Über einige Fälle von Wortmischung im Romanischen, I. ItaL chioma, schiuma; fiutare—riflutare. i. chioma ^ schiuma. Ital chioma „Haupthaar" (daneben auch, aber seltener, die mit dem Lat. völlig identische Form comd) hat man aus einer angesetzten Deminutivform von coma : *comula> dann, mit Vokalabfall und Um- stellung del /, *cloma erklären wollen, ähnlich wieitaL faba „Märchen" ausfabula *flaba. JDiese Erklärung ist wenig befriedigend, namentlich in Anbetracht der Tatsache, dafs ein solches *comula *cloma im Lat bezw. im Roman, das einzige Beispiel einer deminutiven Ab- lei^ung von einem „Haupthaar" bedeutenden Subst sein würde.1 Mit Recht hat daher DOvidio, in einem von ital. scoglto = scopulw ausgehenden Artikel des Archivio glotl. ital. (XIII, 363), diese Er- klärung verworfen; aber die von ihm seinerseits vorgeschlagene scheint mir ebensowenig befriedigend wie jene. Er geht dabei von der Erklärung aus, die Ascoli (Arch. glott. , 399 Anmerk.) zu ital mchiostro „Tinte" (aus *inclaustrum für incaustum) gegeben hat, indem er diese, ital. Form zurückführte auf den »mflusso fonttico ehe la frequentissima forma o riduzione radicah claud-clud-, claus- cfos- esercita sopra vocaboli dt eiimologia non chiara per il popoh, nei quali sia U nucleo cud-cus-caus-.* Die hier von Ascoli gegebene Erklärung von *mcfaustrum -+ inchiostro durch eine Art Volks- etymologie, nämlich Angleichung an Wörter wie lat claustrumt &&* dere— cludere bezw. ital. chiostro, chiudere will nun DOvidio auf coma *comula *cbma —t chioma ausdehnen, indem er in der Anmerk. zu der vorhin zitierten Stelle seines Artikels über scoglio u. ä. (Arch. III» 363) bemerkt: „A chioma va es ff sä considcraziont ehe per in- chiostro faceva Ascoli ( , 399 nota), delV influsso fonetico ciot ehe la frequentissima forma o riduzione del radicale claud" dovl esercitare sopra voci di etimohgia non chiara per il volgo: al quäle influsso era ben naturale ehe soitostesse una parola semidotta come chioma.* Aber

1 Abgesehen von itä.ptluzto (daher irz.pelucht, entsprechend im Kata- lanischen und Portugiesischen) d. h. „Härchen" und auch „feiner, wollartiger Stoff", wo die deminutive Bedeutung offenbar ist, was aber bei *comula *cloma keineswegs der Fall wäre: ital. chioma bezeichnet im Gegenteil namentlich das starke oder grobe Haupthaar, daher auch die Mähne gewisser Tiere (des Löwen oder Pferdes).

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM ÜBER . . . WORTMISCHUNG DT ROMANISCHEN. 701 wenn vielleicht die von Ascoli für inchiostro befürwortete Annahme einer solchen Volksetymologie als nicht ganz unwahrscheinlich be- zeichnet werden kann, so scheint mir dagegen die von DOvidio vorgeschlagene Ausdehnung dieser Erklärung auf coma *comula *cloma chioma ganz unwahrscheinlich, da sowohl die lautliche Form wie auch, und ganz besonders, die Bedeutung des zu erklärenden ital. Wortes derjenigen des lat. Stammes claud- m. £. viel zu fern steht, um eine solche volksetymologische Mischung oder Kreuzung auch nur einigermafsen glaubhaft erscheinen zu lassen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dafs wir es hier einfach mit einer Angleichung des in Rede stehenden ital. Wortes an ital. piuma „Feder, Flaumfeder" zu tun haben, eine Bedeutung, welche der- jenigen von chioma „Haupthaar" offenbar sehr nahe steht, indem der Haarwuchs des Menschen metaphorisch, in der bildlichen Auf- fassung der Sprache, dem Gefieder der Vögel gleichgestellt wurde — dieselbe Auffassung, der z. B. auch Dante folgt, wenn er in seinem grofsen Gedicht (Purg. I, 42) den lang herabwallenden Bart des alten Cato als ^oneste piumeu bezeichnet. Dieselbe Erklärung, durch Angleichung an pluma—piuma „Flaumfeder", möchte ich nun auch für das in nordöstl. ital. Dialekten, so namentlich im Venezianischen, gegenüber dem in der Schriftsprache herrschenden tosk. spuma, vorkommende spluma oder spiuma „Schaum" vorschlagen, sowie für das gleichbedeutende, im Tosk. bezw. in der ital. Schriftspr. neben spuma vorkommende (häufiger als dies letztere gebrauchte) scJuuma, eine Form, die nach allgemeiner und ohne Zweifel richtiger Annahme durch Mischung von lat oder ital. spuma (bezw. nordöstl. dialekt. spiuma) mit dem ahd. sküm * entstanden und, wie ich annehmen möchte, aus einem nordöstl., an das deutsche Sprachgebiet angrenzenden Dialekt des Italienischen ins Toskanische bezw. in die Schriftsprache eingedrungen ist. Auch hier, wie bei dem vorhin besprochenen chioma, liegen sich ja nicht nur die lautlichen Formen, sondern auch die Be- deutungen der beiden Wörter sehr nahe: der Schaum (lat. ital. spuma) wird in bildlicher Auffassung der Flaumfeder (pluma—piuma) assi- miliert, mit welchem Begriff sich der des Schaumes durch den Mittelbegriff des Leichten, Feinen und Zarten offenbar sehr leicht verknüpfen kann; eine Wirkung dieser Assimilation liegt eben in den genannten ital. Formen spiuma — spiuma (dial.) und schiuma vor. Man vgl. übrigens hierzu Parodi, der in der Rom. (XXII, 307), und Meyer-Lübke, der in seinem Etymol. Wörterbuch (unter den Stich Wörtern sküma, spuma und *spümula) übes diese Wortformen gehandelt hat. Wie mär** ital. chioma auf ein lat. *comula zurück- geführt hat, so wollen diese beiden Forscher auch das ital. (dial.)

1 Versehentlich gibt Meyer-Lübke unter Nr. 8013 seines Roman. Etymol. Wörterbuches als Etymon des ital. schiuma „sküma (germ.)tf an: das Feminin ist ja, wie M.-L. sehr wohl weifs, nicht germanisch, sondern eine erst, im Anschluls an das Lat., vollzogene Änderung des Romanischen.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM 702 F. SETTKGAST, spluma — spivma, mit Umstellung des /, aus *spümula erklären. Die auch in der Schriftsprache üblich gewordene Form mit k führt Parodi einfach auf jenes Muster mit dem lat./ zurück (*skumula *skumla *skluma schiuma nach *spumula *spumla spluma spiumd), während Meyer-Lübke in seiner Ital. Grammatik (Leipzig 1890, S. 16) für das i von schiuma eine lautliche, auf die palatale Natur des k gegründete Erklärung (Affrikaiion, d. h. Anfügung des ent- sprechenden, hier des palatalen Spiranten, nach Verschlnfslaut: sk—+ sky) vorschlägt, die aber, in Anbetracht der neben schiuma dial. vorkommenden Form mit p (spiuma), kaum zu billigen sein dürfte. 2. Fiutare, rifiutare. Aus Mischung oder Kreuzung durch gegenseitige Angleichung erkläre ich die Form der beiden ital. Verba frutare „riechen, wittern" und rifiutare „abweisen, zurückweisen". Was zunächst das letztere betrifft, so ist von vornherein klar, dafs hier das i der zweiten Silbe (neben diesem rifiutare kommt übrigens auch die seltenere und ohne Zweifel auf gelehrter Einwirkung beruhende Wortform rifutare vor) lautlich aus dem lat. refutare nicht erklärt werden kann. Dafs es dagegen auf Angleichung an das soeben genannte fiutare beruht, hat schon Meyer-Lübke erkannt und in seinem EtymoL Wb. (s. v. refutare) ausgesprochen. Dafs aber andererseits auch fiutare durch Kreuzung mit diesem rifiutare ent- standen ist, dafs wir es also hier mit einer gegenseitigen An- gleichung der beiden Wörter zu tun haben, scheint bisher noch niemand gesehen zu haben.1 Und doch ist diese Erklärung aufser- ordentlich naheliegend, ja sie drängt sich geradezu auf, und es durfte sehr schwer sein, sie abzuweisen. Die gegenseitige Beeinflussung oder Angleichung dieser beiden ital. Verba ist, abgesehen von der Ähnlichkeit der Form, ohne

