Harlan: Vater und Sohn n h o S

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»Die Väter essen saure Trauben, dem Familientribunal. Thomas, das älteste der fünf Kin- den Söhnen fallen die Zähne aus…« der von Veit Harlan, versucht die Flucht zu Freunden. nach Jeremia Kap. 31 Sie misslingt. Wie ein verlorener Sohn lässt er sich mit Im November 1947 schreibt Veit Harlan seinem 18-jäh- seinem Freund Michel Tournier vom Vater zu einer rigen Sohn Thomas: »Gestern habe ich vor meinem Theatertournee einladen. Sie werden mitgenommen zu Ausschuss die Vorführung meines Films JUD SÜSS er- Feiern bei amerikanischen Militärbehörden und Ruhr- lebt. Ich hatte bereits vergessen, wie wenig antisemi- baronen, und führen ein Luxusleben inmitten der Trüm- tisch er ist. Nun haben es meine hohen Richter gese- mer. Der père terrible erdrückt seinen Sohn mit über- hen. Das Ganze ist albern und unwürdig. Wie lange bordender Zuwendung und Oberschichtsgehabe, und wird es noch dauern? Ich schreibe an einem Film um dieser geht ihm auf den Leim. Bei einem solchen Vater Sokrates, ich glaube, er gelingt mir gut. Ich habe mich mündig werden, heißt missraten: Thomas bricht sein in die Welt Platos und Xenophons und in die Welt Plu- Studium ab, verschwindet mit Freunden nach Frank- tarchs und des Thukydides versenkt und übertrage reich und taucht Jahre später wieder unversehens bei diese Welt des untergehenden Griechenlands in unsere seinem Vater auf. Er präsentiert ihm jetzt stolz ein eige- Trümmer.« Der Sohn aber möchte mit dem Vater über nes Werk. das für ihn Unausweichliche reden, über seinen Film Der jetzt 23-jährige hatte mit Klaus Kinski ein Drehbuch JUD SÜSS, über die Trümmer, die der Film verursacht verfasst über Israel, den jüdischen Genozid und den An- hat, über das Ganze, das Trümmerland. Der Vater be- tikommunismus der Nachkriegszeit mit dem Titel »Tot- gibt sich nicht in das Gefecht mit dem Sohn, er lässt macher / Vom Warschauer Ghetto bis McGee bis Malan ihn abblitzen und beklagt die Gottlosigkeit der Jugend: bis zu den Rosenbergs und immer weiter…«. Es orien- »Über Existenzphilosophie wollen wir nicht mehr schrei- tiert sich am Stil des russischen Revolutionsfilms von ben… Ich habe heute wenig Zeit. Wie eine widerliche Dziga Vertov und Sergej Eisenstein, mit Reminiszenzen Störung zieht sich meine Entnazifizierung durch meine an den deutschen Expressionismus und den italieni- Gedanken und mein Streben.« Der Vater entzieht sich schen Neorealismus. Thomas kompiliert Schlagzeilen zum Koreakrieg, zu Hiroshima, zur Lynchjustiz an mas droht mit Verleumdungsklagen, der Vater beklagt Schwarzen mit Szenen vom Kriegsende, die er in die Verkommenheit seines Sohnes. Thomas widersetzt erlebt hat: »Grunewald, Lassenstraße: Russische Pan- sich der Vaterordnung in seinem Privatleben, beschäf- zer und Mannschaften rollen durch die leeren Straßen tigt sich in der Zeit des Kalten Krieges mit Kommunis- nach der Einnahme von Berlin an der Kamera vorbei. mus und Kriegsverbrechern. Hinter ihnen Gulaschkanonen und Verpflegungswagen In dieser Zeit entsteht ein Traumgebilde, ein Theater- – dazwischen russische Infanterie. Die Gulaschkanonen stück von Thomas Harlan über den Aufstand jüdischer halten und schütten riesige Berge von Reis und Fleisch Jugendlicher gegen verkrustete Strukturen, »eine er - auf die Straße. Von allen Seiten kommen die verängs- schüt ternde Chronik des Warschauer Ghettos« (Hans n h

tigten Leute langsam und zögernd aus den Kellern und Ha be). Während seiner Israelreise hatte er im Kibbutz o S essen von dem Reis… Sich in den Reishaufen boh- der Ghettokämpfer polnische Rebellen kennengelernt, d n

rende Hände… Ausgehungertes Kindergesicht.« Im die ihn zu seinem Stück »Ich selbst und kein Engel« an- u

