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5 ‹DIE› KUNSTGESCHICHTE? Elena Bally

8 DIE DISKUSSION UM DIVERSITÄT IN HERESIES. A FEMINIST PUBLICATION ON ART AND POLITICS Elena Bally

16 COCO MADEMOISELLE Amélie Korzil

30 WARUM DAS AD HOC ’ COMMITTEE EINE QUOTE FORDERTE Kristin Brüggemann

34 LIEBER YARIN Yarin Shmerling

A–Z 38 HARD FACTS Ela Dutta

42 KÜNSTLERINNEN Zine-Kollektiv (Mara Meier)

48 KÜNSTLERINNEN-KOLLEKTIVE, KÜNSTLERISCHE BEWEGUNGEN UND PROTESTAKTIONEN (1920–1980) Zine-Kollektiv (Elena Bally)

53 DISKRIMINIERUNG IM STILLEN Amélie Korzil *Wo ist hier wo? Schweiz. Zürich. Uni. Hier und da. 54 WHERE TO START? – EIN ANFANG. Im Jahr 2018. Vicky Kiefer

*Wer wir überhaupt sind? 60 EINE HOMMAGE AN Ein temporäres Kollektiv mit Elena Bally, Kristin Brüggemann, Mara Meier Ela Dutta, Vicky Kiefer, Amélie Korzil, Mara Meier, Yarin Shmerling, die alle Teil desselben Seminars waren und daran interessiert sind, 64 #SCHWEIZPOSTKOLONIAL ihr eigenes Wissen zu dekolonisieren. Vicky Kiefer

*Worum geht es eigentlich? 69 BIBLIOGRAFIE Um die Auseinandersetzung mit Diskriminierung in der Kunstgeschichte Zine-Kollektiv (Yarin Shmerling) bis zum Alltag und der Rolle Schwarzer Künstlerinnen im 20. Jahrhundert. 73 #POLYLOG **Der Titel dieses Zines ist dem Kollektiv Where We At gewidmet, Zine-Kollektiv das mit der ersten Gruppenausstellung ausschliesslich Schwarzer Künstlerinnen, die 1971 in New York stattfand, gegründet wurde. 78 IMPRESSUM Editorial

‹DIE› KUNSTGESCHICHTE? Ein Editorial von Elena Bally

5 Die Idee eines Zines basierend auf unserem Seminarthema Where We At. Black Women Artists: 1971. Zur Geschichte afroamerikanischer Künstlerinnen begann sich im November 2017 zu konkretisieren. Ausschlaggebend war die vorangegangene Literaturrecherche für unsere Seminararbeiten, welche sich als eine äusserst anspruchsvolle und emotional aufreibende Aufgabe erwiesen hatte. Bei unserer Arbeit wurden wir mit massiven Leerstellen in den Bibliotheksbeständen, in der Forschungsliteratur selbst sowie eigenen Wissenslücken konfrontiert. Als wir dann im vergangenen November in einer kleineren Gruppe darüber sprachen, welche Inhalte aus dem Seminar im Zine aufgenommen werden sollten, kam die Idee einer Timeline auf. Die kulturell, historisch und kulturhistorisch relevanten Momente, wie auch die zentralen Publikationen, künstlerischen Werke und Ausstellungen sollten auf wenigen Seiten zusammengefasst werden und in Form eines Zeitstrahls die Ernte und Erkenntnisse aus unserer Recherchearbeit abbilden.

Die Auswahlkriterien zur Strukturierung des zusammengetragenen Materials waren allerdings nur schwer festzulegen. «Was ist denn nun relevant?», fragten wir uns, «und für wen ist es das?». Jede Selektion unsererseits brachte einen Ausschluss anderer, womöglich ebenso wichtiger Inhalte mit sich. Das Ideal der ‹Vollständigkeit› ist natürlich nicht zu erreichen, aber es schwebte als Paradigma über dem Zeitstrahl. Auf der schmalen Linie zwischen Zeitpunkt und Zeitpunkt schien kein Platz zu sein für Subjektivität. Wir begannen uns zu fragen, ob ein Format, welches nicht nur vereinfachend ist, sondern auch die Diversität im Empfinden von ‹Zeitgenossenschaft› Elena Bally Editorial

negiert, tatsächlich die angebrachte Darstellungsweise für das zu behandeln- viel mehr darin, die Konsequenzen zu reflektieren, die es nach sich zieht, de Thema sein könnte. In unserem Selbstanspruch war ja gerade enthalten, wenn ein solches Werk nach fast 70 Jahren immer noch als grundlegende nicht die normative (Kunst-)Geschichtsschreibung zu reproduzieren, sondern Orientierungshilfe, als Enzyklopädie der Kunstgeschichte aufgefasst wird. aufzuzeigen, wie diese funktioniert. Das Verständnis für strukturell und in- Nach intensiver Diskussion dieser Konsequenzen, die implizit bereits im stitutionell bedingte Leerstellen sollte vermittelbar werden, die Vorstellung Seminar geführt und dann im Zine konkret an den Visualisierungen ‹der› von Geschichte als eine kausale Kette durchbrochen. Eine Timeline wäre Kunstgeschichte aufgehängt wurde, hielten wir folgende Überlegungen diesem Anspruch jedoch weder inhaltlich noch formal gerecht geworden. als Fazit für uns fest: Wir entschieden uns also gegen eine eigene Timeline und dazu, das zusam- Das Schaffen von Künstler_innen, welche sich ausserhalb des west- mengetragene Material in einzelnen thematisch geordneten, aber ironisch lichen Kanons bewegten, bleibt missachtet, wenn die Forschung kei- gebrochenen ‹Kategorien› zu bündeln (siehe S. 31). Unser Prozess von der ne Literatur, Archiv- oder Sammlungsbestände einbezieht, die sich Timeline zur Anti-Timeline sollte jedoch im Zine sichtbar bleiben und zwar in mit diesen Werken auseinandersetzt, beziehungsweise sie über- Form einer Gegenüberstellung. Als Referenzwerk wählten wir Die Geschichte haupt erst dokumentiert. Passiert dies nicht, werden koloniale der Kunst von Ernst H. Gombrich.1 Die Publikation gilt als Standartwerk der Narrative innerhalb der Kunstgeschichte weiterhin kritik- und kommentarlos Kunstgeschichte und zählt zu den meistverkauften Kunstbüchern überhaupt. fortgeschrieben. Ferner muss mensch, um koloniale und rassifizierende Bis heute wird sie als umfassende Darstellung «der Geschichte der Kunst Etikettierungen wie ‹primitiv› oder ‹exotisch› zu dekonstruieren, neue Fra- aller Epochen und Weltgegenden von den Anfängen bis zur Gegenwart»2 genkataloge erarbeiten, die eben nicht auf identitären Annahmen über das rezipiert. Ein Buch, so lässt es sich vermuten, das praktischerweise alles konstruierte ‹Fremde› oder das ‹Weibliche› basieren. beinhaltet, was zu wissen es sich lohnt. In Gombrichs Werk finden sich Unsere ganze Diskussion um die Timeline/Anti-Timeline drehte sich im «Chronologische Tabellen»3, die einen ganzheitlichen Überblick über 5000 Prinzip um das Reden und die damit verbundene Herstellung von Kate- Jahre künstlerischen Schaffens zu vermitteln versuchen. Nun ist es leider gorisierungen, also wie mensch über etwas oder jemanden spricht, was so, dass in Gombrichs grossangelegter Übersicht nur eine einzige weisse zwar für uns als Kollektiv ein wichtiges Moment war, aber die Werke der Frau erwähnt wird!4 Künstler_innen an sich damit letztendlich unberücksichtigt liess. Es gilt also längerfristig auch diese Art von Eurozentrismus zu überwinden. Kunstwerke 6 sollten aufgrund ihres manifesten Inhalts oder ihrer Form befragt und wegen 7 Das Ideal der ‹Vollständigkeit› ihrer werkinhärenten Qualität erinnert, ausgestellt und gesammelt werden. ist natürlich nicht zu erreichen, aber es schwebte als Paradigma über dem Zeitstrahl. Auf der schmalen Linie zwischen Zeitpunkt und Zeitpunkt schien kein Platz zu sein für Subjektivität.

Es kann folglich unschwer festgestellt werden, dass Gombrichs Die Geschich- te der Kunst emblematisch für eben jene eurozentrische, von Verdrängung QUELLEN UND ANMERKUNGEN: und mangelnder Sichtbarkeit gezeichnete Kunstgeschichtsschreibung steht, die wir im Rahmen dieses Zines zu überwinden suchten. Nichtsdestotrotz 1 Gombrich, Ernst H.: Die Geschichte der Kunst. Berlin 1996 (engl. Orig. 1950). war es uns wichtig, uns gegen eine Diffamierung des Autors und den von 2 Hier zit. Ritter, Henning: Frankfurter Allgemeine (FAZ), 09.10.1996. URL: [Stand: 14.07.2018]. des Schaffens einzelner Personen gehen, sondern darum, aufzuzeigen, welche diskriminierenden gesellschaftlichen Strukturen dazu beitragen, 3 Gombrich 1996, S. 656–663. dass Schwarze Künstler_innen als Kreative wie auch als Menschen margi- 4 Siehe hierzu auch: Elkins, James: Ten Reasons Why E. H. Gombrich Is Not Connected to Art History, in: Human nalisiert wurden und werden. Der Schwerpunkt unseres Anliegens lag also Affairs, Bd. 19, Nr. 3, 2009, S. 304–310. Diskussion um Diversität

DIE DISKUSSION UM DIVERSITÄT IN HERESIES. A FEMINIST PUBLICATION ON ART AND POLITICS Text und Illustration: Elena Bally

8 9 Vor dem Hintergrund der Bewegung Frauen sprachen und damit Rassismus des Second Wave sowie der Civil aus einer Aussenperspektive definier- Rights- und Antiwar Protesten ab den frü- ten.2 Die Kritik am Second Wave Feminism hen 1960er Jahren wuchs um 1970 auch machte deutlich, dass die damalige Vor- das kollektive Bewusstsein für Geschlech- stellung einer singulären weiblichen Per- terrollen innerhalb der Kunstwelt. Im spektive nicht der Realität entsprach und Rahmen des Movements for- eine Revision der feministischen Theorie derten feministische Künstler_innen, Kri- dringend notwendig war. tiker_innen und Kunsthistoriker_innen In dieser Zeit des Paradigmenwechsels zunehmend die Anerkennung weiblicher wurde das Heresies Collective ins Leben Erfahrungswelten als legitime Grundla- gerufen. 1976 kamen in New York zwan- ge für ihr Schaffen. Dabei ging es nicht zig Frauen zusammen – darunter Lucy HERESIES um die Durchsetzung eines einheitlichen Lippard, Miriam Shapiro und Mary Beth weiblichen Stils, sondern um eine radika- Edelson –, um darüber zu diskutieren, le Neuerung im Inhalt.1 Zeitgleich mit dem wie sie als Gruppe aktiv am Feminist Art Aufkommen des Feminist Art Movements, Movement partizipieren könnten. Unter wurde auch die Kritik am Second Wave anderem wurde von einer Schule, die auf Feminism immer lauter. So warfen Women feministischer Theorie basieren würde, of Color der Bewegung eine rassistische, gesprochen. Diese Idee wurde jedoch ethnozentrische und elitäre Ausrichtung schon bald darauf zugunsten der Grün- vor. Eine Kritik von der auch das Feminist dung einer feministischen Zeitschrift Art Movement nicht ausgeschlossen war. verworfen.3 Im Januar 1977 erschien die Hinterfragt wurde, dass weisse feminis- erste Ausgabe von Heresies. A Feminist tische Künstler_innen scheinbar für alle Publication on Art and Politics. Das Kollek- Diskussion um Diversität tiv strebte darin die Untersuchung und nisation von Schwarzen, lesbischen, sozi- Auslotung der Kategorien Feminismus, alistischen Feminist_innen, die zwischen Kunst und Politik an. In jeder Folge wurde 1974 und 1980 in Boston tätig waren. Ihr ein übergeordnetes Thema aus feministi- 1977 veröffentlichtes A Black Feminist scher Perspektive behandelt. Die Auswahl Statement gilt heute als prägender Beitrag des Themas traf das Mothercollective. Die zur Geschichtsschreibung und Theoreti- Redaktion, bestehend aus Kollektiv- und sierung des Schwarzen Feminismus. In- Nichtkollektivmitgliedern bildete sich dem das Statement sowohl die sexuelle mit jeder aktuellen Ausgabe neu. Insge- Unterdrückung innerhalb der Schwar- samt trugen so über tausend Frauen zur zen Community wie auch den Rassismus Herausgabe der Zeitschrift bei.4 innerhalb der feministischen Bewegung kritisiert, thematisiert es das Konzept der Das Kollektiv war sich der Kritik seitens Mehrfachunterdrückung.7 Women of Color an der weissen feminis- Im abgedruckten Briefwechsel klagten tischen Bewegung zumindest teilweise die Mitglieder des Combahee River Collec- bewusst. Denn der Anspruch, dieses Un- tives an, dass in der Ausgabe zu Lesbian recht zu korrigieren, war von Beginn an Art and Artists (Herbst 1977) Schwarze, les- Teil seiner Bestrebungen. So heisst es im bische Künstler_innen und generell Wo- Collective Statement, das in allen 27 Aus- men of Color als politische Subjekte kom- gaben unverändert abgedruckt wurde: plett marginalisiert worden waren: «We «We hope that Heresies will stimulate find it appalling, however, that a hundred dialogue around radical political and years from now it will be possible for wo- esthetic theory, as well as generate new men to conclude, that in 1977 there were creative energies among women. It will no practicing Black or other Third World 11 be a place where diversity can be articu- lesbian artists. [...] Feminist and lesbian lated.»5 Vorläufig beschränkte sich «diver- politics and creativity are not exclusive sity» allerdings nur auf unterschiedliche property of white women.»8 Das Heresies politische Ausrichtungen sowie auf die Collective entschuldigte sich in einem sexuelle Orientierung der am Magazin Antwortschreiben und räumte ein, sich Mitwirkenden. Eine selbstkritische Ref- unbewusst einer Art «passive exclusion»9 lektion darüber, dass das Mothercollecti- schuldig gemacht zu haben und bekannte ve ausschliesslich aus weissen Frauen der sich ebenfalls dazu, nicht wirklich Kon- Mittelklasse bestand, fehlt im Collective takt zu (lesbischen) ‹Third World› Künst- Statement. Dieser Umstand limitierte ler_innen gehabt oder gesucht zu haben. fortwirkend die Inhalte des Magazins, Eine Problematik, die sich in allen bisher indem zwar multikulturelle beziehungs- erschienen Ausgaben gezeigt hatte. weise nicht-westliche Themen und Werke Inwiefern ist es Heresies also gelungen, von Women Artists of Color aufgegriffen die kritisierten Schwächen und Begren- wurden, diese aber primär von weissen zungen des Second Wave Feminism zu Frauen aus einer kunsthistorischen oder überwinden? Als Reaktion auf den Brief anthropologischen Perspektive disku- des Combahee River Collectives, betonte tiert wurden.6 Besonders deutlich wurde das Mothercollective, dass sie grundsätz- dies, als 1978 in der Ausgabe zum Thema lich alle Frauen willkommen hiessen, Women’s Traditional Arts – The Politics of die sich für das Mitwirken am Magazin Aesthetics ein Briefwechsel zwischen dem interessierten und gaben der Hoffnung Combahee River Collective und dem Her- Ausdruck, dass es in Zukunft zu einem esies Collective veröffentlicht wurde. Das vertieften Dialog mit ‹Third World Women› Combahee River Collective war eine Orga- kommen würde. Im selben Zug kündig- Elena Bally

