Ai Weiwei Ein chinesischer Künstler der Gegenwart

Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra der Philosophie an der Karl-Franzens-Universität Graz vorgelegt von Gerrit Edda Obermayr am Institut für Kunstgeschichte Begutachter: Priv.-Doz. Dr.phil. Werner Fenz

August 2014

Vorwort

Zeitgenössische bzw. Gegenwartskunst oder auch Contemporary Art ist künstlerischer Ausdruck unterschiedlicher Konzepte, unterschiedlicher Ziele, unterschiedlicher Techniken und Formen und ist kaum einer Strömung, einer Bewegung oder einer bestimmten Gruppe verbunden. Diese künstlerischen Ausformungen sind in der westlichen Welt verbreitet und gut dokumentiert. Die Frage ist nun, wie entwickelt sich zeitgenössische Kunst in ihren vielfältigen und unterschiedlichsten Ausformungen in den Ländern Asiens, vor allem in dem mächtigen Industriestaat China?

Ein Künstler Chinas, , hat seine künstlerische Tätigkeit durchaus mit dem „Westen“ kommuniziert und ist nicht nur durch seine Werke, sondern global auch durch sein Netz von Blogs und Twitter und seine darin geäußerte regimekritische Haltung in den letzten Jahren sehr bekannt geworden. In dieser Arbeit soll versucht werden, den Künstler als vielseitigen Artisten in seinen Werken zu beschreiben und auch seine Rolle im gesellschaftspolitischen Diskurs mit China zu beleuchten und der Frage nachzugehen, wieweit die von ihm genutzten Medien des „social-networks“ mit seiner Arbeit und seinem Bekanntheitsgrad verbunden sind.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort S. 2

Inhaltsverzeichnis S. 3

1. Einleitung S. 5

2. Ai Weiwei – Biographie S. 6 3. Der Beginn des künstlerischen Schaffens Ai Weiweis S. 11 4. Die Arbeiten des Künstlers in den ersten Jahren in Peking S. 26

4.1. Auseinandersetzung mit der antiken Kunst Chinas in Readymades S. 29 Exkurs S. 36 5. Arbeiten mit Porzellan S. 38 5.1. Ai Weiwei und seine künstlerische Umsetzung des alten chinesischen Kulturgutes Porzellan S. 38 5.2. Porzellan als Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Materials S. 41

6. Form und Maß als wesentliche Aspekte der Werke Ai Weiweis S. 55 7. Strukturen und Handwerkskunst S. 61

8. Reformieren der den Materialien innewohnenden

chinesischen Tradition S. 71 9. Ai Weiweis Werke in Kristallglas und Form S. 78 10. documenta 12, 2007 S. 83

10.1. Fairytale S. 83

10.2. Template S. 88

11. Ai Weiwei - architektonische Werke in Auswahl S. 90

11.1. Studio und Wohnhaus Ai Weiweis in Peking S. 93

11.2. Concrete, Landschaftsdesign S. 95

11.3. Riverbank, , Zheijang S. 96 3

11.4. Neolithic Pottery Museum, Jinhua Zheijang S. 98

11.5. Coca-Cola House in Zusammenarbeit mit Wang Shu,

Hangzhou, Zheijang S. 99

11.6. Artfarm, Gallery I Salt Point, New York. S. 100

11.7. Nationalstadion (Olympia-Stadion), Peking S. 101

11.8. Ordos 100. Masterplan I Ordos, Innere Mongolei S. 109 12. Study of Perspective, 1995 - 2003 S. 111 13. Die Ausstellung „So Sorry“, München, Haus der Kunst S. 115

13.1 Remembering, 2009 S. 120

13.2 Soft Ground S. 125

14. regionale 10. Installation Hoher Dachstein S. 128 15. Ai Weiwei und sein „System“ S. 131 16. Resümee S. 137 17. Ausstellungen S. 139 18. Literaturverzeichnis S. 142

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1. Einleitung

Wer sich mit China und Chinas Kunst der Gegenwart beschäftigt, kommt nicht umhin, sich mit dem Künstler Ai Weiwei und seinem vielfältigen künstlerischen Werk auseinanderzusetzen. Für die Intentionen, die ihn in seinem Schaffen bewegen, ist sein Ausspruch bezeichnend: Kreativität ist die Fähigkeit, die Vergangenheit abzulehnen, den Status Quo zu verändern und nach neuen Potenzialen zu suchen.1 Wer ist nun dieser Künstler, der seit geraumer Zeit der Weltöffentlichkeit durch seine meist regimekritischen Äußerungen, Aktionen und den damit verbundenen Installationen und Projekten und seinen Äußerungen, aber auch durch seine Mitarbeit bei der Planung des Stadions für die Olympischen Spiele 2008 in Peking durch die Architekten Herzog & de Meuron bekannt wurde? Die Kunstszene Chinas hatte stets ein gespaltenes Verhältnis zu Ai Weiwei. Einerseits ist er ein Vorreiter, der seine Energie einsetzt, einen Freiraum zu schaffen, wie ihn China noch nie erlebt hat. Einige seiner Künstlerkollegen halten ihn allerdings in ihrer Kritik für einen Kunstclown, einem Meister der Mischung von Staatskritik und Eigen-PR. In dieser Arbeit soll versucht werden, das umfangreiche und vielfältige Schaffen dieses zeitgenössischen chinesischen Künstlers bis zum Jahr 2010 zu beschreiben und auch sein gesellschaftspolitisches Engagement im Zusammenhang mit seinen Werken zu beleuchten. In dieser Arbeit soll versucht werden, das umfangreiche und vielfältige Schaffen dieses zeitgenössischen chinesischen Künstlers zum Jahr 2011 zu beschreiben und dabei seine umfangreichen Blog-Einträge zu Fragen der Kunst, der Ethik, der politischen und persönlichen Verantwortung und auch sein gesellschaftspolitisches Engagement im Zusammenhang mit seinen Werken einzubeziehen und der Frage nachzugehen, wieweit die von ihm genutzten neuen Medien des „social-networks seine Arbeit im Zusammenhang mit seinem Bekanntheitsgrad beeinflussen.

1 Ai Weiwei, So Sorry, Ausstellungskatalog, München, Berlin, London, New York 2010, S. 9. 5

2. Ai Weiwei – Biographie

Ai Weiwei wurde im Jahr 1957 in Peking geboren. Seine Eltern waren Dichter und Poeten; sein Vater Ai Quing hatte in jungen Jahren Europa bereist und war in China durch seine sozialkritischen Dichtungen und Werke bekannt geworden. Im Geburtsjahr Ai Weiweis wurde sein Vater als aufstrebender Dichter und Autor ein besonderes Ärgernis für Mao Zedong und musste daher im Zug der „Anti-Rechts-Bewegung“2 mit einigen 100.000 Intellektuellen Peking verlassen. Die gesamte Familie wurde in den Nordwesten Chinas in die Provinz Xinjiang zwangsumgesiedelt. Der Vater verdiente sich unter anderem als Reinigungskraft öffentlicher Toiletten seinen Lebensunterhalt.

Ai Weiwei und Während der Zeit von 1966 - 1967, der Zeit der Kulturrevolution, wurde Ai Weiweis Vater durch schwere Arbeit zusätzlich bestraft. 1976 bekam die Familie die Erlaubnis nach Peking zurückzukehren und Ai Qing wurde durch die Kommunistische Partei Chinas offiziell rehabilitiert. Er nahm seine schriftstellerische Tätigkeit wieder auf und es wurde ihm

2 Die „Anti-Rechts-Bewegung“ der 1950er und 1960er Jahre war eine Reaktion auf die „Hundert-Blumen- Bewegung“, die Pluralismus und freie Meinungsäußerung forderte und die Regierung kritisierte. Sie bestand aus einer Reihe von Kampagnen zur Säuberung angeblicher „Rechter“ innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas (CPC) und im Ausland. Die Definition als „Rechte“ war nicht immer zutreffend, manchmal waren damit auch linke Kritiker der Partei mit eingeschlossen, aber offiziell waren jene Intellektuellen gemeint, die scheinbar den Kapitalismus und die Klassenunterschiede befürworteten und gegen die Kollektivierung waren. Die Kampagne, die in zwei Wellen (1957-58) und (1959) stattfand, wurde von Mao Zedong initiiert und hatte die politische Verfolgung von schätzungsweise 500.000 Menschen, vor allem Intellektueller, zur Folge. Die Sanktionen bestanden in informeller Kritik, Umerziehung durch Arbeit und in einigen Fällen in Todesurteilen. (Quelle: http://en.wikipedia.org.wiki/Anti-Rightist_Movement). Abgerufen:01.05.2011 6

ermöglicht, nach Deutschland zu reisen, wobei er auch Gelegenheit hatte, das Konzentrationslager Dachau zu besichtigen. Nach seiner Rückkehr nach Peking lernte Ai Weiwei den Kreis der intellektuellen Freunde seines Vaters und mehrere Künstler kennen, die großen Einfluss auf ihn ausübten. Nachdem er einige Jahre an der Pekinger Filmakademie studiert hatte, trat er 1979 dem Künstler-Kollektiv Star Group bei, dessen Absicht es war, den vorherrschenden Sozialistischen Realismus hin zu einer Individualität und zu experimenteller Kunst zu verändern. Die Gruppe wurde sehr rasch populär, sodass ein Jahr später schon 80.000 Menschen innerhalb von 16 Tagen deren Ausstellung im Nationalmuseum in Peking besuchten. Probleme mit den Machthabern und Autoritäten bestimmten allerdings von Beginn an diese Gruppe. 1981 reiste Ai Weiwei nach New York. Er studierte dort unter anderem bei dem Maler Sean Scully an der Parsons School of Design. Sean Scully, war Maler und Grafiker; er wurde am 30.Juni 1945 in Dublin geboren und lebte ab seinem vierten Lebensjahr in England. Er absolvierte eine Ausbildung als Drucker und arbeitete in einem Graphik Design Studio. Ab 1965 studierte er Malerei am Croydon College of Art in London, wo er sich zunächst mit Vincent van Gogh, Emil Nolde, Karl Schmidt-Rottluff und Henri Matisse auseinandersetzte, bis er den abstrakten Expressionismus der „New York School“ bei Mark Rothko entdeckte und zu abstrakten Arbeiten wechselte. 1968 - 1972 studiert er in Newcastle und ging anschließend mit dem John-Knox- Stipendium in die USA, wo er mit neuen Maltechniken zu experimentieren begann. Er benutzte dazu Klebebänder, die an den Rändern der Farbbahnen präzise und harte Kanten entstehen lassen - den Bildern jedoch jede Expressivität nehmen (Hard-Edge-Painting). Seit 1983 ist er amerikanischer Staatsbürger und hat seit 2002 einen Lehrauftrag an der Akademie der Bildenden Künste in München. Er wurde 1989 und1993 für den britischen Turner-Preis nominiert. Die meisten seiner Werke sind Variationen von farbigen, horizontalen und vertikalen Linien und Balken, kombiniert mit Schachbrettmustern.3 Während seines zwölf Jahre dauernden Aufenthalts in New York war Ai Weiwei vor allem von Allen Ginsberg begeistert [Allen Ginsberg, 1926 in Paterson, New Jersey geboren, 1997 in New York gestorben], einem US-amerikanischen Dichter der Beat-Generation, dessen Dichtung sowohl von der klassischen Moderne, als auch der Romantik, dem Jazz, und in

3 Quelle: http//de.wikipedia.org/wiki/Sean Scully. Abgerufen: 12.04.2011 7

späteren Jahren vom Buddhismus und seiner jüdischen Herkunft beeinflusst wurde. Aber auch William Blake, Walt Whiteman und William Carlos Williams hatten als seine Förderer wesentlichen Einfluss auf sein Werk. Bekannt wurde Ginsberg mit seinem Gedicht „Howl“, das 1956 wegen seiner obszönen Sprache einen Skandal auslöste und ein vorübergehendes Erscheinungsverbot mit sich brachte. Dieses Verbot führte in der Folge allerdings zu einer wichtigen Kampagne für die künstlerische Freiheit.4

Ai Weiwei und Ginsberg Neben Jasper Johns ((1930 geboren) und Andy Warhol (1928-1987) übten allerdings die Werke von Marcel Duchamp (1887-1968) den größten Einfluss auf Ai Weiwei aus. Später bemerkte er dazu: What Duchamp achieves is enlightenment in the moment, since for him art is a part of live.5

Ai Weiwei vor dem Objekt „To Be Looked at (from the other Side oft he Glas) with one Eye, close to for Almost Hour“ von Duchamp, Museum of Modern Art. N.Y. 1985

Ben Vautier schreibt in seinem Beitrag in Reclam Kunst-Epochen 20.Jahrhundert II über die Auffassung Duchamps zur Kunst und zum Künstler in „Zu seinem 100sten: Duchamp aus der Sicht von Ben, 1986“:

Der Künstler kann heute nicht mehr hoffen, formal innovativ zu sein, denn seit DUCHAMP ist jede Form von vornherein akzeptiert. Es bleibt also nichts weiter als eine neue Haltung

4 Quelle: http//de.wikipedia.org/wiki/Allen_Ginsberg. Abgerufen 12.04.2011 5 Chris Dercon and Julienne Lorz, in: Ausstellungskatalog: Ai Weiwei. So Sorry. S.112 8

gegenüber der Kunst zu finden, eine andere Art Kunst zu erklären, zu malen. So gesehen sind die Rückkehr zur Figuration und zur Abstraktion post-Duchampsche Situationen in der Weise, daß sie eine gute Portion Spott gegenüber der früheren Abstrakten Kunst und der Figuration beinhalten[…].6

Reißer und Wolf beschreiben in der Reclam-Reihe über das 20.Jahrhundert II Konzeptkunst folgendermaßen:

Konzeptkunst „[…] resultierte auch aus dem Wunsch nach der Überwindung der Objekt- Fixierung in der Kunst der 60er Jahre. Man hat von einem Ikonoklasmus der Konzeptkunst gesprochen, was insofern zutrifft, als gegen die ästhetische Autonomie von Malerei und Plastik eben die Meta-Sprache der konzeptuellen Kunst entwickelt wird. Wiederum sind es die Eigengesetzlichkeiten der Gattungen Malerei und Plastik als nicht mehr brauchbare Folie, die einer Neukonzeption der Kunst im Wege stehen. Es geht dabei […]um die Verabsolutierung des kritischen Denkens, das Duchamp und die Nachkriegskünstler hinterließen.7

1983 schuf Ai Weiwei seine erste Skulptur, bemerkte dazu allerdings in einem Interview mit Obrist: „[…) if you could call it sculpture.“8 Um diese Zeit begann er aber auch hunderte Fotos zu machen. Auf diese Art dokumentierte er sein und seiner chinesischen Freunde vertrödeltes Leben als angehende Künstler 9 in New York. (Er lebte Anfang der 1980er Jahre in der Lower-East-Side von Manhattan und war ein Black-Jack-Profi.)10 Das Fotografieren wurde für ihn in gleich wichtig wie Malen oder Schreiben.

In dieser Zeit wurden die Gedichte seines Vaters unter den jungen Studenten Chinas, die 1989 am Tiananmen-Platz revoltierten, sehr populär. Als Ai Weiweis Vater 1993 sehr krank wurde, kehrte Ai Weiwei nach China zurück. Er fand das Land, in Bezug auf Redefreiheit und künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten, im Grunde genommen völlig unverändert vor. Und dennoch nahm der Künstler neben seinem Kunstschaffen eine aktive Rolle in der Gestaltung der Szene der chinesischen experimentellen Kunst ein. Mit Freunden gründete er eine der ersten alternativen Kunstplätze in Peking und begann zu publizieren. Das Black

6 Ben Vautier, Zu seinem 100sten: Duchamp aus der Sicht von Ben. In: Ulrich Reißer und Norbert Wolf, Kunst- Epochen, Band 12, 20. Jahrhundert II, Stuttgart 2003, S. 422. 7 Ebda, S. 159. 8 Karen Smith, Hans Ulrich Obrist, Bernd Fibicher (Hsg.), Ai Weiwei, London o.J. S.15. 9 Ebda, S.15f. 10 Siehe: Frank Sieren, Ende des Dialogs. In: Du. s Kulturmedien - Nr.187- Juni 2011. Zürich. S15. 9

Cover Book entstand 1994; das White Cover Book 1995 und das Grey Cover Book 1997. Die Beiträge in diesen Büchern lesen sich wie Manifeste für eine neue, radikale Kunst, die sich nicht scheut, auch provokante politische Statements aufzustellen.

Als Alternative zur offiziellen „Shanghai Biennale“ kuratierte Ai Weiwei im Jahr 2000 die sehr umstrittene Ausstellung Fuck Off. In China wurde der Titel dieser Ausstellung in „Do not Cooperate“ umgeändert, doch die Polizei schloss nach einiger Zeit diese Ausstellung. Dabei war es für Ai Weiwei in dieser Ausstellung wichtig, die unabhängige Position eines Künstlers unter allen Umständen beizubehalten, da in dieser Zeit die Regierung begann, viele Provinzen „ruhig zu stellen“, und dies zur Folge hatte, dass zeitgenössische Künstler in ihren Aktivitäten sehr genau kontrolliert wurden.

Als Ai Weiwei 1999 sein eigenes Studio baute, markierte dies den Beginn seines Engagements für die Architektur. Seit diesem Zeitpunkt entwarf er Privathäuser und Kunstgalerien außerhalb Pekings. 2002 traf er durch die Vermittlung Ulli Siggs, dem ehemaligen Schweizer Botschafter in China und einem Pionier im Sammeln chinesischer Kunst, die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron. Die beiden luden ihn ein, mit ihnen am Entwurf des Stadions für die Olympischen Sommerspiele des Jahres 2008 in Peking, dem „Vogelnest“ zu arbeiten. Seine Partnerschaft mit den Architekten erstreckte sich auch auf andere Projekte – wie ORDOS 100: eine Entwicklung für die Errichtung von Privathäusern in der mongolischen Wüste, die, von 100 verschiedenen Architekten entworfen, dort errichtet werden sollten. Die Architektur Ai Weiweis und andere Projekte firmieren unter dem Namen „FAKE Design“,( fake – Englisch für Schwindel, Fälschung - ist aber auch ein Terminus, der oft in den Verhandlungen der Industrie im Handel zwischen China und dem Westen verwendet wird.) Aber „fake“ bedeutet in China das, was man mit „fuck“ meint – eine „Ruchlosigkeit“, die in einigen Arbeiten Ai Weiweis aufscheint.11 Heute hat es in China und im Rest der Welt den Anschein, dass die Ausstellung „So Sorry“ in München die Aussagen von Fuck Off übernommen hat.12

11 Ebda, S. 31. 12 Dercon and Lorz, So Sorry S.112. 10

3. Der Beginn des künstlerischen Schaffens Ai Weiweis

In seiner Kindheit und Jugend wurde Ai Weiwei durch den Freundeskreis seiner Eltern, der sich aus Literaten und Künstlern, Professoren und Gelehrten zusammensetzte, wesentlich geprägt. Wie er in einem Interview mit Hans Ulrich Obrist schildert, gab es um 1970 keine Möglichkeit, westliche Kunst kennen zu lernen und sich mit dieser auseinanderzusetzen. Sein erstes Buch über van Gogh, Degas, Manet und eines über Jasper Johns bekam er vom Übersetzer Jian Sheng Yee, der mit einer Deutschen verheiratet war und der es möglich war, zu diesen Büchern zu kommen. Diese waren immens wichtig, denn jeder Künstler dieses kleinen Pekinger Kreises las die wenigen Kopien dieser Bücher. Alle liebten die Post- Expressionisten, aber Jasper Johns Bild, das die amerikanische Fahne zeigt, verstanden sie nicht. Da für die meisten die Normen des Stils des russischen Sozialismus galten und sie kein umfassendes Wissen über die Kunst des Westens hatten, fragten sie sich, was diese, auf dem Bild abgebildete amerikanische Flagge bedeuten sollte.

Jasper Johns, „Flag“, 3 Paneele, 42 x 60 cm. 1954-55 Kaum jemand wusste von Marcel Duchamp oder Barnett Newman, der von 1905-1970 lebte, amerikanischer Maler und Bildhauer war und in seinen Werken das „Colour Field Painting“ einsetzte, das Farbfelder zeigt, die durch einen oder mehrere schmale vertikale Streifen - „zip“ genannt - getrennt werden.13)

. B. Newmann, „Adam“, Ö/L., 2429 x 2029. 1951-52 Das Wissen über zeitgenössische westliche Kunst endete im Allgemeinen beim Kubismus - Picasso und Matisse waren die letzten „Helden der Moderne“.

13Ulrich Reißer, Norbert Wolf, Reclam Kunst-Epochen 20.Jahrhundert II, S. 63-66. 11

Mit dem Ende der Kulturrevolution und dem Tod Maos begann sich China langsam dem Westen zu öffnen, während es aber gleichzeitig doch noch zu internen Kämpfen um das Erbe der Revolution kam, die künftige notwendige Schritte ermöglichen sollten. Diese Bemühungen wurden jedoch in der „Anti-Spirituell-Kampagne“ (gegen die „geistige Verschmutzung“) der Jahre 1983 bis 1984 unter Dengg Liqun, dem Chef der Propagandapartei, stark eingeschränkt. Trotzdem gab es von den späten 1970er bis zu den 1980er Jahren eine dynamische chinesische Avantgarde, die sich unter völlig unterschiedlichen Voraussetzungen entwickelte und die, wie Ai Weiwei, von Dadaismus und anderen Ausformungen der Moderne beeinflusst wurde- besonders von der Konzeptkunst und einer Anti-Kunst, die darauf abzielte, übliche Techniken der Gestaltung und Tradition, die vor allem das Subjekt in den Mittelpunkt stellten, abzuschaffen. Zur ersten Generation dieser avantgardistischen chinesischen Kunst gehörten Künstler wie Huang Yong Ping 14)

100 Arme des Guan Yin. 226x556x758 cm.1977

14 Huang Yong Ping, * 1954 in Xiamen, Autodidakt. Vorbilder: Joseph Beuys, John Cage, Marcel Duchamp. Emigrierte 1989 nach Frankreich. Teilnahme an der European Biennale of Contemporary Art Rotterdam 1997. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Huang_Yong_Ping.) Abgerufen: 09.02.2014 12

Xu Bing 15

Book from the Sky. 1987 Wu Shan Zhuan16

The Big Characters (aus der Reihe „Red Humor Series“). 1986

Gu Wenda17

Wisdom Comes From Tranquility, Teppiche. 1985

15 Xu Bing, *1975. Seit 1990 in den USA. Rückkehr nach China.-Präsident der China Central Academy of Fine Art. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Xu_Bing) Abgerufen: 09.02.2014 1616 Wu Shan Zhuan,*1960. Konzeptkünstler.Malen, Zeichnen, Installationen, Photographie. Verließ China in den späten 1989er Jahren, Professur in Hamburg. Rückkehr nach China 2005. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Wu_Schanzhuan.) Abgerufen: 09.02.2014 17 Gu Wenda.,*1956,Shanghai. Studium an der China-Academy of Fine Art in Hangzhou; lebt in Brooklyn, hat Studios in Shanghai und Xi´an. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Gu_Wenda). Abgerufen: 10.02.2014 13

Qiu Zhijie18

Tatoo 2. 1996

Für ihr Schaffen war vor allem der Konstruktivismus undDestruktivismus charakteristisch.19

Nachdem viele dieser Künstler Ende der 1980er Jahre China verlassen hatten, um nach Europa oder in die Vereinigten Staaten von Amerika zu gehen, bildeten sich neue Künstlergruppen wie die northern art group, die pool society, the red brigade, the big tail elephant group, the new analysts und die Beijing youth painting society.

Durch die gewaltsame Auseinandersetzung am 4.Juni 1989 am Tiananmen-Platz wurde alles, was an kultureller Aufbruchsstimmung herrschte, aufgelöst und durch einen stark marktorientierten Kulturethos ersetzt, wobei 1992 mit der Reise Deng Xiaoping durch Südchina und der Schaffung der „Shenzen Special Economic Zone“ eine Ära des Konsumismus eingeleitet wurde, die sowohl eine ökonomische Expansion als auch eine größere Offenheit für den Westen mit sich brachte. Im Bereich der Kunstausübung entstand ab den frühen 1990er Jahren eine aufstrebende Szene von Galerien und Kunsthändlern, sowohl inländischer als auch internationaler Provenienz.

Ai Weiwei gehörte jener Generation von Künstlern an, die ein Gespür dafür hatten, was sich in China verändern müsste, obwohl es nach wie vor schwere politische Kämpfe gegen Verfechter der Menschenrechte, der Meinungsfreiheit und gegen die Durchsetzung des Individualismus gab. Durch strenge Zensuren wurde alles kontrolliert, was nicht aus China war oder nicht von China geduldet wurde. Alles, was es zu lesen gab, stammte aus der Feder des Vorsitzenden Mao.

18 Qiu Zhijie, *1960 in Zhangzhou. Video- und Fotokünstler. Professor an der School of Inter-Art der Academy of China-Art. (Quelle: http://de.wikipedia/org/wiki/Qiu_Zhijie). Abgerufen: 10..02.2014 19 Charles Merewether, Ai Weiwei. Under Construction. Sidney 2008. S.49. 14

Ai Weiwei war überzeugt, dass er gegen die fehlende Freiheit und die damit verbundene verbotene freie Meinungsäußerung aktiv auftreten müsse. So begann er gemeinsam mit jungen Leuten Gedichte zu schreiben und Zeitungen herauszugeben, in denen sie demokratisches Gedankengut aufgriffen und verbreiteten, um so für die Freiheit der Person zu kämpfen. Ai Weiwei erzählte: Es war wie ein Frühlingserwachen. Jeder las jedes Buch, das er nur bekommen konnte - es gab nicht genug Kopierapparate, um die Bücher vervielfältigen zu können und sie allen Freunden zum Lesen zukommen zu lassen. Die Zahl der bedeutenden Informationen war beschränkt, aber sie erreichten die Menschen ähnlich einer leidenschaftlichen Liebe. Sie brachten Liebe zur Kunst und dem rationalen vernünftigen Denken mit sich.20

Ein Symbol für die Anfänge der Demokratie in China war die „Mauer der Demokratie“ – eine Mauer, an der politisch gefärbte Schriften angebracht wurden, die aber auch Treffpunkt einiger weniger junger Menschen war. Außerdem gab es noch 20 bis 30 Zeitungen, die nachts redigiert, gedruckt und an die Wand affichiert wurden. Ai Weiwei gestaltete die Titelseiten. Er publizierte auch Bücher, bis 1980 Deng Xiaping an die Macht kam, diese Bewegung unterdrückte und die Mauer zerstören ließ, weil er befürchtete, dass ein (zwar von ihm gewünschter) sozialer Wandel ohne Kampf mit den kommunistischen Maximen nicht möglich sein würde.

In dieser Zeit begann Ai Weiwei mit seinen frühen Zeichnungen. Dafür verbrachte er Monate auf Bahnhöfen, weil es dort viele Menschen gab, die ihm als Modelle dienten. Ebenso verbrachte er viel Zeit mit dem Zeichnen von Tieren im Zoo. Seine ersten Malereien waren allerdings Landschaften im Stil von Edward Munch oder von Paul Cezanne.

In Ai Weiweis Vorstellung war Amerika immer das Zentrum der Gegenwartskunst. Obwohl er kaum Englisch sprach, verließ er 1981 China mit nur 30 Dollar Bargeld.

In Amerika gab es zu dieser Zeit in der Kunst verschiedene Strömungen: Neo- Expressionismus, eine neo-figurative Welle und gleichzeitig eine „Appropriation Art“.21

Ai Weiwei führt in seinem Interview mit Ulrich Obrist über diese Zeit aus:

20 Ebda. 21 So z.B.: Jeff Koons, der in seinen Werken Dinge der Konsumkultur als Ausgangspunkt wählt und diese imitiert und verfremdet. Er produziert viele Nachahmungen von bereits Gewesenem in der Tradition der manipulierten Kopien zur Philosophie der Appropriation Art. Siehe: Reclam Kunst-Epochen 20. Jahrhundert II, S.133 15

At the very beginning I studied English. I was so sure I would spend my whole life in New York, I told people this was the last place I would be for the rest of my time (even though I was just in my twenties).22 Ai Weiwei schrieb sich in die Parson-School of Design ein. Sein Lehrer war Sean Scully, ein Bewunderer Jasper Johns´, der damals eine Ausstellung mit einer Serie neuer Werke beim Galeristen Leo Castelli hatte.