1 Ascolileitet (JKuhn's Zeitschr.f. vergleich. SprachforschungXVII,349 Anmerk.) das hier in Rede stehende \\9\. fiutare von einem angesetzten Jat. *ftavitare *flautar< „riechen", das er mit lat. *fiavor „Dult", fragare „duften11, fragum „Erdbeere" (als duftende Frucht so genannt) zusammenbringt, eine Erklärung, die Meyer-Lübke in seiner Ital. Gramm. (Leipzig 1890, S. 74) ohne weiteres übernommen, in seinem EtymoL Wb. gagegen (wo ich überhaupt ver- gebens nach einer Erklärung des \\3\.fiutare gesucht habe) nicht wiederholt hat. Seine Bemerkung s. v. Flator, dafs *flavor (d. i. das von Ascoli auf- gestellte Etymon) „vom lat. Standpunkte aus schwierig ist", deutet allerdings darauf hin, dafs er auch die von dem grofsen italienischen Gelehrten an- genommene Ableitung von *flavor, d. i. *ßavitare *flautare, als Etymon des i\.a\* fiutare mittlerweile aufgegeben hat. UncLzwar mit vollem Recht; denn jenes völlig problematische *flavor, zusamt dem abgeleiteten *flavitare *flau- tare% erscheint in der Tat zum mindesten sehr „schwierig". Einen Ersatz für die aufgegebene Ascoli'sche Erklärung des ital fiutare scheint aber M.-L. nicht gefunden zu haben; unter seinen Stichwörtern flatus, flator, flatare führt er dies i t a). Verb nicht auf. — Meiner Ansicht über die Abstammung des ital. fiutare am nächsten steht diejenige von Diez, der in seinem Wb. I, s.v. Flaute dies ital. Verb von einem lat. (von flatus „Blasen" gebildeten) *flatuare und, mit Umstellung des u, *flautare ableitet.

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Zweifel durch den Umstand hervorgerufen oder doch begünstigt worden, dafs sie in ihren Bedeutungen sich nahe berühren. Was zunächst rifutare „zurückweisen, abweisen" betrifft, so konnte es eben dieser Bedeutung wegen vom Sprachgefühl zu fiatare „blasen" = lat. ftatare gestellt und volksetymologisch -u einem Kompositum dieses ital. Verbs umgedeutet werden, indem das Zurück- oder Abweisen eines dargebotenen bezw. sich darbietenden Gegenstandes bildlich als ein Zurück-, Weg- oder Fortblasen desselben auf- gefafst wurde:1 daher die Form rifiutare > die das /der zweiten Silbe von fiatare „blasen" bezogen hat. Andererseits ist aber auch die durch den Vokal u charakteri- sierte Nebenform von fiatare „blasen", d. i. eben unser fiutare „riechen", durch Angleichung an das als Kompositum dieses Verbs aufgefafste rifiutare „abweisen" bestimmt worden, indem gerade die Berührung der beiderseitigen Bedeutungen die Mischung und, als Folge davon, die Formangleichung (u 'an Stelle von a: fiutare gegenüber dem ursprünglichen fiatare) hervorgerufen hat. Die hier, zugleich mit der Differenzierung der Form, eingetretene Differen- zierung der Bedeutung (fiutare „riechen" gegenüber fiatare „blasen") beruht m. E. darauf, dafs die durch rifiutare ausgedrückte Abstofsung oder Abweisung eines Gegenstandes von der Sprache als Folge eines durch den Geruchssinn als unangenehm empfundenen Ein- druckes aufgefafst wurde; man vgl. die volkstümliche deutsche Rede- wendung „Sie können sich nicht riechen", d. h.: sie können sich, da ihre Naturen sich gegenseitig abstofsen, gar nicht leiden, eine Wendung, die ursprünglich wohl nur in Beziehung auf Tiere, wie namentlich Hunde, dann aber, figürlich übertragen, auch in Be- ziehung auf menschliche Verhältnisse gebraucht wird. Dieser Obergang der Bedeutung von „blasen" zu „riechen" kommt übrigens in der Sprache häufig vor. Darauf weist auch Ascoli hin (Kuhn's Zeitschr. f. vgl. Sprachforsch. XVII, 348), indem er es als bekannte Tatsache hinstellt, dafs in allen Sprachen „wehen" (was ja im wesentlichen dassebe ist wie „blasen") und „riechen",

1 Auch das einfache lat. ftare „blasen" wird zuweilen, im Anschlufs an die unmittelbar daraus entwickelte: „fortblasen", zuweilen bildlich im Sinne von „zurückweisen" oder „verschmähen" g< braucht, s. Georges, Lat.-deutsches Handwörterbuch 8. Aufl., Hannover u. Leipzig 19131 s. v. /fo, z. B. rosas flare „Rosen verschmähen", bei Prudentius, Peristephanon 3, 2l, womit die bekannte deutsche Wendung „einen Stein blasen" (beim Brett- oder Damenspiel) ver- glichen werden kann, wo ja eine ähnliche Bedeutung („zurück- oder wegstoisen, beseitigen, vernichten") unter dem Bilde des Blasens ausgedrückt wird. Zu vgl. ist ferner das lat. Kompositum afßare, das, ausgehend von der ursprüng- lichen und eigentlichen Bedeutung „-ablasen", in*einigen roman. Sprachen (span. hallar^ r u m. afla] durch die Mittelbedeutungen „anstoßen", dann „be- gegnen, ttvffen" die Bedeutung „finden" angenommen hat (so ist, mit Diez, Etymol. Wb. II b, s. v. Hallar^ der sich mit Recht auf lat. offendere „an- stofsen", dann auch „finden" bcrult, die Bedtutungsentwicklung von lat. afflare im Roman, zu erklären; abzulehnen ist die von Körting, Lat.-roman. Wb. s. v. afflo, sowie auch die von Schuchardt, Zeitschr.f. roman. Phil. XX, 535 —536 aufgestellte Erklärung.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM 704 F. SKTTBGAST, d. L „duften" (einen Duft ausströmen), sich berühren. Diese letztere Bedeutung liegt aber derjenigen unseres \\.d\. fiutarc, d. h. „riechen = wittern" (durch den Geruchssinn wahrnehmen), so nahe, dafs beide Bedeutungen häufig durch ein- und dasselbe Wort bezeichnet werden, so das dtsche riechen, das ital. odorarc, wie ja auch dem lat. fragrare „riechen = duften" das frz. flairer „riechen = wittern" entspricht. Auf den im Vorstehenden beleuchteten ideellen und formalen Zusammenbang unserer beiden Verba fiulare und rifiutare mit fiatare „blasen" (lat flatare, flatus) weisen noch jetzt gewisse besondere Bedeutungen, die sich bei ihnen (bezw. dem abgeleiteten Verbalsubst.) finden. Einmal ist hier zu nennen die in den ital. Wörterbüchern (so in dem von Rigutini und Bulle, Leipzig 1896) verzeichnete technische Bedeutung von rifiutare, wonach es das Auslassen oder Ausströmen (eigentlich also das Aus- oder Fortblasen) des über- flüssigen, in einem Kessel enthaltenen Dampfes, durch ein Sicher- heitsventil, bezeichnet. Dann die bei fiuio, der substant Ableitung vonfiutare, neben der herrschenden Bedeutung „ Geruch = Witterung** vorkommende, wonach es auch die Flöte bezeichnet, eine sehr beachtenswerte Nebenbedeutung, auf die, im Anschlufs an Tommaseo's Dizionario italiano, schon Canello im Ar eh. glott. ital. , 359 hin- gewiesen hat und die doch ohne Zweifel auf die bekannte Tatsache (s. z. B. das Wörterb. von Georges) zurückzuführen ist, dafs lat. flatus neben seiner allgemeinen Bedeutung des Blasens oder Wehens auch die besondere des Blasens musikalischer Instrumente, so namentlich des Flötenblasens besitzt. Auf etwaige Beziehungen dieses ital. fiuto „Flöte" zu dem gleichbedeutenden ital. flauto (prov. sp. flauta, afrz. flaute, neufrz.^?*?/*) braucht hier nicht eingegangen zu werden: Ursprung und Wanderung dieses letzteren, für den\ Begriff der Flöte herrschenden romanischen Wortes sind, wie Meyer-Lübke in seinem Etymol. Wo. s. v. ^fta-uta hervorhebt, dunkel, und dem Etymologen, der sich mit ital. fulare und fiuto beschäftigt, fallt nicht die Aufgabe zu, das über jenem lagernde Dunkel auf- zuhellen. II. Frz. ogre (ital. orco) „menschenfressendes Ungeheuer". Dafs das ital. orco vom lat orcus „Unterwelt4* und auch per- sönlich „Gott der Unterwelttf (d. i. Pluto; an diese 'persönliche Bedeutung hat sich die des ital. nnd frz. Wortes angeschlossen)

