Harlan: Vater Und Sohn N H O S
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Harlan: Vater und Sohn n h o S d n u r e t a V : n a l r a H 4 6 9 1 14 , t i e V r e t a V n i e s d n u n a l r a H s a m o h T »Die Väter essen saure Trauben, dem Familientribunal. Thomas, das älteste der fünf Kin- den Söhnen fallen die Zähne aus…« der von Veit Harlan, versucht die Flucht zu Freunden. nach Jeremia Kap. 31 Sie misslingt. Wie ein verlorener Sohn lässt er sich mit Im November 1947 schreibt Veit Harlan seinem 18-jäh- seinem Freund Michel Tournier vom Vater zu einer rigen Sohn Thomas: »Gestern habe ich vor meinem Theatertournee einladen. Sie werden mitgenommen zu Ausschuss die Vorführung meines Films JUD SÜSS er- Feiern bei amerikanischen Militärbehörden und Ruhr- lebt. Ich hatte bereits vergessen, wie wenig antisemi- baronen, und führen ein Luxusleben inmitten der Trüm- tisch er ist. Nun haben es meine hohen Richter gese- mer. Der père terrible erdrückt seinen Sohn mit über- hen. Das Ganze ist albern und unwürdig. Wie lange bordender Zuwendung und Oberschichtsgehabe, und wird es noch dauern? Ich schreibe an einem Film um dieser geht ihm auf den Leim. Bei einem solchen Vater Sokrates, ich glaube, er gelingt mir gut. Ich habe mich mündig werden, heißt missraten: Thomas bricht sein in die Welt Platos und Xenophons und in die Welt Plu- Studium ab, verschwindet mit Freunden nach Frank- tarchs und des Thukydides versenkt und übertrage reich und taucht Jahre später wieder unversehens bei diese Welt des untergehenden Griechenlands in unsere seinem Vater auf. Er präsentiert ihm jetzt stolz ein eige- Trümmer.« Der Sohn aber möchte mit dem Vater über nes Werk. das für ihn Unausweichliche reden, über seinen Film Der jetzt 23-jährige hatte mit Klaus Kinski ein Drehbuch JUD SÜSS, über die Trümmer, die der Film verursacht verfasst über Israel, den jüdischen Genozid und den An- hat, über das Ganze, das Trümmerland. Der Vater be- tikommunismus der Nachkriegszeit mit dem Titel »Tot- gibt sich nicht in das Gefecht mit dem Sohn, er lässt macher / Vom Warschauer Ghetto bis McGee bis Malan ihn abblitzen und beklagt die Gottlosigkeit der Jugend: bis zu den Rosenbergs und immer weiter…«. Es orien- »Über Existenzphilosophie wollen wir nicht mehr schrei- tiert sich am Stil des russischen Revolutionsfilms von ben… Ich habe heute wenig Zeit. Wie eine widerliche Dziga Vertov und Sergej Eisenstein, mit Reminiszenzen Störung zieht sich meine Entnazifizierung durch meine an den deutschen Expressionismus und den italieni- Gedanken und mein Streben.« Der Vater entzieht sich schen Neorealismus. Thomas kompiliert Schlagzeilen zum Koreakrieg, zu Hiroshima, zur Lynchjustiz an mas droht mit Verleumdungsklagen, der Vater beklagt Schwarzen mit Szenen vom Kriegsende, die er in Berlin die Verkommenheit seines Sohnes. Thomas widersetzt erlebt hat: »Grunewald, Lassenstraße: Russische Pan- sich der Vaterordnung in seinem Privatleben, beschäf- zer und Mannschaften rollen durch die leeren Straßen tigt sich in der Zeit des Kalten Krieges mit Kommunis- nach der Einnahme von Berlin an der Kamera vorbei. mus und Kriegsverbrechern. Hinter ihnen Gulaschkanonen und Verpflegungswagen In dieser Zeit entsteht ein Traumgebilde, ein Theater- – dazwischen russische Infanterie. Die Gulaschkanonen stück von Thomas Harlan über den Aufstand jüdischer halten und schütten riesige Berge von Reis und Fleisch Jugendlicher gegen verkrustete Strukturen, »eine er - auf die Straße. Von allen Seiten kommen die verängs- schüt ternde Chronik des Warschauer Ghettos« (Hans n h tigten Leute langsam und zögernd aus den Kellern und Ha be). Während seiner Israelreise hatte er im Kibbutz o S essen von dem Reis… Sich in den Reishaufen boh- der Ghettokämpfer polnische Rebellen kennengelernt, d n rende Hände… Ausgehungertes Kindergesicht.