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Vorspann steht: »Mit den Geprügelten, Gehetzten, Ge- regten. Mit Stolz will er dem Vater seine Sicht der Welt e t a

jagten, mit den Verfolgten der ganzen Welt, mit den Ge- zeigen und holt ihn während der Proben zu Hilfe. Er V

: mordeten und ihren Mördern, Gestern, Heute, Morgen.« setzt ihn ins Dunkel, damit ihn niemand sieht, denn er n a l Es ist ein wunderbares Pamphlet gegen Krieg und Mas- und der polnische Regisseur Konrad Swinarski arbeiten r a senmord, gegen Unterdrückung auf der ganzen Welt. auch mit jüdischen Schauspielern. Dafür erntet Thomas H Es vereint Archivmaterial mit Massenszenen auf allen Empörung. Sein Vater behauptet später, dass ohne sei - 15 Kontinenten – eine Verfilmung ist unbezahlbar. Thomas ne Hilfe »das Stück in der Kongresshalle überhaupt sammelt Fotos von Arbeiterdemonstrationen, Ruinen nicht herausgekommen« wäre und hält ihm vor: »Du des Warschauer Ghettos, Porträts – Bilder, die sich in hast es ja hundertmal gesagt, Alle haben’s gesagt.« seinen späteren Filmen widerspiegeln. Der Sohn leugnet coram publico die Mitarbeit des al- Und was schreibt der Vater dazu? »Dass Du als mein ternden Regisseurs, schreibt ihm, er wolle »seinen ers- Sohn einen Film für die Juden machen willst, ist eine ten Erfolg nicht auf dem Grabhügel seines Vaters fei- ganz ausgezeichnete Idee… Es gab einen Film DIE TO- ern.« Er erlangt rhetorische Souveränität um den Preis DESMÜHLEN – da waren die Leichenberge authentisch. des sich ver härtenden Familiendesasters. Das Problem Das wollte schon niemand sehen… Der Gesang über mag sein, dass der heißgeliebte Vater am Sohn kein Israel müsste zu einem Gesang werden, wenn es ein Wohlgefallen finden kann. Der eiserne Sohn, jetzt um Kunstwerk werden soll – nicht zu einem grellen, wider- die Dreißig, tritt aus der Familie aus, katapultiert sich wärtigen Hassgeschrei… Der Film, den Du da machen an deren Rand. Erst 1964, am Sterbebett des Vaters, willst, ist das, was ich einen ›Nazi-Film‹ nenne. Er ist wird es zu einer Art Versöhnung kommen: Der Vater ver- schlechter Goebbels – ungekonnte Propaganda.« Der gibt ihm. Vater beschimpft seinen Sohn als »Nestbeschmutzer«, Thomas Harlan verlässt den Familienort, kehrt dem der damals gängigen Bezeichnung für diejenigen, die Vaterland den Rücken. Er geht nach Polen und liefert darauf bestanden, dass die Mörder noch unter ihnen Material über Tausend Kriegsverbrecher und Gewinnler, waren. Der Brief endet mit dem Satz: »Komm bald nach Nutznießer mit gewöhnlichem Gesicht an deutsche Ge- Starnberg und lerne richtig arbeiten.« richte und Staatsanwälte. Mit Maulwurfsarbeit enttarnt Der Sohn folgt, kommt zurück und liefert sich der er die Kanäle der Kumpane und begibt sich auf die Spu- Eiseskälte und der Vaterordnung aus. So ist auch der ren der Rebellen. »Wir hatten nicht beschlossen, einen Versuch zu verstehen, mit dem schrecklichen Vater an Film zu machen. Wir hatten beschlossen, Material in einem Film über den Antifaschisten und anderen Landgemeinden vorzuführen, aus denen die Deutschlands Kriegstreiberei zu arbeiten. Thomas anderen Landgemeinden lernen konnten, wie die bei- macht sich die Verbindungen des Vaters zunutze und spielhafte Landgemeinde von Torre Bela mit 19.000 kann mit Wolfgang Staudte zusammenarbeiten, der Hektar Grundbesitz umging.« Und doch entsteht eines sich als Darsteller in JUD SÜSS in dem Prozess gegen der wichtigsten Dokumente über die portugiesische Veit Harlan von diesem distanziert hatte. Das konserva- Nelkenrevolution: TORRE BELA, ein Jubelgesang und tive Umfeld in den Bavaria-Studios, mit dem sich gleichzeitig eine schonungslose Mahnung über die Staudte arrangiert und in dem er sich nach dem Willen Tücken jeder Rebellion, jedes Aufstands. Mit diesem seines Vater beweisen soll, widerstrebt ihm. Er sieht Film erschließt sich Thomas Harlan und uns einen sich als »Nutznießer« seines Vaters und reagiert mit Raum für die eigene Wahrheit, es ist der Film eines Getobe. Es folgen entsetzliche Familiendramen. Tho- Antiautoritären. Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger sind die Mör- der noch unter uns. Thomas Harlan kennt deren Ge- flecht von Innen, er ist darin aufgewachsen, hat die straflosen Mutationen von ihnen in die Unbescholten- heit der Fünfziger Jahre erlebt und darüber geforscht. Er gestaltet eine »Hinrichtung für vier Stimmen« in sei- nem Film WUNDKANAL, den er Giangiacomo Feltrinelli widmet. Es ist die Geschichte eines Massenmörders, besetzt mit einem Massenmörder, der mit einem ande- n h

