- samt eine bessere und gerechtere Gesellschaft schaffen – ten als Gast der Kurt-Krömer-Show, ist Schriftsteller sowie zum Nutzen aller. Oberarzt an der Charité – und seit neuestem auch Deutsch- lands erster Väterbeauftragter. Eine außergewöhnliche Idee, In den nächsten Jahren werden die Grünen die Politik die- fand auch der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft ser Stadt auf besondere Weise mitbestimmen können. Wir und zeichnete die Charité für ihre Initiative aus. In seiner eh- möchten dabei die feministische Vision einer geschlechter- renamtlichen Arbeit berät Jakob Hein alle Mitarbeiter, die demokratischen Stadt umsetzen. Eine Vision, die von allen sich um ihr Kind kümmern und in Elternzeit gehen möch- Menschen getragen wird, welche Interesse an einer emanzi- ten. Überzeugen muss er oft die Vorgesetzten, die mit Un- patorischen Politik für Berlin haben. Von vielen Frauen und verständnis auf die Pläne der werdenden Väter reagieren. vielen „neuen“ Männern wie Jakob Hein. Aber auch von in- Am Ende profitieren jedoch alle Seiten: die Charité, weil sie tersexuellen Menschen und Transgendern, die nicht in das zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat. Die Kinder. überholte Modell der Zweigeschlechtlichkeit passen und un- Die Väter. Und natürlich auch: die Mütter. ter einer massiven strukturellen wie rechtlichen Diskriminie- Die Stimmen der Frauen rung zu leiden haben. Denn: Nur gemeinsam kann aus den stärker machen Ist Jakob Hein ein sogenannter Neuer Mann? Zu ihnen zählt alten Geschlechterrollen etwas Neues entstehen. Nur ge- Von Antje Kapek sich mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung. Sie meinsam kann erfolgreich gegen Sexismus, gegen Ungleich- möchten mit Frauen gleichberechtigte Beziehungen führen. behandlung und Diskriminierung vorgegangen werden. Und sie treten für die gesellschaftliche Gleichstellung der Ich mache keine Frauenpolitik – ich bin eine Frau, Geschlechter ein. Zumindest ist das ihre feste Überzeugung. Vielleicht wird Jakob Hein dann eines Tages als Väterbeauf- die Politik macht! Und als solche möchte ich mich In der Umsetzung – sei es im Alltag oder in konkreten poli- tragter wieder überflüssig werden. Weil Männlichkeit nicht mit anderen Frauen über Politik austauschen tischen Schritten – hapert es allerdings oftmals. Schuld da- mehr mit Dauerpräsenz im Beruf gleichgesetzt wird. Und können. Als Gremium soll dafür die Frauenvollver- ran sind dabei auch die gesellschaftlichen Strukturen, etwa weil bis dahin die „Gläserne Decke“ eingerissen wurde – von sammlung dienen. Eine Frauenvollversammlung wenn es keine Möglichkeit der Teilzeitarbeit gibt. Frauen und vielen anderen emanzipierten Menschen.

liver Münchhoff © O liver kann zu jedem Thema politisch diskutieren und Beschlüsse fassen. Doch ganz zum Ärgernis vieler Bei Bündnis 90/DIE GRÜNEN gibt es Männer, die daran etwas grüner Frauen kommt diese Jahr um Jahr nicht zu- ändern möchten. Im letzten Jahr haben einige von ihnen das stande. Denn die Beschlussfähigkeit muss erreicht „Grüne Männermanifest“ veröffentlicht. In ihm bezeichnen werden. Dazu bedarf es der Teilnahme von etwa sie sich als „männliche Feministen“, die den althergebrach- 150 Frauen. Kommen weniger, wird sie automatisch ten Geschlechterrollen den Kampf ansagen. Dafür haben die Argumenten wird zugehört zu einer Frauenkonferenz, die dann aber keine Autoren viel Lob, aber auch sehr viel Spott geerntet. Nichts- bzw. nur noch symbolische Beschlüsse fällen darf. destotrotz halten sie an ihrer Überzeugung fest, daß der Präsidium der FrauenVV: Erreicht wurde die Beschlussfähigkeit seit Langem Alleinernährer der Familie nicht mehr als gesellschaftliches v.l.n.r. Müjgan Percin, Katrin Schmidberger, nicht mehr. Auf der letzten VV im Dezember 2010 Vorbild taugt. Christian_e Seyffert, Sarah Radtke, Sehernaz Jähnel wurde daher über eine grundsätzliche Änderung und nicht im Bild: Daniel Gollasch nachgedacht. Mein Vorschlag: die Einführung einer Das Nachdenken über Geschlechterrollen und -stereotype „Frauen-LDK“. Da alle Gliederungen sowieso quo- hat seit langem einen besonderen Ort: den Internationalen tiert Delegierte wählen, könnten diese im Fall der Frauentag. Am 8. März jährt er sich zum hundertsten Mal mangelnden Beschlussfähigkeit einer Frauen-LMV – und es ist noch viel zu tun! Denn Frauen stoßen auf ihrer als Frauen-LDK weitertagen. Karriereleiter noch immer an die „Gläserne Decke“. Und sie verdienen noch immer weniger als ihre Kollegen, selbst bei Die Autorin ist gleicher Position und Qualifikation. Und das sind natürlich Fraktionsvorsitzende in Friedrichshain-Kreuzberg nur zwei bekannte Mißstände von vielen, die wir gemeinsam mit dem Schwerpunkt Stadtentwicklungspolitik anpacken müssen. Dabei sind wir der Überzeugung, daß der Kampf für die Rechte von Frauen dazuführt, daß wir insge-

12 13 titel Von der Frauenbewegung Als Alternative zu Gender Mainstrea- zu Queer – eine Übersicht ming wird vorrangig in der Privatwirt- schaft Managing Diversity gesehen. UNSERE ZENTRALEN der Begriffe Diversity bezieht die Vielfalt des FRAUENPOLITISCHEN Menschseins ein und betrachtet das Mehr Vorbilder für Mädchen! Geschlechtssensible Angebo- Individuum in seinem jeweiligen Kon- FORDERUNGEN te und positive Rollenvorbilder sind bereits im Kindergarten text wie zum Beispiel Alter, Ethnie oder Zusammengestellt von Christian_e Seyffer, notwendig. Wir wollen daher, dass ErzieherInnen und Leh- Frauenbewegung wird der Kampf von Frauen für die soziale, sexuelle Identität ohne Hierarchien unter Mitarbeit von Yvonne Weber rerInnen bereits in der Ausbildung für Geschlechteraspekte politische und wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlech- aufzubauen. Managing Diversity be- sensibilisiert werden. ter genannt. Die Frauenbewegung reicht in das 18. Jahrhun- deutet, bisher unterpräsentierte Grup- dert zurück und wurde von den Ideen der Aufklärung und der pen in Unternehmen einzubinden. Die- Work-Life-Balance ermöglichen! Für uns ist eine Tätigkeit mit Französischen Revolution geprägt. Seit der Einführung des se Methode der Unternehmenspolitik Gleicher Lohn für gleiche Arbeit! Es ist 60-Stunden-Woche und einem hohen Burnout-Risiko keine Frauenwahlrechts zielen die Hauptforderungen auf die Über- wird häufig kritisch gesehen, da sie im für uns nicht hinnehmbar, dass Frauen erstrebenswerte Lebensgestaltung! Wir wollen die Verein- windung ökonomischer Abhängigkeit und sexueller Repressi- Gegensatz zu Gender Mainstreaming in Deutschland für gleichwertige Arbeit barkeit von Familie, Privatleben und Beruf in den Mittelpunkt on sowie die Abschaffung des § 218 (Abtreibungsverbot) ab. nicht als Antidiskriminierungsstrategie 23 Prozent weniger Lohn bekommen als einer neuen Arbeitskultur stellen und flexible Arbeitszeitmo- eingesetzt wird, sondern als profitori- ihre männlichen Kollegen. delle für Frauen und Männer anstreben. Während die erste Frauenbewegung (1848 bis 1933) als sozi- entiert gilt. Nur eine eigenständige Existenzsiche- ale Bewegung zu betrachten ist, die sich für die Rechte der rung schützt Frauen vor finanziellen Not- Frauenrechte sind Menschenrechte und nicht verhandelbar! Frau einsetzte, ist die neue Frauenbewegung (ab 1968) mit Fester Bestandteil des Genderkonzepts lagen, vor Abhängigkeit vom Partner und Sie gelten für alle: Für alle Geschlechter, für Alte und Junge, für dem theoretisch-wissenschaftlichen Hintergrund des Femi- ist die Kritik an der Heteronormativität, vor Altersarmut. Deswegen fordern wir Lesben und Schwule, unabhängig von Gesellschaftsschicht, nismus als politische Bewegung zu sehen. Das feministische der gesellschaftlichen Norm der Hete- neben gleichem Lohn auch einen indivi- Religionszugehörigkeit und kulturellem Hintergrund. Konzept beinhaltet die Auseinandersetzung mit Macht und rosexualität. Das Queerkonzept geht duellen Rechtsanspruch auf Sozialleis- Herrschaftsverhältnissen und zielt auf gesellschaftliche Ver- mit seinem zentralen Thema der Iden- tungen. Gewalt an Frauen entgegen treten – Opferschutz verbessern! änderungen ab, die Männer und Frauen gleichermaßen an tität über das Genderkonzept heraus. Die Finanzierung von Schutzräumen für Opfer von Gewalt wie der Gestaltung gesellschaftlicher Prozesse beteiligt. Als Erbe Der Begriff Queer enthält die Theorie, Wir brauchen ein Gleichstellungsgesetz Frauenhäusern muss verlässlich sichergestellt werden. der feministisch-wissenschaftlichen Analyse sind die Gender dass nicht nur die Kategorie Heterose- für die Privatwirtschaft mit Personalent- Zur Bekämpfung von Frauenhandel und Zwangsprostitution Studies anzusehen, die einen neuen wissenschaftlichen Zu- xualität, sondern auch die Kategorie wicklungsplänen und klaren Zielvorga- wollen wir einen umfassenden Schutz und ein dauerhaftes gang zur Kategorie Geschlecht eröffnen. Homosexualität als künstlich erzeugt ben für Einstellung, Qualifizierung und Bleiberecht für Zeuginnen und Opfer. gilt. Es geht darum die Normkategorie Beurteilung. Während Sex sich im angloamerikanischen Raum auf das bio- Heterosexualität als Spitze der Hier- Aufsichtsräte und Vorstandsposten müs- Selbstbestimmung über den eigenen Körper logische Geschlecht bezieht, unterstreicht Gender die sozio- archie abzuschaffen und Kategorien sen eine verbindliche Frauenquote von Zu einem selbstbestimmten Leben gehört auch die freie Ent- kulturellen Zuschreibungen, die mit Geschlecht verbunden wie lesbisch, schwul, transsexuell, in- mindestens 50 Prozent erfüllen! scheidung einer Frau für oder gegen eine Schwangerschaft. sind. Diese Zuschreibungen basieren auf historisch gewachse- tersexuell usw. als gleichwertig anzu- Eine Pflichtberatung lehnen wir ebenso wie die Kriminalisie- nen Erwartungen und Forderungen, die mit Frau- oder Mann- erkennen. Queer war ursprünglich ein Wir wollen dafür sorgen, dass die Instru- rung und strafrechtliche Verfolgung von Abbrüchen ab. Sein verbunden sind. Gender Studies (Geschlechterforschung) abwertender Begriff für Schwule und mente Gender Mainstreaming und Gen- als wissenschaftliche Analyse, erforscht Bedeutung von Ge- Lesben und bedeutet in etwa sonder- der Budgeting durchgängig und in allen Medizinische Forschung und gesundheitliche Versorgung schlecht in allen Bereichen der Gesellschaft in verschiedenen bar oder merkwürdig. Heute bezeich- Politikfeldern Anwendung finden. dürfen nicht länger an männlichen Normen ausgerichtet sein, historischen, kulturellen oder politischen Kontexten. Gender nen sich viele Menschen unterschiedli- sondern müssen sich stärker an den Bedürfnissen und Prob- Mainstreaming als „Integration der Geschlechter“ sowie als cher Identitäten wie z.B. Transsexuelle, Wichtig ist ein echtes Verbandsklage- lemlagen von Frauen orientieren. Die Möglichkeit der künstli- Strategie zur Erreichung von Chancengleichheit unter den deren persönliches Empfinden nicht recht im Antidiskriminierungsgesetz, chen Befruchtung muss auch Lebenspartnerinnen, unverhei- Geschlechtern verortet sich auf einer konkreten politischen ihrem angeborenen Geschlecht ent- damit Frauen ihr Recht nicht allein ein- rateten und alleinstehenden Frauen offen stehen. Ebene. Europaweit sind nach dem Gender-Mainstreaming- spricht, oder Intersexuelle, deren Ge- klagen müssen. Konzept politische Maßnahmen stets daraufhin zu prüfen, schlecht nicht eindeutig als männlich Unsere Perspektive ist die Abschaffung von Frauen und Män- wie sie sich auf die Lebenssituation von Frauen und Männern oder weiblich identifizierbar ist, voller Frauen in die Politik! Wir setzen uns für nern als soziostrukturelle Kategorie, unser bescheidenes Ziel auswirken. Teilstrategie dieses Konzept ist Gender Budgeting Selbstbewusstsein als queer. unterstützende und gesetzlich verbindli- der Untergang des Patriarchats. Mit diesem Begriff wird international die geschlechtsdifferen- che Maßnahmen zur Förderung der gleich- zierte Analyse der öffentlichenH aushalte bezeichnet. Gender Ursula Künning mäßigen Repräsentanz der Geschlechter Die Kompilator_in ist Sprecher_in der Budgeting zielt auf die Gleichstellung von Frauen und Män-

auf allen politischen Ebenen ein. LAG Frauen- und Geschlechterpolitik © visty - fotolia nern ab. Um Gleichstellung zu erreichen, müssen Benachtei- ligungen (Diskriminierungen) abgebaut werden, gleiche Teil- habe (Partizipation) erreicht sowie die freie, selbstbestimmte Lebensgestaltung beider Geschlechter durchgesetzt werden.

