Macht Und Moral : Die "Endlösung Der Judenfrage" in Frankreich, 1940-1944
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Macht und Moral Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Wolfgang Seibel, geb. 1953, ist Professor für Politik- und Verwaltungswissen- schaft an der Universität Konstanz und Adjunct Professor an der Hertie School of Governance, Berlin. Er erforscht seit vielen Jahren die gegen die Juden gerichteten Verfolgungsapparate und die Auswirkung von Machtstrukturen auf die Verfolgungs- und Vernichtungskapazität des nationalsozialistischen Regimes. Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Wolfgang Seibel Macht und Moral Die »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich, 1940–1944 Konstanz University Press Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Gefördert mit Mitteln des im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder eingerichteten Exzellenzclusters der Universität Konstanz Kulturelle Grundlagen von Integration. Umschlagabbildung: Zu sehen sind die Spitzen der deutschen und französischen Polizeiführung bei einem Treff en in Vichy im April 1943, von links nach rechts Herbert Hagen, persönlicher Referent des »Höheren SS- und Polizeiführers« Oberg, René Bousquet, Generalsekretär der französischen Polizei, Carl Albrecht Oberg und Helmut Knochen, »Befehlshaber der Sicherheitspolizei und des SD«. In: Serge Klarsfeld, Le Calendrier de la persécution des Juifs de France 1940–1944, Paris: Fayard 2001, S. 1484. Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio grafi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlorfrei gebleichtem und alterungsbeständigem Papier. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betriff t auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2010 Wilhelm Fink Verlag, München (Konstanz University Press ist ein Imprint der Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) www.fi nk.de | www.k-up.de Einbandgestaltung: Eddy Decembrino, Konstanz Printed in Germany. Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-86253-003-8 Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Inhalt Vorwort 9 Einleitung Macht, Machtteilung und Massenverbrechen 15 Teil I Machtteilende Besatzungsverwaltung und Judenverfolgung Kapitel 1 Besatzungsherrschaft und Judenverfolgung in Westeuropa, 1940–1944 35 Kapitel 2 Die deutsche Besatzungsverwaltung in Frankreich nach dem Waff enstillstand vom 22. Juni 1940 47 Kapitel 3 Der französische Regierungs- und Verwaltungsapparat und die »Kollaboration« 53 Kapitel 4 Verfolgungsapparate 59 Teil II Die SS als politischer Akteur Kapitel 5 Die SS im Machtkampf mit der Wehrmachtsverwaltung 1941 / 1942 73 Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz 6 Inhalt Kapitel 6 Sektorale Machtbalance und Staatskollaboration bei der Judenverfolgung: Das Oberg-Bousquet Abkommen vom August 1942 101 Teil III Erosion der Macht und Macht der Moral Kapitel 7 Der Protest der christlichen Kirchen und die Suspendierung des Eichmann’schen Deportationsplans 173 Kapitel 8 Ein nochmaliger Anlauf: Das Projekt eines Denaturalisierungsgesetzes und die Denaturalisierungspolitik Vichys bis 1942 207 Kapitel 9 Die Haltung Italiens und ihre Rückwirkungen auf die Verfolgungsmaßnahmen gegen die Juden in Frankreich 215 Teil IV Strategische Besatzungspolitik und »Endlösung der Judenfrage« Kapitel 10 Sicherung der Kollaboration auf Kosten der »Endlösung« 259 Kapitel 11 Das Scheitern des Denaturalisierungsgesetzes 269 Kapitel 12 ›Wilde‹ Judenverfolgung 321 Schluss Moralisches Urteil und Transmitter der Macht 329 Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Inhalt 7 Anhang Abbildungsnachweise 351 Abkürzungsverzeichnis 352 Verzeichnis der Quellen 353 Literaturverzeichnis 367 Kurzbiografi en der Schlüsselakteure 378 Personenregister 382 Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz Vorwort Die Forschung befasst sich mit Völkermord vornehmlich aus der normativen Pers- pektive der Kausalanalyse zum Zweck des Lernens. Wir hoff en, aus dem Verstehen der Ursachen Schlüsse für die Verhinderung des Völkermords ziehen zu können. So selbstverständlich diese Perspektive zu sein scheint, so wenig deckt sie das tatsäch- liche Spektrum der Annäherungen an das Phänomen ab. Völkermorde sind kollek- tive Traumata, ihre Wirkungen sind nicht erschöpft, wenn das Morden selbst vor- über ist. Wie wir uns im Alltag und in der Forschung dem Phänomen des Völker- mords nähern, wird auch durch die Bedürfnisse der post-trauma tischen