o ren Massenmörder befreundet ist aus dem Stuttgarter S Innenministerium, das den Gefängnisbau von Stamm- d n

u heim zu verantworten hat, und der von der Roten

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e entführt wird. Mit Eiseskälte und

t Armee Fraktion a

V Schlauheit begegnet Thomas Harlan dem ihm Ausgelie-

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n ferten. Ein halsbrecherisches Unternehmen, in dieser a l r Zeit. Und so wird der Film mit Hilfe der Presse mehr a

H oder weniger totgeschwiegen oder abgetan als Kunst- 16 handwerk, als Verwirrung, die ihre »Ursache nicht in dramaturgischen Mängeln hat, sondern einem psy- chischen Zustand entspricht.« Der Film ist Fiktion. Dieses Mal ist es der Sohn, der sei- nen Vater verstößt, und es hat sich die biblische Pro- phezeihung von Jeremia erfüllt: »In jenen Tagen wird man nicht mehr sagen: ‚Die Väter essen saure Trauben, den Söhnen fallen die Zähne aus«, sondern jedermann wird an seiner eigenen Missetat sterben: »Wer saure rechtzubiegen. Veit Harlan wurde als Regisseur dieses Trauben isst, dessen Zähne sollen ausfallen!« Films nach dem Krieg wegen »Verbrechens gegen die Katrin Seybold Menschlichkeit« vor Gericht gestellt. Er berief sich da- rauf, dass Goebbels das Ende des Films nach der Fer- Thomas Harlan ist am 16. Oktober 2010 im Alter von 81 Jah- tigstellung verändert habe: »Der Film bekam durch ren nach langer Krankheit in Schönau am Königssee gestor- diese Veränderung wohl einen hetzerischen Charakter, ben. Die Filmreihe »Harlan: Vater und Sohn« zeigt Filme von den er vorher – trotz des in ihm vertretenen Antisemi- ihm und von seinem Vater, Filme über ihn und über seinen tismus – nicht hatte. Und gewiss habe ich die von Vater sowie zwei Filme anderer Regisseure, die auf denselben Goebbels geänderte Form – die später in den Kinos lief Stoffen basieren, die Veit Harlan als Vorlage dienten. Außer- dem wird in einer Hörspielfassung das letzte Werk von Tho- – überhaupt nicht zu verantworten.« mas Harlan vorgestellt, das Buch »Veit«, das er seiner Frau ̈ Freitag, 11. März 2011, 18.30 Uhr (Einführung: Stefan Katrin Seybold gewidmet hat. Drößler)