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gehören zu einem geschlechtersensiblen Bildungs- und Be- All dies zeigt: Grüne Politik muss – wenn sie endlich gleiche rufsberatungsangebot dazu. Rechte und gleiche Chancen zwischen den Geschlechtern durchsetzen will – Männerpolitik als eigenes Politikfeld be- Auch Männer haben Probleme bei der Vereinbarkeit von Be- greifen. Wir als Autoren des Männermanifestes haben uns da- ruf und Familie. Sie wollen Kinder, Karriere, Engagement und her vorgenommen, in den anstehenden Programmdebatten Freizeit miteinander vereinbaren, moderne Partnerschafts- in der Partei genau diesen Blick zu schärfen. Wie können Män- konzepte durchgängig leben und die Rolle des „neuen Va- ner im Beruf entschleunigen und einen Ausgleich zwischen ters” tatsächlich einnehmen. Sie wollen am Leben ihrer Kin- Beruf, Familie und ehrenamtlicher Arbeit schaffen? Welche der aktiv teilnehmen und nicht nur Zaungäste sein. Unterstützung brauchen Väter in der Zeitpolitik ihrer Arbeit- Die Einführung von zwei Partnermonaten im Elterngeld ist geber und durch die Ausgestaltung des Elterngelds, um eine sicherlich ein Erfolg. Aber sie können nur ein Einstieg sein. gleichberechtigte Rolle in der Familie wahrzunehmen? Wie Wir wollen auch hier Gleichberechtigung. Die Aufteilung der können wir mehr Männer für den Kampf um eine bessere Be- Elternzeit muss paritätisch ausfallen. Dies würde nicht nur zahlung von ErzieherInnen und PflegerInnen gewinnen und Männern mehr Verantwortung abverlangen, sondern auch damit auch mehr Männer für diese Berufe? die Unternehmen und Arbeitgeber zum Umdenken zwingen. Nehmen wir all dies zusammen, können wir neue Perspekti- Und wir wollen gesunde Männer! Noch immer sterben Män- ven für Männer im 21. Jahrhundert schaffen. Nicht mehr der ner im Schnitt sechs Jahre früher als Frauen. Schlaganfälle Geschlechterkampf, sondern der Geschlechterdialog bringt und Herz-Kreislauf-Erkrankungen als Zeichen chronischer uns weiter. Schließlich gibt es bei beiden Geschlechtern Prota- Überlastungen sind die häufigsten Todesursachen. Daher gonisten für Gleichberechtigung und solche, die die alten Rol- brauchen wir dringend auch einen großen Aufbruch für Män- len reaktivieren wollen. Nehmen wir die Herausforderung an! nergesundheit mit mehr Konzentration auf die Prävention von Männerkrankheiten. Der Erste Deutsche Männergesund- Der Verfasser ist heitsbericht 2010 hat akuten Handlungsbedarf festgestellt. Landesvorsitzender Bündnis 90/Die Grünen NRW Einige der Krise, in denen wir stecken (Klimawandel, Finanz- Vom Geschlechterkampf und Wirtschaftskrise, Hunger und Ungerechtigkeit), sind Fol- zum Geschlechterdialog gen einer maßgeblich „männlichen“ Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsweise. Aber wollen Männer heute wirklich so Von Sven Lehmann leben? Wir brauchen ein männliches Selbstverständnis, das auf echter Wertschöpfung, auf Gemeinwohlorientierung, in- 100 Jahre Internationaler Frauentag – was genau haben Män- dividueller Freiheit und Entschleunigung basiert. Durch neue ner damit zu tun? Nicht viel, denn die Befreiung der Frauen Zeitmodelle zum Beispiel in den Unternehmen und Arbeits- aus Ungleichbehandlung, Rollenzwängen und Abhängigkeit zeitreduzierung wollen wir es Männern möglich machen, die ist und bleibt ein Verdienst der Frauen. Doch ohne einen Blick Hälfte der Verantwortung in der Familie zu übernehmen. auf die Männer wird es auch in Zukunft keine gleichen Rech- te und Pflichten und keinen ausreichend sensiblen Blick auf Jungs und junge Männer fallen häufiger aus dem Bildungs- die Dimension Geschlecht in Privatleben, Wirtschaft und Ge- system als Mädchen: Sie brechen die Schule öfter ab, errei- sundheit geben. Weil das grüne Programm in Sachen Mann chen schlechtere Leistungen und Abschlüsse und sind häu- zumindest starken Nachholbedarf hatte, haben im letzten figer schulmüde. Neue Erziehungs- und Bildungsmodelle Jahr grüne Männer aus der gesamten Bundespartei das Grü- müssen darauf Antwort geben. Wir brauchen eine Erziehung, ne Männermanifest verfasst: eine Streitschrift für eine ande- die die Stärken von Jungen und Mädchen gleichermaßen re, neue Männlichkeit ( www.maennermanifest.de). wertschätzt und fördert. Was dazugehört, ist vor allem auch ein positives männliches Rollenbild. Immer wichtiger werden Wie ist die Lage? Eine Frau ist Bundeskanzlerin. Frauen ma- Vorbilder aus Sport, Medien, Politik und Kultur, die nicht den chen die besseren Bildungsabschlüsse, können Bischöfin Macker spielen, sondern zeigen, dass sich Männlichkeit nicht werden, mischen in Rap und Hip-Hop mit und leben gesund- über Härte definiert. heitsbewusster. Frauen haben in den vergangenen 40 Jahren hart an ihrer Emanzipation und ihrem Rollenverständnis ge- Auch werden gerade in den klassischen Frauenberufen arbeitet. Spätestens jetzt wird es auch für die Männer Zeit für mehr Männer gebraucht. Wir benötigen mehr Erzieher, mehr

eine neue männliche Selbstdefinition. Grundschullehrer und mehr Sozialpädagogen. „Boy’s Days“ - photocase © cydonna

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Für Berlin: Renate Künast im Gespräch

„Eine für Alle!“ ist Dein Slogan für die Wahl 2011. Sind die Grünen so gut gemeint sein, die Umsetzung ist Mist. Berliner Schu- in Berlin bereit, Regierungsverantwortung zu übernehmen? len haben zu wenig Spielraum und werden zu oft gegängelt. Ich möchte Eltern, Schülerinnen und Schüler und die Schulen Renate Künast: nicht allein lassen, sondern alle einbeziehen. Bildungsein- Ja, genau das drückt sich in „Eine Stadt für alle“ aus. Der grüne richtungen sollen mehr Freiheit bekommen, dafür aber auch Faden durch den Programmentwurf ist dieser Gedanke: Ber- bestimmte Bildungsziele erreichen. Wir brauchen das Enga- lin kann seine Probleme nur lösen, wenn alle mitmachen. Wir gement von allen – auch das der Schülerinnen und Schüler. brauchen alle und müssen es auch allen ermöglichen teilzu- Auch sie tragen Verantwortung. Dazu gehören ein vernünf- haben. Die sozialen und wirtschaftlichen Blockaden sind ge- tiger Umgangston auf dem Schulhof und im Klassenzimmer waltig und die enorme Schuldenlast schränkt den politischen und der regelmäßige Schulbesuch. Gestaltungsspielraum ein. Ich bin nach vielen Gesprächen mit Berlinerinnen und Berlinern aber überzeugt, da ist mehr Aber was kann die Politik tun? drin. In unserer Stadt liegen so viele Potentiale brach, wir wol- len diese Schätze heben. Dafür braucht es frischen Mut und Renate Künast: echtes Engagement auf allen Seiten: bei Politik, Stadtgesell- Ich sagte ja, Freiheit organisieren. Und gleichzeitig Rahmen schaft, Wirtschaft und jedem Einzelnen. Wir wollen einen Auf- abstecken. Die eigenverantwortliche Schule hat ein eigenes bruch organisieren, bei dem sich alle einbringen können. Schulbudget für Personal, Projekte und Fortbildung, Eingespar- tes bleibt. Schulen sollten bestehende Instrumente der Quali- Wie soll dieser Aufbruch aussehen? tätsprüfung und -sicherung für ihre Weiterentwicklung nutzen und transparent damit umgehen. Eltern und Schülerschaft Renate Künast: müssen stärker einbezogen werden. Das ist auch eine Forde- Wir machen mit unserem Programm ein Angebot an alle. rung. Viele Eltern sind sehr engagiert, es gibt aber auch Eltern, Ausgehend von den Grundwerten Freiheit und Gerechtigkeit die nie zum Elternabend kommen. Die Verwaltung muss vom – beides bleibt ohne das andere ein leeres Versprechen – wol- ersten Schultag an Räume, Personal sowie Lehr- und Lernmit- len wir eine neue politische Kultur in Berlin etablieren. Das teln sicherstellen und die Qualität von Schulen kontrollieren. bedeutet, dass wir Berlin zur Mitsprachestadt machen, zu Das scheint selbstverständlich – ist es aber nicht. einer Stadt, in der nicht übereinander regiert wird, sondern miteinander. Politik muss offen sein für das Wissen und die Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist Arbeit. Was ist Ideen der Bürgerinnen und Bürger. Es ist doch sehr unwahr- da von einer Regierenden Bürgermeisterin zu erwarten? scheinlich, dass Politiker alles und das auch noch besser wis- sen. Unser Angebot heißt gemeinsame Ideenentwicklung mit Renate Künast: der Bevölkerung, offene Dialogbereitschaft und transparen- Voller Einsatz. Ich habe mit engagierten Unternehmerinnen ter Umgang mit Informationen und Entscheidungen. und Unternehmern gesprochen, die expandieren wollen, denen aber keine passenden Flächen angeboten werden. Was wird konkret anders, wenn Du Regierende Bürgermeis- Unternehmer, die einstellen wollen, aber keine Mitarbeiter terin bist? finden. Die gehen dann woanders hin. Aber wir brauchen hier dringend Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft. Die un- Renate Künast: übersichtliche Organisationsstruktur im gesamten Bereich Nehmen wir den Schwerpunkt Bildung. Hier zeigt der Senat, der Wirtschaftsförderung muss besser organisiert werden,

wie man es nicht machen sollte. Die Schulreform kann noch von der Gründung, über die Ansiedlung bis hin zur Bestands- Münchhoff © O liver

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pflege der Unternehmen. Dazu gehört auch eine proaktive auf dem Papier darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Betreuung der Unternehmen. Und das Bekenntnis: Ja, wir an Berliner Schulen wochenlangen Stundenausfall gibt. Und wollen Wirtschaft! ich kann auch nicht erkennen, warum sich die Berlinerinnen und Berliner über steigende Mieten freuen sollen, wie der 100 000 neue Jobs – wo sollen die entstehen? Nicht-Regierende Bürgermeister es kürzlich vorgemacht hat.

Renate Künast: Was hat Grün hier zu bieten? Wir setzen auf zukunftsfeste Jobs! Wir wollen von der grünen industriellen Revolution profitieren. In den Bereichen Effizi- Renate Künast: enz, Ressourcen, Energie liegen große Chancen für Industrie Wir wollen eine Orientierung am Mietspiegel auch bei Neu- und Handwerk, eine Verdopplung der bisher 42 000 Jobs vermietungen, die Umnutzung von Wohnraum einschränken, in diesem Bereich ist machbar. Aber auch die Gesundheits- und den Anteil landeseigener Wohnungen auf 15 Prozent er- wirtschaft, die Kreativwirtschaft, Bildung und Betreuung, höhen. Uns geht es auch um die Frage, wer in Zukunft noch nachhaltiger Tourismus und der Bereich der neuen Mobilität seine Nebenkosten bezahlen kann. Das dicke Ende kommt bieten große Potenziale. noch! Während Rot-Rot das Klimaschutzgesetz versenkt hat, wollen wir das Stufenmodell von IHK, BUND und Mieterbund Worin unterscheidet sich grüne Politik von Rot-Rot? umsetzen. Energetische Sanierung senkt langfristig die Ne- benkosten, die Mehrkosten wollen wir gerecht verteilen und Renate Künast: für einkommensschwache Haushalte abfedern. Allein durch Uns geht es nicht um abstrakte Zahlen, sondern um die Le- die energetische Sanierung öffentlicher Gebäude können benswirklichkeit. Eine theoretische 100%-Lehrerausstattung jährlich 25 000 neue Jobs geschaffen werden.

Die Flugrouten des Flughafen Schönefelds bewegen viele Warum bist Du die bessere Bürgermeisterin? Betroffene, wo stehen die Grünen? Renate Künast: Renate Künast: Weil ich Lust darauf habe, in Berlin mehr zu bewegen. Ich Es ist ein Skandal, dass jahrelang verheimlicht wurde, was werde systematisch und engagiert an die Probleme gehen jetzt so viele betrifft. Ein Flughafen muss wirtschaftlich sein und die vielen Schätze heben, die noch vergraben sind. Mein und wir wollen interkontinentale Flüge. Aber das Recht der Werkzeugkasten ist gepackt. Mit Ideen und Mut, den es betroffenen Menschen in Berlin und Brandenburg auf Schutz braucht, soziale Blockaden zu lösen. Es gibt keine Wahlge- vor Fluglärm, Nachtruhe – kurzum Gesundheit und den Wer- schenke, sondern ein Angebot an alle. Eine Stadt für alle! terhalt ihres Eigentums – setzt Grenzen. Es ist Aufgabe der Politik, die wirtschaftlichen Interessen der Stadt, des neues Vielen Dank für Deine Zeit. Flughafens und die Rechte der Betroffenen zumA usgleich zu

liver Münchhoff © O liver bringen. Das Interview führte Ronald Wenke

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Aus der Werkstatt zum Programm

