Kultur

Erzählerin Bahr (in Manhattan) Wie eine betrunkene Freundin

Die modernen Rucksacktouristen – jene, die Iris Bahr beschreibt – sind jung. Die wenigsten haben Hermann Hesse oder Jack Kerouac gelesen. Die Verschieden- heit der Kulturen ist ihnen ziemlich einer- lei, sie sehen in Asien einen riesigen Vergnügungspark, und statt des Pfads der Erleuchtung folgen sie der Route der Ba- nana-Pancakes. „Nennen wir es doch beim Namen“, sagt Iris Bahr, „sie suchen Sex- abenteuer.“ Manche sind dabei mehr, andere weni- ger erfolgreich, je nachdem, an welchem Platz der Backpacker-Hierarchie sie ste- hen. Auf dem letzten rangieren Trottel, Wanderer und Nichtkiffer, ganz oben die Endlos-Traveller mit Dreadlocks und Dro- genproblemen, „in der Regel Engländer oder Italiener“. An Platz 2 stehen die langbeinigen

SUZANNE DECHILLO / TIMES / NEW YORK SUZANNE DECHILLO Mädchen mit Idealmaßen und Idealbräune aus England und Australien, die auch der Hauptgrund dafür sind, warum so viele AUTOREN gutaussehende israelische Männer – Platz 3 – in Asien unterwegs sind. Es folgen israelische Mädchen mit Sex statt Erleuchtung dickem Hintern, die irgendwann die guten Jungs abkriegen, weil sie phantasievoller Die New Yorker Kult-Autorin Iris Bahr ist der weibliche Borat: im Bett sind als die faden Schönheiten. Da gelten die gleichen Regeln wie zu Hause: witzig, penetrant und absolut schamlos. Gegen die Heldinnen unserer Zeit, die kör- perlich Perfekten, kann sich ein normales in Spätsommer-Freitag. Durch die Der Running Gag: Es klappt einfach Mädchen nur durchsetzen, wenn es lustiger Straßen von Soho in Manhattan stak- nicht, jedenfalls nicht richtig, obwohl es an ist als die anderen, härter, schneller, be- Esen unwirklich schöne Wesen: Mo- Chancen nicht mangelt. Denn bekanntlich gabter, drastischer – eben besser. dels auf Giraffenbeinen, die zur Fashion ist ganz Asien voll von paarungswilligen Iris Bahr hat sich, so berichtet sie in Week angereist sind. jungen Rucksackreisenden. „Moomlatz“, mit diversen Exemplaren der Zwischen ihnen taucht Iris Bahr auf, Ursprünglich entstand die Backpacker- Kategorie 1 eingelassen. Und einmal tra- klein, dunkel, drahtig. Sie schlägt den Weg Bewegung Ende der sechziger Jahre. Un- gisch verliebt, in Johnny, einen Engländer. zu einem bestimmten Café ein. Bewegt ternehmungslustige Hippies reisten damals Leider ist er süchtig nach Sex mit asia- sich, als würde sie fliehen. Will doch lieber nach Asien, um fremde Kulturen und de- tischen Prostituierten. Schweren Herzens in ein anderes Lokal. Spricht Maschinen- ren interessante Drogen kennenzuler- lässt die Erzählerin ihn in einem thailän- gewehr-Stakkato. Setzt sich. Zappelt. Be- nen. Immer noch hocken einige Exempla- dischen Opiumdorf zurück. stellt. Bestellt wieder um. re aus dieser Zeit an den Stränden von Sie reist von Thailand nach Vietnam, Erster Eindruck: Ach, ist die niedlich. Goa oder Kho Phangan, braungebrannte, von Vietnam nach Nepal, dann nach In- Die Giraffenbeine jedenfalls wirken plötz- zahnlose Kiffer, die irgendeinen Schund dien. Ihre Unschuld wird sie einfach nicht lich schwerfällig wie Säulen. verkaufen, um den nächsten Joint zu los. Aber dank aller möglichen Parasiten Iris Bahr hat ein Buch geschrieben. Es ist finanzieren. erreicht sie endlich ihr Wunschgewicht. ihr erstes, und wie viele erste Bücher ist es Man habe, schrieb eine eine Coming-of-Age-Geschichte, ihre eige- Kritikerin, beim Lesen die- ne natürlich. Es heißt „Moomlatz“, was ses Buchs das Gefühl, einer auf Hebräisch so viel bedeutet wie „emp- betrunkenen Freundin zu- fohlen“*. Es ist ordinär. Und wahnsinnig zuhören, die am nächsten komisch. „Die folgenden wahren Auf- Morgen bereut, dass sie so zeichnungen schildern meine Suche nach viele peinliche Details er- Sex in Asien.“ So beginnt die Erzählung, zählt hat. und man ahnt: Das wird kein typischer Das stimmt genau. Aller- Reisebericht. dings bereut Iris Bahr gar Der rote Faden: Iris, die Ich-Erzählerin, nichts. Trotz der vielen jüdisch, nicht orthodox, will ihre Unschuld Handjobs und zuckenden verlieren und reist zu diesem Zweck quer Penisse wirkt „Moomlatz“ durch Asien. in seinen expliziten Be- schreibungen nicht porno- grafisch, sondern eher über- * Iris Bahr: „Moomlatz“. Aus dem Amerikanischen Eng- lisch von Andrea O’Brien. Frederking & Thaler Verlag, / CORBIS POMERANTZ JAMES dreht, fast gehetzt. „So ist München; 240 Seiten; 14,95 Euro. Touristen in Thailand: Riesiger Vergnügungspark jüdischer Humor“, sagt die