S. Scully, „Yellow Light“, Holzschnitt, 53,3 x 55,4. 1992

Das erste Buch, das er las, so berichtet er weiter, war “The Philosophy of Andy Warhol: From A to B and Back Again”, in dem dieser im Jahr 1975 in fünfzehn Kapiteln seine teils philosophischen, aber auch unterhaltende und belehrende Gedanken über Liebe, Schönheit, Ruhm, Arbeit, Zeit, Tod, Geld, Atmosphäre, Erfolg, Kunst, Rang und Namen, strahlenden Glanz – und Unterhosen veröffentlichte.23 Ai Weiwei bewunderte Jasper Johns und wurde darüber hinaus in das Denken Marcel Duchamps eingeführt, das ihm die Moderne und die Gegenwartskunst wie auch den Dadaismus und Surrealismus eröffnete. Diese Hinwendung zu Duchamp ist vor dem Hintergrund dessen „Poetik der Nachträglichkeit“, die mit allen Formen der Verspätung arbeitete, sie bestimmte den schöpferischen Prozeß weniger als Verhältnis von Ursache und Wirkung, sondern als Abfolge verschiedener Zustände eines Systems 24 zu hinterfragen – was konnte sie einem chinesischen Künstler am Ende des 20.Jahrhunderts geben? Duchamps Poetik ist diffus. Sie war von ihm angelegt, „ästhetische Echos“ hervorzurufen. Damit bezeichnete er die sprachlich und rational nicht fassbare Anziehungskraft eines Kunstwerks. Die Erlebnisstruktur des ästhetischen Echos verglich er mit der Psychologie eines verliebten Menschen oder eines Gläubigen, der sein forderndes Ich aufgibt und sich bereitwillig einem

22 Hans Ulrich Obrist, in: Karen Smith, Hans Ulrich Obrist, Bernhard Fibicher, Ai Weiwei. S.15 23 Siehe: Andy Warhol, Die Philosophie des Andy Warhol von A bis B und zurück. Frankfurt 2013. 24 Zit. in: Geschichte und Ästhetik. Festschrift für Werner Busch zum 60. Geburtstag; Hsgb.v. Margit Kern, Thomas Kirchner und Hubertus Kohle. München. Berlin 2004. S. 461. 16

geheimnisvollen Zwang unterwirft. Ganz anders der auf der Affirmation sozialer Konventionen basierende Geschmack, der seiner Meinung nach keine ästhetische, sondern lediglich eine sinnliche Emotion erzeugt. Duchamp suchte mit der Idee des ästhetischen Echos die Erfahrung des Außerordentlichen, Ungewöhnlichen, Seltenen in der Kunst zu benennen. Anders als das Schöne erklärt, integriert und vereinheitlicht das ästhetische Echo nicht nur bestehendes Wissen, sondern transzendiert bekannte Erfahrungen.25

Wenn Ai Weiwei berichtet, dass er beinahe jeder Ausstellung besuchte – diese also zu seiner eigentlichen Akademie wurden - so lernte er nicht nur von den Werken und aus den Schriften Duchamps, der um 1915 den Begriff des Readymade als Akt der „Einschreibung“ der einen Alltagsgegenstand in die ästhetische Sphäre transportierte geprägt hatte, wobei es aber nicht immer allein um das Aufbrechen herrschender Muster der Kunstwahrnehmung ging. Dabei geht es nicht um Banalitäten wie die Demonstration des Warencharakters des Kunstwerkes oder des relativen Charakters von ästhetischen und sonstigen Werturteilen – die Dinge sollten radikal ihrem Eigenleben zugeführt werden. In den 1960er Jahren wurde Duchamp mit dem tatsächlichen Eigenleben der Dinge konfrontiert, weil die Dinge von damals, die ursprünglichen Readymades, verschwunden waren. So mussten die Objekte auf der Grundlage alter Fotos rekonstruiert, eigentlich neu erfunden werden, denn die industrielle Produktion hatte sich verändert. Die Objekte mussten jetzt mit der Hand gefertigt werden und bekamen so, ob mit oder gegen ihren Willen, Kunstcharakter. Dieses eigenwillige Wechselspiel von Original und Kopie, wobei die Kopie nicht als substantiell minderwertig oder abgeleitet gesehen werden kann, korrespondiert eng mit der chinesischen Ästhetik, mit der radikalen Relativierung alles Originalen, aber auch mit der Pragmatik, das zu schaffen, was gerade erforderlich ist. Aber auch der Akt der Einschreibung erinnert an das Chinesische, denn er ist sowohl als Akt der identifizierbaren Bestimmung als auch als vorsätzliche Täuschung integraler Bestand der traditionellen Kunst Chinas. Der Akt der Einschreibung, so Roger M.Buergel,…gemahnt an Chinesisches […]. An den Rändern zahlloser Malereien finden sich kritische Kommentare oder poetische Bemerkungen verschiedener Generationen von Besitzern. Qianlong (1711- 1799), Chinas am längsten regierender Kaiser, der systematisch und ausführlich chinesische Antiken sammelte, hat zum Horror heutiger Konservatoren nahezu jedes seiner Objekte,

25 Siehe: Pierre Cabanne, Gespräche mit Marcel Duchamp. Köln 1972. S.104-110. 17

darunter auch Song-Porzellan mit einer Einschreibung versehen. Zumeist handelte es sich dabei um kunsthistorische Datierungen und Kommentare, wie „(diese Schale) ist so selten, dass sie eine Stadt gekostet hat.“26

Konnte Duchamp einst durch „Einschreibung“ zeigen, dass ein gewöhnlicher Gegenstand nicht mit sich identisch war, wurde jetzt deutlich, dass auch das Readymade nicht mit sich identisch ist. Dies inspirierte wichtige Strömungen der New Yorker Kunstszene und dürfte Ai Weiweis chinesischer Mentalität nicht entgangen sein, weil es Duchamp um Freiheit und Gleichheit in der affektiven Beziehung von Subjekt und Objekt ging, da darin- nach Duchamp - der tiefere Sinn eines jeden „Rendezvous“ liegt, in dem das Geheimnis dem Betrachter oft genug entgegentritt. Die Freiheit erweist sich als situativ, historisch abhängig, nicht immer zu haben, nicht planbar und entzieht sich oft der Kontrolle aller Beteiligten.27

Ai Weiwei erlebte diese Periode und das, was in dieser Zeit in New York passierte, als faszinierend – vor allem den Neo-Expressionismus der frühen 80er Jahre. Er übte sich daran, aber er mochte ihn nicht wirklich, denn seine Vorstellungen gingen eher mehr zum Konzeptualismus und Fluxus. In dieser Zeit waren Werke des Neo-Expressionismus in großer Vielfalt in allen Galerien zu sehen. Ai Weiwei merkt dazu an, dass man sich selbst fragte, welche Art von Künstler man sein wollte. Dann kamen neben Jeff Koons noch andere Künstler. Reißer und Wolf beschreiben Koons in Reclams Kunst-Epochen 20.Jahrhundert II wie folgt:

[…]der den Hang der Gesellschaft nach schneller Genusserfüllung in der Kunst zitiert. In den 80er Jahren stellt er Objekte aus der Alltagskultur (Hoover-Staubsauger) in Plexiglaskästen und schlachtete allseits bekannte Motive der Kitschkultur (Nippesfiguren) und der Kunstgeschichte aus .28

Ai Weiwei erinnerte sich an die erste Ausstellung von Jeff Koons, in der dieser Basketballbälle in einem Aquarium platzierte und wie fasziniert er davon war.

26 Roger M. Buergel, Ai Weiwei. Barely Something. Duisburg 2010. S.57. 27 Siehe: Ebda,. S. 50-58. 28 Reißer, Wolf, Reclam Kunst-Epochen 20.Jahrhundert II, S.133. 18

Jeff Koons, „Three Ball 50/50 Tank“. 1955

1983 fertigte Ai Weiwei seine erste „Skulptur“ an. Im Gespräch mit Obrist bemerkter dazu: …if you could call it sculpture.29 1985 verwendete er einen Drahtkleiderbügel um Duchamps Profil zu gestalten und nannte dieses Objekt Hanging Man.

Hanging Man. 1985

Später arbeitete er auch mit Violinen: z.B.: Violin, mit einem Schaufelgriff statt einer Schnecke.

29 Smith, Obrist, Fibicher, Ai Weiwei, S.15. 19

Violin. 1985 1987 wurde Ai Weiwei von Ethan Cohen, dem Sohn von Jerome und Joan Cohen eingeladen, in dessen Galerie „Art Wave“ auszustellen. Neben dem Objekt Safe Sex und den „Three Clothes Hangers as a Star“ stellte er als weiteres Readymade den „One Man Shoe“ aus.

One Man Shoe. 1987 1986 befestigte er ein Kondom an einem Regenmantel und betitelte das Objekt mit Safe Sex, weil damals, wie er ausführte, jeder Angst vor AIDS hatte. Ai Weiwei wollte, beeinflusst durch Dadaismus und Duchamp, mit Alltagsobjekten arbeiten, wobei er gerade bei der Arbeit „Violin“ den Bezug zum Surrealismus nicht leugnen kann.

Safe Sex,1985

20

1988 zeigte Ai Weiwei wieder in der Art Wave Galerie in einer Einzelausstellung die Installation Five Raincoats Holding up a Star

Five Raincoats Holding up a Star

In dieser Bodenskulptur platzierte er annähernd kreisrund fünf olivgrüne Gummiregenmäntel, die in China zur Alltagskleidung gehören. Sie sind zusammengeknöpft und teilweise verbunden. Die Ärmel, durch die Metallrohre geschoben sind, werden dadurch zu einem fünfzackigen Stern arrangiert, dessen Zentrum leer ist. Die Mäntel sind zu einem latent starren Ganzen zusammengefügt – für Ai Weiwei ein Symbol für einen Gesellschaftskörper als politische Abstraktion - ein Sichtbarmachen von Macht als uniformes Kollektiv. Der Stern als nationales Symbol Chinas, aber auch ein Zeichen der Zensur und der staatlichen Instrumentalisierung der Kunst. Das Sternensymbol weist aber auch auf die Pekinger Künstlergruppe „Sterne“ hin, die sich 1979 gegen die Unterdrückung der Kultur auflehnten. In diesem Jahr machten einige junge Künstler, allesamt Autodidakten, auf ihre westlich beeinflusste Kunst aufmerksam, indem sie ihre Werke am Zaun der staatlichen „China Art Gallery“ anbrachten. Schon am nächsten Tag wurde die Ausstellung von den Behörden geschlossen. Daraufhin organisierten die Mitglieder der Gruppe am chinesischen Nationalfeiertag einen Protestmarsch von der „Mauer der Demokratie“ bis vor den Sitz der Pekinger Stadtregierung und forderten Demokratie und künstlerische Freiheit.30 (Diese Installation ist zurzeit Teil einer Dauerausstellung im Diözesanmuseum in Bamberg).

Nur wenige dieser damals gestalteten Objekte sind vorhanden, weil Ai Weiwei die Gegenstände immer anderweitig verwendete und auch seinen Wohnort oft wechselte.

30 Quelle: http://www.bamberg-onlinezeitung.de/2014/02/07/istallation five-raincoats-holding-up-a-star- von-ai-weiwei.Abgerufen:20.03.2014 21

Allerdings sind aus dieser Zeit doch einige Bilder, die er mit Öl auf Leinwand malte, erhalten geblieben, wie dieses Ölbild, das von Edward Munch inspiriert zu sein scheint

Untitled, Ö/L, 141 x 126 cm. 1982

Die letzten Bilder, die er malte, waren drei Portäts von Mao: Mao 1-3 (1985), um der […]Vergangenheit Adieu zu sagen, wie er sich im Interview mit Obrist ausdrückte31

Mao 1-3. 1985

Die Zeitspanne seiner Malerei dauerte nur sehr kurz. Ai Weiwei begann allerdings schon früh zu zeichnen, um sich darin einzuüben; er versuchte, die Welt mit einfachen Strichen darzustellen. Er verwendete dabei unterschiedliche Techniken und seine Zeichnungen wurden von seinen Lehrern sehr gelobt, aber er sah darin auch die Gefahr, bequem zu werden. In den Zeichnungen Picassos und Matisse‚, die für ihn Vorbild waren, sah er die Bedeutung ständigen Zeichnens. Allerdings sah er darin aber auch für sich die Versuchung, dass er sich überschätzen könnte und so arbeitete er weniger. In den späteren 1980er

31 Smith,Obrist,Fibicher, Ai Weiwei. S.16. 22

Jahren beendete er das Malen. Er begründete dies, dass es Mitte der 1980 Jahre in den USA nur etwa fünfzig Spitzenkünstler gab – wie beispielsweise Julian Schnabel 32

Porträt von Lola. Öl, Keramik auf Holz.1996

David Salle 33

Old Bottles.Ö,Ac/L. 1995

32 Julian Schnabel, *1951, New York. US-amerikanischer Maler. Hauptvertreter des Neo-Expressionismus/New Image Painting- auf unebenen Flächen mit Glas und Porzellan. Ab Mitte der 1990er Jahre auch Regisseur.(Quelle: http://de.wikpedia.org/wiki Julian_Schnabel). Abgerufen: 08.02.2014 33 David Salle, *1952, Oklahoma. US-amerikanischer Maler, Druckgrafiker und Bühnenbildner. /Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/David_Salle). Abgerufen: 08.02.2014 23

Eric Fischl 34

A Visit from an Island. Ö/L. 1986 die geradezu als Stars der Szene des „New Image Painting“ gefeiert wurden, …die sich – so Reißer und Wolf -von der puritanischen Teleologie des Abstrakten Expressionismus hin zum Minimalismus, sprich vom Diskurs der Moder derart unbeeindruckt zeigt, als ob dieser nie existiert hätte. Die Lehren der modernistischen Malerei (All-over, Vermengung von Linie und Farbe, Negation der Hierarchie von Figur und Grund) scheinen wie weggewischt.35

Ai Weiwei besuchte deren Ausstellungen und Galerien und erkannte, dass es für ihn kaum Chancen gab, zu diesen Stars gezählt zu werden. So beschäftigte er sich immer häufiger mit der Fotografie. Diese wurde für ihn eine Schule des Sehens und zugleich eine Übung, das Gesehene festzuhalten. Er machte tausende Fotografien, meist schwarz-weiß, die er aber erst zehn Jahre später nach seiner Rückkehr nach Peking entwickelte. Dazu bemerkte er im Interview mit Obrist: Taking photos is like breathing. It becomes part of you.36

Drei Jahre später richtete Ai Weiwei einen Blog ein und stellte seine beinahe 70.000 Fotos hinein, zuletzt 100 am Tag. So konnten tausende Leute daran teilnehmen – insgesamt kontaktierten etwa vier Millionen Menschen seinen Blog, bei dem es auch einen Link zu seiner chinesischen Kaligraphie gab. Ai Weiwei verwendete dafür ein Graphikprogramm. Er vertritt die Meinung, dass die Schrift und das Schreiben zum Menschsein gehören. So stellte er in einen Blog 200 Schreibstücke und Interviews in chinesischer Schrift, schwarz auf weiß geschrieben.

34 Eric Fischl. *1948, New York. US-amerikanischer zeitgenössischer Maler.Grafiker und Bildhauer des Amerikanischen Realismus. (Quelle: http://de.wikipwedia.org/wiki/eric_Fischl). Abgerufen: 08.02.2014 35 Reißer,Wolf: Kunst-Epochen 20.Jahrhundert II. 259. 36 Smith, Obrist, Fibicher, S.16. 24

Blog, chinesische Schrift. 1982/83

Sein erster Blog bestand nur aus einem einzigen Satz in Blockbuchstaben: If you express oneself one needs a reason, let me say that to express oneself is the reason.37 In Hans Ulrich Obrists Interview wird dies so übersetzt: „Man braucht einen Zweck, um sich selbst auszudrücken, aber dieser Ausdruck ist selbst schon Zweck.“38

Als Ai Weiwei noch in New York war, gab er seine chinesische Staatszugehörigkeit auf, da er vorhatte, für immer in den USA zu bleiben. Dadurch wurde er allerdings ein Illegaler. Er versuchte zu überleben, indem er alle möglichen Jobs annahm. Er wusste zwar, dass er ein Künstler war, aber er erkannte auch, dass es zum Künstlersein mehr braucht als Lifestyle und Attitüden. In dieser Zeit schuf er nicht viel, seine Werke waren weder künstlerisch noch finanziell erfolgreich.39

37 Kai von Rabenau, Ai Weiwei, Portrait of a Critical Mind. Monokultur Berlin 2009. S.41. 38 Ai Weiwei/Hans Ulrich Obrist, Ai Weiwei spricht. Hanser, München 2011. S.64. 39 Ebda, S.19f. 25

4. Die Arbeiten des Künstlers in den ersten Jahren in Peking

1993 kehrte Ai Weiwei nach China zurück, da sein Vater ernsthaft erkrankt war. Er war der Meinung, dass sich in der Zwischenzeit einiges in China geändert haben müsste. Aber es gab nur wenig Veränderung, vor allem hatte sich die Kommunistische Partei Chinas nicht gewandelt. 1989 gab es den Studentenaufstand und dessen blutige Niederschlagung am Tiananmen-Platz - es gab noch immer Zensur, keine Redefreiheit und Ai Weiwei fühlte sich fehl am Platz. Ab 1994 begann er, an drei Büchern zu arbeiten: The Black Cover Book (1994), The White Cover Book (1995), und (1997) The Grey Cover Book.

S eite aus dem Black Cover Booh. 1994

26

Seiten aus dem Black Cover Book, 1994

Diese Bücher schienen wie Manifeste, die die Lücke der 1960er Jahre nach den Manifesten des Dadaismus (1918) und des Futurismus (1909), aber auch die des frühen russischen Konstruktivismus und Fluxus der 1970er Jahre füllen konnten. Ai Weiwei wollte damit

27

betonen, dass jede Kunstrichtung eine Art Manifest ist – ein Hinweis auf Neues, auf eine neue Position, eine Rechtfertigung oder die Identifizierung möglicher Konditionen.40

1997/98 gründete er mit einer Gruppe junger Künstler das China Art Archives and Warehouse, den ersten Ort für Gegenwartskunst in China. Die Objekte dieser Gruppe wurden in Hotellobbys und Geschäften an Touristen und Botschaften verkauft, um zeigen zu können, was in China an bildender Kunst geschah.41

China Art Archives and Warehouse, Peking

Ai Weiwei war er von der konsumorientierten Kultur Amerikas und deren boomenden Markt in einem gewissen Maß beeinflusst; allerdings fand er aber auch das chinesische Regime bezüglich des Fremden oder des Respektieren des Fremden nicht mehr so ablehnend, wie es die Regierung einst verkündet hatte.

40 Smith, Obrist,Fibicher, S.24. 41 Ebda. 28

4.1. Auseinandersetzung mit der antiken Kunst Chinas in Readymades

Eines der ersten Werke Ai Weiweis, die er in China schuf, war im Jahr 1993 Untitled. Er platzierte als typisches Kennzeichen der Song-Dynastie (960-1279) eine kleine Figur aus dieser Zeit in eine leere Johnnie Walker-Flasche – ein Verweis auf den Brauch im Westen, kleine Segelboote kunstvoll in Flaschen einzubauen. Damit wollte der Künstler die Vereinnahmung und Verwirtschaftlichung der Kultur Chinas innerhalb des engen Rahmens der Wirtschaftsökonomie der Vereinigten Staaten zum Ausdruck bringen.

Untitled. 1993

In einem folgenden Werk Tang Dynasty Courtesan in Bottle (1994) stellte er eine mehr als tausend Jahre alte Statue einer Kurtisane in eine Absolut Kurant-Flasche. Er schreibt dazu:

Jedes dieser Readymades vereinigt Symbole zweier Menschen im Rauschzustand außerhalb des Gegensatzes eines einzigartigen und frei verfügbaren Kunstwerkes, sorgfältige Handarbeit und Massenproduktion - Antikes und Modernität..42

Anstatt in Museumsvitrinen ausgestellt zu werden, sollen diese seltenen und kostbaren Objekte, die eine ganz bestimmte Kulturgeschichte Chinas darstellen, zur „Konsumation“ in Flaschen gefüllt werden. Gemeinsam betrachtet, sind sie gleichzeitig im und doch entfernt von Ai Weiweis New Yorker-Stil gestaltet. Sie stellen den Beginn seiner andauernden

42 Merewether, Ai Weiwei Under Construction. S.50. 29

kritischen Beschäftigung mit der Geschichte der antiken chinesischen Objekte dar - durch Ton-, Keramik- und Porzellankunstwerke als Synonym für „China“ definiert. Im Gegensatz zur ideologisch gefärbten Rhetorik der Politik gegen den Konsum des Westens und als Symbol der kulturellen Entwurzelung Chinas.

Tang Dynsty Courtesan in Bottle.1994

In Anbetracht dieses Szenarios - die Relation zwischen Vergangenheit und der eigenen Geschichte - wurde dies als wichtiger Richtwert im Prozess des Wandels der Künstler Chinas, die in diesem kulturellen Umfeld arbeiteten, an sich selbst wahrgenommen. Für viele von ihnen war weder das Zurückgehen in die Vergangenheit noch das Festhalten an der „Ästhetik des Vatermordes“43 oder eine kulturelle Zurückhaltung wichtig, um eine andere als die ererbte Ordnung zu schaffen. Der Wandel bestand darin, die Kultur von den

43 In Totem und Tabu (1913) entwarf Sigmund Freud eine Theorie über die Entstehung der Religion und Kultur. Junge Männer (die Söhne) töteten ihren Vater, der sie tyrannisierte und ihnen die Frauen wegnahm, was dazu führte, dass sie gleichsam als Wiedergutmachung dem Ermordeten überirdische Kräfte zusprachen, ihn zum „Totem“ machten und gleichzeitig Normen einrichteten, die das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ordnen sollen. (Quelle: Mario Erdheim, in: Wolfgang Marschall (Hg.), Klassiker der Kulturanthropologie, Von Montaigne bis Margaret Mead, München 1990. S.145. ZEIT ONLINE veröffentlichte am 28.10.2010 mit Aufruf zum Vatermord einen Artikel von Florian Illies zu diesem Thema: „Hundert Jahre nach Sigmund Freuds Totem und Tabu scheint eine kulturelle Grundkonstante in Vergessenheit geraten zu sein, dass nämlich die Kulturgeschichte mit der Ermordung des tyrannischen Vaters der Urhorde durch die Söhne ihren Anfang nimmt. An die Stelle der bisherigen Ahnenreihe war mit Freud also das Ethos und Pathos des Neubeginns und der Erneuerung getreten. Die Entwicklung der abendländischen Kultur belegt, dass wirkliches Wachstum immer aus dem Dreiklang von Adaption, Simulation und Überwindung entstand. Aus dem Manierismus erwuchs das Barock. Aus dem Historismus das Bauhaus. Wenn die Protegés nie hätten besser werden wollen als ihre Mentoren, dann würden wir noch immer Höhlenwände mit rennenden Mammuts bemalen. … 1953 nahm sich der junge Amerikaner Robert Rauschenberg eine teure Originalzeichnung des seinerzeit maßgeblichen Expressionisten, des 50jährigen Willem de Kooning, um sie in dreiwöchiger Arbeit komplett wegzuradieren. Dann stellte er das weiße Blatt als Erated de Kooning unter seinem Namen aus. Das war symbolisch der perfekte Vatermord. (abrufbar unter: Quelle: ZEIT ONLINE; http://www.zeit de/2010/05/Vatermord) Abgerufen:27.05.2011 30

aufgezwungenen und ideologischen Ansichten zu befreien. Und so bleibt für Ai Weiwei die Frage: Was war an den Gebäudekomplexen, die in den Städten geschaffen wurden, neu? Wozu hat man das Alte überliefert und wie wurde dies in der Vergangenheit gesehen oder präziser: wer vertrat eine andere Meinung?

In seinen Schriften über die ästhetische Herrschaft bemerkt der Philosoph Jacques Rançière, dass die Neuheit der Tradition nicht ein Zerstören der Tradition meint – wie die Deklaration der Autonomie in der Moderne als symbolischer Akt des Vatermordes erscheint, sondern als ein „neues Regime“, das mit der Vergangenheit in Zusammenhang steht. Er führt weiter aus:

Die Kunst rührt also tatsächlich als autonome Form der Erfahrung an die politische Aufteilung des Sinnlichen. Das ästhetische Regime der Kunst errichtet das Verhältnis zwischen den Formen der Identifizierung und den Formen der politischen Gemeinschaft in einer Weise, die von vornherein jede Opposition zwischen einer selbstbestimmten Kunst und einer fremdbestimmten Kunst, eines L´art pour l´art und einer Kunst für das Volk ablehnt Denn die ästhetische Autonomie ist nicht diese Autonomie des künstlerischen „Machens“, die der Modernismus gefeiert hat. Sie ist die Autonomie einer Form sinnlicher Erfahrung. Diese Erfahrung erscheint als Keim einer neuen Menschheit, einer neuen, individuellen und kollektiven Form des Lebens.44

Vergegenwärtigt man sich Rançiéres Thesen, zeigen sich diese in Ai Weiweis Werken in einer Serie von Rekonstruktionen, die das wiederspiegeln, was die chinesische kulturelle Geschichte - oder deutlicher - Chinas Verhältnis zu sich selbst darstellt - und wer die Vorstellung hat und definiert, was sich in der eigenen heutigen Tradition zeigt. Im Hinblick auf die Künstler, die während der 1980er Jahre in China lebten und arbeiteten, mussten diese Fragen für Ai Weiwei immer eine Herausforderung und ein Ansporn gewesen sein. Vor allem, wenn man im Zusammenhang mit dieser Periode - in der China die Menschen dazu drängte, sich an einer auf Konsum zugeschnittenen Kultur zu beteiligen - bedenkt, dass das Auslöschen einer Epoche, die kaum zwanzig Jahre vorher geendet hatte, bedeutungslos erscheinen musste.

Nach der Rückkehr Ai Weiweis aus New York waren seine Objekte zumeist Readymades oder Montagen. Stellt man Vergleiche mit den Werken an, die er nach 1993 in China schuf,

44 Jacques Rançière, Das Unbehagen in der Ästhetik. Wien ² 2008. S. 43. 31

entdeckt man eine Serie von Aktions- und Objektkunst, deren zentrale Aussage der Wert ist, der ihnen als Kunstwerk oder Objekt innewohnt, wobei sich die Fragen stellen: Was wurde hier durch ihn gewertet und mit welcher Absicht? Wer bestimmt den Wert? Was genau kann man in diesen Werken des Künstlers ernst nehmen - den Akteur oder das Werk selbst? Die Antwort auf diese Fragen ist in zwei Schlüsselwerken klar definiert, die er zwei Jahre nach seiner Rückkehr nach Peking schuf: Han Dynasty Urn with Coca-Cola Logo, 1994 und Dropping a Han Dynasty Urn, 1995. Beide markieren den Beginn einer fortlaufenden und kritischen Auseinandersetzung sowohl mit der Geschichte Chinas als auch mit Ton als Material.

Han Dynasty Urn with Coca-Cola-Logo

Der Titel des ersten Werkes beschreibt das Objekt als das, was es ist: eine antike Vase, auf der der Künstler das Coca Cola-Logo in roter Farbe anbrachte. Indem Ai Weiwei damit die Künstler des New Yorker Readymades und das charakteristische Zusammenspiel seines Werkes mit dem von Duchamp und der Pop Art der 1960er, vor allem bei Warhol, wieder in Erinnerung rief, ist dieses Objekt nicht einfach chinesisch, sondern - was wichtiger ist - in ihm ist mit dem Coca-Cola-Logo schon eingeschrieben, was nicht zu den Werten der chinesischen Kultur zählt. Welchen Wert oder welche Authentizität der Vase auch zukommen mag, beides wurde durch das Coca-Cola Logo vernichtet. Ai Weiwei verwendete das Logo, um den Unterschied zwischen der Hochkultur und der „niedrigen“ Kultur zu betonen und auf deren Bedeutung als Ware hinzuweisen. Dies wird in einleuchtender Weise durch den kursiven Schriftzug, der der Krümmung der Vase folgt, gezeigt. Überdies kann dieses Werk auch entlang der Entwicklung der Kultur Chinas gelesen werden, die sich

32

möglicherweise in der westlichen Warenkultur subsummiert, für die der allgegenwärtige multinationale Coca-Cola-Konzern steht. Sich auf die Applikation dieses Logos berufend, bewirbt das Logo als Reklame „the real thing“ (also „das einzig Wahre“); die Vase ist von ihrem Wert abgelöst als etwas mehr als eine Fabrikation und durch die Wirkung der Marke als authentisch wieder eingeschrieben.45

Ein weiteres Schlüsselwerk zum Verständnis seines Kunstschaffens in der Auseinandersetzung mit der chinesischen Kultur setzte Ai Weiwei 1995 mit der Gestaltung eines Foto-Triptychons, das sich Dropping a Han Dynasty Urn nennt und das den signifikanten Wandel in seiner Anschauung über die Rolle der zeitgenössischen Kunst für China markierte. Hier verwendete er die Fotografie als Dokumentation einer Performance, wobei er sich vor einer Ziegelwand stehend fotografierte.

Im ersten Bild dieser Fotoreihe hält er die antike Vase noch, im zweiten lässt er sie fallen und schließlich zerschellt sie im dritten Foto auf dem Boden. So erhält jedes Foto eine bestimmte Beziehung zur Vase als Symbol für das antike China. Man könnte auch sagen, dass das erste Foto in im Moment des Fotografierens das Überleben der Vase als einem Relikt von großem symbolischen Wert im Hinblick auf das Material, die Ästhetik und die Geschichte Chinas repräsentiert. Das zweite Foto ist bezeichnend für das Zeichen eines „Gehen-Lassens“ – nicht nur für die Vase, sondern auch symbolisch für die Geschichte

45 Merewether, Ai Weiwei: Under Construction. S. 59. 33

Chinas - ein Zeichen, das vom Künstler gesetzt wird, der will, dass er sowohl als Individuum als auch als Bürger Chinas anerkannt wird. Im dritten Foto posiert Ai Weiwei wie im zweiten, nur liegt die Vase zu seinen Füßen zerschellt am Boden. Weder zeigt sich in seiner Miene Überraschung, noch gibt es bei ihm den Ausdruck eines Schocks oder der Bestürzung. Das Zerbrechen wird als normaler Vorgang dargestellt und suggeriert durch den Titel und die Präsentation eine bewusste Schmälerung der Signifikanz dieser Aktion.46

Beide Objekte mit den Vasen fassen gegensätzliche Seiten eines einzelnen konzeptuellen Kerns zusammen, die den Künstler für 25 Jahre beschäftigen sollten. Einerseits war es 1994 die Umwandlung eines antiken Gefäßes in ein zeitgenössisches Gefäß, das durch das Zeichen eines fremden, kapitalistischen Logos (Coca-Cola) gekennzeichnet ist; hier erhebt sich die Frage nach dessen, ihm innewohnenden Wert. Und andererseits negiert die Vase von 1995, die er absichtlich zerstört, alles andere als eine abstrakte autonome Vorstellung. In beiden Fällen scheint der Wert außerhalb der Form selbst zu sein, weist aber kaum auf Anerkennung oder Wiedererkennen des Wissens um eine Handwerksarbeit hin, die notwendig ist, um solch ein Objekt von ästhetischer Feinheit und Schönheit herzustellen. Von daher, kann man von Ai Weiweis Arbeiten annehmen, dass sie weder Brauchtum symbolisieren noch ikonoklastisch sind, wohl aber eine dialektische Umkehrung der beiden Formen gegen die Vergangenheit sein wollen. Er sucht in einer zu Fall gebrachten ästhetischen traditionellen Symbolik, die im Namen der Vorfahren erlassen wurde, weder eine willkürliche Destruktivität noch die ideologische Auslöschung der ästhetischen Konventionen.47

In der Installation feet aus dem Jahr 2003 übernimmt abermals ein Artefakt aus Chinas Vergangenheit die Aufgabe, andere Artefakte zu fassen: es sind aus Stein gehauene Fußpaare , die noch an den Steinresten von abgeschlagenen Buddhastatuen der Nördlichen Qi-Dynastie (550-577), in deren Epoche der Buddhismus eine Blütezeit mit zahlreichen Tempelbauten erlebte., haften. 577 wurden die Tempel und zahlreiche Skulpturen durch die Eroberung der Nördlichen Zhou-Dynastie zerstört. Bei Bauarbeiten in Qingzhou

46 Ebda, S.60. 47 Ebda. 34

entdeckte man 1996 ein Versteck mit Hunderten steinernen Buddha-Statuen, die gezielt verstümmelt und vergraben worden waren.