Im Frühjahr 2010 begannen die Vorbereitungen des um- Wissensschatz unserer Stadt mit einzubeziehen und an dieser Stelle einfach fangreichen Debatten- und Programmprozesses. Das Ziel: mal genau hinzuhören, das ist ein Konzept, das gelobt wurde und uns auch in Eins für Berlin. Ein Programm, das auf einem breiten inner- Zukunft als die Partei des Mitmachens in der Stadtgesellschaft verankern wird. parteilichen Konsens beruht, und die Zielvorstellungen und Gerade von neuen Mitgliedern gab es ein reges und positives Feedback: Die Konzepte der Berliner Bündnisgrünen vereint, mit denen wir Werkstätten mit ihren offenen, gut vorbereiteten Debatten „machen den Unter- uns gegenüber den anderen Parteien positionieren werden. schied zu anderen Parteien aus“. Unser Wahlprogramm zeigt aus Gegenwart und Vergangen- heit eine Vision für die Zukunft auf. Die BerlinWerkstätten wurden durch Kongresse und Konferenzen begleitet. Los ging es mit der Frauenkonferenz im Februar letzten Jahres. Der Mietenkongress Der Entwicklung der Programmatik und der Diskussion da- verfolgte offensiv dasZ iel, die „Szene“ einzubinden. Mittels eines Call for Papers rüber sollte möglichst breiten Raum gegeben werden. 2010 wurden Fachleute, Betroffene, Verbände und Vereine direkt angesprochen und haben wir genutzt, um allen Gliederungen und auch allen über den begleitenden Mietenblog in eine neue Plattform (mietenblog.de) einge- Mitgliedern direkt die Chance zu geben, sich in die Pro- bunden. Mit dem MigrantInnenkongress wurde dieser Ansatz fortgesetzt: Nicht grammdebatte einzubringen und auch mitzugestalten. Zu- über, sondern mit den Menschen reden. Der Bezirkekongress im Juni fokussier- dem galt es, den aktiven Kontakt zur Stadtgesellschaft zu te die Möglichkeiten politischer Beteiligung ebendort – das geht vom einzelnen nutzen, um Verbände, Vereine, Gewerkschaften und Orga- Grüne Werkstätten: das Programm wird entworfen Baum an jeder Ecke bis zur Gestaltung ganzer Quartiere. Durch die Klimakon- nisationen in unseren Diskurs mit einzubeziehen. Aus den ferenz und dem Wissenschaftskongress der Fraktion im Herbst wurden unsere Erfahrungen des Programmprozesses 2005/2006 hat der Kernkompetenzen weiter ausgebaut und unser Profil nochmals geschärft. Landesvorstand das Konzept der BerlinWerkstätten entwi- nehmerverbands. Die Werkstatt Jugend & Schule fand im ckelt. Die BerlinWerkstatt ist ein eintägiges, themenspezifi- Juli mit Christian Füller, Bildungsjournalist der taz, statt. Im Von der Debatte zum Programm sches Diskussionsformat mit ausführlicher Vorbereitung, das Oktober folgte die Werkstatt Umwelt & Mobilität, u. a. mit Dr. ergebnisorientiert nachbereitet wurde und gerade auch der Frank Wolter von Be-Mobility. Zum Thema Diversity konnten Insbesondere auf den Landesdelegiertenkonferenzen im Juni und November Stadtgesellschaft Möglichkeiten zum Einfluss auf unsere Pro- wir beispielsweise Turgut Hüner vom Türkischen Elternver- wurden die Konzepte, Ideen, Anregungen und Positionen aus den Werkstätten grammatik eröffnet. ein und Mengu Özhan vom Landesnetzwerk für Lehrkräfte bereits in Beschlüssen „verarbeitet“. Eine Schreibgruppe wurde berufen und mit Migrationshintergrund gewinnen. Im Dezember wurden mit der Aufgabe betraut, einen bündnisgrünen Programmentwurf zu erstellen. Mit Format - BerlinWerkstätten zeigen wie es geht Haushalt & Finanzen mit einem Eingangsreferat von Prof. Dr. In vielen langen Sitzungen und mit Schreibarbeit, Gedankenaustausch, Ideen, Beate Jochimsen besprochen und Heiner Funken vom Bür- Korrekturen und Feedback-Runden off- wie online entstand schrittweise ein Ent- Themenbezogen haben wir Bündnisgrüne seit Anfang des gerinitiativen-Netzwerk (BIN Berlin) hat Formen der partizi- wurf: Unser Programm „Eine Stadt für alle“. Das Programm fordert eine Neue Po- Jahres 2010 mit Fachleuten, Parteimitgliedern, Interessierten pativen Finanzpolitik vertieft. Für die Innen- und Netzpolitik litische Kultur für unsere Stadt: Transparenz, Öffnung und Beteiligung – wesent- und Betroffenen diskutiert, gesprochen, analysiert und eva- hatten sich u. a. Rebecca Friedmann, Denkzeit e. V., Ober- liche Stichworte unseres, des grünen Regierungsstils. Ein solidarisches Berlin luiert. Im Vorfeld jeder Werkstatt wurden Positionspapiere staatsanwalt Ingo Kühn, Anke Domscheit-Berg vom Gov 2.0 wird vorangestellt. Die Fragen nach sozialer Stadtentwicklung, nach öffentlicher in Zusammenarbeit mit den Fachleuten aus den Bezirken, Netzwerk Deutschland e. V. oder Daniel Dietrich, vom Open- Daseinsvorsorge, aber auch nach generationengerechten Finanzen sind wesent- der Landesarbeitsgemeinschaften sowie der Fraktion des data Network e. V., zur Debatte eingefunden. licher Bestandteil unseres Verständnisses einer Stadt für alle. In insgesamt zehn Abgeordnetenhauses erarbeitet. Mittels einer sogenann- Kapiteln wird unser Berlin beschrieben. Was wir konkret anders machen wollen ten Steuerungsgruppe wurden die Werkstätten vorbereitet. Unser Programm: Mit der Stadt regieren und mit welcher Grundhaltung wir den Problemen begegnen. An den verschie- Für einen optimalen Output der Werkstätten gab es sowohl denen Orten in unserer Partei, an der Basis, steht der Entwurf zur Diskussion. ausführliche Themengruppen als auch kleinere Workshops. Die BerlinWerkstätten fanden regen Zuspruch. Bis zu 100 Nach der Landesdelegiertenkonferenz ist es da: Das Programm für gute Arbeit, Festgehalten wurde alles von ProtokollantInnen, damit auch Mitgliedern debattierten an den einzelnen Tagen. Die Werk- bessere Bildung und einen starken Klima- und Umweltschutz in Berlin wirklich nichts für unsere weitere Arbeit am Programm ver- statt als konzentrierter Ort der Debatte und Vertiefung ist loren ging. Im Frühjahr ging es los: Mit der Werkstatt Sozia- ein Format geworden, das unser Bild repräsentiert: Offen für Stefan Gelbhaar, les, u. a. mit Prof. Dr. Gerhard Meinlschmidt der Berlin School die Stadtgesellschaft, offen für den Diskurs – ein Format, das Landesvorsitzender of Public Health oder auch Oswald Menninger des Paritäti- fortgeführt werden sollte. Das Konzept, unsere Mitglieder schen Wohlfahrtsverbands. Die Werkstatt Wirtschaft folgte und Fachleute aus den Landesarbeitsgemeinschaften, den PS: Eine Zusammenfassung der Werkstätten, Kongresse und

mit Lucyna Królikowska, Vorsitzende des polnischen Unter- Bezirken und dem Abgeordnetenhaus und gerade auch den Dittrich © Frank Konferenzen findet ihr unter www.gruene-berlin.de/berlinwerkstatt

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Schwarz-Grün in Steglitz-Zehlendorf: Nicht immer leicht, aber produktiv von Carsten Berger

Februar 2011. Es ist bezeichnend, welches Bild sich ergibt, als grüne Stadträtin. Auf Landesebene lässt Klaus Wowereit die der stark gewachsene grüne Kreisverband Steglitz-Zehlendorf geheimen Wasserverträge in einer Flucht nach vorn zunächst sich zu einer insgesamt sehr sachlichen Nominierungs-Jah- scheinbar offen legen und muss dennoch am Morgen nach resmitgliederversammlung im Haus der Naturfreundejugend dem Volksentscheid Vertragsmaterial nachliefern. Wann er trifft. Die Redebeiträge der Kandidaten für Direktmandate im als Aufsichtsratsmitglied des Flughafens BBI bereits wusste, Abgeordnetenhaus sind bewusst knapp getaktet, sachlich. In dass die Flugrouten wie von der Deutschen Flugsicherung den Wahlgängen setzen sich die inhaltlich stärkeren Kandi- lange intern geplant einen anderen Verlauf nehmen würden, daten durch, die auch Erfahrung vorweisen können: Benedikt ist bisher noch nicht sicher zu sagen. Redlichkeit jedenfalls Lux, in der laufenden Legislaturperiode bereits rechtspoliti- sieht anders aus. Zu lange nährte auf Landes-, wie aber wohl scher Sprecher der Abgeordnetenhausfraktion. Die langjäh- auch auf unserer Bezirksebene im Berliner Südwesten, die rige Leiterin des Kulturamts des Bezirks, Sabine Weißler. Die sicher geglaubte Macht der SPD eine Mischung aus Filz und Vorsitzende des Umweltausschusses des Abgeordnetenhau- Unaufmerksamkeit im Amt. Es bleibt nur zu hoffen, dass die ses, Felicitas Kubala. Darüber hinaus Mitglieder aus Vorstand Wahlen im September jene grünen Mandatszahlen bringen, und Fraktion des Bezirks. Insgesamt verläuft die Veranstal- die die Umfragen unter Bürgern zurzeit versprechen. tung friedlich, große Flügelkämpfe lassen sich nicht registrie- ren. Es ist weniger die Revolution als vielmehr Detailarbeit, Reges Bürgerinteresse im Bezirk die erwartet wird. Überhaupt: die Bürgerbeteiligung! Steglitz-Zehlendorf hat CDU und Grüne - Szenen einer Ehe eine rege Beteiligungskultur, die sich in Form der hohen Wahlbeteiligung, Teilnahme an Volksbegehren aber auch an Bürgerinitiative sich gegen die Pläne eines Investors einsetzt, Grünes Wachstum Gleiches gilt für die seit 2006 bestehende Zählgemeinschaft Bürgerinitiativen zeigt. Die Menschen hier sind im Schnitt einen Golfplatz auf einer großen Naturbrache zu errichten von CDU und Grünen: Inhalte zählen, Differenzen werden überdurchschnittlich gebildet, haben eine höhere Kaufkraft und dabei natürlich grüne Unterstützung erfahren wird. Und es sieht gut aus, wenn man das Kreisverbandsleben als kontrovers, aber zumeist fair und produktiv diskutiert. Man - und wissen deutlich, was sie wollen. Dies musste die BVV- Indikator nimmt: Anfang 2010 zieht das grüne Kreisverbands- ist sich einig über den Schwerpunkt Jugend/Schule unter Fraktion unlängst feststellen, als sie sich zurückhaltend und Strategie und Ziele büro aus den dunklen Kellerräumen in der Holsteinischen der grünen Stadträtin Anke Otto und fördert diesen auch differenziert zu einem Supermarkt-Bau-Projekt nahe dem Straße in helle, freundliche, ebenerdige Räume mit großem entsprechend finanziell, diskutiert aber intensiv die unter- S-Bahnhof Lichterfelde West äußerte: mehr Verkehr durch Die Bürger sind also gut vernetzt, gut informiert und durchaus Schaufenster in der Schildhornstraße. Abgelöst wird Klaus- schiedlichen Vorstellungen der Schulformen. Kind dieser Ehe Einkaufende und Lieferanten einerseits, eine sicherere Ver- in der Lage, ihre Meinung kompetent zu artikulieren. Im Prin- Uwe Benneter (SPD), der vorher das Büro seines Bundestags- wird mit der Montessori-Schule bis zum Abitur eine grüne kehrsführung durch Baumaßnahmen mit finanziellen Mitteln zip einen idealer Boden für grüne Politik, sind doch Zugang wahlkampfs hier betrieb und unterlag. Herzensangelegenheit sein, welches ohne die Zählgemein- des Investors andererseits. Die Bürgermeinung jedoch war und Transparenz zentrale Werte. Um dies wirklich für alle zu schaft sicher nicht entstanden wäre. Kritisch gesehen wird in klar und einfach: „Kein Supermarkt!“ Sie wird inhaltlich auch erreichen, ist in Steglitz-Zehlendorf noch einiges zu tun. Auch Auch das Ende 2010 gestartete Mentoring-Programm für In- den Reihen der Grünen vielfach jedoch die Haltung der CDU von der Fraktion geteilt. hier gibt es Lebenswelten wie das salopp nach seinen Stra- teressenten um einen BVV-Listenplatz bei der Wahl im Sep- zu Straßenumbenennungen. Das weitere Vorhandensein der ßennamen „Thermometersiedlung“ genannte Wohnquartier tember 2011 traf auf reges Interesse und Teilnahme, ja sogar Treitschkestraße ist hier ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel ist die im Bezirk ansässige Initiative ge- nahe der Grenze zu Tempelhof-Schöneberg. Hier leben über- ein Journalist der FAZ berichtete erstaunlich positiv in seinem gen Flugrouten des neuen Flughafens Berlin-Brandenburg durchschnittlich viele Kinder in Familien, die Hartz IV bezie- Blatt darüber. Weiteres Forum von niedrigschwelliger Einbin- SPD - problematisch im Bezirk wie auf Landesebene International über Berliner Stadtgebiet: Sehr professionell hen, hier müssen Gerechtigkeit und Beteiligung noch härter dung sind die sieben Arbeitsgemeinschaften zu Wirtschaft, wird hier Öffentlichkeitsarbeit gemacht und sich mit Initiati- erkämpft werden. Sozialem, Verkehr, Umwelt, Kultur, Partizipation und Schule, Der theoretisch näherliegende Koalitionspartner SPD hinge- ven aus anderen Bezirken vernetzt, werden eigene Gutach- die auch in den Programmerstellungsprozess des Wahlpro- gen erscheint auf Bezirks- wie auch auf Landesebene zurzeit ten eingeholt und ganz selbstverständlich Medien wie Fa- Großes Bestreben muss es also insgesamt sein, zumindest gramms eingebunden waren. Und nicht zuletzt die Grüne Ju- nicht gut aufgestellt: In Steglitz-Zehlendorf steht der Leiter cebook genutzt, um zu mobilisieren. Aber auch gegen eine zweitstärkste Kraft im Bezirk zu werden, damit grüne Ziele gend, die sich jeden Freitag im Büro in der Schildhornstraße des sozialdemokratisch geführten Ordnungsamts unter drin- Vereinnahmung des Protests durch die CDU wird sich zur aus eigener starker Kraft ungetrübt umgesetzt werden kön- trifft und sich über einen regenN eumitgliederansturm freuen gendem Verdacht, etwa 300.000 Euro hinterzogen zu haben. Wehr gesetzt. nen und reger Beteiligungskultur ein guter Boden gegeben konnte. elicko Eine entsprechende Kontrolle scheint kaum stattgefunden werden kann. zu haben. Die BVV-Fraktion der SPD zeigt nur selten frische Nächster Schauplatz wird mit Sicherheit das ehemals als „Park

Ideen, sondern begnügt sich häufig eher mit Angriffen auf die Range“ bezeichnete Gelände in Lichterfelde Süd sein, wo eine S © S teffen Wer diesen Wachstumsprozess unterstützen, begleiten oder auch mitgestalten möchte, wende sich an den Kreisgeschäftsführer, Ronald Wenke, unter (030) 85 07 41 53 oder [email protected]

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Aufgelistet – Über die Aufstellung Grüner Landeslisten und warum dabei jedes Mitglied wichtig ist

Ein Wahlkampf zieht sich über viele Monate hin. Solange man Berichte darüber erwecken manchmal den Eindruck, dass un- nicht gerade in einem der Wahlkampfteams tätig ist, merkt sere Listenaufstellung eine geradezu hochwissenschaftliche man lange Zeit manchmal noch gar nicht, dass er bereits in Angelegenheit wäre, bei der linke Flügel, Realos, Migranten, vollem Gange ist. Nämlich dann, wenn noch keine Plakate in Queer, Neulinge und Altgediente sich nach einem mysteriö- den Straßen hängen und die mobilen Wahlkampfstände noch sen und komplizierten Schlüssel auf die Liste verteilen und von einer feinen Staubschicht bedeckt im Keller der Kreisge- eigentlich nur wenig Spielraum bei der Aufstellung bleibt. schäftsstellen stehen. Auch wenn es immer wieder zu Überraschungen kommt und die berühmt-berüchtigte Realo-vs.-Links-Debatte tatsächlich Doch es gibt zwei Ereignisse, die wohl neben dem Wahlabend manchmal wieder hochkocht, ist vieles davon eher im Reich selbst als die spannendsten Momente des Wahlkampfs gelten der Legende zu verorten. dürften und nach denen allen klar ist, dass der Wahlkampf nun richtig eingeläutet ist: Die Verabschiedung des Wahlpro- Ein Faktor allerdings ist keinesfalls Legende, sondern ele- gramms und die Aufstellung der Listen. mentarer Bestandteil unseres bündnisgrünen Selbstver- ständnisses: Die Frauenquote. So gehen auch auf der Liste für Das erste haben wir gerade erst erlebt: Die Verabschiedung das Abgeordnetenhaus der erste Platz sowie alle folgenden des Wahlprogramms auf der Landesdelegiertenkonferenz ungeraden Plätze grundsätzlich an Frauen. (LDK). Das zweite steht in Kürze an, genauer am 8. und 9. Ap- ril im Berliner Tempodrom. Erstellt wird die Liste für die Ab- Auch wenn bereits Wochen vorher schon die Spannung geordnetenhauswahl im Rahmen einer sogenannten Landes- steigt, wer denn nun eigentlich kandidiert, und erste Gerüch- mitgliederversammlung, in Kurzform LMV genannt. te die Runde machen, so kann man seine Bewerbung theo- retisch noch auf der LMV selbst einreichen. Wenn man aller- Hier darf jedes Berliner Grünen-Mitglied teilnehmen und dings möchte, dass die eigene Bewerbung den Mitgliedern auch selbst mit darüber abstimmen, wer es auf die begehr- schriftlich vorliegt, sollte man sich etwas früher für die Kandi- ten Listenplätze schafft. Denn im Gegensatz zur LDK, auf der datur entscheiden und die Bewerbung beim Landesvorstand nur die gewählten Delegierten stimmberechtigt sind, muss spätestens drei Wochen vor der LMV schriftlich einreichen. man sich für die LMV nicht vorher von seinem Kreisverband Ansonsten bleiben einem nur die gesetzte Redezeit sowie aufstellen lassen. die Beantwortung von gestellten Fragen, um sich selbst als geeigneten Kandidaten zu präsentieren. Dass diese Fragen Laut Satzung ist eine LMV auch dann überhaupt erst be- natürlich von allen anwesenden Mitgliedern eingereicht wer- schlussfähig, wenn mindestens 15 Prozent der Mitglieder den dürfen, versteht sich dabei wohl fast von selbst. anwesend sind. Bei mittlerweile knapp 5 000 Berliner Mit- gliedern ist das schon eine ordentliche Anzahl, die erreicht Nicole Holtz, werden muss. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sich Mitglied der Redaktion möglichst viele Mitglieder für die LMV Zeit nehmen. © fotowahn - fotolia © fotowahn