1 Als Bedeutung dieses Wortes wird in Meyer-Lübke's Etymol. Wb. (s.v. Orcus) lediglich „Popanz" angegeben, was ungenau ist: diese Bedeutung („Popanz/", d. h. Schreckgestalt, im besondern Gestalt der abergläubischen Phantasie, womit man die Kinder zu schrecken pflegt) kommt zwar auch vor, als die eigentliche (und zugleich die herrschende) Bedeutung, wie des irz., so auch des ital. Wortes ist aber zugrunde zu legen „menschen fr essendes Ungeheuer"; Diez, a.a.O. hat die genauere Bedeutungsangabe „höllischer Dämon, menschenfressender Popanz*.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM ÜBER . . . WORTMISCHUNG IM ROMANISCHEN. 705 stammt, wird seit Diez (Wb. I, s. v. Orco) allgemein und mit Recht angenommen. Fraglich ist dagegen, ob das frz. ogre das gleiche Wort oder ob es von diesem itaL orco etymologisch zu trennen ist. Bis vor einigen Dezennien war die herrschende Meinung die, dafs die» beiden Wörter etymologisch identisch, nämlich beide vom lat orcus abzuleiten seien. Dieser von Diez aufgestellten Etymologie haben sich u. a. Scheler und Littre in ihren bekannten Wörter- büchern angeschlossen. Der letztere fugt der Wiedergabe dieser von ihm gebilligten Diezischen Erklärung des ital. und frz. Wortes noch die folgende Bemerkung hinzu: On a longtemps prltendu que „ogre" venait de „ffongrots", a cause des dtvastations'que les „Hongres" u ou nff

1 Sonderbarerweise hat K. die im wesentlichen ganz richtige Bedeutungs- angabe seines Lat.-roman. Wbuches: „Menschenfresser** im Etymol. Wb. der fr». Spr. durch die Angabe „böser Riese" -ersetzt, die nicht besser ist als die oben bemängelte des Wörterbuches von Meyer-Lübke. Zeiuchr. i. roa. Phü XXXIX. 4.5

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM 7 F. SETTEGAST, lautete. Als einen deutlichen Beweis für die Richtigkeit der alten Ableitung des frz. ogre von dem Volksnamen der Ungarn fuhrt Suchier ferner die, übrigens schon von P.Paris (Hut. litt, de France , 395) hervorgehobene Tatsache* an, dafs „in den Enfanccs Godefroi mit den Sachsen verbündet ein gewisser Ogre auftritt, der als junger Ungar bezeichnet wird". Diese alte, von Suchier wieder aufgenommene, und durch die Autorität seines Namens gedeckte Erklärung des frz. ogre ist endlich auch von Meyer-Lübke in seinem Etymol. Wb. sanktioniert worden. Derselbe hat das frz. Wort hier unter das Stich wort Ogur „Ungar" eingereiht, indem er, Gröber und Suchier folgend, über die Diezische Erklärung von ogre aus dem lat. orcus einfach mit der Bemerkung hinweggeht, dafs sie „lautlich nicht möglich ist". Ich mufs gestehen, dafs mir dieser Standpunkt weder in seinem negativen noch in seinem positiven Teil einwandfrei erscheint. Dafs die Endung des frz. ogre sich lautgesetzlich mit dem lat. orcus nicht vereinbaren läfst, ist ja allerdings nicht zu leugnen.2 Aber allein deswegen eine sonst so einleuchtende Etymologie wie die Diezische abzulehnen, scheint mir weder erforderlich noch rätlich. Dann mfifste ja ohne Zweifel von den allgemein als völlig gesichert geltenden und auch von Meyer-Lübke unbedenklich angenommenen romanischen Etymologien ein sehr bedeutender Prozentsatz, weil mit den Lautgesetzen im Widerspruch stehend, gestrichen werden. Es handelt sich in solchen Fällen doch nur darum, den Widerspruch mit den Lautgesetzen in glaubhafter Weise zu begründen, und bekanntlich gilt in sehr zahlreichen Fällen die Annahme einer Mischung oder Kreuzung des zu erklärenden Wortes mit einem formell und begrifflich nahestehenden als vollkommen ausreichende Erklärung für die Abweichung von den Lautgesetzen. Dafs aber frz. ogre ebenso wie, unzweifelhaft und unbezweifelt, ital. orco vom lat. orcus stammt, dafür spricht doch von vornherein sehr stark einmal die grofse formelle Ähnlichkeit der beiden romanischen

1 Die Stelle der Hut. litt., die Suchier hier im Auge hat, findet sich in der von P. Paris, . . . gegebenen Analyse der Enf. Godefroi (XIII. Jhd.) und lautet folgendermafsen: Entre la mort du Saxon Regnier et U mariage du Chevalier au Cygne avec Beatrix, la fille de la duckesse de Bouillon, st place un long Episode. D^abord plusieurs femmes, parentes de Pempereur, tombent entre les mains d'une troupe de et courent g r and risque pour leur honneur. Le chef de ces mauvaü gargons est un jeune Hongrois 1 nomme* Ogre, et ce mott que nous n'avons pas rencontre aüleurs darr s les anciennes chansons de geste, cpnfirme assez bien le lien qui rattacherait ogre de nos contes de ftes aux Huns ou Hongrois, qui tpouvanterent si longtemps les populations chritiennes. 1 Afrz. ogre „Orgel" = lat. organum, das vereinzelt (so in Crestien's Chev. de la Charr. V. 3534, im Reim mit dem Ländernamen Logre) vorkommt und noch jetzt dialektisch fortlebt,'befindet sich lautlich in anderem Falle: ans organum ergab sich zunächst 6rguenet dann die im afrz. Psalter vorkommende Form orgre (vgl. ordintm—wordene—vordre), endlich mit dissimilierendem Abfall des ersten r: ogre\ vgl. W. Forster in der Anmerk. zu dem genannten Verse; S. 474 seiner Ausg. des Chev. de la Charr et f.

