Josef Hader Kabarettist Im Gespräch Mit Dr. Wolfgang Habermeyer
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 17.9.2010, 20.15 Uhr Josef Hader Kabarettist im Gespräch mit Dr. Wolfgang Habermeyer Habermeyer: Herzlich willkommen zum heutigen alpha-Forum. Muss ich den Gast vorstellen, der mir gegenübersitzt? Ich glaube nicht, ich nenne seinen Namen aber trotzdem, falls Sie kein Kabarettgänger sind, falls Sie nicht ins Kino gehen, falls Sie selten ins Fernsehen schauen – was aber verwunderlich wäre, denn jetzt zumindest haben Sie es ja eingeschaltet: Unser Gast ist heute Josef Hader, Kabarettist, Autor und Schauspieler. Hader: Grüß Gott. Habermeyer: Wir sind hier im Bildungskanal, Sie sind der Sohn einer Bauernfamilie: Was hat in Ihrem Leben Bildung bedeutet? Ist Bildung für Sie wichtig? Hader: Ja, schon. Ich bekam, soweit ich mich erinnern kann, die erste Bildung, die man jenseits der Grundschule bekommt, eigentlich komplett übers Fernsehen, über den Schwarz-Weiß-Fernseher bei uns zu Hause. Da habe ich die ersten Theaterstücke aus der "Josefstadt" gesehen, die damals noch im Abendprogramm übertragen worden sind. Das meiste habe ich in meiner frühen Kindheit wohl wirklich aus dem Fernseher erfahren. Und ich habe natürlich auch sehr viel von meiner Großmutter erfahren und gelernt, weil die nämlich so ein bisschen die Gescheiteste in der Familie war. Sie hat mir immer ganz viel erzählt. Habermeyer: War sie belesen? Hader: Sie war nicht in einem bürgerlichen Sinne belesen, sodass sie ganz viele Romane oder sonst Bücher gelesen und gekannt hätte. Sie war sehr intelligent und hätte vielleicht studiert – wenn man um die Jahrhundertwende herum als Bauernkind hätte studieren können. So ist sie Bäuerin geworden, hat aber sehr viel gelesen – all das, was man auf dem Land halt so zum Lesen bekommt. Sie hat aber vor allem auch viel erzählt. Von einem bestimmten Zeitpunkt an war das für mich wie Geschichtsunterricht. Sie ist sehr alt geworden und hat dann ab einem bestimmten Alter genauso wie viele andere Leute auch damit angefangen, sehr viel aus ihrer Kindheit zu erzählen. Habermeyer: Und alles vermutlich sehr detailreich. Hader: Ja, sehr detailreich. Ich bin immer ganz fasziniert danebengesessen und habe das alles aufgesogen. Denn sie hat mir wirklich ein ziemlich gutes Bild vom Leben auf dem Land um die Jahrhundertwende vermittelt. Über spätere Zeiten hat sie schon auch erzählt, aber die meisten Sachen erzählte sie doch aus der Phase ihres Lebens, in der sie glücklich gewesen ist. Ab ihrem 30. Lebensjahr war sie dann verheiratet, aber nicht so sehr glücklich. Aus ihrer glücklichen Phase hat sie ganz viel erzählt, aber eben weniger von der anderen, späteren Phase, die nicht nur privat, sondern auch politisch nicht so toll gewesen ist. Denn meine Großmutter war eine überzeugte Katholikin und mochte das Dritte Reich überhaupt nicht. Sie hat die beiden großen Kriege im 20. Jahrhundert immer nur "den Weltkrieg" genannt; damit meinte sie den Ersten Weltkrieg, in dem sie drei Brüder verloren hat, und "dem Hitler sei' Krieg". Habermeyer: War es denn, als Sie mit zehn Jahren nach Melk ins Internat gekommen sind, noch möglich, sich über das Fernsehen zu bilden? Ich denke mir, in Melk wird schlicht und ergreifend Fernsehverbot geherrscht haben. Hader: Ja, von da an hat das völlig gewechselt. Das war nur ganz am Anfang