26 27 parteileben Sachsen-Anhalt BAden-WürtTemberg

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20 20 Es ist leicht zu erklären, warum sich die Bürger von der Los geht's Tigerentenkoalition abwenden und warum die SPD nicht vom 15 15 13,9 Verdruss an der jetzigen Regierung profitiert. Schwieriger ist 11,7 es jedoch, aus den aktuellen Problemen der anderen Parteien 10 In diesem Jahr stehen in sechs Ländern Landtagswahlen an, den aktuellen Höhenflug der Grünen zu begründen. Vielleicht 8 10 in Hessen und Niedersachsen noch zusätzlich Kommunal- hat ja Lothar Probst recht, wenn er in der Kommune 6/2010 5,1 wahlen. Den Auftakt machte Hamburg am 20 Februar, im schreibt: „Die ökologische Modernisierung ist die Vorausset- 5 3,6 5 März folgen Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rhein- zung und der Schlüssel für ökonomische Innovation und die land-Pfalz. Bremen wählt im Mai und das Schlusslicht bildet zukünftige Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft 0 0 Berlin am 27. September. Überall werden den Grünen gute bis auf den globalen Märkten. Insofern treffen dieG rünen mit der Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- glänzende Wahlergebnisse vorhergesagt. Angesichts dieser Trias aus ökologischer Modernisierung, ökonomischer Ver- Ergebnisse Ergebnisse Prognose Ergebnisse Ergebnisse Prognose in % in % in % in % in % in % Prognosen sind lokale Ursachen für den Aufwind der Grünen nunft und kultureller Liberalität gegenwärtig genau den Nerv W 04.02.11 G nfratest dimap 20.01.11 I nfratest auszuschließen und es ist nicht überraschend, dass über die der modernen Mitte. Es kann ihnen also letzten Endes egal F Grünen als „neue Volkspartei“ (Spiegel, Nr.46/2010) diskutiert sein, ob andere diese Verknüpfung unter dem Topos »Wohl- wird. fühlthemen« abhandeln. Solange sie die Ambivalenz einer Rheinland-Pfalz BREMEN Gesellschaft, die ihr ökologisches Gewissen beruhigen will, Die Gründe für den Höhenflug der Grünen sind vielfältig: ohne ihre ökonomische Potenz und auf individuelle Selbst- 25 25 verwirklichung orientierte Lebensweise aufzugeben, glaub- 19 Da ist zum einen die Verlängerung der Laufzeit für Atomkraft- würdig repräsentieren, wird dieser Vorwurf auch in Zukunft 20 20 werke, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht gewollt an ihnen abprallen und ihren Höhenflug kaum bremsen.“ 16,5 15,4 wird. Flankiert von den Vorfällen in Asse und dem Festhalten 15 15 an Gorleben führt die Atompolitik der Regierung zu einer Hoffen wir’s, auch wenn in Hamburg nicht alle Blütenträume 13 Renaissance des Widerstandes. Bei den Anti-Atomkraft-De- gereift sind. 9,6 monstrationen sieht man mittlerweile drei Generationen auf Christine Dörner, 10 10 der Straße. Mitglied der Redaktion 4,6 5 5 Das umstrittene Bahnprojekt “ 21“ ist ein Symbol für Gigantonomie und Verschwendung geworden. Die Bürger sehen nicht mehr ein, dass sich Politiker ein Denkmal setzen, HAmburg 0 0 Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- ohne die Kosten sowie die Vor- und Nachteile transparent zu Ergebnisse Ergebnisse Prognose Ergebnisse Ergebnisse Prognose machen. Gleichzeitig glaubt man, die knappen Ressourcen 25 in % in % in % in % in % in % könnten an anderer Stelle besser eingesetzt werden. Hinzu Konkret 22.12.10 Konkret E mnid 06.02.11 kommt das Gefühl, nicht gefragt und beteiligt worden zu sein. 20 Und der Protest kommt nicht von Randgruppen, sondern ist 16,6 in der Mitte der Gesellschaft verankert. MeckleNburg-Vorpommern Berlin 15 25 25 11 25 Ein nicht zu unterschätzendes Motiv für die Verdrossenheit 9,6 in der Bevölkerung ist die grottenschlechte Performance 10 20 der schwarz-gelben Regierung. Angefangen mit den Steu- 20 17,3 ergeschenken für die Hoteliers, über die Beschimpfung der 5 Armen in der Gesellschaft („spätrömische Dekadenz“) bis 15 15 13,1 hin zur ungeliebten Gesundheitsreform – die Bürger haben 0 nicht den Eindruck, gut regiert zu werden. Auch erfreuliche Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- 10 10 Konjunkturdaten sind keine Hilfe, sie werden einfach nicht als Ergebnisse Ergebnisse Ergebnis 8 in % in % in % Leistung von Regierungshandeln interpretiert. Schwarz-Gelb 5,5 verliert mehr und mehr die eigene Klientel. 5 3,4 5 10.01.11

Weitere Gründe sind die internen Konflikte in der Regierungs- 20. Februar - Hamburg - 4 Jahre (Legislaturperiode) 0 0 koalition, der Niedergang der FDP und die Schwäche der SPD, 20. MÄrz - Sachsen-Anhalt - 5 Jahre Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- Grüne LW- Grüne BW- Grüne LW- die immer noch keine klare Linie gefunden hat. 27. MÄrz - Baden-Württemberg - 5 Jahre Ergebnisse Ergebnisse Prognose Ergebnisse Ergebnisse Prognose 27. MÄrz - Rheinland-Pfalz - 5 Jahre in % in % in % in % in % in % 22. Mai - Bremen - 4 Jahre nfratest dimap I nfratest 04. SepTember - Mecklenburg-Vorpommern - 5 Jahre 20.01.11 Forsa 28 18. SepTember - Berlin - 5 Jahre 29 parteileben

Jeden Tag ein Euro Über die Entstehung eines Fundraising-Instruments von Barbara Fischer 2011 ist Wahljahr in Berlin. Zum ersten Mal gehen Bündnis 90/ Jahre mehr Rücklagen dafür bilden konnte. Zum Vergleich: „Jeden Tag ein Euro“ Die Grünen mit einer eigenen Kandidatin an den Start. Die Die SPD hatte 2006 1,4 Mio. Euro für den Wahlkampf und Abends um acht in der U-Bahn. Ein Handy klingelt. „Einen Mo- Erwartungen sind hoch. Die Rechnung dahinter ist einfach: Bündnis 90/Die Grünen knapp 600.000 Euro. Da müssen „Jeden Tag ein Euro“ ist die grüne Antwort auf Obamas „grass- ment bitte. Ich war gerade in einem Tunnel und konnte Sie Wer viele Stimmen haben will, muss viele Wähler motivieren, die Grünen sich ganz schön strecken. Das ist die Stunde der root funding“ für Berlin. Wenn jedes grüne Parteimitglied bis nur schlecht verstehen. Ja schön, dass Sie zurückrufen. Wir ihr seine Stimme zu geben. Viel Motivationsarbeit bedeutet Fundraiser. Erste Laufschritte im Fundraising haben sie im zur Wahl bereitwillig jeden Tag einen Euro für den Wahlkampf möchten einen Spendenflyer für unsre Mitglieder drucken viel Wahlkampf, und der kostet natürlich viel Geld. Da die Par- Bundestagswahlkampf 2009 machen können. Unternehmen spendet, entspräche das einem Turm von 2 300 Metern oder lassen...“ Schöne neue Welt alternativer Lebensformen. Stets teifinanzen unmittelbar von den Wählerstimmen und Mitglie- und Privatpersonen haben zusammen 50 000 Euro gespen- in Geld ausgedrückt: wir könnten1 Mio. Euro investieren. online per E-Mail, Internet und Handy am Ball bleiben, um derzahlen abhängen und die Grünen eine kleine Partei sind, det. Jetzt geht es um viel mehr. Deshalb gilt es diesmal alle Das motiviert. Doch bevor das Geld in der Wahlkampfkasse trotz kleiner Etats immer wieder neue innovative Kampag- müssen sie proportional mehr Geld ihres Haushalts in den Mitglieder möglichst umfassend zu motivieren. Das ist die landet, kommt erst die Arbeit. Im Sommer 2010 gab es erste nen entwickeln. Das ist auch grüne Realität in Berlin. Wahlkampf investieren als eine größere Partei, die über die Herausforderung. Ideen zur Strategie der Mittelbeschaffung. Die Spendenak- quise bei den Unternehmen wurde personell ausgebaut.

Ihr Parteimitglieder seid die treuesten Spender!

Ganz klar, dass jeder von uns seinen Teil zum Erfolg des Wahl- kampf beitragen möchte. Das war die Prämisse der Berliner Fundraiser. Aus den ersten Ideen und Skizzen entstand ein Auftrag für eine auf Fundraising spezialisierte Agentur. Zur Visualisierung des Wir-Gedankens ging im Januar die Bitte an alle Mitglieder und Facebook Freunde uns ein Porträtfoto zu schicken. Die Fotos finden sich jetzt in dem Flyer und auf der Website, und es werden täglich mehr. Es folgten erste Entwürfe, Abstimmungs- runden und parallel Auftrags- verhandlungen mit der Druckerei und dem Letter- shop. Letzterer musste 5 000 individualisierte Flyer der Kampagne „Jeden Tag ein Euro“ in die Briefumschläge stecken, frankieren und in die Post geben. Es ist uns geglückt: Für nur 2 Euro Produktions- und Versandkosten liegt die Idee jetzt auf deinem Tisch. Jetzt liegt es an Dir, ob Du Deinen Teil dazu geben magst. Die Autorin ist Fundraiserin unseres Landesverbandes

30 31 von uns – über uns

KV NEUKÖLLN

Zum 3. Mal: Anschlag auf die Geschäftsstelle

Kaum hängt das Plakat "Dresden nazifrei" im Fenster mit der Ankündi- LV BERLIN gung eiens Vorbereitungstreffens, scheint es mal wieder so weit zu sein: Während einer Vorstandsitzung flog ein Stein in die SCheibe, der Täter konnte unerkannt entkommen. Nicht der erste Vorfall dieser Art in der Danke Irma! Berthelsdorfer Strasse 9: Wiederholt wurden schon die Schlösser verklebt und die Scheibe des Ladenlokales eingeworfen mit jeweils erheblichen Irma Franke-Dressler war von März 2007 bis März 2011 unsere Sachschaden. Die Grünen Neukölln lassen sich dadruch natürlich nicht Landesvorsitzende. einschüchtern: Keine Macht den Nazis! ist die einzig richtige Antwort des Bildung, Klima und Umwelt, das waren die Schwerpunkte in Arbeit KV Neukölln auf diesen Mob, dessen Argumente aus Steinen bestehen. und Irma wird uns für diese Themen sicher erhalten bleiben. Ihrer politi- om schen Erfahrung hat der Landesverband viel zu verdanken: Die Koordi- nation der Wahlkämpfe 2009, der maßgebliche Anteil an der Wiederbe- lebung der LAG Umwelt und nicht zuletzt ihr Einsatz bei den nicht immer einfachen Fragen der Schulstrukturreformen und der Inklusion haben uns Impulse geliefert, von denen wir auch zukünftig profitieren werden. In ihrer Zeit verzeichnete die Partei einen stetigen Mitgliedergewinn in KV MITTE Ost und West. Irma übergibt einen sehr gut aufgestellten Landesverband, LAG NETZPOLITIK Mitte Gegen Rechts der mit den besten Voraussetzungen in das Wahljahr 2011 ziehen kann. Danke Irma für Deine Arbeit." om LAG Netzpolitik Berlin Rassismus ist in der Mitte unserer "Irma Franke Dressler - Gesellschaft angekommen. Daher lud Wer kennt sie nicht? Die Stichwörter, die bei Netzpolitikern in den eine erfahrene Politikerin" das Bündnis „Berlin-Mitte gegen letzten Monaten in aller Munde waren: JMStV und Alterskennzeich- Rechtsextremismus“ in die Beuth- nung für Blogs, Warnhinweise und Pirate Bay, Onlinepartizipation und Hochschule, um Gegenstrategien zu eGovernment. diskutieren. Zu Gast waren Bürger- meister Christian Hanke (SPD), Sevim LV BERLIN Aus aktuellem Anlass und aus dem dringenden Wunsch nach Fortent- Dağdelen (MdB, Linke) und Rechts- wicklung der Netzpolitik haben Michael Betz und Christine Sobolews- extremismusexperte Daniel Gollasch Mauerradtour startet wieder ki als SprecherInnen die AG Netzpolitik in Gang gebracht. Sie widmet (Grüne). sich in den kommenden Monaten den Fragen rund um die Themen Michael Cramer entdeckt natürlich auch in diesem Jahr den Mauerradweg Open Data/OpenGovernment, Open Source, Green IT und wird ge- Nötig sind neue Formen der Partizipa- wie immer immer wieder neu. In mehreren Etappen über den Sommer meinsam mit den LAGen Kultur und Medien auch heiße Eisen wie die tion, die Förderung lokaler Initiativen, verteilt geht es einmal rund um das ehemalige West-Berlin. Immer mit ei- Kulturflatrate anfassen. Fortbildungsangebote für Lehrer und nem Zwischenstopp auf jeder Etappe gibt´s viel Wissenwertes zu hören Sozialarbeiter und keine Schnellschüs- und zu sehen: Von der großen Politik bis zum einzelnen Schicksal - von Ko- Die SprecherInnen bringen aus ihrem beruflichen Hintergrund ver- se wie vorschnelle Verbotsdebatten. lonnenwegen, verbliebenen Wachtürmen mit einem schönen Abschluss schiedene Perspektiven für die Netzpolitik mit. Michael Betz ist im Weitere Runden wie diese, um die im Spetember am Parlament der Bäume. Onlinemarketing aktiv und Christine Sobolewski betreut die Enquete- Vernetzung der Parteien, Initiativen Kommission Internet für die grüne Bundestagsfraktion. und Vereine im Bezirk weiter voranzu- Ach so: Die Pankower Radtram fährt natürlich immer, aber der Mauerweg treiben, sind in Planung. wäre doch zu beanspruchend. Michael, hier mit Renate, wird sicher seinen Die Mitglieder treffen sich einmal monatlich in der Bundesgeschäfts- Daniel Gollasch blauen Drahtesel nutzen, dem man ansieht, dass es schon den gesamten stelle. Interessierte können über [email protected] den ICT gesehen hat. Was das ist? Michael fragen, am Besten beim Start am Newsletter bestellen und sind herzlich eingeladen, an der AG Netz- liver Münchhoff Daniel G ollasch (1)(2), © O liver Potsdamer Platz. om politik mitzuwirken. Eine Anmeldung für die Teilnahme an den AG- Termine siehe Seite 9 Sitzungen ist nicht erforderlich.