JUD SÜSS – Deutschland 1940 – R: Veit Harlan – B: JEW SÜSS – GB 1934 – R: Lothar Mendes – B: A.R. Veit Harlan, Eberhard Wolfgang Möller, Ludwig Metzger Rawlinson, Dorothy Farnum, nach dem Roman von Lion – K: Bruno Mondi – M: – D: Ferdinand Feuchtwanger – K: Bernard Knowles, Roy Kellino – D: Marian, Kristina Söderbaum, Werner Krauß, Heinrich Conrad Veidt, Benita Hume, Frank Vosper, Cedric Hard- George, Malte Jäger, Eugen Klöpfer – 96 min – Der wicke, Gerald du Maurier – 105 min, OF – Eine wenig große antisemitische Spielfilm war ein Staatsprojekt, zu bekannte Verfilmung desselben Stoffes, dessen sich dem die Mitarbeiter persönlich ver- auch Veit Harlans Film bedient. Süß-Oppenheimer pflichtete. Der Film benutzt die historischen Ereignisse strebt nach der Macht, um in einer antisemitischen um Joseph Süß-Oppenheimer, der als Geheimer Fi- Gesellschaft nicht länger das Opfer und der Außen - nanzrat des verschwenderisch lebenden Herzogs Karl seiter sein zu müssen. Dafür verkauft er seine Seele. Alexander von Württemberg den Zorn der Bevölkerung Um den erlangten Status am Württembergischen Hof auf sich zog und als »Staatsverbrecher« 1738 gehenkt nicht zu gefährden, lässt er es zu, dass der Herzog die wurde, um sie für die antisemitische Propaganda zu- Frau vergewaltigt, die er liebt. Er wird zum tragischen Helden und leitet mit dem Untergang des Herzogs NOTRE NAZI – BRD/Frankreich 1984 – R+B+K: Ro- bewusst auch den eigenen ein. »JEW SÜSS ist kein bert Kramer – M: Barre Phillips – mit Alfred Filbert, Tho- Meisterwerk, aber ein bewegender Film und nicht das mas Harlan, Hertz Nativ, Ursula Langmann, Henri Ale- eindimen sionale philosemitische Gesinnungskino, als kan, Heike Geschonneck – 116 min, OmU – NOTRE das er meistens beschrieben wird. Süß ist nicht der Sym- NAZI dokumentiert die Dreharbeiten zu WUNDKANAL. pathieträger, weil er Jude ist, sondern weil er so zerris- »WUNDKANAL ist ein Film über die Schuld, und NOTRE sen ist und von Conrad Veidt gespielt wird, der ganz der NAZI ist ein Film über die Entstehung der Schuld. Diese Wirkung seiner Stimme vertraut.« (Hans Schmid) neu entstandene Schuld war unsere Schuld. WUNDKA- ̈ Samstag, 12. März 2011, 18.30 Uhr NAL ist ein Gewaltakt. Indem man die Wahrheit sucht, n h

wird man schuldig. Wir hatten den alten Herrn mit sei- o S HARLAN – IM SCHATTEN VON JUD SÜSS – Deutsch- ner Wahrheit gequält, und NOTRE NAZI verrät mich: Wir d n

land 2008 – R+B: Felix Moeller – K: Ludolph Weyer – haben aus einem Massenmörder einen Schauspieler u

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M: Marco Hertenstein – mit Caspar Veit Harlan, Kristian gemacht, und es war wichtig, dass diese Manipulation e t a

Veit Harlan, Thomas Harlan, , Susanne Chris- von NOTRE NAZI demaskiert wurde. Ich habe den Preis V

: tian, Maria Körber, Stefan Drößler – 98 min – Doku- in Kauf genommen, den ich für die Offenlegung der Tat- n a l mentarfilm über die Familie von Veit Harlan und ihre sache bezahlen musste, dass Alfred Filbert ein Massen- r a