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Wörter und dann namentlich auch ihre völlige Übereinstimmung in der Bedeutung: „menschenfressendes Scheusal". Wenn also allgemein und mit vollem Recht ital. orco vom lat orcus abgeleitet wird, so darf m. E. frz. ogre von diesem lat bezw. ital. Worte etymo- logisch nicht getrennt werden. Es liegen hier eben Wörter vor, die, wie Broal einmal gesagt hat, „une vraisemblance parlant plus kaut que les regles de la phonttique nous invite ä identißeru.l Wie dieser negative Teil des gegenwärtig hinsichtlich der Ab- leitung des frz. ogre herrschenden Standpunktes, so erscheint auch der positive keineswegs einwandfrei. Das frz. Wort soll demzufolge von Ugor oder Ogur „Ungar" stammen, und diese Ableitung soll nach Suchier allem Zweifel durch den Umstand enthoben sein, dafs in den Enfances Godefroi ein Ungar mit Namen Ogre vorkommt Mir scheint dieser Beweisgrund keineswegs genügend. Was jenen, aus den Enf. Godefroi geschöpften, im Anschlufs an P. Paris von Suchier aufgegriffenen und von ihm mit so grofser Bestimmtheit für die Ableitung des frz. ogre vom Volksnamen der Ungarn geltend gemachten Umstand betrifft, so wäre doch eine weitere Aufklärung bzw. eine genauere Feststellung desselben dringend wünschenswert gewesen, wozu ja die (erst nach jener Bemerkung von P. Paris erschienene) Ausgabe der Enf. God. eine gute Unter- lage geboten hätte. Denn gegen jene alte, von dem französischen Kritiker auf Grund einer Episode dieses afrz. Gedichtes empfohlene und von dem deutschen Gelehrten für völlig einwandfrei und be- wiesen erklärte Ableitung mufsten sich doch sehr bald die schwersten Bedenken erbeben, und zwar namentlich das folgende. In den Enf. Godefroi (übrigens richtiger als Chevalier au Cygne bezeichnet) soll, der von P. Paris gegebenen Analyse zufolge (auf die auch Suchier sich ausschliefslich gestützt zu haben scheint), ein Ungar erscheinen, der den Namen Ogrct d. h. eben „Ungar", führt, der aber hier eigentümlicherweise, wie der französische Gelehrte bemerkt („Le chef de ces mauvais garfons [seil.: d'une troupe de Saxons] est un jeune Hongrois Ogre"), als Anführer einer sächsischen Kriegerschar auftritt. Vor allen Dingen mufs man aber doch hier fragen: wie kommt es* dafs im ganzen frz. Volks- epos, wie überhaupt m. W. in der ganzen afrz. Literatur (auch Suchier, ebenso wie P. Paris, ist darüber ohne Zweifel nichts anderes bekannt gewesen, sonst hätte er sicher nicht verfehlt, darauf hin- zuweisen) der Name Ogre mit der angeblichen Bedeutung „Ungar" sich nur hier in den Enf. Godefroi (Chev. au Cygne) findet, während doch bekanntlich dieser im frz. Volksepos aufserordentiich häufig vorkommende Volksname sonst stets mit n: Hongre lautet (daneben,

1 Der Ausspruch wird von D'Ovidio im Are h. glott. ital. XIII, 367 citiert, als Stutze für seine ohne Zweifel richtige Ansicht, dafs ital. scoglio „Klippe", obwohl nach den Lautgesetzen mit lat. scopulus nicht vereinbar, doch von diesem nicht getrennt und nicht etwa, wie jemand angenommen hat. vom griech. „schräg, schief" abgeleitet werden darf. 45* Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM 7 8 F. SETTEGAST, aber nur selten, ohne das anl'ZT: Ongre, vgl. Langlois, Tablc des Noms propres, s. v. Hongre; am häufigsten ist die analogisch, nach Franfois, Anglois etc., erweiterte Form Hongrois, die ebenfalls nur mit n vorkommt)? Dies Bedenken, welches hinsichtlich des angeblich in den Enf. Godefroi (Chev. au Cygne) vorkommenden Namens Ogre, d. h. „Ungar", die Annahme fehlerhafter Oberlieferung von vornherein doch sehr nahe legt, hat mich zu weiteren Feststellungen in dieser Richtung veranlagt, und zwar mit dem folgenden Ergebnis. Die hier in Betracht kommende, von P. Paris und Suchier etymologisch verwertete Stelle des „Cycle de la Croisade" („Cycle de Godefroi de Bouillon**) findet sich im ersten Teil derjenigen Chanson de geste, welche die Vorgeschichte des ersten Kreuzzuges erzählt, nämlich zunächst die Geschichte des Grofsvaters des als Hauptheld des ersten Kreuzzuges berühmten Godefroi (d. i. des Schwanenritters Helyas), dann die Geschichte seines Vaters, Eustachius von Boulogne, und endlich die Jugendgeschichte jenes Godefroi selbst Diese Chanson de geste ist nach verschiedenen Pariser Hss. der frz. Nationalbibl. herausgegeben worden von Hippeau, in 2 Bänden, unter dem Titel: La Chanson du Chevalier au Cygne et de Godefroid de Bouiüon\ premiere partie: L· Chevalier au Cygne Paris 1874; deuxieme partie: Godefroid de Bouillon, Paris 1877. Die uns hier interessierende Episode findet sich S. 145— 146 des L Bandes dieser Ausgabe, welcher der Geschichte des Schwanenritters Helias gewidmet ist; sie ist also passenderweise als eine Episode des Chevalier au Cygne und nicht, wie F. Paris in seiner Analyse (Hist. litt, de la Fr. , 392 ff.) angibt und Suchier wiederholt hat, der Enfances Godefroi zu bezeichnen (Langlois führt in seiner Table des Noms propres diesen ersten Band der Ausgabe Hippeau's unter dem Titel Beatrix auf). Ihr Inhalt, mit Anknüpfung an das unmittelbar Vorangehende, ist in Kurze der folgende. Segart (Nom. Segars), ein Neffe des vom Schwanenritter im gerichtlichen Zweikampf besiegten und getöteten Sachsenfürsten Rcnier> welcher das Land der verwitweten Herzogin von Bouillon unrechtmäfsigerweise in Besitz genommen hatte, will seinen Oheim am Kaiser O ton, der dem Schwanenritter seine Gunst geschenkt hat, rächen. Zu diesem Zweck hat er eine dem Neffen des Kaisers, Florent, gehörige Burg, mit Namen Milesent, in Abwesenheit des Besitzers überfallen und erobert. Florenf s Gemahlin gelingt es, zu entkommen, aber ihre beiden Töchter werden von den Sachsen gefangen fortgeführt. Segart übergibt dieselben seinem Knappen („esquier" V. 3950) O/rJ, * mit dem Auftrage, sie mit einer Schar sächsischer Krieger, die er ihm zu diesem Zweck mitgibt, zu schänden. An der Spitze dieser Schar führt nun die Jungfrauen in einen nahegelegenen Wald. Die Ältere der beiden kommt, um dem

1 Die hier beginnende Otro-Episode habe ich hier unten, im Anbang II, abgedruckt, mit Hinzufügung einiger historisch·geographischer Erörterungen.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM OBER ... WORTMISCHUNG IM ROMANISCHEN. 709 schrecklichen, ihr zugedachten Schicksal zu entgehen, auf eine List: sie teilt Otro mit, dafs sie die Nichte des Kaisers ist, mit dem Hinzufügen, dafs sie, falls er sie vor der Schändung durch seine Begleiter bewahre, seine Gattin werden und ihn zu einem mäch- tigen Lehnsmann des Kaisers machen wolle. Otre geht alsbald auf dies Anerbieten ein, während die ändern darauf bestehen, ihre böse Absicht an den Jungfrauen auszuführen. Otre wehrt es ihnen mit gezücktem Schwert; alsbald erhebt sich ein Kampf, während dessen es den unbeachtet bleibenden Jungfrauen gelingt, zu ent- fliehen. Aus dieser Inhaltsangabe unserer Episode ergibt sich also, dafs, vorausgesetzt, dafs P. Paris richtig gelesen hat, der Name Ogre zwar in der von diesem Gelehrten seiner Analyse des Chevalier au Cygne (von ihm ungenau als Enfances Godefroi bezeichnet) zu Grunde gelegten Hs. vorkommt, dagegen nicht in der von Hippeau für seine Ausgabe dieses Gedichtes benutzten, welche vielmehr für Ogre die Namensform Otre (d. i. Otre} bietet Und es er- scheint mir zunächst doch entschieden rätlich, diese letztere, der Ausgabe angehörige Namensform derjenigen der Paulin'schen Analyse vorzuziehen. Das hat auch Langlois getan, der in seinen Noms propres nur den, in unserm Chev. au Cygne I (nach seiner Bezeichnung Beatrix) vorkommenden Namen Oirt, den Namen Ogre dagegen überhaupt gar nicht aufführt Auf keinen Fall er- scheint es unter den vorliegenden Umstanden angängig, die Etymo- logie des frz. ogre „Menschenfresser" auf jene Episode des Chcv. au Cygne gründen bzw. die alte Herleitung des Wortes aus dem Volksnamen der Ungarn damit stützen zu wollen. Was nun aber die in einer Hs. vorkommende und von P. Paris in seiner Analyse des Gedichtes eingesetzte Namensform Ogre be- trifft, so kann man sich ihre Entstehung aus dem als ursprünglich anzunehmenden Otre (OM) in der folgenden Weise denken. Aus dieser ursprünglichen Namensform machte zunächst ein Schreiber Ocre, eine Änderung, die ja für einen afrz. Kopisten bei der grofsen Ähnlichkeit der beiden Buchstaben / und c sehr nahe lag; aus Ocre aber machte endlich ein dritter Schreiber Ogre, indem er, ganz willkürlich, durch eine, einem mittelalterlichen Schreiber sehr wohl zuzutrauende Etymologie (eine Schreiberetymologie, auf Eine Linie zu stellen mit der so häufig zu beobachtenden Erscheinung der Volksetymologie), diesen ihm unter die Feder kommenden Namen anlehnte oder anglich an den Namen des Volkes bzw. Landes, dem nach der Angabe des von ihm abgeschriebenen Ge- dichtes der hier genannte Knappe entstammt: Hongre bzw. Hongrie\ daher, so werden wir annehmen können, stammt das g der Namens- form Ogre. Betont ist natürlich dieser Name, der hier gegebenen