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Der Staat hat sozial zu sein, Teil II - ein Interview mit Fritz Kuhn

Der Staat hat sozial zu sein - wie es das Sozialstaatsprinzip Fritz Kuhn: im Artikel 20 des Grundgesetzes verlangt. Das Bundesver- Wir hatten und haben sowohl bei dem ursprünglich vorge- fassungsgericht hat im Februar 2010 die Berechnungs- stellten Gesetzesentwurf als auch bei dem Kompromiss, wie grundlagen der Regelleistungen gemäß dem SGB II - das so er zwischen der CDU/CSU, FDP und SPD jetzt vereinbart wur- genannte Hartz IV Gesetz - für verfassungswidrig erklärt de, empfindliche verfassungsrechtliche Bedenken. und der Politik aufgegeben, bis zum 1. Januar 2011 verfas- Zum einen wurde die Vergleichsgruppe, an der der Regelsatz sungskonforme Bedingungen herzustellen. Das ist nicht bemessen wird, kleingerechnet. Es sind nicht wie bisher 20% gelungen. der einkommensarmen Haushalte sondern nur die unteren 15% einbezogen worden. Außerdem wurden Zirkelschlüs- Wie bereits im ersten Teil von “Der Staat hat sozial zu sein” se nicht vermieden. Es kann nicht sein, dass der Regelsatz in unserer letzten Ausgabe erläutert, führte das Gericht aus, auch an denjenigen bemessen wird, die ihrerseits unter dass ein menschenwürdiges Existenzminimum dem Hilfe- dem Existenzminimum leben. Dies war aber das Wesen des bedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu- Entwurfes, indem er zum Beispiel die in verdeckter Armut sichern muss, die für seine physische Existenz und für ein Lebenden in den Berechnungsmaßstab einbezog. Mit erheb- Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen lichen Folgen: Der Regelsatz für ein menschenwürdiges Exis- und politischen Leben unerlässlich sind. Dabei versteht das tenzminimum wird so wie eine Spirale nach unten gezogen. Bundesverfassungsgericht die Teilhabe als einen Gewährleis- Zum zweiten untergrub der Gesetzesentwurf die Nachvoll- tungsanspruch, dessen Konkretisierung dem Gesetzgeber ziehbarkeit der Berechnung im Statistikmodell: Es wurden obliegt. einfach Einzelposten, ich denke an Mobilität oder auch an Tabak, herausgenommen. Der ausgleichende Charakter der Der Gesetzesentwurf, den die schwarz-gelbe Regierung hier- einzelnen Positionen des Statistikmodells wird durch Kombi- zu vorlegte, setzte sich nicht durch: Zwar passierte er mit der nation mit der Warenkorbmethode ausgehebelt - zu Lasten Regierungsmehrheit den , wurde aber im Dezem- der Betroffenen. ber 2010 im Bundesrat gestoppt. Ein erstes Vermittlungsver- Wir haben in den Verhandlungen wegen dieser Verengung fahren endete ebenfalls ohne Konsens und fand keine Mehr- der Vergleichsgruppen und der Mischung der Modelle nach- heit im Bundesrat. drücklich eine Korrektur eingefordert. Da die Regierung hier Ende Februar fand sich nun in einem zweiten Vermittlungs- an keiner Stelle kompromissbereit war, mussten wir das Ge- Kämpferisch gegen Schwarz-Gelb: Renate Künast und Fritz Kuhn auf einer Anti-Atom Demo verfahren ein Kompromiss, dem Bündnis 90 / Die Grünen al- setz ablehnen. lerdings nicht zugestimmt haben. Bisher wurden die Regelsätze für Kinder und Heranwachsen- de Zahl herauskam. Sonst wäre man wohl auch nicht auf die zwar Bildung verstanden als Integration durch Bildung. Es Fritz Kuhn, der im Vermittlungsverfahren für uns die Ver- de prozentual von den Regelsätzen für Erwachsene abgelei- Idee gekommen, bei der Vergleichsgruppe einfach von 20 hat nicht vorgegeben, wie dies geschehen soll. Regelsatzer- handlungen führte, gibt uns Auskunft, warum die Grünen tet. Man hat gehofft, dass mit der notwendigen Neuberech- auf 15% herunterzugehen, was eine Senkung der Regelsätze höhungen wären der eine Weg, der andere ist durch Sachleis- am Ende nicht zugestimmt haben, welche Bedeutung dem nung diese Sätze steigen würden. Nach dem Vorschlag der insgesamt zur Folge hat. tungen, etwa mit Kursangeboten, die bezahlt werden. Letzte- Urteil zuzusprechen ist und wie die Eckpfeiler einer grünen Bundesregierung gibt es keine Änderung. Es zeigte die Absurdität des Verfahrens: Die Sätze sind eben ren Weg ging von der Leyen - und zwar über Gutscheine und Gesamtkonzeption aussehen. Eins wird sehr deutlich: nicht nach objektiven Kriterien erstellt worden, sondern nach Chipkarten. Und das verbunden mit dem bürokratischem Schwarz-Gelb hat den Geist des Urteils offensichtlich nicht Fritz Kuhn: Kassenlage und politischer Opportunität. Irrwitz, dass die Jobcenter die Bildungsleistungen anbieten verstanden. Sie haben sogar ausgerechnet, dass diese Sätze eigentlich sollten. Das haben wir erfolgreich wegverhandelt. Wir wollen, um ein paar Euro sinken müssten. Aber sie haben sich wohl Das Verfassungsgericht hat die Vorgabe gesetzt, es sind zu- dass die Verantwortung bei den Gemeinden liegt. Denn eines Fritz, das Bundesverfassungsgericht erklärte die Berechnun- nicht getraut, es umzusetzen. Das hätte natürlich die entspre- sätzliche Leistungen insbesondere im Bildungsbereich einzu- ist für uns klar: Die Unterstützungen muss dort angesiedelt gen der Regelsätze des Arbeitslosengeld II für verfassungs- chenden Schlagzeilen gegeben. Ich bin während der ganzen führen. Die finden sich nicht im Regelsatz wieder? werden, wo die Kinder auch hinkommen und nicht wo die El- widrig, vor allem, da diese nicht nachvollziehbar sind. Verhandlungen von dem Gefühl nicht los gekommen, dass tern zu einer Behörde gehen müssen, die sie zudem häufig Schafft der Kompromiss, der auf der Gesetzesvorlage aus einfach Folgendes gemacht wurde: Schäuble hat ihnen ge- Fritz Kuhn: noch als Strafbehörde empfinden. In dieser Atmosphäre kann dem Ministerium von der Leyen beruht, ausreichende Trans- sagt, wie viel Geld im Topf ist und sie haben dann an den Re- Das Verfassungsgericht hat gesagt, es müsse zusätzliche man nicht offen sein für eine Diskussion, was Kinder zusätz-

parenz ? gelsätzen so lange herumgeschraubt, bis die entsprechen- Münchhoff © O liver Möglichkeiten für Kinder im Bereich der Bildung geben - und lich auf einer Bildungsschiene benötigen.

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Da stellt sich die Frage der Finanzierung. In den Kommunen Fritz Kuhn: Gerade beim Equal Pay im Bereich der Leiharbeit sind viele lässt und akzeptiert. Und Armut ist ein Problem, das uns alle befürchtet man, mit zusätzlichen Lasten konfrontiert zu wer- Es war eine Abwägung: Sollen wir einen nach unserer Über- unterschiedliche Zahlen durch die Presse gewandert, 9 Mo- angeht. Ich meine das nicht im christlichen Sinne, sondern in den. Wie sollen die Leistungen konkret aussehen und wie soll zeugung verfassungswidrigen Gesetzesvorschlag passieren nate, 5 Monate... einem tiefen Sinn von Menschenwürde und in der Interpreta- die Finanzierung erfolgen? lassen, nur um einem möglichen Blockade-Vorwurf zu ent- tion unseres Grundgesetzes. Wir können nicht sagen: Wir in- gehen? Das ist mit uns nicht zu machen. Aus der Komple- Fritz Kuhn: teressieren uns jetzt mal für Beschäftigung und nicht für die Fritz Kuhn: xität der Materie darf nicht folgen, dass wir falsche Sachen Also Equal Pay heißt nach unserer Konstruktion: Vom ersten Armut in der Gesellschaft. Unser Sozialstaat, als Ausfluss der Es soll unter anderem das Schulstarterpaket in Höhe von 100 machen. Wir haben hier gerade auch aus unserer rot-grünen Tag an die gleichen Löhne für Leiharbeiter wie für dauerhaft Menschenwürde und des Sozialstaatsgebotes, gewährt einen Euro pro Jahr geben, zehn Euro pro Monat für Vereinsmit- Regierungszeit eine besondere Verantwortung. Beschäftigte. Leiharbeit ist ja eingeführt worden mit dem Anspruch auf ein menschenwürdiges Existenzminimum. gliedschaften oder Musikunterricht und einen Zuschuss zum Mit Rückendeckung der Fraktion und der grünen beteiligten Argument, die Wirtschaft brauche in der Krise einen Puffer. Diesen Satz müssen wir Grüne wiederholen, bis jeder ver- Mittagsessen. Länder habe ich von Anfang an gesagt: Wir wollen in drei Das ist nicht gänzlich falsch, aber es hat sich gezeigt: Die Wirt- standen und gehört hat, dass an dieser Stelle nichts zu ver- Bereichen etwas erreichen: Bei den Regelsätzen, bei den Kin- schaft hat das Instrument der Leiharbeit missbraucht. Die handeln ist. Das hat natürlich Pferdefüße, wie sich etwa an dem Mittag- dern und beim Mindestlohn. Die Regierung wollte die Berei- Leiharbeit wird zur Regel und nicht nur zur Überbrückung un- sessenszuschuss zeigt: Im Bundesdurchschnitt haben nur che gegeneinander ausspielen nach dem Motto: „Bist du für sicherer Zeiten. Das wirkt dann auch als Druck auf die Stamm- Da werden sicherlich viele die Frage stellen: Haben wir dafür etwa ein Drittel der Schulen und Kitas überhaupt eine Essens- die Hartz-IV Empfänger oder bist Du für die Kommunen?“ belegschaft und nicht zuletzt auf die Tarifverhandlungen. nicht zu wenig Geld? versorgung. Dass heißt, es gibt zwar einen Rechtsanspruch, Den Gemeinden haben sie ja die Übernahme der Kosten der der kann aber mangels Einrichtung gar nicht umgesetzt wer- Altersgrundsicherung angeboten. Das ist eine Fragestellung, Stellt sich nach dem Urteil nicht ganz allgemein die Frage da- Fritz Kuhn: den. Und deswegen sagten wir auch: Die Gemeinden müssen die wir zurückgewiesen haben – wir wollen das Und, auf das nach, wie mit Arbeitssuchenden und Transferleistungen von Natürlich müssen wir mit dem Geld ordentlich wirtschaften, diese Kosten spitz abrechnen können. Denn nur mit der Er- Oder haben wir uns nicht eingelassen. Wir sind für die Hartz- staatlicher Seite aus umzugehen ist? das sage ich gerade als Wirtschaftspolitiker. Daraus folgen stattung der tatsächlichen Kosten und nicht irgendeiner fik- IV Empfänger und für die Kommunen. Im übrigen meine ich, drei Punkte: Erstens sparsam haushalten, zum zweiten muss tiven Pauschale besteht auch der Anreiz für die Kommunen, dass die Altersgrundsicherung nach der Verfassungssyste- Fritz Kuhn: man natürlich schauen, dass die Wirtschaft gut läuft. Und die Lage zu verbessern, etwa durch die Errichtung weiterer matik sowieso dem Bund zugeordnet werden sollte. Wenn wir Grünen 2013 wieder regieren sollten, muss man drittens muss man fragen, ob das vorhandene Geld bei uns Kantinen. Das werden sie aber nur tun, wenn sie auch wissen, sich den gesamten Komplex der Hartz-Gesetzgebung an- richtig verteilt ist. Und hier ist nicht eine Frage entscheidend, dass sie nicht auf dem Mittagessen sitzen bleiben. Warum ist die Forderung nach Mindestlöhnen eigentlich schauen. Es war richtig, Arbeitslosen- und Sozialhilfe zusam- sondern in einer grünen Gesamtkonzeption müssen alle drei Gegenstand der Verhandlungen geworden? menzulegen. Bei dem Satz “Fördern und Fordern” hat das Fragen berücksichtigt werden, ohne sie gegeneinander aus- Wer profitiert eigentlich von dem Bildungspaket, welches ja sanktionsbewehrte Fordern zu sehr überhand genommen. zuspielen. Und alle drei Fragen haben eine Bedeutung dafür, auch die von Dir schon angesprochenen Unterstützungen für Fritz Kuhn: Das Fördern aber findet nicht richtig statt. Das Verfassungs- dass wir das Sozialstaatsgebot in vernünftiger Weise erfüllen Kurse umfasst? Das Verfassungsgericht sagt, das Existenzminimum muss ei- gerichtsurteil bedeutet, dass die menschenwürdige Exis- können. Für dieses Gebot ist dem Gericht ein historisches genständig gewährleistet sein, ohne dass durch ein Lohnab- tenzsicherung Grundrechtscharakter annimmt. Abgeleitet Urteil gelungen, dem man mit einem großen Wurf begegnen Fritz Kuhn: standsgebot die Regelsätze nach unten gedrückt werden. Das aus dem Sozialstaatsprinzip und der Menschenwürde. Was muss und nicht mit einem Klein-Klein nach Kassenlage, wie Unser Ziel war es, dass neben den Kindern, die den Regelsatz heißt, eine existenzsichernde Grundsicherung kann nicht in soll da die Verknüpfung mit Sanktionen? Entscheidend wird es derzeit die Regierung immer wieder versucht. bekommen, auch diejenigen Familien berücksichtigt werden, Relation gesetzt werden. Der Urteilsspruch ist unter diesem sein, dass es eine individualisierte Unterstützung der Arbeits- die Wohngeld oder Kinderzuschlag erhalten. Wir wollten Gesichtspunkt revolutionär: Denn er begründet den Sozi- suchenden gibt. Das ist unsere Aufgabenstellung, die äußerst nicht, dass diese außen vor stehen, denn sie haben natür- alstaat zurecht allein aus der Würde des Menschen heraus schwierig zu bewerkstelligen sein wird. Sanktionen helfen da Fritz, die Frage muss sein: Deine Prognose für die Wahlen in lich auch nur sehr knappe Mittel. Zudem wollten wir hinein und nicht als Derivat anderer Rechnungspositionen. Und nicht weiter. Baden-Württemberg? verhandeln, dass es zusätzlich Sozialarbeiter an den Schulen das Problem ist dann natürlich, solange Du so viele Schmutz- gibt. Denn es ist entscheidend, dass das Paket auch zielgenau löhne hast oder prekäre Beschäftigungen kann ein Lohnab- Neben der Frage nach Beschäftigung: Mit welchem Verständnis Fritz Kuhn (mit einem Lächeln): bei den Kindern ankommt. Ein Sachbearbeiter im Arbeitsamt standsgebot nie gewährleistet sein. Dieses Gebot, das ja ei- sollte unsere Gesellschaft mit dem Thema Armut umgehen? Na, wir wollen hoffen, dass wir in dieR egierung kommen, eine kann eben nicht so richtig sagen, ob das Kind nun an diesen gentlich die vernünftige Begründung in sich trägt, dass der, Grün-Rote. Die Reihenfolge ist wichtig. oder jenen Kurs teilnehmen sollte. Diese Veränderungen sind der arbeitet, mehr Geld bekommt, ist nur zu realisieren, wenn Fritz Kuhn: in das neue Gesetz aufgenommen worden. es Mindestlöhne gibt. Wir wissen selbstverständlich, das im Armut kann man von zwei Seiten aus sehen: Man kann be- Vielen Dank für Deine Zeit und Euch viel Erfolg im Ländle. Vermittlungsausschuss ein Kompromissverfahren stattfindet haupten, Armut ist etwas, da sind die Armen selbst daran Warum habt ihr Euch den Verhandlungen letztlich doch zu- – einen flächendeckenden Mindestlohn werden wir derzeit schuld – das scheint die FDP-Grundhaltung zu sein. Oder Du rückgezogen? nicht durchbekommen. Deshalb hatten wir uns auf die Leihar- kannst sagen: Armut ist ein Problem nicht nur der Armen, Das Gespräch führte Oliver Münchhof beit und einige Frage der Mindestlohnfindung konzentriert. sondern der Mehrheitsgesellschaft, ob und wie sie diese zu-