Feet. 10 Fragmente (Qi-Periode, 550- 577). Holzplatten, Tisch.2003

Im zentralen Feld präsentieren sich in zwei aufsteigenden Reihen insgesamt 10 Fußpaare, wobei der doppelte Sockel die skulpturale Form fast in den Rang eines autonomen Kunstwerks hebt. Ai geht es hier um eine Anleitung zur Betrachtung der reinen Form, wobei er den historischen Zusammenhang und den Fragment-Charakter nicht leugnen will. Roger M. Buergel führt dazu aus: Ai Weiwei geht es um das Sein der Dinge, bestimmter Dinge. Und er bedient sich der künstlerischen Form des Display, um diese Dinge emphatisch zu zeigen und damit sein zu lassen. Als Künstler bearbeitet er die Schnittstelle von Artefakt und Betrachter. Er definiert die Situation, in welcher der Funke überspringt oder eben nicht.48

Deutlich kann man an diesem Werk das Duchamp`sche „Rendezvous“ zwischen Artefakt und Betrachter wahrnehmen.

48 Roger M. Buergel, Ai Weiwei. Barely Something. Duisburg 2010. S.33 35

Exkurs

Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in China

Betrachtet man diese Thematik aus westlicher Sicht, fällt man höchstwahrscheinlich rasch in ein Schwarz-Weiß-Denken: Geschichte als Rekonstruktion des Gewesenen spiele keine Rolle und Chinesen seien seit jeher in ihrer Geschichte gefangen – die jahrtausendalte Tradition werfe noch immer ihre langen Schatten auf die Gegenwart und in die Zukunft. Herrscherdynastien – sowohl Kaiserhäuser als auch deren sozialistischen Nachfolger – hätten die Geschichte im Sinn ihrer eigenen Legitimation instrumentalisiert. Geht somit eine „Geschichte der Tyrannei“ mit einer „Tyrannei der Geschichte“ einher, die der Gesellschaft bis heute ihren Stempel aufdrückt?

Im westlichen Denken gilt es schon lange als etabliert, dass Geschichtsschreibung die Vergangenheit nicht einfach reproduziert, sondern deren Bedeutung erst dadurch hergestellt wird, indem Geschichte narrativ verfasst wird. In diese fließen dann mehr oder weniger subtil spezifische Legitimationsansprüche, Machtinteressen und Gegenwarts- und Zukunftsinteressen ein. Hier stellt die chinesische Geschichtsschreibung also keinen Sonderfall dar.

Einen graduellen Unterschied zwischen europäischer (westlicher) und chinesischer Geschichtsschreibung lässt sich in der charakteristischen Geschichtsschreibung der chinesischen Schrifttradition ausmachen: seit dem 9.Jh.v.Chr. dominiert eine historische Narrative des „Himmlischen Mandats“ – darauf gründeten sich die Herrschaftsansprüche der Herrscherhäuser und Dynastien. Mit Lin Qichoa wurde dies Anfang des 20.Jh. durch erste Entwürfe einer modernen Nationalgeschichte ersetzt. Unter marxistischem Einfluss ordnete man in den 1930er Jahren die chinesische Geschichte in das Stalinistische „Fünf- Phasen-Modell“ ein, das von der Sklavenhalterschaft bis zum künftigen Weltkommunismus reicht. Dieses Schema beinhaltet bis zum heute aktuellen Geschichtsunterricht die Periodisierung der vergangenen vier Jahrtausende. Es gelang also den jeweils herrschenden Eliten über lange Phasen hinweg, aus einer dominanten historischen „Master-Narrative“ ihre Legitimation abzuleiten. Dies gilt auch für die historische Narrative der Kommunistischen Partei, die 1954 in einer Resolution ihren geschichtspolitischen Monopolanspruch erhob, den sie im Jahr 1981 bekräftigte, um ein Signal der Abkehr von Klassenkampf zu setzen. In den vergangenen 30 Jahren erodierte dieser Monopolanspruch 36

zunehmend und konnte bis heute trotz Vereinheitlichungsstrategien immer weniger aufrechterhalten werden.

Am Beginn der 1980er Jahre kam es mit dem öffentlichen Abwenden vom Primat des Klassenkampfes zu einem grundlegenden Wandel im Geschichtsdiskurs, weil die Öffnung des Landes nach außen den Bedarf nach einer eigenen nationalen Identität erhöhte. So wurde das Andenken an den mit unwahrscheinlicher Grausamkeit geführten und über 20 Millionen Todesopfer fordernden Sino-Japanischen Krieg von 1937 bis1945 durch groß angelegte Forschungen, Ausstellungen, Bildbände, Dokumentationen, File und Memoiren neu gepflegt. Die aktive Erinnerung an Gräueltaten schien eine gute Basis für das Schaffen einer klassenübergreifenden Identität des Chinesischen Volkes zu werden.49

49 Siehe: Heike Holbig, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in China. Quelle: Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn 2011. (abrufbar unter: http://www.bpb.de/themen/209P5R,O, Erinnerungskultur und Geschichtspolitik in China.html). Abgerufen:12.04.2011 37

5. Arbeiten mit Porzellan

5.1. Ai Weiwei und seine künstlerische Umsetzung des alten chinesischen Kulturgutes Porzellan

Sue-an van der Zijpp schildert diese Umsetzung in ihrem Beitrag zum Katalog zur Ausstellung von Porzellanwerken Ai Weiweis im Groninger Museum, dass Ai Weiwei bald nach seiner Rückkehr nach China Antiquitätenmärkte besuchte und dort in dem Angebotenen Beweise der außerordentlich ästhetischen Feinheit chinesischer Porzellanherstellung entdeckte, die unter den verschiedenen Dynastien erreicht worden war und die sehr teuer zum Verkauf angeboten wurden. Er erkannte allerdings auch sehr bald, dass es sehr schwierig war, das wahre Alter und die Echtheit der Vasen zweifelsfrei zu bestimmen. Bei einer Reise nach Jingdezhen, einer Region, die für ihre Brenntechnik und die Produktion königlichen Porzellans während der Dynastien berühmt war, entdeckte er, dass diese Handwerkskunst noch existierte und es Handwerker gab, die noch immer die Fähigkeit besaßen, Porzellan in höchster Qualität zu produzieren; dabei fragte er sich, wo die Grenzlinie zwischen dem echten Objekt und der Kopie liegt, und was eine Kopie oder was eine offensichtliche Imitation ist, die allerdings keine Fälschung sein will. Ai Weiwei überlegte, welche Bedeutung solchen perfekten Kopien zugemessen würde, die meist von den Originalen, die heute in Museen ausgestellt werden, nicht zu unterscheiden sind. So schlug er vor, dass diese Handwerker aus dem Zentrum der Porzellanherstellung mit einer zweitausend Jahre alten Tradition Kopien oder Repliken von Vasen im Guan-Standard50 und Reproduktionen des besten Blau- und Weiß-Porzellans aus der Kangxi-, der Yongzheng- und der Qianlong-Dynastie herstellen sollten, die Chinas lange Tradition im Herstellen von Massenproduktion hervorheben.51 1996 publizierte Ai Weiwei zwei Fotografien: eine zeigt den Künstler beim Zerschlagen zweier antiker Schalen, die zweite das nachträgliche Zusammensetzen der Scherben. Sie tragen den Titel: Breaking of Two Blue-and-White „Dragon“ Bowls (Qing Dynastie, Kangxi- Periode, 1622-1722).

50 Guan-Porzellan besitzt einen hohen Eisengehalt und erhält seine Wirkung durch die ziemlich dick aufgebrachte glänzende helle Glasur. In der Song-Dynastie (1127-1279) wurde es mit einem dünnen Körper, aus feinster Qualität und mit glatter, glänzender Glasur hergestellt. 51 Mark Wilson, Sue-an van der Zijpp, Unbreakable, Ai Weiwei. Ausstellungskatalog Groninger Museum. Rotterdam 2008. S. 9f. 38

Breaking of Two Blue-and-White „Dragon“ Bowls. Qing Dynasty, Kangxi period (1662-1722) Ø: 19 cm. 1996.

Dem folgen Fotografien eines anderen Paares ähnlicher Schalen, die der Künstler mit einem Hammer zerschlug. Es ist eine im wahrsten Sinn des Wortes Visualisierung des Ausdrucks „Unter den Hammer kommen“, die auf die Praktiken der Auktionshäuser Bezug nimmt. Zwei Jahre später schuf er performance remains, die er mit Dao Guang Blue-and- White-Porcelain and Hammer betitelte und 1988 in einem kleinen Vitrinen-artigem Rahmen, der in der Präsentation eine museale Form nachahmen sollte, ausgestellt wurde.

performance remains. 1998

Da Ai Weiwei mit dieser Betrachtung dem „objet trouvée“-Format des Surrealismus sehr nahe kommt, bringt er eine dramatische Kritik an der musealen Logik an, bei welcher der 39

Akt des geschichtlichen Auslöschens in einen Akt des Erhaltens umgeformt wird. Durch das Platzieren des Hammers an der Seite der Porzellanschale hebt der Künstler die performative Übersetzung der Produktion des Objekts hervor. Dadurch werden die kostbaren Porzellanteile Beweisstücke für das gegenseitige Kräftemessen von staatlichen Vorgaben und schöpferischer Kraft. So verdoppelt Ai Weiweis Geste die Ironie des staatlichen Diskurses, indem er ihn als Diskurs von Macht aufdeckt – anders, als danach zu streben; die Macht einer ästhetischen Tradition, umzustoßen,die symbolisch für die Vergangenheit steht, stellt er eine gewalttätige Umkehrung der Vergangenheit durch einen Wandel der ideologischen Konstruktion des ästhetischen Wertes dagegen. Vielleicht gibt es nur einen Weg, diesen Wandel zu vollzuziehen, und die Einstellung zu den Vasen als Objekte großer Schönheit ist vielleicht eine Befreiung von dem ihnen eingeschrieben Wert: nämlich sie zu zerstören, zu bemalen oder sie zu kopieren. Sie lassen die Möglichkeit einer Koexistenz für anderes Kunstdenken erkennen - im Gegensatz zu ihrer Zustimmung oder Ablehnung – und auch die Werte, für die sie stehen. Es ist gerade dieser bestimmende Punkt, dass man sie wieder bewusst sehen und von daher beginnen kann, sie auf unterschiedliche Weise zu schätzen. Aufgrund seiner Aktionen sucht Ai Weiwei unsere Perzeption zu diesen Objekten zu befreien, indem sie wieder sichtbar werden.52

Nicht zerstört, sondern genau strukturiert aufgestellt sind die antiken Tonkrüge aus der Steinzeit (10.000-4.000 v.Chr.), wobei einige mit einer dicken Farbschicht versehen sind. Für solche Anordnungen wie White Wash (1993 -2003) überzog der Künstler die tausende Jahre alten Objekte, indem er ihren ursprünglichen Dekor entweder mit dicken Farbschichten übermalte – manchmal in Weiß, manchmal in Primärfarben.

White Wash, 1993-2003)

In seiner Begründung bemerkt er dazu: To have other layers of colour and images above the precious ones calls into question both the identity and authenticity oft the object. It

52 Merewether, S. 63f. 40

makes both conditions non-absolute: you can cover something so that it is no longer visible, but is still underneath, and what appears on the surface is not supposed to be there but it´s there.53

Coloured Vases. 2006

5.2. Porzellan als Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten des Materials

Es ist kein Zufall, dass Porzellan und Keramik einen wesentlichen Platz im künstlerischen Schaffen Ai Weiweis einnimmt, da ja Keramik für die kulturelle Geschichte Chinas außerordentlich wichtig und sehr eng mit der chinesischen Identität verbunden ist. Die Technik in der Herstellung beider Produkte ist tausende Jahre alt. Andererseits ist die Herstellung von Porzellan eine jüngere und wurde zuerst in China zwischen dem 7. und 9.Jh. n. Chr. ausgeübt. Porzellan ist ein extrem hartes, aber dünnes Material, das einen glockenähnlichen Klang hervorbringt, wenn man darauf klopft. Später wurde es speziell für den Handel produziert und war als „Exportporzellan“ bekannt. Seit dem 16. Jh. verbrachte man chinesisches Porzellan in unterschiedlicher Qualität nach Europa, zuerst durch die Portugiesen und dann von der Ostindischen Kompanie. Am Ende des 17. Jh. war das Porzellan höchst begehrt und in vielen Variationen erhältlich. Bei seinen Streifzügen durch die Flohmärkte bemerkte Ai Weiwei, dass es nur Experten möglich war, zwischen Original und Fälschung oder Kopie zu unterscheiden. Und es ist auch deshalb so schwierig, weil es in China für die traditionelle Herstellung üblich war, in derselben Art des Meisters zu arbeiten und ihn zu imitieren; so erreichte die Porzellanproduktion in bestimmten Perioden absolute Höchstformen in ihrer Perfektion. Im Chinesischen hat das Äquivalent zum Wort „copy“ eher die Bedeutung von „produzieren“ oder „anfertigen“. Ai Weiwei ließ daher von den Porzellanherstellern der Stadt Jingdezhen, dem Zentrum der chinesischen Porzellanmanufaktur mit einer zwei

53Zitiert in: Sue-an van der Zijpp, Unbreakable. S.9. 41

Jahrtausende alten Tradition, im Jahr 2004 Porzellan in bester Qualität und übereinstimmend mit dem kaiserlichen Guan-Standard anfertigen - eine Reproduktion besten Porzellans in Blau-Weiß der Kangxi-, Yongzheng- und Qianlong-Dynastie, welche den Höhepunkt der historischen chinesischen Porzellanproduktion bildeten. Die Blue and White Moonflask aus dem Jahr 1996 ist ein Beispiel für eine Replik im Qing-Stil aus der Qianlong-Dynastie (1763-1795.

Blue and White Moonflask, 1996.

Mit der Arbeit Ai Weiweis um das Jahr 2004 begann eine neue Ausrichtung seiner Objekte mit Porzellan und er verlagerte sein Augenmerk weg von den Werken wie der Blue and White Moonflask. Nach seinem ikonoklastischen Werk und seinem Nachdenken über die Frage der Authentizität, zeigen seine späteren Werke der Keramik- Readymades mit ihrer offensichtlichen Trivialität, Banalität und ihrem humorvollem Zugang doch Unterschiede. Im Porzellan, einem in China hochgeschätztem Material, ergibt sich in seiner zeitgenössischen Resonanz eine Spannung zwischen Hoch- und Niedrigkultur, zwischen Tradition und Modernität, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. In den meisten Fällen haben die keramischen Werke eine größer Einfachheit als die meisten seiner anderen Werke dieser Periode, die deutlich groß, ja beinahe monumental sind.54 In einer ähnlichen Dimension wie seine Study of Perspective ist sein Werk Pee von 2007, bei dem er in meisterhafter Manier Kunstfertigkeit mit Banalität verbindet. Das Objekt aus Porzellan besteht aus einem männlichen Genital, das nur durch einen

54 Wilson, Zijpp, Ai Weiwei. S. 10. 42

dünnen Urinstrahl mit dem Boden verbunden ist. Nicht nur, dass es als Sieg über die Schwerkraft erscheint, es scheint auch über die Fragilität des Ausdrucksmittels Spaß hervorzurufen und so etwas über den Schöpfer dieses Werkes und sein Schaffen auszusagen.55

Pee. 2007.

2006 schafft der Künstler mit Bowl of Pearls einen ironischen sozialkritischen Hinweis auf die sogenannte „Iron bowl of rice“ – ein Terminus, der während der kommunistischen Zeit ausgegeben wurde und der an den Wohlfahrtstatus in China erinnern sollte, der den Bürgern ausreichend Nahrung garantieren und sie von der Wiege bis zum Grabe schützen sollte. Ai Weiwei ersetzte die „iron-bowl“, durch eine Schüssel mit einem Durchmesser von etwa einem Meter aus fragilem Porzellan und statt der Reiskörner verwendete er Süßwasserperlen, wobei er gleichzeitig damit der heutigen Konsumgesellschaft die Leidenschaft für den materiellen Reichtum und die Verletzbarkeit der aufgeblasenen Ökonomie vor Augen führt.56

55 Ebda. 56 Ebda, S. 10f. 43

Bowl of Pearls, 2006.

Ganz offensichtlich wird auch dem Werk Oil Spills aus dem Jahr 2005 (das aus großen schwarz glänzenden Bodenfliesen besteht, die aussehen, als hätte jemand zähe Melasse darüber ausgeschüttet) ein sozial-gesellschaftspolitischer Hintergrund beigegeben. Auch hier ist unschwer zu erkennen, dass Ai Weiwei damit aufmerksam machen will, in welch fataler Weise die Welt heute im Kampf um das Öl verbunden ist, und dass damit das Aufkommen Chinas als wirtschaftlicher Superstaat und die entsetzliche Zerstörung der natürlichen Ressourcen der Erde in Kauf genommen wird.

Oil Spills, 2005.

Ruyi war ein schlichter „backscratcher“ und der Name bedeutet eigentlich „ was du dir wünscht“. Im Lauf der Zeit entwickelte sich der backscratcher zu einem imperialen dekorativen Objekt. 44

Ruyi, 2006 Mit diesem Werk erläutert der Künstler eine typisch chinesische Tradition: Der Rückenkratzer entwickelte sich in seiner Form immer mehr zu einem hoheitsvollen Zepter, nahm oft die Form einer Muschel, eines Herzens oder einer Wolke an und war an einem stielförmigen Griff befestigt. In seiner späteren Ausformung wurde er ein Symbol für „langes Leben“ und „viel Glück“. Ai Weiwei gestaltete seine eigene Variation, wobei das Zepter einem inneren menschlichen Organ gleicht – weich, formlos, leicht verderblich und in seiner neuen Form doch hart und - wenn man es sorgsam behandelte - unzerstörbar.57

Das Porzellanobjekt „Wave“ von 2005 scheint an die alte chinesische bildnerische Tradition anzuknüpfen, hier vor allem an die Zeichnungen. Zur gleichen Zeit, als er die Abbildung einer Welle aus seladogrünem Porzellan schuf, berief er sich auf den weltberühmten Farbholzschnitt des Japaners Katsushika Hokusai: Große Welle von Kanagawa aus den Jahren 1830-32. [Seladon, aus dem die „Welle“ geschaffen ist, wurde ab dem 9.Jh. in China als Material verwendet. Durch das Hinzufügen von Feldspat im Glasurprozess erzielt Seladon ein besonders weiches Grau-Grün oder eine cremige gelbe Farbe.]58

Wave, 2005

57 Wilson, Zijpp, Ai Weiwei. S.11 58 Quelle: http://www.salacca.com/infotheke/celadon/index.php. Abgerufen: 21.08.2011 45

Die große Welle von Kanagawa, um 1830-32

2005-2006 arbeitete Ai Weiwei beim Kunstwerk Ghost Gu Coming Down the Mountain mit dem Künstler Serge Spitzer (1951-2012) zusammen. Zu dieser Arbeit, die sich unter anderem kritisch mit dem Ausverkauf von Chinas Kulturgut befasst, gibt es eine Geschichte: im Sommer 2005 wechselte bei Christie´s eine blau-weiße, auf etwa 1350 v.Chr. datierte Vase für rund 14,7 Mio. Pfund gegen ein niedrigeres Gebot einer chinesischen Interessentengruppe den (doch wieder westlichen) Besitzer. Dieser Preis galt als Sensation: er markierte einerseits eine bis dahin nicht erlebte Wertsteigerung eines chinesischen Kunstwerkes und andererseits das aufkommende Interesse chinesischer Gruppierungen, derartige Stücke –wenn auch in diesem Fall vergeblich – für den Verbleib in China zu sichern. Ai Weiwei bestellte sechsundneunzig Kopien einer traditionellen chinesischen Vase, die ein ähnliches Design wie die Vasen aus Jingdezhen zeigen, nämlich mit Kobaltblau gemalte Bilderstreifen – eine aus älteren Darstellungen bekennte Szene um den Weisen Guiguzi(Herr des Geistertales) Auf keiner der Vasen konnte man das vollständige Muster sehen. Die durch beide Künstler entwickelte mathematische Formel bestimmte Anordnung und Ausrichtung der jeweils nur Teilbilder enthaltenden Vasen, die teils auf dem Hals und teils auf dem Boden stehend, ein den jeweiligen Blickrichtungen teils mit vollem, halben oder ohne jeden Bildanteil des Intentionen der beiden Künstler entsprechen: Dekonstruktion und Auflösung von Tradition ebenso Individualität.59 Phil Tinari beschreibt dies folgendermaßen: Spitzers Kritik an der Kommodifikation, die der zeitgenössischen Kunst inhäriert, und die Kritik Ai Weiweis an der landläufigen Vorstellung der (chinesischen) Vergangenheit als eine

59 Quelle: Erhard Metz, Ai Weiwwei/Serge Spitzer: Ghost Gu coming down the mountain. Feuilleton Frankfurt. Abrufbar unter: http://erhard-metz.de/2011/09/02/20-jahre-museum-fur-moderne-kunst-frankfurt-am main-5-2- .Abgerufen: 21.03.2014 46

idyllischen oder achtbaren, treffen sich hier in einem Raster größtenteils weißer Krüge, die in Öfen derselben Stadt Jingdezhen aus dem selben Ton und mit demselben handwerklichen Techniken gebrannt wurden wie das Original vor fast sieben Jahrhunderten.60

Ghost Gu Coming. 2005-2006

Eine zufällige Gemeinsamkeit in den Werken Ai Weiweis und Serge Spitzers war Spitzers in Venedig 1999 präsentierte Installation „Re/Cyde (Don‘t Held your Breath)“, einem höhlenartigen Raum voller Trinkgläser, die paarweise- Rand auf Rand- übereinander gestellt waren. Sie waren auf den Dachbalken angeordnet und fielen nach und nachzu Boden und bedeckten ihn.

S. Spitzer, Re/Cycle (Don´t Hold Your Breath). Biennale Venedig 1999

60 Phil Tinari, Ai Weiwei /Serge Spitzer, Ghost Gu coming down the mountain. Abrufbar bei http://www.mmk- frankfurt.de/fileadmin/user upload/Sammlungsblaetter/Ai Weiwei/ Serge Spitzer. Ghost Gu Coming Down the Mountain.pdf. Abgerufen: 20.11.2012 47

Im selben Jahr hatte Ai Weiwei das Fototriptychon „Breaking a Han Dynastie Urn“ geschaffen, bei dem er das bewusst Zerstören der Vasen initiierte. Spitzer schmolz die Gläser und Scherben am Ende der Biennale ein und recycelte sie anonym als Touristensouvenir. Damit erteilte er – wie Ai Weiwei - dem Kunstmarkt als Markt eine deutliche Abfuhr. Beide Künstler befassen sich in diesen Arbeiten mit dem Verlust, mit der Zerstörung, mit dem Ende von Kunst, im Kontext auch zu alter Kultur und Tradition, und natürlich auch mit dem Ende von deren gesellschaftlicher und politischer Wertschätzung.

Neben Porzellanarbeiten mit floralem Dekor zum Beispiel:Flowers von 2007, wobei der Künstler auf weißen Platten Porzellanblüten arrangierte,

Flowers, Porzellan. 2007 schuf Ai Weiwei auch gegengegenständliche Werke aus Porzellan, wie z.B. Watermelon

Watermelon, 2007 oder die Serie von Kleidern mit Blumenapplikationen: Dress with flowers ino 5-9,

48

Dress with Flowers, 2007

denen er auch plastischen Blumenschmuck beifügte. Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Sujet Kleid fand in Blue Dress seinen Ausdruck. 61

Blue Dress, 2007

Eine besondere Zusammenarbeit zwischen Graz und dem Groninger Museum stellt die Installation Pillars aus dem Jahr 2006 dar. Peter Pakesch schildert in seinem Artikel „A Bowl of Pearls“ die Genese des Werkes. Er berichtet darin von seiner Einladung an Ai Weiwei, gemeinsam eine großflächige Installation für die große Galerie des Kunsthauses in Graz zu machen. Anfangs dachte er an Skulpturen und Installationen, die der Künstler aus Materialien und der Inspiration antiker chinesischer Tempel schaffen würde. Als Ai Weiwei aber die architektonische Umsetzung des Baus des Kunsthauses sah, schlug er vor, übergroße Keramiken in Form von Säulen und Vasen in den „Space“ zu stellen. Eine besondere Art von Spannung wurde durch diese Ausstellung in einem ganz bestimmten Umfang der Kommunikation hervorgerufen - es hatte den Anschein von zwei Welten, von

61 Ebda, S. 11. 49

zwei kosmischen Entitäten. Einerseits gab es die Architektur des Hauses, andererseits gab es diese riesigen und kühnen Porzellanobjekte, glasiert in den typischen Farben der traditionellen asiatischen Keramik, die eine innere Ruhe auszustrahlen schienen. Sowohl das Museum als auch das Kunstwerk wurden schnell zu einem Angelpunkt zwischen diesen beiden Welten.62

Als Ai Weiwei seine Porzellanvasen und Säulenobjekte im Kunsthaus in Graz arrangierte, war dies aus mehreren unterschiedlichen Gründen ein fundamentaler Akt. Das Design des Baues ist ein bemerkenswertes Beispiel der neuesten Technologie und von großer Bedeutung für die theoretischen architektonischen Überlegungen, um die in den letzten 40 Jahren gerungen worden war. Ein wichtiges Element dieses Baus sind die Öffnungen im Dach, die die organische Natur des Bauwerks noch mehr betonen. Sie sind also ein passendes Kennzeichen für die größte Galerie, die für diese Ausstellung Ai Weiweis geeignet war.

Kunsthaus Graz

Der Künstler positionierte die massiven Porzellankörper entgegen der Gesamtkonstellation, sie wirkten wirklich fremd, als ob sie von einem anderen Planeten gekommen wären. Für diese Meisterleistung eines „Welttausches“ war es kein Zufall, dass der Künstler versuchte, Material und Technik zurückzustellen, um auf die lange und profunde Geschichte menschlicher Genialität zurückzuschauen. Gleichzeitig war es ein Synonym für die Kultur, aus der er kommt. Es ist kein Zufall, dass in der englischen Sprache sowohl die Objekte als auch ihr Ursprungsland mit demselben Wort bezeichnet werden: „China“.63

62 Philip Tinari, Peter Pakesch, Charles Merewether,( Editor Urs Meile), Ai Weiwei Works 2004 – 2007 Beijing, Lucerne 2007, S. 58-61. 63 Ebda, S. 78ff. 50

Pillars. 2006

Im selben Jahr stellte Ai Weiwei diese Säulenobjekte auch im Groninger Museum auf. Sue- an van der Zijpp schreibt dazu im Ausstellungskatalog, dass diese sehr „abstrakte“ Installation die reinste Form einer Verbindung zwischen der Visualisierung des westlichen Ausdrucks der Moderne und dem Minimalismus einerseits und andererseits der traditionellen Kunstfertigkeit der chinesischen Keramik sei, die jeweils Jahre für ihre Entwicklung brauchte. Sie konnte nur in einem sozial-kulturellen System wie es im imperialen China herrschte, reifen, einem System, das während vieler Jahrhunderte unter den vielen Dynastien Chinas wachsen konnte. Ai Weiwei nennt dies ein Mysterium.64

Im Jahr 2010 schuf Ai Weiwei als Auftragsarbeit für die Tate Modern in London eine Installation, die er Sunflower Seeds benannte und die aus hundert Millionen doppelgebrannter und handbemalter Sonnenblumenkernen bestand, die auf dem Boden der ehemaligen Turbinenhalle aufgebracht wurden. Die ausgestreuten Kerne waren wie ein Teppich und sollten die Besucher animieren, ihn zu betreten und so mit der Installation zu interagieren.

64 Wilson, Zijpp, S. 11. Aus dem Englischen übersetzt von der Verfasserin dieser Arbeit. 51

Sunflower Seeds. 2010

Das Werk ließ nicht nur eine Fülle von Assoziationen anklingen, die sich leitmotivisch durch diese Arbeit ziehen – vom Verhältnis des Einzelnen zur Masse bis zum Phänomen der Massenproduktion unter dem Siegel „Made in China“, sondern hatte auch durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo im selben Jahr eine besondere Bedeutung und einen brisanten politischen Hintergrund. Für den Künstler sind diese Kerne mehrfach symbolisch aufgeladen: Sie sind nicht nur der Verweis auf die lange Tradition der Porzellanherstellung Chinas (jeder Kern durchlief bei seiner Fertigung 20 bis 30 Arbeitsschritte), sondern auch auf das China der Kulturrevolution unter Mao Tse Tung. Auf den Propagandaplakaten wurde dieser nämlich als leuchtende Sonne dargestellt, dem das chinesische Volk in Gestalt von Sonnenblumen die Köpfe zuwendet. Die damalige Realität sah aber anders aus: in den härtesten Jahren der Entbehrung und Unterdrückung waren Sonnenblumenkerne für viele Millionen Chinesen jahrelang das wichtigste Grundnahrungsmittel. (Allein die Hungersnot Ende der 1950er Jahre forderte mehr als 30 Millionen Tote.!)65

Thematisch weist diese Installation auf ein Werk des chinesischen Künstlers Xu Jiang hin, der sich im Jahr 2012 mit seiner Installation Living Together aus dicht gedrängten, überdimensionierten Sonnenblumen aus Aluminium auch auf die Zeit der Kulturrevolution bezieht.66

65 Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sunflower Seeds. Abgerufen: 17.03.2014 66 Xu Jiang, geb. 1955. Chinesischer Künstler; Präsident der Chinesischen Hochschule in Hangzhou. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Xu_Jiang).Abgerufen: 10.04.2014 52

Living Together

Auf gleicher formaler Ebene liegt auch Antony Gormley´s Asian Field, der auf der Biennale in Sidney 2006 in riesigen Hallen eine Installation gestaltete, bei der 180.000 Figuren aus Ton ähnlich wie bei Ai Weiweis Sunflower Seeds für die Betrachtern wie eine monochrome Farbfläche wirkte.67 68

Asian Field

Sonnenblumenkerne verwendete Ai Weiwei schon zu einem früheren Zeitpunkt: „Hanging Man“ von 1985 zeigt, aus einem Kleiderbügel gebogen, das Profil Marcel Duchamps. Das Objekt ist auf einem Tisch platziert und teilweise mit Sonnenblumenkernen ausgefüllt.

