55. Jahrgang · November 2002 · Heft 4

INHALT

50 Jahre Bundesarchiv. Festakt mit Bundespräsident 339. – 2. Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 des VdA in Schleswig (O. Fieg/R. Kretzschmar): 340. – Erfahrungsaus- Johannes Rau. Von Bettina Martin-Weber...... 295 tausch südwestsächsischer Kommunalarchivare (H. Plänitz): Stasi-Unterlagen für Forschung und Medien – zum 342. – Arbeitstagung des Verbandes schleswig-holsteinischer Rechtsstreit um den Aktenzugang und zur Novellie- Kommunalarchivarinnen und -archivare e. V. (VKA) rung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes. Von Marianne (A. Ueck): 342. – Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive (AGOA) (L. Koch OSB): 343. – Frühjahrstreffen -bran- Birthler ...... 298 denburgischer Wirtschaftsarchivarinnen und -archivare Tabu oder Rettungsanker? Dokumentationspläne als (M. Klein): 344. – Frühjahrstagung der Fachgruppe 7 in Instrument archivischer Überlieferungsbildung. Von Ravensburg (E. Lange): 344. – Frühjahrstagung der Fach- gruppe 8 in Heidelberg (W. Müller): 346. – 7. Archivwissen- Robert Kretzschmar...... 301 schaftliches Kolloquium der Archivschule Marburg (D. Bi- Das Landesarchiv Berlin in einem neuen Gebäude. ckelmann): 348. – 16. Archivpädagogenkonferenz (G. Roh- Von Jürgen Wetzel und Martin Luchterhandt...... 306 denburg): 349. – Kolloquium zur Vorstellung des Projekts Besondere Archive, besondere Benutzer, besonderes „Codices Electronici Ecclesiae Coloniensis (CEEC) – Digitale Handschriftenbibliothek Köln“ in Köln durch den Lehrstuhl Schrifttum. Archive akademischer Verbände. Von für Historisch-kulturwissenschaftliche Informationsverar- Harald Lönnecker ...... 311 beitung der Universität zu Köln und die Erzbischöfliche Die Bestände der ehemaligen jüdischen Gemeinden Diözesanbibliothek Köln (K. Nippert): 351. Deutschlands in den „Central Archives for the Auslandsberichterstattung History of the Jewish People“ in Jerusalem. Ein Über- Internationales: Tagung des International Council on blick über das Schicksal der verschiedenen Gemein- Archives, Sektion Wirtschaftsarchive, in Heidelberg dearchive. Von Denise Rein ...... 318 (K.-P. Ellerbrock): 352. – Zentrum für Bestandserhal- Archivtheorie und -praxis tung (ZFB) übergibt in das restaurierte Konvolut Archive und Bestände: Die Sächsische Archivverwaltung „Personalia“: 352. erwirbt Archivalien beim Germanischen Nationalmuseum Schweiz: Studienbibliothek Geschichte der Arbeiterbe- Nürnberg: 328. – Amtsrat Armin Sieburg (Staatsarchiv Mar- wegung, Zürich (B. Hüttner): 353. burg) in den Ruhestand verabschiedet (K. Murk): 328. – Nachlass Bernhard Quandt im Landeshauptarchiv Schwerin Literaturbericht (K. Schwabe): 328. – „Wirtschaftsarchiv des Jahres.“ Hohe Auszeichnung für das Bergbau-Archiv Bochum (M. Farren- Archivbestände zur Geschichte Est-, Liv- und Kurlands in kopf): 330. – Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzen- der Dokumentensammlung des Herder-Instituts. Bearb. von hausen (W. Hempel): 330. – 100 Jahre Archiv für Geographie C. J. Kenéz und P. Wörster (M. von Boetticher): 354. – im Institut für Länderkunde Leipzig: 1902–2002 (H. P. Bro- Archive vor der Globalisierung? Beiträge zum Symposion giato/B. Schelhaas): 330. des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs in Verbin- Archivierung, Bewertung und Erschließung: Die Unterstützung dung mit den Allgemeinen Reichsarchiven in Brüssel (Bel- der Erschließung von Pfarr- und Ephoralarchiven im Dom- gien) und Den Haag (Niederlande) vom 11. bis 13. September stiftarchiv Brandenburg durch die Dr. Meyer-Struckmann- 2000. Hrsg. von M. Black-Veldtrup, O. Dascher und Stiftung (W. Schößler): 331. A. Koppetsch. (W. Reininghaus): 354. – Bibliographie des Kreises Viersen. Bearb. von J. Grams und G. Rehm (S. Fran- Archivtechnik: Zentrum für Bestandserhaltung (ZFB): Konti- kewitz): 355. – P. Brommer, A. Krümmel, K. Werner, nuität gewährleistet: 333. Momentaufnahmen. Burgen am Mittelrhein in alten Zeich- Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung: „Tag der nungen und neuen Fotografien (K. Eiler): 355. – Bücher- Archive“ in Karlsruhe. Über 300 Schüler werfen zum Landes- schätze der rheinischen Kulturgeschichte. Aus der Arbeit mit Geburtstag einen Blick auf die Entstehungsgeschichte des den historischen Sondersammlungen der Universitäts- und Landes (C. Rehm): 333. – Besuch von Bundesbankpräsident Landesbibliothek Düsseldorf 1979 bis 1999. Hrsg. von Heinz Ernst Welteke im Staatsarchiv Marburg (K. Murk): 334. – Prä- Finger (K. Groß): 355. – M. Embach, J. Godwin, Johann sentation des Professorenkatalogs und Ausstellung „Ein Fest Friedrich Hugo von Dalberg (B. Schmitt): 356. – Fränkische für Marburg“ anlässlich des 475-jährigen Jubiläums der Phi- Urbare. Verzeichnis der mittelalterlichen urbariellen Quellen lipps-Universität im Staatsarchiv Marburg (K. Murk): 334. im Bereich des Hochstifts Würzburg. Bearb. von E. Bünz, Archivrecht: Was bringt das neue „Stasi-Aktengesetz“? D. Rödel, P. Rückert und E. Schöffler (R. Nolden): 357. – (K. Oldenhage): 335. H. Fuhrmann, Das Urkundenwesen der Erzbischöfe von Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen: Jahrestagungen des Köln im 13. Jahrhundert (1238–1297) (H. Budde): 357. – Der Restaurierungs- und des Fototechnischen Ausschusses der furnehmbste Schatz. Ortsgeschichtliche Quellen in Archiven. ARK in München (C. Kruse/M. R. Sagstetter): 336. – 62. Süd- Vorträge eines quellenkundlichen Kolloquiums im Rahmen westdeutscher Archivtag 2002 in Mosbach (M. Zitter): 337. – der Heimattage Baden-Württemberg am 23. Oktober 1999 in 55. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländischer Pfullingen. Hrsg. von der Landesarchivdirektion Baden- Archivarinnen und Archivare in Saarbrücken (W. Müller): Württemberg (S. Benning): 358. – Gelre-Geldern-Gelderland. 339. – „Informationstechnologie in der Verwaltung“ – der 17. Geschichte und Kultur des Herzogtums Geldern. Hrsg. von Schleswig-Holsteinische Archivtag in Pinneberg (R. Gahde): J. Stinner und K.-H. Tekath (A. Nabrings): 359. – E. Gör-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 293 gen-Schmickler, „Warum nicht auch Mädchen?“ Die und Südwestthüringen. Bearb. von F. Levi (†) unter Mitar- Geschichte des Vereins Mädchengymnasium zu Köln (1887– beit von J. Mötsch und K. Witter (S. Litt): 367. 1902) (E. Hertel): 360. – R. Haas und M. Sinderhauf, Zur Sonstige Titel ...... 368 Kirchengeschichte und zum Pfarrarchiv von Stürzelberg Repertorienveröffentlichungen 2001/2002 (zusammengestellt (M. Kordes): 360. – U. Kampffmeyer, B. Merkel, Doku- von Anette Gebauer-Berlinghof undMeinolf Woste)...... 370 menten-Management (M. Wettengel): 361. – Katalog der Lei- chenpredigten und sonstiger Trauerschriften in den städti- Personalnachrichten schen Museen Zittau. Bearb. von R. Lenz, W. Hupe, H. Pet- zoldt (M. Wermes): 361. – F. Litten, Gesamtverzeichnis der Zusammengestellt von Meinolf Woste ...... 371 ausländischen mikroverfilmten Archivalien in der Bayeri- schen Staatsbibliothek München (B. Grau): 362. – Die Män- Kurzinformationen, Verschiedenes ner- und Frauenklöster der Benediktiner in Rheinland-Pfalz Adressen, Ruf- und Faxnummern: 375. – Geschichts- und Saarland. In Verbindung mit R. E. Schwerdtfeger wettbewerb zum Thema Migration (K. Fausser): 376. bearb. von F. Jürgensmeier (T. Diederich): 362. – Die preu- – Zur Rezension des Sammelbandes „Dynamische ßische Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung 1763–1865. Die Bestände in den Nordrhein-Westfälischen Staatsarchiven. Zeiten. Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesell- Bd. 1: Staatsarchiv Münster. Bearb. von P. Wiegand schaften“ (M. Wischnath): 377. – Veranstaltungster- (B. Holtz): 363. – Schöne neue Welt. Rheinländer erobern mine: 377. Amerika. Bearb. von D. Pesch und K. Panek (A. Nabrings): Gesetzliche Bestimmungen und Verwaltungsvor- 363. – Spätmittelalterliche städtische Geschichtsschreibung schriften für das staatliche Archivwesen und zur in Köln und im Reich. Die „Koelhoffsche“ Chronik und ihr historisches Umfeld. Hrsg. von G. Mölich, U. Nedder- Archivpflege in der Bundesrepublik Deutschland meyer und W. Schmitz (H. Horst): 364. – Die Studentenpro- Gesetzliche Bestimmungen und Verwaltungsvor- teste der 60er Jahre. Archivführer – Chronik – Bibliografie. schriften für das staatliche Archivwesen und zur Hrsg. von T. P.Becker und U. Schröder (G. Wiemers): 365. – Archivpflege in der Bundesrepublik Deutschland J. Vossen, Gesundheitsämter im Nationalsozialismus. Ras- Zusammengestellt mit Unterstützung der Landesar- senhygiene und offene Gesundheitsfürsorge in Westfalen 1900–1950 (W. Woelk): 365. – H. Wallraff, Nationalsozialis- chivverwaltungen von Peter Dohms und Meinolf mus in den Kreisen Düren und Jülich. Tradition und „Tau- Woste ...... 381 sendjähriges Reich“ in einer rheinländischen Region 1933 bis 1945 (R. Schütz): 366. – J. Wilke, Grundzüge der Medien- Mitteilungen des Verbandes Deutscher Archivarin- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins nen und Archivare e. V. 20. Jahrhundert (E. Lersch): 366. – Zwischen „Staatsanstalt“ Protokoll der Mitgliederversammlung des Verbandes und Selbstbestimmung. Kirche und Staat in Südwestdeutsch- deutscher Archivarinnen und Archivare e.V. am 19. land vom Ausgang des Alten Reiches bis 1870. Hrsg. von September 2002 im Saal Metz der Europahalle in Trier H. Ammerich und J. Gut (†) (N. Schloßmacher): 367. – 12 (V. Wahl/ R. Kretzschmar): 387. Gulden vom Judenschutzgeld... Jüdisches Leben in Berkach

DER ARCHIVAR. Mitteilungsblatt für das deutsche Archivwesen Herausgegeben vom Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv, Zweigarchiv Schloss Kalkum, Oberdorfstr. 10, 40489 Düsseldorf. Schriftleitung: Peter Dohms in Verbindung mit Peter Klefisch, Renate Köhne-Lindenlaub, Wolf-Rüdiger Schleidgen, Volker Wahl und Klaus Wisotzky. Verantwortlich: Peter Dohms, Mitarbeiter: Meinolf Woste, Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv, Zweigarchiv Schloss Kalkum, 40489 Düsseldorf, Tel. 02 11/9 40 75–0 (Zweigarchiv Schloss Kalkum), –24 (Peter Dohms), –20 (Meinolf Woste), –23 (Petra Daub), Fax 02 11 /9 40 75-99, E-Mail: [email protected]. Druck und Vertrieb: Franz Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25, Fax 0 22 41/5 38 91, E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Die Verlagsrechte liegen beim Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düssel- dorf. Amtliche Bekanntmachungen sowie Manuskripte, Mitteilungen und Besprechungsexemplare bitten wir an die Schriftleitung zu senden. Zum Abdruck angenommene Arbeiten gehen in das unbeschränkte Verfügungsrecht des Herausgebers über. Dies schließt auch die Veröffentlichung im Internet ein (http://www.archive.nrw.de/archivar). Die Beiträge geben die Meinungen ihrer Verfasser, nicht die der Schriftleitung wieder. Bestellungen und Anzei- genverwaltung (Preisliste 17, gültig ab 1. Januar 2002) beim VerlagF. Schmitt, Kaiserstraße 99–101, 53721 Siegburg, Tel. 0 22 41/6 29 25, Fax 0 22 41/5 38 91, E-Mail: [email protected], Postbank Köln, BLZ 370 100 50, Kto. 7058-500. Zuständig für den Anzeigenteil: Sabine Prediger im Verlag F. Schmitt. – „Der Archivar“ erscheint viermal jährlich. Die Beihefte werden in zwangloser Reihenfolge herausgegeben. Der Bezugspreis beträgt für das Einzelheft einschl. Porto und Versand 8,– EUR im Inland, 9,– EUR im Ausland, für das Jahresabonnement im Inland einschl. Porto und Versand 32,– EUR, im Ausland 36,– EUR. ISSN 0003-9500.

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294 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 50 Jahre Bundesarchiv Festakt mit Bundespräsident Johannes Rau Von Bettina Martin-Weber

Am 4. Juni feierte das Bundesarchiv in Berlin mit einem geht um einfache Ziele, eine verstärkte gegenseitige Festakt und anschließendem Empfang den 50. Jahrestag Kenntnis, vermehrte Information, einen verbesserten der Arbeitsaufnahme des Archivs in Koblenz am 3. Juni Informationszugang für jeden, einen vermehrten Aus- 1952. Den Beschluss zur Einrichtung des Bundesarchivs tausch.“ De Boisdeffre regte den fachlichen Diskurs zur hatte die Bundesregierung nahezu zwei Jahre zuvor am Frage der Bewertung durch die Gegenüberstellung der 24. März 1950 gefasst. Normen, Kriterien und Verfahren der Bewertung in den Im Otto-Braun-Saal der Staatsbibliothek begrüßte der europäischen Archiven an, den Aufbau einer Informa- Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der tionsbörse zur Ausbildung und Fortbildung auf europäi- Kultur und der Medien, Staatsminister Prof. Julian Nida- scher Ebene sowie den Informationsaustausch über die Rümelin den Bundespräsidenten D. Dr. h. c. Johannes nationalen archivrechtlichen Grundlagen im Rahmen Rau, Abgeordnete des Deutschen Bundestages, unter europäischer Rechtsnormen. ihnen Bundestagsvizepräsidentin Dr. Antje Vollmer, Ver- Im anschließenden Festvortrag „Die Machtübertra- treterinnen und Vertreter des internationalen und deut- gung an Hitler. Vom Archivgut zum historischen Urteil“ schen Archivwesens, die Directrice des Archives de France stellte Prof. Heinrich August Winkler die Bedeutung und zugleich Präsidentin der European Branch des Inter- authentischen Archivguts für die Analyse und quellenkri- nationalen Archivrates, Martine de Boisdeffre, dender- tische Bewertung historischer Ereignisse und Strukturen 1 zeitigen Vorsitzenden der Archivreferentenkonferenz Rai- heraus. Auf der Grundlage der Akten der Reichskanzlei ner Klemke, den Vorsitzenden des Verbandes der Deut- lotete Winkler Handlungsspielräume und Alternativen schen Archivarinnen und Archivare Prof. Dr. Volker Wahl der wichtigsten Akteure und ihre Verantwortlichkeit für sowie zahlreiche Vertreter aus obersten und oberen Bun- die Ereignisse des 30. Januar 1933 aus. desbehörden, aus Wissenschaft und Forschung und nicht Ein Streichquintett Wehrpflichtiger des Musikkorps der zuletzt ehemalige und heutige Mitarbeiterinnen und Mit- Bundeswehr gab dem Festakt einen schwungvollen musi- arbeiter des Bundesarchivs. kalischen Rahmen. Staatsminister Nida-Rümelin würdigte insbesondere Die Feierlichkeiten zum 50. Geburtstag setzten sich am die Leistungen des Bundesarchivs bei der Rückführung 7. Juni am Ort der Gründung des Bundesarchivs in kriegsbedingt verlagerter und von den Alliierten Koblenz mit der Eröffnung einer Jubiläumsausstellung beschlagnahmter Unterlagen aus der Zeit des Nationalso- „Ein Jahrhundert wird besichtigt. Momentaufnahmen aus zialismus und bei der Bewältigung der Herausforderun- Deutschland“ fort. Eindrückliche Aufnahmen aus dem gen nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Bildarchiv führen in einer Zeitreise durch 100 Jahre Foto- Staaten: Unter dem Dach eines neuen, größeren Bundesar- und Alltagsgeschichte. Die Fotografien stammen überwie- chivs habe sich die Menge des klassischen Aktenschrift- gend aus dem 1992 in das Bundesarchiv übernommenen guts verdoppelt, der Bestand des Bildarchivs versechs- Bestand des Allgemeinen Deutschen Nachrichtendiens- facht und sich das Filmarchiv mit einem um das Dreifache tes/Zentralbild (ADN/ZB) der DDR – einer der historisch angewachsenen Kinofilmbestand zu einem der größten wertvollsten Bildsammlungen zur deutschen Geschichte. Filmarchive der Welt entwickelt. Nida-Rümelin unter- Abteilungspräsident Wolf Buchmann warb in seinem strich die Bedeutung des Bundesarchivs für die Erinne- Eröffnungsvortrag dafür, das Bild als historische Quelle rungskultur in der Bundesrepublik Deutschland und die ernst zu nehmen und forderte zu einer methodischen Aus- „stabilisierende“ Rolle in einer Welt, in der die Informatio- einandersetzung mit dieser besonderen Quellengattung nen immer flüchtiger werden. auf. Nur durch eine besonders sorgfältige Dokumentation Diese Gedanken beherrschten auch die Rede des Bun- des Entstehungszusammenhangs sei die Einordnung und despräsidenten, die sich durch ein ausgeprägtes Verständ- Interpretation historischer Aufnahmen und auch der nis für die Arbeit der Archivarinnen und Archivare und Nachweis ihrer Authentizität möglich, wie die Auseinan- die Leistungen aller Archive auszeichnete und bei der dersetzungen um die Fotos der Wehrmachtsausstellung in Fachkollegenschaft großen Anklang fand. Rau würdigte jüngster Zeit zeigten. die Archive, die dafür sorgten, „dass es in dem bewegten Die Ausstellung wird in Koblenz und danach in ande- und an Untiefen reichen Meer der Informationen Inseln ren Dienststellen des Bundesarchiv gezeigt und steht bei und Kontinente gesicherten Wissens gibt, damit wir nicht Interesse auch anderen Archiven zur Verfügung. den Boden unter den Füßen verlieren“. Die für das deut- In Sommer- und Geburtstagsfesten feierten die Mitar- sche Archivwesen wichtige und nützliche Rede des Bun- beiterinnen und Mitarbeiter des Bundesarchivs in und despräsidenten wird im Anschluss an diesen Beitrag abge- nach der Jubiläumswoche an den jeweiligen Dienstorten druckt. den 50. Geburtstags ihres Archivs. Madame de Boisdeffre überbrachte die Grüße der Eine anlässlich der 50-Jahr-Feier erschienene Broschüre, europäischen Fachgemeinschaft der Archivare und blickte die erstmals nach der Wiedervereinigung das größere auf fünfzig Jahre Freundschaft und Zusammenarbeit zwi- Bundesarchiv vorstellt, wurde den Teilnehmern des 73. schen dem Bundesarchiv und den Archives de France Deutschen Archivtages in Trier überreicht. zurück. In ihrer freundlicherweise auf deutsch gehaltenen 1 Der Vortrag von Heinrich August Winkler wurde unter dem Titel „Den Rede standen die gemeinsamen Herausforderungen der nationalsozialistischen Wilddieb zum Förster gemacht“ leicht gekürzt in Archive in der Europäischen Union im Mittelpunkt: „Es der Frankfurter Rundschau am 5. Juni 2002 abgedruckt.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 295 Textanhang: Das Bundesarchiv ist das Gedächtnis unseres Staates, es bewahrt die „Vorgänge“ der Bundesbehörden. An einem Tag wie Grußwort von Bundespräsident Johannes Rau beim Festakt „50 heute wird uns bewusst, dass es auch einen „Vorgang Bundesar- Jahre Bundesarchiv“ chiv“ gibt, an den zu erinnern sich lohnt. Auch seine papierene Von Novalis stammt das Wort: „Schriften sind die Gedanken des Spur aus Vorlagen und Briefen, Memoranden und Denkschriften, Staates, die Archive sein Gedächtnis.“ Das trifft auch heute noch aus Kabinettvorlagen und Organisationserlassen lässt sich im zu: Die Registraturen und Archive unterstützen die Arbeit von Bundesarchiv verfolgen. Verwaltung und Regierung, sie bewahren „Vorgänge“ auf und Die Wurzeln reichen zurück zur Gründung des Reichsarchivs halten sie rasch verfügbar. Diese „Vorgänge“ dokumentieren, was in Potsdam im Jahre 1919. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Ereignissen und Entscheidungen vorausgegangen ist und was Potsdam das spätere Zentrale Staatsarchiv der DDR eingerichtet. dabei in den Köpfen vorgegangen ist, vor welchem Hintergrund Die Bundesregierung beschloss, in der Bundesrepublik Deutsch- also das jeweilige Thema oder das aktuelle Problem betrachtet land deshalb ein eigenes Bundesarchiv zu gründen. Es begann und eingeordnet werden muss. Natürlich liefern die Akten nicht seine Arbeit im Juni 1952 in Koblenz. Die schriftlichen Zeugnisse das ganze Bild der Wirklichkeit: Der alte Spruch „quod non est in des Dritten Reichs, die von den westlichen Alliierten beschlag- actis, non est in mundo“ stimmt gewiss nicht. Aber man unter- nahmt worden waren, wurden nach Deutschland zurückgeführt schätze nicht, wie welthaltig gut geführte Akten sind und wie und der internationalen Forschung zugänglich gemacht. Mit der vielsagend – sogar durch ihre Lücken – sie für den sein können, Zeit kamen immer mehr Nebenstellen und neue Aufgabenberei- der sie zu lesen versteht. Wie wirkungsvoll gut gepflegte Akten che hinzu. Die deutsche Einheit schließlich brachte die unver- sind, darüber könnte ich aus eigener Erfahrung so manches Bei- hoffte Chance, die Aktenbestände von Bundesarchiv und Zentra- spiel berichten. Wenn mir etwa jemand schreibt, erst jetzt, da ich lem Staatsarchiv der DDR zusammenzuführen. Bundespräsident sei, habe er endlich die geeignete Ansprechper- Heute ist das Bundesarchiv an elf Orten untergebracht. Ich son, um ein lang geplantes Projekt vorzustellen und dafür um kann mir gut vorstellen, wie schwierig es gelegentlich sein mag, Unterstützung zu bitten, dann kann es hilfreich sein, wenn die die Arbeit über große Distanzen hinweg zu koordinieren. Ich Registratur mir seine gleichlautenden Briefe an Richard von kenne Ihren Wunsch, das Bundesarchiv räumlich enger zusam- Weizsäcker oder an Roman Herzog oder an Walter Scheel menzuführen. Ein erster Schritt in diese Richtung ist der im März vorlegt. begonnene Neubau im brandenburgischen Dahlwitz-Hoppegar- ten. Dort entsteht nach dem Motto „aus Vier mach Eins“ eines der I. größten Filmarchive der Welt. Das wird ein ganz besonderer Edel- Akten und Archive bilden das Rückgrat vernünftigen adminis- stein in der Archivlandschaft. Dennoch hat auch eine dauerhaft trativen Handelns, weil sie die Sachverhalte in einen Kontext stel- etwas größere Zahl von Einzelstandorten ihr Positives. Sie ist zum len, der es erleichtert, Entscheidungen zu begründen. Sie tragen Teil der föderalen Struktur unseres Landes geschuldet. Das Bun- bei zur Kontinuität von Entscheidungsrichtlinien und fördern so desarchiv ist eben kein Nationalarchiv, und das hat auch etwas ein widerspruchsfreies Handeln über längere Zeiträume und in mit der deutschen Geschichte zu tun. einer verstreuten Menge von Einzelfällen. Sie machen aber auch deutlich, wenn neue Wege gegangen worden sind und warum II. das so war. Darum hat Max Weber in der Bürokratie mit Akten- Lassen Sie mich nach dieser kurzen „tour d'histoire“ auf die haltung, die er ausdrücklich erwähnt, das entscheidende Signum Bedeutung der archivarischen Arbeit zurückkommen. Wenn von der staatlichen Moderne gesehen. Erst durch diesen Apparat – so Archiven die Rede ist, denken Außenstehende leicht an dunkle Max Weber – wird die Rationalität staatlichen Handelns dauer- Kellerräume, in denen verstaubte Ordner in langen Regalen ste- haft gesichert. hen und – einmal sortiert und nummeriert – für immer vergessen Dass damit noch nichts gesagt ist über die moralische Richtig- sind. In der Literatur wird das Archiv immer wieder als Bild für keit staatlichen Handelns, das wusste Max Weber auch, und wir Einsamkeit und Weltfremdheit verwandt. Man braucht aber nur wissen es spätestens seit den schrecklichen Erfahrungen aus der einen der Ordner aus den Regalen zu ziehen und einmal hinein- Zeit zwischen 1933 und 1945. Damals wurden Bürokratie und zusehen, dann beginnt sein Inhalt bald zu uns zu sprechen, und Archive verbrecherischen Zielen untergeordnet. Akten wurden vor unserem inneren Auge werden vergangene Ereignisse wieder auf Abstammungshinweise hin durchforstet und die Bürokratie lebendig. Gerade in Archiven können wir – sozusagen handfest – wurde dafür eingesetzt zu gewährleisten, dass die Vernichtungs- erfahren, dass Geschichtsschreibung eine immer wieder aktuelle maschinerie reibungslos funktionierte. Die Macht, die Akten und Herausforderung ist und dass sie auf Menschen angewiesen ist, Archive verleihen, kann auch schrecklich missbraucht werden. die die Zeugnisse ihrer Zeit sammeln und überliefern. Als 1990 die Bestände des Zentralen Staatsarchivs der DDR in Der Schriftsteller Hampaté Bâ aus Mali hat einmal gesagt: den Besitz des Bundesarchivs übergingen, da wurde ein Großteil „Wenn in Afrika ein alter Mensch stirbt, so ist das, als wenn eine dieser Akten erstmalig wieder der Öffentlichkeit zugänglich Bibliothek verbrennt.“ Heute droht deshalb in Afrika die Erinne- gemacht. Die DDR hat ihre Akten verborgen und gehütet. Die rung an das vorkoloniale Erbe in weiten Teilen verloren zu gehen. Archive waren der Tresor, in dem sie die Währung ihrer autoritä- Das hat dramatische Folgen für das Selbstverständnis der Men- ren, ja diktatorischen Machtausübung verschlossen hielt. Das gilt schen, sie verlieren den Zugang zu ihren eigenen historischen natürlich in erster Linie für die Unterlagen des Staatssicherheits- Wurzeln. Die UNESCO hat diese Gefahr erkannt und unterstützt dienstes; aber auch die Geheimhaltung oder die gezielte Veröf- jetzt Projekte, die helfen sollen, dass mündliche Überlieferungen fentlichung anderer Aktenbestände hat die DDR als Instrument aufgeschrieben werden. Aber auch Schriftstücke werden schnell genutzt. zu Altpapier, wenn sich niemand um ihre Bewahrung und Erhal- Das Bundesarchiv, dessen fünfzigjähriges Bestehen wir heute tung kümmert. Hierin liegt die erste und dringlichste Aufgabe würdigen, zeigt dagegen eindrucksvoll, wie man mit der Macht, von Archiven. die das in den Akten gespeicherte Wissen bedeutet, verantwor- tungsvoll umgeht. Es hat in den zurückliegenden fünf Jahrzehn- III. ten Großes für unser Land geleistet, und das zeitweise unter sehr Voraussetzung und Möglichkeit zur Geschichtsschreibung sind schwierigen Bedingungen – in der Anfangszeit etwa, als das aber nicht allein davon abhängig, dass etwas überliefert wird, Archiv die überall verstreuten Dokumente erst zusammensuchen sondern sie werden natürlich ganz wesentlich davon beeinflusst, musste, und natürlich 1990, als es galt, das Zentrale Staatsarchiv was überliefert wird. Archivare stellen sich tagtäglich die Frage: der DDR zu integrieren. „Was soll denn überhaupt aufgehoben und archiviert werden?“ Ich gratuliere gern und von Herzen zu dieser erfolgreichen Über 280 Kilometer Akten, über eine Million Landkarten, fast Arbeit und zu diesem runden Geburtstag. Ich möchte den Mitar- eine Million Kinofilme, elf Millionen Fotographien, 33.000 Tonträ- beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs für ihr großes ger und 5.000 Datenträger und weiteres Bibliotheksgut macht das persönliches Engagement danken, ohne dieses Engagement Bundesarchiv zugänglich. Allein die Akten erstrecken sich auf wären die Leistungen des Archivs undenkbar. eine Länge von Berlin bis Hannover.