Versuche, mit der Vergangenheit des Vaters als promi- mörder ist und ich ihn einem verschärften Verhör unter- H nentester Nazi-Regisseur umzugehen. Jedes Mitglied ziehe, einem unerträglichen Verhör. Wer diesen Versuch 17 hat einen anderen Weg dafür gefunden, und so spiegelt unternimmt, verliert sein Gesicht. Das ist die Lehre, die der Film auf eine sehr eindringliche Weise die Diskus- ich aus WUNDKANAL gezogen habe, und dafür bezahle sionen über Harlans Rolle im Dritten Reich und die Aus- ich: Ich habe das Gesicht des Feindes angenommen.« einandersetzung damit. Am deutlichsten ist die Stel- (Thomas Harlan) lungnahme von Thomas Harlan: »Ich war nicht gegen ̈ Mittwoch, 16. März 2011, 21.00 Uhr meinen Vater sein Sohn. Ich war mit meinem Vater sein Sohn. Und so weit, dass ich mit ihm für all die schändli- VERRAT AN DEUTSCHLAND (DER FALL DR. SORGE) chen Dinge, die mit seinem Zutun entstanden sind, die – BRD 1955 – R: Veit Harlan – B: Veit Harlan, Thomas Verantwortung getragen habe. Das finde ich ganz Harlan – K: Georg Bruckbauer, Shizu Fujii – M: Franz selbstverständlich.« Grothe – D: Kristina Söderbaum, Paul Muller, Valerij ̈ Sonntag, 13. März 2011, 18.30 Uhr (Zu Gast: Felix Inkizhinov, Hermann Speelmans, Blandine Ebinger, Tsu- Moeller) tae Fujino – 109 min – Die einzige offizielle Zusam- menarbeit von Thomas Harlan mit seinem Vater Veit WUNDKANAL – BRD 1984 – R: Thomas Harlan – B: Harlan ist eine melodramatische Aufarbeitung des Fal- Thomas Harlan, Yvette Biro – K: Henri Alekan – mit les Dr. Sorge, der 1941 in Japan wichtige Kriegsinfor- Alfred Filbert, Gerhard Riedmann – 107 min – Ein alter mationen an die Sowjetunion verriet. Es ist der einzige Mann wird entführt und von seinen Kidnappern verhört. westdeutsche Film der 1950er Jahre, in dem von Ver- Dabei wird die Biografie eines Massenmörders frei - brechen der deutschen Wehrmacht beim Überfall auf gelegt. Der heute Achtzigjährige war als einer der die Sowjetunion die Rede ist – und prompt wurde der obersten SS-Führer für die Ermordung von Tausenden Film im Adenauer-Deutschland »wegen pro-sowjeti- von Menschen in der Sowjetunion verantwortlich und scher bzw. pro-kommunistischer Tendenzen« verboten. »Erfinder« einer infamen Liquidationstechnik der Nazis: Offenbar hatte Harlan in seinem Bemühen, sich vom des fingierten Selbstmords politischer Gefangener. Nationalsozialismus zu distanzieren, die Nazis in VER- Thomas Harlan begnügt sich in WUNDKANAL nicht mit RAT AN DEUTSCHLAND so überzeichnet, dass deshalb der Rekonstruktion der Geschichte dieses Schreibtisch- die seinerzeit offenbar viel stärker gefürchteten Kom- täters, sondern zieht darüberhinaus Linien vom Natio- munisten zu positiv wirkten. Ins Kino gelangte nur eine nalsozialismus bis zum Bau der Hochsicherheitstrakte zensierte Fassung mit distanzierendem Einführungstext im Stammheimer Gefängnis. »Ganz zweifellos geht es und ohne Vor- oder Nachspann. Harlan in WUNDKANAL in der Person des alten SS- ̈ Freitag, 18. März 2011, 18.30 Uhr Mannes nicht nur um diesen, sondern an seinem Beispiel um eine Auseinandersetzung mit der Hassliebe THOMAS HARLAN – WANDERSPLITTER – Deutsch- zum eigenen Vater, Veit Harlan.« (Gertrud Koch) land 2006 – R+K: Christoph Hübner – B: Thomas Har- ̈ Dienstag, 15. März 2011, 21.00 Uhr lan, Christoph Hübner, Gabriele Voss – mit Thomas UNSTERBLICHE GELIEBTE – BRD 1950 – R+B: Veit Harlan – K: Werner Krien – M: Wolfgang Zeller – D: Kristina Söderbaum, Hans Holt, Hermann Schomberg, Otto Gebühr, Jakob Tiedtke, Erna Morena – 106 min – Veit Harlans erster Nachkriegsfilm, dessen Aufführun- gen in vielen Städten von Demonstrationen gegen den freigesprochenen Nazi-Regisseur begleitet waren, ist eine streng stilisierte, düstere Geschichte um Schuld und Sühne: Die Frau eines Pastors in Norddeutschland n h