ten sie Heresies. Third World Women Issue were frequently awkward, confusing, and (Herbst 1979) an, eine Ausgabe, an der presumptuous. Some Writers, Artists and einzig Women Artists of Color zur Partizi- Activists would not submit their work, pation angedacht wurden. viewing Heresies Collective as racist and Die Redaktion der Heresies-Ausgabe feeling the collective was using us, ma- Third World Women setzte sich unter an- king no real effort to correct the ongoing derem aus den Künstler_innen of Color situation.»12 Lula Mae Blocton und Zarina Hashimi sowie den Autor_innen Yvonne Flowers Wie bereits erwähnt, erhob Heresies und Naeemah Shabazz zusammen. Sie den Anspruch auf Transformation. Das verwendeten den Begriff ‹Third World Wo- Darbieten einer Plattform für ‹Third World men› im Bewusstsein, dass er vor allem Women Artists› bekam jedoch in diesem eines impliziert: Anderssein. Im Editorial Kontext den Anschein einer humanitä- Statement schrieben sie dazu: ren Geste. Damit wurde im Grunde ein «Third World women are other than the Bruch mit institutionalisierten Diskur- majority and the power-holding class, and sen und ästhetischen Normen verhindert we have concerns other than those of whi- und schlicht ein Abbild der hegemonia- te feminists, white artists and men.»10 Das len Realität geschaffen. Trotz dieser be- Erkennen dieses Umstands war für alle stehenden Schwierigkeiten, wurden im Redaktionsmitglieder ein Beweggrund, Editorial die exklusiven und diskriminie- sich an der Arbeit am Magazin zu betei- renden Strukturen ehrlich benannt. Die ligen. Erst diese Differenzmarkierung er- im Prozess objektivierten Frauen erhiel- laubte es ihnen, in einen intensiven Dia- ten dadurch eine eigene Stimme und das 12 log untereinander zu treten und zentrale Mothercollective wurde gezwungen, dies- Fragestellungen für die Ausgabe zu ent- bezüglich Stellung zu beziehen.13 wickeln. Ihr gemeinsames Anliegen war Die Arbeit an Heresies. Third World Wo- die Sichtbarmachung von ‹Third World men Issue. The Politics of Being Other hatte Women› und deren Narrative, welche unter deutlich gemacht, dass eine solche Sepa- anderem von Mehrfachdiskriminierung, rierung unterschiedlicher Feminismen fehlendem institutionellen Rückhalt und nicht zu einer Öffnung oder Überwin- instabilen ökonomischen Verhältnissen dung von (inneren) Grenzen beitragen erzählten.11 konnte und dass selbst ein hoch politi- Während der zweijährigen Zusam- siertes Magazin wie Heresies unbeabsich- menarbeit kam es jedoch regelmässig zu tigt rassistisches und koloniales Denken Spannungen mit dem Heresies Collective. reproduzierte. Obwohl kein Mitglied direkt an der Aus- Als 1982 Heresies. Racism is the Issue gabe mitwirkte, mischte sich das Mother- erschien, stand eine Erörterung dieser collective dennoch in die Gestaltung der offenen Konflikte immer noch aus. Die Ausgaben ein. Die Redaktion bekam ihre vereinzelten Bemühungen weiterhin mit Abhängigkeit vom Mothercollective insbe- Women of Color zusammenzuarbeiten, sondere bezüglich der finanziellen Mittel hatten nicht ausgereicht, um die zuvor be- und der sozialen Kontakte zu spüren. Das schriebenen Dissonanzen zu überwinden. indirekte Ausspielen dieser materiellen Die Kooperation bei Racism is the Issue Überlegenheit offenbarte rassistische war der erste Versuch diese Missstände und maternalistische Tendenzen seitens zu korrigieren: Sowohl Gründungs-, wie des Mothercollectives. Im Editorial State- auch Nichtkollektivmitglieder arbeiteten ment heisst es dazu: «Communications eng zusammen. Der Anspruch war ein Diskussion um Diversität

Nebeneinander und Miteinander der di- versen Feminismen zu gewährleisten. Um dem gerecht zu werden, mussten gemein- sam zentrale Begriffe neu definiert und alternative Kommunikationswege entwi- ckelt werden.14

In der gedruckten Ausgabe zeigte sich dies primär im Editorial Statement, das die Form eines transkribierten Polylogs hat. Die aufgezeichnete Diskussion dreh- te sich um die Beziehungen unter Frauen in den USA und die Frage, inwiefern diese durch Rassismus und koloniales Denken QUELLEN UND ANMERKUNGEN: geprägt worden waren. In den einzelnen 1 Vgl. Lopez, Yolanda/Roth, Moira: Social Protest. Racism Statements wurden die ambivalenten and , in: Broude, Norma/Garrard, Mary D. (Hg.): The Power of Feminist Art, New York 1996, S. 140–157. Gefühle, die diese Debatte offenbar be- stimmten, deutlich sichtbar. Diese Zwie- 2 Vgl. Morrison, Toni: What the Black Woman Thinks About Women’s Lib, in: The New York Times Magazine, 22.08.1971, spältigkeit zeigten sich insbesondere im S. 14–15 sowie S. 63–66. Oszillieren zwischen Unsicherheit und 3 Vgl. Balducci, Temma: Heresies, in: Oxford Art Online, Zuversicht. Die Diskussionsteilnehmer_ 2010. URL: [Stand: 12.11.2017]. dass die Zusammenarbeit grundsätzlich 4 Vgl. ebd. eine befriedigende Erfahrung gewesen 15 war. Das Gespräch endet mit einer Kon- 5 Vgl. Heresies Collective Statement, in: Heresies Pdf Archive (1977–1992), Heresies, Jg. 1, Nr. 1, Winter 1977, S. 1. URL: klusion von Sylvia Witts Vitale: «On the [Stand: 12.11.2017]. whole, I would say that working with this 6 Musawwir, Jennifer: I’d Like to Become a Subscriber! mixture of women’s cultures proved to be Feminist Art Journals in the US 1970–1980, in: n.paradoxa very positive for me. It restored my initial 25, Januar 2010, S. 33. good feelings about the women’s move- 7 Vgl. The Combahee River Collective: A Black Feminist ment and the need to collaborate, net- Statement (1977), in: Eisenstein, Zillah R. (Hg.): Capitalist Patriarchy and the Case for Socialist Feminism, New York 15 work and dialogue.» 1978, S. 362–372. Neben den vielen brillanten Einzelbe- 8 The Combahee River Collective, hier zit. nach: Heresies, Jg. trägen machen eben jene selbstreflexiven 1, Nr. 4, Winter 1978, S. 129.

Momente, die durch die Art der Zusam- 9 Zit. ebd. menarbeit ermöglicht wurden, die Quali- 10 tät von Heresies aus. Eine Erkenntnis, die Editorial Statement, in: Heresies, Jg. 2, Nr. 4, 1979, S. 1. sich auch auf die Gegenwart anwenden 11 Vgl. ebd. lässt. Es erfordert viel Mut, sich innerhalb 12 Zit. ebd. einer kontroversen Diskussion wirklich 13 Vgl. Morris, Catherine: Struggling for Diversity in Heresies, auf Differenzen und Widersprüche ein- in: Morris, Catherine/Hockley, Rujeko (Hg.): We Wanted A zulassen, aber mensch sollte es dennoch Revolution. Black Radical Women 1965–85. A Sourcebook, Ausst. Kat. New York: Brooklyn Museum, New York 2017, tun. S. 184–208.

14 Vgl. Meagher, Michelle: ‹Difficult, Messy, Nasty, and Sen- sational›. Feminist Collaboration on Heresies (1977–1993), in: Feminist Media Studies, Vol. 14, Nr. 4, 2014, S. 578–592.

15 Sylvia Witts Vitale, in: Heresies, Jg. 4, Nr. 3, 1982, Back Cover. COCO MADEMOISELLE

Coco Mademoiselle Amélie Korzil

schliesslich lebensechte Modelle mit Gesichtern und Haaren. Anfangs fotografierte ich alle drei Arten. Nach und nach machte ich mich nur noch auf die Suche nach den real wirkenden Puppen. Sie scheinen immerhin etwas altmodischer und seltener zu sein als die abstrakteren Figuren. Schnell wurde mir jedoch klar, dass sie alle dasselbe repräsentieren, was leider nicht so altmodisch ist. COCO Ist euch schon mal aufgefallen, dass diese realistischen Puppen alle gleich aussehen? «Ja», ist jetzt bestimmt eure Antwort. Schliesslich hat MADEMOISELLE es in der Vergangenheit bereits unzählige Aufrufe zu den Körpermassen gegeben. Bei meiner Suche sind auch schon rundere Modelle aufgetaucht. Doch das meine ich nicht. In meiner Sammlung sind die Puppen hauptsächlich weiss. Und selbst ‹hauptsächlich weiss› ist zu vage formuliert. Ich drücke mich genauer aus: Fotografien und Text: von den 500 Aufnahmen, die ich 2015 begonnen habe und die in Europa, den Vereinigten Staaten, dem Mittleren Osten sowie in Asien entstanden Amélie Korzil sind, zeigen genau drei Fotografien nicht-weisse Modelle. Ich nenne dieses Phänomen das ‹Chanel-Syndrom›. Das französische Modehaus Chanel darf in keiner teuren Einkaufsstrasse fehlen. Zumindest in den Ländern, die ich besuchte, waren die Schaufenster alle mit densel- ben Puppen ausgestattet – egal wie die Menschen vor Ort aussehen. Die Modellpuppen sind gross, dünn, weiss und haben europäische Gesichts- züge. Es ist immer derselbe Typ Frau. Der Typ, der ich nicht bin, dem ich selten über den Weg laufe und an dem ich deswegen stark zweifle, dass 28 Was hat mir das Seminar über die afroamerikanischen Künstler_innen dieser dem Durchschnitt entspricht. 29 der 1960er und 1970er Jahre wirklich gebracht? Die Veranstaltung war zwar Da sich jedes Geschäft die Puppen genau aussuchen muss, weil sie in der Kunstgeschichte ausgeschrieben, doch über Kunst habe ich nicht nicht nur teuer sind, sondern auch ein paar Jahre herhalten müssen, stellt wirklich etwas gelernt. Eher darüber, dass die Kunstgeschichtsschreibung sich nach diesem visuellen Ergebnis die Frage, ob nur eine ähnlich-aus- sehr einseitig ist. Alles was nicht in diesen Kanon passte, musste seinen sehende Kundschaft erwartet wird? Dabei ist es ja nicht so, als würden eigenen Weg finden. Mehr noch wie über Kunst, habe ich gelernt, wie nur Weisse die Kaufkraft besitzen. Ein noch schlimmerer Gedanke: haben Menschen funktionieren. Solange man sich nicht betroffen fühlt, erkennt die Verantwortlichen Angst, dass nicht-weisse Modellpuppen ihnen die man das Problem nicht oder es ist einem egal. Doch Nicht-Betroffenheit Kundschaft vergraulen würde? ist keine Ausrede dafür, etwas zu ignorieren. Wo bleibt also die Diversität in der Hautfarbe? Selbst die weltbekannte In Zeiten, wo nicht nur Barack Obama zum amerikanischen Präsidenten Barbie-Puppe hat bereits 1968 ihre erste Schwarze Freundin Christie be- gewählt wurde, sondern es auch gesellschaftlich erlaubt ist, ihm und seiner kommen. Barbie gibt es ja mittlerweile auch schon in allen erdenklichen Amtszeit nachzutrauern; in Zeiten, wo im britischen Königshaus Meghan Proportionen. Wieso ist die Repräsentation von Vielfalt auf Kinderebene Markle Herzogin geworden ist, sollte man meinen, dass die Hautfarben- so viel erfolgreicher wie im Alltagsleben der Erwachsene? Debatte zumindest im Mainstream und in der Konsumwelt abgeschlossen Interessanterweise existiert in einem anderen Bereich, wo Puppen ist. Doch der Schein trügt. Rassismus ist dort sehr wohl präsent und noch ebenfalls eine zentrale Rolle spielen, sehr wohl Diversität: Der einzige Ort, lange nicht überwunden. Er ist nur viel raffinierter geworden. wo das gesamte Konsument_innenspektrum gleichermassen angesprochen Betrachten wir beispielsweise Schaufensterpuppen einmal etwas auf- wird, ist die Sexindustrie. Man kann ihr viel vorwerfen, doch dort scheinen merksamer, wird dies ganz schnell deutlich, wie meine Foto-Arbeit zeigt. alle willkommen und werden auch alle vertreten. So schafft es gerade Schaufensterpuppen gibt es, um Ware zu präsentieren. Die Kundschaft der Ort, der sich hinter Vorhängen versteckt, für Vielfalt zu sorgen. Das soll sich von einem Schaufenster angesprochen fühlen, um tatsächlich ‹anständige› Alltagsleben hingegen schafft dies nicht. Die Sexindustrie den Schritt in den Laden zu machen und hier spielen bis heute Puppen beweist also: aus Diversität lässt sich sehr wohl Profit machen. eine grosse Rolle. Sie dienen als Hilfsstütze, sich die Kleidung am eigenen Meine Auseinandersetzung mit den Schaufensterpuppen hat gezeigt, Körper vorzustellen. dass die Modeindustrie nicht an Diversität interessiert ist und wie auf der Es gibt genau drei verschiedene Arten von Schaufensterpuppen: Figuren Konsumebene der alltägliche Rassismus auf raffinierte Art und Weise be- aus Stoff, Draht, Holz und Porzellan sowie kopflose Körperfiguren und stehen bleibt. WARUM DAS AD HOC WOMEN ARTISTS’ COMMITTEE EINE QUOTE FORDERTE Text: Kristin Brüggemann Illustration: Elena Bally

30 Die Protestkultur Ende der 1960er Jahre auflöste. Die Gruppe war eine rein von ist verankert in der Kritik an gesellschaft- Frauen formierte Protestorganisation licher Ungleichheit und mobilisierte sich und vereinte Mitglieder politischer oder gegen gesellschaftlichen und politischen feministischer Gruppen dieser Zeit, so Rassismus. Sie artikulierte sich im Femi- zum Beispiel aus der Art Workers’ Coali- nismus, in der Bürgerrechtsbewegung tion (AWC), Women Artists in Revolution sowie in linker Institutionskritik. Auch (WAR) und Women Artists and Students Künstler_innen schlossen sich in losen for Black Art Liberation (WSABAL). Grün- Protestgruppen zusammen, um ihren An- dungsmitglieder waren unter anderem liegen öffentlich Gehör zu verschaffen und die Künstlerinnen Brenda Miller, Poppy aktiv gegen rassistische und sexistische Johnson, und die Kunst- Diskriminierung innerhalb der Kunst- kritikerin und Kuratorin Lucy Lippard.3 welt vorzugehen. Im Zentrum der Kritik Unterstützt wurde die Gruppe aber auch standen Galerien, Ausstellungen und Mu- von Barbara und Michele Wallace, den seen, die sich auf die Agenda schrieben, Töchtern von Faith Ringgold, die sich in zeitgenössische Kunst auszustellen und der WSABAL-Gruppe engagierten.4 dabei vor allem Frauen und insbesondre Konkret bemängelte das Ad Hoc Com- afroamerikanische Künstlerinnen syste- mittee die kaum vorhandene Reprä- matisch aus ihrem Programm ausschlos- sentation von Frauen in den jährlichen sen.1 Eine dieser Protestgruppen war das Übersichtsausstellungen des Whitney Ad Hoc Women Artists’ Committee, welches Museum.5 Vor allem die Painting Annual sich 1970 im Zuge der Kritik an der 1969er von 1969 stiess auf Kritik, denn unter 151 Painting Annual des Whitney Museum of gezeigten Künstler_innen waren nur acht American Art New York2 gründete und Frauen – keine davon Afroamerikanerin.6 sich nach weniger als einem Jahr wieder Das Ad Hoc Committee führte deshalb Ad Hoc Women Artists‘ Committee Kristin Brüggemann