296 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Dabei bewahrt das Bundesarchiv nur einen Bruchteil des ferungen beschäftigen. Die Archive müssen die Quellen unver- Materials auf, das ihm die Bundesbehörden überlassen. Auch im fälscht erhalten, damit spätere Generationen das überlieferte Zeitalter von Internet und Email wird so unglaublich viel Schrift- Geschichtsbild anhand der Quellen prüfen können, und damit sie gut produziert, dass nur eine strenge Auswahl das Bundesarchiv das Gespräch mit der Vergangenheit selber und vielleicht neu füh- vor dem Ertrinken in Papier retten kann. Ganze fünf bis zehn Pro- ren. Wir sind aufgefordert, aus der Geschichte zu lernen. Das gilt zent werden dauerhaft archiviert. ganz allgemein, in Deutschland gilt es aber besonders für die Auf- Daher stehen die Mitarbeiter vor der schwierigen Aufgabe, arbeitung des Nationalsozialismus. Die Beschäftigung mit dem sinnvoll auszuwählen und nur die Dokumente zu erhalten, die dunkelsten Kapitel unserer Geschichte ist heute genauso wichtig, für die Nachwelt von besonderem Interesse sein werden. wie sie es vor fünfzig Jahren war. Unsere Vergangenheit verpflich- Was aber ist für die Nachwelt von besonderem Interesse? Das tet uns besonders, für Freiheit und Menschlichkeit einzutreten. Es ist eine Frage von großer politischer Bedeutung. Orwell entwirft kann und es darf keinen Schlussstrich geben. Ich denke, dass Herr in seinem 1948 geschriebenen Roman „1984“ das Szenario einer Professor Winkler seinen heutigen Festvortrag nicht zufällig der allmächtigen Diktatur, die die Menschen ihrer Geschichte und Machtergreifung Hitlers widmet. Erinnerungen sind der Quell damit auch der Möglichkeit einer historischen Alternative eines menschlichen Umgangs miteinander. Das Bundesarchiv leis- beraubt. Das ist für uns alle eine erschreckende Vorstellung, für tet dadurch, dass es eine Fülle von Dokumenten erhält und der Sie als Archivare natürlich besonders. Sie zeigt, welche Verant- Forschung zur Verfügung stellt, einen wichtigen Beitrag dazu, die wortung Archivare bei ihrer Arbeit haben. Vergangenheit aufzuarbeiten und zu verstehen. Es führt auch sel- Was also soll überliefert werden? Darauf gibt es keine einfache ber Veranstaltungen durch und zeigt eigene und fremde Ausstel- Antwort. Ich glaube aber, dass ich mich nicht zu weit vorwage, lungen. Das ist gute politische Bildungsarbeit, über die ich mich wenn ich sage, dass die Archivare heute vor umfassenderen Her- sehr freue. ausforderungen stehen als ihre Kollegen in früherer Zeit. Archive müssen ihre Arbeit, das Bewahren und das Erinnern, auf die V. Gesellschaft ausrichten und dürfen sich nicht damit begnügen, Meine Damen und Herren, wenn wir in diesen Tagen vor dem ein „backup“ administrativer Prozesse zu sein. Fernseher sitzen und wir unseren Kickern auf der anderen Seite Hans Booms, der frühere Präsident des Bundesarchivs, hat der Welt die Daumen halten, dann gehöre ich zu denen, die froh schon 1972 gesagt: „Zweck und Ziel einer archivarischen Überlie- darüber sind, vom Kommentator immer wieder die Namen unse- ferungsbildung kann [...] nur eine gesamtgesellschaftliche Doku- rer Spieler genannt zu bekommen. Es ist es nicht mehr selbstver- mentation des öffentlichen Lebens in allen Interessens- und Bin- ständlich, die Spieler allein an ihrer Rückennummer zu erkennen. dungsgemeinschaften sein.“ Ich glaube, er hat recht. Dieser Auf- Zu häufig gibt es neue Gesichter, zu oft verschwinden Talente von gabe kann das Bundesarchiv freilich nicht allein gerecht werden. heute morgen schon wieder in der medialen Versenkung. Unsere Wir haben in Deutschland neben den Archiven des Bundes Zeit wird immer schneller, nicht nur im Fußball. und der Länder Archive der Parteien und der parteinahen Stiftun- Die technologischen Entwicklungen sind so rasant, dass der gen, vor allem aber haben wir eine große Zahl von Archiven pri- neueste Computer eigentlich schon veraltet ist, wenn er in die vater Stiftungen und Wirtschaftsunternehmen. Was in diesen Läden kommt, weil die neue Generation bereits in Produktion Archiven gesammelt wird, richtet sich nach den jeweiligen spezi- geht. Alles erfährt eine Beschleunigung. Auch wir selber bewegen fischen Interessen. All diese Archive sollten bei der Frage, was uns schneller zwischen verschiedenen Orten und manchmal auch überliefert werden soll, eng zusammenarbeiten. Das Bundesar- zwischen unterschiedlichen Welten hin und her. Und wir tau- chiv könnte dabei möglicherweise so etwas wie eine Moderato- schen Informationen praktisch ohne jeden Zeitverzug aus – welt- renrolle übernehmen. weit. Bei dem Tempo, mit dem wir heute immer wieder neue Infor- IV. mationen geliefert bekommen und aufnehmen müssen, verlieren Die Geschichte, meine Damen und Herren, ist nicht identisch mit wir leicht den Halt. Es besteht die Gefahr, dass wir uns in einem der Vergangenheit. Sie ist auch nicht identisch mit dem überliefer- Meer von Informationen bewegen, dass wir aber nirgendwo mehr ten Material. Die Geschichte hilft uns, unsere Gegenwart zu ver- einen Anker werfen können. Dagegen müssen uns auch die stehen, sie ist aber selber das Produkt der jeweiligen Geschichts- Archive wappnen. Ihr Einsatz für das Aufbewahren von Doku- betrachtung. Hinter den Überlieferungen stehen menschliches menten, die es möglich machen, den Kontext und die Entste- Denken, Wollen und Handeln, die in der historischen Beschäfti- hungsgeschichte eines Sachverhaltes nachzuvollziehen, und ihr gung nachvollzogen werden müssen – das meint das Wort verste- Kampf gegen den Verfall des Materials, sei es Papier, seien es hen. Solches Nachvollziehen und solches Verstehen ist nicht mög- Filme oder auch elektronische Daten, können helfen, dass es in lich ohne eigenen Standpunkt. Die Überlieferungen müssen dem bewegten und an Untiefen reichen Meer der Informationen gedeutet und gewertet werden. Hans-Georg Gadamer bezeichnet Inseln und Kontinente gesicherten Wissens gibt, damit wir nicht das historische Verstehen deshalb als ein Gespräch zwischen den Boden unter den Füßen verlieren. Gegenwart und Vergangenheit. Ich wünsche Ihnen, Herr Professor Weber, und allen Mitar- Dieses Gespräch findet keinen Abschluss. Das macht es so beiterinnen und Mitarbeitern des Bundesarchivs, dass Sie viele wichtig, dass wir uns immer wieder von Neuem mit den Überlie- solche Ankerplätze schaffen. Alles Gute.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 297 Stasi-Unterlagen für Forschung und Medien – zum Rechtsstreit um den Aktenzugang und zur Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Von Marianne Birthler

Mit dem Inkrafttreten des 5. Stasi-Unterlagen-Änderungs- Personen der Zeitgeschichte und Amtsträger standen jetzt gesetzes am 6. September 2002 ist für die Stasi-Aufarbei- so wie die aller „gewöhnlichen“ Betroffenen und Dritten tung eine kurze, aber intensive Durststrecke zu Ende unter dem Einwilligungsvorbehalt der betreffenden Per- gegangen. Ein halbes Jahr lang war die historische For- sonen. schung mit Stasi-Unterlagen nur noch in engen Ausschnit- Im Falle von verstorbenen Personen der Zeitgeschichte ten und mit größten Restriktionen möglich. Einigermaßen und Amtsträgern hatte dies besonders einschneidende vernünftig zu bearbeiten waren nur noch Themen, die sich Konsequenzen: Nachdem hier die Einholung einer Einwil- mit dem Innenleben der Stasi befassten. Eine Rekonstruk- ligung nicht mehr möglich ist, waren diese Daten grund- tion der Wirkungsweise des MfS war hingegen weitge- sätzlich verschlossen – es sei denn, es lag eine zu Lebzeiten hend ausgeschlossen. Angesichts der Tatsache, dass das gegebene Einwilligung vor. Durch die absolute Verwen- Ministerium für Staatssicherheit kein Selbstzweck war, dungssperre für diese Daten war eine paradoxe Rechts- sondern das „Schild und Schwert“ der herrschenden Par- lage entstanden, die nicht nur zu allen geltenden archiv- tei, war dies eine äußerst unbefriedigende Situation. rechtlichen Regelungen im Widerspruch stand, sondern Entstanden war diese Lage durch das Urteil das Bun- auch grundrechtlichen Erwägungen zuwiderlief. Denn desverwaltungsgerichtes in Sachen „Dr. Kohl gegen die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfas- Bundesrepublik Deutschland“ vom 8. März 2002, in dem sungsgerichtes ist das Recht auf informationelle Selbstbe- eine umstrittene Norm des Stasi-Unterlagen-Gesetzes stimmung an ein lebendes Rechtssubjekt gebunden. Ver- (StUG) zugunsten des Klägers ausgelegt und damit die storbene genießen lediglich einen sogenannten „postmor- zehnjährige Herausgabepraxis meiner Behörde im Bereich talen Persönlichkeitsschutz“, der sich im Laufe der Zeit der Forschungs- und Medienanträge beendet worden war. abschwächt. Mit diesem Richterspruch, der unmittelbar Rechtskraft erlangte, wurde der Auslegungsstreit um den maßgebli- Die langjährige Praxis meiner Behörde, die das Bundes- chen § 32 Absatz 1 Nr.3 erster Spiegelstrich beendet, der verwaltungsgericht mit seinem Urteil für rechtswidrig den Zugang der Forschung und mittelbar auch der erklärt hatte, folgte einer anderen Auslegung, die von den Medien zu Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes mit einschlägigen Gesetzeskommentaren gestützt wurde: Bei personenbezogenen Informationen über Personen der Personen der Zeitgeschichte, Inhabern politischer Funk- Zeitgeschichte, Inhaber politischer Funktionen oder tionen und Amtsträgern in Ausübung ihres Amtes wurde Amtsträger in Ausübung ihres Amtes regelte. die Eigenschaft als Betroffene und Dritte – abweichend In dem nicht widerspruchsfreien Wortlaut und der dar- von der grundsätzlichen Definition – vom öffentlichen aus folgenden kontroversen Auslegung dieser Vorschrift und funktionsbezogenen Wirken dieser Personen abge- hatte sich auf ganz besondere Weise das Spannungsver- grenzt und somit auf den privaten Bereich beschränkt. hältnis zwischen dem Aufarbeitungs- und dem Daten- Darüber hinaus wurde gemäß der sogenannten Abwä- schutzziel zugespitzt, das das gesamte Stasi-Unterlagen- gungsklausel in § 32 Stasi-Unterlagen-Gesetz sorgfältig Recht durchdringt. Nach dieser Regelung hatte die Bun- geprüft, ob durch die Verwendung überwiegende schutz- desbeauftragte Unterlagen mit personenbezogenen Infor- würdige Interessen der Personen beeinträchtigt würden. mationen über Personen der Zeitgeschichte, Amts- und Im Einzelfall konnte dies durchaus dazu führen, dass Funktionsträger unter bestimmten Voraussetzungen For- Informationen auch aus dem nicht privaten Bereich von schung und Medien zur Verfügung zu stellen, „soweit“ einer Verwendung ausgeschlossen waren. Auch die Art die betreffenden Personen „nicht Betroffene oder Dritte der Informationsgewinnung konnte ein Grund sein, die sind“. Diese werden vom Gesetzgeber an anderer Stelle Herausgabe auszuschließen. (§ 6 StUG) in Abgrenzung zu Mitarbeitern und Begünstig- Die Vorschrift entsprach in der Auslegung meiner ten als Personen definiert, zu denen der Staatssicherheits- Behörde in etwa dem § 5 Abs. 5 des Bundesarchivgesetzes, dienst Informationen gesammelt hat. Bei den „Betroffe- der einen minderen Schutz von Informationen zu Perso- nen“ muss das laut Legaldefinition durch „zielgerichtete nen der Zeitgeschichte und Amtsträgern in Ausübung Informationserhebung“ geschehen sein, bei den „Dritten“ ihres Amtes vorsieht. Gefordert ist hier lediglich die fällt diese Qualifizierung weg. Die „Dritten“ bilden dem- „angemessene“ Berücksichtigung schutzwürdiger Inter- nach einen Auffangtatbestand für alle Personen, die in den essen. Klauseln dieser Art ermöglichen im Einzelfall die Akten vorkommen und nicht Mitarbeiter, Begünstigte Abwägung kollidierender Grundrechte – hier des Grund- oder Betroffene sind. rechts auf informationelle Selbstbestimmung und der Die eng am Wortlaut orientierte Auslegung der Vor- Informations- und Wissenschaftsfreiheit. Hinzu kommt schrift durch das Bundesverwaltungsgericht führte dazu, beim StUG allerdings, dass es keine thematisch beliebige dass die gesamte Regelung zu Personen der Zeitge- Verwendung von Unterlagen durch Forschung und schichte sowie Amts- und Funktionsträger leer lief. Sie Medien vorsieht, sondern lediglich eine, die der Aufarbei- betreffende Informationen konnten nur noch herausgege- tung der Tätigkeit des Staatssicherheitsdienstes oder der ben werden, wenn diese gleichzeitig Mitarbeiter oder nationalsozialistischen Vergangenheit dient. Diese (nicht Begünstigte des Staatssicherheitsdienstes waren, was für unumstrittene) Zweckbindung von Herausgabe und Ver- diese Kategorien ohnehin gilt, also auch die „normalen“ wendung von Informationen unterscheidet das StUG Mitarbeiter und Begünstigten trifft. Die Informationen zu grundsätzlich vom normalen Archivrecht.

298 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Auf der Grundlage unserer Rechtsauslegung war ein Historikern und Archivaren ist es geläufig, dass zeithi- aus meiner Sicht fairer und sachgemäßer Ausgleich zwi- storische Aufarbeitung auf Informationen zu diesen Per- schen dem Schutz von Persönlichkeitsrechten und den sonengruppen angewiesen ist. Die Verwendung solcher Aufarbeitungsinteressen gelungen. Diese Sichtweise wird Daten durch die Forschung und die Presse wird normaler- durch die Tatsache gestützt, dass die daraus folgende Her- weise von niemandem ernsthaft in Frage gestellt, doch bei ausgabepraxis meiner Behörde weder vom Bundestag, der der Stasi-Aufarbeitung scheiden sich offenbar die Geister. alle zwei Jahre einen Tätigkeitsbericht der Behörde entge- Nach Auffassung einiger teilweise nicht unmaßgeblicher gennimmt, noch von der Bundesregierung, die die Rechts- Politiker und Juristen, die sich an der Debatte beteiligt aufsicht über die Behörde ausübt, je beanstandet worden haben, sollen hier wegen des grundsätzlich rechtsstaats- war. Auch rechtliche Auseinandersetzungen über die widrigen Zustandekommens der Informationen völlig infragestehende Norm hatte es bis zur Klage des Altbun- andere Regeln gelten als sonst im Presse- und Archivrecht. deskanzlers nicht gegeben. Im Kern laufen die meisten dieser Positionen im Stasi- Die nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Akten-Kontext auf die datenschutzrechtliche Gleichstel- eingetretene Rechtslage war höchst unbefriedigend, weil lung von Personen der Zeitgeschichte, Amts- und Funk- die historische Aufarbeitung auf den Zugangsanspruch tionsträgern mit den „Normalbürgern“ hinaus. Sogar die auf die nunmehr versperrten Informationen angewiesen Verwendung von Informationen, die ausschließlich Amts- ist. Geschichte wird von Menschen gemacht und wenn handeln betreffen, wäre somit dem Erlaubnisvorbehalt der diese Menschen besondere Bedeutung erlangen, weil sie entsprechenden Amtsträger zu unterwerfen. Es steht staatliches Handeln prägen oder politischen Einfluss aus- außer Frage, dass solche Positionen, wenn man sie zu üben oder als Individuen aus anderen Gründen im öffent- Ende denkt, eine „informationelle Privatisierung öffentli- lichen Rampenlicht stehen, dann muss die zeitgeschichtli- cher Funktionen“ beinhalten und damit indirekt auch eine che Forschung diese Personen identifizieren können. Die- Infragestellung des „klassischen“ Archivrechtes bedeuten ser Grundsatz ist im Bereich des „klassischen“ Archiv- – vom Widerspruch zu den Grundsätzen des modernen rechts und im Presserecht unumstritten; im Zusammen- Informationsfreiheitsrechtes ganz zu schweigen. hang mit den Stasi-Unterlagen ist das leider nicht so. Per- Diese überwiegend mit verfassungsrechtlichen Argu- sonen der Zeitgeschichte, Amts- und Funktionsträger wie menten vertretenen restriktiven Positionen ignorieren normale „Betroffene“ und „Dritte“ zu behandeln, wird wichtige sachliche Gesichtspunkte: Sie basieren insbeson- teilweise mit dem Argument gerechtfertigt, dass alle glei- dere auf der Unterstellung einer datenschutzrechtlichen chermaßen „Opfer“ gewesen seien. Angesichts dieses Singularität des Stasi-Aktenbestandes. Rechtsstaatswidrig Missverständnisses ist es nötig, auf die Rechtsbegriffe zustande gekommene Unterlagen sind aber auch in ande- „Betroffene“ und „Dritte“ und die dahinter stehende ren Archiven überliefert. Die Akten der beispiels- historische Realität ausführlicher einzugehen. weise, der Geheimen Feldpolizei, des Reichssicherheits- Die Kategorien des „Betroffenen“ und „Dritten“ stam- hauptamtes und des Volksgerichtshofes sind denen, die men aus dem Datenschutzrecht; sie sind im StUG erforder- im MfS-Bestand überliefert sind, recht ähnlich. Dies gilt lich, weil auch dieses Gesetz über weite Strecken eine ebenso für andere DDR-Bestände: Niemand wird ernst- datenschutzrechtliche Materie regelt. Unter historisch- haft behaupten, die Aktenbestände der SED, des Innen- politischen Gesichtspunkten sind diese Begriffe jedoch und Justizministeriums, der DDR-Generalstaatsanwalt- gewissermaßen neutral, denn sie sagen über die reale schaft und ähnlicher Institutionen seien als Ganzes rechts- Rolle von Personen im zeithistorischen Geschehen nur staatskonform zustande gekommen. Gleichwohl handelt wenig aus. Den Personenkreis der „Betroffenen“ und es sich bei all diesen Akten um Unterlagen von hohem „Dritten“ pauschal als Opfer des Staatsicherheitsdienstes historischen Wert, die gerade für die Aufarbeitung des zu betrachten, nur weil es sich nicht um Mitarbeiter oder Wirkens dieser Institutionen und Organisationen unver- Begünstigte handelt, ist insbesondere hinsichtlich der zichtbar sind. Würde man in der zeithistorischen For- „Dritten“, zu denen im MfS Informationen aus den unter- schung grundsätzlich auf jede Verwendung von rechts- schiedlichsten Gründen lediglich „angefallen“ sind, nicht staatswidrig zustande gekommenen personenbezogenen sachgerecht. Das gleiche gilt in eingeschränktem Umfang Informationen verzichten, so würde man die historische auch für die „Betroffenen“, zu denen das MfS Informatio- Betrachtung von Diktaturen gewissermaßen „rechtsstaat- nen zielgerichtet erhoben hat. Selbst hohe DDR-Funktio- lich“ bereinigen. Dies hieße, ihre Herrschaftspraxis zu ver- näre können als „Betroffene“ in den Unterlagen auftau- harmlosen oder zumindest auf Konkretionen zu verzich- chen, wenn die Staatssicherheit sie aus den unterschied- ten. lichsten Gründen beobachtet hat; als „Dritte“ erscheinen Auch sind Informationen, die rechtsstaatswidrig von sie, wenn das MfS mit ihnen – und sei es nur indirekt – zu Geheimdiensten gesammelt werden, nicht per se daten- tun hatte. NVA-Kommandeure, Polizeioffiziere, Leiter schutzrechtlich „gefährlicher“ als Daten, die in anderen von Strafvollzugseinrichtungen, Justizkader, Parteifunk- Institutionen auf völlig korrekte Weise anfallen. So enthal- tionäre (man könnte diese Reihe fortsetzen) tauchen als ten die Akten von Krankenhäusern, Justizbehörden, „Betroffene“ oder „Dritte“ in den Akten auf, wenn sie Jugend-, Sozial- oder Finanzämtern Daten, deren Zweck- nicht (inoffizielle) Mitarbeiter oder Begünstigte des MfS entfremdung – bis hin zur unanonymisierten Veröffentli- waren – letzteres war eher Ausnahme als Regel. Mauer- chung – eine extreme Verletzung von Persönlichkeitsrech- schützen und ihre Vorgesetzten wurden zu „Betroffenen“, ten darstellen würde. Auf der anderen Seite enthalten wenn das MfS Todesfälle an der innerdeutschen Grenze Berichte von inoffiziellen Mitarbeitern und selbst so man- untersucht hat (was eine ihrer Aufgaben war). Und selbst ches Abhörprotokoll häufig ausgesprochene Banalitäten Top-Terroristen können in diese Kategorie fallen, wenn oder Informationen zu Sachverhalten, die die Persönlich- nicht ersichtlich ist, dass sie vom MfS in irgendeiner Form keitssphäre der beteiligten Personen nicht oder nur begünstigt wurden. geringfügig tangieren.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 299 Diese Informationen unbesehen einem Einwilligungs- ihres Amtes. Die Mehrheit der angehörten Experten plä- vorbehalt zu unterwerfen, würde einen auch verfassungs- dierte zwar für Streichung des problematischen Nachsat- rechtlich problematischen, weil unverhältnismäßigen Ein- zes („soweit sie nicht Betroffene oder Dritte sind“), der griff in die Informations- und Forschungsfreiheit bedeu- nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum ten. Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass der Gesetz- Leerlaufen der Norm geführt hatte, die Politik tat sich geber diesen Weg nicht gegangen ist. damit aber schwer. Bemerkenswert ist in diesem Zusam- Zu berücksichtigen sind bei dieser Frage auch der Zeit- menhang, dass neben anderen Juristen auch der Branden- ablauf und die Veränderung der Zeitumstände: Informa- burger Landesbeauftragte für Datenschutz, der sich dezi- tionen, die zu DDR-Zeiten in den Händen des MfS für die diert gegen eine Streichung von § 14 ausgesprochen hatte, betroffenen Personen eine Gefährdung darstellten, etwa der Auffassung war, dass auch eine simple Streichung die- solche zu oppositionellen Aktivitäten, sind heute zumeist ses Nachsatzes verfassungsrechtlich vertretbar sei, weil harmlos und in der Regel sogar ehrenvoll. Insofern ist die der Schutz der Persönlichkeitsrechte der betreffenden Per- in der Debatte der letzten Monate mehrfach aufgestellte sonen durch die Abwägungsklausel („soweit durch die Behauptung, durch die Verwendung von Informationen Verwendungkeine überwiegenden schutzwürdigen Inter- zu Personen der Zeitgeschichte und Amtsträgern in Aus- essen ... beeinträchtigt werden“) ausreichend gewährlei- übung ihres Amtes in der historischen Aufarbeitung wür- stet sei. den „Opfer ein zweites Mal zu Opfern gemacht“, abwegig. Der Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD und Bünd- Ohne die aufarbeitungsfreundliche Entscheidung des nis 90/Die Grünen ging dann über eine solche redaktio- Gesetzgebers wären auch Informationen unzugänglich nelle Minimalkorrektur deutlich hinaus. Die Zugangs- gewesen, die ohne spezifisch nachrichtendienstliche norm zu den Informationen zu Personen der Zeitge- Methoden erhoben wurden. Wie andere Nachrichten- schichte sowie Amts- und Funktionsträgern wurde im § 32 dienste hat das MfS auch allgemein bzw. relativ leicht in einem zusätzlichen Punkt neu gefasst und erhielt die zugängliche Informationen gesammelt. Es hat etwa inten- Einschränkung, „soweit es sich um Informationen han- siv die Westpresse ausgewertet und viele Informationen delt, die ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder auch auf offiziellem Wege, z. B. von anderen staatlichen Amtsausübung betreffen“. Hiermit war klargestellt, dass Stellen der DDR, erhalten. Außerdem war das MfS nach Informationen aus dem Bereich der Privatsphäre einer der DDR-Strafprozessordnung offizielles strafrechtliches Verwendung in jeden Fall verschlossen bleiben. Gleichzei- Untersuchungsorgan, also eine Ermittlungsbehörde. In tig wurde die Herausgabe offenkundiger Informationen dieser Funktion hat es auch „offiziell“ Informationen erho- von jeglichen Einschränkungen befreit. ben und nach dem Abschluss der entsprechenden Straf- Außerdem schrieb der rotgrüne Gesetzentwurf die verfahren alle Verfahrensakten – also auch diejenigen, die Benachrichtigung der von einer Herausgabe betroffenen in der Staatsanwaltschaft und im Gericht entstanden sind Personen der Zeitgeschichte sowie Amts- und Funktions- – an sich gezogen. Diese Archivierungspraxis der Staatssi- trägern fest (§ 32a), wie sie von meiner Behörde schon seit cherheit hat dazu geführt, dass sich die Unterlagen zur dem Frühjahr 2001 auf der Grundlage einer Verwaltungs- politischen Justiz der DDR ganz überwiegend in meiner richtlinie praktiziert wird. Damit sollte gewährleistet wer- Behörde befinden und damit den Regelungen des Stasi- den, dass die betroffenen Personen bei der Abwägung Unterlagen-Gesetzes unterliegen. schutzwürdiger Interessen durch meine Behörde ihre Der Novellierung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes ging Gesichtspunkte einbringen und so rechtzeitig über das im Frühjahr dieses Jahres eine heftige Debatte voraus, an Ergebnis der Abwägung unterrichtet werden, dass sie im der sich nicht nur Politiker, sondern auch Bürgerrechtler, Konfliktfall das Verwaltungsgericht anrufen können, Juristen, Journalisten, Historiker und Archivare beteilig- bevor die Information herausgegeben wird. Der Schutz ten. In zwei Anhörungen vor dem Innenausschuss des von Persönlichkeitsrechten ist hiermit in einem Maße Bundestages wurden zahlreiche Experten gehört. Die gewährleistet, der weit über das in normalen Archiven Öffentlichkeit verfolgte die Diskussionen mit außeror- gegebene hinausgeht. Die Benachrichtigung kann jedoch dentlichem Interesse. entfallen, wenn eine Beeinträchtigung schutzwürdiger Wenig umstritten war von Anfang an die Streichung Interessen nicht zu befürchten ist, die Benachrichtigung von § 14 StUG, der für „Betroffene“ und „Dritte“ die Mög- nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich wäre lichkeit eröffnet hätte, ab 1. Januar 2003 Informationen zu oder gar nicht möglich ist, weil der Betroffene zum Bei- ihrer Person im Original anonymisieren bzw. löschen zu spiel verstorben ist. lassen. Diese Regelung war von Bürgerrechtlern, Histori- Obwohl dieser Gesetzentwurf mit der Zustimmung der kern und Archivaren kritisiert worden, weil sie zu einer Regierungsfraktionen über eine Mehrheit im Bundestag Verstümmelung der Originalakten geführt hätte. Vertei- verfügte, war die Novellierung nicht gesichert: Mit einem digt wurde die Vorschrift dagegen von Datenschützern, Einspruch im Bundesrat bzw. einer Verweisung des Geset- die einen solchen Löschungsanspruch vor dem Hinter- zes an den Vermittlungsausschuss wäre das Gesetz aus grund des Grundrechtes auf informationelle Selbstbestim- Fristgründen in der laufenden Legislaturperiode nicht mung als legitim bezeichneten. Es war eher erstaunlich, mehr zustande gekommen und damit verfallen. In letzter dass dieser Punkt im parlamentarischen Raum zu keinem Minute erfolgte jedoch noch eine Einigung mit der FDP- Zeitpunkt kontrovers diskutiert wurde – alle Parteien Bundestagsfraktion. Daraufhin enthielten sich einige der sprachen sich für eine ersatzlose Streichung der Vorschrift liberal mitregierten Länder im Bundesrat, und das Gesetz aus. konnte in Kraft treten. Sehr viel schwieriger gestaltete sich dagegen die Wie- Die FDP-Fraktion stimmte zu, nachdem meine Behörde derherstellung des Zugangs von Forschung und Medien im § 32 StUG ausdrücklich verpflichtet wurde, bei der zu Informationen zu Personen der Zeitgeschichte, politi- Abwägung schutzwürdiger Interessen zu berücksichti- schen Funktionsinhabern und Amtsträgern in Ausübung gen, „ob die Informationserhebung erkennbar auf einer