Identitäts- stiftung gesteuert, in den Nachfolgegenerationen der Opfer ebenso wie in denen der Täter.1 Kausalanalyse und Identitätsstiftung können miteinander in Konfl ikt stehen. Im Fall der regelrechten Leugnung ist dies off ensichtlich, wie das Beispiel der Tür- kei und der Umgang mit dem Völkermord an den Armeniern vor Augen führt. Aber als latente Spannung durchzieht dieser Konfl ikt die Völkermordforschung ganz allgemein. Sie entspringt nicht nur der Versuchung, die Betrachtung der Ver- gangenheit für Zwecke der Gegenwart zu instrumentalisieren. Sie hat vermutlich auch etwas zu tun mit einer grundlegenden Unsicherheit des Betrachters darüber, wie er oder sie selbst sich verhalten hätte in einer Situation, in der man auf Seiten der Täter, der Opfer oder auf der Seite vordergründig unbeteiligter Dritter, der ›Bystander‹, hätte stehen können. Vermutlich aus diesem Grund hat namentlich in der jüngeren Forschung zum Völkermord an den Juden während des Zweiten Weltkriegs die Identitätsfrage eine prominente Rolle gespielt. Täter oder Mittäter, die aus der Mitte der Gesellschaft stammten oder aus dem eigenen, vertrauten Milieu, etwa dem des Bildungsbürger- tums, sind Figuren, die unser Identitätsbedürfnis sowohl irritieren als auch mobili- sieren. Der Holocaust als arbeitsteiliges Verbrechen konfrontiert uns mit einem breiten Spektrum an Gruppen und Individuen aus der Mitte der Gesellschaft, die zu Mittätern wurden, weil sich die Maßstäbe für die Unterscheidung von Gut und Böse durch Krieg und Diktatur dramatisch verschoben hatten. Die Frage, ob unter ähnlichen Umständen das eigene Urteilsvermögen für angemessene Unterschei- dungsleistungen ausreichen würde, treibt das Interesse an der Figur des Mittäters ebenso an wie das Bedürfnis nach identitätsstiftender Abgrenzung. Dieses Abgren- zungsbedürfnis wiederum kann der Kausalanalyse im Wege stehen. 1 Tom Segev, Die siebte Million. Der Holocaust und Israels Politik der Erinnerung, Berlin: Rowohlt 1995; Bernhard Giesen/Christoph Schneider (Hg.), Tätertrauma. Nationale Erinnerungen im öf- fentlichen Diskurs, Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft 2004. Urheberrechtlich geschütztes Material. © 2010 Konstanz University Press, Konstanz 10 Vorwort Denn die Figur des Mittäters, des Komplizen, ist wegen seiner Ambivalenz von Interesse, die klare Abgrenzungen eigentlich nicht zulässt. Wenn Menschen auf Grund äußerer Umstände Verbrechen verüben, die sie unter ›normalen‹ Umständen nicht begangen hätten, ist zum einen von besonderem Interesse, was genau die Umstände ausgemacht hat und wie diese die verbrecherischen Handlungsimpulse ausgelöst haben. Insofern geht es um die Entdeckung kausaler Mechanismen, nicht um die bloße Kategorisierung von Akteuren. Zum anderen aber bringt die Ambiva- lenz der Figur des Mittäters es mit sich, dass er auf diese Rolle nicht festgelegt ist. Identitätssuchende Abgrenzung kann den Blick für Rollenwechsel verstellen und damit für eine andere, bedeutsame Dimension der Kausalanalyse, nämlich die Frage, wie sich das Verhängnis des Verbrechens umkehren oder wenigstens mildern lässt. Nicht nur die Mittäter sind ambivalente Figuren, in vielen Fällen sind es auch diejenigen, die sich dem Verbrechen entgegenstellen. Ihre Motive müssen ebenso wenig edelmütig sein wie die Motive der Mittäter selbst verbrecherisch sein müssen. Dieses Buch befasst sich in kausalanalytischer Absicht mit Umständen, die eine klare Abgrenzung von Tätern, Mittätern und Widerstehenden nicht erlauben. Die Umstände sind die eines machtteilenden Regimes, der deutschen Besatzungsherr- schaft in Frankreich 1940–1944 und einer kollaborierenden französischen Regie- rung mit Sitz in Vichy. Die Kausalanalyse widmet sich der Frage, warum ein und dieselben Akteure die Verfolgung der Juden durch Deportation, die in Massen- mord mündete, phasenweise vorangetrieben und wieder abgebremst haben – warum die »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich zwar mit aller Konsequenz geplant und organisiert wurde, dann jedoch scheiterte. 75.000 Juden wurden zwi- schen März 1942 und August 1944 aus Frankreich nach Auschwitz deportiert, wo fast alle in den Gaskammern ermordet wurden. Etwa 5000 gingen in den Internie- rungslagern zugrunde, wurden als Geiseln erschossen oder im Widerstandskampf getötet. Doch rund 75 Prozent der rund 320.000 Juden, die im Herbst 1940 regis- triert worden waren, überlebten die deutsche Besatzungsherrschaft. Die hier vorgetragene Th ese ist, dass die Mehrheit