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Löchrige Inklusion ‑ Die Vielfalt anerkennen und an Berliner Schulen leben

Alle Kinder haben das Recht auf inklusive Bildung. So steht Das Ziel einer inklusiven Bildungspolitik ist die konsequen- es im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die te Abschaffung der Berliner Förderzentren. Denn damit Rechte von Menschen mit Behinderungen, das seit 2009 in wird es keine Generation junger Menschen mehr geben, Deutschland in Kraft ist. Sie fordert von den Vertragsstaa- die aus Scham und Angst vor Stigmatisierung ihren schuli- ten die Schaffung eines inklusiven Bildungssystems. Inklu- schen Werdegang vor Freunden oder Arbeitskollegen ver- sion im Sinne des Übereinkommens zielt auf die Anerken- schweigt. nung der Vielfalt und auf einen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung ab. Es braucht einen Umbau des Schulsystems, bei dem För- derzentren zu Regelschulen umgebildet werden, wenn die- Dieser Ansatz geht über die bisher stattfindende Integrati- se baulich oder akustisch mit besseren Voraussetzungen on hinaus. Bei der Integration werden über diagnostische ausgestattet sind als eine Regelschule im gleichen Bezirk. Verfahren Störungen als abweichend von der Norm iden- In den Förderzentren, die zu umfassenden Kompetenzzen- tifiziert und Kinder mit Behinderung erst ausgegrenzt, um tren entwickelt werden, darf es keine eigenen Lernklassen sie dann wieder in das Schulsystem einzugliedern. oder -gruppen geben, da sonst die Sonderwelt durch die Hintertür erhalten bleibt. Und die Kompetenzen der Son- In einem inklusiven Schulsystem werden Kinder zieldifferent derpädagoginnen und -pädagogen in den Förderzentren unterrichtet und erhalten die Förderung, die sie brauchen. werden an den Regelschulen gebraucht. Damit wird eine Chancengleichheit hergestellt, die Kindern alle Wege in die Zukunft eröffnet und nicht einen Weg von Inklusive Schulen in den Bezirken – ein Plan mit Löchern Anbeginn vorbestimmt. Inklusion ist vor allem für jene Re- gionen von großer Bedeutung, in denen Kinder durch ihre Der Berliner Senat hat mit einem kürzlich vorgestellten In- Lebensverhältnisse ohnehin schon benachteiligt sind. klusionskonzept seinen Weg in ein inklusives Schulsystem beschrieben. Darin will er eine inklusive Grund- und weiter- Ein inklusives Schulsystem verhindert Stigmatisierungen führende Schule pro Bezirk. Dass es sich dabei um Integra- tion handelt, ist offensichtlich. Die Folge wird sein, dass an- Die bisherigen Schulversuche mit jahrgangsübergreifen- dere Schulen in einem Bezirk keine Notwendigkeit sehen, den Schulklassen bilanziert der Senat positiv: „Die Jahr- sich zu inklusiven Orten weiterzuentwickeln. So wird von gangsmischung fördert ein Klassenklima, in dem unter- vornherein verhindert, dass eine inklusive Bildungsland- schiedliche Kompetenzen der einzelnen Schüler/innen mit schaft entsteht. Außerdem behütet die Festlegung auf die größerer Selbstverständlichkeit akzeptiert und zum Aus- Sekundarschule als eine inklusive, weiterführende Schule gangspunkt von Lernarrangements gemacht werden, die die Gymnasien. Sie werden vor Veränderungen beschützt Die derzeitigen Schritte, Haupt- und Realschulen in Gemein- Sie ist nicht kostenneutral und frei von Reformen zu haben. von den Stärken des einzelnen Kindes ausgehen. Teilhabe, und Kindern mit Behinderung der Zugang zum Gymnasium schaftsschulen umzuwandeln, sind die ersten in Richtung Und leider hat der Berliner Senat versäumt, die Vereinten Individualisierung und Öffnung von Unterricht werden unnötig erschwert. Die Politik bestimmt mit dieser Festle- einer inklusiven Bildungslandschaft. Doch diese Schritte Nationen zu bitten mit des Übereinkommen zehn Jahre frü- häufiger praktiziert.“ gung den Lebensweg von Kindern. müssen ausgeweitet werden, da langfristig auch Gymnasi- her oder später auf den Weg zu bringen, um mit den eige- en in die Gemeinschaftsschulen aufgehen sollten. Das be- nen Reformen nicht ins Gehege zu geraten. Unverständlich bleibt vor diesem Hintergrund, warum Weiterhin sollen in den Bezirken Schwerpunktschulen ein- stehende Schulsystem mit seinen verschiedenen Schulfor- Förderzentren für einige wenige Schwerstmehrfachbehin- gerichtet werden, an denen Kinder mit gleicher oder ähn- men fördert Selektionsmechanismen, die im Widerspruch Eine auf Inklusion und Chancengerechtigkeit orientierte derten bestehen bleiben sollen, damit, wie es im Inklusi- licher Behinderung gemeinsam unterrichtet werden. Dies zur Inklusion stehen. Bildungspolitik mit dem Übereinkommen der Vereinten Na- onskonzept heißt, das Elternwahlrecht weiterhin bestehen ist im Sinne des Peer-Group-Gedankens, bei dem sich diese tionen als Maßstab bedeutet ein menschenwürdiges, kind- bleiben kann. Damit werden weiterhin Einzelne von einem Kinder gegenseitig bestärken und befähigen können. Der Es braucht einen kulturellen Wandel im Schulsystem gerechtes Schulsystem und bringt einen gesellschaftlichen vermeintlich inklusiven Schulsystem ausgeschlossen und Ansatz setzt aber auch ein funktionierendes inklusives und kulturellen Wandel im Schulsystem. Parallelstrukturen bleiben bestehen. In einem inklusiven Schulsystem voraus, bei dem auf eine wohnortnahe Be- Für die Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Bildungssystem wird es kein Elternwahlrecht für die Schul- schulung geachtet wird und keine Separierung innerhalb Nationen und für eine inklusive Schullandschaft braucht es Ulrike Bürgel

wahl mehr nötig sein. der Schule stattfindet. - photocase © nailiaschwarz mehr als eine Veränderung an wenigen Stellschrauben. Mitglied der Redaktion

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Das S-Bahn-Dilemma - ein isoliertes Problem?

Die S-Bahn ist immer wieder Thema das S-Bahn-Netz, weil es an vielen Stel- cket braucht. Es könnte aber auch über in der Stadt: Weil sie nicht kommt. Wir len einfach endet. Bestes Beispiel ist eine Neuordnung der Tarifzonen ge- haben uns mit Matthias Oomen, dem sicher die Endstation Krumme Lanke hen. Ein Beispiel: Man könnte eine Ta- Hauptstadtbeauftragten und Bundes- ohne eine Anbindung an die S-Bahn- rifzone speziell für den Flughafen BBI pressesprecher von Pro Bahn e. v., Station des nahegelegenen Mexiko- einführen und finanziert darüber etwa einem gemeinnützigen Fahrgastver- platzes. Oder eine Verlängerung der den Ausbau der U 7 von Rudow bis zum band, über die aktuelle Lage in Berlin U 1, die einfach an der Uhlandstraße Flughafen. In anderen Städten ist das unterhalten und ein Blick in die Zu- endet, könnte bis etwa zum Adenau- gerade bei Flughäfen nicht unüblich. kunft gewagt. erplatz, aber am sinnvollsten bis nach Halensee, weitergeführt werden. Die Zurück zur S-Bahn. Unternimmt der Se- Im Januar wurden einige Außenbezirke bessere Verknüpfung von U- und S- nat eigentlich genug, um den aktuellen nicht mehr mit S-Bahnen bedient. Als Bahn würde gleichzeitig auch das Bus- Problemen zu begegnen? Antwort erfolgte der Winterfahrplan, system entlasten. Gerade der Kudamm um wieder das gesamte Netz bedie- ist auch so stark von Bussen befahren, Matthias Oomen: Suchen vergebens Anschluss seit Sommer ´09 - vielleicht falsches Antlitz? nen zu können. Zwar langsamer, aber weil dort die U-Bahn nicht durchgängig Also Rot-Rot scheint in einer Perspekti- immerhin. Hätte es eine Alternative ge- fährt. Man kann sogar darüber nach- ve bis Ende September zu denken. Man geben? denken, etwa die U 5 vom Alex bis zum präsentiert den Leuten Absichtserklä- tag müsste als Konzeptionsphase ge- Hauptbahnhof und von dort bis zur S- rungen, die bis dahin keine Folgen ha- nutzt werden: Was mache ich mit dem Matthias Oomen: Bahnstation Jungfernheide zu verlän- ben. Etwa wir schaffen für die Zukunft S-Bahn-Netz, bilde ich etwa eine Behör- Technisch gesehen eher nicht. Offen- gern, was zu einer kompletten Aufwer- neue Fahrzeuge an, und dann wird al- de, wie will ich das umsetzen? sichtlich ist der Unterschied der Belas- tung der Fläche Moabit führen würde. les besser. Das kann bis zur Wahl keiner tung zwischen Tempo 80 und Tempo Der Osten Berlins sollte vor allem in der überprüfen. Aber was sofort gemacht Diese müsste dann auch von Aus- 60 so groß, dass mit 80 km/h nicht Fläche stärker bedient werden, etwa werden könnte, wird nicht getan. schreibungen der Strecken begleitet gewährleistet werden konnte, alle Stre- durch den verstärkten Einsatz der Regi- werden? cken zu bedienen. Es ist von der S-Bahn onalexpresszüge. Auch könnte es sinn- Das wäre zum Beispiel? schon ganz schön mutig zu zeigen: Lie- voll sein, über eine Strecke vom Haupt- Matthias Oomen: be Leute, wir können das Niveau nicht bahnhof über Naturkundemuseum bis Matthias Oomen: Es ist sicherlich ein Problem, dass man halten. Das ist natürlich ein weiteres nach Hellersdorf nachzudenken. Der Senat muss Folgendes machen: die S-Bahn nicht ausgeschrieben hat. Indiz dafür, wie sehr das gesamte S- Den S-Bahn- Vertrag kündigen, ganz Mit Ausschreibungen kann man viel Bahn-System ständig am Rande des Hört sich teuer an. Wie soll hierfür eine klar. Und daneben müsste der Buser- erreichen: Etwa Taktverbesserungen, Kollapses agiert. realistische Finanzierung aufgebaut satzverkehr gestärkt werden. Mit der indem ein Anbieter sagt, wir fahren werden? Kündigung könnte man den wirtschaft- zum gleichen Preis, aber häufiger. Oder Der weitgehende Ausfall eines Ver- lichen Druck umdrehen. Derzeit hat andere Leistungserweiterungen, etwa kehrsmittels scheint Berlin lahmlegen Matthias Oomen: die S-Bahn, also die Deutsche Bahn AG, wir kümmern uns um die Reinigung. zu können. Sollten nicht mehrere Nah- Auch wenn es unpopulär ist: Ich kann über das Eigentum an den Fahrzeugen NRW ist da vorbildhaft. Dort wurde verkehrssysteme wie in Berlin dort mir vorstellen, dass es auch über eine ein Druckmittel in der Hand. Bei einer konsequent ausgeschrieben mit der nicht eine auch ausgleichende Funkti- moderate zweckgebundene Erhöhung Kündigung gäbe es einen Auslaufbe- Folge, dass die DB sehr viele Strecken on entwickeln? der Ticketpreise erfolgen kann, etwa trieb, der absehbar an einem bestimm- verloren hat. zehn Cent auf den regulären Einzel- ten Tag endet. Die S-Bahn hat dann das Matthias Oomen: fahrschein. Teuer sind kurze Strecken. Problem, dass sie auf Fahrzeugen sitzt, Matthias, herzlichen Dank für das Ge- Man muss auf jeden Fall schauen, wie Durch die schlechte Vernetzung kann die nur in Berlin einsetzbar sind. Die spräch. man den innerberlinerischen Regional- häufig ein Kurzstreckenticket nicht Kosten jeden Tag Geld, wenn sie nicht verkehr stärken kann. Das U-Bahn-Netz verwendet werden, so dass man trotz fahren. Das bringt die Deutsche Bahn Das Interview führten

wirkt derzeit nicht sehr entlastend für kurzer Strecken häufig ein Normalti- AG in Zugzwang. Die Zeit bis zum Stich- Münchhoff © O liver Ulrike Bürgel und Oliver Münchhoff

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Feuerfuchs-Politik Warum Bürgerbeteiligung mehr als Direkte Demokratie ist