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Autorin. „Er pendelt immer zwischen Iro- Deutschland aussieben, die nichts lieber nie, Neurose und Selbsthass.“ wollen, als ihr die Unschuld zu nehmen. Zunächst hatte Bahr gar kein Buch aus Im Kern handelt das Buch von der Su- diesen Erlebnissen und Beobachtungen che nach Identität, dem klassischen jüdi- machen wollen. Doch als sie ihrer Agentin schen Thema. Und doch unterscheidet sich zeigte, was sie da notiert hatte, erkannte die Erzählerin darin in Wirklichkeit nicht die sofort das Potential und verkaufte das von Deutschen, Franzosen, Engländern Manuskript innerhalb weniger Wochen an ihrer Generation, die aus verwechselbaren einen der größten amerikanischen Verlage, Apple-Ikea-Adidas-Welten kommen. Als Bloomsbury. einer der Ersten beschrieb Alex Garland in Darüber lachen kann anscheinend auch „The Beach“ die moderne Traveller-Phi- der Rest der Welt: „Moomlatz“ wurde losophie. Der Roman wurde in Hollywood auch ins Italienische und Portugiesische mit Leonardo DiCaprio zum Exotik-Thril- übersetzt, hat sich allein in Deutschland in ler hochgekitscht. den ersten Wochen nach Erscheinen über Ende November wird in den deutschen zehntausendmal verkauft. Gerade war Iris Kinos der unlängst mit dem First Steps Bahr, unterstützt von der Moderatorin Award ausgezeichnete Film „Hotel Very Nora Tschirner, in Deutschland auf erfolg- Welcome“ anlaufen, in dem die junge Re- reicher Lesereise. gisseurin Sonja Heiss die Erlebnisse meh- Ihr Lebenslauf liest sich, als hätten sich nach einem Com- puterabsturz zehn verschie- dene Wikipedia-Biografien zu einer einzigen vermischt: geboren in der New Yorker Bronx. Mit 13 Umzug nach . Nach der Schule Mili- tärdienst. Anschließend drei Monate Asien, die „Moom- latz“-Zeit. Zum Studium der Neuropsychologie wieder nach New York. Als Nächs- tes Schauspielschule. Umzug nach Los Angeles. Rollen in Serien wie „Star Trek Voyager“ und „“ und „“, der Lieblings-Comedy-Show der amerikanischen Intellek- tuellen.

Nebenbei schrieb sie ein TIBBON / AFPGALI Theaterstück mit dem Titel Israelische Soldatinnen: Schneller, härter, drastischer „Dai“ (hebräisch für „ge- nug“), in dem sie alle acht Personen selbst rerer europäischer Backpacker in Asien spielt – Besucher eines Caféhauses in Tel nachgezeichnet hat: eine junge Deutsche, Aviv, die aus ihrem Leben erzählen, bevor die „eine Auszeit“ von ihrem Freund sie von einem Attentäter in die Luft ge- braucht und dieses Bedürfnis im Ashram- sprengt werden. Es läuft sehr erfolgreich in Pool einem verständnisvoll nickenden New York. Sie wurde für den Drama Desk Schnauzbart anvertraut, der ganz offen- Award, den renommierten amerikanischen sichtlich nur das eine will. Zwei Engländer Theaterpreis, nominiert. und beste Freunde, die sich nach ein paar Auf YouTube tobt sie sich auf absurd- Wochen so auf die Nerven gehen, dass sie komische Weise als Svetlana, Prostituierte die Freundschaft kündigen. Und ein dauer- aus Kiew, aus, die in Los Angeles als „Fa- kiffender junger Ire, der zu Hause eine Frau shion Correspondent“ auf der Straße ortho- geschwängert hat und seinem indischen doxe Juden mit Fragen nach String-Tangas Reiseführer sein Leid klagt: „Mann, ich war traktiert. Wenn das an Borat erinnert, dann betrunken, kenne sie doch gar nicht, und sie deshalb, weil Borat das Vorbild von Svet- ist obendrein so hässlich, o Mann …“ lana ist und weil der „Borat“-Regisseur Der Film ist so rührend, wie „Moom- auch die Svetlana-Clips gedreht hat. latz“ komisch ist. Und beide zeigen, was Anfang dreißig soll Iris Bahr laut einem „coming of age“ im Zeitalter der Globali- Artikel in der „New York Times“ sein; sie sierung bedeutet. ist darauf bedacht, keinen konkreteren Iris Bahr springt auf, sie muss weiter. Hinweis auf ihr Alter zu geben. Einen Mietvertrag für eine neue Wohnung Die Asienreise, von der „Moomlatz“ in New York abschließen, dann nach Los handelt, habe „irgendwann in den Neunzi- Angeles, ab November wieder New York, gern“ stattgefunden, erzählt sie. Und doch zwischendurch Deutschland, bis dann, auf muss sie noch immer jeden Tag E-Mails von Wiedersehen. Wo? Na ja – irgendwo. irgendwelchen Stalkern aus Brasilien oder Rebecca Casati

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