300 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Menschenrechtsverletzung beruht“. Das ist nichts grund- die etwa auf der Verletzung des Brief-, Post- und Fernmel- sätzlich Neues, weil der Rechtsbegriff der „überwiegen- degeheimnis beruhen, besteht jetzt eine hohe Hürde – den schutzwürdigen Interessen“, der ja auch im alten zumal wenn diese Personen noch leben und im Zuge des Gesetzestext schon verankert war, diese Berücksichtigung Benachrichtigungsverfahrens zu erkennen geben, dass sie schon impliziert. Doch durch den Wortlaut des neuen mit einer Herausgabe nicht einverstanden sind. Die Ein- Gesetzes wird das Gewicht erhöht, den die Art der Infor- schränkungen, die sich hieraus für die Forschung ergeben, mationserhebung bei der Abwägung der Herausgabefä- sind aber durchaus hinnehmbar, wenn man in Rechnung higkeit von Informationen hat. Für die Herausgabe von stellt, dass Informationen dieser Art in anderen Archiven Informationen auch über die zeitgeschichtliche Rolle oder auch nur im Ausnahmefall zur Verfügung stehen. das funktions- und amtsbezogene Handeln von Personen,

Tabu oder Rettungsanker? Dokumentationspläne als Instrument archivischer Überlieferungsbildung Von Robert Kretzschmar

He’s a real Nowhere Man, wenn der Fortgang der Diskussion erneut von unnötigen sitting in his Nowhere Land, Polarisierungen und wenig förderlichen Lagerbildungen – making all his Nowhere plans for nobody. womöglich wieder unter Rekurs auf die Kategorien „staat- Doesn’t have a point of view, knows not where he's going to, lich“ und „kommunal“ – beeinträchtigt würde. Vielmehr isn’t he a bit like you and me? erscheint es sinnvoll, auf der Grundlage kontinuierlicher ... Reflexion über die Ziele und Methoden archivischer Über- He’s as blind as he can be, lieferungsbildung ergebnisoffen und praxisorientiert ein- just sees what he wants to see, zelne Ansätze und Hilfsmittel zu erproben, um die gewon- Nowhere Man can you see me at all? nenen Erfahrungen dann zu evaluieren. Dies gilt auch für (Lennon-McCartney 1965) das Thema „Dokumentationsplan“. Im Folgenden möchte Die Bewertungsdiskussion der neunziger Jahre hat sich in der Verfasser zeigen, dass es sich hierbei um ein Instru- einem Rückgriff auf ältere Literatur intensiv mit den Über- ment handelt, das weder von vorne herein als Tabu zu legungen sowohl von Theodore R. Schellenberg als „brandmarken“ ist, noch um den lang ersehnten Ret- auch von Hans Booms auseinander gesetzt.1 Nachdem in tungsanker, der nun alle Probleme archivischer Überliefe- letzter Zeit eine gewisse Beruhigung in der Debatte einge- rungsbildung zu lösen vermag. treten war, wurde die Diskussion über den Wert von Dokumentationsplänen, wie sie von Hans Booms ange- dacht wurden,2 jüngst wieder entfacht: Peter K. Weber Gegenstand und Ziel der Bewertung: Überreste hat in dieser Zeitschrift engagiert für die Entwicklung und Anwendung solcher Dokumentationspläne plädiert.3 Rückblickend kann man konstatieren, dass die „neue” Rein terminologisch sind Vorbehalte gegenüber dem Bewertungsdiskussion sich insgesamt fruchtbar auf den Begriff „Dokumentation“ unberechtigt. Archivgut ist Arbeitsbereich der Überlieferungsbildung, seine theoreti- Dokumentationsgut. Unterlagen dokumentieren Entschei- sche Grundlegung und die Entwicklung von Instrumenta- dungen und Handlungen, Abläufe und Ereignisse, gesell- rien ausgewirkt hat. Sie litt allerdings bald an einer zu star- schaftliche Prozesse und Phänomene – und vieles andere ken Polarisierung und unter dem Austausch zunehmend mehr. Und nicht zuletzt: In Archiven liegen Dokumente. stereotyp vorgetragener Argumente. Als weiterführend Warum also Dokument, dokumentieren, Dokumentation, haben sich dagegen Versuche in der Praxis erwiesen, Dokumentationsgut als „terminologische Unschärfen“5 durch Kooperation Lösungen zu finden.4 Es wäre schade, zum Tabu erklären? Sieht man von dem wichtigen Bereich der Ergänzungs- 1 Robert Kretzschmar: Die „neue archivische Bewertungsdiskussion“ dokumentation ab, so entsteht archivische Dokumenta- und ihre Fußnoten. Zur Standortbestimmung einer fast zehnjährigen tion allerdings nicht, indem Archivare auf die Suche nach Kontroverse. In: Archivalische Zeitschrift 82 (1999) S. 7–40. Belegen für Geschehenes gehen, das sie für wichtig halten. 2 Hans Booms: Gesellschaftsordnung und Überlieferungsbildung. Zur Problematik archivischer Quellenbewertung. In: Archivalische Zeitschrift Archivgut fällt in die Kategorie der Überreste. Bei der 68 (1972) S. 3–40. Bewertung überprüft der Archivar existente oder zukünf- 3 Peter K. Weber: Dokumentationsziele lokaler Überlieferungsbildung. tig entstehende Überreste auf ihre Aussagekraft, um eine In: Der Archivar 54 (2001) S. 206–212; vgl. auch Peter K. Weber: Archivi- sche Bewertung aus kommunalarchivischer Sicht. Ein Plädoyer für mehr Entscheidung über den Erhalt zu treffen. So wie der Denk- Transparenz und Effizienz. In: Unsere Archive. Mitteilungen aus rheinland- malschützer darüber befindet, ob ein Gebäude als Über- pfälzischen und saarländischen Archiven 45 (2000) S. 23–30, hier besonders rest stehen bleiben soll oder abgerissen werden darf. S. 29 f. – Verwiesen sei hier auch auf den vorab im Internet publizierten Beitrag von Jürgen Treffeisen: Erste Überlegungen zum Sinn (und Unsinn) von Dokumentationsprofilen angeregt durch die Analyse von 5 Angelika Menne-Haritz: Archivierung oder Dokumentation – Termi- Prozessakten der Gerichtsbarkeit. In: forum-bewertung.de. nologische Unschärfen in der Bewertungsdiskussion. In: Andrea Wett- 4 Robert Kretzschmar: Archivübergreifende Bewertung. Zum Ertrag mann (Hg.): Bilanz und Perspektiven archivischer Bewertung (Veröf- einer Tagung. In: Der Archivar 54 (2001) S. 284–290. fentlichungen der Archivschule Marburg 21). 1994, S. 223–235.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 301 Natürlich ist Bewertung als Prozess, bei dem darüber ent- Gesellschaft im jeweiligen Zeitabschnitt dokumentieren. schieden wird, wozu die Möglichkeit der Erinnerung Je diffiziler es dem Archivar gelingt, die gesellschaftliche bewahrt werden soll, selbst ein Stück weit Tradition. Das Relevanz dieser historischen Phänomene nach dem unter- ist schon durch das Auswahlverfahren als solches gege- schiedlichen Grad des Charakteristischen, Typischen, Fol- ben, das liegt in den Begriffen „Bewertung“ und „Überlie- genreichsten zu differenzieren, umso mehr wird er in sei- ferungsbildung“. Das Ziel dieses Prozesses aber kann nem Überlieferungsmodell ein Bedeutungsgefälle der nicht darin bestehen, Belege für Bekanntes zu sichern. Es gesellschaftlichen Phänomene erhalten, zu dem er ein geht vielmehr darum, die Aussagekraft bzw. die „Abbild- Wertgefälle seiner Überlieferungskomplexe in Kongruenz qualität“ von Überresten zu bestimmen, um diese als setzen kann. Der Archivar, der einen solchen konkreten Überrest zu erhalten. Gegenstand und Ziel archivischer Dokumentationsplan besitzt, verfügt im Wertbezugsver- Bewertung sind Überreste. Der Archivar fragt: Was ist in fahren über einen Leitwert, der ihn in der Fülle des Über- Unterlagen für eine potentielle Auswertung dokumen- lieferungsstoffes präzise orientiert. Dieser Archivar weiß tiert? Was spiegelt sich darin? Unter reziproker Anwen- auch, welche Informationsgehalte aus dem insgesamt dung von Grundprinzipien der Quellenkritik geht er erfassten, übersichtlich aufbereiteten und aus Gründen dabei vom Entstehungszweck der potentiellen Quelle aus, der Administration mehr oder minder lang zwischenar- von ihrem prozessualen bzw. kommunikativen Kontext.6 chivisch aufbewahrten Informationsstoff er zur endgülti- Jeder problembewusste Archivar wird sich dabei – so gen Überlieferungsbildung auszuwählen hat. Es bedarf systematisch und methodisch fundiert er auch vorgehen dann im Wesentlichen nur noch der archivarischen Prü- wird – seiner persönlichen „Beschränktheit“, vor allem fung, welche Informationsträger – unangesehen ihrer Pro- seiner zeitgebundenen „Blindheiten“ bewusst sein. Er venienz – für das jeweilige Dokumentationsbedürfnis die weiß, dass Überlieferungsbildung als wissenschaftliche optimale Dokumentationskraft besitzen, damit ein Doku- Betätigung den Geisteswissenschaften zuzuorden ist, dass mentationsmaximum mit einem jeweiligen Dokumenta- es keine absoluten Bewertungskriterien geben kann. Mit tionsminimum erzielt wird.“8 dem Begriff der „offenen Quelle“, die für vielfältige Frage- Dieselbe Kongruenz zwischen Dokumentationsziel stellungen heranziehbar ist, wird dies auf den Punkt und Dokumentationsträger liegt auch den in der ehemali- gebracht: Der Begriff stellt in Rechnung, dass manche gen DDR entwickelten Ansätzen zugrunde. Zitieren wir Frage bei der Bewertung noch unentdeckt bleiben mag – hierzu Reinhard Kluge: „Unter Dokumentationsprofil nicht zuletzt weil sie erst aus dem Denken einer späteren verstehen wir im Archivwesen die Gesamtheit der histori- Zeit heraus gestellt werden kann. Der „Wert“ von Unterla- schen Tatsachen, die in Abgrenzung zu anderen Doku- gen ist nicht nach mathematischen Formeln zu berechnen. mentationsbereichen (Bibliotheken, Museen) optimal mit Er ist vielschichtig, zumindest in Teilen auch nicht vorher- Archivgut zu belegen sind. Mit Hilfe des Dokumenta- sehbar. Dies liegt im Wesen des Überrests: „Was die Archi- tionsprofils werden aus der Flut der Erscheinungen des vare vorfinden als Stoff der Überlieferung, sind überwie- gesellschaftlichen Lebens diejenigen Ereignisse, Prozesse, gend Spuren, Abdrücke, Überreste menschlichen Den- Strukturelemente sowie deren wesentliche Merkmale und kens, Wollens, Handelns und Erleidens – widersprüchlich, Seiten, kurz gesagt, jene historischen Fakten ausgewählt, unvollständig, vielfältig deutbar.“ Besser als Siegfried die wegen ihrer geschichtlichen Bedeutung dokumentie- Büttner kann man es kaum sagen.7 rungswürdig sind. Das Dokumentationsprofil soll und Dokumentationspläne im herkömmlichen Verständnis kann keine historische Forschung und Darstellung vor- aber zielen auf Tradition im engeren Sinne. Sie sollen wegnehmen oder ersetzen. Seine Aufgabe besteht viel- sicherstellen, dass zu den „richtigen“ Fragen und Themen mehr darin, in kurzer Form eine Übersicht dieser mit die „richtigen“ Quellen aufbewahrt werden. Sie ignorie- Archivgut zu belegenden historischen Tatsachen zu ren die Vielschichtigkeit, Mehrdeutigkeit und auch die geben.“9 Offenheit von Archivgut als Überrest. Sie wurden erdacht, Bei den hier beschriebenen Ansätzen ist festgelegt, was um formalisiert mittels linearer Zuordnungen die histori- es zu dokumentieren gilt, bevor die Überlieferung sche Relevanz von Geschehenem eins zu eins zu setzen betrachtet wird. Der Archivar geht auf die Suche nach mit dem Überlieferungsträger. Ausgangspunkt jeder Belegen. Er sichert Fußnoten, nicht auswertbare Überreste. Bewertung ist dann der Dokumentationsplan, der Neues, Unerwartetes wird er bei der Autopsie von Unter- zunächst unabhängig von der Überlieferung aufgestellt lagen nicht entdecken. Er ordnet nach Pertinenz zu – wie wird. der Archivar des 19. Jahrhunderts im Generallandesarchiv Lassen wir Booms selbst sprechen: „In dieserart Doku- Karlsruhe bei der Ordnung und Erschließung seiner mentationsplänen lässt sich fast exakt festlegen, welche Bestände.10 Dies wird dem Überrestcharakter von poten- Ereignisse, Handlungen, Unterlassungen, Entwicklungen tiellem Archivgut als Gegenstand der Bewertung in all sei- wesentlich sind, was für den betreffenden Aus- und ner Vielschichtigkeit und Mehrdimensionalität, die es Abschnitt charakteristisch ist. Überlieferungswürdig wer- beim Bewerten zumindest zum Teil erst zu erkunden gilt, den dann diejenigen Informationsträger, die diese wesent- nicht gerecht. Vom Ansatz her ist es eben ein Unterschied, lichen Strebungen und Gegenstrebungen der jeweiligen ob man die Akten eines Gesundheitsamts zur Schulge- sundheitspflege aus der unmittelbaren Nachkriegszeit 6 Carsten Müller-Boysen: Das Archiv als „Informationsrecycling“. Gedanken zur Neudefinition archivischer Arbeitsfelder. In: Udo Schä- fer, Nicole Bickhoff (Hg.): Archivierung elektronischer Unterlagen 8 Booms (wie Anm. 2) S. 38 f. (Werkhefte der staatlichen Archivverwaltung Baden-Württemberg A 13). 1999. 9 Reinhard Kluge: Das Dokumentationsprofil – Schlüssel zur positiven S. 16 f. Auswahl von Dokumenten als Archivgut. In: Archivmitteilungen 3 (1979) 7 Siegfried Büttner: Ressortprinzip und Überlieferungsbildung. In: Aus S. 99. der Arbeit der Archive, Beiträge zum Archivwesen, zur Quellenkunde 10 Hansmartin Schwarzmaier: Die Einführung des Provenienzprinzips und zur Geschichte, Festschrift für Hans Booms. Hg. von Friedrich P. im Generallandesarchiv Karlsruhe. Zu den gedruckten Übersichten der Kahlenberg (Schriften des Bundesarchivs 36). Boppard 1989. S. 160. Karlsruher Archivbestände. In: Der Archivar 43 (1990) Sp. 347–360.

302 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 aufbewahrt, weil man darin aussagekräftige Spuren zur Besteht dann aber Grund, sich mit „Dokumentations- Ernährungslage erkannt hat, oder ob man auf die Suche plänen“ als denkbaren Instrumentarien archivischer nach solchen Akten geht, weil man so etwas archivisch Bewertung auseinander zu setzen, wie dies Volker Scho- belegen möchte, nachdem man es vorab als Dokumenta- ckenhoff15 seit längerem gefordert hat? Kann man sich tionsziel festgelegt hat.11 Wer wollte sich je alle denkbaren Weber anschließen, „dass das durchaus vor allem in der Fragen und Themen in ihren Bezügen zu Überlieferungs- ehemaligen DDR nicht unbekannte Modell Dokumenta- trägern bewusst machen? Wo soll man dann aufhören, tionsprofil ebenso wie der Dokumentationsplan von Hans noch weiter mögliche Dokumentationsziele zu ersinnen, Booms von einer Serienreife noch weit entfernt sind, aber denen es im nächsten Schritt archivalische Quellen zuzu- durchaus eine konstruktive Rezeption verdienen“?16 ordnen gilt? Wer die Anträge auf Nutzung durchsieht, die heute täglich in einem Staatsarchiv zu genehmigen sind, wird rasch merken, wie vielfältig, wie wenig voraussagbar die Fragestellungen der Nutzer sind. In der Praxis sind Sensibilisierung und Gegenkontrolle umfassende Dokumentationspläne mit linearen Zuord- nungen nicht umzusetzen. Und dies schon gar nicht, wenn man wie Weber zu Recht Vorbehalte gegenüber Bewer- Ich meine trotz des vorher Gesagten: ja, allerdings nur, tungsverfahren hegt, die allzu schematisch sind und bei wenn man die Betonung auf das Wort „konstruktiv“ legt einer „ferndiagnostischen und makrooptischen Werter- und das Instrumentarium „Dokumentationsplan“ in mittlung behördlichen Handelns“ grundsätzlich auf die einem wesentlich weiteren Sinne versteht, der sich mit Sichtung der Überlieferung verzichtet.12 Wenn im lokalen dem Charakter von Archivgut als Überrest in Einklang Bereich die Autopsie für die Bewertung konstitutiv ist und bringen lässt. Die Richtung hat Hans Booms selbst aufge- „dem Einzeldokument nach wie vor erhöhte Aufmerk- zeigt, der sich 1999 noch einmal in einem kritischen Rück- samkeit gebührt“13, dann ist die Operationalisierung von blick zu seinen früheren Überlegungen geäußert hat. Dokumentationszielen mit direkten Zuordnungen von Booms hat dabei seinen Vorschlag eines von Gremien auf Zielen und evaluierten Überlieferungen kaum möglich. der Grundlage der veröffentlichten Meinung erstellten Dokumentationspläne können angesichts der Viel- Dokumentationsplans als Ausgangspunkt archivischer schichtigkeit und Mehrdimensionalität potentiellen Bewertung nicht weiter verfolgt. Vielmehr hat er – stark Archivguts nicht der Ausgangs- und Ansatzpunkt der relativierend und modifizierend – als Hilfsmittel der Bewertung sein, von dem aus sich jedes weitere Vorgehen Bewertung die Erstellung einer „Zeitchronik“ angeregt, herunterbrechen lässt. Dies ist wohl auch als Grund anzu- „die aus der Aneinanderreihung wichtiger Daten aus der sehen, dass sich entsprechende Verfahren bisher in der Entstehungsphase des zu bewertenden Schriftguts 17 Praxis nicht als tragfähig erwiesen haben. Die Dokumen- besteht.“ Und er fährt dann fort: „Diesem ersten Schritt tationsprofile der ehemaligen DDR wurden ihrer Basis in der Vorbereitung der archivischen Bewertung hat sofort durch den Wegfall der zugrunde gelegten „Leitwerte“ ent- ein zweiter zu folgen: Die Analyse der Verwaltungsstruk- zogen, was – ohne diesen Punkt hier zu vertiefen – sehr tur des Archivträgers zur Entstehungszeit der zu bewer- viel aussagt über die Tragfähigkeit der von Hans Booms tenden Akten, um eine Aufgabenchronik der einzelnen vorgeschlagenen Orientierung an der veröffentlichten Behörden zu erhalten, von denen die zu bewertenden Meinung bei der Bestimmung von „Leitwerten“ für die Akten stammen. Diese Aufgabenchronik ist in kürzeren Überlieferungsbildung. Und in der Bewertungspraxis der Abständen zu überprüfen oder neu zu erstellen; denn z. B. Bundesrepublik haben Dokumentationspläne bislang – es in der Bundesrepublik wandern zumindest bei jeder sind nun exakt 30 Jahre seit der Veröffentlichung von Regierungsneubildung Kompetenzen, werden Zuständig- Booms vergangen – kaum eine Rolle gespielt. Vielmehr keiten und damit Aufgaben von einem Ressort zum ande- haben sich in den letzten Jahrzehnten andere Vorgehens- ren verschoben. Ich benötige als Archivar jedoch die weisen durchgesetzt. Ansatz- und Ausgangspunkt der zutreffende Aufgabenanalyse, da ich mit ihrer Hilfe den Bewertung ist bei ihnen die Überlieferung selbst – sei sie Weg von den Dokumentationsbedürfnissen in der Zeit- existent, sei sie im Entstehen – in ihrem prozessualen und chronik zum Schriftgut hinfinde. Das heißt, und das ist kommunikativen Kontext. Entweder analysiert man offenbar 1972 nicht deutlich genug geworden, ich brauche Unterlagen, oder aber man betrachtet komplexe Aufga- zur Vorbereitung der Bewertung den sofortigen Übergang benbereiche im Zusammenhang, letzteres aber stets unter von der inhaltlichen Identifikation historischer Tatbe- Einbeziehung der Überlieferung. Nur ein solches Vorge- gaben und Zuständigkeiten von Provenienzen bewertet werden, ohne hen wird dem Charakter von Archivgut als Überrest die Aussagekraft der von ihnen erzeugten Unterlagen zu überprüfen. 14 gerecht. Auch hier werden, wenn man dies genau durchdenkt, lineare Zuord- nungen zwischen Dokumentationszielen und Registraturgut vorgenom- men. Zu PIVOT vgl. zuletzt J. Hanno de Vries. Die PIVOT-Methode. In: Mechthild Black-Veldtrup, Ottfried Dascher und Axel Koppetsch (Hg.): Archive vor der Globalisierung? (Veröffentlichungen der staatlichen 11 Vgl. Weber, Dokumentationsziele (wie Anm. 3) S. 207 Anm. 8. Archive des Landes Nordrhein-Westfalen E 7). 2001, S. 297–307. 12 Ebenda S. 211. – Der Verf. möchte betonen, dass er auf die Grenzen und 15 Volker Schockenhoff: Nur keine falsche Bescheidenheit. Tendenzen Gefahren von Archivierungsmodellen wiederholt aufmerksam gemacht und Perspektiven der gegenwärtigen archivarischen Bewertungsdiskus- hat; vgl. z. B. Robert Kretzschmar: Regeln und standardisierte Verfah- sion in der Bundesrepublik. In: Archivistica docet. Beiträge zur Archiv- ren für die Überlieferungsbildung? Zur Komplexität des Bewertungs- wissenschaft und ihres interdisziplinären Umfelds. Hg. von Friedrich vorgangs. In: Karsten Uhde (Hg.): Qualitätssicherung und Rationalisie- Beck, Wolfgang Hempel und Eckart Henning (Potsdamer Studien 9). rungspotentiale in der Archivarbeit (Veröffentlichungen der Archivschule Potsdam 1999, S. 91–111. Marburg 27). 1997, S. 191 ff. 16 Weber, Dokumentationsziele (wie Anm. 3) S. 209. 13 Weber, Dokumentationsziele (wie Anm. 3) S. 211. 17 Hans Booms: Überlieferungsbildung. Archivierung als eine soziale und 14 Aus der Sicht des Verfassers bleibt die Sichtung der Überlieferung selbst politische Tätigkeit. In: Archivistica docet (wie Anm. 15) S. 77–89, hier unverzichtbar. So erscheint ihm auch das Vorgehen in den Niederlanden S. 86. Bei dem Aufsatz handelt es sich um die deutsche Übersetzung problematisch, bei dem im Rahmen des PIVOT-Projekts nur die Auf- eines 1991/92 veröffentlichten Vortrags in englischer Sprache.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 303 stände, Pertinenzen, zur Provenienz und ihren Funktio- menhang ist für mich aber, dass ich heute, fast 20 Jahre spä- nen. Archivische Wertung kann methodisch allein nur auf ter, an dem damals entworfenen fest umrissenen Doku- der Basis der Provenienz und im Rahmen der Provenienz mentationsplan nicht länger festhalten kann und mag. Er vollzogen werden. [...] Und historische Fragestellung ist war halt auch ein Kind der Planungseuphorie jener Jahre, einem unaufhörlichen Wandel unterworfen. Deshalb ist die den Eintritt der Menschheit in das Informationszeital- die Provenienz die unaufhebbare Basis im Bewertungs- ter verkündete, und in der die Kybernetiker nicht nur den prozess. Auch die Kompetenzanalyse ist schriftlich zu Archivaren den Aufprall einer Springflut von Informatio- fixieren und später den Findmitteln beizufügen, denn bei nen prophezeiten.“20 der Beratung eines Benutzers besteht ja die Aufgabe des Reduziert man den Zweck des von Booms vorgeschla- Archivars darin, dessen Sachfragen umzusetzen in Ver- genen Dokumentationsplans – so wie er es hier selbst waltungskompetenzen, um die Provenienzen zu ermit- rückblickend getan hat – auf die Notwendigkeit, sich teln, in denen das gewünschte Quellenmaterial steckt.“18 gezielt und formalisiert die jüngste Vergangenheit und die Was Booms hier beschreibt, ist im Grunde nichts ande- unmittelbare Gegenwart zu vergegenwärtigen, um als res als das oben angedeutete Vorgehen, das sich während Archivar den Anforderungen der Bewertung in seinem der letzten Jahrzehnte in weiten Bereichen der Archiv- Zuständigkeitsbereich gewachsen zu sein, ist dagegen landschaft durchgesetzt hat und etwa im Projekt „Hori- überhaupt nichts mehr einzuwenden. Der Dokumenta- zontale und vertikale Bewertung“ der Staatlichen Archiv- tionsplan wäre dann ein Hilfsmittel, das der Sensibilisie- verwaltung Baden-Württemberg19 praktiziert wird. Vor- rung dient, und nicht mehr – was eben aus den oben geschaltet ist lediglich – und zwar ausdrücklich als „erster genannten Gründen völlig verfehlt wäre – der Ansatz- Schritt in der Vorbereitung“ der archivischen Bewertung – und Ausgangspunkt einer jeden Bewertung. Nicht mehr die Erstellung der „Zeitchronik“. Die eigentliche Bewer- die lineare Zuordnung von Dokumentationsziel und tung setzt somit nun auch bei Booms bei der Provenienz Überlieferung, auf deren grundsätzliche Problematik an, bei der Analyse von Zuständigkeiten, bei der Überlie- angesichts der Mehrdimensionalität von Archivgut auch ferung selbst. Weber hingewiesen hat,21 wäre dann sein Zweck, sondern Nun sollten fachlich kompetente Archivare das, was die Vergegenwärtigung historisch einschneidender Ereig- Booms als Zeitchronik definiert, mehr oder weniger im nisse sowie zeittypischer Entwicklungen, Phänomene und Kopf haben. Dennoch ist an dem Gedanken von Booms Probleme im jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Ob man etwas dran. Denn sicher ist es notwendig, dass sich der ein solches Hilfsmittel wie Weber als „Dokumentations- bewertende Archivar weitestmöglich Themen und Frage- plan“ bezeichnet, als „Problemkatalog“, wie seinerzeit stellungen der jüngsten Zeit zur Vorbereitung und im Rah- Haase vorschlug,22 in Anlehnung an Booms als „Zeitchro- men seiner Arbeit auch gezielt (!) bewusst macht und in nik“, als (was dem Verfasser am besten gefallen würde) seinem Hinterkopf bewahrt. Nur dann wird er hinrei- „Katalog zeittypischer Phänomene und Probleme“ oder chend sensibilisiert sein, potentielle Auswertungsmög- was auch immer, das ist dann letztendlich einerlei. Ent- lichkeiten in Unterlagen zu entdecken. Dies versteht sich scheidend ist, dass ein jeder, der mit einem solchen Kata- im Grunde von selbst, muss aber angesichts von rein for- log arbeitet, sich dessen bewusst ist, dass er in Analogie malen Ansätzen der neueren Bewertungsdiskussion zur Offenheit des Überrests Archivgut offen sein muss betont werden, bei denen die inhaltliche Dimension und per se der kontinuierlichen Reflexion bedarf. Bewer- negiert wurde. Solche Ansätze waren es ja auch, die in den tung ist ein dynamischer Prozess. neunziger Jahren den Rekurs auf die Überlegungen von Von Nutzen könnten solche Kataloge für einen jeden Hans Booms provoziert haben – bemerkenswerterweise sein, der bewertet – in welcher Zuständigkeit auch immer. zu einem Zeitpunkt, als Booms selbst seinem Dokumenta- Vorgeschaltet oder parallel zum eigentlichen Bewertungs- tionsplan bereits „abgeschworen“ hatte. Denn Booms vorgang könnten sie der Sensibilisierung und Gegenkon- hatte schon 1991 auf einem Kolloquium an der Humboldt- trolle des Bewertenden dienen. Worauf soll er in bestimm- Universität ausgeführt: „Man hat jüngst unterstellt, ich ten Zeitstellungen unter Berücksichtigung seiner archivi- hätte mit dem von mir vorgeschlagenen ‚Dokumenta- schen Zuständigkeit besonders achten? Welche Bereiche tionsplan‘, ebenso wie man es in der DDR versucht habe, hat er im Zuge seiner Überlieferungbildung bereits abge- die Explikation komplexer menschlicher Wertvorstellun- deckt? Wo sind Lücken? Wie könnten diese Lücken gen angestrebt. Dagegen möchte ich doch feststellen, dass geschlossen werden? Durch Ergänzungsdokumentation? mein Dokumentationsplan nichts anderes bewirken sollte, Durch Überlieferungen im Zuständigkeitsbereich eines als reale Bezüge zum historisch gewordenen zeitgenössi- anderen Archivs oder einer weiteren Institution, die Über- schen Geschehen der Aktenentstehungszeit herzustellen, reste sichert? Ohne dies hier zu vertiefen: hier könnte der und dass er nicht komplexe Wertvorstellungen konstruie- ren wollte, wie Ideologie und Philosopheme sie hervorzu- bringen sich bemühen. Wesentlicher in diesem Zusam-