meines Lebens so gewesen: Da war das Fernsehen wirklich so etwas wie ein Fenster zur Welt. Ich kann mich jetzt nicht mehr genau an irgendwelche Sendungen erinnern, aber man schaut sich halt als Kind alles Mögliche an – auch jenseits des Kinderfernsehens, denn so genau ist es bei uns zu Hause nicht gegangen. In Melk war das dann eine völlig andere Umgebung: Da gab es das Lesezimmer mit einer riesigen Bücherei, da gab es einen ganz anderen Grundton. Das war einerseits das Internat, in dem man mit vielen Gleichaltrigen zusammen war. Die Gleichaltrigen waren für mich eher unangenehm, denn ich war so ein typisches Großelternkind. Habermeyer: Sie waren eher auf Erwachsene fixiert und nicht so sehr auf Kinder. Hader: Genau. Für mich hat das in den ersten Jahren in Melk bedeutet, dass ich mich sehr zurückgezogen habe, dass ich im Lesezimmer gewesen bin oder im Klavierzimmer. Das heißt, in dieser Zeit habe ich sehr, sehr viel gelesen. Später in meinem Leben habe ich viel weniger gelesen. Das Internat im Kloster Stift Melk war damals eine sehr liberale und aufklärerische Einrichtung. Heute, im 21. Jahrhundert und angesichts des Zustands der katholischen Kirche, müsste man fast sagen, dass das eine Insel in der katholischen Kirche war. Damals hat es aber mehr solche Inseln gegeben, die sind erst in unseren Tagen weniger geworden. Weil bei "Klosterschule" ja die meisten Menschen nur die Nase rümpfen und sich immer irgendwas Schreckliches darunter vorstellen, muss ich selbst sagen, dass das eine sehr gute Schule gewesen ist, in der ich meine Werte eigentlich nicht gegen die Lehrer, sondern sehr viel mit den Lehrern entwickelt habe. Habermeyer: Warum sind Sie denn überhaupt ins Internat gekommen? Weil Sie so gut waren in der Schule, dass man gesagt hat, "der Bub muss Pfarrer werden oder Professor oder sonst was in der Richtung"? Hader: Nein, nein, ich war nicht so gut in der Schule, ich war eher so mittelprächtig. Aber es war klar, dass ich nicht für die Handarbeit tauge: Wenn es z. B. beim Dreschen gestaubt hat, dann habe ich das überhaupt nicht gemocht. Irgendwie habe ich damals schon viel gelesen und mir beim Pfarrer Karl- May-Bände ausgeborgt. Die Pfarrbücherei war vorwiegend eine Karl-May- Bibliothek. Bereits zwei Jahre, nachdem ich lesen gelernt habe, habe ich alle Karl-May-Bände verschlungen. Aus dem Grund hat man bei mir zu Hause gesagt: "Der soll was anderes machen!" Sie wollten aber eigentlich, dass ich auf die Hauptschule in der Nähe gehe. Es gab dann aber bei uns in der Pfarre so einen Werbesonntag des Internats, also des Bischöflichen Internats Melk. Aus diesem Grund ist da auch zum ersten Mal in der Kirche ein Schlagzeug gestanden, weil man eine rhythmische Jazzmesse gemacht hat. Anschließend gab es einen bunten Nachmittag mit einer Band und mit Sketchen und mit Theater usw. Habermeyer: Das muss so 1971 oder 1972 gewesen sein. Hader: Genau. Die haben mich da sozusagen über die Kultur "eingekauft". Weil ich nämlich von da an gesagt habe: "Genau da will ich hin!" Die Folgen davon habe ich mir damals natürlich nicht wirklich bewusst gemacht. Habermeyer: Ein Rezensent, ein Kritiker Ihrer Kabaretttätigkeit hat einmal geschrieben, alle Kunst käme aus der nicht vergessenen Not der Kindheit. Hader: (lacht) Habermeyer: Ich glaube, dass das Herr Thieringer von der "Süddeutschen Zeitung" nicht selbst erfunden, sondern