1 Mit dem hier angenommenen Wechsel von /, c und vgl. man übrigens auch den Namen eines berühmten Helden des ersten Kreuzzuges, der in den diesem Zage gewidmeten Chansons de geste eine bedeutende Rolle spielt:

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Erklärung entsprechend, auf der zweiten Silbe (Ogrt), also im Gegensatz zu der Annahme von P. Paris und Suchier, wonach der in jener Episode des Chev. au Cygne vorkommende Name Ogrt, im Einklang mit dem etymologisch damit in Verbindung gebrachten frz. ogrt „Menschenfresser*4, auf der'ersten Silbe zu betonen ist Ein so betontes Ogre würde übrigens ^n den Vers 3948 des Chev. au Cygne, wie er in Hippeau's Ausgabe vorliegt (Segars apele Otrt, qui nes est de ffongrie), wie man sofort sieht, gar nicht hineinpassen. Eine geographisch-historische Deutung dieses Namens habe ich im Anhang , den man hierzu vergleichen wolle, versucht Was aber die Angabe unseres Gedichtes (Chev. au Cygne 3948: Segars apek Otri [Var. Ogre'], gut nls est de Hongrie) anbetrifft, dafs der hier genannte Knappe des Sachsenfürsten Segart aus Ungarn ge- bürtig ist — eine Angabe, die von P. Paris und Suchier überein- stimmend als eine feste Stütze der alten, von ihnen für richtig ge- haltenen Erklärung des frz. ogre aus dem Volksnamen der Ungarn betrachtet wird —, so hat dieselbe m. E. für die Etymologie dieses frz. Wortes gar nichts zu bedeuten; sie bedeutet vielmehr nur soviel, dafs der Verf. des Chev. au Cygne sich, in Obereinstimmung mit der historischen Wirklichkeit des X. und z. T. noch des XI. und XIL Jhs., die Ungarn als ein dem romisch-deutschen Kaiser feind- liches Volk vorstellte, weshalb er auch den von ihm in die Hand- lung des Gedichtes eingeführten und zu einem Ungarn gemachten Otrf (*Ocr£9 Ogrf) als Knappen des gegen den Kaiser Oton empörten Sachsenfürsten Segart bezeichnet Jene Angabe des Ge- dichtes hat ebensowenig zu bedeuten wie z. B. der Umstand, dafs in Jehan BodePs Chanson des Saisnes der Sachsenkönig GuäecKn gelegentlich, in einer Tirade, wo der Dichter einen Reim auf ois brauchte (Ausg. von Menzel und Stengel, Marburg 1906 /[= Ausg. u. Abhdl. XC1X], Tir. CLXVU, V. 4616) als Guiteclin k ffongroü be-

Tancred, ital. Tancredo, wo ganz ähnlich wie bei dem uns hier beschäftigenden Namen der dem r Torangehende Verschlußlaut in drei Formen, als c, t und g erscheint: der ursprünglichen (ital.) Nameniform mit c entspricht Tancrti (Tancrj), mit der palaulen Tennis; die in den frz. Epen herrschende Form ist dagegen Tangret oder Tangrt, mit rein lautlich zu erklärender Verände- rung (Obergang des stimmlosen in den stimmhaften Verschlußlaut durch Assimilation an die umgebenden Laute) von c zu g\ endlich kommt neben Tancrtt vereinzelt auch Tantrtt vor, eine Form, die, wie Ocrt neben Otr£, einfach paläographisch, durch die grofse Ähnlichkeit der Buchstaben c und t, zu erklären ist; man sehe über diese im frz. Volksepos vorkommenden Namens- formen jenes Helden des ersten Kreuzzuges das bekannte Namenbuch von Langlois. Da man übrigens als zum mindesten sehr wahrscheinlich anzunehmen hat, dafs einem Abschreiber des Chrv. au Cygne auch die ändern zum Kreuz- zugszyklus gehörigen Chansons de geste, mit den darin vorkommenden (oder doch wenigstens den wichtigsten) Eigennamen, bekannt gewesen sein werden, so liegt auch die Annahme nicht allzufern, dafs, abweichend von der oben für & * —+ gegebenen Erklärung (Angleichung an Hongre oder Hongrie), für die soeben genannten drei Namensformen des Knappen Segart's und namentlich die letztere, mit dem ff, das Muster eben jenes vorhin genannten Namens des Cycle de la Croisade: Tariert, Tantrt, Tangrf, mafsgebend ge- wesen ist.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM ÜBER . . . WORTMISCHUNG IM ROMANISCHEN. 711 zeichnet wird. Beide Angaben, im Chev. au .Cygne und in der Chanson des Saisnes, beweisen nur, dafs man sich die Sachsen und Ungarn als in der Feindschaft gegen den Kaiser einige und daher gelegentlich auch verbündete Völker vorstellte. Aus allen diesen Ausführungen ergibt sich, dafs die alte, bis auf Diez herrschend gewesene, von P. Paris und noch zuletzt von Suchier auf die besprochene Stelle des Chev. au Cygne gestützte Herleitung des frz. ogre „Menschenfresser" aus dem Volksnamen der Ungarn. nicht aufrecht erhalten werden kann. Mit ihrer Be- seitigung ist nun wieder die Bahn freigemacht für die von Diez an Stelle jener gesetzte und nach meiner Ansicht, allein richtige Erklärung, wonach frz. ogre ebenso wie das gleichbedeutende ital. orco vom lat. orcus „Herrscher der Unterwelt, Höllenfürst** ab- zuleiten ist. Was aber den Grund anbetrifft, der das Französische veranlafste, anstatt des nach den Lautgesetzen zu erwartenden *orc oder auch, bei etwaiger gelehrter Einmischung und darauf be- ruhender Zweisilbigkeit, *orgue, *orgue, die Form ogre, mit Um- stellung des r, zu bilden, so liegt ein solcher nahe genug: An- gleichung (sei es volkstümliche, sei es gelehrte) an eben jenen Volksnamen der Ungarn, an eben jenes ffongre, das man früher lange Zeit hindurch und dann wieder im letzten Jahrzehnt, aber, wie oben ausgeführt, mit Unrecht, für die alleinige Wurzel des frz. Wortes gehalten hat1 Neben den Ungarn durfte nun aber auch noch einem ändern Volke bzw. Volksnamen ein gewisser Anteil an der formalen Bil- dung des frz. ogre zuzusprechen sein: dem Namen der Bulgaren, frz. Bougre (== mlat Bulgarus, Pfc -i), ein bekanntlich den Ungarn ethnographisch verwandtes und geographisch benachbartes Volk, das sich im Zeitalter der Kreuzzüge durch seine kriegerische Wild- heit auch den westeuropäischen Völkern bekannt gemacht hatte und das mit den Ungarn zusammen zu denken für einen afrz. Dichter, abgesehen von den angedeuteten realen Beziehungen, um so näher b'egen mufste, als ja auch die frz. Namen der beiden Völker (Hongre — Bougre) durch die gleiche findung -gre einander ähnlich sind. Wie nahe sich diese beiden Völker in der Vorstellung der Ependichter standen, zeigt z. B. die Oxforder Fassung des afrz. Rolandsliedes* wo (V. 2922) der Kaiser Karl nach dem Verlust seines Neffen Roland, dessen Heldenarm das Frankenreich zu stützen pflegte, die schwersten Gefahren gegen dasselbe heraufziehen sieht, indem, wie er fürchtet, die von jenem Helden unterworfenen Völker sich wieder gegen die Frankenherrschaft empören werden; in erster