18 Ebenda S. 87. 19 Robert Kretzschmar: Gespräche in der Behörde, Autopsie am Regal, Abstimmung in Gremien. Zur Bewertungspraxis der Staatsarchive in Baden-Württemberg bei aktuellen Projekten. In: Black-Veldtrup (wie Anm. 14) S. 229–247. – Zu einem sehr plausiblen Bewertungsprojekt mit einem vergleichbaren Ansatz, das die staatlichen Archive in Nordrhein- 20 Archivmitteilungen 41 (1991) S. 129 f. Es handelt sich hierbei um den Westfalen soeben in erstaunlich kurzer Zeit erfolgreich abgeschlossen Abdruck eines Diskussionsbeitrags zu einem Vortrag von Angelika haben, vgl. nunmehr Ingeborg Schnelling-Reinicke unter Mitarbeit Menne-Haritz. von Annette Hennigs und Gisela Fleckenstein: Bewertungsmodell 21 Weber, Dokumentationsziele (wie Anm. 3) S. 211. für das Schriftgut der nordrhein-westfälischen Bezirksregierungen – 22 Carl Haase: Studien zum Kassationsproblem. In: Der Archivar 29 (1976) Abschlussbericht der Arbeitsgruppe. In: Der Archivar 55 (2002) S. 19–24. Sp. 189–191.

304 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Ansatz liegen für eine stimmige, zielgerichtete und auch ständigung über Dokumentationsziele unverzichtbar ist,30 wirklich praktizierbare „documentation strategy“.23 was sich mit den Überlegungen des Verfassers völlig Und dies führt zu einem Weiteren, wozu ein solcher deckt. Überhaupt kann der Verfasser auch unter der Prä- Fragen- und Themenkatalog eventuell von Nutzen wäre. misse der hier vorgenommenen, bewusst zugespitzten Er könnte zur Diskussion gestellt werden – unter Kollegin- Verständnisklärungen den Anregungen Webers weitge- nen und Kollegen und darüber hinaus. Der Verfasser hat, hend zustimmen. Denn auch Weber strebt ja keineswegs und dies stets ganz bewusst unter positiver Bezugnahme eindimensionale, als solche nicht realisierbare Zuordnun- auf Booms24, wiederholt darauf aufmerksam gemacht, gen an. Auch ihm geht es im Wesentlichen um die schriftli- dass auf der Grundlage eines ganzheitlichen Ansatzes für che Fixierung von „Wertmaßstäben“, um „nützliche die Bewertung in der Archivwelt ein stärkerer Diskurs Bezugspunkte zum Erkennen des unbedingt Dokumenta- geführt werden muss25 – zum einen über getroffene tionswürdigen“ – und nicht um den Anspruch, jedwedes Bewertungsentscheidungen (um der Bewertung mehr Forschungsinteresse zu antizipieren. Was er verfolgt, ist Transparenz zu verleihen)26, zum anderen mit dem Ziel ein „Kommunaler Bewertungskatalog [...], der Hand- einer abgestimmten Priorisierung, um sich im Zuge einer lungskorridore öffnet, aber keinesfalls a priori ortsgebun- systematischen und zielgerichteten „Überlieferungsbil- dene archivarische Entscheidungsprozesse ersetzen dung im Verbund“ darauf zu verständigen, welche Prove- kann.“31 nienzen angesichts beschränkter Ressourcen vorrangig zu Und in der Tat: „Dokumentationspläne“ im beschriebe- bearbeiten sind. 27 Er hat in diesem Zusammenhang auch nen Verständnis als stets erweiter- und modifizierbares angeregt, in diesen Diskurs die Forschung, den potentiel- Instrumentarium zur Sensibilisierung und Gegenkon- len Nutzer, kurzum: die Öffentlichkeit stärker einzubezie- trolle könnten eine wichtige Rolle in einem archivüber- hen, wie dies, sicher einen Schritt weitergehend, vor kur- greifenden Diskurs spielen, wie ihn der Verfasser angeregt zem auch Clemens Rehm gefordert hat.28 Und nicht hat. In einem solchen Diskurs hätte man sich inhaltlich mit zuletzt hat er dafür plädiert, zur Sicherung gefährdeter der – und dieser 1972 von Booms aufgegriffene Begriff ist Unterlagen aus dem nichtstaatlichen Bereich archivüber- keineswegs veraltet – „gesellschaftlichen Relevanz“ greifend geeignete Strategien zu entwickeln.29 Weber hat dessen auseinander zu setzen, was in archivischen Über- nun unter Bezugnahme auf den Verfasser angemerkt, dass lieferungen greifbar (oder nach dem zuvor Gesagten viel- im Rahmen eines solchen ganzheitlichen Ansatzes die Ver- leicht besser:) erkennbar ist. Eine kollektive Reflexion zum Beispiel darüber, welche Provenienzen aufgrund der Inhalte, die sie zwangsläufig berühren, von besonderer 23 Der Begriff der „documentation strategy“, der in den USA im Umfeld gesellschaftlicher Relevanz und daher vorrangig zu bear- von Universitätsarchiven und historischen Abteilungen naturwissen- beiten sind, wäre jedenfalls unbedingt zu begrüßen. Dass schaftlicher Institute entwickelt wurde, geistert durch die Bewertungs- beispielsweise den Unterlagen der Verfassungsschutzäm- diskussion, ohne dass bisher seine Übertragbarkeit auf deutsche Verhält- nisse einmal näher durchdacht wurde. Auf Einzelbelege zu diesem ter schon wegen ihrer Zuständigkeit für die „Bekämpfung Komplex, der einmal der besonderen Betrachtung bedarf, sei an dieser von Extremismus“ besondere Aufmerksamkeit zukom- Stelle verzichtet. Tatsächlich sind aber sinnvolle Realisierungsmöglich- men muss, bedarf keiner eingehenden Autopsien und keiten denkbar. So hat das Hauptstaatsarchiv Stuttgart jüngst ein Gespräch mit dem Haus der Geschichte Baden-Württemberg geführt, in Analysen. Der „wertende“ Archivar, der mit seinen Res- dem angedacht wurde, bei Gelegenheit gemeinsame Aktivitäten zur sourcen bewusst umgeht, wird sich einer entsprechenden Überlieferungssicherung zu entfalten. In Bereichen, zu denen das Priorisierung nach letzten Endes inhaltlichen Gesichts- Hauptstaatsarchiv staatliches Schriftgut übernimmt, könnte das Haus der Geschichte parallel Zeitzeugenbefragungen durchführen. Wo das punkten nicht entziehen wollen. Dokumentationspläne Hauptstaatsarchiv systematisch Verbandsschriftgut sichert (z. B. aus als Kataloge zeittypischer Phänomene und Probleme, die dem Bereich des Sports), könnte das Haus der Geschichte sich um die zu kontinuierlich reflektiert werden, in die vor allem auch erhaltenden Objekte kümmern. In dieser Weise ließe sich viel gestalten. 24 Ohne darauf im Einzelnen einzugehen, möchte der Verfasser nicht ver- laufend Erkenntnisse aus der unmittelbaren Bewertungs- 32 hehlen, dass er sich in dem Beitrag von Peter K. Weber zum Teil sehr praxis einfließen , könnten sich im Rahmen eines solchen einseitig wiedergegeben und zitiert sieht. Diskurses zu einem wertvollen Hilfsmittel der Bewertung 25 Kretzschmar, Regeln (wie Anm. 12) S. 187; Robert Kretzschmar: Historische Gesamtdokumentation? Überlieferungsbildung im Ver- entwickeln. Sie könnten dazu dienen, auch archivüber- bund?. In: Christoph J. Drüppel, Volker Rödel: Überlieferungssiche- greifend die erfolgte Überlieferungsbildung in bestimm- rung in der pluralen Gesellschaft (Werkhefte der Staatlichen Archivverwal- ten Bereichen zu evaluieren und eventuelle Lücken zu tung Baden-Württemberg A 11). 1998, S. 60 f.; Kretzschmar, „Neue archi- vische Bewertungsdiskussion“ (wie Anm. 2) S. 25 ff. erkennen, um dann bei einer Überlieferungsbildung im 26 Robert Kretzschmar: Archivische Bewertung und Öffentlichkeit. Ein Verbund diese Löcher gezielt zu schließen. Grundsätzlich Plädoyer für mehr Transparenz bei der Überlieferungsbildung. In: Kon- könnten sie ein Hilfsmittel der zielgerichteten Priorisie- rad Krimm, Herwig John (Hg.): Archiv und Öffentlichkeit. Aspekte einer Beziehung im Wandel. Zum 65. Geburtstag von Hansmartin rung im archivübergreifenden Rahmen sein. Schwarzmaier (Werkhefte der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Würt- Festzuhalten bleibt jedoch, dass Dokumentationpläne temberg A 9). Stuttgart 1997, S. 145–156. – Siehe auch Jürgen Treffeisen: als ein Hilfsmittel der vorbereitenden Phase und der Die Transparenz der Archivierung – Entscheidungsdokumentation bei der archivischen Bewertung. In: Nils Brübach (Hg.): Der Zugang zu Gegenkontrolle zu betrachten sind, nicht als Ausgangs- Verwaltungsinformationen Transparenz als archivische Dienstleistung punkt und Instrument der Bewertung im engeren Sinne, (Veröffentlichungen der Archivschule Marburg 33). 2000, S. 177–197. die provenienzgerecht am Funktionszusammenhang von 27 Robert Kretzschmar, Spuren zukünftiger Vergangenheit. Archivische Überlieferungsbildung im Jahr 2000 und die Möglichkeiten einer Beteili- Unterlagen anzusetzen hat. gung der Forschung. In: Der Archivar 53 (2000) S. 221. 28 Clemens Rehm, Kundenorientierung. Modewort oder Wesensmerkmal der Archive? Zur Transparenz und Partizipation bei der archivischen 30 Weber, Dokumentationsziele (wie Anm. 3) S. 212; vgl. auch Weber, Überlieferungsbildung. In: Hans Schadek (Hg.): Zwischen Anspruch Archivische Bewertung (wie Anm. 3) S. 29. und Wirklichkeit. Das Dienstleistungsunternehmen Archiv auf dem 31 Weber, Archivische Bewertung (wie Anm. 3) S. 29. Prüfstand der Benutzerorientierung. Stuttgart 2002, S. 17–27. Vgl. auch 32 So werden die im Rahmen des Projekts „Horizontale und vertikale Bewer- das Abstract seines Referats auf dem Südwestdeutschen Archivtag in tung“ erstellten Bewertungsdokumentationen zukünftig eingehende Schaffhausen 2001 im Internet: forum-bewertung.de. inhaltliche Beschreibungen einzelner Überlieferungen enthalten; vgl. 29 Kretzschmar, Spuren (wie Anm. 27) S. 221. Kretzschmar, Archivübergreifende Bewertung (wie Anm. 4) S. 288.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 305 Archivar, der auch Spuren von Neuem, Unerwartetem, so Weder Tabu noch Rettungsanker bisher noch nie Wahrgenommenem als Überrest von gesellschaftlicher Relevanz erkennen kann, der selbst „offen“ ist. Weder Tabu noch Rettungsanker: Die Frage, ob Dokumen- Fazit: die Zunft sollte sich nicht scheuen, mit Dokumen- tationsziele zu fixieren und archivübergreifend zu disku- tationsplänen im hier beschriebenen, reduzierten Sinne zu tieren wären, ist mehr als berechtigt. Wenn sie auch auf experimentieren, um den vermuteten Nutzen zu erpro- den ersten Blick nicht in lieb gewordene Weltbilder archi- ben. Dazu hat Peter K. Weber wichtige Anregungen gege- vischer Überlieferungsbildung passt, darf sie keineswegs ben. Sie einmal exemplarisch umzusetzen, wäre interes- 33 tabu sein. Den Rettungsanker für alle Probleme, mit sant. Der Wert von Hilfsmitteln erweist sich in der Praxis. denen sich der bewertende Archivar konfrontiert sieht, darf man sich von einem solchen Instrumentarium indes 33 Nach Fertigstellung des vorliegenden Beitrags erschien Matthias Buch- nicht erhoffen. Dies ergibt sich schon daraus, dass die holz: Überlieferungsbildung bei massenhaft gleichförmigen Einzelfall- lineare Formel „Hier das Dokumentationsziel, dort die akten im Spannungsverhältnis von Bewertungsdiskussion, Repräsenta- tivität und Nutzungsperspektive. Eine Fallstudie am Beispiel von Sozial- Überlieferung“ so nicht funktionieren kann. Schriftlich hilfeakten der oberbergischen Gemeinde Lindlar (Landschaftsverband fixierte, eventuell sogar archivübergreifend verabschie- Rheinland. Archivhefte 35). Köln 2001. Buchholz, S. 93 empfiehlt eben- dete Kataloge zeittypischer Phänomene erleichtern die falls, in diesem Sinne „praxisorientierte Modelle zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen“. Seinen Überlegungen (vgl. bes. S. 81 ff.) zu einer archivische Bewertung, das eigentliche Bewerten aber ver- weiteren Fortentwicklung der Bewertungsdiskussion kann sich der Verf. läuft dann ganz anders. Und es erfordert mehr denn je den nur anschließen.

Das Landesarchiv Berlin in einem neuen Gebäude Von Jürgen Wetzel und Martin Luchterhandt

sung der Magistratsbehörden war einerseits schnelles Die Vorgeschichte Handeln bei der Sicherung der Registraturen gefragt, andererseits sprengten die Übernahmen die Raumreser- ven selbst im Depot. Das Landesarchiv war deshalb 1993 Als das Archiv 1976 ein für Archivzwecke umgebautes gezwungen, eine rund 4200 qm große Industriehalle im neues Haus in der Kalckreuthstraße anmietete1, war allen Gewerbegebiet des Westhafens anzumieten, um vor allem Beteiligten klar, dass die Kapazität nur für höchstens zehn Justiz-, Wirtschafts- und SED-Bestände provisorisch Jahre ausreichen würde. Durch den Einbau von Rollregal- unterzubringen. Für die Benutzung wurden in Ost-Berlin anlagen Mitte der 80er Jahre wurde der Übernahmestau drei Außenstellen3 eingerichtet, ein Zustand, der effekti- für ein paar Jahre aufgefangen; Ende der achtziger Jahre ves Arbeiten und die Integration des Personals behinderte. aber war das Archiv an seine Kapazitätsgrenzen gelangt. Die klimatischen Bedingungen in den Außenstellen und Es wurden nun ernsthafte Anstrengungen unternommen, den Depots waren für die Lagerung wertvollen Kulturgu- ein geeignetes Haus für die neue Unterbringung des Lan- tes so ungünstig, dass langfristig mit erheblichen Schäden desarchivs zu finden. Es kamen die ehemalige Wittler- gerechnet werden musste. Wegen dieses unhaltbaren Brot-Fabrik im Bezirk Wedding und das Gebäude der Zustandes unterstützte nun auch die Kulturverwaltung Amerika-Gedenkbibliothek im Bezirk Kreuzberg ins die Anstrengungen der Archivare, ein neues Gebäude zu Gespräch. Beide Häuser erwiesen sich aber aus unter- finden. Vom Abgeordnetenhaus bestand ohnehin schon schiedlichen Gründen als völlig ungeeignet, die inzwi- seit 1992 ein Berichtsauftrag an den Senat4, Maßnahmen schen auf mehr als 12000 lfm angewachsenen Bestände zur Beseitigung der Raumnot im Landesarchiv zu prüfen. aufzunehmen und die erforderlichen Reserveflächen vor- In diesem Zusammenhang wurden der Gebäudekomplex zuhalten. Als die Übernahme des 1500 lfm umfassenden des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR in Lichten- Bestandes der Generalstaatsanwaltschaft bei dem Landge- berg und die ehemalige Heeresbäckerei in Kreuzberg richt anstand, musste als Notlösung ein Depot am Leusch- besichtigt, die sich ebenfalls als nicht geeignet für die Auf- nerdamm in Kreuzberg angemietet werden. nahme des Archivs erwiesen. Genau zu diesem Zeitpunkt kam die politische Wende Zunächst glaubten die Archivare noch, mit einem und in ihrer Folge 1991 die Vereinigung des Landesarchivs Betrag von circa 60 Millionen Mark einen Neubau realisie- mit drei Ost-Berliner Archiven: dem Stadtarchiv, dem Ver- ren zu können. Ins Gespräch kamen das Gelände an der waltungsarchiv des Magistrats und dem Büro für stadtge- Stresemannstraße in Kreuzberg (auf dem inzwischen die schichtliche Dokumentation und technische Dienste.2 1994 SPD-Parteizentrale errichtet worden ist), dann das Borsig- kam noch das Archiv der Deutschen Staatsoper hinzu. gelände in Tegel und schließlich im Bezirk Mitte das als Bestände und Personal verdoppelten sich. Durch Auflö- Parkplatz benutzte Areal an der Leipziger Ecke Breite

1 Vgl. Jürgen Wetzel, Das Landesarchiv Berlin in einem neuen Gebäude, 3 Es bestanden Außenstellen im Bezirk Mitte in der Breiten Straße 30/31 in: Der Archivar, H. 3 (1977), Sp. 253–256. (1999 geschlossen) und in der Chausseestraße 2–4 (1992 geschlossen) 2 Vgl. Gesetz über den Nachtrag zum Haushaltsplan von Berlin für das sowie im Bezirk Prenzlauer Berg in der Straßburger Straße (1995 geschlos- Haushaltsjahr 1991, in: Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, 47. Jg. sen). (1991), S. 183. 4 Vgl. Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 13. 2. 1992.