67 Antony Gormley, geb. 1950. Englischer Bildhauer. Stiftungsrat des Britischen Museums in London. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Antony_Gormly)Abgerufen: 10.04.2014 68 Interpretationsansätze.Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Sunflower_Seeds. Abgerufen: 17.03.2014 53

Hanging Man.1985

Die Installation in der Tate Modern verweist auf unterschiedliche Bedeutungen: Sonnenblumenkerne sind in China nicht nur ein beliebter Straßensnack, sondern auch Symbol für Mitgefühl und Freundschaft. Sie regt gleichzeitig aber auch zu Überlegungen zum Verhältnis Individualität und Massengesellschaft an

54

6. Form und Maß als wesentliche Aspekte der Werke Ai Weiweis

Viele der Arbeiten Ai Weiweis sind in sehr einfachen Formen und einer systematischen Methodik geschaffen, die an die Konzept- und Minimalkunst erinnert, wie sie von Künstlern wie Sol LeWitt (*1928)

Specific Object, bemaltes Lindenholz. 1997 und Donald Judd (1928-1994) repräsentiert wird.

Four Brass Boxes. 100 x 100 x100. Messing. 1973 Die sehr genaue Regulierung der Formen und Maße dieser Werke grenzt ihre visuelle Gegenständlichkeit ab und lenkt die Aufmerksamkeit des Betrachters auf einen Konnex, der auch in der Beschaffenheit des Materials selbst liegt. Weist beispielsweise schon die „Schale mit den Perlen“ einen Durchmesser von exakt einem Meter auf, kam diese Standardeinheit auch bei Cubic Meter Table von 2009 zum Tragen, bei dem Ai Weiwei sein Interesse an Grundformen und Ausmaßen sehr deutlich zum Ausdruck bringt.

Cubic Meter Table. 2009

55

Das Raummaß Kubikmeter wird in einer Skulptur dargestellt, die sowohl die Gesetze der Mathematik als auch die Merkmale der Minimal Art und der Konzeptkunst widerspiegelt. Als Tisch befindet sich das Kunstwerk gleichzeitig am Schnittpunkt zwischen Kunst und Design, Ästhetik und Alltag.

In Ton of Tea kombiniert Ai Weiwei 2006 Form und Maß mit dem Gewicht. Puer Tee wird üblicherweise zur Reifung in verschiedenen Formen, auch in Scheiben und Ziegel gepresst. Folgerichtig beträgt das Gewicht dieses einen Kubikmeters Tees aus Yunnan genau eine Tonne, dasselbe Gewicht wie das gleiche Volumen an Wasser. Dabei betrifft diese Gemeinsamkeit sowohl Gewicht als auch Größe; das Material dieser Skulptur bleibt gleich – ein Block aus fermentierten Teeblättern, wobei Tee als übliches und typisches Getränk der Chinesen eine starke symbolische Bedeutung für das Land und die Menschen aufweist.

Ton of Tea. Puer-Tee. 2006 Puer Tee und traditionelle Teekultur war seit der Tang-Dynastie (618-907) im ganzen Land verbreitet und gehörte am kaiserlichen Hof zum festen Bestandteil des Hoflebens. Die Aufbereitung guten Puer Tees ist sehr aufwendig und beansprucht bis zu seiner Reifung über ein Jahr. Sein Wert steigt mit der Anzahl der Jahre der Lagerung. Aus dieser Materie, die zum essenziellsten der chinesischen Kultur gehört, wurde auch das Teehaus aus gepressten Ziegeln erstellt. Es besitzt die Ausmaße von 180x120x180 cm und besteht aus 378 Quadern und 54 Prismen aus Puer Tee. Kann man dieses Teehaus als Sinnbild des Kommunismus, einer im Westen entstandenen Idee, deuten, die die Anschauung vertritt, dass man Menschen als Masse von beliebiger Formbarkeit und

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Verfügbarkeit betrachten kann? Bei der Zubereitung des Tees entfalten sich die gepressten Blätter zu großen Blättern. Was geschähe, „entfaltete“ sich das chinesische Volk im Hinblick auf Demokratie und freie Meinungsäußerung wie die Teeblätter des Puer Tees?

Teehaus.2009

Als weiteres Beispiel sei der Cube in Ebony aus dem Jahr 2009 genannt. Er besteht aus behauenen Rosenholzbrettern in unterschiedlicher Stärke, die einen Kubikmeter ergeben.

Cube in Ebony, Rosenholz. 2009 Rosenholz ist in China ein traditionell bevorzugtes Material für Holzarbeiten, weil es die notwendige Härte und Dichte aufweist. Es galt als eines der „drei kostbaren Hölzer“, die von der Tang-Dynastie aus Japan importiert worden waren. In diesem Werk wird die traditionelle chinesische künstlerische Technik eines minimalistischen Werkes der zeitgenössischen Kunst präsentiert.. Alle diese Werke Ai Weiweis beziehen sich auf die mathematischen Maße und Methoden im Schaffen von Sol LeWitt, wobei ihre Dreidimensionalität auch an Donald Judds Objekte erinnert. Als weitere Einflüsse in den Werken Ai Weiweis mögen der Suprematismus Kasimir Malevichs und Wladimir Tatlins Konstruktivismus gelten. Der Tisch Cubic Meter Table bleibt allerdings in seiner Funktion als Tisch erhalten, und auch das Material der „Ton 57

of Tea“ ist realer Puer Tee aus der Provinz Yunnan, fermentiert und nach traditioneller Methode gereift. Diese Werke besitzen die Form minimalistischer Skulpturen, haben aber auch kulturelle Funktionen, die auf das alltäglichen Leben der Menschen in China verweisen.69

Die Skulptur Untitled aus dem Jahr 2006 stellt einen verkleinerten Ikosaeder dar.70

Untitled, Rosenholz. 2006

Diese Holzskulptur gleicht dem Muster eines Fußballs und ist nach der traditionellen chinesischen Arbeitsweise ohne Nägel zusammengefügt. Eine Illustration dieser Form hat Leonardo da Vinci in „De Divina Proportione“ 1509 .für den Mathematiker Luca Paciolos geschaffen.

Leonardo da Vinci, De Divina Proportione. 1509

69 Kataoka Mami, Ai Weiwei. According to What? Peking 2009. S. 162f. 70 Ein Ikosaeder ist einer der platonischen Körper: regelmäßiger Polyeder mit 20 gleichseitigen Dreiecksflächen, 30 gleich langen Kanten und 12 Ecken, an denen jeweils 5 Flächen zusammentreffen. Siehe: Herders großes Handlexikon. Band 1. S.406 58

Ai Weiweis großes Interesse an geometrischen Formen nahm hier auf die mathematische Theorie der Polyeder Bezug und so schuf er zwei Versionen dieser Form: eine als Rahmenkonstruktion und eine mit geschlossenen Feldern.

Untitled, Rosenholz. 2006

Der Bezug zu grundlegenden Formen und Maßen findet sich auch in Ai Weiweis Entwurf seines ersten architektonischen Projekts: seines Studios und Wohnhauses.

Studio, Peking. 1999

Als Autodidakt auf dem Gebiet der Architektur wählte er als Ausgangspunkt – wie auch bei den nachfolgenden architektonischen Projekten - als wichtiges Vorbild das Stonborough Haus, das Ludwig Wittgenstein für seine Schwester Margaret entworfen hatte.71

71 Wittgenstein entwarf das Haus in Wien gemeinsam mit dem Architekten Paul Engelmann, einem Loos- Schüler. Baubeginn war 1926, der Bezug 1928. Der Bau folgt dem Stil der Moderne und erinnert äußerlich an die Architektur des Bauhauses.(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Haus_Wittgenstein. Abgerufen:26.10.2013 59

Stonborough Haus, 1926-28

Ai Weiwei folgte damit Wittgenstein, der als Architekt ebenfalls Autodidakt war, allerdings bezogen auf seine Erinnerungen an das sehr einfache Heim seiner Kinderzeit in Xinjiang.72 So erzählt er: Wir gruben ein Quadrat aus dem Boden aus, machten Bücherregale, indem wir Nischen in den Wänden aushöhlten und ein Bett, das am Boden auflag; und wenn die Decke zu niedrig war, gruben wir einfach den Boden tiefer.73

In dieser besonderen Art realisierte er mehr als 70 architektonische private und urbane Projekte, aber auch Installationen mit architektonischen Maßstäben.

72 Kataoka Mami, Ai Weiwei. According to What? S.162f. 73 Ebda. S.163. 60

7. Strukturen und Handwerkskunst

Grundlegende Strukturen und Modelle im Zusammenhang mit den Objekten und ein hoher ästhetischer Level der Handwerkskunst, die diese strukturellen Prinzipien übersteigen, spielen im Werk Ai Weiweis eine bedeutende Rolle. Betrachtet man den Zusammenhang zwischen dem Konzept und den Ideen und deren Realisierung und Produktion, so interpretiert er diesen Effekt so, dass, wenn die Möglichkeiten der Handwerkskunst und der Arbeit des Künstlers hervorgehoben wird, erkennbar ist, dass sie nicht nur mechanische Kunstfertigkeit zeigen, sondern auch eine aktuelle Darstellung der wahren Natur des Materials; sie stellen einen Wandel, bzw. eine Fragestellung des Holz-oder Steinmaterials dar. Weiwei bemerkt dazu: This changes our perspective.74 Während Donald Judd, einer der Mitbegründer der Minimal Art, Mitte der 1960er Jahre in New York, „reduzierte, geometrische Grundformen“ aus industriellen Werkstoffen verwendete, deren Kargheit eine besondere Ästhetik aufwies, wandte Ai Weiwei andere Mittel an, um seine Ideen zu verwirklichen, indem er sich des traditionellen chinesischen Handwerks bediente und traditionelle chinesische Materialien wie Holz, Keramik und Stein benutzte, aus denen die klassischen Skulpturen gefertigt worden waren. Ein anderer wichtiger Einfluss auf Ai Weiwei, die Aktualität eines Kunstwerks hervorzuheben, kam von Marcel Duchamp, der in seinen Readymades die Anschauung vertrat, dass Originalität und Autorität des Künstlers entscheidend sind, um ein Kunstwerk zu kreieren. Dazu sind auch die Collagen und Montagen des Dadaismus zu nennen, die Transformation des Bildes, das Entstehen einer Massenkultur durch die Pop Art und deren Anwendung in den 1980er Jahren, sowie die weitverbreitete Verwendung von Drucken und Bildern aus dem Internet – all dies deutet darauf hin, dass wir in ein Zeitalter des „Remix“ und des Wiederverwendens eingetreten sind Dieser Aspekt ist. für Ai Weiweis Handwerkskunst wichtig, ebenso wie so unterschiedliche Einflüsse wie die häufig industrialisierte, mechanisierte unorganische Ästhetik des Konstruktivismus, die englische „Arts and Craft-Bewegung“, das Bauhaus und Soetsu Yanagis „Dogma“ von der „Schönheit der Einfachheit“.75

74 Ebda. S. 164. 75 Soetsu Yanagi (1889-1961) war Begründer der japanischen Mingei-Bewegung (Volks-Kunst) und hat damit wesentlich dazu beigetragen, das sterbende Kunsthandwerk wieder zu beleben. Ohne Yanagis Lebenswerk wären vermutlich viele alte Handwerkstechniken in Japan verloren gegangen. (Quelle:http://en.wikipedia.org/wiki/Yanagi_Soetsu) Abgerufen: 08.05.2014 61

Damit steht Ai Weiwei in der Tradition der Moderne. Denn die „Sphäre“ der Kunst wurde nicht nur durch das Medium der Fotografie und des Films zerstört – wie Walter Benjamin in seinem berühmten Aufsatz: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit von 1936 die unendliche Reproduktion von Bildern thematisiert, und darin ausführt:76 Die Einzigkeit des Kunstwerks ist identisch mit seinem Eingebettetsein in den Zusammenhang der Tradition. Diese Tradition selber ist freilich etwas durchaus Lebendiges, etwas außerordentlich Wandelbares Eine antike Venusstatue z.B. stand in einem anderen Traditionszusammenhang bei den Griechen, die sie zum Gegenstand des Kultes machten, als bei den mittelalterlichen Klerikern, die einen unheilvollen Abgott in ihr erblickten. Was aber beiden in gleicher Weise entgegentrat, war ihre Einzigkeit, mit einem anderen Wort: ihre Aura[…]. Es ist nun von entscheidender Bedeutung, daß diese auratische Daseinsweise des Kunstwerks niemals durchaus von seiner Ritualfunktion sich löst. Mit anderen Worten: Der einzigartige Wert des „echten“ Kunstwerks hat seine Fundierung im Ritual, in dem es seinen originären und ersten Gebrauchswert hatte. Diese mag so vermittelt sein wie sie will, sie ist auch noch in den profansten Formen des Schönheitsdienstes als säkularisiertes Ritual erkennbar[…]. Als mit dem Aufkommen des ersten wirklich revolutionären Reproduktionsmittel, der Photographie (gleichzeitig mit dem Anbruch des Sozialismus) die Kunst das Nahen der Krise spürte, die nach weiteren hundert Jahren unverkennbar geworden ist, reagierte sie mit der Lehre vom l‚art pour l´art, die eine Theologie der Kunst ist. Aus ihr ist dann weiterhin geradezu eine negative Theologie in Gestalt einer „reinen Kunst“ hervorgegangen, die nicht nur jede soziale Funktion, sondern auch jede Bestimmung durch einen gegenständlichen Vorwurf ablehnt [...] Diese Zusammenhänge zu ihrem Recht kommen zu lassen, ist unerläßlich für eine Betrachtung, die es mit dem Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit zu tun hat.77 Innerhalb dieser Grenzen wurden Bedeutung und Sinn der „Originalität“ des Künstlers und des Handwerks sozusagen abgeschafft. Der Wert der Kunst erweiterte die vielfachen Bedeutungen verschiedener Objekte und Events, die durch eine Multiplikation der Methoden oder durch vielfältige Identitäten von unterschiedlichen, komplexen und

76 Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. Frankfurt/Main 1977. S. 10 -18. 77 Ebda, S. 16f. 62

hybriden Kulturen, die gleichzeitig existieren und miteinander wechselnde Beziehung eingehen, entstanden. In den Werken Ai Weiweis ist das Subjekt der künstlerischen Tätigkeit nicht die persönliche Autorität oder Identität des Künstlers als Schöpfer, sondern es verlagert sich in die physische Natur des verwendeten Materials – Holz, Stein, Keramik oder Tee, und der Verkörperung des Immateriellen und Unantastbaren in den Begabungen und Leistungen der Handwerker während des Herstellungsprozesses. Die Zusammenarbeit mit den Handwerkern kann in derselben Relation gesehen werden, wie die zwischen ihm und den Designern seiner architektonischen Werke, sowie den Zimmerleuten und Künstlern, die diese tatsächlich errichteten. Ai Weiwei entfaltete dabei die Einfühlsamkeit und Gründlichkeit eines Handwerkers. So führt er zum Werk Kippe von 2006 aus:

Kippe, Holz. 2006 Als Kind musste ich für den Winter Holz stapeln. Jedes Haus hatte einen Holzstapel vor der Tür. Unser Holzstapel war sehr festgefügt und ohne Zwischenräume geordnet. Die Leute in der Nachbarschaft lobten dies. Während der Kulturrevolution hatte jede Schule einen Satz von parallelen Stangen und einen Basketballkorb im Schulhof. Wir waren alle dazu aufgerufen, zu sehen, was wir mit diesen Gegenständen tun konnten.78

Diese Bemerkung verdeutlicht Ai Weiweis ästhetische Beschäftigung mit den alltäglichen Tätigkeiten und dem Prozess, ihnen eine künstlerische Form zu geben, so wie er auch sein Augenmerk darauf lenkt, in ganz gewöhnlichen Objekten kreative Bedeutung ersichtlich zu machen.

78 Kataoka Mami, Ai Weiwei. According to What? S. 165. 63

Die Serie Furnit, die er seit 1997 schuf, ist für sein Interesse an den Formen und Strukturen der Handwerkskunst am repräsentativsten.

Furniture, Stühle (Qing-Dynastie).

Die Entwicklung der Möbel in China reicht bis in die Ming- und Qing-Dynastie (ab 1368) zurück. Ihren Höhepunkt erreichte sie durch den Seehandel mit dem südöstlichen Asien, der den Import von schön gemasertem Hartholz, vor allem Rosenholz und dem Holz der China-Quitte aus diesen Regionen ermöglichte In den „Furniture“-Serien verwendete Ai Weiwei antike Möbel, die er auseinandergenommen hatte und umformte, wobei er die ursprünglichen Techniken anwandte , die die Klarheit der Linien hervorheben, wie sie für die traditionelle chinesische Schreinerarbeit, die keine Nägel benutzte, typisch ist. Damit bewirkt er eine Transformation des Originals: die ursprüngliche Funktion und Bedeutung der Möbelstücke wird zugunsten einer neuen Bedeutung aufgegeben, die ihnen eine „raison d`être“ als Kunstobjekt verleiht.

Traditionelle Techniken der Tischlerkunst wandte Ai Weiwei auch in (2006) und China Log von 2005 an. Dafür verwendete er Balken und Säulen zerstörter Tempel aus der Qing-Dynastie. Betrachtet man „China Log“ aus einem Abstand, scheint es ein massiver Baumstamm zu sein. Tatsächlich besteht er aus acht Säulen eines Tempels aus der Qing- Dynastie (1644-1911). Die Säulen wurden zersägt und anschließend in traditioneller chinesischer Holzbauweise in einem subtilen Rhythmus von Wölbung und Kanneluren zu einem Ganzen zusammengefügt.

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China Log.2005 Im Sinn minimalistischer Praxis setzt „China Log“ die Betrachter in Bewegung, denn ihre ästhetische Idee enthüllt die Skulptur erst beim Umrunden des Objekts. Der Querschnitt zeigt nicht nur die Verzahnung der Stücke aus Eisenholz, sondern auch einen Hohlraum vom Durchmesser eines Handtellers im Inneren der Skulptur. Dieser aus feinsten Kanneluren negativ herausgebildete Raum zeichnet an seinem Rand die Umrisse Chinas nach und bildet einen Tunnel, an dessen Ende man Licht sieht. Es ist selbstverständlich, dass dies dazu auffordert durch diesen Tunnel zu blicken.

China Log.2005

Doch anders als beim voyeuristischen Impuls, wie ihn Duchamps „Étant donnés“ hervorruft, gibt es auf der anderen Seite keine „obszöne Wahrheit“.79

79 „Étant donnés“: Duchamps letztes Werk entstand in zwanzigjähriger Arbeit als Raumprojekt. Hinter einer alten Holztür und einer durchbrochenen Ziegelmauer als Rahmen ist ein liegender Frauenakt aufgebaut. Der Körper liegt auf Reisig, der Arm der Frau hält parallel zum linken Oberschenkel eine altmodische Leuchtglaslampe. Im Hintergrund ist ein kleiner Wasserfall zu sehen. Die hügelige, bewaldete Landschaft ist eine übermalte Fotomontage; der Frauenkörper besteht aus Gips und bemaltem Pergament. Diese Szene kann im Museum nur durch zwei Gucklöcher in der Tür betrachtet werden.(Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Etant_donnés). Abgerufen:08.05.2014 65

Duchamp. Skulptur.1966 Bei Ai Weiwei setzen Deutungen seiner Arbeit mit Holz vor allem bei der materiellen Evidenz an – bei der Beobachtung etwa, dass vieles, was China ausmacht, irgendwann seine Haltung verliert und in geschichtlichen Prozessen verloren geht - wie es für die Säulen aus der Qing-Dynastie vorgesehen war. Der Künstler vermittelt dadurch aber auch, dass viele Dinge, die China ausmachen, sich um ein Zentrum organisieren, das offensichtlich leer und unvorhersehbar ist. Damit geht aber auch ein Gefühl einer Relativierung einher, und die Einsicht, dass im Grunde nichts Bestand hat – ausgenommen China selbst - von China Log durch die handwerkliche Virtuosität, in der sich Intelligenz, Wissen und Erfahrung von Generationen von Handwerkern und Gelehrten abstrahiert. Ai Weiwei fasziniert diese Technik des Zusammenfügens standardisierter Hölzer einerseits und der individuell verarbeiteten andererseits, die das Wissen um Holz, seine Gesetzlichkeit und seine Modalitäten verkörpern.80

Die Skulptur Map of China wurde aus verschiedenen Holzarten sehr sorgfältig in der traditionellen chinesischen Handwerkstechnik zusammengefügt. Die Arbeit des Formens und Tischlerns dieser Stücke in Handarbeit und die Achtsamkeit und die Sorgfalt der Handwerker sind wichtige, ebenbürtige Elemente dieses Werks. Nicht nur der Blick auf China als Staatsgebiet ist hier wesentlich, sondern auch das Konzept der Einheit, die aus dem Zusammensetzen von verschiedenen Hölzern veranschaulicht wird.

80 Siehe: Roger M. Buergel, Ai Weiwei. Barely Something. S.34f. 66

Map of China. In der Darstellung der zweidimensionalen Abbildung der „Map of China“, in die der Künstler eine dritte Dimension als „Tiefe“ einfügt; verweist dieses Werk symbolisch auf die verschiedenen „Schichten der Geschichte“, und auf die Errichtung und der Gründung einer Nation, nämlich China. Es kann als Symbol für die politische Einheit eines Landes gesehen werden, das aus vielen unterschiedlichen Kulturen besteht, wobei die dreidimensionale Ebene das Ausmaß der historischen Bedeutung der chinesischen Nation veranschaulichen soll.81

Map of China.

81 Ebda. 67

Ab 1997 schuf Ai Weiwei eine Serie, in der er Möbelstücke in der traditionellen chinesischen Technik aus der Ming-oder Qing-Dynastie verwendete. Er zerlegte sie und setzte sie wieder so zusammen, dass ihre ursprüngliche Funktion verändert wurde. Indem er die traditionelle Methode von ihrem ursprünglichen Kontext trennte, enthüllte er gleichzeitig die unvergleichliche Qualität der originalen Möbel und die ihnen zugrundeliegende Perfektion in der Verarbeitung von Hölzern. Beispiele dafür sind die Skulpturen Two Joined Square Tables von 2005,

Two Joined Square Tables. 2005

Table with Three Legs. 2006,

Table with Three Legs, 2006

68

und Table with Two Legs on the Wall von 2009.

Table with Two Legs on the Wall. 2009

Gereon Sievernich schreibt in diesem Zusammenhang in seinem Essay im Ausstellungskatalog für evidence des Berliner Martin-Gropius-Baus über die Vorbilder des Künstlers, dass dieser sich auch…in der Tradition von Huineng (638-713), des sechsten Nachfolgers des aus Indien nach China gereisten Mönchs Bodhidharma (um 440-528), der einst im Süden Chinas die Schule der Chan-Philosophie (japanisch: Zen) gründete, sieht. Für Ai ist Huineng ein radikaler Verfechter des ungebundenen Ausdrucks, der ungebundenen Form, jemand, der sich gegen die konfuzianisch-buddhistische Orthodoxie seiner Zeit auflehnte.82

In der Installation Moon Chest von 2008 aus dem Holz der China-Quitte wird wieder dieselbe Technik verwendet. Dieses Werk zeigt nicht nur Ai Weiweis Interesse an der Handwerkskunst und der damit verbundenen Struktur, sondern auch Kombinationen verschiedener, disziplinübergreifender Stile aus Kunst, Architektur und ein für ihn ebenfalls typisches konzeptuelles Herangehen. In dieser Installation hat jeder Kasten vier runde Öffnungen, je eine in der oberen und unteren Hälfte, an der Front und an der Rückseite. Die Anordnung der Löcher ist an jedem Kasten unterschiedlich und so berechnet, dass sie in ihrer Nach,-bzw. Nebeneinanderstellung die verschiedenen Phasen des zunehmenden und abnehmenden Mondes zeigen, wenn man die Kästen von der Vorderseite betrachtet. Die Öffnungen in den Kästen erweisen sich als nicht funktional und werden daher zu skulpturalen Objekten mit einer architektonischen Einteilung. Wenn man etwa den sieben

8282 Gereon Sievernich, in: evidence. Katalog der Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Berlin 2014. S.15. 69

Kästen, die jeweils eine Höhe von 3,2m aufweisen und in einer Reihe angeordnet sind, entlang geht, sieht man die unterschiedlichen Zustände des Mondes während einer Ekliptik.

Moon Chest.

Ai Weiwei erklärt dazu:

Ich mache das Nützliche nutzlos; sie (die Kästen) kombinieren das Praktische mit der Veränderung und der Illusion. Sie eröffnen eine Perspektive, so dass man zu einem Verständnis für das Material oder den Raum kommt. Es ist eine Voraussetzung dafür, sich mit der Wahrnehmung zu befassen und wenn man bedenkt, wie viele Menschen ein Objekt benutzen, so verwendet man ebenso das sogenannte Wissen in der Bedeutung, dass „nützlich“ einen Sinn hat. Die Bedeutung ist der Nutzen. Und dies spielt eine große Rolle im menschlichen Verstehen und in der Kultur.83

83 Kataoka, According to What? S.165. 70

8. Reformieren der den Materialien innenwohnenden chinesischen Tradition

Die traditionelle Kultur zu bewahren ist nicht nur in China, sondern auch in Japan ein wesentlicher Wert. Während die Abnahme der Zahl traditionell arbeitender Handwerker, Tischler und Tempelausstatter allgemein beklagt wird, sind es nicht einfach nur Techniken, die verloren gehen, sondern ein Teil des geistigen und ästhetischen kulturellen Erbes, das durch viele Jahre der Lehre und Praxis kultiviert worden war und damit eines Wertesystems, das durch hochentwickelte und höchst verfeinerte Handwerksmethoden und Materialien Exzellentes, Hochgeschätztes und Authentisches produzierte. Werte, die sich von den Werten der industriellen Massenproduktion unterscheiden. Das, alle zwanzig Jahre wiederholte Wieder-Errichten des Ise-Schreins (zuletzt 1993) in Japan ist dafür ein gutes Beispiel.

Ise-Schrein Die Schreine in Ise bestehen aus 125 einzelnen Gebäuden und werden seit über 1300 Jahren alle 20 Jahre immer wieder errichtet. Der Grund dafür ist nicht nur der Glaube, dass die Erhaltung des Schreines ein Weg ist, das Gedeihen des Reiches und seiner Bevölkerung zu erhalten, sondern auch den Fortbestands der Gebäude von Generation zu Generation zu gewährleisten und gleichzeitig dessen Notwendigkeit zu veranschaulichen. Dieses regelmäßige Wiedererrichten sichert die Bewahrung des traditionellen Handwerks der Schwertschmiede, Metallbearbeiter, Lackierer, Weber und anderer Berufe, die zur Ausgestaltung eines Schreins notwendig sind. Das Bewahren der spirituellen und ästhetischen Qualität, die dem Handwerk zugrunde liegt und in ihm dadurch eine immerwährende Qualität enthüllt, ist auch eine wesentliche Komponente in Ai Weiweis Forever aus dem Jahr 2003.84 Diese Installation besteht aus 42

84 Ebda. S. 167. 71

Fahrrädern der Marke „Forever“, sie hat einen Durchmesser von 450 cm und eine Höhe von 275 cm. Das Wechselspiel zwischen den Rädern und Linien wird aus ständig wechselnden verschiedenen Perspektiven deutlich.85 In dieser Installation werden Tradition und Reform in eine Vorstellung von Ewigkeit übersetzt. Ai Weiwei arrangierte dafür die Fahrräder in einem Kreis. Seit die, diese Fahrräder produzierende Handelsgesellschaft 1940 zu einer der größten Markenartikelerzeuger Chinas für Fahrräder angewachsen war, wurde sie zu einer Art Ikone für China.

Forever, 2003.

Natürlich erinnert Ai Weiweis Methode in dieser Installation an das Readymade Fahrradrad Duchamps von 1913 oder an andere wie bei ARMAN (eigentlich Armand Pierre Fernandez, 1928-2005), der ein französisch-US-amerikanischer Objektkünstler war und 1960 gemeinsam mit Yves Klein, Daniel Spoerri, Jacques Villeglé, Raymond Hains, François Dufrêne, Martial Raysse und Jean Tinguely den „Nouveau Réalisme“ begründete Er verwendete durchwegs Gegenstände das alltäglichen Lebens, die er in aus Plexiglas gefertigte Vitrinen anhäufte oder in flachen Bildkästen versiegelte. Für ihn war der, auf Duchamp zurückgehende Werkbegriff, der die Frage nach dem Spezifikum von Kunst in den Raum wirft, bindend. wobei bereits damals im Vorfeld diskutiert wurde, ob das Beibehalten

85 Cin-Chin Yap, Charles Merewether, Jonathan Napack, Ai Weiwei. Works: Beijing 1993 – 2003. Beijing 2003. S. 140. 72

der Struktur eines Objekts gewährleistet wird, wenn seine eigentliche Funktion sozusagen ausgeschaltet worden war, um es in eine neue Form umzuwandeln86.

Duchamp, Fahrradrad. 1913.

Arman, Colour Motion. Sliced bycicle,Acryl,Pinsel/L. 1991 In „Forever“ bewahrte der Künstler die äußere Form des Fahrrades, da es Chinas am meisten benutztes Fortbewegungsmittel darstellt, wobei er allerdings seine primäre Funktion eliminiert, die durch mit großem Tempo vorangetriebene Motorisierung der Gesellschaft nicht länger Bestand hatte. Diese beeindruckende Installation stellt deutlich die Fragen nach dem Sinn der Harmonie, der Beständigkeit und der Gleichberechtigung in einer sich rapid verändernden Gesellschaft.87

Fragments ist eine Installation aus dem Jahr 2005, die Ai Weiwei aus Holzteilen die von den Werken der Holz-Serien - wie „China Log“ und „Map of China“ - übrig geblieben waren, erstellte. Die Tatsache, dass es so viel antikes, unterschiedliches verfügbares Nutzholz auf dem Markt gab, machte ihm die gesellschaftliche Realität bewusst, dass es überall in den Städten Chinas eine Wandlung hin zu hohen Gebäuden und Wolkenkratzern gab, während die Tempel keinen Nutzen mehr zu haben schienen. Betrachtet man diese Installation von oben, hat sie die Form der „Map of China“, was suggerierte, dass die chinesische Nation

86 Siehe: Reißer,Wolf, Kunst-Epochen 20.Jahrhundert II. S.117f. 87 Kataoka Mami, Ai Weiwei According to What? S. 167. 73

ebenfalls aus Fragmenten besteht: einer Spiritualität der Natur und der Erinnerung oder der Geschichte oder der Menschen, die hier lebten. Die Tatsache, dass Ai Weiwei diese übriggebliebenen Teile wieder verwendete und sie neu zusammenfügte, ist Ausdruck seiner Überzeugung, dass jeder Moment der Geschichte und jeder kulturelle Aspekt den Stempel der menschlichen Erfahrung in sich trägt.

