42 Kultur Nordwestschweiz | Samstag, 20. Juli 2013 Unermüdliches Statement gegen den Stillstand Stimmen-Festival Politische Botschaft, Soul und experimenteller Rock: überzeugen in Lörrach ihre Fans

VON TANJA BANGERTER

Es wäre wohl zu voreingenommen zu behaupten, die britische Band Skunk Anansie definiere sich vor al- lem über Frontfrau Deborah Anne Dyer alias . Und doch ist sie es, die der Band dieses unvergessliche Gesicht gibt. Sie, die ihren sicheren Platz auf der Bühne verlässt und sich in die Menschenmenge mischt. Sie, die in ihrer Haltung zwischen rebellischem Punk, politischer Akti- vistin und glamouröser Souldiva wechselt und sie, die den ekstati- schen Fans nach zwei Stunden atem- loser Performance erlaubt, hinter ihre Fassade zu blicken. Es ist kurz nach zehn auf dem Lörracher Marktplatz, als Skin be- reits zum zweiten Mal die Perspekti- ve wechselt. «Lebt für eure Augen, nicht für eure Handys», sagt sie lä- chelnd zu ihren Fans, die es sich nicht nehmen lassen, ihr Idol in ih- rer Handykamera zu verewigen. «Ihr verpasst alles», sagt sie und bringt zumindest einige der respektvoll vor ihr zurück weichen Besucher da- zu, ihre Handys wegzustecken.

Beschwörende Stimme Verpasst hätten sie eindeutig et- was. Denn die sanften Gesten, mit denen Skin die Zuschauer in die Knie zwingt, verfehlen ihre Wir- kung nicht. Am Boden sitzend, schafft Skin mit ihrer rauen Stim- me, die betörend warm, fast schon beschwörend über die sich hinho- ckende Menge schwebt, eine beson- dere Atmosphäre. «Lebt für eure Augen, nicht für eure Handys. Ihr verpasst alles.» Deborah Anne Dyer lässt sich von der Bühne ins Publikum auf dem Lörracher Marktplatz fallen. JURI JUNKOV Deborah Anne Dyer alias Skin, Frontfrau von Skunk Anansie gen bei den Zuschauern für nicken- Album mit umso grös- oder zur Gitarre greift, den Vortritt Die Single ihres neuen Albums, «I de Köpfe. Ein Besucher streckt seine serem Interesse erwartet. Das Ergeb- lassen, verlässt auch Ace im Laufe Hope you Get to Meet your Hero, Dann der energetische, an Punk- zur Faust zum Black-Power-Gruss nis unter dem Einfluss von Chris des Konzerts für ein Gitarrensolo überzeugt. Genauso wie der bereits Metal erinnernde Chorus. Die Men- aus. Skins Energie scheint uner- Sheldon distanziert sich von alten seinen Platz. 1996 veröffentlichte Song Hedon- schen richten sich wieder auf. Skin schöpflich. Mustern. Es lässt Raum für moder- sim. Auch die experimentellen Krea- jedoch bahnt sich ihren Weg zum Dabei ist es für die vier Erfolgs- ne, abstrakte, dem Dub Step zuge- Suche nach dem Helden tionen, die sich weder in ein Genre Ende des Platzes, klettert auf eine musiker alles andere als selbstver- wandten Klänge, die ihren Höhe- Dass ihnen ruhigere Töne genau- packen noch eingrenzen lassen, ge- Erhöhung, grüsst ihre Bandkollegen ständlich, wieder zusammen auf der punkt nicht selten in sich beinahe so gut stehen, beweisen Skunk hen unter die Haut. lachend. Bühne zu stehen. Seit 1994 sorgte ekstatischen, melodiösen Heavy-Me- Anansie besonders in den Songs, die Skin jedenfalls, die in einem eng Das Mikrofon stets an den Lippen die erfolgreiche Zusammenarbeit tal-Riffs finden. Die Wiedervereini- den grössten Wiedererkennungs- anliegenden Glitzerkostüm mit Puff- lässt sie sich in die Menge fallen und von Dyer mit Gitarrist Martin Ivor gung hat sich gelohnt. wert unter ihren Fans geniessen. «Es ärmeln und blonder Punkfrisur auf- ist einige, sie berührende Hände Kent alias Ace und Richard Keith Le- Das Band, das die Drei Musiker geht nicht darum, wer dein Held ist tritt, bleibt sich treu. Denn eines ist später, wieder auf der Bühne. «This wis alias Cass für Furore. Ihre Debüt- verbindet, ist auch am Stimmen Fes- oder dass du einer bist, sondern, ei- ihre unermüdlich intensive Perfor- ain’t fucking political», singt sie. Ih- single «Selling Jesus» überzeugte. tival zu spüren. Auch wenn die nen Helden zu finden», sagt Skin. mance auf jeden Fall – authentisch. re Texte, die sich gegen Rassismus Nach der Auflösung der Band 2001 männlichen Kollegen ihrer Front- Nach der Heldin dieses Abends muss In eine Schublade lässt sie sich je- und Wohlstandsdenken richten, sor- wurde ihr letztjähriges Comeback- frau, die selbst zum Synthesizer man jedenfalls nicht lange suchen. denfalls nicht stecken.