1 Während, wie gesagt, diesem Volksnamen Hongre wenigstens ein ge- wisser Anteil an der Bildung des frz. ogre zuzubilligen ist, darf dagegen dem von P. Paris und Suchter aus der angeführten Stelle des Chev. au Cygne ent- nommenen und zur Stütze für die alte Etymologie herangezogenen O gre „Ungar** gar kein Anteil an unserem Worte zugeschrieben werden, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil diese letztere Form des Volksnamens der Ungarn dem Französischen überhaupt völlig fremd ist.

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Linie werden aber Bunter diesen genannt die Sachsen, Ungarn und Bulgaren: Encuntre mei revelerunt U Saisne, Et Hungre ei Bugre et tonte gent averse etc. Man könnte sogar auf die Vermutung kommen, dafs der Name der Bulgaren einen stärkeren Anspruch an das frz. ogre zu stellen berechtigt sei als der Name der Ungarn. Denn von diesen letzteren hatte das frz. Volksepos, abgesehen von ihrer, z. B. in der soeben angeführten Rolandstelle hervorgehobenen Eigenschaft als Heiden und Feinde der Christenheit, keine so stark ausgesprochen ungünstige Vorstellung, dafs ihr Name als besonders geeignet hätte erscheinen müssen, an der Bildung eines, ein gräuliches, menschen- fressendes Ungeheuer bezeichnenden frz. Wortes beteiligt zu werden. Der Bulgarenname (Bougre) dagegen hat bekanntlich im Frz., wo er noch heute fortlebt, eine höchst ungünstige Bedeutung an- genommen, indem (so noch gegenwärtig) bougre als Gattungsname, nach Erlöschen der ursprünglichen ethnographischen Bedeutung (für die in der Neuzeit bekanntlich das von Gelehrten gebildete Bulgare eingetreten ist), einen sittlich gemeinen.und niederträch- tigen Menschen, einen Schuft oder Hallunken bezeichnet. Und neben dieser allgemeinen Bedeutung kommen bei dem genannten, vom Volksnamen der Bulgaren abgeleiteten frz. Worte auch einige besondere Bedeutungen vor, welche derjenigen Von ogre nicht allzu fern stehen. So die Bedeutung „Henker", in der unsenn Ausdruck „zum Henker" entsprechenden volkstümlichen Fluchinterjektion bougre! Es kann auch auf die noch im Nfrz. vorkommende, wenn auch gegenwärtig veraltete Bedeutung „Knabenschänder" hin- gewiesen werden, welche von Littre, wohl mit Recht, auf die bereits im Afrz. vorliegende Bedeutung „Ketzer" zurückgeführt wird, und zwar mit Rucksicht darauf, dafs das gmeine Volk immer und überall geneigt ist, den Angehörigen feindlicher oder ver- hafster kirchlich-religiöser Sekten unnatürliche oder grausame Laster wie Knabenschändung (aber auch, so können wir hinzufügen, Knabenschlachtung, zu rituellen Zwecken) zur Last zu legen — eine Bedeutung, die, wie man leicht sieht, derjenigen von ogre, das ein Menschen und ganz besonders auch Kinder fressendes Scheusal bezeichnet (daher ja der ogre besonders auch als Popanz oder Schreckgestalt für Kinder gilt) gar nicht sehr fern steht So werden wir also diese Betrachtungen mit dem Urteil schliefsen können, dafs es für frz. ogre „menschenfressendes Scheusal" bei der Diezischen Erklärung sein Bewenden haben mufs, wonach dies Wort mit dem lat. orcus, ital. orco zu identi- fizieren ist, indem, wie wir zur Ergänzung derselben hinzufügen können, die durch die Endung -gre charakterisierte Form des frz. Wortes durch Anlehnung an die Völkernamen der Ungarn und der Bulgaren, der Hongres und der Bougres, zu erklären ist

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM ÖB1R ... WORTMISCHUNG IM ROMANISCHEN. ^ 13

Anhang. x. Zum Vorkommen von ogre „menschenfressender Riese" im Altfrz. Unser ogre kommt im Altfrz. nur an ganz wenigen Stellen vor, die bereits von W. Förster in seinem Wörterbuch zu Crestierfs Sämtlichen Werken^ Halle 1914, sowie in der A n merk, zu Crestien's Chevalier de la Charrete, ed. Förster, V. 3534 (S. 474 der Ausg.) verzeichnet worden sind.1 Es dürfte indessen nicht überflüssig er- scheinen, wenn ich hier nochmals darauf zurückkomme, wobei ich die betreifenden Stellen wörtlich aufführen und einige Bemerkungen hinzufügen will. Es handelt sich nur um die folgenden drei Stellen: i. Ohev. de la Charrefe, ed. Förster, Halle 1899, V. 642—647. Der Dichter berichtet, dafs Lancelot und Gauvain, auf der Suche nach der von einem fremden Ritter entführten Königin Guenievre be- griffen, von einer Jungfrau, die ihnen im Walde begegnet, über das Sphicksal der Königin erfahren, dafs „Uns Chevaliers corsuz et granz, Fiz le roi de Gorre, prise. Et si el reaume mise, Don nus estranges ne retorne, Mes par force el pa'is sejorne An servitume et an essil. Für „<£ Gorre" in V. 643 hat T (Pariser Nationalbibl. 12560) „des ogres", eine Lesart, in der wir wohl nichts anderes zu er- blicken haben werden als eben unser ogre „Menschenfresser", deren Berechtigung aber hier ganz zweifelhaft ist; Förster hält sie für fehlerhaft, indem er sie, in der Anm. zu dem eben genannten Verse, darauf zurückführt, dafs hier der Schreiber von T an den V. 3533/34 desselben Gedichtes vorkommenden Reim Logres (Name eines in Britannien gelegenen Königreiches): ogres dachte, wo aber dies letztere Wort, für orgues = lat. organos stehend, „Orgel" be- deutet. — 2. In Crestien's Conte del Graal, ed. Potvin, Mons 1866, V. 7538 ff. erhält Gauvain den Auftrag, sich auf die Suche nach der wunderbaren blutenden Lanze zu machen, durch die, wie im Schicksalsbuch geschrieben steht, dereinst das Königreich Logres zerstört werden soll: Et mesire Qauwains s'en aille Quer r e la lance d