306 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Straße im Anschluss an den Marstall, die Außenstelle des grammerfüllung, die Lage/Erschließung, die Kosten/ Landesarchivs. Für dieses Grundstück fertigten Absolven- Finanzierung und den Terminrahmen wertete. ten der Technischen Fachhochschule Berlin Entwurfs- Plädierten die Archivare zunächst für einen Neubau in zeichnungen und Massenmodelle für einen Neubau an, Berlin-Mitte, so mussten sie wegen ungeklärter Eigen- die 1992 in einer Ausstellung im Landesarchiv präsentiert tumsverhältnisse des Grundstücks, wegen geringer Reser- wurden.5 veflächen und wegen Finanzierungsproblemen von die- Das Grundstück in zentraler Lage war aber viel zu sem Plan Abschied nehmen. Bei diesem Projekt war das attraktiv, als dass nicht auch andere Interessenten ein Bedauern groß, weil die Lage in der Stadtmitte in der Auge darauf geworfen hätten. Schließlich machten die Nachbarschaft der Humboldt-Universität, der Staatsbi- Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft das Rennen bliothek und der Museen bestach. Altbauprojekte in inten- und errichteten auf dem Gelände ein repräsentatives siv genutzten Gewerbegebieten direkt am Wasser schie- gemeinsames Gebäude. Spätestens zu diesem Zeitpunkt nen vor allem aus konservatorischen Gründen äußerst war auch den Archivaren klar, dass die prekäre finanzielle problematisch. Bei der Auswertung der Präsentation lag Situation des Landes die Bereitstellung der erforderlichen die DIBAG Industriebau AG München, die den Aus- und Haushaltsmittel für einen Archivzweckbau nicht erlaubte. Umbau eines denkmalgeschützten aufgelassenen Indus- Es mussten also andere Wege zur Realisierung eines neuen triebaus aus dem Jahre 1913 am Eichborndamm im Bezirk Archivgebäudes beschritten werden. Nach intensiven Reinickendorf anbot, fast in allen Punkten weit vor allen Gesprächen schlugen nun Vertreter der Verwaltung ein anderen Anbietern. Die Programmerfüllung, die Finanzie- Investorenmodell vor. Damit kam eine neue Variante in rung, die Terminplanung und die vorgelegten Planunter- der langen Diskussion über die Realisierung eines Archiv- lagen waren überzeugend. Negativ, aber eben nicht aus- zweckbaus ins Spiel. schlaggebend, wurde nur die periphere Lage rund zehn Die erforderlichen finanziellen Mittel konnten aufge- Kilometer vom Stadtzentrum bewertet. bracht werden, da für das Archivgebäude in der Kalck- Strittig blieben noch die erforderlichen Reserveflächen. reuthstraße in der West-Berliner City unweit des Witten- Es war zunächst weder den Vertretern der Finanz- noch bergplatzes jährlich eine Miete von über drei Millionen den Haushältern der Kulturverwaltung plausibel zu Mark entrichtet werden musste. Dieser Posten war Teil des machen, dass ein lebendes Archiv für die laufenden Über- Etats6; zusätzliche Mittel waren also nicht erforderlich, ein nahmen von bewertetem Registraturgut aus den Berliner Umstand, der in der schweren Finanzkrise des Landes Behörden umfangreiche Reserveflächen benötigt. Erst als Berlin ein wichtiger Aktivposten für das Archiv war. der Vorschlag gemacht wurde, die vorgesehenen rund Unter diesen neuen Voraussetzungen führten ab 1995 4900 Quadratmeter Reserveflächen für einen begrenzten Vertreter des Archivs und der Verwaltung ernsthafte Zeitraum mit dem Archiv und der Speicherbibliothek der Gespräche mit der Brau und Brunnen AG über die Humboldt-Universität zu belegen, war die Zustimmung Gebäude der ehemaligen Schultheiß-Brauerei am Fuße der Verwaltung gesichert. des Kreuzberges. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Aufgrund des Ergebnisses der Anhörung und des über das ganze Gelände verstreuten Gebäude für funktio- Kompromisses über die Reserveflächen unterbreitete der nale Arbeitsabläufe ungeeignet waren und die archivfach- Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur dem lichen Standards, besonders im Hinblick auf die erforderli- Senat eine Vorlage mit einer vergleichenden Synopse aller chen Klimawerte für die Lagerung von Kulturgut, nicht Anbieter und dem Vorschlag, der DIBAG Industriebau erfüllten. AG den Zuschlag für den Umbau des alten Fabrikgebäu- Als sich der Mietkauf als Variante der Realisierung des am Eichborndamm für Archivzwecke zu erteilen. Am eines neuen Archivgebäudes in Investorenkreisen herum- 31. August stimmte der Senat und am 22. September 1999 sprach, wurden die Archivare mit Angeboten förmlich der Hauptausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses überschüttet. Von den rund 40 angebotenen Objekten der Vorlage zu.7 erwiesen sich allerdings nur wenige als für Archivzwecke Es stellte sich bald heraus, dass die anfängliche Hoff- geeignet. Die meisten kamen aus Gründen der Größe, der nung der Archivare auf einen schnellen Beginn der Bauar- Statik oder der Lage von vornherein nicht in Frage. beiten verfrüht war. Während der Phase intensiver Bau- Nach Besichtigungen der Objekte und eingehender planung mit den Vertretern der DIBAG wurde die schon Prüfung der eingereichten Unterlagen kamen sechs Ange- lange im Raume stehende Frage der Auflösung der Lan- bote in die engere Wahl: vier Altbauten in den Gewerbege- desbildstelle zur Gewissheit. Im Rahmen des Haushaltssa- bieten der Bezirke Köpenick, Reinickendorf, Schöneberg nierungsgesetzes vom 20. April 20008 verabschiedete das und Tiergarten sowie zwei unbebaute Grundstücke im Berliner Abgeordnetenhaus auch das Schulinstitutsgesetz, Bezirk Mitte. In enger Zusammenarbeit und Abstimmung das die Auflösung der Landesbildstelle im Bezirk Tiergar- mit der Fachabteilung der Kulturverwaltung und Vertre- ten und die Übertragung der Aufgaben der Abteilung I auf tern der Senatsverwaltungen für Finanzen, Stadtentwick- das Landesarchiv vorsah. Das bedeutete die Übernahme lung und Wirtschaft fanden am 10. Juni und am 6. August von rund 1 Million Fotos, Millionen Metern Film und Ton- 1999 zwei Anhörungen statt, die Staatssekretär Professor bändern, Laboren und Werkstätten sowie von 33 Ange- Lutz von Pufendorf leitete. Die beteiligten Senatsvertre- ter verständigten sich auf ein Punktesystem, das die Pro- 7 Vgl. Senatsbeschluss Nr. 2430/99 vom 31. 8. 1999 über die „Unterbrin- gung des Landesarchivs Berlin am Eichborndamm 105–127, Berlin-Rei- 5 Vgl. In eigener Sache: Planungen für „das neue Landesarchiv Berlin“, in: nickendorf“, LAB D Rep. 228. Berlin in Geschichte und Gegenwart. Jahrbuch 1993 des Landesarchivs Ber- 8 Vgl. Gesetz zur Sanierung des Haushalts 2000, Artikel VII: Gesetz über lin, hrsg. von Jürgen Wetzel, Berlin 1993, S. 491–508. die Errichtung eines Berliner Landesinstitut für Schule und Medien, 6 Vgl. Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans von Berlin für das § 2(1): Die Aufgaben der bisherigen Abteilung I der Landesbildstelle wer- Haushaltsjahr 1999, Kapitel 1737, Titel 518 01, in: Gesetz- und Verordnungs- den dem Landesarchiv Berlin übertragen, in: Gesetz- und Verordnungsblatt blatt für Berlin, 54. Jg. (1998), S. 434 ff. für Berlin, 56. Jg. (2000), S. 287.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 307 stellten. Da das Landesarchiv auf keinen Fall wieder mit einer Außenstelle neben dem neuen Gebäude beginnen Der Bauverlauf wollte, musste die bisherige Grobplanung überarbeitet werden. Nach komplizierten Verhandlungen über die In dem kurzen Planungsvorlauf, der teilweise schon von Mehrkosten konnte schließlich eine Einigung über die der beginnenden Entkernung des Gebäudes begleitet war, Errichtung eines Neubautraktes erzielt werden. In diesem mussten vom leitenden Projektarchitekten der DIBAG, Trakt sollten die Labore, Werkstätten, die Räume der Foto- Juan Antonio de Diego, wichtige fachtechnische Details grafen, der Kameraleute, die Anlieferung und die Leitzen- geklärt werden: Das Klimakonzept für das Gebäude war trale untergebracht werden. zu detaillieren, Maßnahmen für den Feuerschutz mussten Vor der eigentlichen Bauplanung haben die Archivare getroffen werden, und es war der endgültige Grundriss mit Vertretern des Investors die neuen Staatsarchive in festzulegen. Hamburg, Schleswig und Weimar sowie das Stadtarchiv Grundlage der bauphysikalischen Planung des Gebäu- in Dresden besucht und eine Fülle von Anregungen erhal- des war ein Rechenmodell, in dem der Bauphysiker, das ten. Dennoch zogen sich die Bauplanungsgespräche zäh in Büro Müller BBM, längerfristige Wetterdaten, einzubrin- die Länge, weil jedes Detail schriftlich fixiert werden gende Papiermengen, Abwärme von Maschinen und musste. Dieser zeitliche Aufwand zahlte sich aber bei der Menschen und die vorhandene Bausubstanz auf das zu Bauausführung aus. Es waren jetzt kaum noch Probleme erwartende Gebäudeklima hin durchrechnete, um dann strittig. Wesentlich zu der geglückten Bauausführung bauliche Empfehlungen auszusprechen. haben zwei von der Senatsverwaltung für Stadtentwick- Die Magazine sollen durch massive Kalksandstein- lung beauftragte Gutachter beigetragen, die eng mit dem wände und den darumliegenden Kranz von Gängen und Nutzer und dem Investor zusammenarbeiteten. Büros vor Temperatur- und Feuchteschwankungen Noch komplizierter als die Bauplanung gestalteten sich bewahrt werden. Das Dach sollte besonders dick gedämmt die Vertragsverhandlungen, weil zwischen den finanziel- und gegen Aufheizung weiß beschichtet werden. Ein len Erwartungen des Investors bei der jährlichen Zinsbe- „Grüngürtel“ aus alten und neu zu pflanzenden Bäumen lastung und den Haushaltsmöglichkeiten des Landes eine soll das Gebäude beschatten, aber dieser Effekt wird noch Lücke klaffte, die erst in langwierigen Gesprächen zwei oder drei Jahrzehnte auf sich warten lassen. geschlossen werden konnte. Nach einem Dreivierteljahr Durch die „Trägheit“ des Baus stellte sich aber auch die wurde dann schließlich am 26. Juni 2000 der notariell Frage, wie mit der entstehenden Baufeuchte umzugehen beglaubigte Mietkaufvertrag abgeschlossen. Noch einmal sei. Sie wurde dadurch verringert, dass auf „Ortbeton“ musste der Senat und der Hauptausschuss des Abgeord- verzichtet und alle Betonteile in Fertigbauweise errichtet netenhauses der neuen Vorlage mit dem abgeschlossenen wurden. Die Kalksandsteine wurden regelrecht „geklebt“, Vertrag zustimmen, was am 4. und am 12. Juli 2000 nicht gemörtelt und auch nicht verputzt. Die restliche erfolgte.9 Erst danach konnte mit dem Um- und Ausbau Feuchte machte es dennoch notwendig, eine zweijährige des Fabrikgebäudes begonnen werden. Übergangsfrist bis zu den endgültig zu erreichenden Kli- Mit zum Teil eigenem Personal und großer Kompetenz mawerten vorzusehen. Das ist auch den ökonomischen setzte die DIBAG AG die mit den Archivaren und der Ver- Zwängen geschuldet: Das Land Berlin kann sich das län- waltung besprochenen Planungen um. Es erwies sich auch gere Trocknen – und damit Leerstehen – eines Neubaus als Glücksfall, dass die Vertreter des bayerischen Inves- nicht leisten. tors, der Vorstand,der Architekt, der Projekt- und der Bau- Mindestens ebenso wichtig wie das Raumklima ist der leiter mit den Archivaren, der Denkmalpflege sowie mit Feuerschutz. Die feuerpolizeilichen Vorgaben waren aus- den von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schlaggebend für die gesamte Gebäudeplanung, denn vor bestellten unabhängigen Gutachtern, die die Bauplanung, allem anderen musste die Lage der Fluchtwege geklärt die Bauausführung und die Installation der Technik werden. Wegen der hohen Gebäudetiefe war die gefor- begleiteten, konstruktiv zusammenarbeiteten. Viele Ver- derte Vorgabe von maximal 60 Metern bis zum Ausgang besserungen konnten auf diese Weise noch in der Phase nur schwer zu erfüllen. Daher wurde anfangs sogar ein der Bauausführung umgesetzt werden. Fluchttunnel unter dem Gebäude für erforderlich gehal- Mit zunehmendem Engagement verfolgten die Archi- ten. Das schließlich verabschiedete Feuerschutzkonzept vare den Baufortschritt, zeichneten sich doch die Konturen wird nicht durch – sehr umstrittene – spezielle Löschmittel eines großen, für die Arbeit optimal konzipierten Archiv- wie Radon oder CO2 sichergestellt, sondern durch eine gebäudes ab. Nach nur zehn Monaten Bauzeit waren der dichte und effiziente Brandmeldung und die Unterteilung Ost- und Nordflügel des Gebäudes fertig, so dass die Ver- des Gebäudes in kleinere Brandabschnitte. waltung und die Archivare Mitte Mai 2001 ihre Büros und Durch den Gebäudegrundriss war die Lage der Büro- Arbeitsräume beziehen konnten. Ab Juli folgte der Umzug räume zur Straßenseite hin vorgegeben, aber im Bereich aus den Außenstellen und Depots, der Mitte November der Halle bestand Gestaltungsfreiheit. Hier wurde zuerst abgeschlossen werden konnte. Und nach monatelanger ein weiterer Büroflur an der Gebäuderückseite vorgesehen Schließung konnte das Archiv endlich, seiner Bestimmung und die U-förmig von Büros umschlossene Innenfläche gemäß, für die Benutzung wieder geöffnet werden. (der Magazine) noch durch zwei Querflure dreigeteilt. Am Jürgen Wetzel Ende jedes Querganges liegen Treppenhäuser sowie die Toiletten und Teeküchen. In dieses Raster wurden dann die vom Archiv gewünschten Flächen eingepasst, wobei das Prinzip galt, Funktionsräume in der Nähe der zugehö- rigen Bestände unterzubringen, also das Positivmagazin 9 Vgl. Senatsbeschluss Nr. 395/00 vom 4. Juli 2000 über den Erwerb des 15422 m2 großen bebauten Grundstücks Eichborndamm 113–121 in Ber- am Fotolesesaal, das Filmmagazin an den Schneideräu- lin-Reinickendorf, LAB D Rep. 228. men oder das Negativmagazin an den Laboren.

308 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Die Weiterentwicklung des Grundrisses bedeutete Betonfertigteile in Auftrag geben zu können. Das strapa- auch, sich beispielsweise von dem Wunsch eines zentralen zierte den Zeitplan. „Kinosaals“ mit herausfahrbarer ansteigender Bestuhlung Unter den alten Hallenboden wurden mit Betoninjek- zu verabschieden, den wir wegen der vorhandenen Film- tionen Fundamente gespritzt und eine zusätzliche Boden- bestände zeitweise gehegt hatten. Der Saal wurde in einen platte gegossen, auf der dann die in Kalksandstein ausge- „Multifunktionsraum“ umgestaltet, der sich als einziger führten tragenden Magazinwände errichtet wurden. Wäh- Raum im Gebäude über zwei Etagen erstreckt. Für die renddessen liefen die Planungen für die Elektroausstat- Lesesäle, die Tageslicht haben sollten, blieb nur der relativ tung und die Sicherheitssysteme, die vor allem wichtig schmale Gebäudestreifen an der Nordseite. An dieses waren für die Fertigstellung der sogenannten „Türliste“, funktionale Herzstück des Gebäudes werden komplexe die für alle Türen – von der wiederaufgearbeiteten Holztür Anforderungen gestellt: Schalldämmung, Lüftung, Über- über Magazintüren oder eiserne Brandschutztüren bis zu sichtlichkeit, direkte Erreichbarkeit für das Publikum, den Bürotüren – alle Ausstattungsdetails festlegte. Anbindung für Mitarbeiter und kurze Wege für den An- Während im OG der Halle noch die Rohbauarbeiten lie- und Abtransport von Archivalien. Daher war der Öffent- fen, wurde im EG bereits mit Heizung, Elektroarbeiten lichkeitsbereich auch derjenige Teil des Gebäudes, der – und dem übrigen Innenausbau begonnen. Die Magazin- bis zuletzt – am häufigsten umgeplant wurde. Die Haupt- räume erhielten den Estrich mit den eingelassenen Schie- last dieser Arbeit trug das Münchener Architekturbüro nen für die Rollregale. Falk von Tettenborn, das für die DIBAG die gesamte Für den besonders wichtigen Eingangsbereich gab es zu Ausführungsplanung des Baus erstellte. dieser Zeit noch keine befriedigende Lösung. In der im Bei allen diesen Überlegungen mussten immer die Vor- Januar 2001 vorgelegten Detailplanung wurde das Foyer gaben der alten Bausubstanz des Gebäudes beachtet wer- nun verbreitert und der dahinter liegende Mittelraum den. Das denkmalgeschützte schöne äußere Erschei- durch eine deckenhohe Faltwand unterteilbar gestaltet, nungsbild erforderte gewisse Zugeständnisse. Die gerin- damit er als „Multifunktionsraum“ für Ausstellungen, gere Raumhöhe der alten Halle erzwang für die einge- Vorträge, Symposien und Medienvorführungen verschie- brachte Zwischendecke einen Höhenunterschied von dener Art dienen kann. Im vorderen Teil gab es nun eine 1,20 m zum Altbau, der nur über Aufzüge und Treppen Galerie für den Benutzeraufenthalt, die durch eine schräg- überwunden werden kann. Verschiedene Brandschutz- stehende Treppe erreicht werden sollte. wände konnten den gewünschten Flächengrößen nicht Während des Bauvorgangs mussten ständig Details einfach angepasst werden. Die Flurbreiten sind unter- verändert werden – Raumgrößen wurden angepasst, Nut- schiedlich. zungswünsche änderten sich, technische Lösungen muss- Der Umbau eines denkmalgeschützten Altbaus bedeu- ten ersetzt werden. Dem Projektleiter der DIBAG, Joachim tete für die DIBAG regelmäßige Abstimmung mit den Kaschny, oblag dabei der Spagat zwischen gewünschten Denkmalschutzbehörden, und dabei waren auch Kon- technischen Lösungen, den damit verbundenen Kosten flikte wegen der gewünschten Nutzung zu klären. So war und dem Einhalten des Zeitplans, und das verlangte von es ein Problem, dass das Klimagutachten einen – effizien- allen Beteiligten Flexibilität. Es zeigte sich, dass es im ten – außenliegenden Sonnenschutz vorschlug, der aber Grunde nur eine Herangehensweise gab: Jede vereinbarte zu einem äußerlich sichtbaren Eingriff in die Fassadenge- Lösung jederzeit auf Alternativen zu überprüfen, die dem staltung geführt hätte. Man einigte sich schließlich auf vereinbarten Zweck anders oder gar besser dienen konn- einen innenliegenden Sonnenschutz. An anderen Stellen ten. Die grundsätzliche Bereitschaft der DIBAG, technisch stieß ein getreuliches Wiederherrichten auf Nutzungs- besseren oder solideren Lösungen den Vorzug zu geben, oder Kostenprobleme, so dass auch hier beständig tragfä- hat diesen Prozess sehr angenehm und sehr produktiv hige bzw. ansehnliche Kompromisse gefunden werden gestaltet. mussten. Dem Bau kam dabei die Erfahrung beider Part- Obwohl verschiedene Beteiligte Gegenteiliges prophe- ner, der DIBAG wie der Denkmalschutzbehörde, mit den zeit hatten, wurde der vorgesehene Zeitplan eingehalten, Nachbarbauten am Eichborndamm zugute. ja sogar unterboten. Wegen der notwendigen Räumung des Gebäudes in der Kalckreuthstraße war ein vorfristiger Bauablauf Einzug in die Büros des Altbauteils erforderlich, und die- Noch während der laufenden Verhandlungen hatte die ser konnte bereits am 15. Mai 2001 stattfinden. Sechs DIBAG mit dem Abbruch der nicht benötigten Altbaube- Wochen lang teilten sich dann gewissermaßen Archivare standteile begonnen – überflüssige Trennwände, alte Toi- und Bauarbeiter den Bau, und schließlich konnte das letten, sämtliche Halleneinbauten und vor allem die Gebäude nach mehrtägigen Abnahmerundgängen am gesamte hintere Außenwand wurden herausgerissen –, so 1. Juli endgültig übergeben werden. Zudem wurden auch dass nahezu unmittelbar nach Vertragsabschluss mit den die durch das vorherige regenreiche, warme Sommerwet- Bauarbeiten begonnen werden konnte. Bereits vorher ter gefährdeten Klimaeingangswerte erreicht. Die ersten waren im Gebäude drei Räume als Büro der Bauleitung Betriebswochen haben dann gezeigt, dass der für die Lüf- unter Erich Gruber und dem Polier Ditmar Heindl her- tungsanlage vorgesehene niedrige Luftwechsel von 0,5 gerichtet worden. pro Stunde (Austausch der gesamten Raumluft in zwei Am Beginn der eigentlichen Bauarbeiten standen Stunden) das Magazinklima im gewünschten Ausmaß Arbeiten an der Altsubstanz: Das Flicken der Ziegelfas- beeinflusst. sade, das Aufarbeiten oder der Ersatz der alten Holzfens- Mit der Übergabe begann der Einzug der Archivalien. ter, die Dachsanierung nebst dem Wiederaufbau eines Über zwölf Wochen lang pendelten Mitarbeiter der Dres- kriegszerstörten Dachabschnitts sowie des vorderen Eck- dener Firma Preiß zwischen vier Depots des Landesar- turms. Für den Ausbau der Halle jedoch war ein fertig chivs mit dem Auftrag, von allen Lagerorten zugleich geplanter Grundriss erforderlich, um die Produktion der Archivalien abzuholen und am Eichborndamm gemäß der

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 309 Landesarchiv Berlin – Fassadenansicht Nord/Eingangsbereich. erst zwei Jahre zuvor eingeführten neuen „Tektonik“, dem stand der alten Halle ideal für die Unterbringung zweier archivischen Ordnungsmodell für die Überlieferung Ber- 6 Meter langer Regalachsen, eines 2 Meter breiten Gangs lins, miteinander zu verzahnen. Zeitgleich zog die Berliner und der nötigen Sicherheitsabstände. Dieses Maß hätte Firma Grohmann zwei Außenstellen am Wikingerufer in man bei einem Neubau nicht besser planen können. Im Moabit und in der Tegeler Berliner Straße um. Erdgeschoss sind die Magazine mit insgesamt 42.000 lfm Rollregalen ausgestattet, Fabrikat Arbitec, mit einer Fach- Baubeschreibung tiefe von 40 cm und verstellbaren Fachhöhen. Im neuen Landesarchiv sind verschiedene Bereiche in Mit den Magazinen verbunden sind verschiedene einem Gebäude zusammengefasst. Der wichtigste von Arbeitsräume. Am hinteren Gebäudeende befinden sich ihnen ist der Magazinbereich. Es gibt insgesamt 24 Maga- ein Anlieferungsraum, der mit einem für alle Ladehöhen zinräume im gesamten Haus, darunter sind zwei Spezial- verstellbaren Hubtisch ausgestattet ist und einen mit kühlmagazine, ein Magazin für VS-Unterlagen und ein 2250 kg Tragkraft belastbaren Lastenaufzug enthält; er Kartenmagazin mit berollten Planschränken. In diesen kann bis zu vier Europaletten aufnehmen. Dahinter sind Räumen soll für eine sachgerechte Archivalienlagerung zwei Ordnungsräume und ein Quarantäneraum für eine Temperatur von 15 Grad und eine Luftfeuchte von schimmel- oder schädlingsbefallene Archivalien. Ein grö- 55% gewährleistet werden. Beeinflusst wird ihre Tempera- ßerer Zugangsraum kann neue Archivalien aufnehmen. tur durch einen sehr geringen Luftwechsel, denn sie sind An ihn schließen sich ein Kartonagen- und ein Möbellager nicht als Arbeitsräume, sondern als wenig frequentierte sowie ein Lager für die Müllentsorgung (v. a. Fotochemie) Lagerbereiche definiert. Alle Magazinräume sind frei von an. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich ein Wasserleitungen; sie sind sämtlich mit Schienen für Rollre- Magazinarbeitsraum und ein Büro für die Magazinleite- gale ausgestattet. Mit genau 13 Metern war der Stützenab-

Funktionsschema des Landesarchivs Berlin

310 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 rin, zwei Duschräume sowie die Zentrale für die Gebäude- einem Seminarraum und der Zentralregistratur. Im 2. OG leittechnik und die Sicherungsanlagen. befindet sich die Verwaltung mit vier Büros, der Poststelle In der Nähe der Magazine, in der Regel im Neubaube- und einem Materiallager. reich, befinden sich umfangreiche Werkstätten. Das ist Die bisher genannten Räumlichkeiten gehören allesamt zum Ersten der große Laborbereich im Obergeschoss mit zum so genannten internen „Mitarbeiterbereich“. Davon vier Schwarz-Weiß-Fotolaboren, zwei Farblaboren, einem abgetrennt ist der so genannte „Öffentlichkeitsbereich“, Reproaufnahmeraum samt Labor, vier Fotografenräumen der sich im Erdgeschoss befindet. Er umfasst zuerst drei mit Entwicklungsstrecke sowie einem Fotostudio, einem große Lesesäle (für Schriftgut, Karten und für Fotos), Trockenraum und einem Materiallager. Alle Labore sind sodann einen Filmleseraum für verfilmte Archivalien und grau gefliest und mit Lichtschleusen, Verdunkelungsrollos einen „Findmittelraum“ mit Karteien und Findbüchern und Dunkelkammerbeleuchtung ausgestattet. Im Erdge- und zuletzt auch eine Garderobe und Toiletten. Angren- schoss liegt die Restaurierungswerkstatt mit einem Raum zend befindet sich der erwähnte „Multifunktionsraum“ zur Aktenrestaurierung – mit einem Anschluss für eine mit einer „Cafeteria“ als Aufenthaltsbereich. Diese Räum- „reine Werkbank“ zum Absaugen von Akten – und einem lichkeiten sind behindertengerecht gestaltet und umfassen Raum zur Bearbeitung von Plänen, einem Nassraum und auch eine Behindertentoilette. Von einem angrenzenden einem Materiallager. Benachbart ist eine Kopierwerkstatt Projektionsraum mit Podest und Projektionsöffnungen mit zwei Räumen. Im Altbaubereich schließlich befindet können im „Multifunktionsraum“ verschiedene Medien sich im Erdgeschoss noch eine Sicherungsverfilmungs- eingesetzt werden. werkstatt mit einem Aufnahmeraum, einem Kontroll- und Das gesamte Gebäude ist durch ein komplexes Siche- einem Entwicklungsraum. rungssystem geschützt. Dazu gehört eine 24 h-Außen- Ebenso wichtig für die Tagesarbeit sind die Büros und überwachung durch einen Wachschutz und Videokame- Verzeichnungsräume für die Archivare, die sich überwie- ras, eine Alarmanlage, die Außenfront, Innengänge und gend im Altbau befinden. Die Fläche der Einzelbüros ist Türen überwacht. Der Zutritt zum Haus erfolgt durch mit 17–20m2 recht groß, aber durch den schmalen einen einzigen, bewachten Zugang; Öffentlichkeitsbereich Zuschnitt sind die Benutzungsmöglichkeiten einge- und Mitarbeiterbereich sind durch ein eigenes Zentral- schränkt. Durch ihre Höhe und die alten Fensterformen schließsystem getrennt, wobei für die Magazine noch eine haben die Räume andererseits eine Wirkung, die ein neue- getrennte Zugangskontrolle existiert. rer Büroraum nie bieten kann. Zum Nutzungskonzept Letztlich ist es ein Glücksfall, dass die vielen Anläufe gehört, dass immer zwei Archivarinnen und Archivare früherer Zeiten noch nicht zu einem Neubau geführt hat- über einen gemeinsamen „Verzeichnungsraum“ zur ten, denn dieser wäre – wie auch immer – 1990 zu klein Aktenlagerung und -bearbeitung verfügen. Verschiedene gewesen. Nun aber, zehn Jahre nach der Wende und ihren Bereiche haben auch größere Räume – für die Bearbeitung gewaltigen Folgen für die Berliner Archivlandschaft, wird von Karten und Überformaten, für Bibliothekszugänge das neue Domizil am Eichborndamm die Heimat des wie- oder auch für Sitzungen von Projektgruppen. Im 1. OG dervereinigten historischen Erbes der Stadt Berlin. befindet sich der Leitungsbereich mit Sekretariat, den Räu- Martin Luchterhandt men des Direktors und des stellvertretenden Direktors,

Besondere Archive, besondere Benutzer, besonderes Schrifttum. Archive akademischer Verbände Von Harald Lönnecker