1970 im Vorfeld und während der Laufzeit damit deren Legitimation und Sichtbar- eine Auffassung des Museums als demo- nach meiner Recherche 4,9% Prozent. Vgl. dazu 1969 An- 7 nual Exhibition of Contemporary American Painting, Ausst. der Sculpture Annual über einen Zeitraum keit sowie wer und was in den Kanon der kratische Institution voraus, die nicht nur Kat. New York: Whitney Museum of American Art, New York von vier Monaten Protestaktionen gegen Kunstgeschichte eingeschrieben wird.14 nach bürgerlich geprägten ästhetischen 1969, n.p.; Das Whitney Museum selbst spricht von 151 Künstler_in- das Whitney Museum durch, um öffent- Institutionelle Sichtbarkeit führt zu Wert- Geschmacksnormen agiert, sondern nen, davon acht weiblich, das entspricht einem Prozentsatz lich auf die Diskriminierung aufmerksam schätzung innerhalb des Kunstfeldes. Sie nach demokratischen Merkmalen. von 5,3. Vgl. dazu Meller, Sarah: The Biennial and Women 8 Artists. A Look Back At Feminist Protests At The Whitney, in: zu machen. Es fanden Demonstrationen fördert eine breitere Wahrnehmung und In den folgenden Jahren wurde das Whitney Museum, Education Blog (2010). und Sit-Ins vor und im Museum statt und strahlt auch in andere Bereiche des Feldes Whitney Museum Schauplatz weiterer URL: [Stand: 03.11.2017]; es kam zur Konfrontation mit Besucher_ aus. So kommt es zum Beispiel auch zu Proteste in Bezug auf Rassismus und Se- Das Ad Hoc Committee geht von acht Frauen bei 143 Teil- innen und Passant_innen in der Umge- einer finanziellen Neupositionierung der xismus, so zum Beispiel durch die Protes- nehmer_innen aus. Vgl. Morris, Catherine/Hockley, Rujeko (Hg.): We Wanted a Revolution. Black Radical Women 1968– 9 15 bung des Museums. Im Oktober 1970 Künstler_innen. Indem also das Whit- te der Black Emergency Cultural Coalition 85. A Sourcebook, Ausst. Kat. New York: Brooklyn Museum, Durham 2017, S. 123, genau wie die New York Times siehe forderte das Ad Hoc Committee in einem ney Museum die Künstlerinnen aus der (BECC) 1968–1971 und der Guerilla Girls Glueck, Grace, Women Artists Demonstrate at Whitney, in: Brief an den Direktor der Whitney Annu- Annual ausschloss, verwehrte es ihnen 1987. 20 Bis heute hält sich die Institution The New York Times, 12.12.1970, S. 19. al eine Quote. Um eine gleichberechtigte die Chance einer gleichberechtigten Re- nicht an die Prinzipien der Quote bei der Ich werde mich im Folgenden auf die Quelle des Whitney Repräsentation von Künstlerinnen zu ge- präsentation innerhalb des Feldes. Laut Auswahl der Teilnehmenden.21 2010, also Museums beziehen. währleisten, sollten fünfzig Prozent der Lucy Lippard richtete sich das Komitee vierzig Jahre nach den Protesten, wurden 7 Anm. Die Annual lief vom zwölften Dezember 1970 bis zum siebten Februar 1971. Vgl. 1970 Annual Exhibition of Con- Künstler_innen in der Sculpture Annual explizit gegen die Whitney Annual, da zum ersten Mal geringfügig mehr Frauen temporary American Sculpture, Ausst. Kat. New York: Whit- von 1970 weiblich sein und davon wiede- Überblicksausstellungen besonders dis- als Männer bei der Whitney Biennial aus- ney Museum of American Art, New York 1970, n.p. 22 rum fünfzig Prozent afroamerikanische kriminierend gegenüber Frauen waren. gestellt. Das zeigt auf, dass die Struktu- 8 Lippard 1995, S. 43. Frauen.10 Das Whitney Museum ging teil- Diese Ausstellungen warben damit, eine ren des Kunstfeldes durchaus veränder- 9 Ebd., S. 66. weise auf die Proteste und Forderungen Zusammenfassung des Kunsttreibens der bar sind. des Komitees ein. Bei der Sculpture Annu- damaligen Zeit zu geben und ignorierten 10 Vgl. Wallace, Caroline: Exhibiting Authenticity. The Black Emergency Cultural Coalition’s Protests of Whitney Museum al 1970 wurde die Anzahl der teilnehmen- weibliche Künstlerinnen bei der Auswahl of American Art, 1968–71, in: Art Journal, Vol. 74, Nr. 2, 2015, den Künstlerinnen erhöht. Von hundert schlichtweg.16 Das Ad Hoc Women Artists’ S. 5–23. Siehe dazu auch Meller 2010. 11 32 Künstler_innen waren zwanzig Frauen. Committee sah sich selbst ebenfalls als 11 Vgl. Meller 2010. Auch hier divergieren die Zahlen. Die 33 New York Times spricht von 22 Künstlerinnen bei 122 Künst- Ausserdem wurden in den folgenden Jah- Teil dieses Feldes, wurde jedoch nicht ler_innen insgesamt, vgl. Glueck 1970, S. 19, das Ad Hoc ren Arbeiten von und Barbara innerhalb der Legitimierungsinstitution Women Artists’ Committee von 21 Frauen bei 103 Künstler_ Chase-Riboud als erste afroamerikani- repräsentiert, was zu einem Mangel an innen siehe dazu Morris/Hockley 2017, S. 123. sche Künstlerinnen im Whitney Museum Sichtbarkeit innerhalb des Feldes führte. 12 Meller 2010. 12 ausgestellt. Die Forderung der Quote Die Konstitution des Feldes ist nicht 13 Anm. Hier ist zum Beispiel die Ausstellung Where We At. und damit der ‹fairen› Repräsentation statisch, sondern entwickelt sich laut Black Women Artists von 1971 zu erwähnen. Vgl. Morris/ QUELLEN UND ANMERKUNGEN: Hockley 2017. wurde jedoch nicht erfüllt. Die Auswahl- Bourdieu durch fortwährende Kämpfe. Es kriterien der Kuratoren wurden nicht of- geht bei diesem Kampf darum die Prin- 1 Hermo, Carmen: Collective Artist Actions in New York, in: 14 Ebd., S. 99. Morris, Catherine/Hockley Rujeko (Hg.): We Wanted a Revo- fengelegt und der Auswahlprozess richte- zipien kultureller Legitimität zum Bei- lution. Black Radical Women 1968–85. A Sourcebook, Ausst. 15 Vgl. Bourdieu, Pierre/Wacant, Loïc: Reflexive Anthropologie, te sich dem Anschein nach weiterhin nach spiel innerhalb des Kunstfeldes infrage Kat. New York: Brooklyn Museum, Durham 2017, S. 115. Frankfurt 1996, S.167–168. 17 institutionell legitimierten Kriterien der zu stellen. Die Kämpfe können Verände- 2 Anm. Die Whitney Annual wurde ab dem Jahre 1932 16 Lippard 1995, S. 47. gezeigt und setzte wichtige Trends der Gegenwartskunst Kuratoren. rungen durchsetzen, wenn sie innerhalb in den USA und weltweit. Das Format das wir heute als 17 Ebd., S. 61. des Feldes auf Akzeptanz stossen.18 Das Whitney Biennial kennen, wurde zum ersten Mal im Jahr 1973 ausgetragen und wird seitdem zweijährlich präsentiert. 18 Vgl. Bourdieu/Wacant 1996, S. 137. Es stellt sich die Frage, warum es den Ad Hoc Women Artists’ Committee nutz- Vgl. Bodick, Noelle: A Brief History of the Whitney Biennial. Künstlerinnen so wichtig war, dass sie te politische Proteste, um das Kunstfeld America’s Most Controversial Art Show, in: Artspace, 19 Anm. Bourdieus Konzept des «legitimen Geschmacks» 04.03.2014. umschreibt die von Institutionen der Hochkultur (bei ihm die in der Whitney Annual repräsentiert wur- zu rekonstituieren, indem es die insti- URL: [Stand: 03.12.2017]. als bürgerlich anerkannter Geschmack verstanden wird. Vgl. Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der ihre eigene unabhängige Übersichtsaus- dementsprechend neu gestalten wollte. 3 Lippard, Lucy R.: The Pink Glass Swan. Selected Essays on gesellschaftlichen Urteilskraft, Suhrkamp, Frankfurt 1987. 13 Feminist Art, New York 1995, S. 6. stellung veranstalten können. Vor allem Dabei geht es weniger um die Legitima- 20 19 Vgl. Cahan, Susan: Mounting Frustration. The Art Museum das Kunstmuseum als Institution agiert tion durch herrschenden Geschmack , 4 Ault, Julie: Alternative Art. New York. 1965–1985. A Cultural in the Age of Black Power, Durham 2016, S. 109–170. nach dem Soziologen Pierre Bourdieu in- sondern durch die geforderte gerechte Politics Book for the Social Text Collective, Minneapolis 2012, Siehe dazu auch Wallace 2014. S. 28. nerhalb des Kunstfeldes als zentrale Ent- Repräsentation von gesellschaftlichen 21 Vgl. Whitney Museum, About (2017). URL: [Stand: 13.12.2017]. scheidungsinstanz, denn es bestimmt Verhältnissen innerhalb des Feldes, also Künstler_innen variieren je nach Quelle. Der Ausstellungs- über den Status von Künstler_innen, um eine politische Forderung. Das setzt Katalog zählt 143 Künstler_innen auf, davon sieben weiblich, 22 Vgl. Meller 2010. Anm. 2010, 29 Frauen und 26 Männer. Lieber Yarin Yarin Shmerling

LIEBER YARIN

34 Ein Brief von 35 Yarin Shmerling an Yarin Shmerling Lieber Yarin

36 A–Z A–Z HARD FACTS / DEKOLONISATION AFRIKAS MONTGOMERY BUS BOYKOTT WHITE FEMINISM (1951–1976), (1970–1980) (05.12. – 20.12.1955) UNABHÄNGIGKEIT VIELER Mit Black Feminism oder auch Intersectio- Das Feminist Art Movement (1970–1980) trug Auslöser für den Montgomery Bus Boykott AFRIKANISCHER STAATEN nal Feminism werden die Erfahrungen, die zur Sichtbarkeit und Gleichberechtigung (05.12.– 20.12.1955), der von Martin Luther Schwarze Frauen durch Sexismus, Klas- Die Dekolonisation Afrikas (1951–1976) be- von Frauen in der Kunst bei. Ebenso setzten King geleitet wurde, war Rosa Parks Weige- senunterdrückung und Rassismus erleben, zeichnet die Befreiung der Kolonien von der sich die Akteurinnen für eine Kunst ein, die rung am 5. Dezember 1955 ihren Sitzplatz beschrieben. Demgegenüber steht der Be- europäischen Besatzungsherrschaft, die für das Leben und den Erfahrungshorizont von einem Weissen im Bus zu überlassen. griff White Feminism. Hiermit werden weisse viele afrikanische Staaten der Weg in die Frauen widerspiegelt. QUELLE: Frauen beschrieben, welche die Mehrfach- Unabhängigkeit bedeutete. URL: [Stand: 15.08.2018]. diskriminierung Schwarzer Frauen nicht be- QUELLE: URL: rücksichtigen und diese Unterschiede zu Harjes, Christiane: Afrikas steiniger Weg in die Unabhängigkeit, [Stand: 15.08.2018]. 13.08.2010. URL: REVOLUTION AUF KUBA (1953–1959) QUELLE: Viele Mitglieder des Black Arts Movements Rodriguez-Cayro, Kyli: What Is White Feminism? Here Are 7 Snea- ky Ways It Shows Up Into Your Life, 19.01.2018. URL: [Stand: 15:08.2018]. Hard Facts 1959) und den Sturz des Diktators Fulgencio Batista durch Fidel Castros Organisation FIRST WAVE / (Bewegung des 26. Juli) ermutigt. DIASPORA SECOND WAVE FEMINISM QUELLE: BLACK POWER MOVEMENT Diaspora beschreibt Gruppen, welche die (CA. AB 1960–1980) Die Revolution 1958/59 auf Kuba. URL: Der First Wave Feminism war hauptsächlich [Stand: 15.08.2018]. gration aus ihrem Heimatland teilen und die Das Black Power Movement (1965–1985) auf die Aufhebung der rechtlichen Hinder- häufig eine Art von Widerstand und Hybridi- war eine Bewegung, die sich aus dem Civil nisse für die Gleichstellung der Geschlechter tät ausüben. Der Begriff steht somit auch STOKELY CARMICHAEL: Rights Movement heraus entwickelte und und das Wahlrecht ausgerichtet, wohingegen für eine geografische Entwurzelung bzw. BLACK POWER SPEECH (1966) einen Wendepunkt innerhalb der amerika- der Second Wave Feminism unter anderem Vertreibung. nischen Gesellschaft und bezogen auf das Themen wie Sexualität, Familie, Arbeitsplatz Stokely Carmichael, der Vorsitzende des Selbstverständnis der Afroamerikaner_innen QUELLE: und reproduktive Rechte in den Fokus nahm. Student Nonviolent Coordinating Comittee markiert. URL:[Stand: 15.08.2018]. QUELLE: Kroløkke, Charlotte/Sørensen Scott, Anne: There Waves of Fe- versity of California, Berkeley seine bekannte QUELLE: minism: From Suffragetts to Grrls, in: Gender Communication Black Power Speech, in der er u.a. den Kampf Odlum, Lakisha: The Black Power Movement, o.J. URL: [Stand: Oaks 2006. URL: [Stand: 15.08.2018]. ard Facts H QUELLE: URL: [Stand: 15.08.2018]. ENTSTEHUNG DER PANAFRIKANISMUS-BEWEGUNG Hard Facts (1954–1968), CIVIL RIGHTS ACT 1964, (1887–1900) WOMENS LIBERATION MOVEMENT VOTING RIGHTS ACTS 1965 (1960–1980) Das Bestreben, die wirtschaftliche und poli- Besonders wichtig während des Civil tische Zusammenarbeit aller afrikanischen HARLEM RENAISSANCE Das Womens Liberation Movement steht (CA. 1920–1930) Rights Movement (1954–1968) war die Staaten zu verstärken, wurde in der Pan- für die Gleichberechtigung und Befreiung Durchsetzung des Civil Rights Act von afrikanismus-Bewegung (1887–1990) ge- Harlem Renaissance bezeichnet eine Blüte- der Frau und gegen die patriarchale Unter- 1964 und des Voting Rights Act von 1965, prägt. Zudem wurde die Anerkennung der zeit (ca. 1920–1930) der afroamerikanischen drückung. Es wurde nicht nur rechtliche die gegen ‹Rassen›trennung und für das gemeinsamen Ethnizität, Geschichte und Errungenschaften in Kunst, Musik und Li- Gleichheit angestrebt, sondern auch die Wahlrecht von Afroamerikaner_innen kulturellen Traditionen zwischen den Be- teratur. Mittels der Künste sollte eine neue Gleichstellung auf der moralischen und standen. wohner_innen des afrikanischen Kontinents Ära des Schwarzen Bewusstseins bzw. des sozialen Ebene. und seiner Diaspora gefördert. Kollektivgedankens eingeführt werden. QUELLE: QUELLE: URL: [Stand: 15.08.2018]. QUELLE: QUELLE: of Feminism in the 1960s and 1970s, 01.08.2017. URL: rights-act/> [Stand: 15.08.2018]. 59005/panafrika> [Stand: 15.08.2018]. lem-renaissance> [Stand: 15.08.2018]. [Stand: 15.08.2018]. A–Z KÜNSTLERINNEN

EMMA AMOS KAY BROWN

Take One, 1985–87, The Devil and His Game, 1970, Schablonendruck, 103.7 x 74.3 cm Papier und Acryl­farbe (Blatt), Museum of Modern Art, auf Leinwand, 122 x 92 cm, New York. Privatsammlung.