1 Godefroy bietet zu unserm Wort (im CompUment seines Dictionnaire de Varuienne langue frangaise) nur eine einzige Stelle, und zwar erst aus dem XVI. Jb., d. h, der Periode des Überganges vom Alt· zum Neu fr an- •öiischen.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM 714 F. SETTEGAST, können, dafs die vom Hrsg. zu V. 7544 verzeichnete Variante a ogres die richtige Lesart darstellt, wonach also zu übersetzen ist . .. das ganze Königreich Logres, dessen Land (Gebiet) ehemafe den ogres (d. h. den menschenfressenden Riesen) gehörte. — 3. Ii einer aus dem XI1L—XIV. Jh. stammenden Hs. von Modena, dh zum gröfsten Teil Troubadourlieder enthält, befindet sich auch eh Fragment aus dem frz. Artusroman Palamedes, bestehend in einen poetischen Briefwechsel zwischen Faramont, König von Frankreich, und dessen Lehnsherrn, dem König Meliadus, der von jenen dringend gebeten wird, dem von den Sachsen bedrängten Könif Artus von Britannien zu Hilfe zu kommen; das Fragment ist voi Jules Camus im XXXV. Bande der Revue des Langues Romane; (= IV. sorie, t. V; Jahrgang 1891, S. 231 ff.) abgedruckt worden Hier kommt, in dem Briefe Faramont's, a. a. O. S. 233, V. 97 ff» ebenfalls im Reim auf Logres ohne Zweifel unser ogre „menschen- fressender Riese" vor (a. a. O. V. 108). Die Stelle lautet folgender· mafsen: Secorez !e bon roi Ar tu, Si que par la vostre vertu LA Sesne, qui sunt esvellil^ Se truisent si descoullit (korr. desconscillit ?) Qu'il seien/ ttiit pris comme des/es. Amis, regardeZ qui vos esfes: Del mondt es/es ben la merveille, Faites que U mundes s'esveille E Jremisse in (sie) vostre venir, Par vps se puet bien maintenir Lonor del roiaume de Logres; Se tuit U Sesne estoienf ogres, &' rCauront ü a vos duree. Diese von Förster angegebenen und hier im Wortlaut mit- geteilten drei Stellen (alle drei aus Artusromanen!) sind, unserer bisherigen Kenntnis nach, im ganzen altfrz. Schrifttum die einzigen, welche unser ogre „menschenfressender Riese" enthalten. In der ersten, aus dem Chev. de la Charrete, kommt es aber nur in Einer Hs., (als zweifelhafte oder zu beanstandende Variante, vor. Das bisher bekannte und sichere Vorkommen dieses Wortes im Altfrz. beschränkt sich also 4raf die zwei Stellen aus dem Conte del Graal und dem Palamedes.

3. Die Otto-Episode des Chevalier au Cygne in ihren historisch · geographischen Beziehungen. Bei der grofsen Wichtigkeit, welche diese Episode für die zuletzt von Suchier empfohlene und als sicher erklärte, von mir dagegen angefochtene Etymologie unseres ogre „menschenfressender Riese" besitzt, habe ich es für angemessen gehalten, sie hier voll- ständig abzudrucken. Gleichzeitig habe ich Anlafs genommen, einige historisch-geographische Bemerkungen zum Namen OM sowie zwei ändern hier vorkommenden Eigennamen hinzuzufügen, in der Meinung, dafs die Erklärung derselben, wenn auch z. T. nur in indirekten Beziehungen zur Etymologie von ogre stehend, doch immerhin nicht ganz ohne Interesse sein dürfte. Die 0/r/-Episode findet sich im Chevalier au Cygne, ed. Hippeau, Paris 1874, S. 145—146, V. 3948 ff. und lautet folgendermaisen:

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Segars apele Otro, qui nes est de Hongrie; Che est .1. damoisiax, plains est de cortoisie; See esquiers estoit, en lui forment se fie. D'ambes .II. les puceles li a fait commandie: Sa volento en face, gart que ne s'en detrie. Ilueqnes pres avoit une selve foillie; Chil prent les daraoiseles, droit al bois les en guie; Plus de .C. esquiers ot en sä compaignie, N'i a cel ne soit plains de moult grant desverie. L'ainsnee des puceles ot par non Tepbanie; Quant voit, ne puet guencir qu'ele ne soit honie, En son euer se porpense d'une moult grant voisdie: Otre" ea apela, envers lui s'uraelie, £n l'oreille dist: „Se vex avoir amie, Sire frans damoisiaus, ce sachie"s sans folie, Que iestroie ä tos jours vo ferne et vostre amie, Mais que eist esquier n'aient o moi partie; Par moi avoir encor grant manantie: L'eraperere est mes oncles, qui a grant seiguorie". Tant proie la pucele que Otre^s li otrie; Mär i ara ja garde, sä foi li a plevie, Qu'ü ne le sofferra vaillissant une alie. Li antre l'ont tenn a moult grant desverie; H n'en i a J. sol qui de mal euer ne die, Ne remanroit por lui plus que por une pie. Quant Otrls l'entendi, tratst l'espee forbie, L'nn en a porfendu enfrew qu'en l'oie. Li autre Pont tenu a moult grant estotie; Dont traient les espees, et cbascuns le deffie; S'ör ne set li vassaus auques de l'escremie, Ja perdera la teste a icele enva'ie. Celes remestrent soles desor l'erbe florie; Quant les virent mesle·, et (sie; conr. ne) s'aseürcnt mk, Ea fute sont tornees, comme beste esma'ie.

In dieser O/r/-Episode des Chev. au Cygnf, sowie in der ganzen Episode, in die sie eingefügt ist und die ich als Milcsent- Episode be- zeichnen möchte, sind m. E. verschiedene Spuren gewisser hisorisch- geographischer Umstände zu erkennen, die sich auf die Regierungszeit der römisch-deutschen Kaiser Otto's . und Otto's III. beziehen — Spuren, die festzustellen nicht ohne Interesse sein durfte. M. W. hat bisher noch niemand sein Augenmerk hierauf gerichtet, und weder bei Remppis, der in seiner bekannten und sehr verdienst- lichen Schrift über Deutschland bei den altfrz. Epikern („Die Vor- stellungen von Deutschland im altfrz. Heldenepos und Romanu Halle 1911 = Beiheft zur Ztschr. /. roman. Phil. 34) namentlich S. 94—95 hierauf hätte eingehen können, noch bei Blöte, der im beeondern über den Schwanritterstoff sehr eingehende geschichtliche

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Untersuchungen veröffentlicht hat (in der Zeitschr. /. roman. Phü. XXI, 176ff.; XXV, i ff.; XXVII, i ff.; ferner in der Zeitschr. f. dtsches Altert. XLII, iff.; XL1V, 407 ff.), habe ich irgend etwas hierüber gefunden. Die historisch-geographischen Spuren der Otr&- bezw. der ganzen Miksent-Episode des Ghev. au Cygne treten vor allem in mehreren Eigennamen (Personen- bezw. Ortsnamen) hervor, zu denen auch unser Otrl gehört Von diesem möchte ich an letzter Stelle handeln; von ändern kommen hier (abgesehen von dem im ganzen Chev. au Cygne eine bedeutende Rolle spielenden Kaiser Oton, der sicher mit einem unserer drei Ottonen [wenn nicht etwa eine Verschmelzung aller dreier?], am besten aber vielleicht mit Otto II. zu identifizieren ist) einmal der Personenname Tephanie und dann der Ortsname Milesent in Betracht. Was zunächt den ersten betrifft, so wird er hier (Chev. au Cygne, ed. Hippeau, S. 145, V. 3Q57) der älteren der beiden von den Sachsen geraubten Nichten des Kaisers bdigelegt, und es erscheint ganz zweifellos, dafs er mit Theophania, dem Namen der griechischen Prinzessin zu identifizieren ist, welche die Gemahlin des Kaisers Otto's II. und Mutter Oito's III. wurde. Was aber Miksent betrifft, den Namen der von den Sachsen eroberten Burg,1 die sich im Besitz eines Neffen des Kaisers be- findet, so ist derselbe höchst wahrscheinlich mit Milceni oder Müciani zu identifizieren, das ist der Name eines an der mittleren ansässigen slavischen Volkes, der sich bis heutigen Tages mit der Form Meisten erhalten hat. Er findet sich auch (in der ursprüng- lichen Bedeutung als Volksname) im altfrz. Eolandsliedc (Oxf. Hs., V. 3221), in der auf der ersten Silbe betonten Form Micenes\ die ohne Zweifel richtige Identifikation dieses letzteren Namens mit jenem slavischen Volksnamen stammt von G. Paris, der hierüber gehandelt hat Rom. II, 331. Von diesen Mikeni^ welche den seit dem X. Jh. stark nach dem Osten drängenden Deutschen viel zu schaffen machten, bezw. der in ihrem Gebiet (das in der zweitem Hälfte jenes Jhs. zur Markgrafenschaft erhoben wurde) und zur Sicherung desselben erbauten Burg, die noch heute, stolz an der Elbe aufragend, den jenem Volk entlehnten Namen Meisten trägt,

1 Milesent kommt zwar (S. 147 der Ausg. von Hippeau) in der hier in Rede stehenden Episode des Chev. au Cygne auch als Name der Gemahlin Florent's, des Besitzers der Burg Milesent, vor, das beruht aber offenbar lediglich auf einer Unachtsamkeit des Verfassers oder Bearbeiters (der dabei an den im frz. Volksepos mehrfach vorkommenden Frauennamen Belisant denken mochte), wie solche in der altfrz. Volksepik sich bekanntlich sehr häufig finden. So z. B., gerade bei einem, uns er m Milesent aufs engste ver- wandten Namen, in mehreren Bearbeitungen des altfrz. Rnlandsliedes (P und T, s. die Ausg. von Stengel), die bei der Aufzählung der dem Admiral ge- horchenden heidnischen Volker (V. 3221) aus dem Volksnamen der Miccnts, d. h. der slavischen Milceni oder Meifsener (im Original stand ohne Zweifel, ebenso wie in der Ozf. Hs.: de Micenes als Volksname = lat. de Milcenis\ Stengel hat fehlerbafterweise diesen Namen als Ortsnamen aufgefafst und dementsprechend Micenes in Micene geändert) einen heidnischen Fürsten Mucement bezw. Mitoine gemacht haben.