Seit mehreren Jahren betreut der Verfasser das Archiv der Unterdeposita im Bundesarchiv ist,3 befindet sich letzteres Deutschen Burschenschaft (DB) bzw. der Gesellschaft für nach wie vor in Göttingen in privater Hand. Weitere burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V. (GfbG), Archive akademischer Verbände finden sich etwa in Frankfurt a. M.,1 und das Archiv der Deutschen Sänger- Regensburg (Cartellverband katholischer deutscher Stu- schaft (DS),2 zwei korporationsstudentische Verbände, dentenverbindungen/CV) und Hannover (Archiv des von denen zumindest der erste weiter bekannt ist. Beide Wingolfsbundes/WB), vor allem aber im von der Deut- Archive befinden sich in Privateigentum. Während erste- schen Gesellschaft für Hochschulkunde e. V. getragenen res aber seit Jahrzehnten ein Depositum mit etlichen Institut für Hochschulkunde (IfH) in der Universitätsbi- bliothek Würzburg. Es handelt sich um die Archive des 1 Harald Lönnecker, Entstehung und Geschichte von Archiv und Büche- Coburger Convents (CC) der Landsmannschaften und rei der Deutschen Burschenschaft und der Gesellschaft für burschen- schaftliche Geschichtsforschung e. V. im Bundesarchiv Frankfurt a. M., Turnerschaften an deutschen Hochschulen und der CC- in: Burschenschaftliche Blätter 112/2 (1997), S. 88–89. Auch in: Studenten- Vorläuferverbände Deutsche Landsmannschaft (DL) und kurier. Zeitschrift für Studentengeschichte, Hochschule und Korporationen 4 Vertreter-Convent (VC), des Kösener Senioren-Convents- (2000), S. 33–34. Der Studentenkurier ist die Zeitschrift der Gemeinschaft für deutsche Studentengeschichte e. V. (GDS), Würzburg, dem mit über Verbands (KSCV) der Corps an Universitäten, des Ver- 2.200 Mitgliedern wohl größten privaten Verein auf diesem Gebiet und bands Alter Corpsstudenten (VAC), des Weinheimer Ver- einer der mitgliederstärksten historischen Vereine überhaupt. 2 Harald Lönnecker, Das Archiv der Deutschen Sängerschaft (Weim. CC), in: http://www.deutsche-saengerschaft.de. Das Manuskript ist 3 Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichtsforschung e. V., Archiv auch beim Verfasser erhältlich: Bundesarchiv, Dr. Harald Lönnecker, und Bücherei im Bundesarchiv Koblenz, bis Ende 2000 in der Außen- Potsdamer Straße 1, 56075 Koblenz, Ruf: 0261–505472. stelle Frankfurt a. M.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 311 bands Alter Corpsstudenten (WVAC), des Bundes deut- phenfunktion gesellschaftlicher Veränderungen“.6 Mehr scher Ingenieur-Corporationen (BdIC), des Convents noch, studentische Verbindungen hatten für die politische Deutscher Akademikerverbände (CDA), des Convents Kultur des bürgerlichen Deutschland von jeher eine Leit- Deutscher Korporationsverbände (CDK) und das Archiv funktion,7 spiegeln die Vielgestaltigkeit des gesellschaft- des locker mit dem CDA assoziierten Arbeitskreises der lichen Lebens und sind mit den Problemen der einzelnen deutschen Studentenhistoriker.4 Bedeutend und einmalig politisch-gesellschaftlichen Kräfte und Gruppen ver- in ihrer Art ist im IfH auch die etwa 35.000 Nummern zahnt.8 umfassende Institutsbibliothek.5 Während der keiner Korporation angehörende Student Grundlage dieser Archive sind die Überlieferungen stu- nur mehr die Statistik bereichert und mangels Hinterlas- dentischer Korporationen und der Verbände, zu denen sie sung von Quellen für die Geschichtsforschung kaum greif- sich zusammenschlossen. Deren Mitglieder, die deutschen bar ist, hat der Beitritt zu einer Verbindung – das „Aktiv- Studenten als eine juristisch, kulturell und gesellschaftlich melden“ – den Charakter eines (weltanschaulichen) relativ geschlossene Gruppe, zeichnen mehrere Faktoren Bekenntnisses. Der Student gewinnt Konturen, indem er aus: Zunächst ist das Studententum ein zeitlich begrenzter für die Prinzipien seiner Verbindung einsteht und sie lebt. Zustand junger Erwachsener, die ein ausgeprägtes, stu- Aber durch die Traditionspflege der Korporationen über- dentische Traditionen weitergebendes Gruppenbewusst- lebt er auch, bleibt er in seiner Zeit für die folgenden Gene- sein aufweisen und daher wenig soziale Kontakte zu rationen sichtbar, wird Beispiel. Der in Innsbruck lehrende anderen Schichten pflegen. Studenten sind familiärer Sor- Historiker Michael Gehler schrieb entsprechend: „Stu- gen weitgehend ledig, auf Grund des deutschen, wissen- dentengeschichte ist in erster Linie Geschichte der Korpo- schaftlichen und nicht erzieherischen Studiensystems in rationen.“9 Dabei muss allerdings klar sein, dass sich hin- ihrem Tun und Lassen ausgesprochen unabhängig und ter ähnlichen Lebensformen (Aktivitas = studierende Mit- wegen ihrer vorrangig geistigen Beschäftigung wenig auf glieder, Altherrenschaft = examinierte Mitglieder, verbun- vorhandene Denkmodelle fixiert. Besonderen Nachdruck den durch das „Conventsprinzip“, sowie mit oder ohne verleihen studentischem Engagement die berufliche, Band und Mütze, schlagend oder nichtschlagend) gänz- soziale und finanzielle Ungewissheit, der instabile Sozial- lich verschiedene Zielsetzungen verbergen, die von der status: Studenten sind noch nicht gesellschaftlich inte- betont „deutschen“ Burschenschaft über sportliche und griert und stehen daher auch Kompromissen weitgehend musikalische Vereinigungen bis zu den katholischen Kor- ablehnend gegenüber. In ihren politischen Ideen und Idea- porationen der Zeit nach dem Kulturkampf reichen. len neigen Studenten deshalb zum Rigorismus und glau- ben, sie seien verantwortlich dafür, dass zum Segen zukünftiger Generationen eine Gesellschaftsordnung errichtet werde, und alle Opfer, die sie von der gegenwär- 6 Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeits- welt und Bürgergeist, München 1990, S. 581. Konrad H. Jarausch, tigen Erwachsenengesellschaft verlangen, seien durch das Deutsche Studenten 1800–1970, Frankfurt a. M. 1984, S. 7, 9, 11. Norbert glorreiche Endziel gerechtfertigt. Studenten konstruieren Elias, Zivilisation und Gewalt. Über das Staatsmonopol der körper- eine ideale Gesellschaft, die für die eigenen und wirk- lichen Gewalt und seine Durchbrechungen, in: Michael Schröter (Hrsg.), Norbert Elias. Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und lichen oder vermeintlichen fremden Ängste eine günstige Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1989, Lösung bietet. Den sich dieser offenkundig „gerechten“ S. 223–389, hier S. 354 f., 357 f. Michael Grüttner, Studenten im Dritten Lösung Widersetzenden werden nicht nur Eigensinn und Reich, Paderborn, München, Wien, Zürich 1995, S. 9–10. Hans O. Keu- necke, 250 Jahre Erlanger Studentengeschichte. Soziale Bestimmung, mangelnde Einsicht, sondern böser Willen unterstellt. politische Haltung und Lebensform im Wandel, in: H. Kössler (Hrsg.), Daraus resultiert, Gegner zu bekehren, oder, wenn das 250 Jahre Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Fest- nicht möglich ist, sie niederzukämpfen oder zu vernich- schrift, Erlangen 1993 (= Erlanger Forschungen, Sonderreihe, Bd. 4), S. 153–204, hier S. 153 f. Horst Steinhilber, Von der Tugend zur Frei- ten. Zudem: Bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts hin- heit. Studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740–1800, ein begriffen die Gesellschaft wie die Studenten sich selbst Hildesheim, Zürich, New York 1995 (= Historische Texte und Studien, als Elite, die als Akademiker die führenden Positionen des Bd. 14), S. 9. Harald Lönnecker, Lehrer und akademische Sängerschaft. Zur Entwicklung und Bildungsfunktion akademischer Gesangvereine öffentlichen Lebens einnehmen würden, woraus letztlich im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Friedhelm Brusniak, Dietmar „das für eine Avantgarderolle unerlässlich Selbstbewusst- Klenke (Hrsg.), Volksschullehrer und außerschulische Musikkultur. sein“ entstand. Damit einher ging eine anhaltende Über- Tagungsbericht Feuchtwangen 1997, Augsburg 1998 (= Feuchtwanger Bei- träge zur Musikforschung, Bd. 2), S. 177–240, hier S. 178. Ders., Wagneria- schätzung der eigenen Rolle, aber auch eine „Seismogra- ner auf der Universität. Der Verband der Akademischen Richard-Wag- ner-Vereine (VARWV), in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstu- dentische Geschichtsforschung 45 (2000), S. 91–120, hier S. 92 f. Ders., Die Deutsche Sängerschaft, in: DS 2 (1998), S. 13–15, DS 3 (1998), S. 5–8, hier 4 Günther G. Schulte, Institut für Hochschulkunde an der Universität S. 14. Die Argumentation findet sich schon bei Theobald Ziegler, Der Würzburg. Werden und Wirken 1882–1982, Würzburg 1981. Siehe auch: deutsche Student am Ende des 19. Jahrhunderts, 1. Aufl. Stuttgart 1895, Walter M. Brod, Die Deutsche Gesellschaft für Hochschulkunde. Selbst- 12. Aufl. 1912, S. 12 f., 140. darstellung, Information und Werbung, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des 7 Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland. 1770–1990, 3. Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 22 (1977), S. 281–282. Aufl. München 1996, S. 204. Ders., Aus dem Institut für Hochschulkunde an der Universität Würz- 8 Detlef Grieswelle, Korporationen und Karrieren. Die soziale Rekrutie- burg – Das Kösener Archiv, in: ebda. 23 (1978), S. 148–149. Ders., Vom rungsfunktion der Verbindungen, in: Harm-Hinrich Brandt, Matthias Zeughaus der Festung Marienberg in die Universitätsbibliothek am Stickler (Hrsg.), „Der Burschen Herrlichkeit“. Geschichte und Gegen- Hubland. Der weite Weg des Instituts für Hochschulkunde, in: Deutsche wart des studentischen Korporationswesens, Würzburg 1998 (= Historia Sängerschaft. Gegr. 1895 als Akademische Sängerzeitung (künftig zitiert: academica. Schriftenreihe der Studentengeschichtlichen Vereinigung des DS) 4 (1985), S. 20–23. Harald Ssymank, Erinnerungen an das Institut Coburger Convents, Bd. 36), S. 421–448. für Hochschulkunde [1938–1941], in: Der Convent. Akademische Monats- 9 Michael Gehler, Studenten und Politik. Der Kampf um die Vorherr- schrift (künftig zitiert: Convent) 9 (1958), S. 244–246. schaft an der Universität Innsbruck 1918–1938, Innsbruck 1990 (= Inns- 5 Deutsche Gesellschaft für Hochschulkunde e. V. (Hrsg.), Institut für brucker Forschungen zur Zeitgeschichte, Bd. 6), S. 11. Ebenso: Regina Roth, Hochschulkunde Würzburg. Bestände, 2 Bde., Würzburg o. J. Ulrich Studenten im Vormärz und in der Revolution: Ziele, Organisationen, Becker (Hrsg.), Studentische Verbände. Eine Bibliographie, zusammen- Aktivitäten (1815–1849), Magisterarbeit Heidelberg 1988, S. 6 mit gestellt aus den Beständen des Instituts für Hochschulkunde, 2 Bde., Anmerkung 9. Brandt, Stickler, „Der Burschen Herrlichkeit“ (wie Würzburg 1975 und 1976. Anm. 8), S. 168.

312 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 burschenschaftliche Geschichtsforschung (GfbG), seit Das burschenschaftliche Archiv 1933 eingetragener Verein – gab 1910/11–1942 die „Quel- len und Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft Die Entstehung des burschenschaftlichen Archivs geht auf und der deutschen Einheitsbewegung“ heraus, dazu Bei- private Sammlertätigkeit zurück.10 Im Wesentlichen hefte, Sonderausgaben und Burschenschafterlisten. Nach waren es der Begründer der Burschenschaftlichen Blätter, dem Zweiten Weltkrieg 1949/50 wiedergegründet, Dr. Gustav Heinrich Schneider (Burschenschaft Germa- erschien 1957 der erste Band der neuen Reihe „Darstellun- nia Jena 1880), der Schriftsteller und nationalliberale gen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbe- wegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhun- Reichstagsabgeordnete Dr. Hugo Böttger (Jenaische Bur- 14 schenschaft Arminia auf dem Burgkeller 1884) – während dert“. Das größte gegenwärtige Projekt ist das „Biogra- phische Lexikon der Deutschen Burschenschaft“, von dem des Ersten Weltkrieges Gründer und Organisator des sich 15 der Kriegsbeschädigtenfürsorge widmenden Akademi- bereits vier Bände vorliegen. schen Hilfsbundes11 –, besonders aber der Marburger 1927 übergab Herman Haupt seine mit großer Sorgfalt Geheime Justizrat Georg Heer (Burschenschaft Arminia aufgebauten Sammlungen zur burschenschaftlichen, all- Marburg 1877) und der Gießener Kirchenhistoriker Prof. gemein studentischen und hochschulgeschichtlichen For- Dr. Herman Haupt (Burschenschaft Arminia Würzburg schung dem Stadtarchiv Frankfurt a. M. Dieses Archiv 1871, Frankonia Gießen 1908, Germania Gießen 1920 und wurde von ihm mit Absicht ausgewählt, da die ehemalige Saxonia Hannoversch-Münden 1923), der Altmeister der Reichsstadt, später Freie Stadt, bis 1866 Sitz des Deutschen burschenschaftlichen Geschichtsforschung, die bereits als Bundes gewesen und durch den Frankfurter Wachen- Studenten den Grundstock ihrer Sammlungen legten. sturm von 1833 eng mit der burschenschaftlichen Schneider begann 1887 eine allgemeine Sammlung bur- Geschichte verwoben war. Zudem wirkte am Stadtarchiv schenschaftlichen, allgemeinstudentischen und hoch- Prof. Dr. Harry Gerber (Jenaische Burschenschaft Armi- schulkundlichen Inhalts, die von Böttger fortgesetzt und nia auf dem Burgkeller 1907, später auch Frankfurt-Leipzi- seit 1908 von Haupt betreut wurde, der in der Gießener ger Burschenschaft Arminia), der Gewähr für eine stetige Universitätsbibliothek über die entsprechenden Räum- Aufarbeitung und Betreuung bot. Auch der Kölner Histo- lichkeiten verfügte.12 riker Prof. Dr. Paul Wentzcke (Burschenschaft Aleman- Haupt institutionalisierte auch die burschenschaftliche nia Straßburg-Hamburg 1899, später auch Marchia Köln Geschichtsforschung. Er, die Historiker Heinrich von und Germania Würzburg), Direktor des Instituts der Elsässer und Lothringer im Reich an der Frankfurter Uni- Srbik (Burschenschaft Gothia Wien 1899) und Friedrich 16 Meinecke (Burschenschaft Saravia Berlin 1882), der Frei- versität, unterstützte Gerber eifrig. burger Pathologe Ludwig Aschoff (Burschenschaft Ale- 1939, vier Jahre nach der Auflösung der Deutschen Bur- mannia Bonn 1885) sowie einige andere, historisch interes- schenschaft, wurden Archiv und Bücherei unter dem sierte Burschenschafter gründeten nach ersten Gesprä- Druck der Reichsstudentenführung nach Würzburg über- chen im Sommer 1908 am 13. April 1909 in Frankfurt a. M. führt und mit der von Bibliotheksrat Carl Manfred From- die „Burschenschaftliche Historische Kommission“, deren mel (Corps Bremensia Göttingen 1906, Corps Starkenbur- Gründung schon Heinrich von Treitschke – Alter Herr gia Gießen 1931) begründeten und ausgebauten großen der Bonner Burschenschaft Frankonia, der auch Friedrich corpsstudentischen Sammlung vereinigt. Zukünftig sollte Nietzsche angehörte – in den achtziger Jahren des ein hochschulkundliches Institut mit Sitz auf der Feste 19. Jahrhunderts gefordert hatte.13 Sie wurde getragen von Marienberg gebildet werden. Da Gerber aber privat wei- den Universitätsburschenschaften in der Deutschen Bur- tersammelte, entstand im Frankfurter Stadtarchiv ein wei- schenschaft (DB), den Burschenschaften an Technischen teres, wenn auch kleines, speziell burschenschaftliches Archiv. Es wurde während der US-amerikanischen Bom- Hochschulen im Rüdesheimer Verband (RVDB) und von 17 den österreichischen Burschenschaften, der Burschen- benangriffe im März 1944 weitgehend zerstört. schaft der Ostmark (BdO). Die drei Verbände errichteten Unmittelbar nach Kriegsende versuchte Gerber die bereits 1898 einen gemeinsamen Ausschuss zur Vorberei- Wiederaufnahme seiner Sammeltätigkeit, die aber erst tung einer Gesamtdarstellung burschenschaftlicher 1950 im größeren Umfang gelang. Er hat danach in jahre- Geschichte, der aber keine größere Wirksamkeit entfaltete. langer Arbeit auf den Dachböden der Feste Marienberg Die Historische Kommission – seit 1927 Gesellschaft für 14 Wolfgang Klötzer, Wege und Aufgaben der Gesellschaft für burschen- schaftliche Geschichtsforschung, o. O. o. J. (= Jahresgabe der Gesellschaft 10 Hierzu und im Folgenden siehe Anmerkung 1. für burschenschaftliche Geschichtsforschung 1959, hrsg. v. Paul Wentzcke). 11 Albert Gerstenberg, Hugo Böttger, in:Burgkeller-Zeitung 12/9 (1933), Ders., Zweck und Sinn studentengeschichtlicher Forschung, Heidel- S. 113–117. berg 1960 (= Jahresgabe 1960 der Gesellschaft für burschenschaftliche 12 Karl Walbrach, Begründer der burschenschaftlichen Geschichtsfor- Geschichtsforschung). Heute kann jeder Interessierte Mitglied der GfbG schung. Herman Haupt (1854–1935) – Georg Heer (1860–1945), in: Kurt werden: Geschäftsstelle, Hans-Jürgen Schlicher, Am Zieglerberg 10, Stephenson, Alexander Scharff (Hrsg.), Leben und Leistung. Bur- 92331 Degerndorf-Lupburg. Der Jahresbeitrag beträgt 27,– Euro. schenschaftliche Doppelbiographien, Bd. 2, Heidelberg 1967 (= Einzelne 15 Helge Dvorak, Biographisches Lexikon der Deutschen Burschenschaft, Veröffentlichungen der Gesellschaft für burschenschaftliche Geschichts- Bd. I: Politiker, Teilbd. 1: A–E, Heidelberg 1996, Teilbd. 2: F–H, Heidel- forschung = Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Ein- berg 1998, Teilbd. 3: I–L, Heidelberg 1999, Teilbd. 4: M–Q, Heidelberg heitsbewegung im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd. 7), S. 173– 2000. Der Band „Politiker“ soll 2001/2002 abgeschlossen werden. Ein 195. Axel W. O. Schmidt, Anmerkungen zur Genealogie der Burschen- weiterer Band wird Wissenschaftlern, Künstlern usw. gelten. schafter-Familie Haupt, in: Friedhelm Golücke, Wolfgang Gottwald, 16 Wolfgang Klötzer, Paul Wentzcke. Drei Stufen deutschen Bewusst- Peter Krause, Klaus Gerstein (Hrsg.), GDS-Archiv für Hochschul- seins: Straßburg – Düsseldorf – Frankfurt a. M., in: Kurt Stephenson, und Studentengeschichte, Bd. 4, Köln 1998, S. 100–102. Alexander Scharff, Wolfgang Klötzer (Hrsg.), Darstellungen und 13 Friedrich Meinecke, Heinrich von Treitschke (1834–1896), in: Herman Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung im neunzehn- Haupt, Paul Wentzcke (Hrsg.), Hundert Jahre Deutscher Burschen- ten und zwanzigsten Jahrhundert, Bd. 4, Heidelberg 1963, S. 9–64. Pri- schaft. Burschenschaftliche Lebensläufe, Heidelberg 1921 (= Quellen und vatdozent Dr. Guido Müller, Ludwigsburg, bereitet eine Biographie Darstellungen zur Geschichte der Burschenschaft und der deutschen Einheits- Wentzckes vor. bewegung, Bd. 7), S. 191–204. 17 Siehe Anmerkung 4.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 313 die durch verschiedene unsachlich durchgeführte Trans- zum Inhalt. Durch unpflegliche Behandlung in Würzburg porte besonders schwer angeschlagenen und zum Teil ver- und das Mainhochwasser 1945/46 sind hier so große Ver- nichteten, bestohlenen und beschlagnahmten burschen- luste eingetreten, dass sich nur noch Reste erhalten haben. schaftlichen Bestände zusammengefasst und geordnet. Da aber noch Teile einer Kartei vorhanden sind, lässt sich Außerdem setzte er sich für die Rückführung nach Frank- diese Abteilung weitgehend rekonstruieren. furt ein, da eine Benutzung in Würzburg zunächst nicht möglich war. Erst 1954 gelang die Rückkehr an den alten Aufbewahrungsort. Das sängerschaftliche Archiv Das Archiv wurde dem Bundesarchiv angegliedert, weil sich im selben Hause die Archivalien der zur Unter- Wesentlich kleiner – etwa 15 laufende Meter – als das bur- suchung der burschenschaftlichen Umtriebe im Vormärz schenschaftliche ist das sängerschaftliche Archiv. Die aka- eingesetzten Bundeszentralbehörde befanden sowie alle demischen Sänger schlossen sich ab etwa 1820 in Vereinen wesentlichen Unterlagen im Zusammenhang mit der zusammen, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts in stu- deutschen Nationalversammlung von 1848/49, in der Bur- 18 dentische Verbindungen (Sängerschaften) umwandelten. schenschafter eine hervorragende Rolle spielten. Im Jahr Diese bildeten ab den 1860er Jahren mehrere Verbände,die 2000 wurde das Bundesarchiv Frankfurt aufgelöst, die 19 sich wiederum 1896 zum Deutsch-akademischen Sänger- Bestände ins Bundesarchiv nach Koblenz verlegt. bund (DASB) zusammenschlossen. Aus diesem wurde Das Archiv umfasst mehrere Abteilungen, insgesamt 1901 der Chargierten-Convent (CC), 1903 bzw. 1905 der etwa 500 laufende Meter. Die Archivabteilung enthält nicht Weimarer Chargierten-Convent (WCC), 1919 der Weima- nur die Akten der Deutschen Burschenschaft und der in ihr rer Verband Deutscher Sängerschaften (WVDS), seit 1922 aufgegangenen Verbände, sondern auch Unterlagen zu Deutsche Sängerschaft (DS) geheißen. Sie löste sich 1935 Kameradschaften im Nationalsozialistischen Deutschen auf und wurde 1949/50 neu gegründet. Alle diese Ver- Studentenbund (NSDStB), der Vereinigung Alter Bur- bände sind deswegen so wichtig, weil die Wissen und schenschafter, der Akademischen Fliegerabteilung der Leistung kumulierenden singenden und musizierenden Deutschen Burschenschaft sowie Nachlässe und sonstige Akademiker nicht nur eine überaus wichtige Scharnier- persönliche Papiere bedeutender Burschenschafter, Mit- funktion zwischen Kultur und Politik hatten, sondern weil gliederlisten, Bundeszeitungen und ähnliche Drucksachen sie auch der intellektuelle Kopf der ab 1810 im Rahmen der der Einzelburschenschaften, diese allerdings meist mit deutschen Nationalbewegung entstehenden Sängerbewe- Sperrvermerk. Dazu kommen die Archivalien zur gung und des 1862 gegründeten Deutschen Sängerbundes Geschichte der Burschenschaft zwischen 1815 und 1881, – mit heute 1,2 Millionen Mitgliedern die größte Chororga- dem Jahr der Gründung des Allgemeinen Deputierten- nisation der Welt – waren bzw. sind.20 Convents (ADC). Hier hat vor allem die Sammeltätigkeit Das erste Archiv der DS entstand, als der Verband Alter ihren Niederschlag gefunden. Soweit es nicht gelang, die Sängerschafter (VAS) auf seinem Verbandstag 1921 seine Akten, Stammbücher usw. im Original zu beschaffen, sind Einrichtung beschloss.21 Da sich kein freiwilliger Archivar in großem Umfange Abschriften und Auszüge aus den fand, übernahm die 1849 gegründete Sängerschaft Arion Beständen öffentlicher Archive und Büchereien sowie der Leipzig – Edvard Grieg war ebenso ihr Alter Herr wie der Archive der einzelnen Burschenschaften, Privatsammlun- Dresdner Oberbürgermeister, Reichsinnenminister und gen usw. zusammengetragen worden. Wichtigstes Find- ostzonale LDPD-Gründer Wilhelm Külz – 1922 oder 1923 mittel ist die noch von Herman Haupt angelegte, seit 1995 das Archiv, da diese Sängerschaft seit Mitte 1922 über eine rekonstruierte Alte Zettelkartei, die nach Hochschulstäd- Archivkommission verfügte, die die Archivalien halb- ten, Korporationen – nicht nur Burschenschaften –, Kartel- wegs ordnen konnte.22 Bis 1935 war Arion korporativer len, Verbänden, Ereignissen und Bestrebungen, Persönlich- Archivar des Verbands. Der Archivraum befand sich auf keiten usw. geordnet ist. Dazu kommen die umfangreichen dem Arionenhaus in der Elsterstraße 35.23 Arion Karteisammlungen der Burschenschafterlisten. bestimmte wiederum einen Alten Herrn zur Betreuung Die Bücherabteilung zerfällt in die Unterabteilungen des Archivs. Der bekannteste war Johannes Hohlfeld, „Bücher“ und „Zeitschriften“ mit circa 8.000 Nummern „der wohl schaffenreichste und bekannteste deutsche bzw. etwa 220 Zeitschriften. Alle Abteilungen enthalten nicht nur das Schrifttum der Burschenschaften und der 20 Es gibt keine Geschichte der akademischen Sängerverbände und ihrer burschenschaftlichen Verbände, sondern auch die Veröf- Verbindungen.Harald Lönnecker, Eine Geschichte der Deutschen Sän- fentlichungen anderer Korporationen und ihrer Verbände, gerschaft, in: Das Sängermuseum 3 (1995), S. 2–3, Das Sängermuseum 1 (1996), S. 4. Ders., „Sänger, Turner, Schützen sind des Reiches Stützen!“ darüber hinaus auch Material zur allgemeinen Studenten- Das bürgerliche und das studentische Fest – eine Wechselbeziehung und und Hochschulgeschichte. Die etwa 400.000 Blatt umfas- ihre Voraussetzungen, in: Burschenschaftliche Blätter 113/2 (1998), sende, bis in den Vormärz zurückreichende Zeitungsaus- S. 63–68. Ders., Lehrer und akademische Sängerschaft (wie Anm. 6). Ders., Wagnerianer auf der Universität (wie Anm. 6). Ders., Die Deut- schnittsammlung ist allerdings noch weitgehend unge- sche Sängerschaft (wie Anm. 6). Für den Sondershäuser Verband (SV) ordnet und unverzeichnet. akademisch-musikalischer Verbindungen: J. Wilkerling, Geschichte Die dritte und kleinste Abteilung hat Bilder und andere des Sondershäuser Verbands 1867–1967, in: Sondershäuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen (Hrsg.), 100 Jahre Sonders- Zeugnisse des studentischen Brauchtums wie Wappen, häuser Verband Akademisch-Musikalischer Verbindungen 1867–1967, Silhouetten, Mützen, Bänder, Pekeschen, Schärpen, Pfei- o. O. o. J. (Aachen, wohl 1967), S. 9–78. fenköpfe, Trinkgefäße und andere Gebrauchsgegenstände 21 DS-Archiv, 2.3. 108: Vorstand des VAS, Studienrat Emil Beger, Leipzig, Verbandstage des VAS, VT v. 18. Mai 1921, Protokoll, 6. 22 DS-Archiv, 1.1.1. 4: Protokolle der Bundestage, BT v. 11.–13. Juni 1924. 18 Peter Kaupp, Das Wirken von Burschenschaftern in der Deutschen 23 Der Mietvertrag zwischen Arion und dem Verband Alter Sängerschafter Nationalversammlung 1848/49, Manuskript Dieburg 1998. Ich danke (VAS) für das VAS-Archiv v. 1. Okt. 1926 in: DS-Archiv, 2.2. 103: Vorstand Prof. Dr. Kaupp für die Überlassung. Ders., Burschenschafter in der des VAS, Verträge und Vollmachten des Vorstandes des VAS über Paulskirche, Frankfurt a. M. 1999. betriebliche Angelegenheiten, Mai 1924, Juni–Okt. 1926, Jan. 1928, Okt. 19 Siehe Anmerkung 3. 1932, Jan. 1933.