Bei Take One handelt es sich um eine Col- Die Künstlerin Kay Brown war eine Mitbe- lage bestehend aus gerissenen Papier‑ gründerin von Where We At sowie Mitglied stücken, die teils schwarz koloriert wur- bei Weusi. Die 1970 entstandene Collage den. Auf jedes der Papiere wurde ein Drit- The Devil and His Game wurde 1985 in der tel eines gefesselten Frauenkörpers sowie Ausstellung Tradition and Conflict. Images eine der Bezeichnungen black, white oder of a Turbulent Decade 1963–1973 im Studio colored gedruckt. Unterhalb der Abbil- Museum in Harlem gezeigt. Zu sehen ist dungen steht in Rot «TAKE ONE». Die ab- der ehemalige US-Präsident Richard Nixon gebildete Frau liegt auf der Seite, die zu‑ als Teufel, welcher auf der Erde sitzt und sammengebundenen Hände sind zu Fäus‑ einen Hut mit amerikanischer Flagge trägt. ten geballt und bedecken ihr Geschlecht. Hierbei geht Brown auf Nixons Aussen- und Die Mimik und Körpersprache der Frau ist Innenpolitik ein. Gleichzeitig spielt Nixon ambivalent, der Ausdruck oszilliert zwi­- gegen Martin Luther King Jr. Schach. Die schen ängstlich und kämpferisch. Das Bild Schachfiguren stellen Schwarze Kinder dar.

kann als exemplarisch für die Auseinander- QUELLE UND WERK: setzung der Künstlerin mit Diskriminierungs- Soul of a Nation. Art in the Age of Black Power, Guide, Tate Modern 2017. URL: erfahrungen gelesen werden. [Stand: 08.07.2018]. URL: >https://www.mutualart.com/Artwork/The-Devil-and-His- QUELLE UND WERK: Game/52DF5615D6C6BBF0> [Stand: 08.07.2018]. URL: [Stand: 11.07.2018]. URL: Emma Amos [Stand: 11.07.2018]. ELIZABETH CATLETT BARBARA JONES-HOGU

Sharecropper, 1952, Relate to Your Heritage, 1971, 1968–70 gedruckt, farbiger Linoldruck Siebdruck, 86.4 x 109.2 cm, auf Japanpapier, 47 x 48.1 cm (Blatt), Brooklyn Museum, New York. Museum of Modern Art, New York. Das Werk Relate to your Heritage wird vertikal Die Grafik Sharecropper zeigt das Porträt in fünf Spalten aufgeteilt. In jeder Spalte ist einer Farmpächterin. Der Blick der Frau ist ein Kopf zu sehen, in einer sind es sogar leicht nach rechts abgewandt und sie trägt zwei und in der mittleren ein ganzer Körper. einen runden, für Farmpächter_innen typi- Die Gesichter sind nahezu ausdruckslos schen Strohhut, der sich über die ganze und die Ganzkörperfigur wurde gar ohne Breite und obere Bildhälfte erstreckt. Als Gesicht dargestellt. Dazu kommen jeweils Betrachter_in blickt man von schräg unten die Worte vom Titel «Relate», «to», «your» auf die Porträtierte, was deren starken Ge- und «Heritage» in mehrfacher Ausführung sichtsausdruck unterstreicht. Dieser Lin- vor. Die verwendeten Farben sind leuchtend oldruck steht für Catletts Bestreben, sich und in jeder Spalte präsent. Jones-Hogu für die Arbeiter_innenschicht einzusetzen. war unter anderem Gründungsmitglied der Sie fertigte den Linolschnitt 1952 in Mexiko Organisation AfriCOBRA. Ihr Werk deutet an, die meisten Abzüge entstanden jedoch auf ähnliche Themen wie Herkunft, Identität erst später. Für den Originaldruck gewann oder künstlerische Selbstbestimmung hin.

Catlett 1952 an der 11. Annual Exhibition QUELLE UND WERK: der heutigen Clark Atlanta University eine URL: [Stand: 12.07.2018]. Auszeichnung. URL: [Stand: 12.07.2018]. QUELLE UND WERK: URL: [Stand: 13.08.2018]. URL: DINDGA MCCANNON [Stand: 13.08.2018]. Revolutionary Sister, 1971, Mixed- Media Konstruktion auf Holz, 157.5 x JAE JARRELL 68.6 cm, Brooklyn Museum, New York Urban Wall Suit, 1969, gefärbte und Bei Revolutionary Sister handelt es sich um bemalte Seide, 96.5 x 53.3 x 25.4 cm, das Bildnis einer afroamerikanischen Frau. Brooklyn Museum, New York. Ein Patronengürtel verweist auf ihre Rolle als Kämpferin. Die Farbwelt verweist auf Das zweiteilige Kostüm Urban Wall Suit Farben der Freiheit «red—for the blood we wurde von der Textilkünstlerin und Desig- shed; green—for the Motherland—Africa; nerin Jae Jarrell im Jahr 1969 hergestellt. and black—for the people». McCannon kom- Inspiriert von Graffiti und Plakaten finden biniert Malerei mit Gegenständen aus dem sich darauf diverse Schriftzüge mit poli- Baumarkt. Der Kopf der Frau ragt aus der tischen Motiven. Durch die Verwendung Leinwand heraus und besteht aus recycelten der Sprache und den zu etwas Neuem Fahnenstangen. Er ist von der Freiheitsstatue arrangierten Stoffteile folgte Jarrell den inspiriert, die zwar für Freiheit steht aber nicht Ideen AfriCOBRAs. Die verschieden far- unbedingt für die der Afroamerikaner_innen. bigen und gemusterten Stoffe bilden ein Das Ziel von McCannon war es eine weibliche Mosaik wie Ziegelsteine in einer Mauer. Schwarze Kämpferin zu kreieren. QUELLE UND WERK: URL: [Stand: QUELLE UND WERK: 13.08.18]. URL: jects/210707> [Stand: 08.07.2018]. [Stand: 11.07.2018]. Jae Jarrell FAITH RINGGOLD gos der Marke Aunt Jemima zu sehen. Aunt Jamima ist das Gesicht einer amerikanischen Tar Beach (Part I from the Woman Pancake Firma und verkörpert die Stereotype on a Bridge series), 1988, Darstellung einer Schwarzen Sklavin. Da- Acryl auf Leinwand, umrandet durch wird das Bild der Sklaverei verschönt, mit bedrucktem, bemaltem, überzeichnet und die Rolle der Schwarzen gestepptem und genähtem Stoff, Frau mit Stereotypen gleichgesetzt. Saars 189.5 x 174 cm, Ziel war es, eine black heroine zu kreieren, Solomon R. Guggenheim indem sie ihrer Aunt Jamima eine Waffe in Museum, New York. die Hand gab. So konnte sie sich symbo- lisch gegen die Unterdrückung wehren und Tar Beach ist im Kontext von Ringgolds 1991 Stereotype Vorstellungen aufbrechen. veröffentlichten Kinderbuch mit demselben QUELLE UND WERK: Titel zu verorten. Nancy Spector, Chefkura- Brown, Caroline: The Black Female Body in American Literature and Art – Performing Identity, New York 2012. torin des Solomon R. Guggenheim Museums Saar, Betye, Influences, in: frieze, 27.09.2016. [online] in New York beschreibt das Werk wie folgt: «Tar Beach, the first quilt in Ringgold’s color- ful and lighthearted series entitled Women on a Bridge, depicts the fantasies of its spirited heroine and narrator Cassie Louise Lightfoot, who, on a summer night in Harlem, flies over the George Washington Bridge. ‹Sleeping on Tar Beach was magical.› explains Cassie in the text on the quilt, ‹only eight years old and in the third grade and I can fly. That means I am free to go wherever I want to for the rest of my life.› For Ringgold, this phantasmic flight through the urban night sky symbolizes the potential for freedom and self-possession. ‹My women,› proclaimed Ringgold about the Women on a Bridge series, ‹are actually fly- ing; they are just free, totally. They take their liberation by confronting this huge masculine icon—the bridge.›»

QUELLE UND WERK: URL: >https://www.guggenheim.org/artwork/3719< [Stand: 15.08.2018].

BETYE SAAR

The Liberation of Aunt Jemima, 1972, Mixed-Media Assemblage, 30 x 20 x 7 cm, Berkeley Art Museum and Pacific Film Archive, Berkeley.

Eine Keramikfigur von Aunt Jamima füllt fast die gesamte Mixed-Media Assemblage (box) aus. Im Vordergrund befindet sich eine Post- karte die wiederum Aunt Jamima mit einem schreienden wissen Kind im Arm zeigt. Im Hintergrund sind Mehrfachdrucke des Lo- Elizabeth Catlett Prozessen verknüpft und wurde erst in den Bereichen Bildender Kunst, Performance- letzten Jahren in seiner Vielfalt diskutiert. kunst, Musik, Theater, Tanz, Literatur, Mode Geprägt wurde die Bewegung vor allem in und Handwerk sowie politische Diskussions- A–Z Harlem durch den Autoren Amiri Baraka, podien wurden in diesem Rahmen veran- aber auch durch künstlerische Kollektive und staltet. Interessierte aus über 56 Ländern KÜNSTLERINNEN- Künstlerinnen wie Kay Brown oder Emma und mehr als 450 Schwarze Künstler_innen Amos. – darunter auch Faith Ringgold, Betye Saar ­KOLLEKTIVE, und Kay Brown – nahmen teil. Noch aufzu- QUELLE: Baraka, Amiri: The : Its Meaning and Poten- arbeiten sind die Details zu den Beiträgen tial, in: Nka. Journal of Contemporary African Art 29, Herbst KÜNSTLERISCHE 2011, S. 22–31. der weiblichen Künstlerinnen. Hassan, Salah M.: Remembering the Black Arts Movement, in: Nka. Journal of Contemporary African Art 29, Herbst 2011, QUELLE: BEWEGUNGEN UND S. 4–7. Falola, Toyin/Essien, Kwame (Hg.): Pan-Africanism and the Politics of African Citizenship and Identity, New York/London CAMILLE BILLOPS 2013. PROTESTAKTIONEN The International Festival Committee (Hg.): Festac’77. 2nd AND JAMES V. HATCH ARCHIVES World Black and African Festival of Arts and Culture, Lagos/ (1920–1980) (1971) London 1977. Das Künstlerpaar Camille Billops und James HARLEM RENAISSANCE V. Hatch sammelte ab den 1970er Jahren (CA. 1920–1930) Bücher, Skripte, Kunstwerke, Ausstellungs- kataloge, Poster und Manifeste afroamerika- Die Harlem Renaissance war eine von Har- AD HOC WOMEN ARTISTS’ geführt wurde, darunter Howardena Pin- nischer Künstler_innen. Der Hauptteil ihrer lem, New York ausgehende kulturelle Be- COMMITTEE (1970) dell. Im Zuge der feministischen Kämpfe Sammlung besteht jedoch aus Audio- und wegung afroamerikanischer Autor_innen nahmen sich die Künstlerinnen den Raum, Videointerviews (Oral History), welche in und Künstler_innen der 1920er bis 1930er Siehe S. 24. der ihnen bis anhin im männlich dominier- den Artist and Influence Journalen veröffent- Jahre. Auslöser für die Bewegung war die ten Kunstfeld verwehrt wurde. Die vom licht wurden. Im Jahr 2002 spendeten sie Great Migration, die Massenabwanderung AfriCOBRA (1968) Kollektiv formulierten Ziele waren u.a. die ihr Archiv der Emory University in Atlanta, afroamerikanischer Bürger_innen in den Etablierung eines professionellen und wo es seither fortlaufend digitalisiert und Norden des Landes. Im Zuge der zweiten Das interdisziplinäre Künstler_innenkollektiv permanenten Ausstellungsraums für weib- transkribiert wird. Abwanderungswelle wurde ein Zehntel der The African Commune of Bad Relevant Ar- liche Kunstschaffende und die Entstereo- afroamerikanischen Bevölkerung urbani- QUELLE: tists wurde 1968 u.a. durch Jeff Donaldson, typisierung ‹weiblicher› Kunst. Billops-Hatch Archiv-Übersicht | http://billops-hatch.library.emo- siert und Harlem etablierte sich als Zen- ry.edu Wadsworth Jarell und Barbara Jones-Hogu in QUELLE: trum der afroamerikanischen Kultur. Die Hawkins, Cynthia: Camille Billops, in: Gates, Henry Louis Jr./ A.I.R. Gallery | https://www.airgallery.org Chicago gegründet. Das Ziel war die Etablie- Brooks Higginbotham, Evelyn (Hg.): African American National Harlem Renaissance war ein Moment der rung einer neuen Black Aesthetic, um Black Biography, New York 2013, S. 543–545. Hoffnung und des Selbstvertrauens, eine Communities in der Diaspora zu stärken. BLACK ARTS MOVEMENT Verkündung der Unabhängigkeit und die 1969 entstand ihr Manifest Ten in Search (1965–1975) FEMINIST ART MOVEMENT Feier eines neuen Kollektivgeistes, der im for a Nation, das an der Wall of Respect in (1970–1980) New Negro Konzept veranschaulicht wurde. Chicago verewigt wurde. 1970 fand die erste Eine ideologische Bewegung, die in den Mittels der Künste wurde versucht eine neue Gruppenausstellung im Studio Museum in 1960er Jahren ihren Anfang nahm, als Siehe S. 6 und S. 24. Ära des Schwarzen Bewusstseins einzu- Harlem statt. Um ihre Kunst einem breiteren Schwarze Künstler_innen sich gemein- führen. Eine prägende Figur war W.E.B. Du Publikum zugänglich zu machen, fertigten sam künstlerisch und politisch organisier- FESTAC 77 – Bois, Gründungsmitglied der NAACP, eine sie massenhaft Kunst-Plakate an. ten und eine sie verbindende Kunst und SECOND WORLD BLACK AND der einflussreichsten Schwarzen Bürger-