Fragments, 2005

Ai Weiwei erklärt diese Installation folgendermaßen: „Fragments“ ist eine Metapher, keine Bewertung des Sinns dieses Objekts; es ist wie eine Entschlüsselung der DNA eines Tieres aus einem einzigen Haar. Der Titel „Fragments“ spielt auf frühere Bedingungen oder auf die ursprüngliche Situation an. Wir werden Zeugen eines dramatischen historischen Aufbruchs, man kann dies sozialen Wandel nennen; eine gleichzeitige enorme Verwandlung, in der wir uns alle befinden. Es hat eine destruktive und gleichzeitig eine schöpferische Natur.88 Man muss es sehen, um den Stand des Künstlers zu verstehen. Es nahm ein Jahr in Anspruch, um es unter Mitarbeit von 10 Zimmerleuten, die keine Nägel für den Zusammenbau verwendeten, zu schaffen.89

88 Ebda, S.168. 89 Smith, Obrist, Fibicher, Ai Weiwei. S. 94. 74

Die Installation Through aus dem Jahr 2008 ist ein perfektes Beispiel dafür, wie der Künstler in diesem Werk seine Vorstellungen von Monumentalität umsetzt. Diese Installation bedeckt eine Fläche von 200m2 und gruppiert sich um ein Zentrum, welches mit wiederverwendeten Säulen von alten Tempeln und Tischen der Qing-Dynastie umstellt wird.

Through. 2008 Betrachter können herum-und hineingehen („through“). Dieses Monument in seiner ersten Ausstellung in Sidney mit den Ausmaßen von 550 x 850 x 1380 cm scheint von einer alles durchdringenden Bedeutung einer ungewöhnlichen Bedrohung umhüllt zu sein, die in diesem Werk präsent ist. Seine Inspiration beschreibt Ai Weiwei mit den Worten: Ich habe an das Gefühl von ängstlichen Menschen gedacht, wenn sie riesigen Strukturen gegenüberstehen.90 Unbestreitbar suggeriert „Through“ machtvolles, einschüchterndes, aufdrängendes Wollen ( wie z.B. der Tisch, der so angebracht ist, dass er im Gegensatz zu den massiven Säulen, die ihn am Boden aufspießen, winzig erscheint). Es ist eine Metapher für menschliche Erfahrung, wo Schwachheit gegen Gewalt steht, oder, um einen Kontext zu China herzustellen, die einfache, rechtschaffenen Masse der Menschen, die von den niedrigen Tischen repräsentiert und von der herrschenden Macht des Kommunismus unterjocht. wird.

90 Ebda. 75

Für die documenta 12 schuf Ai Weiwei 2007 die Skulptur Template, die er auf der Wiese vor dem Aue-Pavillon aufstellte. Sie hatte die Form eines 12m hohen turmähnlichen Gebildes und war mithilfe von Holztüren und Fensterrahmen von Häusern aus der Ming- und Qing-Dynastie, die wegen riesiger Bauprojekte abgerissen worden waren (die der Künstler als Chinas zweite Kulturrevolution beschrieb), konstruiert.

Template. 2007

Durch eine heftige Sturmbö wurde diese Skulptur zerstört und Ai Weiwei stellte sie nicht wieder auf – er akzeptierte nicht nur die Zerstörung seiner Installation, sondern erklärte auch, dass er sein Werk in diesem neuen Zustand dem vorigen Zustand vorziehe. Damit verdeutlichte er auch die Dekonstruktion, die sich durch viele seiner Werke zieht. Er bezeichnet sich selbst als Ikonoklasten, weil die Dekonstruktion seines Systems der Repräsentation in diesem System selbst eingebunden ist und als fundamentale Komponente charakteristisch für sein Werk ist.

Template. 2007

76

Das Zusammenbrechen des „Template“ kann durchaus als eine von der Natur hervorgerufene Erweiterung seiner Installation verstanden werden. Ai Weiweis Ikonoklasmus wird manchmal in Objekten mit religiösem Kontext - wie Pfeilern und Säulen aus Tempeln, die gemeinsam die Skulptur formen oder mit etymologischem Bezug eingesetzt. Meistens verwendete er jedoch alltägliche Objekte, die einen eindeutigen Bezug zur Tradition aufweisen wie Hauselemente, Möbel und Gebrauchsgegenstände.91

91 Ebda, S.114. 77

9. Ai Weiweis Werke in Kristallglas und Form

Einen ähnlichen Zusammenhang wie oben beschrieben sieht Ai Weiwei auch in seiner Gestaltung von Lampen, Kandelabern, Lüstern und Laternen (ein für ihn neues Gebiet). 2002 schuf er einen 6 m hohen Kristallluster, der wie ein umgedrehter Stufenturm aussieht: Chandelier.

Chandelier. 2002 An einer gerüstähnlichen Struktur wurden im Inneren des Objekts Spiegelelemente angebracht, die die Reflexionen und den Glanz vervielfachen.

Für eine Ausstellung in der Queensland Gallery in Australien schuf er 2008 mit Boomerang eine gigantisch wirkende Lampe in Form eines Bumerangs, der sich in einem Wasserbecken spiegelte.

Boomerang. 2008

78

Vor der Tate Gallery in Liverpool gestaltete er 2007 einen Brunnen aus Licht: Fountaine of Light, wobei er die Struktur von Vladimir Tatlins „Monument für die dritte Internationale“, ein 1919 kreiertes Modell eines Regierungsgebäudes für das neue kommunistische Regime, das als symbolisches Bindeglied zwischen der kommunistischen Politik und der Ästhetik des Konstruktivismus galt, als Vorbild verwendete und umwandelte. (Lenin und sein Minister für Bildung Luacharsky waren überzeugt, dass Kunst eine wichtige Rolle in der Verbreitung der Vorherrschaft des Proletariats zu spielen hatte, und dieses Monument sich als außerordentlich effektives Instrument der Propaganda erweisen würde.) Ai Weiwei wandelte diese Ikone einer Illusion einer großen Utopie – auch im Kontext zu seinem eigenen chinesischen Hintergrund und des regierenden kommunistischen Regime um.92 Er schuf damit „Revolutionäre Kunst“ in einem eigentlich banalen Beleuchtungsstück, das er in eine gewissermaßen „unsichere“ Position brachte , indem er den Lichtbrunnen wie ein Floß gegenüber der Galerie ins Meer setzte. Der Wellengang bewirkte dabei ein permanentes Klicken der Kristallteile. Ai Weiwei bringt in dieser Arbeit auch Tatlins Modell des „Denkmals der III. Internationale“, bei dem Tatlin die Einheit der Künste wieder herstellen und mit modernen Techniken wie der Kinetik verbinden wollte, quasi zum Leben und Leuchten.93

Fountaine of Light. 2007

92 Quelle: http://www.faurschou.com/work-descriptions-exhibited-artwork-from-the-collection/about - artwork-fountaine-of-light-by-ai-weiwei. Abgerufen:25.03.2014 93 Siehe: Susanna Partsch, Kunst-Epochen 20. Jahrhundert I. S.100. 79

Eines der Werke dieser Art schuf der Künstler in Anlehnung an den Ikonoklasmus im selben Jahr als ein monumentales Objekt aus Messing und Kristallglas, das einer roten Lampe gleicht, die so auf dem Boden platziert ist, als sei sie eben heruntergefallen. Ihre Struktur aus Messing zeigt sich wie durch die Wucht eines Aufpralls zerstört, doch keines der Kristalle ist zerbrochen. Innen scheint, ungeachtet der zweifachen Drehung der Lampe ununterbrochen eine Helix von Glühbirnen. Diese Skulptur wurde von Anfang an als in sich gedrehtes Objekt geplant, dessen Fallen deutlich ein integraler Teil seiner Gestalt ist. Es ist ein Ausdruck von Dekadenz im buchstäblichen, etymologischen Sinn: „cadere“ meint im Lateinischen „fallen“, gewissermaßen das Gegenteil von Fortschreiten. Die Lichtspirale im Inneren des Kandelabers wiederholt sich, gleichzeitig weist der Aufbau und die fallende Linie wieder auf Tatlins Monument hin.

Tatlin, Monument für die III. Internationale. 1919

Skizze

80

Gerüst, Descending Light. 2007

Descending Light. Der Titel des Werkes Descending Light aus dem Jahr 2007 verweist nicht auf Destruktion, sondern diesmal auf ein Fortschreiten und eine inhärente Dynamik: Irgendetwas geschieht – es kann eine Abwärtsbewegung sein, doch eigentlich bewegt sich nichts. Der Fall mit fatalen und unwiderruflichen Folgen scheint sich eben ereignet zu haben, obwohl das Objekt noch an der Decke befestigt ist. Das ausschlaggebende Element dieses Werkes – abgesehen von seiner außergewöhnlichen Position - ist seine rote Farbe, die durchgehend in jeweils verschiedenem Kontext mit der chinesischen Kultur erscheint: „Raise the Red Latern“ war der Titel eines Films von Zhang Yimou, der zur selben Zeit wie Ai Weiwei die Filmakademie besuchte. Der Filmtitel beruht auf der gleichnamigen Novelle Su Tongs, die von Songlian, einer jungen Chinesin erzählt, die in den 1920ern in China lebte und genötigt wurde, die vierte Frau des Meister Chen zu werden. Sie fühlte sich in seinem Haus zwischen dem ihr zugewiesenen Platz und dem der anderen Konkubinen, die auch die rote Laterne 81

als Zeichen der Gunst des Meisters gewinnen wollten, wie eine Gefangene. Dieser Film ist aber auch ein Film über die Farbe Rot an sich. Im 20. Jh. war Rot die Farbe des Fortschritts und der Revolution, der Roten Garden, des Roten Buches und der Roten Fahne. Im vor- revolutionären China war Rot jedoch das Symbol für Vergnügen, Verlangen, Fülle und Glückseligkeit. Außerdem war Rot die Farbe des Brautkleides, der Mauern der Verbotenen Stadt und der Laternen, die in Gaocheng gefertigt wurden, um den Menschen auf den öffentlichen Plätzen und Straßen während des Festes des Shang Yuan am 15. Tag des ersten Monats des chinesischen Neujahrs Licht zu spenden. Heute sind solche kunstvollen Luster Teil der Dekoration in Luxushotels und Restaurants. Diese Art von Beleuchtung ist also signifikant für Pracht und Wohlstand. Aber dieses Werk Ai Weiweis spielt auch auf die Entwicklung Chinas vom Kommunismus zur konsumorientierten Marktwirtschaft an: die Party ist vorüber, es gibt nichts mehr zu feiern. Dennoch bleibt die Faszination durch den „Fall“ und durch die Eleganz der skizzierten Linien in geschliffenen Glasteilen in Rot, die an Wärme und Sinnlichkeit erinnern. (In Zhangs Film ist die rote Laterne, die außen am Haus einer Konkubine hing, das Zeichnen für die Favoritin, die den Meister Chen erfreuen sollte.) Seit der Präsentation im Jahr 2002 anlässlich der Guanzhou-Triennale konnten weitere Luster - Symbol für Gedeihen, Wohlstand und Erfolg - in unterschiedlichen Ausführungen in Brisbane, Liverpool und anderen Städten bewundert werden. Das für die Luster verwendete Kristall ist das gleiche wie in Washington D.C. und in der Großen Halle des Volkes in Peking - es soll Gedeihen und Wohlstand veranschaulichen. Heute hängt der oben beschriebene Luster im Atrium des Mori-Arts-Zentrum in Peking. Er ändert sein Aussehen, wenn man ihn aus verschiedenen Winkeln betrachtet. Er ist 5,3 m hoch und erweckt im Kontext mit dem Bauwerk, in dem er sich befindet, den Eindruck einer mit einer Auster verbundenen Perle: ein Stahlgerüst und ein Kristallluster, deren Kombination auf eine spektakuläre Wirkung abzielt.94

94 Siehe. Smith,Obrist, Fibicher, Ai Weiwei. S.115-121. 82

10. documenta 12, 2007

10.1. Fairytale

In der Auseinandersetzung mit den konzeptuellen Möglichkeiten des Readymade, denen die Idee zugrunde liegt, dass Kunst eine Verwendung von Gebrauchsgegenständen ist, erweiterte Ai Weiwei dieses Konzept durch dessen ständige „Neuerfindung“. Fairytale, das er speziell für die Kunstausstellung documenta 12 von 2007 in Kassel erstellte, wurde durch drei miteinander verbundene Projekte dargestellt, die eine kritische Auseinandersetzung mit China nicht nur als einem geographischen Konstrukt, sondern auch als einem Konstrukt der Identitätsfindung zum Ziel hat. Indem er 1001 Menschen aus ganz China engagierte, um mit nach Kassel zu reisen - die durch seinen Blog relativ zufällig ausgewählt und eingeladen worden waren -, entwickelte sich dieses Projektauch zu einer Erforschung dessen, was es bedeutet, über die physischen Grenzen eines Landes hinaus Chinese zu sein.

Das erste Projekt war die Einladung an 1001 Chinesen kostenlos nach Kassel reisen zu können. Dies bedurfte natürlich sorgfältiger Planung in jeder Phase des Prozesses von der Einladung selbst und der Auswahl der Personen, über das Besorgen der Visa und Tickets bis zur Berücksichtigung der aktuellen Lebenssituation der ausgewählten Personen. Für den Künstler bedeutete dies real 1001 Projekte, da jede Person als Individuum und nicht als Teil einer undifferenzierten Masse betrachtet wurde und damit als ein je eigenständiges „Experiment“ zu sehen war – angesichts der Vergangenheit Chinas ein nicht unbedingt „chinesisches“ Konzept, das dadurch jedoch an Signifikanz gewann.

Fairytale, 2007

83

Jeder Teilnehmer und jede Teilnehmerin wurde gebeten, einen Fragebogen mit 99 Fragen auszufüllen und wurde außerdem gefilmt, um für die Rückreise nach China entsprechend „gerüstet“ zu sein. Dabei konnte man beobachten, dass die Teilnehmer auch in der Beziehung zu ihrem eigenen Land oftmals Fremde zu sein schienen. Dies wiederum ergab – durch das „Chinese-Sein“ außerhalb Chinas – ein plötzlich empfundenes Zusammengehörigkeitsgefühl ganz gewöhnlicher, unterschiedlicher Menschen aus ganz China. Gleichzeitig bewirkte der Aufenthalt in einer als fremd empfundenen Kultur Veränderungen. Dieses Wechselspiel aus Beharren und Wandel angesichts einer „Beinahe-

84

Diaspora“ verwies auf das „Chinesische“ Chinas sowohl in lokaler als auch in globaler Hinsicht.95

Fairytale, Schlafsaal

Das zweite Projekt zeigte eine Installation von 1001 Stühlen aus der späten Ming-und Qing- Dynastie, die in Gruppen an den verschiedenen Ausstellungsorten angeordnet wurden. Die Besucher konnten sie umrunden und benutzen; die Stühle wurden damit nicht nur zu einem individuellen und kollektiven Begegnungsort, sie stellten auch einen Impuls zur Reflexion dar, da sie nicht nur Platz für die 1001 am Projekt beteiligten Teilnehmer aus China boten, sondern auch für die Einheimischen aus Kassel und für Betrachter aus aller Welt, die sich auf diese Weise austauschen konnten.96

1001 Stühle

95 Charles Merewether, Under Construction. University of New South Wales Press Ltd, Sidney 2008. S. 125. 96 Ebda, S.126. 85

Über diese Projekte und auch über den, bei der documenta 2007 aus Holztüren-und fenstern errichtete Template berichtet Ai Weiwei in einem Gespräch mit Christina Bechtler:

In Sachen Umfang und Vorgehensweise unterscheidet sich Fairytale deutlich von meinen früheren Arbeiten, weil es dabei um lebende Menschen ging, um ihr Leben, ihre Hoffnungen und Visionen. Ich glaube, alle diese Dinge haben zum speziellen Charakter dieses Projektes beigetragen. Als ich über die Realisierung nachzudenken begann, spielten viele Faktoren mit: Wie sollte man das Projekt bekannt machen, wie auf allfällige Reaktionen antworten und über welche Kanäle; welche Wege sollten wir einschlagen, welche Informationen veröffentlichen, welche Fragen wollten wir den Bewerbern stellen, wie sollten die Formulare und die Bewerbung für das Programm aussehen, und vieles mehr. Das erforderte eine Menge Telefongespräche und elektronische Kommunikation. Wir mussten erklären, wer wir waren und warum wir das tun wollten; wir mussten herausfinden, was möglich war und was nicht. Und dann die ganzen Details ausarbeiten: die Reise und das touristische Programm für die Teilnehmer, das Organisieren der Reisepässe, Visen, Versicherungen und Flugtickets, eine geeignete Unterkunft in Kassel suchen, Köche auftreiben, die im Zusammenhang mit der Reise notwendige Dinge bereitstellen, etwa ein Lagerhaus. Betten, Schränke, Koffer, sogar T-Shirts und die notwendige USB-Computertechnologie. Es ging darum, allen Teilnehmern das Gefühl zu geben, all das würde für sie persönlich getan, sowie darum, jedem Einzelnen eine sorgfältige bis ins letzte Detail geplante, kostenlose Reise zu garantieren. Wie konnten wir sicherstellen, dass alle absolut korrekte Reisebedingungen vorfinden würden? Und wie konnten wir ihnen klar machen, dass sie gleichzeitig Besucher der documenta und Teil eines Kunstwerks sein würden? Für mich besteht das Werk in diesem gesamten Prozess. Ich sah, welche Hoffnungen, Sorgen, Enttäuschungen… ich sah das Warten und die Vorfreude… dann die Träume, die Phantasien, und schließlich…vielleicht die Überraschung. Darin widerspiegelten sich natürlich viele verschiedene gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Faktoren, weil wir uns häufig fragen mussten, wer wir sind, wohin uns eine solche Veranstaltung führt. Es kam nicht darauf an, ob wir auf Akzeptanz oder Ablehnung stoßen würden; es war für alle Beteiligten eine vollkommen neue Erfahrung. Wie wir wissen, befindet sich China im Aufschwung, aber gleichzeitig ist es vom Westen abgesondert … unsere Kultur, unsere eigene Tradition, unsere eigenen Bräuche und

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Gewohnheiten auf der einen, und die globale Kultur, das sogenannte „Etablierte“ auf der anderen Seite.

Deshalb beschäftigten wir ein Dokumentarfilmteam, das größte, das es je für ein solches Projekt gab: Wir hatten mehr als 30 Leute, zehn bis fünfzehn der besten Dokumentarfilmregisseure arbeiteten in diesem Team, um das gesamte Projekt so vollständig, ausführlich und umfassend wie möglich zu dokumentieren. Zuerst wollte ich das Projekt nicht über die traditionellen Medien wie Zeitungen und Fernsehen ankündigen. Aber ich betrieb bereits seit einem Jahr einen eigenen Blog, der mir als Vehikel dient, um meine Meinung kundzutun und direkt mit Leuten zu kommunizieren, die ich nicht kenne und denen ich sonst nie begegnen würde. Ich dachte, es in meinem Blog anzukündigen wäre eine gute Idee und würde mir bei der zufälligen Auswahl der Leute helfen. Innert drei Tagen hatten sich bereits über 3.000 Bewerber gemeldet und wir mussten aufhören und einen Anmeldeschluss festsetzen, sonst hätten in kürzester Zeit Zehntausende ihre Bewerbung eingereicht und wir hätten zu viele Kandidaten enttäuschen müssen. Ich glaube, diese Entscheidung war richtig. Der Entschluss, sich zu bewerben, war ganz und gar individuell und jedem Einzelnen überlassen. Ich bin wirklich allen dankbar, die weder mich noch mein Programm gut kannten und sagten: „ Ja, wir wollen daran teilnehmen, weil wir glauben, dass dieses Projekt die Phantasie belebt und neue Horizonte eröffnet“. Natürlich mussten sie später viel Geld hinlegen, da sie in ihre Heimatgemeinden zurückkehren mussten, um einen Reisepass zu beantragen. Manchmal erwies sich das als sehr schwierig, vielen wurde er sogar verweigert, für andere wiederum war es leichter. Auf jeden Fall machte dieser Prozess den Leuten wirklich bewusst, was es heißt, ein Mann oder eine Frau zu sein, eine Identität und eine Nationalität zu haben: man muss sich in diesem System bewegen und das System kann einfach oder kompliziert sein. Die Teilnehmenden begannen sich Gedanken zu machen, wie sie ein Visum bekommen konnten, und das Visum fällt in den Bereich der Außenpolitik. Ich musste den deutschen Botschafter, Herrn Volker Stanzel, treffen, einen sehr sensiblen und kulturell gebildeten Menschen, der das Projekt sofort verstand und uns vorbehaltlos unterstützte. Was das deutsche Außenministerium tat, ist einfach phänomenal: wir erhielten die größte überhaupt vorstellbare Unterstützung. Es musste so vieles geplant werden und gleichzeitig passierten im Lauf des gesamten Organisationsprozesses Dinge, mit denen man nicht gerechnet hatte. Viele Leute sagten: „Oh, für uns ist es jetzt schon ein Wunder, es ist bereits ein Märchen … selbst wenn ich nicht 87

gehen kann, hat dies mein Denken für den Rest meines Lebens verändert.“ Es ist schon sehr ermutigend, wenn man so was von ganz gewöhnlichen Leuten zu hören bekommt. Die meisten Teilnehmer wurden ausgewählt, weil sie sonst nie die Chance gehabt hätten, ein fremdes Land zu sehen, weil sie nie aus eigenem Antrieb gereist wären oder einfach noch keine Gelegenheit dazu gehabt hatten. Viele von ihnen waren Bauern oder Angehörige einer ethnischen Minderheit oder Pensionierte. Das Alter der Reisenden reichte von2 bis 70 Jahren. Es war eine sehr schöne Gruppe und ich denke wirklich jeden Tag, dass dieses Projekt interessanter und lohnender war als jedes andere.97

10.2.Template

Zu dieser Installation, die er als dritte Phase des Projekt für die documenta 12 anfertigte, führte Ai Weiwei aus: Die Fenster und Türen für Template stammten von abgebrochenen Häusern aus der Provinz Shanxi in Nordchina, wo ganze Altstädte niedergerissen wurden. Wir kauften die Bruchstücke verschiedener Stadtviertel: wahrscheinlich sind es die letzten Reste jener Kultur. Ich verwende solche Überbleibsel gerne als Element … nicht als Ausdruck eines Gefühls, sondern als Beweiselement für das, was wir in der Vergangenheit geleistet haben. Mein Ziel war es, diese Stücke in einen durch und durch zeitgemäßen Kontext zu verpflanzen, und ich glaube, das funktioniert gut. Tatsächlich ist es ein durchmischter, problematischer Kontext, der Fragen aufwirft, und gleichzeitig eine Protestkundgebung für die eigene Identität. Für mich ist der Tempel an sich – ich bin nicht religiös - ein Ort, wo man über Vergangenheit und Zukunft nachdenken kann, es ist ein leerer Raum. Der jeweilige Standort – nicht der materielle Tempel selbst – tut kund, dass der physisch reale Tempel zwar nicht da steht, aber durch Überreste aus der Vergangenheit als Konstruktion dennoch präsent ist. 98

97 Art and Cultural Policy in China. A Conversation between Ai Weiwei, Ulli Sigg and Yung Ho Chang, moderated by Peter Pakesch. Wien 2009. S.111-117. 98 Ebda, S.117. 88

Template, 2007

Ironischerweise stürzte „Template“ wenige Tage nach seiner Inauguration durch ein heftiges Unwetter in sich zusammen. Vielleicht war dies ein passendes Ende, weil es die Fragilität des „beabsichtigten Tempels“ zeigte und das Schicksal des, aus Fragmenten zusammengesetzten Objekts. Es zeigt damit auch die Bedingung der Zeit, eine Bedingung des Weltlichen, das alles regiert ohne Rücksicht für das Kommende. Man kann zwar die zeitliche Bedingtheit eines Werks dadurch aktualisieren, dass man das Material in seiner Kompaktheit und Stärke zeigt, und diese Aktualisierungen sind das, was die Zeit gewissermaßen vorgibt., aber eine diesbezügliche Unbestimmtheit ist wohl nie ganz zu vermeiden: Die Freiheit des Werks im Wandel der Zeit und auch eine Freiheit von seinem Publikum.99

99 Merewether, Ai Weiwei: Under Construction. S.127. 89

11. Ai Weiwei – architektonische Werke in Auswahl

In seinem Blog vom 22. Juni 2006 schreibt Ai Weiwei:

Architecture serving as a home is a place filled with one‘s individual traits. Different from any concocted meaning of „home“, it is an independent, complete entity that deserves to be respected; it embodies the free will of those therein and may represent the modern pursuit of comfort and the independent mind.100 1999 kam Ai Weiwei hauptsächlich deshalb zur Architektur, weil er den chinesischen Baumeistern gegenüber sehr skeptisch war und ihnen nicht traute. Als Autodidakt gründete er 2003 das Studio FAKE Design, um die wachsende Zahl seiner Projekte bewältigen zu können.

FAKE Design, 2003 Caroline Klein schreibt im Vorwort zu ihrem Band Ai Weiwei Architecture: Die unterschwellige, intendierte Botschaft seiner Kunstwerke und der Architektur ist stets die rasante, rücksichtslose Modernisierung in China und der Umgang mit der Tradition. Ai Weiwei übersetzt den Begriff der traditionellen Konstruktion auf zeitgenössische Art, ohne mit dem architektonischen Stil eines vergangenen Zeitalters wetteifern zu wollen. Der Entwurf inspiriert sich am Kontext, an Dörfern oder der einheimischen Bevölkerung, passt sich an grundlegende überlieferte Bautechniken und das „know how“ der örtlichen Handwerker an und wirft die Frage der Begriffe von Echtheit, Originalität und Einfachheit auf.101

100 Zit.in: Ai Weiwei/Mark Siemons, So Sorry. S.90. 101 Caroline Klein (Edit.) Ai Weiwei Architecture, Köln 2010. S. 4. 90

Als Antwort auf die Bauvorschriften des „modernen“ China und auf deren Bezüge zur Tradition setzt der Künstler bei seinen minimalistischen, beinahe bescheidenen Annäherungen auf erschwingliche Lösungen. Im Gegensatz zu den Glas- und Stahlhochhäusern der zeitgenössischen chinesischen Architektur, bestehen seine Bauten fast immer aus grauen Ziegeln. Dieses leicht verfügbare und äußerst haltbare Material weist eine mit einfachen Mitteln erzielte Ästhetik und die für Ai Weiwei wesentlichen architektonischen Qualitäten auf: Textur, „menschlichen“ Maßstab, überschaubare Proportionen und ruhig und friedlich wirkende Außenräume machen die Stärke seiner Bauten aus. Innen – und Außenräume werden bei ihm gleichrangig behandelt. Einfache geometrische Körper bilden kontemplative Innenhöfe und Labyrinth-ähnliche Durchgänge. Ai Weiweis Bauprojekte zielen auf soziale Wechselwirkungen und auf ein neues Lebensideal für ein Land ab, in dem die starke wirtschaftliche Expansion kaum mehr Rücksicht auf den individuellen Alltag nimmt. Der Künstler betrachtet Architektur nicht als ein endgültiges, fertiges Produkt, sondern als einen steten prozesshaften Vorgang. Anstatt ein reiner Verwahrungsort für die täglichen Aktivitäten zu sein, soll ein Gebäude vor allem dazu dienen, die Lebensbedingungen zu verbessern und den Bewohnern auch Gelegenheit für künftige Veränderungen zu bieten.102 Bei der Fülle der Architekturprojekte Ai Weiweis stellt sich die Frage nach der Beauftragung und Finanzierung dieser Bauwerke. Er führt dazu aus, dass es in China unbebautes Land gibt, das in keinem Grundkataster erfasst ist. So sprach er beim Bauvorhaben seines eigenen Hauses mit dem Dorfvorsteher und fragte, ob dieser Land zu verpachten hätte. Er bejahte dies und sagte: „Ja, wir haben all dies Land. Die Pacht beträgt 10.000 Yen pro Jahr. Wenn Sie etwas bauen, ist das illegal, aber für uns ist es in Ordnung.“103 Also zeichnete Ai Weiwei am Nachmittag den Plan für sein Haus, errichtete es in 60 Tagen und 100 Tage später bezog er es. Auch die, von Ai Weiwei geplante und erbaute Galerie von Urs Meile wurde nicht legal errichtet. Anders als in Europa, wo Grenzen, Grundeigentum und der Unterschied zwischen privat und öffentlich klar definiert sind, scheint es in China Räume zu geben, die in punkto Raumordnung weniger strengen Bedingungen unterliegen. Auf seine Leistungen in der Architektur angesprochen, antwortet er in einem Gespräch mit Peter Pakesch: Da gibt`s eigentlich nicht viel. Das meiste, was ich gemacht habe, ist nicht

102 Ebda. 103 Zitiert in: Ingo Niermann, China ruft dich. Protokolle. Berlin 2009. S.213. 91

aufgrund reiflicher Überlegungen entstanden. Sehr oft tritt mir etwas entgegen und ich sage zu, bevor ich überhaupt realisiere, was das heißt.104 Zum Projekt in Jinhua führt der Künstler an, dass es ein Projekt auf Provinzebene war, das leichter als Großprojekte zu verwirklichen sei. (Bei wirklich großen Bauvorhaben gibt es für kleinere Privatfirmen kaum eine Möglichkeit, einen Auftrag zu bekommen, wohl aber manchmal auch bei relativ großen, auch staatlichen Projekten.) Der Auftrag des Ministeriums für Wasserversorgung in Jinhua, dessen Interesse ausschließlich der Infrastruktur galt, war eigentlich nur, einen Park zu gestalten. Ai Weiwei berichtet dazu: Und dann spazierte ich diesen Fluss entlang und erkundigte mich, ob ich auch das Flussufer mit einbeziehen könnte. Sie sagten, niemand wolle am Flussufer etwas ändern, aber wenn ich wolle, könne ich das tun. So einfach war das.105 Beim Städtebau geht es in China im Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs vor allem um das Gestalten von Zentren. Dabei wird das Projekt mit einem Investor und einem bestimmten Investitionsbudget gestartet– für die Planung wird dann ein Architekt oder ein Ingenieurbüro engagiert. Auf die Feststellung Christina Bechtlers, einer weiteren Interviewpartnerin, dass Ai Weiwei mit seinen Bauwerken eine neue Architekturtradition begründete, in der es ihm gelingt, Architektur verständlich zu machen, weist es dieses Lob mit den Worten zurück: Das ist nur so, weil andere es vorziehen, sich keine Gedanken darüber zu machen, und einfach übernehmen, was sich gerade anbietet.[…] Ich glaube, die eigentliche Leistung besteht darin, zu sagen, was man denkt, und nicht davor zurückzuschrecken, eine spontane Antwort zu geben – in der Bereitschaft, alles offen zu diskutieren. Das wird einst meine größte Leistung gewesen sein, wenn überhaupt…also eine vielleicht politische und gesellschaftliche.106

104 Pakesch, Art andCultural Policy in China, S.76f. 105 Ebda, S.85 106 Ebda, S.80f. 92

11.1. Studio und Wohnhaus Ai Weiweis in Peking

Mit dem Bau seines eigenen Atelier-Wohnhauses im Jahr 1999 wandte sich der Künstler erstmals der Architektur zu: Eine Mauer umgrenzt einen Innenhof, dessen nördliche Front vom Gebäude komplett eingenommen wird. Dieses besteht aus einer innen sichtbaren und mit roten Ziegeln ausgemauerten Stahlkonstruktion, deren Außenwände mit regionaltypischen Ziegeln versehen sind. Die Innenwände sind teilweise weiß verputzt; der zweigeschossige Atelier-und Ausstellungsraum

Studio. 1999 wird durch Oberlichten mit Tageslicht versorgt. Im Empfangsraum öffnet sich ein einziges Fenster als Lichtquelle zum Innenhof hin. Die offene Raumstruktur schafft unterschiedliche Ausblicke zwischen den einzelnen Bereichen. Die grob anmutende Darstellung von Einzelheiten und die intelligente und phantasievolle Anwendung der einheimischen Materialien machten das in , dem neuen kulturellen Mittelpunkt Pekings stehende Gebäude zu einem Markenzeichen Ai Weiweis.107

Studio, Innen.