« Im die ihn zu seinem Stück »Ich selbst und kein Engel« an- u r Vorspann steht: »Mit den Geprügelten, Gehetzten, Ge- regten. Mit Stolz will er dem Vater seine Sicht der Welt e t a jagten, mit den Verfolgten der ganzen Welt, mit den Ge- zeigen und holt ihn während der Proben zu Hilfe. Er V : mordeten und ihren Mördern, Gestern, Heute, Morgen.« setzt ihn ins Dunkel, damit ihn niemand sieht, denn er n a l Es ist ein wunderbares Pamphlet gegen Krieg und Mas- und der polnische Regisseur Konrad Swinarski arbeiten r a senmord, gegen Unterdrückung auf der ganzen Welt. auch mit jüdischen Schauspielern. Dafür erntet Thomas H Es vereint Archivmaterial mit Massenszenen auf allen Empörung. Sein Vater behauptet später, dass ohne sei - 15 Kontinenten – eine Verfilmung ist unbezahlbar. Thomas ne Hilfe »das Stück in der Kongresshalle überhaupt sammelt Fotos von Arbeiterdemonstrationen, Ruinen nicht herausgekommen« wäre und hält ihm vor: »Du des Warschauer Ghettos, Porträts – Bilder, die sich in hast es ja hundertmal gesagt, Alle haben’s gesagt.« seinen späteren Filmen widerspiegeln. Der Sohn leugnet coram publico die Mitarbeit des al- Und was schreibt der Vater dazu? »Dass Du als mein ternden Regisseurs, schreibt ihm, er wolle »seinen ers- Sohn einen Film für die Juden machen willst, ist eine ten Erfolg nicht auf dem Grabhügel seines Vaters fei- ganz ausgezeichnete Idee… Es gab einen Film DIE TO- ern.« Er erlangt rhetorische Souveränität um den Preis DESMÜHLEN – da waren die Leichenberge authentisch. des sich ver härtenden Familiendesasters. Das Problem Das wollte schon niemand sehen… Der Gesang über mag sein, dass der heißgeliebte Vater am Sohn kein Israel müsste zu einem Gesang werden, wenn es ein Wohlgefallen finden kann. Der eiserne Sohn, jetzt um Kunstwerk werden soll – nicht zu einem grellen, wider- die Dreißig, tritt aus der Familie aus, katapultiert sich wärtigen Hassgeschrei… Der Film, den Du da machen an deren Rand. Erst 1964, am Sterbebett des Vaters, willst, ist das, was ich einen ›Nazi-Film‹ nenne. Er ist wird es zu einer Art Versöhnung kommen: Der Vater ver- schlechter Goebbels – ungekonnte Propaganda.« Der gibt ihm. Vater beschimpft seinen Sohn als »Nestbeschmutzer«, Thomas Harlan verlässt den Familienort, kehrt dem der damals gängigen Bezeichnung für diejenigen, die Vaterland den Rücken. Er geht nach Polen und liefert darauf bestanden, dass die Mörder noch unter ihnen Material über Tausend Kriegsverbrecher und Gewinnler, waren. Der Brief endet mit dem Satz: »Komm bald nach Nutznießer mit gewöhnlichem Gesicht an deutsche Ge- Starnberg und lerne richtig arbeiten.« richte und Staatsanwälte. Mit Maulwurfsarbeit enttarnt Der Sohn folgt, kommt zurück und liefert sich der er die Kanäle der Kumpane und begibt sich auf die Spu- Eiseskälte und der Vaterordnung aus. So ist auch der ren der Rebellen. »Wir hatten nicht beschlossen, einen Versuch zu verstehen, mit dem schrecklichen Vater an Film zu machen. Wir hatten beschlossen, Material in einem Film über den Antifaschisten Richard Sorge und anderen Landgemeinden vorzuführen, aus denen die Deutschlands Kriegstreiberei zu arbeiten. Thomas anderen Landgemeinden lernen konnten, wie die bei- macht sich die Verbindungen des Vaters zunutze und spielhafte Landgemeinde von Torre Bela mit 19.000 kann mit Wolfgang Staudte zusammenarbeiten, der Hektar Grundbesitz umging.