QUELLE: Ästhetik, Black Arts und Black Aesthetic, AFRICAN FESTIVAL OF rechtsorganisationen und des Crisis-Ma- Ellsworth, Kristin L.: Africobra and the Negotiation of Visual Afro- entwickelten. Inspiriert wurde die Bewe- ARTS AND CULTURE gazins. Natürlich waren Frauen mitwirkend centrisms, in: Civilisations. Revue international d’anthropolo- gie et de sciences humaines, Bd. 58, Nr. 1, American Afrocen- gung u.a. durch die Kubanische Revolu- bspw. Jessie Fauset, Co-Redakteurin des trisisms, 2009, S. 21–38. tion (1953–1959) oder die Dekolonisation Vor dem Hintergrund der wiederaufgekom- Crisis-Magazins, doch deren Beitrag wird 18 afrikanischer Staaten im Jahr 1960. Sie menen Panafrikanismus-Bewegung in den erst seit den letzten 30 Jahren analysiert. A.I.R. GALLERY (1972) knüpft an die Harlem Renaissance an, ist von 1960er Jahren wurde 1966 das erste World panafrikanischen Ideen geprägt und gilt als Black and African Festival of Arts and Culture QUELLE: Thaggert, Miriam: Images of Black Modernism. Verbal and Die A.I.R. Gallery wurde 1972 von 20 künstlerische ‹Schwester› des Black Power in Dakar, Senegal veranstaltet. 1977 folgte Visual Strategies of the Harlem Renaissance, Amherst 2010. Künstlerinnen als erste non-profit Galerie Movements. Das Black Arts Movement war die zweite Ausgabe des Festivals in Lagos, Kirschke, Amy Helene: Women Artists of the Harlem Renaissance, Jackson 2014. gegründet, die ausschliesslich von Frauen somit von Beginn an eng mit soziopolitischen Nigeria. Diverse Events und Aktivitäten in den SPIRAL (1963–1965) kriminalisierte jegliche Verunstaltung der amerikanischen Flagge. The People’s Flag Ein Kollektiv afroamerikanischer Künst- Show wurde vom Independent Artists Flag ler_innen, welches 1963 von Emma Amos, Show Committee (Faith Ringgold, Jon Hen- Romare Bearden, Charles Alston, Nor- dricks, Jean Toche) als öffentlicher Aufruf man Lewis und Hale Woodruff gegründet zur kritischen Auseinandersetzung mit der wurde. Ein zentrales Anliegen war die Debatte organisiert. Die Ausstellung wurde Diskussion der Rolle afroamerikanischer wenige Tage nach der Eröffnung von der Künstler­_innen innerhalb der globalen Polizei geschlossen. Ringgold, Hendricks Kunstwelt, aber auch die Verhandlung ei- und Toche wurden festgenommen und zu ner potentiellen politischen Einflussnahme einer Geldstrafe verurteilt. innerhalb des Civil Rights Movements. Das QUELLE: Kollektiv organisierte eine einzige Grup- Glueck, Grace: A Strange Assortment of Flags Is Displayed at ‹People’s Show›, in: The New York Times, 10.11.1970, S. 53. penausstellung im Mai 1965 in New York Morris, Catherine/Hockley, Rujeko (Hg.): We Wanted A Revolu- mit dem Titel First Group Showing. Works tion. Black Radical Women 1965–85. A Sourcebook, Ausst. in Black and White. Die Ausstellung sollte Kat. New York: Brooklyn Museum, Durham 2017. als Reaktion auf die institutionellen Aus- schlüsse afroamerikanischer Künstler_in- WEUSI nen verstanden werden. (SWAHILI WEUSI = BLACKNESS)

QUELLE: Martin, Courtney J.: Spiral Group: 1963–1966, in: Nka. Journal Das Künstler_innenkollektiv wurde 1965 of Contemporary African Art 29, Herbst 2011, S. 86–98. vor dem Hintergrund des Black Arts Move- ment in Harlem gegründet. Zu den frühes- THE STUDIO MUSEUM ten Mitgliedern zählen u.a. Carol Blank, IN HARLEM (1968) Kay Brown und Viviane Browne. Das Ziel der Gruppe war die Erhaltung, Weiterent- Wurde 1968 in Harlem eröffnet mit dem wicklung und Förderung afrikanischer und Ziel zeitgenössische afrikanische und afroamerikanischer Kunst. Die erste Grup- afroamerikanische Kunst zu fördern, zu penausstellung fand 1968 an der Stony sammeln, zu präsentieren und zu bewah- Brook University statt. Ab 1975 organisier- ren. Damit sollte eine Plattform für den te Weusi 14 Jahre lang das Annual Harlem Austausch von Ideen über Kunst und Ge- Outdoor Festival. Ausserdem gründete sellschaft entstehen. Es war die erste der- die Gruppe 1967 die Nyumba Ya Saana artige Institution in den USA. 1971 fand Gallery und 1969 die Nyumba Ya Saana die erste Einzelausstellung von Elizabeth Academy of Fine Arts, um unabhängige Catlett im Studio Museum statt. Heute sind Ausstellungs- und Ausbildungsorte für mehr als 400 Künstler_innen in der Samm- Schwarze Künstler_innen zu schaffen. lung des Museums repräsentiert, darunter QUELLE: Augusta Savage, Betye Saar und Faith Brown, Kay: The Weusi Artists, in: Nka. Journal of Contempo- rary African Art 30, Frühling 2012, S. 60–67. Ringgold. Olugebefola, Ademola: Weusi History. Selected Highlights. Se- lected by Ademola Olugebefola with Weusi Academy Members, QUELLE: in: Nka. Journal of Contemporary African Art 30, Frühling Cahan, Susan E.: Mounting Frustration. The Art Museum in 2012, S. 68–75. the Age of Black Power, London 2016. The | http://studiomuseum.org

WHERE WE AT. BLACK WOMEN THE PEOPLE’S FLAG SHOW (1970) ARTISTS 1971 (WWA)

Die People’s Flag Show war eine Aktion Die Ausstellung Where We At. Black Women gegen die Verabschiedung des Federal Artists 1971 war die erste Gruppenausstel- Flag Protection Law von 1968, welcher eine lung, in der ausschliesslich Werke Schwarzer Reaktion auf Protestformen der Vietnam- Künstlerinnen gezeigt wurden. Konzipiert kriegsgegnerInnen war. Das neue Gesetz wurde sie von den 14 Teilnehmerinnen selbst, darunter Faith Ringgold, Dindga McCannon, Vivian E. Browne und Kay Brown sowie dem Leiter der Acts of Art Gallery in New York, Nigel Jackson. Die Ausstellung ist als Re- DISKRIMINIERUNG aktion auf das männlich dominierte Black Arts Movement und das primär weisse Femi- IM STILLEN nist Art Movement zu verstehen. Innerhalb der Ausstellung wurden Themenfelder wie Selbstrepräsentation, familiäre Strukturen Text: Amélie Korzil und Geschlechterrollen in der Black Com- munity, sowie soziopolitische Verhältnisse und der Zugang zu afrikanischen Traditionen künstlerisch reflektiert. Die Gruppe blieb Wir* wollen nicht anprangernd rüberkommen. nach dem Ende der Ausstellung als Kollektiv In gewissen Situationen ist das Anprangern aber vielleicht nötig? bestehen und engagierte sich innerhalb der Nur weil eine Gruppe homogen ist, sollte das nicht heissen, dass afroamerikanischen Community, indem sie bestimmte Themen nicht angesprochen werden. Workshops oder Kunstunterricht für Kinder in Ihre Nicht-Betroffenheit sollte keine Ausrede für das «unbewusste» Schulen und kulturellen Zentren organisierte. Wegsehen sein und auch ihre Bequemlichkeit darf keine Rechtfertigung Erst in den letzten Jahren hat WWA Aufmerk- für Diskriminierung bleiben. samkeit erhalten (u.a. in der Ausstellung We Aus UNbewusst wird nämlich viel zu schnell unBEWUSST. Wanted a Revolution. Black Radical Women, Es geht hier um die scheinheilige «Political Correctness», die heute so 1965–85, welche 2017 im Brooklyn Museum, populär geworden ist. New York gezeigt wurde).

QUELLE: Wir* wollen nicht anprangernd rüberkommen. Brown, Kay: The Emergence of Black Women Artists: The Foun- Wieso eigentlich nicht? Wieso sollten Wir* diejenigen sein, ding of Where We At, in: Nka. Journal of Contemporary African Art 29, Herbst 2011, S. 118–127. die aufpassen sollen? 53 Choi, Connie H.: Spiral, The Black Arts Movement, and Whe- Wie lässt sich sonst denken und handeln, ohne nur moralisierend re We At Black Women Artists, in: Morris, Catherine/Hockley, Rujeko (Hg.): We Wanted a Revolution Black Radical Wo- zu wirken, aber das Problem trotzdem im Kern zu benennen? men 1965–85. A Sourcebook, Ausst. Kat. New York: Brooklyn Wir* wollen die eigene Auseinandersetzung teilen, Anstösse geben Museum, Durham 2017, S. 27–32. und das Problem Rassismus benennen können. Man sollte doch keine Angst haben, öffentlich über Rassismus und auch eigenen Erfahrungen damit zu reden. Diskriminierung IST ein schwieriges Thema, das Aufmerksamkeit verlangt und angesprochen werden MUSS.

Wir* wollen nicht anprangernd rüberkommen. Natürlich nicht, aber für neue Perspektiven muss man auch etwas tun und vor allem ertragen können. Man kann sich nicht als «offen für alles» verkaufen, aber in Wahrheit für nichts bereit sein. Man kann auch nicht ÜBER allem stehen. Wir* zumindest wollen das nicht.

Unser BEWUSSTsein hat sich mit dem Zine stark geändert. Aus ZinistInnen sind wir* schnell zu ZynistInnen geworden. Beschäftigt man sich einmal mit Diskriminierung, kann man auch gar nichts anderes werden. Das hiesse nun, die letztlich einzige Erkenntnis des Zines wäre die Kapitulation vor dem Wegsehen. Wollen wir* das wirklich? Wollt ihr das wirklich? Besser wäre, dass der Zynismus nur eine erste Erkenntnisstufe ist, auf welche dann der Aktivismus folgt. Where to Start?

Damals als Studentin war ich wütend ver Collective) stehen.7 über den verengten Blick auf die Kunst- Einen besonderen Schwerpunkt bilde- geschichte und begann zu recherchieren, te die intersektionale Perspektive auf die wie ich diesen in meiner Hausarbeit auf Rolle von Women of Color innerhalb der vom Kanon ausgeschlossene Perspekti- feministischen Bewegung und ihrer Be- ven verschieben konnte. In einer Chrono- ziehung zu weissen Second Wave Feminis- logie zur feministischen Kunstbewegung tinnen, welche ihre Mehrfachdiskrimi- stiess ich auf Where We At. Black Women nierung sowohl im politischen als auch Artists, die erste Gruppenausstellung af- im künstlerischen Feld ausblendeten roamerikanischer Künstlerinnen, die und reproduzierten. Für die Kuratorin- 1971 in der Acts of Art Gallery in New nen waren u.a. künstlerische Kollektive York stattfand.3 Diese und das aus dem wie Where We At die Pfeiler von We Wan- WHERE TO START? Ausstellungsprojekt hervorgegangene ted a Revolution, womit sie auch deutlich gleichnamige Kollektiv basierten auf machen wollen, dass das gemeinschafts- – EIN ANFANG. der Initiative der Künstlerinnen Dind- orientierte und soziale Engagement der ga McCannon, Faith Ringgold, Pat Da- Künstler_innen ein bedeutender Aspekt vis und Kay Brown.4 Where We At gilt als ihres Handelns war: Meilenstein neuer Narrative, die gegen Ausschlüsse einer von kolonialen Konti- Artists such as Emma Amos, Camille Text: Vicky Kiefer nuitäten und verschiedenen Diskriminie- Billops, Linda Goode Bryant (of JAM), Be- rungsformen geprägten Ausstellungsge- verly Buchanan, Maren Hassinger, Dindga schichte anschreiben.5 McCannon (and other members of WWA), Die Ausstellung, zu der es sehr wenig Lorraine O’Grady, , Quellenmaterial gibt, war titelgebend Faith Ringgold, Betye Saar, Lorna Simpson, 55 für mein erstes Seminar Where We At. and Carrie Mae Weems, among others de- Black Women Artists: 1971. Zur Geschich- veloped significant and purposeful ap- te afroamerikanischer Künstlerinnen (HS proaches to art-making that reflected their 2017), in dem wir uns mit dem Schaffen, aesthetics, politics, and sociocultural prio- den Werken und den Kämpfen Schwar- rities.8 Das Thema meines ersten Seminars licher Kuratoren oder Kunsthistoriker zer Künstlerinnen in den Vereinigten als Dozentin sollte eine Leerstelle aus drehten. Hinsichtlich der aktuellen Prä- Staaten seit 1892, vor allem aber in den Diese verspätete Sichtbarmachung und meiner eigenen Studienzeit in Berlin an- senzen postkolonialer Veranstaltungen 1960–1970er Jahren beschäftigten.6 Sie Würdigung des Kollektivs fordert für heu- gehen – das Schaffen von Künstlerinnen oder Ausstellungen und künstlerischer wurde nun tatsächlich nach fast 50 Jah- te eine Neubetrachtung einer umfassen- of Color, welches die angebotenen Semi- Arbeiten zu Kategorien wie Race, Class, ren aus dem Archiv und dem Gedächtnis deren Ausstellungs- und Kunstgeschichte narthemen fast vollständig ausschlossen. Gender2 mag diese Einsicht nicht überra- der Künstlerinnen zurück in den Ausstel- und zugleich einer kritischen Reflexion Erst durch Diskussionen mit wenigen an- schen, spiegelte sich dennoch im univer- lungskontext geholt. Zwei Tage vor Be- der komplexen Prozesse, welche die Ge- deren Student_innen und einer Dozentin, sitären Alltag kaum bis gar nicht wider. ginn des Seminars endete die Ausstellung schichtsschreibung ausmachen. Wie sich vor allem aber durch öffentliche künst- Diese Themen in den Raum zu tragen, We Wanted a Revolution: Black Radical dies in einem Seminar umsetzen lässt, lerische und politische Auseinanderset- erscheint längst überfällig. Gleichzeitig Women, 1965–1985 im Elizabeth A. Sack- begreife ich als kontinuierliche Frage zungen, in denen auch einige der hier ist es für mich als weisse Dozentin nur ler Center for Feminist Art des Brooklyn und Herausforderung, die in den Diskus- zitierten Autor_innen seit Jahren invol- bedingt möglich, bislang verdrängtes Museum, die von Rujeko Hockley and sionen der Zine-Redaktion immer wieder viert sind, wurde mir das Ausmass dieses Wissen und damit verbundene Erfah- Catherine Morris kuratiert wurde. Die zur Sprache kam, wie auch meine eigene Ausschlusses deutlich. So vermisste ich rungen zu diskutieren, ohne bestehende Schau verweist auf politische, soziale, Position als weisse Dozentin und die der in einem Seminars zur Ausstellungsge- Hierarchien des Sprechens zu reproduzie- kulturelle und künstlerische Auseinan- Teilnehmer_innen. Recht früh im Semi- schichte Beispiele jenseits der etablierten ren. Für mich als Lehrende wurde deut- dersetzungen, die für die Radikalität nar stellte sich heraus, dass nicht nur die oder gar epochalen Museumsausstellun- lich, wie umfangreich, komplex und viel- Schwarzer Künstler_innen, Autor_innen Materiallage zum Teil sehr spärlich war, gen, aber auch Textquellen, die sich nicht schichtig diese Auseinandersetzung ist, (u.a. Toni Morrison, Audre Lorde) und sondern in mehrfacher Hinsicht eine Ba- nur um die Perspektiven weisser1, männ- weshalb ich sie hier teile. anderer Akteur_innen (u.a. Combahee Ri- sis fehlte, um sich direkt mit den Künst- Vicky Kiefer Where to Start?