Da war Heiner Geißler - nur für einen Moment - sprachlos: Noch bekannter dürfte Wikipedia sein: das Online-Lexikon, bei der Entscheidungsfindung. Aber Bürgerbeteiligung ist A100 oder der zukünftigen Gestaltung des ehemaligen Mit soviel geballter Fachkompetenz hatte der Schlichter ohne das heutzutage keine Hausarbeit geschrieben und mehr als Direkte Demokratie und Informationsfreiheit. Den Flughafens Tempelhof wäre ein solcher Sonderausschuss bei den Gesprächen um Stuttgart 21 auf Seiten der Gegner keine Bundestagsrede verfasst wird. Auch hier gilt das mündigen Bürgerinnen und Bürgern genügt es nicht, bei sicher hilfreich gewesen. Nicht immer muss die Schlichtung nicht gerechnet. „Die Alternative – K21 – ist offenbar tech- Prinzip der „Intelligenz der Masse“: Tausende freiwillige Wahlen eine Stimme abzugeben oder ab und an bei einem warten, bis Hunderttausende auf der Straße sind. nisch machbar.“ lobte er die GegnerInnen von Stuttgart 21 HelferInnen verfassen und bearbeiten weltweit die Arti- Volksentscheid Ja oder Nein zu sagen. Sie wollen auch im nach der Vorstellung ihrer Ideen für einen modernisierten kel. Das Ergebnis ist revolutionär. Längst hat das Online- Prozess der Politikgestaltung ihre Kompetenzen einfließen Auch die Bundestagsfraktion geht neue Wege der Bür- Kopfbahnhof. Von da an gestand Geißler stets zu: „Die Geg- Nachschlagewerk alle Druckvarianten geschlagen – in der lassen – ohne sich dem 16-Stunden-Tag eines Parlamentari- gerbeteiligung. Das neue Arbeitnehmerdatenschutzge- ner sind ja gar keine Gegner. Sie wollen ja auch etwas!“ Im Quantität und der Qualität. Bei knapp 1,1 Millionen Artikel ers oder der Langeweile einer Berliner Verwaltungskarriere setz – mit 120 Seiten auch inhaltlich ein Mammut – wurde Schlichterspruch ging das ATTAC-Mitglied dann auf viele in der deutschsprachigen Version kommen Brockhaus und aussetzen zu müssen. noch vor der Einbringung ins Parlament online vorgestellt Bedenken der KritikerInnen der Tieferlegung des Stuttgar- Co. längst nicht mehr mit. Aber auch inhaltlich ist Wikipedia und diskutiert. Die Resonanz war verblüffend. Dutzende, ter Bahnhofs ein und forderte Nachbesserung bei den Plä- laut einer Studie aus dem Jahr 2007 vom Stern korrekter Grüne Wege – erprobt und getestet gut durchdachte Vorschläge und Änderungswünsche er- nen der Deutschen Bahn. Eine Sensation, die im Ärger über und schneller als der altehrwürdige Brockhaus. reichten die Fraktion. Sogar ein ehemaliger Bundesverfas- das grundsätzliche Ja zu Stuttgart 21 nicht ausreichend ge- Wenn wir das Feuerfuchs-Prinzip auf die Politik übertra- sungsrichter schaltete sich in die Online-Diskussion ein. Im würdigt wurde. Neue Politische Kultur – mehr als Direkte Demokratie gen wollen, müssen wir Institutionen schaffen, in denen Ergebnis konnte die Fraktion so ein deutlich verbessertes die Bürgerinnen und Bürger sich bereits in den Prozess der Gesetz vorlegen. Und sogar die Bundesregierung nahm Eine Sensation, denn den GegnerInnen von Stuttgart 21 ist Die Intelligenz der Masse, die Kreativität und der Einsatz Gestaltung von Politik einbringen können. Und wir Grünen das Verfahren zum Anlass, ihren eigenen Entwurf noch etwas noch nie Dagewesenes gelungen: Eine Bürgerbewe- der Bürgerinnen und Bürger schlägt längst althergebrachte haben dazu ja in den letzten Jahren gute Ideen entwickelt. zu überarbeiten. Welch ein Widerspruch zum sonstigen gung, die praktisch ohne die Hilfe von Verwaltungen und Institutionen. Nur in der Politik gelten die Regeln des Par- Beim Protest gegen die Bebauung am Spreeufer - Stichwort Vorgehen der Politik. Zumeist werden Gesetze im Hinter- großen Konzernstäben, ein Milliardenprojekt geplant und lamentarismus aus dem vorletzten Jahrhundert fort, viel- Mediaspree - haben wir bewiesen, dass wir Unbehagen und zimmer verhandelt und dann durch das Parlament gejagt. bis in die Details ausgearbeitet hat. Hunderte engagierte leicht noch ergänzt um die eine oder andere Volksabstim- Wut in Kreativität und konstruktiven Dialog umleiten kön- Trauriger Höhepunkt war wohl das Atomausstiegsverlän- Bürgerinnen und Bürger haben wie in einem Puzzlespiel mung zwischen den Wahlen. Im Wesentlichen jedoch bleibt nen. Im Sonderausschuss Mediaspree wurden über zwei gerungsgesetz. Aber auch in Berlin läuft es nicht anders. dazu beizutragen, dass K21 einen integrierten Taktplan der Anspruch: Nur das Parlament und die Verwaltung sind Jahre hinweg substanzielle Verbesserungen bei der Stadt- Der rot-rote Senat hat sich zuletzt beim Klimaschutzgesetz und alternative Routen, um Mineralwasser und Biotope in der Lage, in der Komplexität der modernen Welt mitzu- planung durchgesetzt, auch wenn die Aktivistinnen und so blamiert, dass er lieber auf ein Gesetz verzichtete, statt

zu umgehen, aufzeigen konnte. Das ist eine Leistung, vor halten. Politikberatung findet in Fachgesprächen und Anhö- - flickr CC susumpow © keng Aktivisten sich am Ende aus dem Ausschuss zurückzogen. auf die vorliegende Alternative aus der Zivilgesellschaft zu- der viele professionelle Politikgestalter in Parlamenten und rungen statt, wo die immer gleichen Verbände und Gerade dann, wenn ein Projekt noch nicht so rückzugreifen. Ein schönes Beispiel dafür, dass es vor allem Verwaltungen zu Recht zurückschrecken. Lobbyisten gehört werden. Und meist steht weit fortgeschritten ist, kann ein Sonder- die Angst vor dem Gesichtsverlust ist, die die Politik daran das Ergebnis längst vorher fest. ausschuss des Parlaments, in dem hindert, auf bessere Alternativen zu hören. Dabei wird doch Das Feuerfuchs-Prinzip auch Mitglieder von Bürgerin- deutlich: Bürgerbeteiligung ist keine Alternative zur parla- Eine „Neue Politische Kultur“ itiativen und Fachleute der mentarischen Demokratie – es ist ihre Ergänzung. Eine Idee des Web2.0 erreicht damit die Wirklichkeit der versprechen wir Grünen in Zivilgesellschaft vertre- Politik: Das Feuerfuchs-Prinzip. Seit 2002 entwickelt die unserem neuen Wahl- ten sind, befriedend Ronald Wenke gemeinnützige Mozilla-Stiftung unter anderem den Open- programm für Berlin. wirken. So können Mitglied der Redaktion Source-Webbrowser Firefox, zu Deutsch Feuerfuchs. Die Im Programm findet sinnvolle Vor- Entwickler des Browsers legen dabei den Quellcode offen, sich sehr viel Richti- schläge und so dass jede Nutzerin und jeder Nutzer eigene Weiterent- ges: verbindliche berechtigte wicklungen vornehmen kann, sei es um den Browser für Volksentschei- Sorgen früh- den eigenen Gebrauch zu optimieren oder aber um ge- de, mehr Rech- zeitig ein- nerelle Verbesserungen vorzunehmen. Täglich werden so te zur Akten- bezogen mehrere neue Funktionen beigesteuert, etwa ein Werbe- einsicht, w e r d e n . blocker oder die aktuellsten Wetterberichte für Berlin. Transparenz Bei der

42 debatte menschen und zeiten

Ägyptische Lektionen Rechtspopulismus Ein Gastkommentar von Volker Beck Wie gefährlich sind Noch immer blicken wir mit angehaltenem Atem auf die sich „Pro Berlin“ und „Die Freiheit“? überschlagenden Ereignisse in Ägypten. Eine ganze Region, die viele von uns lange nur mit Menschenrechtsverletzungen, Das furchtbare Attentat auf koptische Christen im Januar In Berlin treten zwei relativ neue Akteure der extremen Rech- verkrustete Herrschaftsstrukturen und Terror verbanden, dieses Jahres kam nicht von ungefähr, sondern ist auch auf ten auf, die im Zuge der Sarrazin-Debatte versuchen, an anti- überwältigt uns nun mit dem mutigen Aufbegehren so vieler die Kampagnen des ägyptischen Regimes gegen Christen islamische Ressentiments anzuknüpfen und diese in Wahler- Menschen gegen ihre jahrzehntelange Unterdrückung. zurückzuführen, die die Ressentiments zwischen den Religi- folge umzumünzen: „Pro Berlin“ und „Die Freiheit“. In einer Personell und ideologisch zu Teilen aus dem Lager der extre- onsgruppen befeuerten. Dass bei den Demonstrationen auf 2010 durchgeführten Umfrage der Friedrich-Ebert-Stiftung men Rechten stammend bemühen sich diese Gruppierungen Die meisten von uns sind von der Stärke und dem schnellen dem Tahrir-Platz Muslime und Kopten Seite an Seite für ihre stimmten über die Hälfte der Befragten der These zu, dass für um breitere Wählerschichten. Dabei grenzen sie sich aus tak- Erfolg der Proteste überrascht. Für die deutsche Regierung, Rechte eingetreten sind, sollte uns hoffnungsfroh stimmen. Muslime in Deutschland die Religionsausbildung erheblich tischen Gründen von rechtsextremen Parteien wie der neona- die Europäische Union und viele andere Staaten, die Mubarak eingeschränkt werden sollte. Daran versuchen die Rechtspo- zistischen NPD ab. Die traditionelle extreme Rechte ist gekenn- jahrzehntelang unterstützt haben, ist der Erfolg der Demons- Die Bundesregierung und die EU müssen ihren Kurs gegen- pulisten anzuschließen, in dem sie den Islam als alleinige zeichnet durch einen positiven Bezug auf den Faschismus, die tranten beschämend. Das unbeirrte und kritiklose Festhalten über den vielen menschenverachtenden Staaten im Nahen Ursache von gesamtgesellschaftlichen Fehlentwicklungen offene Ablehnung der Demokratie sowie einer anvisierten an Diktatoren wie Mubarak und Ben-Ali fällt nun auf sie zurück, Osten und der ganzen Welt nun endlich grundsätzlich über- diffamieren. „völkischen Revolution“. Sowohl die „pro Bewegung“ als auch denn sie sind sowohl moralisch als auch strategisch geschei- denken. Nun, da Mubarak zurückgetreten ist, besteht die „Die Freiheit“ kann man als Vertreter der modernen extremen tert. Die Bundesregierung konnte sich noch nicht einmal zu Chance auf einen echten Wandel. Die Ägypter haben dem Die „pro Bewegung“ hat ihren Ursprung im 1996 gegründe- Rechten sehen. Diese proklamieren eine Abkehr vom Faschis- einer Rücktrittsforderung gegenüber Mubarak durchringen, Westen eindrucksvoll bewiesen, dass sie ihr Land selbst re- ten Verein „Bürgerbewegung pro Köln e.V.“, der unter Be- mus, eine taktische Befürwortung der direkten Demokra- als die Legitimationsfassade des ägyptischen Regimes unter formieren wollen, und das, obwohl der Westen ihnen dabei obachtung des Verfassungsschutz steht. Die Gruppierung tie sowie eine Religiösisierung des Rassismus. Traditionelle dem Druck der anhaltenden und jeglicher staatlichen Gewalt mit seiner regimefreundlichen Politik im Wege stand. Noch ist stellt sich selbst als konservativ dar, arbeitet aber eng mit Angstszenarien einer Überfremdung weichen dem modernen trotzenden Proteste endgültig zusammenbrach. Für die deut- der demokratische Wandel nicht geschafft und ein gesundes Rechtsextremen zusammen. Der Bundesvorsitzende Man- Bedrohungsmythos der schleichenden Islamisierung. sche Politik ist diese Zögerlichkeit ein Armutszeugnis. Misstrauen gegenüber der Gutwilligkeit des mächtigen Mili- fred Rouhs kandidierte einst für die NPD. Auf der Einladungs- tärs bleibt geboten. Auch die organisatorische und politische liste des Anti-Islamisierungskongresses 2008 standen auch Dabei bemühen sie sich der Tarnung als lokale Bürgerinitia- Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten sollten uns lehren, Schwäche der demokratischen Bewegung im Vergleich zur Vertreter extrem rechter Parteien wie der belgischen Vlaams tive, die kommunale Themen aufgreift und Bürgeranfragen dass echte Stabilität nur auf der Einhaltung der Menschen- Staatspartei und den Muslimbrüder ist ein ernstes Problem. Belang, der italienischen Lega Nord oder der FPÖ sowie der und Petitionen starten. So können sie öffentlichkeitswirksam rechte und der Teilhabe der breiten Bevölkerung fußen kann. Die Erfahrung jahrzehntelanger Unterdrückung wird nicht verurteilte Holocaustleugner Nick Griffin. agieren, Adressen potentieller Unterstützer sammeln und so Die vermeintliche Ruhe, die der Westen sich von Diktatoren binnen eines Jahres abgeschüttelt werden können, sondern ihre Bewegung aufbauen. Erfreulicherweise ist es, anders wie Mubarak erhoffte und auf die er in vielen Ländern noch muss langsam und von Grund auf überwunden werden. Ähnlich die Taktik von René Stadtkewitz. Er war führender als in einigen Nachbarstaaten, in Deutschland bisher keiner immer setzt, ist in Wirklichkeit lediglich die gewaltsame Un- Kopf der Mobilmachung gegen den Bau einer Moschee in rechtspopulistischen Partei gelungen, nennenswerte Wahl- terdrückung von Spannungen, die sich eines Tages entladen, Nun ist es an uns, die Ägypter einerseits in ihrer Souveräni- Pankow-Heinersdorf und wurde nach seiner Einladung an erfolge zu erzielen. Wir DemokratInnen sollten den Dialog wie es nun in Ägypten und Tunesien geschehen ist. tät zu achten, ihnen andererseits aber jede mögliche Hilfe den niederländischen Rechtspopulisten Geert Wilders aus zwischen BürgerInnen und den Islamverbänden vor Ort su- für einen demokratischen Wandel anzubieten. Nur so kann der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus ausgeschlossen. Da- chen. Dies hilft, die Versuche der Rechtspopulisten, abstrakte Schon nach meiner Reise nach Ägypten im letzten Jahr habe der Westen zumindest einen Teil des Vertrauens, das er bei raufhin gründete er „Die Freiheit“, mit der er nun versucht, Ängste zu schüren, zurückzudrängen. „Pro Berlin“ und „Die ich den Kurs der Bundesregierung, Mubarak trotz seiner Ver- vielen Ägyptern verloren hat, zurückgewinnen. Und dieses eine Sammlungsbewegung im nationalkonservativen Lager Freiheit“ sprechen über „die Moslems“, wir wollen mit ihnen antwortung für systematische Menschenrechtsverletzungen Vertrauen wird unerlässlich sein, wenn wir sie dabei unter- zu schaffen. Dabei forderte Parteivize Marc Doll, mit dem über ihre Lebenssituation ins Gespräch kommen, ihnen ein weiterhin zu stützen und mit Kritik an der Repression hinter stützen wollen, eine Gesellschaft und politische Strukturen angeblich in Deutschland herrschenden „Schuldkult“ zu bre- Gesicht geben und den Dialog gestalten. dem Berg zu halten, scharf kritisiert. Seit Jahrzehnten werden aufzubauen, die unser Klischee vom demokratieunfähigen chen, der einen „gesunden Patriotismus“ unterbinde. Oppositionelle, kritische Journalisten, Homosexuelle und An- Nahen Osten Lügen strafen. Daniel Gollasch gehörige religiöser Minderheiten wie die Baha’i in Ägypten systematisch unterdrückt und verfolgt. Die Parlamentswah- Ägypten lehrt: Auch bei der manchmal außenpolitisch not- len im vergangenen November wurden überschattet von wendigen Zusammenarbeit mit Despotien darf man Men-

© knipsermann - photocase © knipsermann Einschüchterung, Gewalt und schweren Betrugsvorwürfen. schenrechtsfragen nicht einfach hinten anstellen.