Die Ausstellung langweiliger Objekte wird zur Überraschung

Fest der Langeweile Das in unserer leistungsorientierten Ge- wir dazu, weniger zu unternehmen, Philosophicum widmet sich sellschaft nämlich nicht einfach. «Es auch die kulturellen Angebote begin- ist eine Herausforderung, sich mit sei- nen meist erst wieder im Herbst.» nächstes Wochenende ganz ner Langeweile auseinanderzusetzen.» dem Nichtstun als Quelle der Uninteressante Objekte gesucht Inspiration. Sehnsucht nach Langeweile Eine Alternative will das Philoso- Das Festprogramm besteht aller- phicum deswegen am Samstagabend VON MÉLANIE HONEGGER dings nicht nur aus praktischem bieten: die Verantwortlichen haben Nichtstun. Am Freitagabend haben absichtlich kein Programm angekün- Sich zu langweilen, ist in der heutigen Gäste die Möglichkeit, mit dem Phi- digt, damit bei den Besuchern keine Gesellschaft verpönt: Wer nicht weiss, losophen Stefan Brotbeck über den Spannung aufkommt. Dass die Über- wie er seine wenige freie Zeit nutzen schöpferischen Aspekt der Langewei- raschung das Ganze umso interessan- will, gilt schnell als unkreativ und ein- le zu diskutieren. «Es geht darum he- ter macht, ist ein beabsichtigtes Para- fallslos. Ein Fehler, wie Nadine Rei- rauszufinden, welche Erkenntnisse dox der Veranstalter, wie Reinert la- nert vom Philosophicum findet: «Lan- jede Person aus ihren persönlichen chend zugibt. Teil des Anlasses ist ei- geweile hat auch ganz positive Aspek- Erfahrungen ziehen kann», erklärt ne Ausstellung von langweiligen Ob- te. Sie kann zum Reinert. jekten. Ein breit gefasster Begriff, wie Beispiel eine Quelle Am Samstagnach- Reinert weiss: «Die Meinungen gehen für schöpferische «Langeweile kann eine mittag liegt der Fo- weit auseinander, aber tendenziell Musse sein.» Quelle für schöpferische kus auf der Reprä- sind das oft visuell nichtssagende Genau deswegen sentation der Lan- und unauffällige Objekte. Ich persön- organisiert das Phi- Musse sein.» geweile in der Das Philosophicum im Ackermannshof. JURI JUNKOV lich finde einen Staubfänger ein losophicum in der Nadine Reinert, Philosophicum Kunst: Das Seminar wahnsinnig langweiliges Objekt.» Druckereihalle im unter der Leitung prägt sind. Ein Gefühl, das laut Rei- fokussieren. «Mit den neuen Medien Für die Ausstellung sind die Veran- Ackermannshof am 26. und 27. Juli von Osteuropa-Expertin Martina Ja- nert oftmals aus der Langeweile ent- können wir uns ständig mit etwas be- stalter noch auf der Suche nach wei- ein «Fest der Langeweile». Inmitten kobson beleuchtet diverse kulturelle steht: «Aus Langeweile entsteht nicht schäftigen. So entsteht manchmal teren langweiligen Gegenständen. von Liegestühlen und einer gemütli- Darstellungen von Langeweile, insbe- selten Melancholie. Schwierig wird fast schon eine Sehnsucht nach Lan- Diese können noch bis Donnerstag chen Atmosphäre soll es den Besu- sondere in der Literatur von Tsche- es, wenn diese nicht in einen produk- geweile.» Besonders im Sommer wür- im Philosophicum vorbeigebracht chern der Denkwerkstatt möglich chow und anderen russischen tiven Prozess umgewandelt werden den die Leute dazu tendieren, in eine werden. Nur: Später gehen diese wie- sein, von der alltäglichen Geschäftig- Schriftstellern, deren Werke stets kann.» Es werde immer schwieriger, melancholische Selbsthinterfragung der an die Besitzer zurück. Damit sie keit loszulassen. Laut Reinert ist dies von einer gewissen Schwermut ge- sich komplett auf das Nichtstun zu zu fallen. «Wegen der Hitze neigen sich wieder langweilen können.