lerinnen und ihren Werken auseinander- seit vielen Jahren dieses Vokabular und setzen zu können. Wissen erarbeiten. Grada Kilomba bei- Aufgrund der fehlenden Zeit und Mög- spielsweise reflektiert ihre Lehrpraxis in lichkeit, sich im Rahmen eines grossen Berlin anhand von Fragen über die kolo- Seminars intensiv und persönlich mit niale Geschichte Deutschlands und ana- den verschiedenen Fragen zu beschäfti- lysiert das Schweigen mit folgenden Wor- gen, entstand die Idee eines kollektiven ten: Zines, um genau dafür den Raum zu ge- ben – frei von Bewertung und basierend Silent, not because they cannot articulate auf der Eigeninitiative sowie der Offen- their voices or their tongues, but rather be- heit für die gemeinsame Wissensproduk- cause they do not possess that knowledge. tion aller Teilnehmer_innen. Bei einem Who knows what? Who doesn’t? And why? unserer Zine-Treffen sprachen wir rück- […] These questions are important to ask blickend über die Ambivalenz, dass das because the centre, which I refer to here as Seminarthema zwar enorm viel Interes- the academic centre, is not a neutral loca- se geweckt hatte, aber sich gleichzeitig tion. It is a white space where Black people offene Gespräche und Diskussionen mit have been denied the privilege to speak.9 der gesamten Gruppe als schwierig her- ausstellten und Unsicherheiten den Aus- Sie zeigt auf, dass nicht nur das Wissen tausch erschwerten. In der Reflektion und Vokabular fehlt, sondern, dass histo- sprachen wir auch über Momente der Ge- risch betrachtet, Schwarze Perspektiven neralisierungen und Teilnahmslosigkeit. zugunsten weisser Privilegien, eben auch Was bedeutete das im Seminar angetrof- im akademischen Feld, unterdrückt wur- 56 fene Schweigen oder Verstummen? den. Daran wird auch deutlich, dass im 57 In meinem ersten Studium der Sprach- Seminar Schwarze Stimmen fehlten und wissenschaft lernte ich, dass nur das, was das Schweigen gewissermassen auch die- in «unserer» Welt existiert, auch sprach- se Absenz markierte. Diese Überlegung lich repräsentiert würde. Die Themen, schliesst an eine Frage an, die auch in Menschen, Ereignisse, die wir im Seminar unseren Diskussionen aufkam: Wie sä- behandelten, schienen also bislang nicht hen die im Seminar diskutierten Fragen oder kaum in der Welt der Student_innen des institutionellen Rassismus bezogen zu existieren und es fehlten die Worte, auf den universitären Raum Zürichs aus? um diese zu artikulieren. Ein Studium ist Sandrine Micossé-Aikins stellt Ähnliches dazu da, neues Wissen zu erlernen, aber wie Kilomba auch für die bildende Kunst es geht auch darum, die Vorbedingungen fest. Sie skizziert dabei allerdings nicht und Rahmungen dieses Wissens stets zu nur die kolonialen, historischen Bedin- hinterfragen. Die Zurückhaltung ist in- gungen, die bis heute vorherrschende sofern nicht überraschend, da viele In- Machtgefälle, Blickregime, Diskriminie- halte für die fast ausschliesslich weisse rungen prägen, sondern auch das beson- Seminargruppe neu waren und wir Zeit dere Potential, das die Kunst als «Medium brauchten, diese zu überdenken. Diese des Widerstandes, der Transformation Sprachlosigkeit, aber auch die vorschnel- und der Ermächtigung» bietet.10 Als wir len Generalisierungen machten die Re- uns mit dem Schaffen von Künstlerinnen Black Lunch Table: We Wanted A Revolution Roundtable. Dindga McCannon er- levanz des Themas und des damit ver- wie Augusta Savage oder Faith Ringgold klärt ihre Arbeit und ihr Archiv im Brooklyn Museum während der Ausstellung We bundenen notwendigen Lernprozesses beschäftigten, wurde genau dies deutlich. Wanted a Revolution. Black Radical Women, 1965–85 nach einer Diskussionsrunde deutlich. Meine Annahmen orientieren In der späteren Diskussion stellten wir mit anderen Schwarzen Künstlerinnen anlässlich des Black Lunch Table Events am sich an zahlreichen Schwarzen Kritiken in der Zine-Gruppe fest, dass sich die 23. April 2017. und Auseinandersetzungen, die bereits wenigsten in der Schulzeit mit dem Civil Vicky Kiefer Where to Start?

Rights Movement oder dem ihm vorausge- hoffentlich andauernden Prozesses. Es Seminar und so auch das Zine, können 3 Schor, Gabriele (Hg.): Feministische Avantgarde. Kunst der 1970er-Jahre aus der Sammlung Verbund, Wien et al. 2015, gangenen Abolitionismus (historische Be- ist wichtig, auch auf das Verstummen, die hoffentlich als Anknüpfungspunkt be- S. 520. wegung für die Abschaffung der Sklaverei Frustration oder die Unmöglichkeiten des trachtet werden, das Denken gemeinsam 4 Mit dem Zusatz «Black Women Artists Inc.» Zur Gründungs- im 18. und 19. Jahrhundert) auseinander- Sprechens hinzuweisen, denn nur so ist und alltäglich zu dekolonisieren. Das be- geschichte: Brown, Kay: The Emergence of Black Women gesetzt hatten. Daneben verstärkten auch eine kontinuierliche Reflexion aufrecht- deutet auch, eigene Positionen, Privile- Artists. The Founding of «Where We At», in: Nka. Journal of Contemporary African Art 29, Herbst 2011, S. 118–127. fehlende Aufarbeitung der Geschichte der zuerhalten. Da die meisten Quellen, die gien und Machtstrukturen zu erkennen, Sklaverei und des Kolonialismus nun als uns zur Geschichte der Künstlerinnen, zu hinterfragen und ihnen entgegenzu- 5 Salah M. Hassan: From the Editor. Remembering the Black Arts Movement, in: Nka. Journal of Contemporary African Art Wissenslücken das Verstummen. Der Ver- Ausstellungen und Kollektive vorlagen, wirken, um einen umfassenderen Zugang 29, Herbst 2011, S. 6. such, innerhalb des Seminars diese Lü- lediglich ein englisches Vokabular boten, zur Kunst und den vielen gesellschaftli- 6 Das Quellenmaterial beschränkte sich zu diesem Zeitpunkt cken zu bearbeiteten, kostete Zeit – Zeit, haben wir auch Fragen der Übersetzung chen Fragen und Themen, die sie aufwirft auf wenige Artikel der letzten Jahre (International Review of African American Art und Nka. Journal of Contemporary Afri- in der wir uns eigentlich den Künstlerin- diskutiert. Von der Harlem Renaissance, und manchmal erst sichtbar macht, zu can Art). Zur weiteren Recherche wäre ein Besuch im Brook- nen und ihren Werken widmen wollten, über das Negro Movement, das Civil Rights erhalten. lyn Museum notwendig, das, wie Jessica Dallow mir schrieb, die einzigen Kopien der Kataloge besässe. die erneut bedroht waren, aus dem Fokus Movement bis hin zum künstlerisch daran zu geraten. Diese Erfahrung lässt sich an- anknüpfenden Black Arts Movement wur- 7 Morris, Catherine/Hockley, Rujeko (Hg.): We Wanted a Revoultion. Black Radical Women, 1968-85. A Sourcebook, hand von Nana Adusei-Pokus Überlegun- de deutlich, wie viele Begriffe direkt mit Ausst. Kat. New York: Brooklyn Museum, Durham 2017. Vgl. gen unter dem Titel Catch Me, If You Can! der Geschichte der People of Color in den Bell Brown, Jessica: The Black American Women Who Made Their Own Art World, in: hyperallergic, 07.08.2017. URL: als strategische zeitliche Diskriminierung USA verbunden sind. Eine Übersetzung [Stand: 07.08.2018]. nalisierung rekonstruiert und weit über erhalten, weshalb wir in manchen Fäl- die vier Wände des Seminarraums hin- len, insbesondere Selbstbezeichnungen, 8 Morris/Hockley 2017, S. 20. ausreicht: in englischer Sprache übernahmen. Das 9 Kilomba, Grada: Plantation Memories. Episodes of Ever- von Susan Arndt und Nadja Ofuatey-Ala- yday Racism, Münster 2010, S. 27. I want to point out that today’s strategic zard herausgegebene Nachschlagewerk 10 Micossé-Aikins 2011, S. 430.

58 temporal disjuncture systematically hin- Wie Rassismus aus Wörtern spricht hat uns 11 Adusei-Poku, Nana: Catch Me, If You Can!, in: Decolonising 59 ders society’s abilities to change because of als Basisliteratur begleitet, denn es half, Museums, L’Internationale Online, September 2015, S. 54– 63. URL: [Stand: 07.08.2018]. thus ideologically reproduces long-establis- Fragen zu thematisieren und sie «histo- In dieser Debatte lassen sich auch aktuelle, aber deutlich verspätete Museumsankäufe oder erste Einzelausstellun- hed power hierarchies. […] On the content risch, theoretisch, kulturell und politisch gen der besprochenen Künstlerinnengeneration kritisch level however, teaching Visual Culture, Cri- zu kontextualisieren.»12 betrachten. Das Brooklyn Museum hat nach der Ausstel- lung eine Reihe von Werken weiblicher Künstlerinnen an- tical Race, Gender, Queer and Post-colonial gekauft, allerdings sind lediglich 11 der 96 angekauften Theory constantly challenges lecturers to Nicht nur Lehrende sind dazu aufgefor- Werken von Künstlerinnen of Color. Vgl. Valentine, Victoria L.: Following a Series of Feminist Art Exhibitions, Brook- QUELLEN UND ANMERKUNGEN: fill these knowledge-gaps in the classrooms dert, ihre Positionierung kritisch zu hin- lyn Museum Announces Acquisitions, Including works by Betye Saar, Beverly Buchanan, and Emma Amos, in: cul- that the dominant Western and Eurocen- terfragen, auch die Lernenden sind, [bell] 1 Sprachlich orientiere ich mich an Arndt, Susan/Ofuatey-Ala- turetype.com, 21.06.2018. URL: [Stand: 07.08.2018]; Senga Nengudis erste term problems which the education system nen des Umstandes, dass wir alle innerhalb kritische kulturwissenschaftliche Bezeichnung zu verstehen, Einzelausstellung in Deutschland im Jahr 2018 in der Gale- nicht als biologische, denn es verdeutlicht (europäische) Pri- produces, by not privileging expansive and von gesellschaftlichen Kontexten soziali- rie Sprüth Magers (Berlin). Vgl. Pressemitteilung der Galerie vilegien. Sie kann im Rahmen der kritischen Weissseinsfor- URL: [Stand: 07.08.2018]. tulatory learning environments.11 terosexistische, allgemein gesprochen, dis- Jahren entwickelt, die Teil der Forschung zu Rassismus und Postcolonial Studies ist, verortet werden. Das im weiteren 12 Arndt/Ofuatey-Alazard 2011, S. 12. kriminierende Strukturen aufweisen. Dies Textverlauf grossgeschriebene ‹Schwarz› verweist darauf, dass es sich auch hier um eine gesellschaftliche Begriffs- Um den Anstoss zu geben, sich für das unabhängig davon, ob wir marginalisierte 13 Kazeem-Kaminski, Belinda: Engaged Pedagogy. Antidis- konstruktion handelt, die jedoch eine (politische) Selbstbe- kriminatorisches Lehren und Lernen bei bell hooks, Wien Thema und die Auseinandersetzung zu oder hegemoniale Positionen einnehmen zeichnung Schwarzer Menschen ist, welche sich von kolo- 2016, S. 103. 13 nialen und rassistischen Bezeichnungen abgrenzen. öffnen, musste ich mir auch meine eige- […] 14 Vgl. ebd. S. 89. nen Grenzen eingestehen. Das Seminar 2 Vgl. Micossé-Aikins, Sandrine: Stichwort ‹Kunst›, in: Arndt/ war schliesslich ein gemeinsamer Pro- Belinda Kazeem-Kaminski hält fest, Ofuatey-Alazard 2011, S. 427; Kunst muss nicht um soziale Fragen kreisen, im Interview mit Marc Neu- ABBILDUNG: zess, eine Sprache und Auseinanderset- dass diese Positionierungen weit über das mann, in: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 27.06.2018. URL: [Stand: 07.08.2018]. Revolution_Roundtable_02.jpg>[Stand: 12.08.2018]. EINE HOMMAGE AN ELIZABETH CATLETT

TEXT UND ILLUSTRATIONEN: MARA MEIER

Elizabeth Catlett war eine afroamerika- ten Catletts Arbeit nachhaltig und bekräf- nische Künstlerin, die vor allem für ihre tigten sie weiter sozialkritische und poli- Skulpturen und Linolschnitte bekannt tische Werke zu schaffen.4 wurde. In ihren Arbeiten adressierte Cat- 1940 erhielt Elizabeth Catlett als eine lett politische und soziokulturelle Fragen, der drei ersten Student_innen den Mas- welche sich insbesondere um soziale Dis- ter of Fine Arts an der Universität in Iowa. paritäten drehten.1 Ihre Abschlussarbeit, die Skulptur Negro Aufgrund der grossen Reichweite und Mother and Child (1939), erhielt an der ihrer Erschwinglichkeit wurde die Druck- damaligen American Negro Exposition in grafik während der Mexikanischen Re- Chicago den ersten Preis.5 Catletts Werk volution (ab 1910) auch zu Propaganda- befindet sich in zahlreichen Museen auf 60 zwecken verwendet. Die Druckwerkstatt der ganzen Welt. 2003 wurde ihr Lebens- Taller de Gráfica Popular (TGP), 1937 von werk mit dem Lifetime Achievement Award einem internationalen Künstler_innen- des International Sculpture Center ausge- kollektiv gegründet, wurde alsbald zur zeichnet.6 zentralen Produktionsstätte kommu- nistischer Propaganda in Mexiko sowie Treffpunkt vieler bekannter Künstler_in- QUELLEN UND ANMERKUNGEN: 2 nen. 1 Vgl. Fax, Elton C.: Seventeen Black Artists, New York 1990, Auch Elizabeth Catlett reiste in S. 14–31. den späten 1940er Jahren nach Mexi- 2 Vgl. Herzog, Melanie Anne: Elizabeth Catlett. An American ko. Ermöglicht wurde die Reise durch Artist in Mexico, Seattle/London 2000, S. 78; Herzog, Mela- nie Anne: Elizabeth Catlett in Mexico at Mid-Century. Navi- den Rosenwald Fund. In Mexiko City gating Gender and Visual Politics across Cultural Borders, in: Langa, Helen/Wisotzki, Paula (Hg.): American Women realisierte die Künstlerin die Linol- Artists, 1935–1970. Gender, Culture, and Politics, Farnham/ druckserie The Negro Woman (1946–47) Burlington 2016, S. 75–91, hier insbesondere 75–77.