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM ÜBER . . . WORTMISCHUNG IM ROMANISCHEN» 717 ist bei den Chronisten des X. und XI. Jhs. viel die Rede. Hier waltete, unter den Regierungen Otto's II. und Otto's III., Ekkehard I (f 1002), einer der ersten Markgrafen von Meifsen und einer der bedeutendsten Fürsten des Reiches, der als kraftvoller und un- ermüdlicher Vorkämpfer der kaiserlichen Gewalt eine hervorragende Rolle spielte,^ namentlich auch in den häufigen Kriegen mit den Wenden und Sorben (den „Sor&res" des Rolandsliedes) und im be- sondern den Milzenern, die sich nur widerwillig der deutschen Herrschaft fügten und sie in wiederholten Empörungen abzuschütteln suchten. So glückte es nach Otto's II. Tode (983) den slavischen Feinden, welche die durch jenes Ereignis im Reiche eingetretene Verwirrung alsbald benutzten, die Burg Meifsen zu erobern. Einige Jahre darauf wurde sie aber dem deutschen Reiche wieder zurück- gewonnen, und zwar unter der Regentschaft eben jener Frau, deren Namen das altfrz. Heldenlied vom Schwanenritter als den der älteren Tochter (Thephanie) der Herrin von Milesent, d. i. Meissen, uns nennt: Theophania, der Witwe jenes Kaisers Otto, welcher letztere Name ja ebenfalls, wie schon bemerkt, in jenem Liede als der Name des deutschen Kaisers sich erhalten hat Theophania, die nach dem Tode ihres Gemahls mit grofser Energie die Zügel der Regierung des verwaisten Reiches ergriffen katte, rüstete nämlich gegen jene slavischen Empörer einen Kriegszug, der von Erfolg gekrönt war und an dem auch ihr noch sehr jugendlicher Sohn Otto, der spätere Kaiser Otto HL, sich persönlich beteiligte. Eine Erinnerung an diese geschichtlichen Ereignisse (über die man u. a. Giesebrecht, Deutsche Kaiserzeit, I5, S. 604 und 634 vergleichen möge) haben wir m. E. in der hier in Rede stehenden Episode des Chev. au Cygne und im besondern in den beiden Eigennamen Milesent, d. i. Meissen, und Thephanie = Theophania zu erblicken. Was nun aber den in dieser Episode für uns (wegen seiner vermeintlichen Beziehungen zu der Etymologie von ogre) inter- essantesten Eigennamen, Olri (Ocre*?), betrifft, so hat man für seine Erklärung die Wahl zwischen zwei Möglichkeiten, beide beruhend auf der Identifikation jenes Personennamens mit einem slavischen Volksnamen. i. Geht man, was jedenfalls das nächstliegende ist, von der- jenigen Form des in der Milesent-Episode dem Knappen des Sachsenfürsten Segart beigelegten Namens aus, welche in der von Hippeau zu seiner Ausgabe des Chev. au Cygne benutzten Hs. vor- liegt, d. i. von der Form *, so dürfte dieser Name aus

1 Eben dieser Markgraf Ekkehard hat auch, allem Anschein nach, im frz. Volksepos eine Spur hinterlassen, denn höchst wahrscheinlich ist er es, der mit dem im Auberi^ ed. Tobler S. 143 als Sachsenherrscher erwähnten Egart gemeint ist; die Stelle wird auch von Remppis, . a. O. S. 96, zitiert, der es aber unterlassen bat, sich über die Persönlichkeit dieses Egart irgendwie aus- zusprechen. 1 Der in einigen Epen des Wilhelmskreises (s. Langlois) und, wie ich hinzufüge, im Bueve de Hanst. (Kont, II, V. 15880) vorkommende Heiden-

Brought to you by | University of California Authenticated Download Date | 6/7/15 1:19 PM • F. SSTTBGAST, ÜBER . . - WORTMISCHUNG IM ROMANISCHEN: zu erklären sein, dem Namen eines an der Ostseeküste, .zwischen den Flüssen Trave und Warnow (in den heutigen Gebieten von Lübeck und ) angesessenen slavischen Volkes, das vom J£aiser Otto I. der deutschen Herrschaft unterworfen wurde, aber 'nach dem Tode seines Sohnes und Nachfolgers Otto's II. (a. 983), also gerade in der Zeit, die auch sonst, wie wir gesehen haben, in der Milesent-Episode unseres Liedes Spuren hinterlassen hat, sich gegen die deutschen Herren empörte und, nach Zerstörung der christlichen Kirchen, das alte Heidentum wieder einführte (vgl. hierzu Giesebrecht, Deutsche Kaiserzeit I5, S. 604). Die Obotriten waren hiernach die Bundesgenossen der Mtlzener, indem diese beiden slavischen Völker sich zu gleicher Zeit, d. i. nach dem Tode des Kaisers Otto's H, gegen die deutsche Herrschaft empörten, und hierauf wird es zurückzuführen sein, dafs in der dichterischen Episode von der Eroberung der Burg Milesent (= Mikeni, heute Meisten) durch die Feinde des Kaisers Oto n auf Seiten dieser letzteren, nämlich als Knappe ihres Anführers Segart, ein junger Krieger namens Otrl = Obotrites erscheint. Was di$ Entstehung der im Chtv. au Cygne vorliegenden Namensform Otrl aus Obotrües betrifft, so wäre sie aus einer Zwischenfonn *0irites zu erklären, entstanden durch Dissimilation, nämlich Zusammenziehung der beiden ersten (durch Wiederholung des o sehr ähnlichen) Silben des Namens in Eine; vgL lat. mini- sterium -*· *mi$terium —* frz. mestür. 2. Falls, was immerhin möglich erscheint, nicht die in der Ausg. Hippean's stehende Namensform OlrS, sondern Ocrl die ursprüngliche sein sollte (daraus einerseits Otrl, durch Verwechselung von c mit /, andererseits, durch Anlehnung an den Volksnamen Hongre : Ogrt, d. i. diejenige Form, durch welche P. Paris und Suchier in die Irre geführt wurden), so wäre bei diesem Namen an die slavischen Uckrer (in der heutigen, noch jetzt ihren Namen tragenden Ucker mär k, zwischen der oberen Havel und der Oder) zu denken, welche, unter den Ottonen der deutschen Herrschaft unterworfen, sich mehrfach gegen diese empörten; sie werden von den zeitgenössischen Historikern öfter, unter dem Namen der U er i (Uckri) erwähnt; vgl. Giesebrecht, a. a. O, I, 296 und 418.

name OutrJ scheint mit dem hier in Rede stehenden identisch, durfte aber eine andere Person bezeichnen; dagegen ist der in einigen anderen Epen (Roland, Text von Cambridge, Gavfrcy, Mort de Garin) vorkommende, einem christlichen Baron bezw. Herzog gegebene Name Otrl von jenem ohne Zweifel völlig verschieden, nämlich einem dtsch. Ot-rat gleichzustellen. F. SETTEGAST.

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