314 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Genealoge des 20. Jahrhunderts“, langjähriger Geschäfts- „sturmbewegten Zeiten“ bisweilen „mehr als mangelhaft“ führer der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Fami- war, wie es bei Arion Leipzig heißt. Manche dieser Archive liengeschichte in Leipzig, der auch der Wiener Universi- reichen bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts oder noch wei- täts-Sängerschaft Ghibellinen angehörte, Autor einer ter zurück, doch wurde wesentlich mehr während des Arionen-Geschichte und ein begeisterter Sängerschafter Zweiten Weltkrieges vernichtet.30 Benutzbar sind alte wie war.24 nach dem Zweiten Weltkrieg neu angelegte Verbindungsar- Das DS-Archiv ist im Aufbau dem burschenschaft- chive jedoch in der Regel nur für Aktive und Alte Herren lichen sehr ähnlich: Schriftgut der Verbände und der ein- der jeweiligen Korporation.31 Ein Beispiel: Jahre nach der zelnen Sängerschaften, des Verbandes Alter Sängerschaf- Abfassung seiner Geschichte der 1828 gegründeten Sänger- ter in Weimar e. V. (VAS), Protokolle der Bundes- und Ver- schaft zu St. Pauli in Jena beklagte der Leipziger Studenten- bandstage usw. Personalbetreffe nehmen verhältnismäßig pfarrer Gerhard Kunze, er habe erst auf der 8. Studenten- wenig Raum ein, wobei die Johannes Schobers, Wiener historiker-Tagung vom 4.–6. April 1931 in Jena bei der Polizeipräsident, Gründer der Interpol, österreichischer Landsmannschaft Rhenania – sie ging 1881 aus St. Pauli Außenminister und Bundeskanzler, Rudolf Lodgman Rit- unter Mitnahme von Farben, Waffen, Couleurartikeln, Glä- ter von Auens, Sprecher der Sudetendeutschen Lands- sern, Kommersbüchern und des Archivs hervor – „Reli- mannschaft und Vorsitzender des Verbandes der Lands- quien aus der Geschichte“ seiner Sängerschaft gesehen, mannschaften, des Nobelpreisträgers – 1927 für die Ent- „von denen ich geschrieben habe, ohne sie bis dahin jemals deckung der Malaria-Impfung zur Bekämpfung der pro- zu Gesicht zu bekommen“.32 Auf der anderen Seite erhiel- gressiven Paralyse – Julius Wagner Ritter von Jaureggs ten Außenstehende wie Michael Gehler durchaus einmal oder des Bundesverkehrsministers Hans-Christoph See- Einblick.33 Es kommt auf den Einzelfall an. bohm besonders interessant sind. Wenn Studenten im Allgemeinen und Korporierte im Nach der Auflösung der DS im Herbst 1935 wurde das Besonderen für die Sozial- und Mentalitätsgeschichte und Archiv Ende 1936 dem Reichsarchiv Potsdam übergeben25 ebenso für die Elitenforschung so wichtig sind, stellt sich – und weitgehend vergessen. Es wurde noch zu DDR-Zei- die Frage, warum sich ihrer bisher mit Ausnahme der Zei- ten geordnet und vom „Deutschen Zentralarchiv Pots- ten besonderer politischer Aktivität 1815, 1848/49, 1919/ dam“ mit einer Findkartei versehen.26 Da das Eigentum 20 und 1968 kaum jemand annahm.34 Zum einen gibt es der DS an ihrem Archiv unstrittig ist, wurde es Ende 1994 zwar zahlreiche Ansätze studentengeschichtlicher For- an den Verband zurückgegeben und nach Göttingen ver- schung,35 vor allem die Untersuchungen zur Geschichte bracht.27 Es soll aber in absehbarer Zeit als Depositum an der Burschenschaft sind kaum zu überblicken,36 doch fast die Stiftung Dokumentations- und Forschungszentrum des Deutschen Chorwesens – Sängermuseum, Feuchtwan- 30 Hohlfeld, Arion (wie Anm. 24), S. VI. Vgl. etwa 100 Semester A[lte].- gen, gehen.28 Dort soll es mit dem von der Sängerschaft H[erren].-Verband der ehem. Königsberger Sängerschaft Altpreußen in d. D.S. (Weim. C.C.) 1920/21–1970/71, o. O. 1970. Franco-Palatia Bayreuth verwalteten Notenarchiv des Ver- 31 Diesen Umstand bedauert auch Paulgerhard Gladen, Erfahrungen bei bandes und dem seit 1955 mit Hilfe des Hamburger Stadt- der Materialsuche zum „Historischen Handbuch der studentischen Kor- archivdirektors Dr. Kurt Detlev Möller – Alter Herr der porationsverbände“, in: Friedhelm Golücke, Wolfgang Gottwald, 29 Peter Krause, Klaus Gerstein (Hrsg.), GDS-Archiv für Hochschul- Sängerschaft Holsatia Hamburg – entstandenen DS- und Studentengeschichte, Bd. 4, Köln 1998, S. 129–134, hier S. 130. Nachkriegsarchiv vereinigt werden. 32 Außerdem konnte Kunze „noch einen, wenn auch verbotenen Blick in das Archiv“ der 1815 gegründeten Burschenschaft Arminia auf dem Burg- keller tun, das sich heute wieder in Jena und teilweise im Archiv der Deut- schen Burschenschaft (DB) in Koblenz befindet. Gerhard Kunze, Akade- Benutzer, Forschung und Schrifttum miker-Tagungen des Jahres [1931], in: DS 5 (1931), S. 225–231, hier S. 228. 33 Siehe Anmerkung 9. 34 So auch Konrad H. Jarausch, Korporationen im Kaiserreich: Einige kul- Jede Korporation, gleichgültig ob Burschenschaft, Sänger- turgeschichtliche Überlegungen, in: Brandt, Stickler, „Der Burschen schaft, Corps usw., unterhält ein Archiv, dessen Führung in Herrlichkeit“ (wie Anm. 8), S. 63–83, hier S. 64. Charakteristisch: Elke Flachsenberg, Protestformen der Jugend. Eine beschreibende und ver- gleichende Darstellung am Beispiel der Burschenschaft, der Jugendbe- 24 Johannes Hohlfeld, Geschichte der Sängerschaft Arion (Sängerschaft wegung und der außerparlamentarischen Opposition, Magisterarbeit in der DS) 1909–1924. Festschrift zur Feier ihres 75-jähr. Bestehens, Leip- Erlangen-Nürnberg 1971. Gerda Bartol, Ideologie und studentischer zig 1924. Zur Person: Harald Lönnecker, Johannes Hohlfeld (1888–1950) Protest. Untersuchungen zur Entstehung deutscher Studentenbewegun- – Deutscher Sänger, Genealoge und Politiker, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch gen im 19. und 20. Jahrhundert, München 1977. Eine vernichtende des Vereins für corpsstudentische Geschichtsforschung 46 (2001), S. 185–226. Rezension Bartols von Karl-Georg Faber in: Historische Zeitschrift VolkmarWeiss (Hrsg.), Johannes Hohlfeld. Die Zentralstelle für Deut- 226/2 (1978), S. 470. sche Personen- und Familiengeschichte und die Deutsche Bücherei, in: 35 Zum Problem der Studentengeschichte siehe etwa Wolfgang Hardt- Peter Bahl, Eckart Henning (Hrsg.), Herold-Jahrbuch, Neue Folge, Bd. 4, wig, Studentische Mentalität – Politische Jugendbewegung – Nationa- Neustadt a. d. Aisch 1999, S. 73–78. Ders., Johannes Hohlfeld, von 1924 lismus. Die Anfänge der deutschen Burschenschaft, in: Historische Zeit- bis 1950 Geschäftsführer der Zentralstelle für Deutsche Personen- und schrift 242/3 (1986), S. 581–628, hier S. 581–584. Hardtwig stellt fest, eine Familiengeschichte in Leipzig, zum 50. Todestag, in: Genealogie 49 (2000), „moderne Ausrichtung der Erforschung studentischer Geschichte S. 65–83. Ders., Das Überleben von Johannes Hohlfeld als Geschäfts- beschäftigt sich zum einen mit Protestverhalten und zum anderen mit führer der Zentralstelle für Deutsche Personen- und Familiengeschichte Fragen der Bildung, beides meist im größeren Zusammenhang der in Leipzig in den Jahren 1933–1939, in: Peter Bahl, Eckart Henning Geschichte einer jugendlichen Schicht“. Vgl. Steinhilber, Von der (Hrsg.), Herold-Jahrbuch, Neue Folge, Bd. 5, Neustadt a. d. Aisch 2000, Tugend zur Freiheit (wie Anm. 6), S. 9. W. Klötzer, Zweck und Sinn stu- S. 211–226. Dr. Dr. VolkmarWeiss, Leipzig, bereitet für die „Sächsischen dentengeschichtlicher Forschung (wie Anm. 14). Ernst Meyer-Cam- Lebensbilder“ eine Lebensbeschreibung Hohlfelds vor. berg, Über unbedingt notwendige Grundlagen in der studentenhistori- 25 Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam, 15.06 Reichsarchiv, Nr. 192 Deut- schen Forschung, in: Einst und Jetzt. Jahrbuch des Vereins für corpsstudenti- sche Sängerschaft, (19)36, Nr. 51, Zugangsbuch, 14. Nov. 1936. sche Geschichtsforschung 14 (1969), S. 44–61. 26 Ab 1990: Bundesarchiv, Abteilungen Potsdam, Bestd. 70 Sa 1 Deutsche 36 Wolfgang Hardtwig, Die Burschenschaften zwischen aufklärerischer Sängerschaft. Sozietätsbewegung und Nationalismus. Bemerkungen zu einem For- 27 DS 1 (1995), S. 12. schungsproblem, in: Helmut Reinalter (Hrsg.), Aufklärung, Vormärz 28 Günter Ziesemer, Das Dokumentations- und Forschungszentrum des und Revolution, Bd. 4, Innsbruck 1984, S. 46–55. Vgl. Harald Lönne- Deutschen Chorwesens in Feuchtwangen und sein Archiv, in: Der Archi- cker, Die „gute“ und die „schlechte“ Geschichte. Studentengeschichte var 54/1 (2001), S. 38–40. bis 1848, Studentengeschichte nach 1848, in: Studentenkurier. Zeitschrift 29 DS 4 (1956), S. 422. für Studentengeschichte, Hochschule und Korporationen 1 (1998), S. 4–6.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 315 durchgängig gehören die Archivbenutzer = Geschichts- fung „sachlicher Information“, sondern wollen in einer die schreiber des Studententums ebenfalls Verbindungen an, Korporationen vielfach diskriminierenden, sie fälschlich ohne selbst Historiker zu sein. Nicht nur das. Für sie ist es mit Heinrich Manns „Untertan“ identifizierenden Gegen- „sehr viel schwerer, die eigene Vergangenheit oder die wart „Vorurteile und Missverständnisse“ abbauen und das eigenen Traditionslinien aufzuarbeiten, als eine Vergan- „Verständnis einer breiten Öffentlichkeit wecken“.40 Der genheit zu kritisieren, von der man selbst nicht (oder nicht Aspekt der ist nicht zu unterschätzen, bedenkt mehr) direkt betroffen ist“.37 Ihre durchaus verdienstvol- man die Auseinandersetzungen, die noch in den fünfziger len Werke kommen daher oftmals nicht über eine Chronik Jahren des 20. Jahrhunderts an den Hochschulen um die hinaus, sind an Traditionsstiftung und -pflege interessiert, Wiederzulassung der Korporationen tobten. Dies zumal, bleiben einer bloßen Geschehnisaufzählung, der kulturge- weil der Kampf gegen die Korporationen von linksorien- schichtlichen Schilderung verhaftet, die über den Rand tierten Studentengruppen – an erster Stelle sei der Sozialis- der eigenen Verbindung oder des eigenen Korporations- tische Deutsche Studentenbund (SDS) genannt – vielfach verbandes nicht hinaussieht, Entwicklungen und Struktu- politisch instrumentalisiert wurde.41 Insofern wird vielfach ren oft völlig außer acht lässt und in der burschenschaft- zweckgerichtet gearbeitet, gibt es gerade vor dem Hinter- lichen Geschichtsschreibung – Paul Wentzcke, Herman grund der bürgerlichen Herkunft der Verbindungen, der Haupt, Georg Heer – vor allem „einen – natürlich wichti- Gegnerschaft zur Weimarer Republik, der teilweise sehr gen – Gesichtspunkt burschenschaftlicher Programmatik, frühen Zustimmung zum Nationalsozialismus und der die nationalstaatliche Einigung, in erkenntnishemmender Zusammenarbeit mit dem NS-Studentenbund bereits vor Weise“ verabsolutiert. Jedoch ist der vor allem quellen- 1933 „immer etwas zu beschönigen, zu verharmlosen oder kundliche Wert keinesfalls zu unterschätzen.38 Prof. Dr. insgesamt zu verdrängen“, wenn eine Wirkung über den Rainer A. Müller, Eichstätt, betonte diese Umstände im engeren Kreis der Korporationen hinaus überhaupt beab- Mai 1997 auf der Würzburger Tagung „Der Burschen sichtigt ist.42 Das Gebot des genauen Hinsehens, des Sicht- Herrlichkeit“: „Dem zu konstatierenden Manko dieser barmachens von Entwicklungslinien, des Zeigens, warum Disziplin ist nur abzuhelfen, wenn nicht mehr die Identifi- etwas war, wie es war, sollte daher auch in der Studenten- kation des letzten Pfeifenkopfes oder Verbindungszirkels geschichte als Prinzip ernstzunehmen sein. die Hauptintention der Studien und Forschungen ist, ... sondern die Lozierung der Studententhematik in die rele- vante Sozial- und Kulturgeschichte.“39 Außerdem forschen und schreiben die „Studentenhis- ... und der Archivar toriker“ nicht nur aus historischer Neugier, zur Verschaf-

Das Problem ist jedoch noch vielschichtiger. Durch fast 37 Peter Schulz-Hageleit, Aufarbeitung der Vergangenheit, in: zwei Jahrhunderte organisierten sich die Studenten in Ver- Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47/9 (1996), S. 553–558, hier S. 554. Siehe dazu Gehler, Studenten (wie Anm. 9), S. 10 f.: „Hierbei sollte der sicherlich nicht uninteressante Punkt erwähnt werden, dass 40 Werner Schobinger, Aufgaben und Probleme der Verbindungshistorie, ein Großteil derjenigen, die sich ... mit Studentengeschichte im allgemei- in: Schweizerische Vereinigung für Studentengeschichte (Hrsg.), Die Vor- nen und mit Korporationsgeschichte im engeren Sinne befassen, Verbin- träge der zweiten Schweizer Studentenhistorikertagung, Bern 1988 dungsmitglieder sind. Dieser Bereich der Geschichtsforschung ist fast (= Studentica Helvetica, Nr. 3), S. 56–63, hier S. 57. Zu Heinrich Manns ausschließlich eine Domäne von Alten Herren und jüngeren Korporier- „Untertan“, immerhin offizielle Schullektüre im gesamten deutschspra- ten, eine Interessengruppe, die ‚ihre‘ Geschichte – oft auch sehr kritisch chigen Raum: Reinhard Alter, Die bereinigte Moderne. Heinrich Manns und objektiv – selbst schreiben und zumeist aus ihrer Perspektive darge- „Untertan“ und politische Publizistik in der Kontinuität der deutschen stellt sehen will, wodurch der Zugang für freistudentische, nichtkorpo- Geschichte zwischen Kaiserreich und Drittem Reich, Tübingen 1995 rierte Historiker zur Studentengeschichte und vor allem zu der der Kor- (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur, Bd. 49). Siehe schon: porationen nicht immer leicht ist.“ Vgl. aber ders., Rechtskonservativis- Ders., Heinrich Manns Untertan – Prüfstein für die „Kaiserreich- mus, Rechtsextremismus und Neonazismus in österreichischen Studen- Debatte“?, in: Geschichte und Gesellschaft 17/3 (1991), S. 370–389. Hedwig tenverbindungen von 1945 bis in die jüngere Zeit, in: Werner Berg- Roos-Schumacher, Heinrich Mann „Der Untertan“. Korporationen in mann, Rainer Erb, Albert Lichtblau (Hrsg.), Schwieriges Erbe. Der der Zeitkritik, in: Convent 39 (1988), S. 131–132. Peter Nißen, Frei nach Umgang mit Nationalsozialismus und Antisemitismus in Österreich, Heinrich Mann: Zu viele weiche Kinder? Der Corporationsstudent – der DDR und der Bundesrepublik, Frankfurt a. M., New York 1995 heute der „hässliche Deutsche“?, in: DS 4 (1999), S. 10–15. Bemerkens- (= Schriftenreihe des Zentrums für Antisemitismusforschung, Bd. 3), S. 236– wert ist, dass Heinrich Manns Bruder Viktor (WSC-Corps Agronomia, 263, stark erweitert in: Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra heute Alemannia München) ein begeisterter Korporierter war. Zu den Kurth, Gerhard Schäfer, Blut und Paukboden. Eine Geschichte der korporationsstudentischen Passagen seines Bruders nimmt er Stellung Burschenschaften, Frankfurt a. M. 1997, S. 187–222, hier S. 192, 194: in seinem 1949 erschienenen Erinnerungsbuch „Wir waren fünf. Bildnis „Selektiver und einseitiger Umgang mit der Vergangenheit ist ein nicht der Familie Mann“, S. 329. Brandt, Stickler, „Der Burschen Herrlich- selten anzutreffendes Kennzeichen von ‚nationalen‘ Verbindungsstu- keit“ (wie Anm. 8), S. 223–226. denten und Alten Burschenschaftern.“ Auf der anderen Seite stellte Rai- 41 Das ist bis in die Gegenwart so. In einem Flugblatt des Linken Bündnis- nerAssmann (Corps Rhenania Tübingen/KSCV) fest, bei der Nutzung ses Marburg, das am 30. Juni 1998 in der dortigen Mensa auslag, heißt es: von Korporationsarchiven und -schriften durch Nichtmitglieder „ist „Jeder braucht ein Feindbild, unseres sind die Verbindungen.“ Patrick eine unseriöse Verarbeitung oder Beschreibung nicht zu verhindern. Moreau, Jürgen P. Lang, Linksextremismus. Eine unterschätzte Zahlreiche böse Beispiele belegen das.“ Einst und Jetzt 41 (1996), S. 263 f. Gefahr, Bonn 1996 (= Schriftenreihe Extremismus und Demokratie, Bd. 8), 38 Hardtwig, Sozietätsbewegung und Nationalismus (wie Anm. 36), S. 107–112 beschreiben die versuchte „Unterwanderung der Hochschu- S. 47. Vgl. Christian Jansen, Mehr Masse als Klasse – mehr Dokumenta- len“ mittels eines „instrumentalisierten Antifaschismus“, der sich zu tion denn Analyse. Neuere Literatur zur Lage der Studierenden in einem guten Teil gegen die angeblich „faschistischen“ Korporationen Deutschland und Österreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: richtet. Neue politische Literatur 43 (1998), S. 398–441. Matthias Stickler, Neuer- 42 Einen ähnlichen Hang zur Verklärung der Gründungs- und Erfolgsge- scheinungen zur Studentengeschichte seit 1994. Ein Forschungsbericht schichte bei gleichzeitiger Ausblendung aller Schattenseiten stellte Peter über ein bisweilen unterschätztes Arbeitsfeld der Universitätsge- Schulz-Hageleit etwa für Firmengeschichten fest. Schulz-Hageleit, schichte, in: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Jahrbuch für Universitätsge- Aufarbeitung der Vergangenheit (wie Anm. 37), S. 554. Klaus Blum, „In schichte, Bd. 4, Stuttgart 2001, S. 262–270. Jarausch, Korporationen im Lied und Tat“. Deutschsprachiges Laienchorwesen zwischen Französi- Kaiserreich (wie Anm. 34), S. 63 f. scher Revolution und Zweitem Weltkrieg, Manuskript Bremen 1961/69, 39 Brandt, Stickler, „Der Burschen Herrlichkeit“ (wie Anm. 8), S. 55. II. 4., S. 76–99 hält diesen Umstand für die Festschriften und Geschichten Detlef Grieswelle sprach in diesem Zusammenhang von „diesem ver- von Männergesangvereinen fest und führt zahlreiche Beispiele auf. Vgl. flixten Herumwursteln in historischen Details, wie es ja besonders die Jarausch, Korporationen im Kaiserreich (wie Anm. 34), S. 64. Gladen, Studentengeschichte zeigt“. Ebda., S. 395. Erfahrungen bei der Materialsuche (wie Anm. 31), S. 131.

316 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 einigungen, die mehr oder weniger Strukturen akademi- rungsnahen Begriffe und Beschreibungen der Mitglieder scher Verbindungen aufwiesen und -weisen. Wenn auch und Beteiligten zu treffen und eine angemessene Balance die vor allem sozial- und rechtsgeschichtlich orientierte zwischen phänomenologischem Verstehen und sozial- Vereinsforschung für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts struktureller Erklärung zu halten.46 in den letzten Jahren große Fortschritte machte, so ist doch Doch dazu muss erst einmal „Lesefähigkeit“ erworben kaum ein moderner Historiker – und kaum ein Archivar! – werden. Zur Ausbildung der Archivare gehört sie nicht, mit jener Subkultur des Studententums, mit den „unge- und so ist es selbst ihnen in der Regel kaum möglich, etwa schriebenen Kriterien der Mitgliedschaft“, den „implizi- ein studentisches Stammbuch zu deuten. Studentische ten Symbolen der Zugehörigkeit“, mit der Sondersprache Monogramme, die „Zirkel“, können nicht aufgelöst wer- der Studenten und ihren Gebräuchen vertraut, die bis in den, die Ikonographie ist unbekannt, die Kenntnis selbst die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts an den Hochschu- gängiger akademischer Ligaturen nicht vorhanden. Die len vorherrschte.43 Erst seit Thomas Nipperdey und Zugehörigkeit symbolisierenden „Selbstverständlichkei- Adolf Leisen schien sich eine Änderung anzubahnen.44 ten“ waren und sind „fast nur den Eingeweihten bekannt Vielfach wird das korporativ organisierte Studententum und für Außenseiter oft nicht recht verständlich“. Das aber nach wie vor aus Unverständnis belächelt oder als „erklärt unter anderem auch, warum Historiker wie Sozio- „veraltet“ und „unzeitgemäß“ abgetan.45 Was Ute Fre- logen gesellschaftlichen Gebilden dieser Art relativ wenig vert über das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft Aufmerksamkeit schenken ... Besonders die Historiker schrieb, gilt daher ebenfalls für das Korporationsstuden- unserer Tage sind seit Ranke in solchem Maße auf explizite tentum: Gerade weil das Phänomen selbst heute auf viele Dokumentation trainiert, dass sie für Formen der Verge- Menschen so fremd und befremdend wirke, müsse die sellschaftung, deren Kohäsion weithin auf der Kenntnis historische Untersuchung darum bemüht sein, die erfah- von wenig artikulierten Symbolen beruht, kein rechtes Organ haben.“ Eine Ausnahme sind oft nur die Archivare 43 Norbert Elias, Zivilisation und Informalisierung. Die satisfaktionsfä- an Universitäten und Hochschulen. Da aber wesentlich hige Gesellschaft, in: Schröter, Norbert Elias (wie Anm. 6), S. 61–158, hier S. 112 f. Ebenso: Thomas Schindler, „Was Schandfleck war, ward mehr Studentisches außerhalb der Hochschularchive unser Ehrenzeichen ...“ Die jüdischen Studentenverbindungen und ihr lagert, bedarf es hier noch mancher Anstrengung, sollen Beitrag zur Entwicklung eines neuen Selbstbewusstseins deutscher die „zu den mächtigsten sozialen Formationen ihrer Zeit Juden, in: Brandt, Stickler, „Der Burschen Herrlichkeit“ (wie Anm. 8), zählen[den]“ akademischen Vereinigungen nicht einfach S. 337–354, hier S. 346–347. Siehe, wenn auch vornehmlich soziologisch 47 bzw. sozialwissenschaftlich orientiert: Helmut Blazek, Männerbünde. ausgeblendet werden. Mühen sind notwendig als erster Eine Geschichte von Faszination und Macht, Berlin 1999, insbesondere Schritt auf dem Weg zum Versuch der Beschreibung und S. 8, 15, 22, 104, 113, 124, 126–157. Er stützt sich fast ausschließlich auf Deutung einer Mentalität, will der Forschende nicht von Ludwig Elm, Dietrich Heither, Gerhard Schäfer (Hrsg.), Füxe, Bur- 48 schen, Alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis vornherein vor dem Phänomen kapitulieren. heute, 1. Aufl. Köln 1992, 2. Aufl. Köln 1993 und Dietrich Heither, Michael Gehler, Alexandra Kurth, Gerhard Schäfer, Blut und Pauk- boden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Frankfurt a. M. 1997. 44 Thomas Nipperdey, Diedeutsche Studentenschaft in den ersten Jahren Titel Gerhard Schäfers aufnahm. Ganz in Knipschilds Sinne: Helge der Weimarer Republik, in: Adolf Grimme (Hrsg.), Kulturverwaltung Kleifeld, Studentische Korporationen in der Zeitgeschichte. Ergebnisse der zwanziger Jahre, Stuttgart 1961, S. 19–48. Erneut abgedruckt in: Tho- einer Forschungsarbeit zum Thema, in: Studentenkurier. Zeitschrift für mas Nipperdey, Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze Studentengeschichte, Hochschule und Korporationen 4 (1998), S. 13–14. zur neueren Geschichte, Göttingen 1976 (= Kritische Studien zur Ders., Bildungs- und hochschulpolitische Aktivitäten der studenti- Geschichtswissenschaft, Bd. 18), S. 390–416. Adolf Leisen, Die Ausbrei- schen Korporationen an westdeutschen Hochschulen 1945–1961, Magis- tung des völkischen Gedankens in der Studentenschaft der Weimarer terarbeit Köln 1996. Eine Zusammenfassung: Ders., Bildungs- und Republik, Diss. phil. Heidelberg 1964. Diese Änderung bemerkte bereits Hochschulpolitik der studentischen Verbindungen 1945 bis 1961, in: Rainer Pöppinghege, Absage an die Republik. Das politische Verhal- Friedhelm Golücke, Wolfgang Gottwald, Peter Krause, Klaus Ger- ten der Studentenschaft der Westfälischen Wilhelms-Universität Mün- stein (Hrsg.), GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte, ster 1918–1935, Münster i. W. 1994 (= agenda geschichte, Bd. 4), S. 13. Bd. 4, Köln 1998, S. 90–99. Helge Kleifeld, Münster, bereitet eine Dis- 45 Was übrigens schon seit etwa einhundert Jahren der Fall ist. Claudia sertation zu den Bildungsaktivitäten der Korporationen nach 1945 vor. 46 Knipschild, Burschenschaften in der Frühphase der Bundesrepublik Ute Frevert, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, Deutschland, Magisterarbeit Freiburg i. Br. 1995, S. 3, 100 betont, dass in München 1991, S. 17. 47 erster Linie die Korporationen der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg „für Elias, Zivilisation und Informalisierung (wie Anm. 43), S. 113. 48 die Forschung weitgehend eine ‚terra incognita‘“ blieben und die Wis- Zur „Beschreibung studentischer Mentalität“ zuletzt: Steinhilber, Stu- senschaft sich nur insofern für sie interessierte, „als man die Frage stellte, dentische Mentalitäten (wie Anm. 6), S. 18 f. Eine Rezension Steinhil- ob sie in ihrer traditionellen Form nicht einen ‚Anachronismus an bun- bers: Rüdiger vom Bruch (Hrsg.), Jahrbuch für Universitätsgeschichte, desdeutschen Universitäten‘ darstellten“, wobei Knipschild einen Bd. 1, Stuttgart 1998, S. 249.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 317 Die Bestände der ehemaligen jüdischen Gemeinden Deutschlands in den „Central Archives for the History of the Jewish People“ in Jerusalem Ein Überblick über das Schicksal der verschiedenen Gemeindearchive Von Denise Rein