von Adorno geklaut hat. Trotzdem, könnten Sie dem zustimmen? "Alle Kunst ist aus der nicht vergessenen Not der Kindheit geboren bzw. nimmt dort ihren Anfang." Hader: Alle Kunst? Das würde ich nicht sagen, aber grundsätzlich ist Kunst schon immer eine Möglichkeit, mit der Welt umgehen, sich die Welt aneignen zu können. Diejenigen Menschen, die sich die Welt ganz problemlos praktisch aneignen können, werden nicht so schnell auf die Idee kommen, Kunst zu machen. Die Menschen aber, die Schwierigkeiten haben, sich die Welt praktisch anzueignen, versuchen es dann eben eher mit Kunst oder neigen eher dazu, es mit Kunst zu probieren. Insofern stimmt das wohl. Aber ich würde die Kindheit dabei nicht isoliert betrachten, sondern ich würde sagen, dass sich die Not, die man ein ganzes Leben lang hat, mit Kunst manchmal ganz gut bearbeiten lässt. Und andererseits ist es so, dass praktische Erfolge, z. B. Erfolge im Sport jederzeit jede Kunst verhindern können. Habermeyer: Wenn ich das richtig in Erinnerung habe bzw. wenn ich das richtig interpretiere, hat die Kindheit bei Adorno mit einer Ahnung von Paradies zu tun und dass sich die Kunst später an dieser Ahnung abarbeitet. Hat für Sie Ihre künstlerische Betätigung, also das Filmemachen, das Kabarett, das Schreiben auch damit zu tun, sich eine Welt schaffen zu wollen, wie Sie sie eigentlich gerne hätten? Hader: Ich muss da jetzt noch einmal nachfragen: Das würde bedeuten, die Kindheit ist das verlorene Paradies, und weil man eben dieses Paradies verloren hat, betreibt man Kunst. Denn die Not der Kindheit würde ja nicht das Paradies bedeuten. Habermeyer: Die Not der Kindheit entsteht – gemäß dieser Überlegung – durch die Zerstörung dieses Paradieses. Hader: Ah, jetzt verstehe ich, was Sie meinen. Ja, das kann schon sein. Meine Kindheit war zwar nicht direkt paradiesisch, aber ich war doch sehr geborgen. Das hatte einfach mit diesem geschlossenen Weltbild zu tun – und das hat man in der Kindheit, ob man nun religiös erzogen wird oder nicht. Als Kind hat man immer ein Weltbild, dass in einem sehr weitgehenden Sinn die Welt geordnet ist: Wenn zwei, drei Leute wie die Eltern, die Großeltern und vielleicht noch ein paar andere Bezugspersonen sagen, "ja, das passt!", dann ist für einen selbst als Kind die Welt einfach in Ordnung. Aber irgendwann zerreißt das, irgendwann wird diese Vorstellung zerstört, denn man kommt darauf, dass das nur ein Schmäh ist, dass das gar nicht stimmt, dass die Erwachsenen immer alles im Griff haben, dass sie nur so tun, als hätten sie immer alles im Griff. Das heißt, irgendwann merkt man: Nix is' g'wiss, alles ist unsicher! Und dann braucht man etwas, um damit umgehen zu können. Die einen machen das mithilfe der Religion, die anderen, d. h. so Menschen wie ich, machen das eher so, dass sie sagen: "Man weiß nichts gewiss, man weiß nur, dass man lebt und dass man das Beste daraus machen muss." Gut, das kommt jetzt auf den einzelnen Künstler an, aber das Paradies der Kindheit wiedererschaffen, das kann Kunst normalerweise nicht. Sie kann einen stattdessen lediglich retten vor der völligen Sinnlosigkeit. Ich denke da gerade an Thomas Bernhard, der das so definiert hat: Man ist völlig auf die Sinnlosigkeit geworfen, man hat nichts, woran man sich halten kann, weswegen Kunst für Thomas Bernhard quasi lebensrettend war, um überhaupt weiterleben zu können.