107 Ebda, S.14. 93

Studio innen. 1999

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11.2. Concrete, Landschaftsdesign

2000 schuf Au Weiwei diese Brunnenanlage, die im Zentrum von Pekings erstem SOHO- Projekt liegt und von sechs 28-stöckigen Gebäuden umgeben ist. Die Anlage wird durch Wasser, das aus einer fast zylindrischen Form entspringt, von der es über ein harmonisch gestaltetes Mauerwerk in ein angrenzendes Becken geleitet wird, geprägt. Die massive Betonskulptur und die zum Bassin abfallende Stufenkonstruktion erzeugen durch die Nachbarschaft zu den Hochhäusern eine sehr harmonische Wirkung.108

Concrete, Landscape Design. 2000

108 Ebda, S.17. 95

11.3 .Yiwu Riverbank, Jinhua, Zheijang

Im Jahr 2002 gestaltete Ai Weiwei das Areal zwischen dem Fluss Ji Wu und der Stadt Jinhua in Form eines 85 m breiten und 1.600 m langen Parks, in den er auch die Uferbefestigung mit einbezog. Das Flussufer wurde von einem technischen Bauwerk als Schutz gegen Überschwemmungen zu einer öffentlich zugänglichen Promenade umgewandelt und verband auf diese Weise urbanen Charakter mit hohem Erholungswert. Zwischen Fluss und Stadt bildet ein großer Platz, der mit einem Raster aus Steinsäulen, deren Höhe gleichmäßig ansteigt, versehen ist, eine Art Vermittlerrolle. Die Säulengruppe ist von Wasser umgeben, das über Stufen zum Fluss hin abläuft. Den Übergang vom Platz zum Fluss prägen dreieckige Natursteinskulpturen, die in eine große Treppenanlage eingebunden sind. Die stringente Gesamtkomposition und das einfache monochrome Material ergeben ein homogenes, einprägsames Erscheinungsbild und bilden sowohl ästhetische als auch funktionale Räume. Die Kombination aus Damm und Park spiegelt die traditionelle Beziehung zwischen Mensch und Wasser wider und integriert den Fluss aktiv in die Stadt, indem Ai Weiwei das vorher vernachlässigte Ufer wieder belebte und so das Leben der Bevölkerung bereicherte.

Yiwu Riverbank.

96

In derselben Provinz entstand 2007, ebenfalls von Ai Weiwei geplant und kuratiert, der Jinhua-Architecture Park, wofür der Künstler 17 Architekten aus sieben Ländern einlud, unterschiedliche Pavillons oder Gebäude für den Park zu entwerfen und zu errichten.109

Jinhua

109 Ebda, S .32-37. 97

11.4. Neolithic Pottery Museum, Jinhua Zheijang

Ai Weiweis Betrag zu den 17 Pavillons des Architekturparks war im Jahr 2004 das Museum für antike chinesische Töpferkunst und Porzellan. Der Entwurf berücksichtigt trotz seines hohen Abstraktionsgrades die Tradition und fußt auf dem regionalen Haustyp, der aus Wänden und einem Satteldach besteht. Das Gebäude besitzt aufgrund seines sechseckigen Querschnitts einen deutlich wiedererkennbaren Charakter und fügt sich subtil in die Landschaft ein: halb eingegraben, in Anlehnung an die archäologischen Funde, die es beherbergt, zeigt sich der lange Lagerhaustypus des Museums nur von der Südseite. Auf der abfallenden Nordseite kommt die sechseckige Form hingegen deutlich zur Geltung.110

Neolithic Pottery Museum. 2004

110 Ebda, S. 53-57. 98

11.5.Coca-Cola House in Zusammenarbeit mit Wang Shu, Hangzhou, Zheijang

Im Jahr 2005 arbeiteten die Architekturstudenten der „Akademie der Künste“ Chinas gemeinsam mit Ai Weiwei an einem Projekt, das den Namen „1:1 Architektur“ bekam.

Coca-Cola-Haus. 2005 Hier wird sehr anschaulich auf das Ausmaß von Abfallentsorgung aufmerksam gemacht und welche Möglichkeiten in deren Nutzung liegen können. So wurden bei diesem Projekt, das letztlich als Haus verwirklicht wurde, Plastikflaschen und Metallverschlüsse verwendet, die an den Begriff und das Konzept der Wiederverwertung erinnern, unter dem Motto: „Was des einen Menschen Abfall ist, kann für einen anderen zum Schatz werden“.111

111 Ebda, S. 87-91. 99

11.6. Artfarm, Gallery I Salt Point, New York. In Kooperation mit HHF architects

Dieses Bauwerk liegt auf dem Grundstück eines privaten Wohnsitzes und ist als Galerie für eine Kunstsammlung bestimmt. Das Gebäude musste groß, aber auch kostengünstig sein. Im Inneren befinden sich mehrere unterschiedlich große Ausstellungs-und Lagerräume. Die Atmosphäre wirkt durch die weiße gepolsterte PVC-Decke weich und schafft dadurch einen Kontrast zur metallischen Außenhülle. Die äußere Form ergibt sich aus vorgefertigten und leicht zusammenfügbaren Stahlelementen, die in dieser Gegend oft zu landwirtschaftlichen Zwecken eingesetzt werden. Mit seiner abstrakt wirkenden metallischen Erscheinung reiht sich dieses Gebäude in eine Skulpturengruppe ein, die in der Landschaft positioniert ist. Die drei Gebäudeteile stehen auf festen Betonplatten, die dem Geländeverlauf folgen. Die unterschiedlichen Ebenen sind durch eine gleichmäßig abfallende Rampe entlang der Gebäudehauptachsen miteinander verbunden. Dieser Hauptgang erschließt alle Räume und ermöglicht einen leichten Transport der Kunstwerke zwischen dem Depot und den Ausstellungsräumen und dient gleichzeitig als Galerie. 112

Artfarm Gallery. 2008

112 Ebda, S. 129-135. 100

11.7. Nationalstadion (Olympia-Stadion), Peking

Das Stadion für die Olympischen Spiele 2008 ist aufgrund seines ungewöhnlichen Äußeren und seiner scheinbar wie zufällig wirkenden netzartigen Stahlkonstruktion, die in aller Welt als „Vogelnest“ bekannt ist, zu einer internationalen architektonischen Ikone geworden. Der Entwurf stammt vom Schweizer Architekturbüro Herzog & de Meuron in Zusammenarbeit mit Ai Weiwei, der die Architekten ermutigte, dem Stadion eine „verrückte, chaotische Struktur“ zu geben – unter dem Motto „Ordnung versus Unordnung“-, die er mithilfe von Baumskizzen und klassischen chinesischen Zeichnungen veranschaulichte. Das Bauwerk liegt auf einer kleinen Anhöhe im Zentrum des Olympischen Areals im Norden der Stadt und besitzt eine schiffartige Form. Die Gitterstruktur des Tragwerks umhüllt den Baukörper nicht nur, sondern durchdringt ihn gleichsam. Wie in einem künstlichen Wald formen die einzelnen Bauteile ein Dickicht von Stützen, Balken, Fassadenelementen und Treppen. Dieser, möglicherweise Piranesi nachempfundene Raum umgibt das Stadioninnere, stellt aber auch gleichzeitig Hülle, Ornament, Struktur und öffentlichen Raum dar. Der Bau verbindet den Außenraum der Stadt mit dem Innenraum des Stadions, - ein Zwischenraum, der einen neuartigen urbanen und damit öffentlichen Raum ermöglicht.

Nationalstadion, Detail.

In einem Foto-Dokumentationsband über die Arbeiten an diesem Stadion und der Zusammenarbeit von Ai Weiwei mit dem Büro Herzog & de Meuron wird festgestellt:

101

Ai Weiwei versteht es, gleichzeitig in Erstaunen und Verwirrung zu setzen. Er kann jeden dazu bringen, seine Vorstellungen zu akzeptieren und ein hohes Verständnis für seine Verwendung der Materialien und seine außergewöhnliche Vorstellungskraft aufzubringen.113 Es verwundert daher auch nicht, dass auf den meisten von Ai Weiweis Fotografien des Nationalstadions in Pekings gelbem Dunstschleier ein einzelner, blattloser Baum im Vordergrund zu sehen ist. In diesem Baum befand sich ein Vogelnest. (Und in einem schon sehr frühen Stadium des Projekts gaben die Chinesen dem Stadion den Kosenamen „das Vogelnest“, weil es ganz offensichtlich dieser natürliche Erscheinung glich.) Das Bild ist Wortspiel und Begriff zugleich für eine Struktur, die so unruhig und gleichzeitig so weit scheint.

„Vogelnest“ Ai Weiwei, ein Meister des Wortspiels, hat hier das gesamte Projekt auf den schmalen Schatten eines verlassenen, freien Nestes im Vordergrund reduziert. Der Eindruck, den das Bild vermittelt, ist beinahe pathetisch: deutlich in seiner Aussage und rätselhaft zugleich. Die Fotografien Ai Weiweis wurden in einem Zeitraum von 26 Monaten während der Bautätigkeiten gemacht und dienten ihm als eine Art Wiederaneignung seines Projekts, das ihm in einem bestimmten Umfang fremd vorkam. Er machte seine Fotos im Stil eines lyrischen Realismus, der in der Entwicklung der „Becher-Schule“ (vertreten durch Andreas Gursky, Thomas Ruff, Candida Höfer u.a.) eine der bekanntesten Formen der Kunstfotografie wurde, und griff wohl deshalb auf diese Kunstform zurück, weil sie vor dem Hässlichen nicht zurückschreckt - trotz einer gewissen Ästhetisierung von Zerstörung

113 Aaron Betsky, in: Ai Weiwei, Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Beijing, Venice, London Band 1, London 2008. S.105. 102

Hatte Ai Weiwei in seinen Installationen immer wieder Elemente der traditionellen chinesischen Kunst verfremdend eingebunden, so arbeiteten Herzog & de Meuron gegensätzlich dazu. Sie strebten eine rationale und effiziente Anordnung des Platzes und der Konstruktion an, aber ihr architektonisches Interesse galt auch dafür, was Struktur und Sicherheit des Objekts beim Ineinanderfügen fremder Elemente betraf. Dabei drehten und wendeten sie die Entwürfe, bis sie zu skulpturalen Objekten wurden und entwickelten dabei Typen, die keine tragende Funktion hatten. Ihre Fassade etwa bestand aus dünnen lattenartigen Streben aus Holz oder Kupfer, sowie Steinen, die in Stahl oder Glas eingebettet waren; so erzeugten sie absichtlich einen Bruch zwischen dem verwendeten Material und seiner Funktion.

Olympiastadion

Daraus ergab sich ein ungewöhnlicher, fast „außerirdischer“ Eindruck, der dem anonymen urbanen Platz eine Mitte verlieh. Herzog und de Meuron integrierten Vorstellungen aus der Geschichte, sie drehten und wendeten ihre Bauten so, dass sie als Bautyp beinahe unkenntlich zu werden begannen Dabei vertraten sie eigentlich radikalere Positionen als Ai Weiwei, denn sie waren eher mit der Realität ihrer Profession konfrontiert, die eine aktive kritische Rolle der Architektur oft erschwert. Wird Architektur zu Bauwerken, spielen die einsetzbaren (und eingesetzten) Ressourcen eine große Rolle; diese muss der Architekt in harter Arbeit schaffen.

103

Die Diskrepanz zwischen Architektur und Kunst gilt natürlich auch für Ai Weiwei; sie äußert sich vor allen Dingen in der als letztlich zerstörerisch empfundenen Isolation der Kunst durch ihre Assimilation oder Vereinnahmung seitens der technischen Massenproduktion. Das Vogelnest und seine Dokumentation sind in diesem Zusammenhang Versuche sowohl von Ai Weiwei als auch von Herzog & de Meuron, sich von ihren jeweiligen Disziplinen zu entfernen, um einen neuen kritischen Zugang bzw. Angelpunkt zu finden. Vor diesem Hintergrund könnte man das Olympiastadion in Peking als Nebeneinander von (computergestützter) Technologie und kritisch hinterfragter Tradition (dem Verweis auf die chinesische Delikatesse „Vogelnest“, die auch ein touristisches Klischee ist) sehen. In der Verbindung von Kunst und Architektur, die eine kritische Reflexion beinhaltet und gleichzeitig funktional gelungen ist, waren jedenfalls beide gegen alle Widerstände erfolgreich, trotz oder gerade wegen der Vereinnahmung durch den Staat, der das „Vogelnest“ als ein Symbol des Neuen China präsentierte. Ai Weiwei hatte für sich Zweifel und ging auch in Bezug auf die Nutzung des Stadions in der Zeit der Übernahme durch die chinesische Regierung auf Distanz zur Öffentlichkeit. Er tat dies in Schreiben und in Ansprachen, vor allem auch mithilfe von Fotografien Die dabei entstandene Serie ist sein deutlicher Versuch, alternative Sichtweisen des größten Kunstwerkes, zu dem er jemals beigetragen hatte, beizusteuern. Seine Fotos zeigen ausschließlich die Konstruktion. Sie zeigen das Durcheinander und die offenen Zwischenräume der Seiten, die scheinbare Konfusion der ungleichen und außer jeglicher Norm gestalteten Elemente; das Gerüst, das die ursprüngliche Realität verbirgt und auf Destruktion der Vergangenheit und der Landschaft verweist - einer Landschaft, die den Bauprozess gewissermaßen „aushalten“ musste. Es gibt nur wenige Arbeiter auf den Fotos zu sehen, weil Ai Weiwei den jeweiligen Zeitpunkt der Abbildung so wählte, dass er die bestimmenden Kennzeichen der Konstruktion sichtbar machen konnte. Dabei zeigt er im Vordergrund öfter ein gerade zerstörtes Bauwerk, während sich im Hintergrund neue Appartements im Smognebel erheben. Die Säulen der Trümmer und die Spuren der Konstruktion enthüllen eine Wirklichkeit, die interessanter erscheint als die glatten und schwer zu entziffernden Teile des Stadions. Als dieses begann, in einer kohärenten Form in die Höhe zu wachsen, schien es, als sei es in den äußeren Umständen gefangen, wie in dem gelbfarbigen Smog, der bei

104

Ai Weiwei eine ähnliche Funktion einnimmt, wie der graue Himmel in den Werken von Bernd und Hilla Becher.114

Stadion. Ai Weiwei zeigt das Stadion als eine Seite eines vollständig zeitgemäßen Dorfes, während die Architekten ihr Augenmerk darauf legten, eine Hülle um die große leere Fläche im Inneren zu legen. Was das Vogelnest ausmacht, ist nicht so sehr das Stadion als solches, nicht das Oval und sein Bestehen, als vielmehr die Funktion seiner Hülle. Der gesamte Komplex aus einem Stahlgeflecht dient ausschließlich dazu, eine Struktur bereitzustellen, um die Menschen hinein, nach oben, und wieder hinaus zu bringen. Diese Hülle beinhaltet Toiletten, Buffets und andere Serviceeinrichtungen. Sie reicht hoch über den Platz hinaus, spendet Schatten und stellt ein Gerüst bereit, das Beleuchtung und Schilder trägt. Es ist diese „Service-Umhüllung“, welche die Identität des Stadions ausmacht, und es gleichzeitig zu einem Emblem Chinas und der Olympischen Spiele 2008 macht. Die Architekten haben das Augenmerk also nicht ausschließlich auf die Bühne gelegt, auf der die Aktivitäten stattfinden, sondern auf die gestaltenden Elemente, die sie tragen. Man könnte sogar von einer Auflösung des wahren Mittelpunkts des Stadions sprechen. Die starke Betonung architektonischer Elemente macht es dem Betrachter beinahe unmöglich,

114 Bernd (1931-2007) und Hilla (1934) Becher arbeiteten als Künstlerehepaar, das sich der Fotografie widmete. Sie wurden vor allem durch ihre Schwarz-Weiß-Fotografien von Industriebauten bekannt. Die Fotografien wurden betont sachlich konzipiert; in ihrer Aufnahmetechnik bevorzugten sie Zentralperspektiven, Verzerrungsfreiheit, Menschenleere und ein wolkenvergangenes weiches Sonnenlicht. Sie nahmen an der documenta 5 (1972),der documenta 6 (1977), der documenta 7 (1982) und der documenta 11 (2002) teil und ihre Werke sind in den führenden Museen vertreten. (Quelle: Siehe dazu: Ulrich Reißer und Norbert Wolf, Reclam Kunst-Epochen. Bd.12. 20. Jahrhundert II. Stuttgart 2002. S. 286-289. 105

die Gesamtheit der Logik der Form von einem einzelnen Punkt aus zu erkennen. Das kann man als Kritik einer konventionellen Konzeption interpretieren - in einem Stadium, das eine Struktur aufweist, die unsere Aufmerksamkeit in verschiedene Richtungen steuert und als Bedeutung hervorhebt: Gewinnen ist nicht alles. Die Sportaktivitäten finden in einem vollen Raum statt, der in sie einbezogen ist; er beinhaltet die Menschenmenge und die Struktur, die Sportler und Zuschauer zusammenbringt, er macht das Zuschauen selbst zu einem Schauspiel. Die Form, die Herzog & de Meuron und Ai Weiwei bewusst gewählt hatten, besitzt nichts von einer Hierarchie von tragenden Gitterstrukturen und Paletten, die diese Strukturen gewöhnlich tragen, nichts von einer Spannung dehnbarer Stahltrossen, die die Vordächer befestigen und nichts von einem perfekten Maßstab, wie er für vergleichbare Sportstätten typisch ist. Stattdessen verfügt sie über nicht-hierarchische Muster, die die Aufmerksamkeit weg von der Konkurrenz lenken und die Zuschauer durch bewusst gesetzte Ablenkung und Desorientierung einladen, zu staunen und zu erforschen. In seinen Fotografien des Stadions offenbart Ai Weiwei ein ähnliches Verständnis von gleichzeitiger Dislokation und Erforschung. Nach Monaten des Beobachtens schuf er fotografische Kompositionen, die einen Kontrast zwischen alt und neu, unfertig und fertig, groß und klein ergaben; dabei tauchte er gewissermaßen in die umfassende Struktur des Bauwerks ein. Hier fand er sofort die Bedeutung des vorherigen Maßstabs, der durch die Stahlelemente verdeutlicht wird, die er vorher isoliert gezeigt hatte, da sie vorher auf ihrer Rückseite lagen oder hinter einem Netz verdeckter Elemente verborgen waren. Die Strukturelemente (es ist nicht immer sicher, was ein Balken, was ein Träger, was ein Element ist, das horizontale oder vertikale Kräfte verbindet) dominieren das Blickfeld vollkommen. Sie haben keinen Maßstab, bis man die Stiegen und Aufzugsschächte sieht, die durch sie führen und auch dann erst hat man eine Vorstellung, wie sie aktuell funktionieren könnten. Alles lässt an Piranesis beeindruckende Kontinuität denken – eine geheimnisvolle Struktur außerhalb von etwas, dem man sich wahrscheinlich nicht entziehen kann.

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Piranesi, „le Carceri d‘invenzione“. 1761 Bei Ai Weiwei lässt sich vermuten, dass er zu diesem Topos zurückkehren will, aber man kann dennoch annehmen, dass seine Bilder beide Vorstellungen - sowohl die des Künstlers als auch jene der Architekten - beinhalten. Dementsprechend sind diese Fotografien der einzige Ort, an dem das ganze Projekt Sinn ergibt, sowohl aus der Perspektive der Kunst als auch aus jener der Architektur. Es ist offenkundig, dass das Wesen dieses Projekts in seiner Gänze politische, soziale und ästhetische Dimensionen aufweist, die hier erfahren und erlebt werden können. Betrachtet man die Panoramafotos aus dem Inneren des Stadions, kann man das am besten erkennen.115

Stadion,innen.2010 Ai Weiwei setzte sein Schaffen fort, indem er es unter Einbeziehung traditioneller Handwerkstechniken als Teil der großen Kunsttradition Chinas bewahrte. Gleichzeitig

115 Siehe dazu: Ai Weiwei, Herzog & de Meuron, Beijing,Venice,London, Gespräch: Ai Weiwei und Jacques Herzog, Band 1, 2008. S. 111-124. 107

distanziert er sich von der Art und Weise, wie diese Tradition benutzt wird, um die radikale und mancherorts als rücksichtslos empfundene Modernisierung der chinesischen Gesellschaft zu verbergen (wie es in vielen Ländern üblich ist). Dies bezieht sich vor allem auf die Zerstörung jener Strukturen, die sich einer verbindlichen oder aufgezwungenen Homogenität der physischen Umwelt widersetzen. Was nach Ai Weiwein in dieser Arbeit beim Olympiastadion verlorengegangen ist, ist der „Körper“ des Werks, das dennoch einen beispiellosen Erfolg darstellt. Das Vogelnest wurde nach seiner Eröffnung im Rahmen der Olympischen Spiele von 2008 so intensiv wahrgenommen wie kein vergleichbares Bauwerk seit dem Bau des Münchener Olympia- Stadions. 1972 von Otto Frei. Dadurch wurde es zu einer Ikone, aber auch zu einem Symbol für die Macht Chinas. Es ist ein zweifellos großes architektonisches Werk, doch gleichzeitig macht es seine überhöhte Rezeption schwer, das Einmalige der Natur in ihrer Relation zur Architektur und zu der umfassenden Überlegenheit des ideologischen Apparates, die sie repräsentiert, zu erkennen. In seinen Fotografien stellt Ai Weiwei diese Behauptung durch die Wieder-Aneignung des natürlichen Vogelnestes in Frage, indem er es auf ironische Weise mit dem Bau und damit der Welt des Konsums verbindet. So leistet seine Kunst auf vielsagende Weise Widerstand: gegen den Ruhm, und gegen das glorifizierte ideologische Besitztum. In diesem Konflikt gibt es zwar keinen Sieger, aber das Schauspiel selbst ist so aufschlussreich wie das komplizierte Netz des Vogelnestes.116

116 Aaron Betsky, Ai Weiwei, Beijing,Venice,London, London 2008. S .105-109. 108

11.8. Ordos 100. Masterplan I Ordos, Innere Mongolei

Auch dieses Projekt wurde gemeinsam mit den Architekten Herzog & de Meuron im Jahr 2008 entwickelt. Das gesamte zu bebauende Areal beträgt 219.589 m2 und befindet sich inmitten der Steppen-und Wüstenlandschaft der Inneren Mongolei. In Ordos sollten 100 Villen als Siedlung der Superlative entstehen. Ai Weiwei und FAKE Design entwickelten den Masterplan für die einhundert Parzellen und trugen für das Projekt die Verantwortung; Herzog & de Meuron schlugen 100 Architekten aus 29 Ländern vor, die die Villen entwerfen sollten.

Ordos. Modell

Seine Vorliebe für eine eingängige Zahlensymbolik hatte Ai Weiwei bereits bei der documenta 12 (2007) bewiesen, als er 1001 Chinesen nach Kassel einlud, 1001 antike Stühle zu Ruheoasen in den Ausstellungsräumen gruppierte und aus 1001 Türen traditioneller Häuser die Skulptur „Template“ bildete. Infolge seiner Zusammenarbeit mit Herzog & de Meuron beim Entwurf des Pekinger Olympiastadions betraute Ai Weiwei deshalb auch diese beiden Schweizer Kollegen mit der Auswahl der Architekten, die sich seit Anfang 2008 mit den Entwürfen zu den „Ordos“-Villen zu beschäftigen begannen. Diese repräsentative Ansammlung globaler Wohnkultur ist eines der Bausteine des Mammutvorhabens „Ordos Jiang Yuan Cultural and Creative Industrial Park“. Bereits im August 2007 eröffnete der Unternehmer und Kunstsammler Cai Jiang auf dem insgesamt

109

1,460.000 Hektar großen Areal das „Ordos Art Museum“, das von der jungen chinesischen Architektin Xu Tiantian entworfen worden war.117

Art Museum

117 Caroline Klein, Ai Weiwei Architecture, S. 145-150. 110

12. Study of Perspective, 1995-2003

Ai Weiwei übersiedelte rechtzeitig zu den Feiern der hundertsten Wiederkehr des Geburtstags Mao Zedongs nach Peking. Diese Feiern bedeuteten aber auch eine Art Wiedergutmachung nach dem Abstieg des großen Führers aus der Höhe des Palastes auf ein Plakat auf den Marktplatz der Straße. Al Weiwei fotografierte das Wesentliche der Bedeutung dieses Wechsels und betitelte das Foto mit June 1994, bezog sich dabei allerdings auch auf den fünften Jahrestag des Massakers am Tiananmen-Platz. Bezugnehmend auf die berühmte Szene aus dem Film „Das verflixte siebente. Jahr“ von 1955 mit Marilyn Monroe fotografierte Ai Weiwei seine künftige Frau Lu Qing, die vor dem Bild Maos auf dem Tiananmen-Platz ebenfalls ihr Kleid lüftet. Er persifliert damit die Schnappschüsse der Touristen und verdeutlicht damit exakt einen Zusammenhang zwischen Mao und Sexualität. Der öffentliche Platz, Symbol für die herrschende Macht, wurde dadurch in einen Marktplatz verwandelt, auf dem es alles zu kaufen gibt. Mao schaut nun wohlwollend auf das Ereignis der Verbindung einer Form des Nationalismus und einem Ethos des Konsumismus.

Juni. 1994 Bald danach wurde diese scheinbar spielerische Personifikation von Autoritäten an architektonischen Monumenten, die mit Staatsmacht und /oder nationaler Identität in Verbindung gebracht werden, von Ai Weiwei angewandt. In der Foto-Serie Study of

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Perspective, die er 1995 begann, platzierte er seinen erhobenen Mittelfinger in den Vordergrund, indem er ihn zum Betrachter hin und gegen den Hintergrund der unterschiedlichen Motive emporstreckte. Er wählte dafür Gebäude wie das Weiße Haus, den Berliner Reichstag, das Opernhaus in Sidney, New York City, Monumente wie den Eiffelturm, das Colosseum, Landschaften, wie die Toskana oder Xinjiang in China.

Study of Perspective, Weißes Haus

Study of Perspective, Reichstag

Study of Perspective, Colosseum Diese einfache Geste des Zeigens mit dem Mittelfinger unterbricht auf eigenwillige Weise die ikonografische Autorität jedes Sujets. Durch die Bildaufteilung dominiert die Zeigegeste die Szene, da die „provozierten“ Gegenstände relativ klein ins Bild gesetzt sind. Das

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Verhältnis zwischen individueller Geste und referenzierter Autorität scheint zugunsten des Künstlers verschoben. Die zentralperspektivische Aussage des Bildes stärkt zusätzlich die Position des betrachtenden Subjekts. Es gelingt dem Künstler, den Bildbetrachter zum Akteur des Bildes werden zu lassen, der wie Ai Weiwei den Stinkefinger hebt.118. In seinem Blog vom Jänner 2006 schreibt Ai Weiwei über die Fotografie: Hat sich die Fotografie erst einmal von ihrer ursprünglichen Funktion als Technik oder Mittel zu Dokumentationszwecken gelöst, wird ihre Existenz sehr flüchtig: Sie hat sich in eine mögliche Realität unter vielen verwandelt. Diese Verwandlung gibt der Fotografie eine gewisse Beweglichkeit und eine einzigartige Bedeutung: sie ist bloß eine von vielen möglichen Existenzformen. Das Leben ist nur eine unverrückbare Tatsache, und die Produktion von alternativen Realitäten ist eine andere Art Wahrheit, die in keinem direkten Verhältnis zur Realität steht. Beide erwarten, dass ein Wunder geschieht – eine Neubeurteilung der Realität. Als Vermittlerin ist die Fotografie ein Medium, mit dem das Leben und die wahrgenommenen Handlungen immer wieder mit Nachdruck auf diesen eigenartigen Konflikt hingewiesen werden.119

Marble Arm. 2007 Dieselbe Geste wie in „Study of Perspective“ lässt Ai Weiwei als Marmorskulptur in zehnfacher Ausfertigung produzieren. Diesmal ist es die rechte Hand, die ausgestreckt wird. Außerdem fehlt das Gegenüber. Das Material Marmor weist auf „ewiges Material“ und damit eine Verstetigung der Geste hin. Der Künstler ist nicht mehr erkennbar – durch das Weglassen persönlicher Attribute findet eine Verallgemeinerung statt. Die Geste wirkt scheinbar leer und zusammenhanglos. Die Wahl des Materials lässt unterschiedliche Deutungen zu: soll es eine ironische Spiegelung des Marmors, aus dem Paläste gebaut

118 Charles Merewether, Under Construction, Sidney 2008. S.52.( Aus dem Englischen übersetzt von der Verfasserin) 119 Zit.in: Urs Stahel, Daniela Janser, Al Weiwei. Interlacing. Fotomuseum Winterthur. Winterthur 2011. S.471. 113

wurden, sein? Setzt sich der Künstler damit ein Denkmal und betreibt seine eigene „Kanonisierung“? Oder ist es doch eine bewusste Wahl gegen Materialien heutiger künstlerischer Produktion, die durch maschinelle und industrielle Materialbeherrschung perfektioniert wurde? Ai Weiwei lässt diese Frage offen.