o verliert ihr Kind, während sie ein Stelldichein mit dem S unehelichen Vater des Kindes hat. UNSTERBLICHE GE- d n

u LIEBTE war der dritterfolgreichste deutsche Kinofilm

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e des Jahres 1951 und erreichte 9 Millionen Zuschauer. t a

V Harlan – 96 min – Ein Sanatorium, ein Zimmer, ein »Wir hatten kein Geld aus der Hitler-Zeit hinüberretten

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n Schreibtisch, Aussicht auf die Berge. Der Kamera zu - können, denn wir waren an unseren Filmen nicht betei- a l r gewandt: Thomas Harlan, Autor und Filmemacher, ligt gewesen. Also musste ich Geld verdienen. Ich a H Abenteurer, Nazi-Verfolger. Er spricht, denkt nach, ver- wollte meiner Frau, die mir ihre Jugend, ihr Talent und 18 führt, bricht ab. Ein Film entsteht im Kopf: eine Fahrt ihre unbeschreibliche Schönheit geschenkt hatte, wie- durch Moskau, eine Begegnung mit Hitler, »Sprache als der ein würdiges Leben verschaffen.« (Veit Harlan) Kathedrale«, die stillschweigende Rehabilitierung von Heute ist von dem Film nur noch eine einzige Kopie mit Kriegsverbrechern, angezündete Kinos und das Verhält- niederländischen Untertiteln erhalten. nis zu seinem Vater, dem JUD SÜSS-Regisseur Veit ̈ Dienstag, 22. März 2011, 21.00 Uhr Harlan. Thomas Harlans Sprache macht erlebbar, wie Erinnerung funktioniert – diskontinuierlich, in Stim- ANDERS ALS DU UND ICH (§ 175) – BRD 1957 – R: mung und Ton schwankend, voller Anfänge, Unterbre- Veit Harlan – B: Felix Lützkendorf – K: Kurt Grigoleit – chungen, Auslassungen und Hinzufügungen. M: Erwin Halletz, Oskar Sala – D: , Paul ̈ Samstag, 19. März 2011, 18.30 Uhr Dahlke, Christian Wolff, Ingrid Stenn, Friedrich Joloff, Hans Nielsen, Hilde Körber – 91 min – Eine Mutter ist VEIT – Deutschland 2011 – Hörspiel nach einem Text vor Gericht angeklagt, weil sie ihren Sohn mit dem von Thomas Harlan – P: Bayerischer Rundfunk / Hör- Dienstmädchen verkuppelt hat, damit er nicht homose- spiel und Medienkunst – 52 min – Kurz vor seinem Tod, xuell wird. Der mit allen Mitteln des klassischen Melo- vom 31. Mai bis zum 4. Juni 2010, diktierte Thomas drams inszenierte Film war wegen seiner angeblich Harlan seinen letzten Brief, einen Brief an den Vater. »schwulenfreundlichen« Tendenz zeitweise verboten, VEIT ist ein Klagegesang, ein Lamento. Und zugleich obwohl er ein groteskes Bild der Homosexuellen-Szene das unermüdliche Pochen auf die Wahrheit, unbarm- zeichnet: junge Männer, die in dunklen Räumen eines herzige Bilanz: »Verzeih, dass ich Dich vergessen hatte, Kunsthändlers zu abstrakter Musik aus dem Trauto- dass ich Dir meine Treue entzog und meine Sohnes- nium griechische Ringkämpfe aufführen. Der Film ist liebe, dass ich an Dir entlang ging, als seiest Du nur aber auch durchaus ambivalent zu lesen als Halbstar- eine Landschaft, ein Abgrund, als hätte ich ver hüten ken-Film, in dem junge Menschen gegen das bürgerli- wollen, in ihn zu stürzen, in Dir umzukommen. Ich bin in che Wirtschaftswunder-Elternhaus rebellieren, als Dir umgekommen.