« Und doch entsteht eines sich als Darsteller in JUD SÜSS in dem Prozess gegen der wichtigsten Dokumente über die portugiesische Veit Harlan von diesem distanziert hatte. Das konserva- Nelkenrevolution: TORRE BELA, ein Jubelgesang und tive Umfeld in den Bavaria-Studios, mit dem sich gleichzeitig eine schonungslose Mahnung über die Staudte arrangiert und in dem er sich nach dem Willen Tücken jeder Rebellion, jedes Aufstands. Mit diesem seines Vater beweisen soll, widerstrebt ihm. Er sieht Film erschließt sich Thomas Harlan und uns einen sich als »Nutznießer« seines Vaters und reagiert mit Raum für die eigene Wahrheit, es ist der Film eines Getobe. Es folgen entsetzliche Familiendramen. Tho- Antiautoritären. Ende der Siebziger, Anfang der Achtziger sind die Mör- der noch unter uns. Thomas Harlan kennt deren Ge- flecht von Innen, er ist darin aufgewachsen, hat die straflosen Mutationen von ihnen in die Unbescholten- heit der Fünfziger Jahre erlebt und darüber geforscht. Er gestaltet eine »Hinrichtung für vier Stimmen« in sei- nem Film WUNDKANAL, den er Giangiacomo Feltrinelli widmet. Es ist die Geschichte eines Massenmörders, besetzt mit einem Massenmörder, der mit einem ande- n h o ren Massenmörder befreundet ist aus dem Stuttgarter S Innenministerium, das den Gefängnisbau von Stamm- d n u heim zu verantworten hat, und der von der Roten r e entführt wird. Mit Eiseskälte und t Armee Fraktion a V Schlauheit begegnet Thomas Harlan dem ihm Ausgelie- : n ferten. Ein halsbrecherisches Unternehmen, in dieser a l r Zeit. Und so wird der Film mit Hilfe der Presse mehr a H oder weniger totgeschwiegen oder abgetan als Kunst- 16 handwerk, als Verwirrung, die ihre »Ursache nicht in dramaturgischen Mängeln hat, sondern einem psy- chischen Zustand entspricht.« Der Film ist Fiktion. Dieses Mal ist es der Sohn, der sei- nen Vater verstößt, und es hat sich die biblische Pro- phezeihung von Jeremia erfüllt: »In jenen Tagen wird man nicht mehr sagen: ‚Die Väter essen saure Trauben, den Söhnen fallen die Zähne aus«, sondern jedermann wird an seiner eigenen Missetat sterben: »Wer saure rechtzubiegen. Veit Harlan wurde als Regisseur dieses Trauben isst, dessen Zähne sollen ausfallen!« Films nach dem Krieg wegen »Verbrechens gegen die Katrin Seybold Menschlichkeit« vor Gericht gestellt. Er berief sich da- rauf, dass Goebbels das Ende des Films nach der Fer- Thomas Harlan ist am 16. Oktober 2010 im Alter von 81 Jah- tigstellung verändert habe: »Der Film bekam durch ren nach langer Krankheit in Schönau am Königssee gestor- diese Veränderung wohl einen hetzerischen Charakter, ben. Die Filmreihe »Harlan: Vater und Sohn« zeigt Filme von den er vorher – trotz des in ihm vertretenen Antisemi- ihm und von seinem Vater, Filme über ihn und über seinen tismus – nicht hatte. Und gewiss habe ich die von Vater sowie zwei Filme anderer Regisseure, die auf denselben Goebbels geänderte Form – die später in den Kinos lief Stoffen basieren, die Veit Harlan als Vorlage dienten. Außer- dem wird in einer Hörspielfassung das letzte Werk von Tho- – überhaupt nicht zu verantworten.« mas Harlan vorgestellt, das Buch »Veit«, das er seiner Frau ̈ Freitag, 11.