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13. Die Ausstellung „So Sorry“. München, Haus der Kunst

Wie schon in der Installation Snake Ceiling, die Ai Weiwei im Jahr 2008 mit Studenten zum Gedächtnis an die vielen Schüler und Studenten, die Opfer des Erdbebens von Sichuan waren und deren Rucksäcke über das ganze Erdbebengebiet verteilt lagen, im Mory Art Museum in Tokyo in einer serpentinenförmigen Anordnung gestaltete,

Snake Ceiling.2009

Snake Ceiling, Rücksäcke

war auch die Ausstellung „So Sorry“ dem Gedenken an die jungen Opfer des Erdbebens gewidmet. 120

Die Ausstellung im Münchener „Haus der Kunst“ von Oktober 2009 bis Jänner 2010 stellte einen Bezug zu den vielfachen, in jüngster Zeit geäußerten Entschuldigungen von Unternehmen, Finanzinstitutionen und Regierungen auf der ganzen Welt als Reaktion auf Tragödien, die durch ein Fehlverhalten der genannten Körperschaften ausgelöst oder zumindest nicht verhindert wurden, her. Dies jedoch oftmals, ohne die Konsequenzen zu

120 Kataoka Mami, Ai Weiwei. According to What? S. 104-107. 115

tragen oder die Bereitschaft, sie auch nur anzuerkennen, geschweige dafür aufzukommen. Entschuldigungen – oder aber ihre Unterlassung - beherrschen überall die Schlagzeilen, selbstverständlich auch in China. So schreiben Chris Dercon und Julien Lorz im Vorwort zum Ausstellungskatalog.121 Auslöser für diese Arbeit war, wie erwähnt, das große Erdbeben in Sichuan im Mai 2008. Ai Weiwei schreibt dazu in seinem Blog vom 21. Juni 2008:

The question is, does karma really exist in this world? At least I‘m not a believer. For if it did, retribution would have come long ago, and wouldn‘t have dragged on so long ; fate and efficiency are both unreliable.122

[…] Der Schluss liegt nahe: wir leben in einer Welt ohne Karma. […] Der Himmel folgt seinen eigenen Gesetzen, und in eine Welt ohne jedes Karma tritt alles mit tragischer Wucht ein und entfernt sich gemessenen Schrittes und ohne jede Eile.

Tausende von Schulen, bei deren Bau gepfuscht wurde, stürzten ein, und Tausende von Schülern starben einen viel zu frühen Tod, aber mit dem Erziehungsministerium hat das nichts zu tun; starke Erdbeben haben eben solche Folgen. Man braucht nicht erst darüber nachzudenken, warum etwas so ist, denn das Leid ist schon lange eine unerschöpfliche Quelle der “Erneuerung des Landes”. Aus Tränen und “Zwangsspenden” durch Jahrtausende von Katastrophen hindurch ist endlich ein beispielloses “Glück” erwachsen. Seit Jahren werden aus den Scharen der Toten “glückliche Geister”. Wenigstens brauchen sie nicht noch einmal einen so jähen Tod zu sterben.

[…) Die Verbrechen totalitärer Regime fangen damit an, dass sie den Wert des einzelnen Lebens bestreiten, der Realität ausweichen und jede Verantwortung ablehnen. Anders ausgedrückt, behaupten sie, das Leben sei unwichtig, minderwertig, es sei ebenso wertlos wie hoffnungslos. […] Ihr lebt in einer Welt, in der das Leben des Einzelnen nichts zählt, aber immer wieder Helden herausgerufen werden. Sie erwecken Eifer durch Liebe, schmeicheln mit hoher Gesinnung und stellen ihre Schamlosigkeit offen zur Schau, und tun alles nur, um ihre Legende zu bewahren. Dies ist eine falsche Welt ohne Gerechtigkeit, in der Ignoranz und Gier einer kleinen Minderheit gedeihen können, eine Welt, die auf Betrügereien und erschlichenen Profiten beruht.123

121 Dercon and Lorz, So Sorry. S.8. 122 Ebda, S.12. 123 Lee Ambrozy (Hsg.),Ai Weiwei. Der verbotene Blog. Berlin 2011. S:306-309. 116

Ai Weiwei, der als Regimekritiker nicht nur häufig Hausarrest, sondern auch körperlichen Attacken ausgesetzt war und noch immer ist, hat in vielen Interviews in aller Welt und auf seinem Blog immer wieder scharfe Kritik am chinesischen Regime geübt. Er setzt sich für die Wahrung der Menschenrechte und der Pressefreiheit ein. Seiner Meinung nach ist es unmöglich, eine …echte Zivilgesellschaft und eine demokratische Gesellschaft aufzubauen, solange die Menschen keine Verantwortung übernehmen.124 Dies sei in China, das noch einer machtvollen Tradition anhängt, sehr schwer zu verwirklichen. Der Philosoph und Sinologe François Jullien125 sieht die Unterschiede zwischen europäischen und chinesischen Traditionen darin, dass … die Chinesen eine andere ideologische Maschine haben, die sie´ „Harmonie“ nennen. Das suggeriert nicht die Abtrennung des Menschen, sondern eine Integration in den Kosmos, die Familie, den Staat.126 Dazu führt er im Vorwort seines Buches „Über das Fade - eine Eloge. Zu Denken und Ästhetik in China“ aus:

Nach der Art des faden Geschmacks, dessen Vorzug es ist, nicht genauer bestimmt werden zu können und somit immer wandlungsfähig zu bleiben, erneuert sich in der chinesischen Kultur das Motiv der Fadheit, ohne sich auf einen Bereich einschränken zu lassen; es profitiert vom Beitrag aller Schulen (Konfuzianismus – Taoismus – Buddhismus); es beschwört ein Ideal, das den verschiedensten Künsten gemeinsam ist: der Musik, der Malerei und der Dichtung[…]. Die Fadheit der Dinge ruft zu innerer Loslösung auf. Aber sie ist auch eine Tugend, namentlich in den Beziehungen zu anderen, weil sie das Unterpfand der Authentizität ist; […] Indem die Fadheit uns an die Grenze des Sinnlichen führt, dahin, wo dieses sich verwischt und ausgleicht, läßt sie uns das „Jenseits“ spüren. Jedoch endet diese Überschreitung nicht in einer anderen metaphysischen Welt, die von der Sinnlichkeit abgeschnitten wäre. Sie entfaltet lediglich unsere eine (einzige) Welt. Die freilich von ihrer Undurchschaubarkeit geläutert, wieder virtuell und verfügbar gemacht wird – zu endlosem Genuß.127

124 Ebda, S.8. 125 François Jullien wurde 1951 in Embrun (Departement Hautes-Alpes) geboren, studiert in den 1970er Jahren an der Ecole Normale Supérieure Philosophie sowie Chinesisch an der Beijing Universität in Shanghai. Nach seiner Promotion 1978 wird er Leiter der Antenne Francaise de Sinologie in Hong Kong und gründet die Zeitschrift „Extrême Orient-Extrême Occident“. Er fragt nach Möglichkeiten wechselseitigen Verstehens unter unterschiedlichen Voraussetzungen. 126 So Sorry. S.8f. 127 François Jullien, Über das Fade- eine Eloge. Zu Denken und Ästhetik in China. Berlin 1999. S.9-12. 117

Wie Konfuzius die Harmonie als Ideal sah, so nutzt das gegenwärtige chinesische Regime diesen Begriff als propagandistisches Leitmotiv und Steuerungselement. Alles wird dämonisiert, was auf die Harmonie störend wirkt. Die modernen Kommunikationsmittel untergraben jedoch eine umfassende Kontrolle und Ai Weiwei macht sich dies in seinen Blogs zunutze. Er äußert in diesem Forum seine persönlichen Ansichten über das chinesische Regime, zeigt dessen Alltag, berichtet über ihn und bringt ihn mit seinem künstlerischen Schaffen in Zusammenhang. Folgerichtig lautet sein Credo: Kunst ist Leben und Leben ist Kunst.128

Ai Weiweis Kunstverständnis wird von Duchamps Konzept des Readymade, beeinflusst, demzufolge nach dem Willen des Künstlers alles zum Kunstgegenstand werden kann. Umberto Eco schreibt dazu in seinem Buch „Die Geschichte der Schönheit“:

Durch die Ära der Kommerzialisierung als Reduzierung der Objekte auf Ware[…] verliert das Objekt die Züge der Einzigartigkeit -„der Aura“-, die seine Einzigartigkeit bestimmen. Die neue Schönheit ist reproduzierbar, aber auch vergänglich: Sie muß den Konsumenten zu rascher Erneuerung infolge von Abnutzung oder Überdruss veranlassen. [...] Auf diese Tendenz antwortet mit einer ironischen und heftigen Kritik des Gebrauchsgegenstandes der Dadaismus und vor allem dessen hellsichtigster Vertreter Marcel Duchamp mit seinen readymades. Wenn Duchamp die Felge eines Fahrrads oder ein Urinal (mit dem Titel „Brunnen“) ausstellt, denunziert er auf paradoxe Weise die Versklavung des Objekts durch die Funktionalisierung. Wenn der Prozeß der Kommerzialisierung die Schönheit der Objekte schafft, dann lässt sich jedes gewöhnliche Objekt seiner Funktion als Gebrauchsgegenstand berauben und zu einem Kunstwerk umfunktionieren.129

Ai Weiwei vertritt jedoch ein eigenes Element in der Kunst und versteht sich als „sein eigenes Readymade“. Wie erwähnt, verwendet er in seinen Werken ein neues Element: das „antike Readymade“, indem er historische Möbelstücke oder Gefäße einsetzt und wieder verwertet, verfremdet, manipuliert, aber auch zerstört, um daraus etwas Neues zu schaffen. Dies ist seine Art, den Ausverkauf der Kultur zu kritisieren – gleichzeitig definiert er dadurch das kulturelle Erbe neu.

128 So Sorry, S. 9. 129 Umberto Eco, Die Geschichte der Schönheit, München 2004. S.378f. 118

Ai Weiwei setzt seine Ideen gemeinsam mit einem Team um, das den Namen FAKE Design trägt und im Grunde wie in einer Manufaktur arbeitet Es handelt sich um Arbeitsgruppen aus hoch spezialisierten Handwerkern, die die traditionellen Handwerkstechniken beherrschen

Ai Weiwei verfälscht in einigen seiner Werke westliche Kunst = („FAKE“) und „spielt“ mit ihr, wobei er sich aber gleichzeitig mit der chinesischen Gegenwartskunst auseinandersetzt, vor allem mit ihrer Fähigkeit, das Andere, Fremde zu absorbieren, ohne dabei die eigene Tradition aufzugeben. Wohl deshalb wirken seine Werke oftmals „einfach“ In seinem Buch „Das Fade – eine Eloge“ stellt François Jullien fest, dass die der chinesischen Ästhetik immanente Schlichtheit, selbst wenn sie von einer „Abwesenheit von Aroma“ durchdrungen scheint, tatsächlich jedem „Aroma“ überlegen sei, denn sie sei offen für alle möglichen Abwandlungen.130 In dem schon beschriebenen Projekt „Fairytale“ der documenta 12 lud Ai Weiwei 1001 chinesische Staatsbürger nach Kassel ein, wobei er für jede Person Gepäck und einen Schlafplatz zur Verfügung stellte und auch ihre Unterkünfte entwarf. Er schuf damit für jede/n die Möglichkeit, einen potentiellen Kulturaustausch zu beginnen. Die dabei gemachten Fotografien wurden nicht nur als Dokumentation, sondern auch als Andenken in einer Ausstellung gezeigt. Die Fülle an Material und die dazugehörigen Reproduktionen geben einen weiteren wesentlichen Einblick in das Kunstschaffen Ai Weiweis, in dem Repetition, Massenfertigung und Kopien eine wichtige Rolle spielen, eben weil sie tief in der chinesischen Kultur verankert sind. Die Chinesen, so könnte man sagen, sind seit Jahrhunderten gewissermaßen darauf konditioniert, vielfältige Wege gleichzeitig zu gehen, ohne zu wählen oder zu werten.

Dementsprechend versteht Ai Weiwei seine Rolle als Künstler nicht nur als die eines Wortführers, sondern auch als die eines Übersetzers. Sein Werk Remembering überzog die gesamte Fassade des Münchener Hauses der Kunst und bestand aus 9000 Kinderrucksäcken, die sich zu chinesischen Schriftzeichen zusammensetzten und den Satz, den die Mutter eines getöteten Mädchens mailte: „Sie lebte sieben Jahre glücklich auf dieser Welt“ formten. Diese eindrucksvolle starke Symbolik verwies auf den Versuch der chinesischen Regierung, den Tod tausender Schulkinder beim Erdbeben in der Provinz Sichuan im Jahr 2008 zu verschleiern. Ai Weiwei gab in diesem Kunstwerk all diesen

130 Zit. in: Dercon and Lorz, Ai Weiwei. So Sorry, S.9 119

Kindern ihre Identitäten zurück, die er in mühevoller Kleinarbeit zusammen mit Eltern und Lehrern ausgeforscht und zusammengetragen hatte. Er nutzt für diese Installation seinen Blog als Medium, macht sein Vorhaben öffentlich (wie bei Fairytale) und verwendet Dinge des täglichen Gebrauchs, deren Bedeutung allgemein bekannt ist und dadurch verständlich wird.

Haus der Kunst, Fassade.

Ai Weiweis zahlreiche Tätigkeitsfelder zeichnen ihn als vielfältigen, tiefgründigen Künstler der Gegenwart aus. So ist es nicht verwunderlich, dass er vor dem Hintergrund seiner Biografie das Haus der Kunst mit dessen Geschichte als Ort des Ikonoklasmus im Dritten Reich dafür ausgewählt hat, seine Auffassung zur Autorität und Macht zu formulieren. Er tut dies allerdings auf behutsame, poetische Weise und mit feinem Humor. Noch einmal sei dazu François Jullien zitiert: Das chinesische Denken ist ein Denken des Vertrauens: keine Tragik, keine Metaphysik. Vielmehr eine Art, die Welt in ihren stillen Veränderungen zu beobachten. Man reicht der Zukunft die Hand – ohne sich groß um ein Ideal zu scheren. Den Begriff „Ideal“ gibt es im Chinesischen nicht.“131

13.1.Remembering, 2009

Die Idee, Rucksäcke für diese Installation zu verwenden, kam mir beim meinem Besuch in Sichuan nach dem Erdbeben im Mai 2008. Während des Erdbebens stürzten viele Schulen ein. Tausende von jungen Studenten verloren ihr Leben und man konnte überall Taschen

131Zit. in: Dercon and Lorz, Ai Weiwei. So Sorry, S. 9. 120

und Lernutensilien sehen. Dann realisiert man das individuelle Leben, und das Leben der Studenten wurde von sehr unterschiedlichen Absichten geprägt. Das Leben der Studenten verschwand durch die staatliche Propaganda, und sehr bald will jeder alles vergessen132. So äußerte sich Ai Weiwei zur Planung der Installation an der Fassade des Hauses der Kunst in München. Den Satz: „Sie lebte sieben Jahre glücklich in dieser Welt“, den die 9000 Schultaschen an der Fassade bildeten, stammt von einer der betroffenen Mütter. Das Wort „Remembering“ wird durch die Bäume, die vor dem Haus der Kunst stehen und die in den Herbst- und Wintermonaten – in der Zeit, in der die „Erinnerungen wachsen“, ihre Blätter verlieren, erst allmählich sichtbar.

Rucksäcke, Haus der Kunst.

Einen Blog vom 28.Mai 2008 betitelt Ai Weiwei mit „Grief“ (Kummer) und verdeutlicht dies mit den Botschaften: Silence please. No clamor. Let the dust settle, let the dead rest.133

Er schreibt weiter: Die Hand auszustrecken in dieser Verstrickung in Problemen, die Sterbenden retten und den Betroffenen helfen, ist eine Form von Humanismus, unabhängig von Zuneigung, Land oder Menschen. Vermindert nicht das Gut des Lebens, es erfordert eine weitere Verbreitung und ist gleich wichtig wie die Würde! Während dieser Tage der Trauer haben die Menschen keinen Grund, dem Mutterland und seinen Anhängern zu danken, weil es unfähig war, einen größeren Schutz anzubieten. Letztlich war es nicht das Mutterland, das es ermöglichte, dass glücklichere Kinder gerade noch dem Einstürzen ihres Schulhauses entkamen. Es gibt keinen Grund, die offiziell Verantwortlichen für die dahingegangenen Leben zu loben; in diesem Augenblick braucht unser Sprechen ein

132 Ebda, S. 14. 133 Ebda, S. 17. 121

effektives Maß der Rettung, das mehr braucht als mitleidiges Sprechen und Weinen. Man muss der Armee für ihr Tun danken, weil die Soldaten in ihrer Reaktion auf dieses Desaster etwas anderes taten als das Erfüllen ihrer von ihnen geschworenen Pflicht. Fühle die Traurigkeit! Leide! Fühle es im Innersten deines Herzens, in der menschenleeren Nacht, auf all deinen Orten ohne Licht. Wir trauern nur deshalb, weil der Tod ein Teil des Lebens ist, weil dieser Tod durch das Beben ein Teil von uns ist. Aber der Tod ging vorbei. Nur wenn die Lebenden in Würde weiterleben, können die Überlebenden mit Würde bleiben. Leben wir, offen und ehrenvoll, respektieren wir die Geschichte und blicken wir gemeinsam auf die Realität! Hütet euch vor dem, was das Recht durcheinander bringt und verurteilt die überkritischen Neuigkeiten in den Medien, die sich einer mitreißenden Begeisterung bedienen und nur Versuchungen anbieten; die Politiker spielen bei der Tragödie dieses Departements innerhalb der Staatsmacht und des Nationalismus mit; die Geschäftsleute handeln mit den Seelen der Toten so belanglos, als wäre die Moral schlechter Wein. Wenn die Lebenden von der Gerechtigkeit abweichen, wenn ihre Wohltätigkeit nur dürftige Währungen und dürftige Tränen sind, dann wird letztendlich der würdevolle Atem der Verstorbenen ausgelöscht. Ein Zusammenbruch des Willens, eine Beurlaubung des Geistes wird die Grenze zwischen Leben und dem geistigen Reich der Toten nicht überqueren.

Dieses Fehlen eines kollektiven Gedächtnisses, dieses Verdrehen der öffentlichen Moral führt die Menschen ins Verrückte. Wer genau starb in dem noch größeren Erdbeben vor dreißig Jahren? Dies brachte nur Anklagen und Streit in den politischen Kämpfen der jüngsten Geschichte, wie jene der verschütteten Arbeiter in den Kohleminen, wie dieses Verweigern medizinischer Behandlung in ihrer schweren Erkrankung –wer waren sie? Welchen Schmerz mussten sie während ihres Lebens ertragen, welchen Kummer riefen die Toten hervor? Wer rief sie vorher aus diesen leidenden Körpern heraus, diese unruhigen Seelen? Wo waren die Überlebenden, die getreu zu ihnen standen?

Ehe wir düstere Tränen zulassen, die wie eine Wolke unsere noch unklaren Visionen begleiten, ist es notwendig, dass wir auf den Weg schauen, wie die Welt arbeitet. Das wahre Unglück der Toten liegt im Unterbewussten und der Gleichgültigkeit der Lebenden, in der Ignoranz über den Wert des Lebens bei denen, die einfach nur mit dem Strom schwimmen, in ihrer Dumpfheit und Gefühllosigkeit gegenüber dem Recht zu überleben und

122

sich in unserer Desorientiertheit in Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Frieden auszudrücken.

Dies ist eine Gesellschaft ohne Bürger. Eine Person mit keinem echten Recht kann keine umfassende Vorstellung von Moral und Humanität entwickeln. Kann es in einer Gesellschaft wie dieser eine Art von Verantwortung oder Pflichtbewusstsein oder ein individuelles Auf- sich -Nehmen geben? Welche Art von Auslegungen und Verständnis von Leben und Tod werden wir haben? Das Samsara des Lebens und des Todes in diesem Land – gibt es einen Zusammenhang mit einem Wert des Lebens der übrigen Welt?

Wie für alle staatlichen Organe der Kultur und Propaganda, die davon leben, das Blut der Nation auszusaugen – welchen Unterschied macht ihr Großtun zum Diebstahl? Niemand wünscht sich Hilfe für Parasiten, ihre größte Freundlichkeit wäre, sie für sich allein sterben zu lassen, aber schon einen Tag früher.134

Ausgangspunkt der Installation Remembering war also die Auseinandersetzung in seinen Blogs mit den Fragen nach dem Karma und dem Umgang des chinesischen Volkes mit dem scheinbar Unvermeidlichen, aber auch der Umgang des chinesischen Regimes mit dem Tod vieler junger Menschen. Ai Weiwei ist der festen Überzeugung, dass es für die Relevanz seiner Werke wichtig ist, wenn er sich in ihnen mit wesentlichen Themen der heutigen Gesellschaft auseinandersetzt. Seine Arbeiten kommunizieren bewusst politische und soziale Anliegen. Dazu setzt er vermehrt das Internet ein, in dem er in Blogs die oftmalige Willkür des Rechtssystems des chinesischen Regimes kritisiert. Er nennt dabei das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte, die ohne Rechtsgrundlage gegen engagierte Verfechter der Menschenrechte vorgingen, aber auch die Internet-Zensur, sowie die Korruption im Land. Allerdings nutzte Ai Weiwei die Olympischen Spiele auch als Forum, wobei die virtuelle Welt des Internet selbst in den Mittelpunkt seines Schaffens rückte. Bei FAKE Design beschäftigte er dafür mehrere Mitarbeiter, denn trotz der Internet-Zensur gab es Spielräume für Sozialkritik: oft war dazu nur eine einzige Formulierung notwendig, die der Cyberpolizei und der Kontrollsoftware nicht sofort als subversiv auffiel.

Ausgangspunkt für die Installation an der Fassade des Hauses der Kunst in München war, wie schon erwähnt, das verheerende Erdbeben in der Provinz Sichuan am 12. Mai 2008,

134 Ebda. 123

das 80.000 Menschenleben, darunter das vieler Kinder, forderte und Millionen Menschen obdachlos wurden.

Bei den Recherchen, die Ai Weiwei im Erdbebengebiet anstellte, war ihm aufgefallen, dass zwischen den Trümmern der zerstörten Schulen viele Kinderrucksäcke lagen. Darauf startete er die bisher spektakulärste Aktion seiner künstlerischen Laufbahn: Er begann die Namen der getöteten Kinder zu recherchieren. Ai Weiwei wurde dabei von über hundert Helfern, die durch die ganze Provinz reisten und mit betroffenen Eltern Interviews führten, unterstützt. So gelang es ihm, bis zum 12. Mai 2009, dem Jahrestag des Erdbebens, über 5.000 Namen der toten Kinder im Internet zu veröffentlichen, obwohl zahlreiche Schikanen seitens der Behörden, die seine Mitarbeiter festhielten und bedrohten, seine Arbeit behinderten. Als Ai Weiwei am 12.Mai 2009 nach Sichuan reiste, um einem seiner Helfer, dem wegen seiner Mithilfe der Prozess gemacht wurde, beizustehen, wurde er nachts in seinem Hotelzimmer von einem Sicherheitsbeamten zusammengeschlagen und schwer verletzt. Um die Spätfolgen dieser Misshandlung, u.a. eine Gehirnblutung, medizinisch behandeln zu lassen, musste er sich im Oktober 2009 in München einer Operation unterziehen.

Er dokumentierte diesen Krankenhausaufenthalt mit Handy-Fotos und stellte diese auf seine Twitter-Seite.

Danach mussten die staatlichen Stellen in Peking öffentlich eingestehen, dass in den „Tofu- Schulen“ 5.335 Kinder ums Leben gekommen waren. Der Künstler setzte in der Installation ganz bewusst Schulrucksäcke in den Farben der Spielzeughandelshäuser Toys´R,Us ein. In China wurde die Verbreitung von Fotos dieser Installation verboten. Niklas Maak schreibt dazu: 124

Auf dem Ranzenbild wird die Bildmacht des Massenornaments gegen jene gekehrt, die mit ihm Propaganda treiben. Während in den Tanzornamenten fernöstlicher Militärparaden die Individuen in florale Musterbewegungen aufgelöst werden, entsteht hier aus der Masse der Ranzen die Geschichte eines Opfers- stellvertretend für tausende.135

13.2. Soft Ground

Mit Soft Ground bezieht sich Ai Weiwei auf die Geschichte Deutschlands im Dritten Reich im Allgemeinen und auf jene des Münchner Hauses der Kunst im Besonderen: letzteres wurde unter der NS-Herrschaft erbaut und blieb im Krieg unbeschädigt. Hitler bestand darauf, in diesem Gebäude, in dem „Leistungsschauen deutscher Kunst“ stattfinden sollten, für den Fußboden statt italienischem Marmor deutschen Kalkstein zu verwenden. Nachdem dieser sich jedoch als weniger haltbar als ein Marmorboden erwiesen hat, zeigt er heutzutage starke Gebrauchsspuren der vergangenen Jahrzehnte. Auf dieses Detail geht Ai Weiwei mit Soft Ground ein, wobei er erneut unter Beweis stellt, wie sehr er sich mit dem Umfeld und dem Ort der Ausstellung auseinandersetzt und wie sensibel er sowohl sein persönliches Erleben als auch den historischen Konnex umsetzt. Dies war speziell für deutsche und österreichische Besucher interessant, denn Soft Ground stellt als „weicher Teppich“ über dem ursprünglichen Boden sozusagen die darunter liegende unmenschliche Geschichte dar und macht sie deutlich. Der Wollteppich ist eine genaue Nachbildung des darunterliegenden Steinbodens, der aus insgesamt 969 Fliesen besteht, die im größten Raum des Hauses der Kunst verlegt sind. Ai Weiwei ließ jede einzelne von ihnen fotografieren und in einer Weberei in der Provinz Hebel nach diesen Vorlagen einen Teppich im Originalmaßstab produzieren - ein neuer, komfortabler Boden, der den alten, abgenutzten Boden überdeckt.

135 Niklas Maak, zit.in: Walch, Josef, Kunstportal (abrufbar:www.schroedel.de/kunstportal)Abgerufen:06.01.2010 125

Der Teppich weist die Maße von 10,615 x 35,615 m auf und bedeckt in der Halle 2 eine Fläche von 380 m². Er bildet eine neue Oberfläche für den ursprünglichen Steinboden und wirkt wie ein weiches und lärmschluckendes Kissen inmitten der Geschäftigkeit und verbirgt dadurch die Abnutzung des originalen Fußbodens. Der Teppich ist so „soft“, dass man leicht einsinken kann. Dieser Effekt ist beabsichtigt: denn so kann man in der Auseinandersetzung mit diesem Werk gewissermaßen tief in die deutsche Vergangenheit „einsinken“. Das Muster des Teppichs entspricht exakt den darunterliegenden Steinfliesen. Dieses Werk ist wie eine Vorlage, die auf Ereignisse und Menschen, die von 1937 bis in die heutige Zeit den Fußboden benutzt und sozusagen „bevölkert“ haben, hinweist. In Zusammenarbeit mit dem Haus der Kunst und einer staatseigenen Manufaktur in Peking, entstanden, wird die historische Architektur mit 969 Steinfliesen durch die Verwendung eines neuen Mediums (nämlich eines Teppichs) verändert und in einer weichen, komfortablen Beschaffenheit neu gestaltet. Die in warmen Farben gehaltene Oberfläche des Teppichs wirkt im Allgemeinen homogen, weil jede „gewebte“ Fliese zwar unterschiedlich ist, aber die natürliche Vielfalt der Steine genau nachbildet - nach siebzig Jahren der Benützung und den Spuren unzähliger Ausstellungen.

Soft Ground, Erstellung

126

Unterschiedliche Muster von Sprüngen, Splittern und Flecken illustrieren diese Geschichte. Die Oberfläche ist durch einen Raster geteilt, der jene 969 Fliesen des Bodens, die für die Reproduktion ausgewählt wurden, umfasst. Im Produktionsvorgang wurde jede Fotografie in Handarbeit durchgepaust und nach den jeweils unterschiedlichen Farbtönen und Linien unterteilt, um sie mittels Verarbeitung verschiedener Garne, von denen jedes aus sechs Fäden bestand, zu verarbeiten. Die komplette Reihe der Farben wurde ebenfalls aus sechs unterschiedlichen Farbtönen mittels gefärbter Wollfäden komponiert. Die Produktionszeit betrug 90 Tage und der Teppich wog schätzungsweise eine Tonne. 136

136 So Sorry. S.52-55. 127

14. regionale 10. Installation Hoher Dachstein

Ein Stein von weither macht den Dachstein zwar nicht wesentlich höher, wirft aber Fragen nach dem Wesen von Natur und Kultur auf.137 In einer spektakulären, doch auch umstrittenen Aktion ließ der Künstler einen riesigen Gesteinsbrocken aus der Erdbebenregion Sichuan auf den steirischen Dachstein transportieren. So nutzte er den Rahmen der regionale 10, um erneut auf die Lage der Menschen in China hinzuweisen und seinen Widerstand gegen das menschenverachtende Regime in seiner Heimat zu dokumentieren. Der vier Tonnen schwere Stein, den Ai Weiwei als Installation auf den Dachstein hieven ließ, brach im Zuge des Erdbebens in Sichuan 2008 von einer Felswand ab. Er hatte einen weiten Weg hinter sich – da war der aufwändige Transport auf den Gipfel des Dachstein nur mehr die letzte Etappe dieser Reise. Der Felsbrocken an sich ist nichts Besonderes, aber für Ai Weiwei ist dieser Stein ein Symbol für Vieles: für die zahlreichen Opfer dieses Bebens und für den inakzeptablen Umgang der Politik mit dieser Katastrophe.