über das Leben Schwarzer Frauen aus 3 Vgl. Herzog 2000, S. 47, 59–66. der Arbeiterschicht, eine Thematik, 4 die sich durch Catletts gesamtes Werk Vgl. ebd., S. 3–11, 75, 107. zieht.3 5 Vgl. ebd., S. 18–23; Herzog, Melanie Anne; Elizabeth Catlett (1915–2012), in: American Art 26, Nr. 3, 2012, S. Die Eigenschaften des Mediums Druck- 106; Edwards, Kathleen A.: The Fine Art of Representing grafik interessierten Catlett, da ihre Black Heritage. Elizabeth Catlett and Iowa, 1938–1940, in: Hill, Lena M./ Hill, Michael D. (Hg.): Invisible Hawkeyes. Kunst für alle zugänglich und verständ- African Americans at the University of Iowa During the Long lich sein sollte. Mit ihren Ideen fand die Civil Rights Era, Iowa 2016, S. 51. Künstlerin auch Anklang bei der TGP. 6 Vgl. Fax 1971, S. 28–30; Weinert, Susan M.: Politics, Aest- hetics and Gender Relations in African-American Art. Das Das Umfeld und die politisch engagierten Werk von Elizabeth Catlett und Betye Saar (1940–2005), Künstler_innen der Druckwerkstatt präg- Würzburg 2009, S. 67–68; Herzog 2012, S. 109. Mara Meier, Elizabeth Catlett, Linolschnitt, 2018. Mara Meier, Angela Davis, Linolschnitt, 2018. Mara Meier, Faith Ringgold, Linolschnitt, 2018. #schweizpostkolonial

BLA*SH | NETZWERK

Jovita dos Santos Pinto ist zudem Mitbegründerin von Bla*Sh – Black She, dem Netzwerk Schwarzer Frauen in der Deutschschweiz, welches #schweizpostkolonial sie gemeinsam mit Rahel El-Maawi und Serena Dankwa ins Leben gerufen hat. Bla*Sh organisiert verschiedene Veranstaltungen, bringt sich in Dis- Eine Sammlung aktueller Texte, kussionen ein und beteiligt sich an Aktionen für ein «soziales, kulturelles, Veranstaltungen und Projekte. und politisches Empowerment» | http://bla.sh

Veranstaltungstipp: refaire le monde* proposition, Ausstellung im Rahmen der Kunstaktion die grosse um_ordnung, Helmhaus, Zürich, 21.09.–11.11.2018, Vernissage: 20.09.2018, 18 Uhr | diegrosseumord- nung.ch TEXT: VICKY KIEFER Braucht es Körper für die politische Aktion?, Rahel El-Maawi inter- Die Themen dieses Zines beziehen sich stark auf den US-amerikanischen viewt von Bettina Dyttrich, in: WOZ, 10.05.2017. [online] Raum. Sie stehen mit der Geschichte der Sklaverei, historischen Kämpfen und Erfahrungen der Schwarzen Bevölkerung, wie auch künstlerischen Beiträgen zu Fragen der Repräsentation und Sichtbarkeit in Verbindung. Wie sieht es Sarah Owens, ebenfalls Mitglied von Bla*Sh und Professorin an der Zürcher mit der Schweizer Geschichte und Gesellschaft aus? Wo finden postkoloniale Hochschule der Künste (ZHdK), hat in der vom Brand-New-Life Maga- Diskussionen zur eigenen Verflechtung in globale Strukturen, Auseinander- zin angestossenen Debatte anlässlich der Einzelausstellung von Lynette setzungen mit Rassismus oder afro-diasporisches Empowerment in Zürich Yiadom-Boakye in der Kunsthalle Basel mitdiskutiert: 64 und andernorts statt? – Hier findet ihr ein paar Veranstaltungen, Orte, Projekte 65 und Akteur_innen, die zu einer Dekolonisierung des Denkens beitragen: Owens, Sarah/Preisig, Barbara/Sachs, Hinrich et al.: Sprechen lernen? Teil 1 [dt.] & Part 2 [engl.]: Eine Diskussion über ‹Schwarz›sein KUNST & GENDER | ZEITSCHRIFT in der Schweiz und warum sich die Kunstinstitutionen an diesem The- ma die Finger verbrennen sollten, in: Brand-New-Life, 2017. [online] Am interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZGF) in Bern ist in der Reihe genderstudies im Herbst 2017 eine Ausga- be mit dem Themenschwerpunkt ‹Kunst› erschienen, die Verbindun- gen zwischen Kunst und Gender diskutiert sowie tolle Illustrationen POSTKOLONIALER RAUM: SCHWEIZ | FORSCHUNG von Moshtari Hilal und gute Lesetipps enthält! Jovita dos Santos Pintos Artikel ist besonders spannend, denn sie arbeitet an Patricia Purtschert (IZGF Bern) arbeitet seit vielen Jahren an der Aufarbeitung einem Dissertationsprojekt zu Schwarzen Frauen in der Schweizer Öffent- der Geschichte der (post-)kolonialen Schweiz. Im Februar 2019 erscheint lichkeit seit 1971, in dem sie aus Perspektive der Genderforschung und Kolonialität und Geschlecht im 20. Jahrhundert. Eine Geschichte der weissen critical race studies die Situation Schwarzer Frauen im öffentlichen Raum Schweiz, in dem sie die Figuren der ‹Hausfrau› und des ‹Bergsteigers› als untersucht. | www.izfg.unibe.ch zentrale Figuren für die Herstellung der Schweizer Nation untersucht und einen kritischen Beitrag zur Analyse von Race, Gender und Weiss-Sein in der Schweiz liefert. Weitere Lese-/Hörtipps: Interdisziplinäres Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern IZFG (Hg.): genderstudies 31, Herbst 2017, Bern. [online]

Dos Santos Pinto, Jovita: Spuren. Eine Geschichte Schwarzer Falk, Francesca/Lüthi, Barbara/Purtschert, Patricia (Hg.): Postkoloniale Frauen in der Schweiz, in: Berlowitz, Shelley et al. (Hg.): Terra incog- Schweiz. Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien, nita?, Zürich 2013, S. 143–185. Bielefeld 2013. Vicky Kiefer #schweizpostkolonial

Auf der Konferenz enthüllte die Künstlerin Sasha Huber in ihrem Vortrag Michel, Noemi Vanessa: Sheepology. The Postcolonial Politics of erstmals ihr Porträt von James Baldwin, das ihm seit März ein Denkmal an Raceless Racism in Switzerland, in: Postcolonial Studies, Vol. 18, seinem damaligen Aufenthaltsort in Leukerbad setzt. Demounting Louis Nr. 4, 2015, S. 410–426. Agassiz ist eine Kampagne (2008–2017), die vor einigen Jahren von dem Historiker Hans Fässler initiiert wurde und den Naturforscher Louis Agas- Purtschert, Patricia: It’s #identity politics, stupid!, Geschichte der siz als Verfechter rassistischer Thesen kritisiert. Huber ist Mitglied dieses Gegenwart, 22.01.2017. [online] transatlantischen Komitees und hat in den letzten Jahren mehrere Arbeiten entwickelt, die eine antirassistische Kritik und eine Auseinandersetzung mit Schär, Bernhard C.: Wir müssen die Geschichte der globalen Schweiz der postkolonialen Geschichte der Schweiz anstossen. | sashahuber.com erforschen, SCHWEIZER RADIO DRS, Echo der Zeit, 10.07.2018. [online, SRF] DIE KUNST ALS VERHANDLUNGSFELD DER SCHWEIZER Schär, Bernhard C./Purtschert, Patricia: Die NZZ im Herzen der weis- MIGRATIONSPOLITIK | PROJEKTE & PUBLIKATION sen Hybris. Anmerkungen zur helvetischen ‚color line‘, Geschichte der Gegenwart, 15.05.2016. [online] Der Ethnologe Rohit Jain schlägt in der Projektpublikation Urban Citizenship (2017) vor, die Schweiz als ‹Bastard_in› zu betrachten, deren stets neutrale Haltung auf den kolonialen Verstrickungen des Landes beruht. Aus dem Projekt Die ganze Welt in Zürich (2015–17), das in der Shedhalle stattfand, ART.SCHOOL.DIFFERENCES | FORSCHUNG & PROJEKT sind neben der Publikation die Folgeprojekte Allianz gegen Racial Profiling, Salon Bastarde und City Card Zürich entstanden: Das 2016 abgeschlossene Forschungsprojekt von drei Schweizer Kunst- hochschulen in Zürich und Genf, hat selbstreflexiv die Institution der Kunsthochschule hinsichtlich der Fragen von Ausschluss und Zugänglich- Jain, Rohit: Die Schweiz, ein_e Bastard_in. Reflexion zu einer postko- 66 keit untersucht. Das Ziel des Projektes war es, konkrete Handlungsmög- lonialen Praxis im Kontext von Urban Citizenship in Zürich, in: Krenn, 67 lichkeiten auszuarbeiten, um sozialer Exklusion in den Kunsthochschulen Martin/Morawek, Katharina (Hg.): Urban Citizenship. Democratising entgegenzuwirken. Auf der Website findet ihr Aufzeichnungen, mehrere Democracy, Wien 2017, S. 379–419. Reader, den Schlussbericht sowie Stellungnahmen der Hochschulen und des internationalen Beirats. | blog.zhdk.ch/artschooldifferences stop-racial-profiling.ch | http://salon-bastarde.com | zuericitycard.ch

«THE EVIDENCE OF THINGS NOT SEEN» QUEERING EUROPE WITH JAMES BALDWIN | KONFERENZ & KUNST INES | PROJEKT

Im Februar 2018 fand diese Konferenz in Bern statt, organisiert von Tina Das steht für Institut Neue Schweiz und ist ein «postmigrantischer Think & Büchler, Noémi Michel, Jovita dos Santos Pinto, Patricia Purtschert und Act Tank, der sich für einen ehrlichen Neuanfang in der Einwanderungs- Vanessa Näf. Die ihr vorausgegangene Veranstaltung Stranger in the gesellschaft Schweiz einsetzt – kritisch, fundiert und auf Augenhöhe.» village (Zürich) war ebenfalls James Baldwin gewidmet und rückte des- institutneueschweiz.ch sen gleichnamigen Essay von 1953 ins Zentrum. – «Ein Gespräch über ‹weisse Unschuld›, die Unterdrückung nicht-weisser Menschlichkeit und antirassistischer Widerstand in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Ge- Veranstaltungstipp: spräch auch über die Geschichte des Rassismus in der Schweiz und über dekolonial-feministische Aneignungen von Baldwins Texten.»1 FORUM & LATE NIGHT SHOW Kurzfilm:James Baldwin, un étranger dans le village, d’après. Pierre #NEUESCHWEIZ, 22.09.2018, Zürich, Standortbestimmung mit Koralnik, 1962. [James Baldwin - Un homme noir dans un village kulturpolitischen Interventionen, Key Notes, Politdiskussionen, blanc, Youtube] Performances, einer Late Night-Show und Party... Vicky Kiefer

ZÜRICH AUS DER SICHT VON TEJU COLE | KUNST & TEXT

Der in New York lebende Autor Teju Cole verfolgt schreibend und fotografierend die Frage des Sehens und Nichtsehens. 2014 war er als Writer in Residence im Literaturhaus Zürich. Cole folgte den Spuren James Baldwins nach Leukerbad und aktualisiert gewissermassen dessen Beobachtungen in seinem Essay. www.tejucole.com

Cole, Teju: Black Body. Rereading James Baldwin’s Stranger in the Village, in: The New Yorker, 19.08.2014. [online]

Cole, Teju: Blinder Fleck, München 2018.

Eine von Teju Cole’s Fotografien, die er bei seinem städtischen Umherschweifen in Zürich festgehalten hat, zeigt das schwarze Stencil eines Miniatur-Cowboys auf einer weissen Hauswand. Einen Monat bevor er das Bild schoss, veröffentlichte er Black Body. Die Fotografie wird begleitet von seinen Gedanken über die Schweiz:

«I associate Switzerland with ease and calm. With some war, but only in the long-ago mercenary past. Switzerland is neut- 68 ral now, serene, safe. But I begin to think of those new Swiss weapons, and all the places and bodies that had been blown apart by the hundreds of millions of dollars of annual Swiss arms sales. Bombs, torpedoes, rockets: to the United Arab Emirates, to Saudi Arabia, to Botswana. The blasted buildings of Beirut. Sig Sauer rifles and handguns find their way to the American street. I associate Switzerland with calm and ease. What then is not visible? […]» – Teju Cole2 BIBLIOGRAFIE

WORK IN PROGRESS: QUELLEN: 1 URL: [Stand: 08.08.2018]. Diese Bibliografie erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll lediglich einige weiterführende Werke sammeln und gleichzeitig 2 URL: [Stand: 08.08.2018]. einen Einblick in unseren Arbeitsprozess ermöglichen. AUTOR_IN/ TITEL ORT KOMMENTAR AUTOR_IN/ TITEL ORT KOMMENTAR HERAUS- VERLAG HERAUS- VERLAG GEBER_IN JAHR GEBER_IN JAHR

Kazeem- Engaged Pedagogy. Antidiskriminatorisches Seattle/London: Eine kurze, Lippard, Lucy The Pink Glass Swan. Selected Feminist Essays on Art New York: The Das Werk Kaminski, Lehren und Lernen bei bell hooks University of reflektierte und New Press 1995 vermittelt einen Belinda Washington Press unbedingt zu guten Eindruck zur 2000 empfehlende feministischen Einführung Protestkultur der (für Lehrende & 1960er/70er Jahre. Lernende!) in die Sehr subjektiv aber feministische, cool zu lesen und antirassistische auch eine gute Quelle, Pädagogik von da die Autorin selbst bell hooks. aktiv war und die Essays teilweise aus der Zeit stammen. Herzog, Elizabeth Catlett. Seattle/London: Das ausführlichste Melanie An American Artist in Mexico University of Werk zum Leben Anne Washington Press Elizabeth Meaghe, Michelle ‹Difficult, Messy, Nasty, and Sensational›. London: (Falls Platzmangel 2000 Catletts. Feminist Collaboration on Heresies (1977–1993), Routledge 2014 besteht, dann würde in: Feminist Media Studies, Vol. 14, ich Meagher rein- Nr. 4, 2014, S. 578–592. nehmen, wenn es ausschliesslich um Heresies gehen soll...)

Musawwir, I’d Like to Become a Subscriber! London: KT Musawwirs Text Jennifer Feminist Art Journals in the US (1970–1980), Press 2010 behandelt mehrere in: n.paradoxa 25, Januar 2010, S. 28–35. feministische Kunst- magazine aus der Crenshaw, Why intersectionality can’t wait, The Den Text raus, Zeit um 1970 und der Kimberlé in: The Washington Post, 24.09.2015. [online] Washington dafür Adrian Piper Artikel stammt aus Post 2015 drin lassen! n.paradoxa; einem zeitgenössischen feministischen Magazin – also wäre Musawwir vielleicht für die Allgemein- Godfrey, Mark/ Soul of a Nation. London: Ausstellungskatalog­ heit spannender...) Whitley, Zoé (Hg.) Art in the Age of Black Power Distributed Art von der Tate 2017 Publishers (D.A.P.) 2017 Braderman, Joan The Heretics 2009 Dokumentation zum Heresies Collective. Joan Braderman war selbst ein ehemaliges Mitglied der Gruppe.

Kennedy, Randy Black Artists and the March Into the Museum. The New York After decades of spotty acquisitions and token Times 2015 exhibitions, American museums are rewriting the history of 20th-centruy art to include black artists, Moraga, Black Macho and the Myth of the Superwoman New York: The Michele Wallace in: The New York Times, 28.11.2015. [online] Cherríe/ Dial Press 1979 (übrigens die Tochter Anzaldúa, der Künstlerin Faith Gloria (Hg.) Ringgold!) blickt hier aus Schwarzer feministischer Sicht auf die pat- Pool, Hannah Maria Balshaw, the First Woman at the Top of the Tate: The Guardian Das kann raus riarchalen Strukturen Azieb ‹We need to speak to the whole of society›, Juli 2017 des Black Power in: The Guardian, 17.07.2017. [online] Movements. Enthält viele weiterführende Literaturtipps!