« – ICH SELBST UND KEIN ENGEL Rechtfertigungsdrama für Harlan, der sich wie die Mut- – DDR 1959 – R: Ruth Heucke-Langenscheidt, nach ter zu Unrecht vor Gericht angeklagt sah, und als Ausei- dem Theaterstück von Thomas Harlan – M: Michael nandersetzung mit seinem Sohn Thomas und dessen Dress – D: Horst Keitel, Cipé Lincovski, Manfred Krug, Freundeskreis. Armin Mueller-Stahl – 86 min – Fernsehfassung der ̈ Mittwoch, 23. März 2011, 21.00 Uhr legendären Inszenierung von Thomas Harlans erstem veröffentlichten Drama über das Warschauer Ghetto, SUNRISE (SONNENAUFGANG) – USA 1927 – R: Fried- das 1959 in der Westberliner Kongresshalle uraufge- rich Wilhelm Murnau – B: Carl Mayer, nach der Novelle führt und vom Berliner Ensemble übernommen wurde. »Die Reise nach Tilsit« von Hermann Sudermann – K: ̈ Sonntag, 20. März 2011, 17.30 Uhr (Zu Gast: Michael Charles Rosher, Karl Struss – M: Hugo Riesenfeld – D: Farin) George O’Brien, Janet Gaynor, Margaret Livingston, Bodil Rosing, J. Farrell McDonald, Ralph Sipperly – Menschen aus ihrer bisherigen Wirklichkeit machen, 94 min – Friedrich Wilhelm Murnaus erste amerika - denn ihre alte Wirklichkeit kennen wir nicht. Wir kennen nische Filmproduktion ist ein Meisterwerk der Film - nur die Arbeit, die die Menschen machen, die auf den geschichte. Die Geschichte eines Fischers, der einer Mund zeigen und sagen: Früher wollten wir damit nur verführerischen Frau aus der Stadt verfällt und darauf- essen, jetzt essen wir damit.« (Thomas Harlan) hin seine Ehefrau umzubringen versucht, verliert bei ̈ Dienstag, 29. März 2011, 18.30 Uhr Murnau ihre fatale Düsternis: Die Wiederannäherung des Paares auf dem Jahrmarkt von Coney Island wird JUD SÜSS – FILM OHNE GEWISSEN – Deutschland zu einer Ode an die Lebensfreude. Mit seiner entfessel- 2010 – R: Oskar Roehler – B: Klaus Richter – K: Carl-F. n h

ten Kamera, der Lichtsetzung und seinem Set-Design Koschnik – M: Martin Todsharow – D: Tobias Moretti, o S beeindruckte Murnau Regiekollegen wie John Ford und Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Armin Rohde, Justus d n

Frank Borzage. SUNRISE war der erste amerikanische von Dohnányi, Paula Kalenberg, Robert Stadlober – u

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Film mit synchronisiertem Lichtton, der allerdings keine 120 min – Oskar Roehlers Versuch, die Ereignisse um e t a

Dialoge, sondern nur einen Musik-Soundtrack enthielt. die Entstehung des Spielfilms JUD SÜSS zu fiktionali- V