Transport des Felsens

Die Installation Hoher Dachstein verweist aber auf eine wichtige künstlerische Tradition Chinas, nämlich die Verehrung der Natur in Verbindung mit dem Sinn für Harmonie, die dem Betrachter dabei helfen soll, zum Wesen des Objekts vorzudringen. Häufig dienten dabei Landschaftsbilder der Meditation.

Diese Überlegungen stellte auch Ai Weiwei an, als er auf dem höchsten geografischen Punkt der Steiermark ein Stück chinesischer Natur platzierte. Dieser Stein soll – wie viele

137 Programmzeitung regionale 10. S.9. 128

andere Werke des Künstlers – eine Aufforderung zum genauen Hinsehen sein: nicht nur als ein Stein, sondern auch in seiner Rolle als Zeugnis für menschliche Findigkeit und Anstrengung. Diese Anstrengungen werden vor dem Hintergrund des Bergmassivs des Dachstein allerdings auch relativiert: da mutiert der Viertonner zum Kieselstein. Ai Weiwei bemerkt dazu in einem Gespräch: Der Mensch ist nicht das allen anderen überlegenes Wesen, sondern nur ein Teil des Ganzen. Effizienz kann nicht sein Ziel sein.138

Seine Arbeit auf dem Dachstein kann ebenso interpretiert werden: der Stein dokumentiert das ambivalente Zusammenwirken von Mensch und Natur. Vor diesem Hintergrund, kann man das Dachsteinprojekt letztlich als eine Art seismischen Langzeiteffekt des Erdbebens von Sichuan begreifen, das sozusagen um den halben Erdball ging und auf dem Dachsteingipfel zum Stillstand gekommen ist. Ai Weiwei bringt hier, wie auch schon bei der Münchener Ausstellung „So Sorry“, die vielen Todesopfer der Naturkatastrophe mit der Korruption im chinesischen Bauwesen in Zusammenhang. Diesen Kontext stellt der Künstler auch in seiner Installation auf dem Dachstein her: manchmal ist eine scheinbar natürliche Konstellation eine Folge menschlicher Intervention, deren Konsequenzen sowohl positiv als auch negativ sein können. In einem Bericht der 3sat/Kulturzeit erklärt Ai Weiwei: Für mich ist diese Idee, einen Felsbrocken, der sich in Sichuan vom Berg gelöst hat, nach Österreich und auf den Dachstein zu bringen, eine logische Geschichte, die davon erzählt, was wir dort vor Ort getan haben. Wir haben uns eingemischt und gegen das ignorante Vorgehen der Behörden protestiert. Der Stein ist nur ein Symbol, der an die vielen Menschen erinnern soll, die anderswo gestorben sind. Es liegt in der Natur dieses totalitären Staates, alles verbergen zu wollen, Informationen zurückzuhalten und die freie Meinungsäußerung zu verhindern. Die Regierung kümmert sich also um alles. Das heißt, die Regierung kümmert sich auch um die Wahrheit. Man weiß also nie, ob es wahr ist, was sie einem erzählen, oder Fiktion. Bei unserem Sichuan-Projekt sind wir darauf gekommen, dass die Zahlen schon korrekt sind, aber wer waren diese Menschen?

Und weiter: Ein Künstler muss ein Menschenrechtler und ein Aktivist sein. Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der jeder die volle Verantwortung übernehmen soll für das, was

138 Programmzeitung regionale 10 Graz 2010. S.9 129

passiert. Es würde mir nichts ausmachen, festgenommen zu werden, solange ich der Gesellschaft helfen und die Art von Kunst machen kann, die ich machen will.139

Die Aktion für die regionale 10 hat bei der Bevölkerung und bei Umweltaktivisten teilweise Unverständnis und sogar Verstörung hervorgerufen – damit hat sie aber letztlich ihr Ziel erreicht: Aufmerksamkeit für ein Anliegen zu schaffen, das viele betrifft, aber das nur geografisch weit weg zu sein scheint.

139 Mitterer/Vospernik für 3sat/ Kulturzeit/se. Abgerufen:31.07.2010 130

15. Ai Weiwei und sein „System“

Im Katalog zur Ausstellung „So Sorry“ schreibt Mark Siemons über „China als Readymade. Über das System Ai Weiwei“: Wer sich mit China beschäftigt, kommt nicht umhin, über den Künstler Ai Weiwei nachzudenken. Und zwar nicht nur wegen des Inhalts seiner immer direkter und unversöhnlicher werdenden Kommentare zur Pekinger Einparteienherrschaft. Sondern auch vor allem wegen des Rahmens, in dem diese Kommentare und überhaupt alles, was er zwischen China und der westlichen Welt unternimmt, stehen.140 Dieser Rahmen wurde mithilfe eines über Jahre sorgfältig geknüpften Netzwerkes aus Geldgebern, Kuratoren und Journalisten vom Künstler selbst initiiert, um sich auf völlig ungesichertem Boden, nämlich auf dem nicht ungefährlichen Terrain der chinesischen Öffentlichkeit, bewegen zu können. Dabei geht es in erster Linie um die freie Meinungsäußerung, wobei die grundsätzlichen Auffassungsunterschiede zwischen China und dem Westen auch unterschiedliche Vorurteile und Missverständnisse nach sich ziehen. Ai Weiwei kann daher seine Arbeiten nicht in einem geschützten Bereich der Kunst umsetzen – er muss einen Raum schaffen, in dem sie im Rahmen der politischen und gesellschaftlichen Wirklichkeit wirksam werden können. Anders als Duchamp verlegte. Ai Weiwei den Kunstraum in den profanen Raum und fordert ihn damit sozusagen heraus, und zwar umso mehr, je deutlicher er in seinen Werken zu Politik und Gesellschaft Chinas Stellung nimmt. So ist seine jederzeit gefährdete Existenz im reglementierten China, dessen Reaktionen auf seine Arbeit und seine Persönlichkeit einmal repressiv und einmal tolerant sind, vielen Veränderungen ausgesetzt, wobei er sich gleichzeitig sowohl den chinesischen Lesern seiner Blogs wie auch dem westlichen Zeitungspublikum verständlich machen will und muss. Sieht man bei genauerer Betrachtung von Ai Weiweis „System“ auf die „Innenseite“, kann man jedenfalls den Eindruck gewinnen, dass man China in seiner Präsenz in der globalen Welt und die nicht immer durchschaubaren Prozesse ein wenig mehr verstünde. Grundlage für das Verständnis von Ai Weiweis Werk sind jedenfalls seine New Yorker Jahre und seine Begegnungen mit der damaligen Gegenwartskunst. Nach seiner Rückkehr nach Peking begann er in mehreren Stufen die chinesische Kultur als solche in Readymades umzuformen. Das inszenierte Fallenlassen von 2000 Jahre alten

140 Siemons, So Sorry. S.30. 131

Vasen aus der Han-Dynastie vor laufender Kamera beispielsweise war für ihn ein Akt der Befreiung von der Last der historischen Ansprüche, die Geschichte und Kunst an ihn stellten. In der Fotoserie Study of Perspective verdeutlicht er dies, indem er seinen Mittelfinger vor symbolischen und geschichtsträchtigen Bauwerken, wie dem Weißen Haus, dem Eiffelturm und dem Platz des Himmlischen Friedens in die Kamera hält. Zur gleichen Zeit formt er scheinbar spielerisch Möbel aus der Ming-Zeit zu Gebilden die keinen Zweck erfüllen und einer eigenen Logik zu gehorchen scheinen. Mit dem Projekt Fairytale beschreitet er einen neuen Weg, indem er bei der documenta 12 1001 chinesische Bürger von innerhalb und außerhalb des Kunstmilieus zu einer der größten Veranstaltungen für Gegenwartskunst reisen ließ, und machte so die Erwartungen, die die beiden Kulturen an die jeweils andere stellten oder zu stellen schienen, zum Thema. Diese lebendige „soziale Plastik“ nutzte er, um zwischen den verschiedenen Bildern, sowohl der der Kasseler von „China“ als auch der der Chinesen vom „Westen“ nach und nach eine gewissen Annäherung zu erzeugen.

Charakteristisch für das Schaffen Al Weiweis ist auch der Versuch, in seinem Blog die chinesische Kultur und die Einstellung Chinas zur Kunst in bestimmten Punkten zu verändern. Der Künstler begann, den öffentlichen Raum, sowohl jenen innerhalb Chinas, aber auch jenen zwischen China und dem Westen zu seinem eigenen Kunstgegenstand zu machen, indem er in seinen unzähligen Blogeinträgen, Fotos, Artikeln und Interviews seine Werke nicht nur kommentierte, sondern auch und vor allem ihren Inhalt in den Vordergrund stellte. Ai Weiwei will dabei die Wirklichkeit interpretieren, indem er sie verändert. Als er mit seinem Blog begann, war es für ihn zunächst ein Spiel mit der Privatheit - er fotografierte seine Katzen, seine Freunde, seine Gesprächspartner, Feste, Kunstauktionen und Diskussionen, wobei er diese Informationen auch ausländischen Medien zugänglich machte und schließlich immer pointiertere Texte schrieb, in denen er zu politischen Themen Stellung nahm. Im letzten Jahr wurden aus diesen Meinungsäußerungen Angriffe auf das chinesische Regime: so schrieb er mehr als siebzig Blogs über den „Fall Yang Jia“, der sechs Polizisten erschossen hatte, nachdem er zuvor in Shanghai grundlos von Polizisten geschlagen worden war. Ai Weiwei vertrat die Meinung, dass dies ein politisch motivierter Mord als Widerstand gegen die korrupte und undurchschaubare Staatsgewalt

132

war und kritisierte all das, was ihm im Prozess, der mit dem Todesurteil für Yang endete, unfair und undurchsichtig schien. Diese fortwährende Begleitung der Gerichtsverhandlung durch den Künstler und durch den Rechtsanwalt Liu Xiaoyuan wurde in der chinesischen Öffentlichkeit zu einem außerordentlichen Medienereignis. Ai Weiwei war letztlich davon überzeugt, dass diese Debatte die Haltung des Justizsystems, wie Untersuchungshäftlinge zu behandeln seien, verändert hatte. Das nächste große Thema, dem er in mindestens zwei Installationen viel Raum gab, war das Erdbeben in Sichuan. In der oben beschriebenen Installation Remembering widmete sich Ai Weiwei dem Tod tausender Schulkinder in beklemmender Weise. Die Namen und Daten der mehr als fünftausend toten Kinder, die Ai Weiwei mithilfe von fünfzig Helfern ermittelte und darauf in seinem Blog veröffentlichte, wurden von den Sicherheitsbehörden immer wieder gelöscht, die die Namenseinträge mit großem Misstrauen betrachteten. Ai Weiwei stellte jeden Tag ein Foto einer Kerze mit fortlaufender Nummerierung in den Blog, als Symbol für den Verlust eines Lebens und der daraus resultierenden Verantwortung.

Ai Weiwei führt dazu aus: Ich wähle die Themen aus, die die größte gemeinsame Basis haben, bei denen, die öffentliche Meinung einerseits stabil erscheint und zugleich doch wandelbar ist, weil sie von einem anderen Blickwinkel her betrachtet werden kann. Themen, die ich so genau wie möglich untersuche, um den Wert der Meinungsfreiheit zu demonstrieren.141

Dabei geht er auf die grundlegenden Anforderungen des Lebens ein und wird nicht müde, die Verantwortung des Staates diesem Leben gegenüber hervorzuheben.

141 Ebda. 133

Anzumerken ist dabei, dass Ai Weiweis Blogs im Gegensatz zu ähnlich kritischen Blogs, die oft sehr rasch geschlossen worden waren, lange Zeit unbehelligt verbreitet werden konnten. Allerdings änderte sich dies kurz vor dem Jahrestag des Tiananmen-Massakers am 4. Juni, weil er eine Auseinandersetzung mit einem, ihn kontrollierenden Beamten des Sicherheitsamtes hatte, zwar an die Rechtsstaatlichkeit des Regimes appellierte, sein Blog jedoch trotzdem gesperrt wurde. Ai Weiwei wich kurzerhand auf einen anderen Betreiber aus und öffnete dort einen neuen Blog.

Seine Hartnäckigkeit und auch Risikobereitschaft ist wohl auf seine Überzeugung zurückzuführen, dass der Zeitpunkt genau der richtige war, etwas zu unternehmen. China befand sich zu dieser Zeit in einer Krise und war bestrebt, alles zu unternehmen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Ai Weiwei bezeichnete diese Praxis des kommunistischen Regimes als „Gangster-Kultur“, an deren Verantwortungslosigkeit ungewollt jeder mit verteilten Rollen Anteil habe. Im modernen China gebe es daher keinen anderen Weg, […] als ernsthaft und ehrlich für Veränderung, Schöpfung und Aufbau zu kämpfen.142 Wegen Aussagen wie dieser beschimpfen ihn die Nationalisten in China als „Nestbeschmutzer“, der mit seiner Kritik nur ausländischen Interessen diene; Gleichgesinnte aber sehen in seinen sich ergänzenden Forderungen nach transparenter Öffentlichkeit und persönlicher Verantwortung ein berechtigtes Anliegen, das den realen Kern der chinesischen Gesellschaft trifft. Ai Weiwei ist als Teil der gegenwärtigen Veränderung seines Landes einer der Künstler Chinas, der Bezüge zur Realität auch außerhalb des Kunstmilieus sucht und diese verarbeitet. Von seiner eigenen Selbstinszenierung ist das kaum zu trennen. So sagt er über sich selber: Ich gebrauche mich selbst als Readymade, um meine Untersuchungen anzustellen. Es wird zu einem Lebenszweck, sich selbst zum Beispiel zu nehmen.143

Als Ai Weiwei im Jahr 2011 81 Tage unter dem Vorwand, große Summen an Steuern hinterzogen zu haben, an einem geheimen Ort festgehalten wurde, von seiner Firma 1,7 Millionen an Steuern und Bußgeldern, die innerhalb von zwei Wochen gezahlt werden sollten, eingefordert wurden und die Nachricht von dieser Strafaktion bekannt wurde, liehen ihm innerhalb von nur zehn Tagen etwa 30.000 Netzbenutzer einen Betrag von insgesamt 1,064.000 Euro und brachten damit ihren Protest über das Verhalten der

142 Ebda, S.34 143 Ebda. 134

Behörden, aber gleichzeitig auch ihre Unterstützung für Ai Weiwei zum Ausdruck. Der Künstler seinerseits gestaltete Schuldscheine, um an dieses Hilfsaktion zu erinnern. Ein Schuldschein hat die Maße von 23x27cm und besteht aus zwei Hälften. Der Geldverleiher behielt die rechte Hälfte mit der Nummer des Schuldscheins, dem Namen des Geldgebers und der Höhe der geliehenen Summe. Ai Weiwei behielt die linke Hälfte mit den Kontaktdaten. Diese Aktion wurde zu einem Internetevent, der wesentlich auf der kollektiven Teilhabe der Bürger und deren Meinungskundgebung beruhte und ist ein Beleg dafür, wie geschickt der Künstler in der Auseinandersetzung mit den Behörden Medien einzusetzen vermag.

Schuldscheintapete. 2011

Da Ai Weiwei keine Ausreiseerlaubnis erhält, startete er am 30.November 2013 das Internetprojekt Fresh Flowers, in dem er dokumentiert, wie er jeden Tag einen Strauß frischer Blumen in den Korb seine Fahrrades legt, das vor seinem Atelier abgestellt ist – so lang, bis er seine Reisefreiheit wiedererlangt hat.144

Aktion Fresh Flowers

Nach Ai Weiweis Meinung soll sich seine „Öffentlichkeitskunst“ nicht nur in China, sondern auch anderswo bewähren. Vor allem seit der „documenta 12“ ist er deswegen als eine Art

144 Quelle: http://creative.arte.tv/de/ai-weiwei-fresh-flowers. Abgerufen: 15.07.2014 135

Dolmetscher bekannt, weil es ihm gelingt, vieles, was an China zumindest irritierend wirkt, darzustellen – sei es die Besetzung Tibets, die Ausrichtung der Olympischen Spiele oder die verschwiegenen Erdbebenopfer Sichuans und auch zu „erklären“. Das allein ist ihm aber sichtlich zu wenig – er äußert sich auch zu heiklen Themen des Westens, wie dem amerikanischen Imperialismus, nicht weniger unerschrocken und kritisch. Dieser Künstler hat mit seinen Fragen, die die vorhandenen Differenzen sowohl akzeptieren als auch überschreiten, in seinen Werken Zustände und Empathie für Politik und Gesellschaft anschaubar und begreifbar gemacht. Aus Neugier und Freiheitsliebe gleichermaßen- so bemerkt er:[…] darum dreht sich doch die Freiheit, alles in Frage zu stellen.145

145 Siemons, So Sorry. S.34. 136

16. Resümee

Ai Weiwei ist kein „schmaler“ Künstler; kein Künstler, der sich einer bestimmten Fragestellung verschreibt, dafür ein Vokabular entwickelt und dann über Jahre, Schritt für Schritt, das ausgesteckte Feld auslotet und ausformt. Er ist ein generalistischer Künstler, verschrieben der Reibung mit und der Gestaltung von Realitäten. Und dergestalt Bildhauer, Konzeptkünstler, Fotograf, Architekt, Interviewkünstler und politischer Aktivist – ein Seismograph für aktuelle Themen und gesellschaftliche Probleme, der als großer Multiplikator und Kommunikator des Lebens zur Kunst und die Kunst zum Leben führt. Ai Weiwei ist sich bewusst, dass er in China und in der Welt etwas bewirken kann, wenn er als Intellektueller öffentlich präsent ist, daher setzt er sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in China und in der Welt auseinander, auch mittels Dokumentationen durch seine Fotografien, seine persönlichen Standortbestimmungen wie in „Study of Perspective“. Er tut dies, indem er als begnadeter Kommunikator enorm viel Zeit in Medienarbeit investiert- dazu gehören vor allem seine Blogs und heute sein Twittern. Ein Künstler als Aktivist - meist ein „agent provocateur“. Ai Weiwei beweist damit, […] dass jede Gesellschaft auf dieser Welt zu jeder Zeit, in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, singuläre, herausragende Figuren wie Ai Weiwei braucht, um wach zu bleiben, um wach gerüttelt zu werden, um den eigenen Starrsinn zu erkennen und um die eigene Betriebsblindheit vermeiden zu können.146 In seiner Kritik an der chinesischen Gesellschaft und dem intellektuellen Klima in China weist der Künstler oftmals auf das Fehlen einer grundlegenden intellektuellen Erneuerungsbewegung hin. Er ist der Meinung, dass es in China noch nie eine dem Modernismus verpflichtende Bewegung größeren Umfangs gegeben hat, deren Grundlage die Befreiung des Menschen und die Verbreitung eines neuen Humanismus wäre. Zum Modernismus gehöre seiner Meinung nach neben Demokratie, materiellem Wohlstand und Bildung für alle Bürger auch das Hinterfragen traditioneller humanistischer Werte und die kritische Analyse von Lebensbedingungen. Dies alles, so urteilt Ai Weiwei, fehle in der chinesischen Gesellschaft, in der das Individuum weitgehend ausgeblendet sei und kritisches Denken nicht zugelassen werde. Ai Weiweis Werke reflektieren diesen Mangel, ebenso wie seine Bemühungen, diesen durch seine künstlerischen Werke zu beheben Er ist

146 Urs Stanek, Marta Gili, in: Ai Weiwei Interlacing, Fotomuseum Winterthur. O.J., S. 435. 137

Realität und generiert Realität: in vieler Hinsicht entspricht sein Funktionieren deshalb der Vorstellung der „Sozialen Plastik“, von Joseph Beuys 147 und will dabei Vielfältigkeit, Vielschichtigkeit und Vernetzung ins Zentrum rücken. Der Künstler als reales Netzwerk, als Firma, als Aktivist, als politische Stimme, als „soziales Gefäß“. Durch die Vielfalt seiner Werke und die unterschiedlichsten Formen der Anwendung, vor allem aber durch sein stetes Zurückgreifen auf das traditionelle Kulturgut Chinas und die Auseinandersetzung damit, seiner Bedeutung für diese riesige Nation und deren langen Geschichte weist er auf Zusammenhänge hin, die menschliches Leben in Gesellschaft – nicht nur in China - ausmacht und die er in seiner künstlerischen Auseinandersetzung immer wieder zu reflektieren, verdeutlichen und zu aktualisieren sucht.

147 Soziale Plastik ist eine spezifische Definition eines erweiterten Kunstbegriffes Joseph Beuys. Er fordert die Ausdehnung der Kunst auf alle Bereiche der Gesellschaft und des täglichen Lebens. Nach seinem Verständnis ist jeder Mensch ein Künstler, d.h. jeder verfügt über ein kreatives Potential, das er als Individuum in die soziale Wirklichkeit einbringt. Kunst als ganzheitlicher Wahrnehmungs- und Erkenntnisprozess, an dem jeder aufgefordert ist, sich zu beteiligen. (Quelle: Reißer,Wolf, Kunst-Epochen. 20 Jahrhundert II- S.182. 138

17. Ausstellungen

2014: evidence. Martin-Gropius-Bau-Berlin (Deutschland)

2013: Ai Weiwei: According to What? IMA Indianapolis Museum of Art (USA) Art Gallery of Ontario. (Toronto, Kanada) Perez Art Museum Miami (USA) Ai Weiwei: Screening Room. Hotel Bauer, Venedig Baby Formula, Michael Janssen Gallery (Singapur) Ai Weiwei. Restance and Tradition. Centro Andaluz de Arte Contemporáneo (Sevilla) Ai Weiwei: Circle of Animals/Zodiac Heads. The Cleveland Museum of Art Interlacing. Museo da Imagen do Som (Sao Paulo) Ai Weiwei – Disposition, Lisson Gallery (London). Zuecca Project Space, Complesso delle Zitelle. Giudecca (Venedig) 2012: Forge, Mary Boone Gallery (New York) Ai Weiwei, According to Whath? Hirshhorn Museum ans Scupture Garden (Washington D.C.) Perspectives: Ai Weiwei. The Arthur M.Sackler Gallery. Smithsonian Institution (Washington D.C.) A Living Sculpture/The Box. Pippy Houldsworth Gallery (London) Ai Weiwei. Lisson Gallery (Mailand), (Paris) Kristefos Museum Interlacing. Jeu de Paume (Paris) Kristefos Museum. Jevnaker (Norwegen) Sunflower Seeds, Mary Boone Gallery (New York) Ordos. Galleria Continua. San Gimignano Ai Weiwei- New York 1983-1993- Moscow House of Photography (Moskau), Ernst Museum (Budapest) Circle of Animals/Zodiac Heads. Hermann Park Conservancy (Houston). Museum of Contemporary Art (San Diego CA), Hirshhorn Museum (Washington D.C.). The Woodrow Wilson School of Princeton University (Princeton) Ai Weiwei, Die Pont Museum of Contemporary Art (Tilburg). Ai Weiwei. Magasin 3 Stockholm Konsthall (Stockholm) Never Sorry. Friedmann Benda Gallery. New York 139

Ai Weiwei. Rebar-Lucerne Galerie Urs Meile (Luzern) Ai Weiwei. Five Houses. Architectur Centre Houston 2011: Ai Weiwei Absent. Fine Art Museum Taipeh Dropping the Urn, Ceramiks 5000BCE. Victoria& Albert Museum (London) Ai Weiwei. Dropping the Urn. Knoxville ;Museum of Art Art/Architectur. Kunsthaus Bregenz Ai Weiwei. Circle of Animals. Pulitzer Fountain (New York). Sommerset House (London) Los Angeles County Museum of Art. Paul Kasmin Gallery (New York) Sunflower Seeds. Kunsthalle Marcel Duchamp. Cully (Schweiz) Ai Weiwei. Teehaus. Museum für asiatische Kunst. Staatliche Museen zu Berlin Ai Weiwei. Museum DKM Duisburg Ai Weiwei in New York. Fotografien 1983-1993. Martiun-Gropius-Bau (Berlin) Society und Museum (New York) Ai Weiwei-Interlacing. Fotomuseum Winterthur. Kunsthaus Graz Ai Weiwei.Lisson Gallery (London) Fairytale- 1001 Chairs. Olivia Fine Art (London) 2010: A few Works from Ai Weiwei. Alexander Ochs Galleries (Berlin) The Unilever Series: Ai Weiwei. Turbin Hall Tat. Tate Modern (London) Hurt Feelings. Christine König Galerie (Wien) Ai Weiwei. Galerie Urs Meile. Beijing-Luzern (Luzern) Dropping the Urn. Ceramics 5000 BCE-2010 CE. Arcadia University Gallery (Glenside). Museum of Contemporary Craft (Portland) Ai Weiwei. Haines Gallery (San Francisco) Barely Something . Stiftung DKM Duisburg Cube Light. Misa Shin Gallery (Tokio) Ai Weiwei. Faurschou Gallery (Kopenhagen) Mermaid Exchange. Langelinie (Kopenhagen) regionale 10. Dachstein (Österreich) 2009: With Milk, Find Something Everybody Can Use. Mies-van- der-Rohe Pavillon (Barcelona)

140

World Map. Faurschou Gallery Beijing So Sorry. Haus der Kunst. München According to What? Mori Art Museum. Tokio Ways beyond Art. Ivory Press Space (Madrid) Ai Weiwei. New York Photographs 1983-1993. Three Shadow Photography Art Centre (Beijing) Ai Weiwei. Friedman Benda Gallery (New York) Four Moments. Phillips de Pury (London) 2008: Ai Weiwei. Albion Gallery (London). Hundai Gallery (Seoul) Under Construction. Sherman Contemporary Art Foundation (Sidney) Campelltown Arts Center (Campelltaown) “Through” and “Video Work Fairytale”. Sherman Contemporary Art Foundation (Sidney) Illumination. Mary Boone Gallery (New York) Go China! Ai Weiwei. Groninger Museum (Groningen) Ai Weiwei. Fairytale. IMA Institut of Modern Art (Brisbane). Gallery Emerson Hamilton College (Clinton) 2007: Ai Weiwei. Galerie Urs Meile. Beijing- Luzern (Beijing) Traveling Landscape. Aedesland (Berlin) 2006: Fragments. Galerie Urs Meile. Beijing-Luzern (Beijing) 2004: Ai Weiwei. Kunsthalle Bern Ai Weiwei. Provinciaal Cultuurcentrum Caermerskloster( Gent) Ai Weiwei. Robert Miller Gallery (New York) 2003: Ai Weiwei. Galerie Urs Meile Beijing-Luzern (Beijing) 1988: Old Shoes - Safe Sex. Art Waves Gallery, New York. USA 1982: Ai Weiwei. Asia Foundation. (San Francisco)

141

18. Literaturverzeichnis

Bücher

Ai Weiwei/ Obrist, Hans Ulrich, Ai Weiwei spricht. Interviews mit Hans Ulrich Obrist. A.d. Englischen von Andreas Wirthensohn. Carl Hanser. München 2011

Benjamin, Walter, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Drei Studien zur Kunstsoziologie. edition suhrkamp. Frankfurt am Main.1963

Eco, Umberto (Hsg.), Die Geschichte der Schönheit. Carl Hanser. München Wien 2004

Fibicher, Bernhard/ Obrist, Hans Ulrich/ Smith, Karin, Ai Weiwei. Phaidon Press Ltd. London. 2009

Foster, Elena Ochoa/ Obrist, Hans Ulrich, Ways beyond Art. Ai Weiwei. Ivorypress. London 2009

Hironori, Matsubara/ Mami, Kataoka/ Merewether, Charles, Ai Weiwei – According to what? Mori Art Museum. Tokyo 2009

Jullien, François, Über das Fade – eine Eloge zu Denken uns Ästhetik in China. Merve Verlag. Berlin 1999

Klein, Caroline, Ai Weiwei Architecture. DAAB Media. Köln 2010

Marschall, Wolfgang (Hsg.), Klassiker der Kulturanthropologie. Von Montaigne bis Margaret Mead. Beck, München 1990

Meile, Urs (Hsg.), Ai Weiwei.Works 2004 – 2007. Galerie Urs Meile, Luzern 2007

Merewether, Charles (Hsg.), Ai Weiwei. Works: Beijing 1993-2003.

Merewether, Charles, AI Weiwei: Under Construction. USNW Press, Sidney 2008

Niermann, Ingo, China ruft dich. Protokolle. Mit Fotografien von Antje Majewski. Freie Mediengesellschaft Berlin 2009.

Rabenau, Kai von, AI Weiwei. Portrait of a Critical Mind. mono.kultur. Berlin. 2010.

Rancière, Jacques, Ist Kunst widerständig? Merve Verlag. Berlin 2008

Reclam, Kunstepochen, Bd. 12. 20. Jahrhundert II. Hsg.: Reißer, Ulrich und Wolf, Norbert. Reclam, Stuttgart 2003. 142

Schmidt-Glintzer, Helwig, China. Vielvölkerreich und Einheitsstaat. Von den Anfängen bis heute. C.H. Beck, München 1997.

Stahel, Urs. Janser, Daniela, Ai Weiwei. Interlacing. Fotomuseum Winterthur. Winterthur 2011

Tinari, Philip, Pakesch,Peter, Merewether, Charles, AI Weiwei.Works 2204-2007 JRP Ringier. Zürich 2008

Weiwei, Ai/ Von Bonin, Cosima/ Jankowski, Christian, Ai Weiwei, Cosima von Bonin, Christian Jankowski, Parkett, Band 81. Luzern 2007

Kataloge

Ai Weiwei, Katalog Groninger Museum. Kuratoren: Mark Wikson, Sue-An van der Zijpp. Groningen 2008.

Ai Weiwei, Barely Something. Museum DKM Stiftung DKM. Duisburg 2010

Ai Weiwei, evidence. Hsg. Gereon Sievernich. Martin-Martin-Gropius-Bau Berlin. Berlin 2014

Ai Weiwei Interlacing. Fotomuseum Winterthur. Winterthur 2011

Ai Weiwei, So Sorry. Mit Texten von Ai Weiwei und Mark Siemins. München 2009

Lexika

Herders großes Handlexikon A-Z. Freiburg 1986

Zeitschriften

Programmzeitung REGIONALE 10. Festival für zeitgenössische Kunst. Graz 2010

Rundfunkmitschnitt

Mitterer, Ines, Vospernik, Cornelia, Stein des Anstoßes. 3 sat/Kulturzeit/se. 13.7.2010

Internetadressen

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