Olsson, Göran The Black Power Mixtape 1967–1975 Stockholm, 2011 Ein Film, der Piper, Adrian The Triple Negation of Colored Women Artist (1990), Hoboken: «Because racism spannendes in: Robinson, Hillary (Hg.): Feminism – Art – Theory. Wiley-Blackwell 1990 and sexism often go Archivmaterial der An Anthology 1968–2014, Oxford 2015, S. 444–454. together» – 1960/70er Jahre mit Die Künstlerin und heutigen Stimmen Philosophin über zusammenbringt die Mehrfachdiskri- (u.a. sind Stokely minierung Schwarzer Carmichael, Angela Künstlerinnen* Davis, Erykah und die eurozentris- Badu zu sehen) tische Kunstwelt. GEBER_IN HERAUS AUTOR_IN/ Rujeko (Hg.) Hockley, Catherine/ Morris, Wallace, Michele Ringgold, Fatih Susan M. Weinert, Street Press Alexander Wall, Cheryl Cheryl Wall, Hatch Archiv V. James und Billops Camille - Durham 2017. Durham A Sourcebook, 1965–85. Women Radical Black aRevolution. Wanted We 2017, 104–113. S. Durham Museum, Brooklyn York: New Kat. Ausst. ASourcebook, 1965–85. Women Radical Black aRevolution. Wanted We (Hg.): Faith Ringgold, in: Morris, Catherine/Hockley, Rujeko with Interview House: Women’s the For Michele, Wallace, The Harlem Renaissance. A Introduction Very Short alexanderstreet.com/front-page?ssotoken=anonymous> URL: Visual Arts (Frühjahr/Sommer,Visual Arts 1987), S. 31–34. the and Women about Teaching 15, Nr. 1⁄2, Vol. Women’s in: Studies Quarterly, Woman, Own My Being (1940–2005) Saar Betye und Catlett Elizabeth von Werk Das Art. American in Relations and African- Gender Aesthetics Politics, 07.08.2018]. [Stand: TITEL Museum, Brooklyn York: New Kat. Ausst.

JAHR VERLAG ORT Press 2017 Press University Duke Durham: 2017 Press versity Uni Duke Durham: 1987 2016 Press University Oxford al.: et Oxford Neumann 2009 Königshausen & Würzburg: 2009 Seit 1970er Jahren - KOMMENTAR Where We At u.a.) u.a.) WeAt Where (Toni Morrison, Faksimiles sondere be und Manifeste Gedichte, Briefe, Interviews, Texte, stellungskatalog: Aus sein als Mehr sparen) zu Platz um empfehlen, ich würde kurz möglichst passt, Muster noch ange einem nach sicher ja (die Angaben werden empfehlen! Also so den Katalog allgemein dafür und raus Eher Literaturliste. weiterführender umfassender übersichtlich; mit und aktuell Super Einführung, von Sonja Sanchez) (z.B.:digitalisiert undtranskribiert Interviews agentur, welche Digitalisierungs zugänglich! Emory University der Bibliothek Rose A. Stuart der in nur und talisiert jedoch nicht digi Sehr umfangreich, Künstler*innen, Schwarzen von Dokumentationen sowie Kunstwerken mit Archiv - -

- - - erstellt. Das ist der Anfang des Channels Channels des Anfang der ist Das erstellt. @Yarin hat diesen Channel am 26. Juni Juni 26. am Channel diesen hat #polylog. #POLYLOG Polylog

AMÉLIE: «@Mara nicht nur die verschiedenen Wissensstände brachten interessante Diskussionen hervor, sondern meiner Meinung nach vor allem die verschiedenen Erfahrungsstände. Wissen alleine reicht nicht, um sich #POLYLOG eine Meinung zu bilden.» MARA: «@Amélie da hast du völlig recht. Ausserdem haben sich einige bereits vor dem Seminar intensiv mit den Themen auseinandergesetzt, während andere sich erst im Zuge des Seminars richtig damit beschäftigten Ein Slack-Chat des und sich allmählich eine Meinung dazu bildeten.» VICKY: «Mir hat es ermöglicht, euch besser kennenzulernen und ich hatte Zine-Kollektives das Gefühl, erst durch dieses Projekt, in dem es keine (benotete) Bewertung eurer Gedanken und Aussagen gibt, habt ihr euch richtig öffnen können. So konnte mir überhaupt erst klar werden, was an Erfahrungen und Wissen tatsächlich da ist und wo wir anfangen können. Es hat mir Spass gemacht zu sehen, wie eine eigene Dynamik entstanden ist und das Projekt nach und nach wirklich von der Gruppe getragen wurde!»

1. WIE HAST DU DIE (KOLLEKTIVE) ARBEIT AM ZINE ERLEBT? AMÉLIE: «Ich kann Vicky nur zustimmen. Erst durch den Entfall der Noten und dem sich besser Kennenlernen konnten Meinungen so richtig geformt und KRISTIN: «Die Diskussionen und der Austausch in der Gruppe haben be- formuliert werden. Das Schamgefühl, etwas Falsches zu sagen oder falsch wirkt, dass ich mich intensiver und auf eine kreative Weise mit dem Thema verstanden zu werden, spielt bei Seminaren oft genug eine zu grosse Rolle, auseinandersetzen konnte. In der Universität fehlt dafür oft die Zeit und wodurch keine richtigen Diskussionen stattfinden können. Umso schöner, 74 Möglichkeit. Ebenso war es interessant, eure verschiedenen Schwerpunkte dass wir uns einen sicheren Raum ohne Druck haben schaffen können.» 75 und Herangehensweisen kennenzulernen.»

YARIN: «Das sehe ich auch so. Die Arbeit in der Gruppe ermöglicht einen ganz anderen Zugang zu einer Thematik, der viel weniger formell sein muss 2. HABEN DIE ANGESPROCHENEN THEMEN DEINEN BEZUG als an der Universität. Die über mehrere Meetings geführten Diskussionen ZU WISSENSCHAFTLICHEM ARBEITEN VERÄNDERT? waren für mich besonders wertvoll und wegen der unterschiedlichen Inte- ressen und Wissensstände sehr intensiv.» ELENA: «Ich bin ja erst ganz am Anfang des Studiums und insofern war mein Blick auf das wissenschaftliche Arbeiten ohnehin nicht sehr gefestigt. ELENA: «Ich fand es sehr fruchtbar, in einer Gruppe über längere Zeit Was sich grundlegend verändert hat, ist, dass ich oftmals an der Uni bzw. im eine Sprache zu finden – auch angelehnt an gemeinsam gelesene Texte – Kunstgeschichtsstudium einen realpolitischen oder gesellschaftsrelevanten um über Themen wie Mehrfachdiskriminierung zu sprechen. Wie ihr schon Mehrwert vermisst habe, obwohl mich persönlich die Studieninhalte sehr sagtet, bleibt in anderen Kontexten oft nicht Raum und Zeit, um sich solch interessieren. Über die Beschäftigung mit postkolonialen oder feministischen heiklen Fragen auch entsprechend sorgfältig zu widmen. Während die- Theorien liess sich das Gefühl eines Mehrwerts für mich herstellen, auch ses Prozesses habe ich es teilweise als sehr herausfordernd erlebt, dass weil ich hier eine gewisse Verantwortung ob meiner Privilegien spüre. Ich eben alle Mitwirkenden unterschiedliche Zugänge, Unsicherheiten und weiss aber immer noch nicht genau, wo die Grenzen zwischen Aktivismus Erfahrungen mitbringen, aber diese Reibungen gemeinsam zu diskutieren/ und Wissenschaft verlaufen und ob diese auch im institutionalisierten überwinden/auszuhalten, stellt für mich nachträglich einen wichtigen Teil Rahmen überschritten werden können... Aber es war sehr schön mit euch der kollektiven Arbeit dar...» gemeinsam ein wenig an diesen Grenzen zu rütteln. »

MARA: «Die unterschiedlichen Wissensstände haben zu spannenden AMÉLIE: «Auch wenn ich Kunstgeschichte im Hauptfach studiere (NF Diskussionen geführt, von denen ich persönlich viel profitieren konnte. Es Fotografie), versuche ich stets meine Arbeiten auf den sozialpolitischen ist schön, dass wir das Projekt aus dem universitären Rahmen herauslösen Kontext auszurichten, da mich diese immer schon mehr interessiert haben konnten und über eine vielseitige und langanhaltende Zusammenarbeit zu wie nur die Biografien der Künstler_innen. Insofern hat sich für mich das einem spannenden Ergebnis gekommen sind.» Arbeiten schreiben nicht verändert.» Zine-Kollektiv Polylog

MARA: «Ich kann auch nicht behaupten, dass sich bei mir bezüglich des KRISTIN: «Mir war schon vor der Arbeit am Zine bewusst, dass es Ras- wissenschaftlichen Arbeitens etwas geändert hat, da Where We At mein erstes sismus gibt und dass es auch heute von grösster Relevanz ist, dagegen Seminar an der Uni war. Es war jedoch sicherlich ein guter Einstieg, da anzukämpfen. Gleichzeitig war Rassismus in meinem Alltag nur selten ein ich mich mit wichtigen Fragen z.B. bezüglich Kunstgeschichtsschreibung Thema, meist nur dann, wenn mir Freund_innen davon berichteten, dass auseinandersetzte.» sie Rassismus erfahren haben. Durch die Arbeit am Zine achte ich jetzt viel mehr auf Rassismus im Alltag und versuche mich aktiv dagegen zu YARIN: «Durch die Sichtbarmachung von mir zuvor unbekannten Berei- positionieren. Das Thema hat für mich dadurch eine grössere Relevanz chen der Kunst(-geschichte) habe ich ein viel stärkeres Bewusstsein dafür bekommen. Vorher habe ich es wohl aus Nicht-Betroffenheit weniger stark entwickelt. Wenn ich jetzt eine wissenschaftliche Arbeit schreibe, bin ich wahrgenommen.» mir zum Beispiel sehr viel bewusster, welche Texte ich zitiere, welches Wissen ich reproduziere und was ich dabei für eine institutionalisierte Macht besitze. Und ich kann mich dabei dir nur anschliessen @Elena; in dieser Rolle be- sitzen wir eine Verantwortung, die wir wahrnehmen müssen.» 4. SIEHST DU MÖGLICHKEITEN, DIESE NEUEN ERKENNTNISSE UND PERSPEKTIVEN ANZUWENDEN? ELA: «Nein, die Themen waren mir bereits vorher stark präsent, u.a. auf- grund meines Nebenfachs Ethnologie und meines persönlichen Umfelds. AMÉLIE: «Ich bin der Meinung, dass offene Gespräche – wie wir sie Ich habe dieses Seminar daher bewusst gewählt, weil es im Rahmen der schon bei der Zusammenarbeit hatten – zum ersten Schritt gehören, um Kunstgeschichte endlich die umfassenden geschichtlichen Hintergründe die Aufmerksamkeit auf Probleme zu richten. Nur durch aktives Sprechen thematisierte, die, wenn überhaupt, nur ansatzweise besprochen werden. und Zuhören können unsere neuen Erkenntnisse und Perspektiven auch Den Hintergrund zu erfassen, bedeutet dabei eben auch, das gesamtgesell- anderen etwas bringen.» schaftliche Umfeld, in dem Kunst entsteht, zu beachten und zu analysieren. Kunst stellt auch immer eine Reaktion auf Strömungen, Umstände etc. in MARA: «Zu Frage 3. und 4.: In Bezug auf die Wahrnehmung sehe ich das der jeweiligen Zeit dar.» wie Kristin. Ich merke, dass ich sensibilisiert bin und ich im Alltag mehr 76 darauf achte. Neben der Arbeit am Zine hat mir die von Vicky empfohlene 77 AMÉLIE: «@Ela umso mehr hat die gemeinsame Arbeit am Zine gezeigt, Lektüre von Noah Sows Deutschland Schwarz Weiss. Der alltägliche Rassismus gezeigt, wie wie viel Zeit tatsächlich gebraucht wird, um auch nur einen Hauch an Ah- Rassismus in unserer Gesellschaft immer noch präsent und stark verankert nung über jegliche Themen zu bekommen. Man sollte sich fast wünschen, ist und dass man einige Denkweisen revidieren muss. Ich denke auch, dass zu jedem Seminar so eine zusätzliche Arbeit zu realisieren wäre.» dass die eigenen Erkenntnisse durch Gespräche weitervermittelt werden können und sollen.»

YARIN: «Ich glaube, es gibt einige Möglichkeiten, diese Ideologien ent- 3. HAT SICH DEINE ALLTÄGLICHE WAHRNEHMUNG VERÄNDERT? weder umzusetzen oder zu blockieren. Für mich sind es alltägliche Elemente wie der Gebrauch der Sprache, der Wille und die (Selbst-)Kritik, Neues zu AMÉLIE: «Als nichtweisse Frau hat sich meine alltägliche Wahrnehmung lernen und eine Sensibilität für Schwierigkeiten, um eine gesellschaftliche in Bezug auf Rassismus nicht verändert. Aufgrund von Kommentaren wie Veränderung evozieren zu können, sei es nur im eigenen Freundeskreis.» »das ist ja heute nicht mehr so« hatte sich im Seminar vielmehr meine Be- fürchtung bestätigt, dass sich sehr viele Teilnehmer_innen nicht bewusst sind, welche Macht sie aufgrund ihres Äusseren haben und wie naiv sie durch die Welt gehen. In Bezug darauf, Verständnis zu haben, zeigte mir erst die Zusammenarbeit am Zine, dass es sehr wohl Menschen gibt, die gewillt sind, sich ein Be- wusstsein zu verschaffen und mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Während ich in Gesprächen mit den Kolleg_innen durchaus emotional reagierte, lernte ich auch, die mir fremde Sicht auf die Dinge zu verstehen, die stark durch Unsicherheiten geprägt ist, aber nicht automatisch bös- willig gemeint ist.» Impressum

REDAKTION: Dieses Zine ist im Anschluss an Elena Bally, Kristin Brüggemann, das Seminar Where We At. Black Ela Dutta, Vicky Kiefer, Amélie Korzil, Women Artists: 1971. Zur Geschichte Mara Meier, Yarin Shmerling afroamerikanischer Künstlerinnen (HS 2017, Lehrstuhl für moderne und LEKTORAT: zeitgenös­sische Kunst, Universität Cornelia Müller Zürich) in einem temporären Redaktionskollektiv entstanden. DESIGN: Kristin Brüggemann Wir danken allen, die uns in der Reali- sierung des Zines unterstützt haben! GRAFIKEN/BILDER: Elena Bally, Mara Meier, Amélie Korzil Für Kommentare und Anregungen sind wir dankbar: [email protected] COVER INNENSEITEN: Amélie Korzil Zine-Kollektiv 78 Where* We* At* © Zürich 2018. Das Copyright für die c/o Rämistrasse 56 Texte und Abbildungen liegt bei den 8006 Zürich, Schweiz Autor_innen und Künstler_innen.

UNTERSTÜTZT DURCH:

Making Inspiring Women Visible firsthandfilms.com / firsthandfilms.ch DIE BRILLE FÜR BESSERES SEHEN

Mit freundlicher Unterstützung des Lehrstuhls Schritt 1: Schneide die Brillen-Vorlage aus. für moderne und zeitgenössische Kunst, Schritt 2: Biege die Laschen am Brillengestell um. Prof. Dr. Bärbel Küster, Schritt 3: Klebe die Bügel an das Brillengestell. Kunsthistorisches Institut, Universität Zürich, Schritt 4: Setze die Brille auf. Rämistrasse 73, 8006 Zürich Schritt 5: Staune über deinen neu gewonnenen Durchblick. Mit Beiträgen von Elena Bally, Kristin Brüggemann, Ela Dutta, Vicky Kiefer, Amélie Korzil, Mara Meier und Yarin Shmerling.