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̈ Freitag, 25. März 2011, 18.30 Uhr sieren und als Farce zu überhöhen. Er erzählt die Ge- n a l schichte von , der die Titelrolle über- r a DIE REISE NACH TILSIT – Deutschland 1939 – R+B: nehmen musste. Um die Hauptfigur besser zu motivie- H Veit Harlan, nach der Novelle von Hermann Sudermann ren, erfindet der Film einen jüdischen Hintergrund für 19 – K: Bruno Mondi – M: Hans-Otto Borgmann – D: Kris- Marians Ehefrau und fügt eine Haushälterin hinzu, die tina Söderbaum, Frits van Dongen, Alfred Karen, Anna Marians Frau später bei Goebbels persönlich denun- Dammann, Heinz Müller, Wolfgang Kieling – 93 min – ziert. Da der Film einerseits historische Figuren akri- Vielleicht Veit Harlans bester Film: Das Drama um den bisch genau nachstellt, sich andererseits aber nicht Fischer, der einer Frau aus der Stadt verfällt und seine traut, melodramatische Überhöhungen konsequent und Ehefrau umzubringen versucht, inszeniert er als düste- rücksichtlos auszuspielen, sitzt er zwischen allen Stüh- res Melodram, in dem es wenig Hoffnung auf eine bes- len. Die Kritik schmähte ihn als »Film ohne Haltung«, sere Zukunft gibt. Was bei Friedrich Wilhelm Murnau der nicht einmal als Provokation für einen »Skandal« ein lebensbejahender Film wird, ist bei Harlan ein von tauge. dunklen Vorahnungen geprägtes, pessimistisches ̈ Freitag, 1. April 2011, 18.30 Uhr Drama, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint – als habe die Vorahnung der politischen Entwicklungen JUD SÜSS – EIN FILM ALS VERBRECHEN? – zur Entstehungszeit des Films mit dem drohenden Aus- Deutschland 2001 – R: Horst Königstein – B: Horst bruch des Krieges die Stimmung geprägt. Zur Auffüh- Königstein, Joachim Lang – K: Udo Franz – M: Hans- rung kommt die ungekürzte Originalfassung des Films, Peter Ströer – D: Axel Milberg, Florian Martens, Wolf- der nach dem Krieg wie nahezu alle im Dritten Reich Dietrich Berg, Esther Hausmann, Torben Liebrecht, hergestellten Filme Harlans in der Bundesrepublik ge- Johannes Silberschneider – 104 min – Das spannende kürzt und um NS-Symbole bereinigt wurde. »Doku-Drama« untersucht den ersten Prozess 1949 in ̈ Samstag, 26. März 2011, 18.30 Uhr Hamburg, in dem Veit Harlan des »Verbrechens gegen die Menschlichkeit« angeklagt war und schließlich frei- TORRE BELA – Portugal 1975 – R+B: Thomas Harlan gesprochen wurde. Durchsetzt mit Ausschnitten aus – K: Russell Parker – 106 min, OmU – DER FILM JUD SÜSS, Wochenschauausschnitten und Interviews »TORRE BELA« – Deutschland 2007 – R+K: Christoph mit den Zeitzeugen Maria Körber, Margot Hielscher, Hübner – B: Thomas Harlan, Christoph Hübner, und Ralph Giordano zeigt der Film, dass Gabriele Voss – mit Thomas Harlan – 37 min, OmU – der »Fall Harlan« von weitreichender Konsequenz für Ein einzigartiges Dokument: An vorderster Front der den Umgang mit ehemaligen Mitgliedern der gesamten portugiesischen Nelkenrevolution filmte Harlan, wie Reichsfilm-Industrie war. Axel Milberg »hat den schwie- Bauern das Haus ihres Landherrn stürmen und im Kol- rigeren Weg gewählt, Harlan nicht als Kopie darzustel- lektiv das Land übernehmen. »Wir erfanden einen len, sondern sich die Verwandtschaft im Typus des neuen Filmstil: Wir inszenierten die Wirklichkeit. Wenn Künstlers Schritt für Schritt zu erarbeiten.« (Horst wir jetzt ›Dokumentarfilm‹ sagten, meinten wir: Wir zei- Königstein) gen die Wirklichkeit im Entstehen, eine Wirklichkeit, die ̈ Samstag, 2. April 2011, 18.30 Uhr es vorher nicht gab. Wirklich ist, was die wirklichen