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Glück im Unglück

2010 war zunächst kein gutes Jahr für die Wiener Grünen. In seiner Regierungserklärung ging Michael Häupl (SPÖ) Das Wahlergebnis war rund zwei Prozentpunkte schlech- gezielt auf die rot-grüne Koalition ein: „Rot-Grün ist neu für ter als 2005 und die Partei war gespalten. Damals noch, am Österreich und stellt eine Alternative zu bisherigen Koaliti- Abend des 23. Oktober 2005 hatte im Palais Auersperg eine onsvarianten dar.“ Und: „Zum ersten Mal übernehmen unsere riesige Wahlparty der Wiener Grünen stattgefunden. Tatsäch- Parteien gemeinsam Verantwortung, um zu zeigen, dass ... lich hatte es allen Grund zum Feiern gegeben: Nach Neubau neue Wege beschritten werden können und aus meiner Sicht konnte mit der Josefstadt ein zweiter Bezirk erobert werden. auch beschritten werden müssen.“ Doch nun, 2010, war es anders. Arne Haeger Bezirksvorsteher Heribert Rahdjian (Wien-Josefstadt) verkün- Mitglied der Redaktion dete im August 2010 offiziell, mit einer eigenen Namensliste zu kandidieren. Zwei Grün-Listen bei der Wahl, eine Spaltung der Partei - ein Drama so kurz vor der Wahl. Hintergrund für den Schritt war ein persönlicher Streit, den Rahdjian seit Lan- gem mit seiner Stellvertreterin Doris Müller führte. Der Stil der beiden war konträr. Hier der ältere, im Bezirk stark veran- kerte Grün-Realo. Auf der anderen Seite die jüngere, forsche Vertreterin des linken Flügels, die nach Rahdjians Angaben die Macht im Bezirk und auf jeden Fall an die Spitze wollte. Bereits im Juni 2010 eskalierte der Streit. Alexander Spritzen- hofer wurde als Kompromisskandidat ins Rennen geschickt, Rahdjian verlor in einer Kampfabstimmung. Dass der grüne Bezirkschef nun mit einer eigenen Liste antreten würde, kam dennoch für die meisten überraschend. „Ich habe diesen Ent- schluss gefasst, weil mich viele Menschen darauf angespro- chen haben und sie gewollt haben, dass ich weiterarbeite.“

Bis auf das rechte Lager haben bei der Wahl 2010 alle Parteien an Stimmen verloren - auch nicht gerade eine Glanzstunde in der politischen Geschichte Wiens. Doch wenn man die neu ge- gründete Liste mit dem Ergebnis der Wiener Grünen addieren würde, hätte das grüne Lager im Vergleich zum Jahr 2005 so- gar Stimmen hinzugewonnen. Eine kleine Überraschung.

Das Glück im Unglück war jedoch die eigentliche Überra- schung. Nachdem die SPÖ ihre absolute Mandatsmehrheit eingebüßt hatte, führte sie mit der ÖVP und den Grünen Sondierungsgespräche über eine Koalition. Am 12. novem- ber 2010 gaben SPÖ und Grüne bekannt, dass sie sich auf eine gemeinsame Koalition geeinigt haben. Maria Vassilakou zog als Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Verkehr, Stadtpla- nung, Klimaschutz und Energie in die Landesregierung ein. aus Trotz Spaltung und effektivem Wählerverlust sind dieG rünen Da mag einer die Östereicher: isa P

nun an der Wiener Regierung beteiligt. Michael Cramer mit Logo der Grünen Österreich © L - fotolia © Waldteufel

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“Der Mensch ist erst wirklich tot, Ein Nachruf von Wolfgang Wieland wenn niemand mehr an ihn denkt” Bertold Brecht Am 22. Januar 2011 starb unser Gründungsmitglied mit der Mitgliedsnummer 001, Michael Wendt.

Er wurde von einer Stunde auf die andere aus dem Leben gerissen. So, wie er vor beinahe 25 Jahren von einer Stunde auf die andere zum Querschnittsgelähmten wurde.

Gerade zu ihm, der über alle Massen nach Gerechtigkeit strebte, war das Schicksal insoweit nicht gerecht. Er hat mit diesem Schicksal auch gehadert, was er meist gut verbarg. Aber er war nie verbittert. Er war auch im Rollstuhl ganz oft noch der fröhliche, humorvolle, ja spitzbübische Micha. Keine Resignation, sondern ein täglicher Kampf um seine ver- bliebenen körperlichen Fähigkeiten und die bedingungslose Bereitschaft, seine reiche politische Erfahrung und seine Energie in vielfältige politische Zusammenhänge einzubringen.

So war er neben seiner langen Tätigkeit als Stadtrat in Neukölln und Tiergarten Vorstandsmitglied im Humanistischen Verband Berlin, dort für die Kinder- und Jugendarbeit zuständig, aktiv im Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung, Mitglied im Erweiterten Landesvorstand der Berliner Grünen seit dessen Gründung und zu guter Letzt Vorstand im Nachbarschaftsheim Neukölln.

Hervorstechend war seine Bescheidenheit. Keinerlei Vorzugs- oder Sonderbehandlung wollte er. So hätte er auch diesen Nachruf niemals lesen wollen. „Nee, hör uff“ wäre seine sichere Reaktion gewesen. Da war er Berliner, liebte kein Gewese und kein Getue.

Wie auch anders bei einem Menschen, der im Jahre 1955 in Berlin Moabit geboren wurde und den es schon als Schüler zur Politik zog. Er wurde Klassen- und Schulsprecher, studierte dann Maschinenbau an der TFH, machte seinen Abschluss als Ingenieur, arbeitete als Geschäftsführer bei einer Bauschlosserei und einer Druckerei. Dann kam die Gründungsphase der AL und Micha wurde das berühmte Mitglied Nummer 1. Er kam am Morgen nach der rausch- haften Gründungsversammlung der AL in der Neuen Welt beim Sortieren der Aufnahmeanträge zu der Erkenntnis: Na ja, einer musste die Nummer 1 sein.

Diese Anekdote zeigt neben Michas Verschmitztheit zweierlei: Er hat sich von der ersten Minute an mit dem Projekt AL identifiziert wie kaum ein anderer. Und er wusste zweitens, dass Organisation nicht alles ist, doch dass ohne Organisa- tion alles nichts ist. Zumal bei diesem bunten, hochfliegenden, unstrukturierten, alles grundsätzlich und in aller Länge ausdiskutierenden Haufen. “Alternativ geht alles schief“ war schließlich sonst unser Eigenbefund.

Fast zwangsläufig wurde er mit unserer ersten Fraktion 1981 als damals jüngster Parlamentarier in das Abgeordneten- haus gewählt. Micha selber hat diese Zeit so beschrieben:

„Im Feindesland, so oder ähnlich haben wir uns alle gefühlt. Nach parlamentarischen Mehrheiten stand uns nicht der Sinn und den Etablierten zu ähnlich zu werden, war unsere größte Sorge … Trotz unseres allseits anerkannten Arbeits- eifers wurden wir in den zwei Parlamentsjahren leider nicht richtig berühmt. Schmerzlich mein kurzes Gespräch mit Frau Grunert beim Abschiedsempfang, als sie beichtete: ‚Wissen Sie Herr Sellin, dass ich Sie immer noch mit dem Schmidt verwechsele’ Das baut auf.“

Nicht verschwiegen werden sollte, dass die Entfernung von manchen unserer Gründungsideale ihn mehr schmerzte als andere. So war sein Beitrag zum 30. Gründungsjubiläum der AL, an historischem Ort in der Neuen Welt, eine eindringliche Mahnung, den Kampf für eine bessere, solidarische Welt nicht aufzugeben. Er war eben mehr als eine Nummer 1, er war so etwas wie die Seele unserer Partei, das moralische und soziale Gewissen. So werden wir ihn im Gedächtnis behalten.

Nur wenige Menschen sind wirklich lebendig und die, die es sind, sterben nie. Es zählt nicht, dass sie nicht mehr da sind. © Alle Fotos überlassen von Johann Müller Gazurek 48 Niemand, den man wirklich liebt, ist jemals tot Ernest Hemingway grüner leben termine / impressum

Mit der Quote gegen das Dschungelcamp

Die seit Jahrzehnten geführte, in den letzten Wochen mit Nach 60 Jahren gescheitertem Versuch der Gleichberechti- neuer Schlagkraft tobende Debatte um Sinn und Unsinn der gung kann das doch niemand mehr ernst nehmen. Der Markt Termine Frauenquote nimmt absurde Züge an und geht am Thema wird es regeln? Offensichtlich nicht. Die Quote wird schlech- geradewegs vorbei. Denn die Diskussion wird von ihren Pro- ter qualifizierte Frauen zu Chefs machen? Entschuldigung, 14. März 1. April 16. – 17. April tagonisten und vor allem Protagonistinnen in einem Duktus das schaffen Männerbünde seit 1000 Jahren. Wo der Markt Gender Equality: Ein positiver Positive Action. Mit positiven Maß- Landesdelegiertenkonferenz des debattiert, der nicht darauf schließen lässt, dass es sich um versagt, muss ihm geholfen werden. So machen wir das Effekt in der Wirtschaftskrise. nahmen Barrieren abbauen, Chan- Landesverbandes Berlin ein gesamtgesellschaftliches Anliegen und um eine staatlich schließlich auch mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, 19.00 Uhr, EWA Frauenzentrum, cengleichheit und Vielfalt fördern, kontrollierte Korrektur einer nicht eingehaltenen, verfas- das Programme fördert, die durch Qualität überzeugen und Prenzlauer Allee 6 (HBS Bildungs- u.a. mit , Angela Bar 25. Mai sungsmäßig vorgeschriebenen Chancengleichheit handele, damit zu wettbewerbsfähigen Rennern werden, ohne in der werk Berlin) 11.00 Uhr – 18.30 Uhr, Bel-Etage der „Was heißt eigentlich sondern um den Anteil von Weizenflocken in einem Vollkorn- Entwicklungsphase aus Kostengründen von Frauentausch Heinrich-Böll-Stiftung, Konservativismus?“ müsli. und Dschungelcamp platt gemacht zu werden. 28. März Schumanstrasse 8 Eine Gesprächsrunde in der Hein- IBA – Alles Tempelhof oder was? rich-Böll-Stiftung, u.a. mit Katrin Tragisch ist, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die Gleiches muss es für Wirtschaft und Politik geben, wo im 3 + x Szenarien einer IBA 2020, 8. – 9. April Göring-Eckhardt Hauptschuld bei den Frauen selbst liegt: zwei Ministerinnen September eine, wie sie es kürzlich im Interview selbst sagte, u.a. mit Franziska Eichstädt-Bohlig, Landesmitgliederversammlung 19.00 Uhr, Schumannstrasse 8, werden wie Kampfhennen in den Ring geschickt werden, bis Quotenfrau Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden Regula Lüscher des Landesverbandes Berlin Bel-Etage der HBS die Oberglucke eine von beiden zurückpfeift. will, die dank der Quote ihrer Partei in der Entwicklungspha- 18.30 Uhr, in der Forum Factory, im Tempodrom se eine Chance erhalten und sie gepackt hat, um jetzt wett- Besselstrasse 14 5. Juni Dass diese Frauen es ohne Quote geschafft haben, liegt aller- bewerbsfähig zu sein. Wer heute noch gegen die Quote ist, 12. – 13. April: Fahrradsternfahrt und Umwelt- dings zum einen daran, dass sie als Politikerkinder und Quo- der kann es nur aus Opportunismus oder aus Angst vor dem 31. März Tschernobyl 25 – Expeditionen festival der Grünen Liga am tenossis bessere Chancen als andere hatten. Zum anderen eigenen Machtverlust sein. FÜR Berlin: Renate Künast Lesung, Ausstellung, und Brandenburger Tor folgt die Politik anderen Gesetzen als die Wirtschaft: Stehen Aber so ist das nun mal, lieber Klaus. im Gespräch: „Auf die Bildung Internationales Symposium, u.a. Parteien im öffentlichen Fokus und werden auch wegen ihres kommt es an“ mit Renate Künast, 21. Juni Personals gewählt, fragt beim Toasterkauf niemand, ob im In diesem Sinne, alles Gute zu 100 Jahren Frauentag, der 19.30 Uhr, Marienburg, Von 17.00 Uhr am 12.4. bis um 21.00 Vor den Wahlen – eine frauen- Vorstand Frauen sitzen. So führen diese Frauen eine selbst- Kampf geht weiter. Marienburger Strasse 16 (Pankow) Uhr am 13.4. in der Heinrich-Böll politische Bilanz. Mit den frauen- verlogene Scheindebatte und verdecken wohlwollend, dass Stiftung, Schumannstrasse 8 politischen SprecherInnen der sie selbst nicht vernunft-, sondern machtgesteuert agieren, Parteien Abgeordnetenhaus um von den hinter ihnen stehenden Männern nicht fallen ge- Holger Michel lassen zu werden.

Die Schlimmste vorneweg ist Kristina Schröder, die ihre eige- ne Karriere als Beleg dafür anführt, dass Frauen es auch ohne Quote schaffen. Doch tatsächlich taugtS chröder eher als Ab- schreckung denn als Vorbild: Als andere 12-jährige Mädchen die Ponyposter gegen halbnackte Boygroups austauschten, hing bei ihr ein Poster von Helmut Kohl über dem Bett, als ihre Freundinnen erstmals versuchten, sich in die Disko zu Impressum: Stachlige Argumente 33. Jahrgang Heft 1/2011 Nr. 181 • Herausgeber: Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Berlin schmuggeln, begann sie ihre Parteikarriere. Das ist legitim Redaktion (V.i.S.d.P): Ulrike Bürgel (ub), Oliver Münchhoff (om), Astrid Schmudde (as), Ronald Wenke (rw) Freie Mitarbeiter_innen: Christine Dörner, Nicole Holtz, Arne Haeger, Ursula Künning, Katrin Langenbein, Holger Michel, Amaro Piñas Müller, André Stephan und zugleich tragisch, weshalb man Frau Schröder mitleidig Chef vom Dienst: Oliver Münchhoff • Lektorat: Amaro Piñas Müller • Bildredaktion: Stephanie Weyl in den Arm nehmen möchte, um ihr im nächsten Moment Freie Mitarbeit ist jederzeit möglich, bitte einfach zu den Redaktionssitzungen kommen (i.d.R. Montags, 18:30 Uhr) trotzdem kräftig den Hintern für all diese unfassbare Dumm- Leserbriefe per e-mail: [email protected] • Redaktionsanschrift: Kommandantenstrasse 80, 10117 Berlin • fon: 615 005 0 (Zentrale) heit zu versohlen, die sich vereinfacht folgend zusammen- Wir bitten, die Beiträge per e-mail an uns zu senden • Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe ist der 2. 5. 2011 fassen lässt: Die Frau in Deutschland habe alle Chancen, sie Satz/Layout: Stephanie Weyl • Druck: Oktoberdruck © N eubauwelt Bezug: Die Stachligen Argumente erscheinen viermal jährlich. Der Preis ist für Mitglieder im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder Einzelpreis 2,10 Euro sei und bleibe nur einfach zu blöd und unmotiviert, diese zu Postgirokonto Berlin Nr. 524 66 - 103, BLZ 100 100 00 • Gedruckt auf 100% Recyclingpapier ergreifen. Die einzelnen Beiträge geben die Meinung der jeweiligen Verfasser wieder und nicht notwendiger Weise der Redaktion

50 51 Wind kann viel bewegen. Sogar Ihre E-Mails.

Nutzen Sie eigentlich erneuerbare Energien? Wenn Sie Kunde der Telekom sind, dann tun Sie es. Denn wir setzen in Deutschland ausschließlich Strom aus Windkraft, Wasserkraft und Solarenergie ein. So können Sie telefonieren oder im Internet surfen und gleichzeitig die Umwelt schonen. Das ist Ihnen zu wenig? Dann schauen Sie doch mal, was wir gemeinsam noch erreichen können: www.millionen-fangen-an.de

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