Das Material der Gemeinden, ihrer Institutionen und der Allgemeine Übersicht in ihnen wirkenden Personen sollte dank seiner Konzen- trierung in Jerusalem auf bestmöglichem Weg der For- schung zugänglich gemacht werden.6 Zudem sollte das JHGA in Jerusalem den zerstörten Gemeinden und ihren Nur wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und 7 des Holocaust ergriffen die Vorsteher der „Jewish Histori- Mitgliedern als würdiges Denkmal dienen. cal Society of Israel“1, in deren Obhut das „Allgemeine 1960 war der bedeutendste Teil der Überführung des Archiv für die Geschichte der Juden“2 stand, die Initiative, verbliebenen Archivguts von Westdeutschland nach Jeru- sich mit allen Kräften an die Rettung von jüdischem salem abgeschlossen. Die Rettung weiterer Dokumente Archivgut in Europa und selbst in Asien und Afrika zu aus den deutschen Gemeinden der Vorkriegszeitwurde zu machen. Es sollten Bestandsaufnahmen gemacht und jenem Zeitpunkt durch die Teilung Deutschlands und die Listen der Akten erstellt werden, die in den verschiedenen Abriegelung Ostdeutschlands sowie die mangelnden staatlichen Archiven lagerten. diplomatischen Beziehungen mit der DDR verhindert. Einige Gemeinden deponierten während der Naziherr- Weil das JHGA nicht die rechtlichen Grundlagen hatte, schaft ihre Akten zur treuhänderischen Aufbewahrung in um das Archivgut zurückzufordern, wurden sämtliche staatlichen Archiven, um sie vor der Gestapo oder den Verhandlungen mittels der Nachfolgeorganisationen in Flammen zu retten. In den meisten Fällen waren jüdische den verschiedenen Besatzungszonen Deutschlands Bestände jedoch zwangsmäßig durch die Gestapo in staat- geführt: JRSO – „Jewish Restitution Successor Organisa- liche Archive verlagert worden. Das Naziregime war näm- tion“ – in der amerikanischen Zone und JTC – „Jewish lich grundsätzlich interessiert, die Dokumente über die Trust Corporation“ – in der britischen und französischen Juden für die wissenschaftliche Erforschung der Juden- Zone. Es gelang den israelischen Repräsentanten schließ- frage aufzubewahren.3 Dieses Interesse war der Grund für lich, all diese Organisationen von der Bedeutung der mehrere Anweisungen, die die Gestapo und das Staats- Überlieferung des Archivguts nach Jerusalem zu überzeu- gen. Seitens des JHGA wurden die Aktionen in Deutsch- ministerium des Innern zwischen November 1938 und 8 April 1939 herausgaben.4 Die Vertreter des JHGA bemüh- land vor allem durch Dr. Alex Bein , erst Direktor des ten sich seit den frühen 50er Jahren, diese jüdischen „Zionistischen Zentralarchivs“, später israelischer Staats- Archivbestände aus den staatlichen Archiven anzufor- die jüdische Wirksamkeit, namentlich in den letzten 200 Jahren, nachge- dern. hen… wir müssen die erlebten Erkenntnisse durch eine umfangreiche Zudem waren die Vertreter des JHGA bereits Anfang Forschungsarbeit ergänzen.“ (Zitiert nach Dieter Schiefelbein, Das „Institut zur Erforschung der Judenfrage in Frankfurt am Main“ Vorge- der 50er Jahre bestrebt, die Akten, die unter ungenügen- schichte und Gründung 1935–1939, Hg. Arbeitsstelle zur Vorbereitung den Bedingungen gelagert waren, zu retten respektive für des Frankfurter Lern- und Dokumentationszentrum des Holocaust Fritz ihre Überführung nach Israel zu sorgen. Dies waren meist Bauer Institut in Gründung, Nr. 9). 4 So befahl die Geheime Staatspolizeistelle Würzburg (Befehl B.Nr.II B – die Bestände, die bei jüdischen Organisationen aufbe- 1159/38) vom 30. 11. 1938: „Unter Bezugnahme auf meine während der wahrt wurden, weil deren Räumlichkeiten keine angemes- Aktion gegen die Juden … herausgegebene Anordnung … mache ich senen Lagerungsbedingungen anboten. Bei allen Samm- nochmals darauf aufmerksam, dass das Archiv- und Aktenmaterial im Auftrage des Reichsführers und Chefs der Deutschen Polizei in erster lungen waren die Vertreter aus Israel bis in die 60er Jahre Linie für die Geheime Staatspolizei sicherzustellen war…“. Am 2. 12. 1938 indes stets darum bemüht, nur solche Akten nach Jerusa- befahl das Staatsministerium des Inneren (Befehl 2176 b 81) die Sicherstel- lem zu überführen, die für die Rückgabeforderungen nach lung der Judenakten und jüdischen Schriften aus Privatarchiven und jüdi- 5 schen Kultusgemeinden: „Sofort nach Eingang dieses Fernschreibens ist dem Krieg belanglos waren. in allen Synagogen und Geschäftsräumen der jüdischen Kultusgemein- Die nach dem Holocaust erhaltenen vollständigen den das vorhandene Archivmaterial polizeilich zu beschlagnahmen, Archive und einzelnen Akten aus den ehemaligen jüdi- damit es nicht im Zuge der Demonstrationen zerstört wird. Es kommt dabei auf das historisch wertvolle Material an…“. Kopien dieser und ähn- schen Gemeinden Deutschlands sollten aus zwei Haupt- licher Befehle befinden sich im CAHJP (Signatur: Inv. /333). gründen in Jerusalem vereint und aufbewahrt werden: 5 Siehe auch den Aufsatz von Daniel J. Cohen, Jewish Records from Ger- many in the Jewish Historical General Archives in Jerusalem, in: Leo Baeck Yearbook I, 1956. S. 331–345. 1 Der damalige Vorsitzende der Gesellschaft und somit Förderer der Ini- 6 Zusammen mit den Beständen im „Zionistischen Zentralarchiv“ und im tiative war Benzion Dinur, der 1951 zum israelischen Erziehungs- „Jad Vashem“ sollten somit die Dokumente zur Geschichte der Juden, minister ernannt wurde. des Zionismus und zur Geschichte der Juden während der Naziherr- 2 Im weiteren JHGA genannt, entsprechend der damals offiziellen schaft der Forschung zugänglich gemacht werden. Bezeichnung des Archivs („Jewish Historical General Archives“). Im 7 Dieses Argument musste wiederholt bei allen Verhandlungen mit staat- Jahre 1969 wurde das Archiv in „Central Archives for the History of the lichen Archiven wie mit den neu gebildeten jüdischen Gemeinden in Jewish People“ (oder: „Zentral-Archiv für die Geschichte des jüdischen Deutschland angeführt werden. Die Vertreter des JHGA und anderer Volkes“) umbenannt, dessen Abkürzung CAHJP ist. israelischer Institutionen in Deutschland betonten stets ihren klaren 3 Reichsleiter Rosenberg konzentrierte in seinem „Institut zur Erfor- Standpunkt, dass selbst dort, wo sich neue jüdische Gemeinden in schung der Judenfrage“ in Frankfurt a. M., dessen Gründung kurz nach Deutschland gebildet hatten, diese nicht als Nachfolgerinnen der zer- der Kristallnacht bewilligt wurde, beschlagnahmte jüdische Bibliothe- störten jüdischen Gemeinschaften erachtet werden könnten. ken und Archive aus ganz Europa. Bei der Eröffnungsansprache des 8 Bein arbeitete bis zu seiner Entlassung 1933 im Reichsarchiv Potsdam Instituts 1941 betonte Rosenberg diesen Zweck: „Wir müssen uns ein und war somit sehr wohl mit dem Archivwesen in Deutschland vertraut. Gesamtbild des jüdischen Wirkens im Zusammenhang mit den anderen Zudem besaß er auch nach dem Krieg noch persönliche Kontakte zu eini- Völkern bilden und zugleich allen irgendwie fassbaren Urkunden über gen deutschen Archivaren. Aufgrund dieser Voraussetzungen galt

318 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 archivar, und Dr. Daniel Cohen, demdamaligen Direktor Rettung und Überführung nach Jerusalem nicht problem- des JHGA, durchgeführt. Zusätzlich waren noch folgende los waren.12 Institutionen und Persönlichkeiten in die Aktionen invol- viert: Die unmittelbar nach dem Krieg gegründete „Jüdi- 9 sche Historische Kommission“ in München und die Die Akten des Gesamtarchivs „Jewish Cultural Reconstruction“ (JCR), eine Organisation zur Rettung des jüdischen Kulturgutes aus Deutschland, Ein zentrales Anliegen der Reise von Alex Bein nach welches von den Nazis geplündert worden war.10 Von Deutschland im Frühjahr 1951 war die Rettung der jüdi- israelischer Seite wurden die für die Überführung des schen Gemeindeakten, die vor dem Holocaust im Materials wirkenden Delegierten insbesondere auch vom „Gesamtarchiv der deutschen Juden“ aufbewahrt worden Außenministerium und der „Jewish Agency“ unterstützt. waren. In einzelnen Fällen mussten die Vertreter aus Israel in Um die Aktion zur Rettung der Überreste des Gesamt- erster Linie die Vorsteher der neu gebildeten jüdischen archiv-Bestandes verständlicher darzulegen, soll hier auch Gemeinden und Dachverbände von der Wichtigkeit ihres das Schicksal dieser Dokumente vor und während der Projektes überzeugen. Diese waren teils mehr als die staat- Nazi-Herrschaft kurz erwähnt werden. lichen Instanzen daran interessiert, dass die Akten in 11 Deutschland blieben. Bei all den Aktionen zur Überfüh- Das Schicksal des „Gesamtarchivs der deutschen rung von Original-Archivgut aus allen Teilen Deutsch- Juden“ vor, während und nach der Nazi-Herr- lands und aus verschiedensten Lagerungsorten war es schaft immer sehr wichtig, mit allen Beteiligten die richtigen Im Jahre 1905 gründeten der „Deutsch-Israelitische Beziehungen zu pflegen. Gemeindebund“ und die „Großloge für Deutschland“ Parallel zu den Bemühungen zur Überführung des gemeinsam in Berlin das „Gesamtarchiv der deutschen Archivguts nach Israel bestand schon in den ersten Jahren Juden“. Das Ziel dieses Archivs war, Akten aus allen nach der Gründung des JHGA das Vorhaben, aufgrund Gemeinden Deutschlands, die kein eigenes Gemeindear- der vor Ort erstellten Listen Akten aus verschiedenen chiv unterhalten konnten, an zentraler Stelle zu lagern. Archiven vorerst in Westeuropa und nach Möglichkeit Dem Aufruf folgten vorwiegend die kleineren Gemein- auch im Osten, damals vor allem Ostdeutschland, zu ver- den, aber auch bedeutende große jüdische Gemeinden filmen. Es wurden auch Kontakte zu Institutionen und und Organisationen deponierten ihre Dokumente, die sie Personen in den jeweiligen Ländern aufgenommen, die für die laufende Gemeindeverwaltung nicht mehr benö- diese Verfilmungen überwachen sollten. tigten, im Gesamtarchiv.13 Während all der Jahre seit der Gründung des JHGA ver- Abgesehen von dem oben erwähnten Interesse der größerte das Archiv seine Gemeindebestände und Privat- Nazis, jüdisches Archivgut und Bibliotheken für zukünf- sammlungen stets auch durch Aktenübergaben aus priva- tige Forschungen über die Juden zu bewahren,14 waren für tem Besitz wie durch vereinzelte Ankäufe von wertvollen das NS-Regime auch die Akten aus den Gemeindearchi- Dokumenten, die sonst für die Öffentlichkeit nicht ven mit persönlichen Daten über die jüdische Bevölkerung zugänglich geworden wären. in den einzelnen Gemeinden von größter Bedeutung. In der folgenden Darstellung der Schicksale von einzel- Infolge der Einführung des „Gesetzes zur Wiederherstel- nen Gemeindearchiven werden nicht sämtliche Bestände lung des Berufsbeamtentums“ 1933 oblag dem Gesamtar- einzeln behandelt. Ich konzentriere mich auf die bedeu- chiv die neue Aufgabe, Dokumente über Personenstands- tenden und umfangreichen deutschen Archive und nachweise zu erlangen.15 Aufgrund von Bestimmungen Archivsammlungen sowie diejenigen Bestände, deren der „Reichsstelle für Sippenforschung“ mussten ab 1938/39 die für die jüdische Sippenforschung der Nazis damals Bein als der führende Fachmann für dieses Projekt. So schrieb Prof. Martin Buber von der Hebräischen Universität in Jerusalem in einem Empfehlungsschreiben für Beins Reise im April 1954: „Dr. Bein ist 12 Sämtliche Berichte über die einzelnen Deutschland-Reisen der Vertreter ein in der jüdischen Welt besonders durch seine Biographie Theodor des JHGA sowie die Informationen, wie die einzelnen Archive nach Herzls … bekannter Historiker und Archivar und hat sich seit Jahren mit Israel gelangt sind, habe ich der Dienstregistratur des CAHJP entnom- beträchtlichem Erfolg dieser Aufgabe gewidmet und gilt darin heute als men. unser erster Fachmann… Ich wünsche, dass es Dr. Bein gelingen möge, 13 Es ist nicht möglich, im Rahmen dieses Aufsatzes genauer auf die Entste- die historischen Archive der jüdischen Gemeinden, soweit sie noch nicht hung des Gesamtarchivs einzugehen. Über die Entwicklung des ihr Heim in Jerusalem gefunden haben, hierherzubringen und dadurch Gesamtarchivs siehe: Mitteilungen des Gesamtarchivs der Deutschen Juden, den Gemeinden und ihren Mitgliedern ein würdiges Denkmal in Israel 1.–3. Jahrgang, 1908–1911/12; Bernhard Brilling: „Das jüdische zu setzen.“ Archivwesen in Deutschland“ in: Der Archivar 13 (1960), Sp. 271–290, ins- 9 Diese Kommission erhielt das infolge der Kristallnacht durch die bes. Sp. 277ff.; Barbara Welker: „Das Gesamtarchiv der deutschen Gestapo konfiszierte und im Staatsarchiv Bamberg deponierte Archiv- Juden“, in: „Tuet auf die Pforten“. Begleitbuch zur ständigen Ausstel- gut der Kultusgemeinden Oberfrankens. Nebst kleineren Beständen lung der Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum“. Berlin umfasste die Sammlung vor allem die umfangreichen Archive der 1995, S. 227–234. Eine umfassende Abhandlung über die Geschichte des Gemeinden Bamberg und Bayreuth. Die Kommission übergab die Gesamtarchivs steht noch aus. Archive im Jahre 1950 dem JHGA. 14 Siehe Anm. 3. 10 Die JCR wurde 1947 in New York im Namen der meisten jüdischen Orga- 15 Jacob Jacobson, seit 1920 Leiter des Gesamtarchivs, schrieb in seinem nisationen gegründet und wirkte erst in Offenbach, später in Wiesbaden. „Bericht über die Tätigkeit des Gesamtarchivs der deutschen Juden für Die Rückgabe des Kultur- und Schriftgutes an die ehemaligen Besitzer die Zeit vom 10. Nov. 1932 – 25. März 1935“ hinsichtlich dieser Aufga- oder ihre Erben erfolgte oft in Zusammenarbeit mit den Nachfolgeorga- benwandlung: „Das Gesamtarchiv ist seitdem in der Hauptsache zur nisationen. Die Hilfe der JCR bei der Erlangung von Archivalien für das Mittelstelle für die Beschaffung amtlich erforderter Personenstands- JHGA war vor allem der Vermittlung von Prof. Gerschom Scholem von nachweise und darüber hinaus zu einem Zentrum familiengeschichtli- der Hebräischen Universität zu verdanken. Durch diese Organisation cher Studien geworden… Um die familiengeschichtliche Beratung und gelangte 1951 Archivgut zahlreicher hessischer und bayerischer die Besorgung von Ausweisen auf eine breitere Grundlage stellen zu Gemeinden, darunter ein Teil des umfangreichen Archivs der Gemeinde können, war das Gesamtarchiv dauernd bemüht, Personenstandsregi- Darmstadt (siehe unten), nach Jerusalem. ster im Original an sich heranzuziehen oder wenigstens Abschriften und 11 Solche Opposition von jüdischer Seite offenbarte sich vor allem in Ham- Photokopien von ihnen zu gewinnen.“ Eine Kopie des Berichtes befindet burg und Bayern, wie ich weiter unten ausführen werde. sich im CAHJP (Signatur: M5/16).

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 319 wichtigen Dokumente in der „Zentralstelle für jüdische Oranienburger Straße aufzubewahren. Brachmanns Aus- Personenstandsregister“ konzentriert werden. Es handelte führungen geben keinen Aufschluss, welche Teile der jüdi- sich dabei um jüdische Personenstandsregister aus ganz schen Archive, inklusive des Gesamtarchivs, schlussend- Deutschland, die vorwiegend während der Kristallnacht lich in andere Depots verlagert und welche an der Ora- im November 1938 beschlagnahmt worden waren, sowie nienburger Straße belassen wurden. Eindeutig ist ledig- um Dokumente anderer Provenienz mit Angaben über die lich, dass Ende 1942 einige Akten aus dem Gesamtarchiv- jüdische Bevölkerung. Diese Zentralstelle wurde in den Bestand vom „Reichssippenamt“ an die Oranienburger Räumlichkeiten des Gesamtarchivs eingerichtet und ihre Straße zurückverlagert werden sollten, weil sie für das Leitung – wohl unter Aufsicht des Regimes – dem Leiter Reichssippenamt selbst bedeutungslos waren. Vermutlich des Gesamtarchivs Dr. Jacob Jacobson16 übertragen.17 Die handelt es sich um allgemeine Verwaltungsakten der jüdi- Personenstandsunterlagen wurden später ins Schloss schen Gemeinden ohne Personenstandsangaben. Rathsfeld am Kyffhäuser gebracht, wo sie in den Jahren Diejenigen Akten des Gesamtarchivs, die sich bei 1944/45 für zukünftige Forschungen über die Juden ver- Kriegsende nicht in der Oranienburger Straße befanden, filmt wurden. Die Originale dieser Register wurden durch wurden von den Sowjettruppen 1948 in ein Depot nach Wasserschaden im Keller des Schlosses völlig vernichtet.18 Merseburg gebracht.20 Der Kantor der Leipziger Im Spätherbst 1941 versuchte der Generaldirektor des Gemeinde, Werner Sander, erstellte 1950 ein genaues Reichsarchivs Ernst Zipfel wiederholt, die Akten des Verzeichnis der Akten im Depot.21 Im selben Jahr wurden Gesamtarchivs sowie anderer jüdischer Archive, die bis die Akten aus dem Depot in Merseburg dem Landesver- dahin bei der „Reichsstelle für Sippenforschung“ in ver- band jüdischer Gemeinden zu Berlin (also an die Ostberli- schiedenen Städten des Reiches untergebracht waren, in ner jüdische Gemeinde in der Oranienburger Straße) zur seine Obhut zu bringen. Nach mehreren Verhandlungen Aufbewahrung übergeben, im Sinne der DDR-Regierung zwischen einzelnen Stellen des Regimes – unter ihnen das somit an die Nachfolger der ehemaligen jüdischen „Reichssicherheitshauptamt“ – die ihre eigenen Pläne für Gemeinde Berlin retourniert. Eine Kopie von Sanders Liste die jüdischen Archive hegten, wurde entschieden, die existierte auch bei der DDR-Regierung. jüdischen Akten von der „Reichsstelle für Sippenfor- Anfang 1958 machte ein Beamter der Ostberliner Jüdi- schung“ in das Geheime Staatsarchiv in Berlin-Dahlem zu schen Gemeinde die Staatliche Archivverwaltung darauf verlagern. Ob diese Transferierung tatsächlich stattfand, aufmerksam, dass die Lagerungsbedingungen der Akten geht allerdings aus Brachmanns Schilderungen nicht in der Oranienburger Straße mangelhaft seien. In der eindeutig hervor. Folge wurden sämtliche jüdischen Archivbestände – Ernst Zipfel, der im Jahre 1942 zum Kommissar für Gemeindematerial, übergemeindliche Verwaltungs- Archivschutz aufgerückt war, beanspruchte die Verant- organe, Vereine, Organisationen, Nachlässe sowie ver- wortung für die sogenannten „general archives“19, die schiedene Sammlungen – ohne große Formalitäten ins bestimmt große Teile des Gesamtarchivs umfassten. Laut Zentrale Staatsarchiv Postdam überführt. Manche der Brachmann wurden diese Akten zur Verlagerung in rund beschädigten Akten wurden dort restauriert, mit der Ver- 2000 Kisten verpackt, wurden aber aus mangelnden Trans- zeichnung der einzelnen Bestände wurde aber erst 1988 portmöglichkeiten nicht oder erst zu einem späteren Zeit- begonnen.22 Nach der Wiedervereinigung von Deutsch- punkt transferiert. Da die Akten im Falle eines Luftangriffs land wurde das Staatsarchiv Potsdam dem Bundesarchiv nicht ausreichend gesichert schienen, schlug Zipfel vor, angegliedert und das dort gelagerte jüdische Material an dieselben vorerst im Gebäude des Gesamtarchivs in der die Vertretung des deutschen Judentums retourniert. Seit 1996 befindet sich die Sammlung bei der schon von der 16 Jacob Jacobson beantragte 1939, zusammen mit seiner Familie nach DDR-Regierung gegründeten Stiftung „Neue Synagoge London auszuwandern. Die Emigration wurde ihm jedoch verwehrt, 23 weil er als Fachmann der jüdischen Familienforschung und angesichts Berlin – Centrum Judaicum“. seiner Kenntnisse der hebräischen Sprache und Handschrift sowie wegen seiner Vertrautheit mit den Akten für das NS-Regime unentbehr- Überführung von Akten aus dem Gesamtarchiv lich war. Unter anderem wurde er gezwungen, die Stammbäume hoher nach Jerusalem Beamter und Adeliger, die etwa von Juden abstammten, zu untersuchen. Jacob Jacobson leitete die „Zentralstelle für jüdische Personenstandsre- Als Vertreter einer öffentlichen Institution aus Israel gister“ bis zu deren Übernahme durch die NS-Behörden im Mai 1943. konnte Alex Bein bei seiner Deutschland-Reise 1951 mit Jacobson wurde sodann im Mai 1943 mit dem letzten Berliner Transport nach Theresienstadt verschleppt. Als einer der verhältnismässig weni- der damaligen DDR keine offiziellen Kontakte knüpfen gen Überlebenden von Theresienstadt konnte er sich 1945 mit seiner respektive offizielle Gesuche an Ämter richten, weil dies Familie in London vereinen. Vgl. dazu: Ernst G. Lowenthal, Im Rück- eine Anerkennung der DDR durch den Staat Israel bedingt blick: Das „Gesamtarchiv der deutschen Juden“ in Berlin, in: Mitteilun- 24 25 gen des Vereins für die Geschichte , Heft 1 (1989), S. 148–150. hätte. Bein und seine Kontaktpersonen in Deutschland 17 Folgende Ausführungen über das Schicksal des Gesamtarchivs basieren waren sich einig, dass sie versuchen sollten, ihre Anstren- auf dem Artikel von Elisabeth Brachmann-Teubner: „Sources for the gungen zur Überführung der Akten nach Israel nicht als History of the Jews from the Eighteenth Century to the Twentieth Cen- tury in the Archives of the former DDR“, in: Leo Baeck Institute Year politische, sondern als geistig-kulturelle Angelegenheit zu Book, vol. 28, 1993, S. 391–408. In dem Artikel sind leider besonders wichtige Details nur vage angedeutet, und es geht nicht klar hervor, 20 Ebd., S. 406. wohin die verschiedenen Teile der Gesamtarchivbestandes und anderer 21 Eine Kopie dieses Verzeichnisses befindet sich im CAHJP (Signatur: beschlagnahmter Gemeindeakten im Verlaufe der NS-Herrschaft und M5/10). danach gelangt waren. 22 Vgl. Elisabeth Brachmann-Teubner, „Sources…“, S. 406–407. 18 Vgl.Brilling (Der Archivar 1960), Sp. 288. Alex Bein sah bei seiner ersten 23 Siehe hierzu: Quellen zur Geschichte der Juden in den Archiven der Reise im Jahre 1951 diese Filme und erwog bereits die Möglichkeit, neuen Bundesländer, Band 6, Stiftung „Neue Synagoge Berlin – Cen- Abzüge für das JHGA herzustellen. Die später von diesen Filmen angefer- trum Judaicum“, Hg. Stefi Jersch-Wenzel und Reinhard Rürup, tigten Miniatur-Kontaktabzüge befinden sich unter der Signatur G5 als München 2001. gebundene Büchlein im CAHJP. In verschiedenen Staats-, Stadt- und Lan- 24 Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutsch- desarchiven in Deutschland befinden sich Mikrofilme oder Abzüge der land und dem Staat Israel verhinderten solche Beziehungen zur DDR. für die betreffenden Regionen relevanten Personenstandsregister. 25 Dr. Korfes, Leiter der Hauptabteilung Archivwesen im Ministerium 19 Vgl. Elisabeth Brachmann-Teubner, „Sources…“, S. 405. des Innern DDR), Julius Meyer vom Landesverband jüdischer Gemein-

320 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 präsentieren und demzufolge die ganze Angelegenheit licheren Brief aus Zürich schrieb Bein am 21. Mai 1951, aus der Sphäre des Auswärtigen Amtes herauszunehmen. dass die Überführung des Materials aus dem Osten dank In Gesprächen mit Julius Meyer gaben sowohl der Minis- der Kooperation von Julius Meyer gut gelungen sei. terpräsident als auch der Außenminister der DDR ihr Meyer war anfänglich ganz gegen die Aktion, weil er sich theoretisches Einverständnis zur Übergabe der Akten an als Vorsteher der Ostberliner Gemeinde dadurch persön- den Staat Israel. De facto scheiterte die Transferierung an lich gefährdet sah. Bein schätzte, dass er in seiner Auswahl den mangelnden diplomatischen Beziehungen zwischen mengenmäßig rund 20 Prozent des Bestandes mitnehmen der DDR und Israel. konnte, wertmäßig indes 80–90 Prozent! Bein hegte große Hoffnungen, dass das JHGA als öffent- Im September 1951 gelangte die Sendung von 53 Kisten lich anerkannte Institution in Israel die Akten des Gesamt- mit den Gesamtarchiv-Akten nach Israel. archivs erhalten würde. Die an der Aktion26 Beteiligten waren sich auch einig, dass sie bei Nichterlangen der not- Die Zweite Sendung von Gesamtarchiv-Akten wendigen Bewilligungen auf anderen Wegen handeln Bei seiner Reise nach Deutschland im Jahre 1956 bemühte würden. Anfangs wurde auch eine Verfilmung der Akten sich Alex Bein um die in der Ostberliner Gemeinde ver- in Erwägung gezogen. bliebenen Akten des Gesamtarchivs, die bei der ersten Weil die von Merseburg nach dem Krieg an die Ostberli- Überführung 1951 nicht nach Jerusalem versandt werden ner Gemeinde retournierten Akten genau verzeichnet konnten. Die Kontakte mit der Ostberliner Gemeinde lie- waren, war sich Bein bewusst, dass diese Bestände nur mit fen über Heinz Galinski in Westberlin. Im Herbst 1956 offizieller Bewilligung nach Israel überführt werden konn- hatten sich allmählich die Beziehungen zwischen den bei- ten. So schrieb er in seinem ersten vorläufigen Bericht vom den Berliner Gemeinden wieder verbessert, nachdem 13. 4. 1951: „Ein Abtransport wesentlicher Teile des Ar- diese früher infolge der Flucht einiger führender Männer chivs ohne Genehmigung kommt wegen der herrschen- der Ostberliner Gemeinde in den Westen abgebrochen den scharfen Bestimmungen gegen die Verlagerung von waren.30 1956 war in der Ostberliner Gemeinde ein neuer Akten und der häufigen Kontrollen zwischen dem russi- Vorsteher, H. Bendit, ernannt worden, nachdem der vor- schen und dem westlichen Sektor nicht in Frage“27. hergehende sich in erster Linie als Vertreter der DDR- Des Weiteren erwähnt Bein, dass er, in der Bibliothek Regierung fühlte und sich kaum um die jüdischen Angele- verstreut, wertvolle Akten fand, die in Kantor Sanders genheiten gekümmert hatte. Liste aus dem Merseburger Depot nicht aufgeführt sind. Alex Bein und Heinz Galinski waren sich einig, dass für Dabei handelt es sich meiner Ansicht nach um die Gesamt- Bein ein Besuch in der Ostberliner Gemeinde nur mit Hilfe archivakten, die für das Reichssippenamt bedeutungslos einer offiziellen Einladung möglich war. Galinski arran- waren und während des Krieges in die Oranienburger gierte ein Treffen zwischen Bein und den Vertretern der Straße zurückgebracht wurden oder nie von dort abtrans- Ostberliner Gemeinde in seinem Büro. Bein erwähnte mit portiert worden waren. Bein berichtete über diese Akten in Vorsicht, dass seines Wissens noch alte Gemeindeakten in einem Brief aus Deutschland an das JHGA folgenderma- den Räumlichkeiten der Ostberliner Gemeinde gelagert ßen: „Abgesehen vom Material, das von Merseburg seien. Bendit versicherte dem Gast aus Israel, dass seine geschickt worden war, befanden sich bekanntlich in der primäre Verpflichtung den jüdischen Interessen gelte.31 Gemeindebibliothek Akten des Gesamtarchivs …, die hier Bereits am darauf folgenden Tag wurde Bein in die Ora- verblieben waren. Diese Akten erscheinen deshalb nicht nienburger Straße eingeladen. Die 1951 zurückgelassenen auf der Liste des Materials, das von Merseburg ins Sammlungen schienen unberührt in den dunklen Keller- Gemeindegebäude zurückgebracht wurde … Das Mate- räumen zu liegen. Zusätzlich konnte Bein auch Material in rial ist teilweise unter den Bibliotheksbüchern verstreut. einem anderen Untergeschoss besichtigen, zu dem er 1951 Es enthält wertvollste Sachen – ‚Pinkassim‘, allgemeine keinen Zugang hatte. Dieses Material war unter sehr unge- Akten und Abschriften von Dokumenten aus staatlichen nügenden Bedingungen gelagert. Die Akten waren alle Archiven.28 Diese Akten werden wir in den Westen brin- sehr feucht und mit einer dicken Schmutzschicht bedeckt. gen … denn sie sind all unsere Anstrengungen wert ….“29 Es handelte sich um zwei Hauptsammlungen: Gesamtar- Bereits einen Monat später schrieb Bein in einem Brief chivakten32 und Akten, die im Verlauf des Krieges von der an Dr. Herlitz, den Direktor des „Zionistischen Zentral- Gestapo dem Gesamtarchivbestand angegliedert worden archivs“ in Jerusalem, dass die „Rosinen-Aktion“ gut waren.33 Bein schätzte den Bestand auf mehrere tausend gelungen sei und etwa 50 Kisten (insgesamt 2¼ Tonnen) Akten. Er legte dem Gemeindevorsteher die Bedeutung von Westberlin abgeschickt würden. In einem ausführ- des Bestandes dar und machte ihn auf die Notwendigkeit besserer Lagerungsbedingungen aufmerksam. Die beiden den (Ostberlin), sowie Heinz Galinski, Vorsitzender der jüdischen wurden sich auch einig, dass die Überführung der Akten Gemeinde Westberlin. nach Israel nur möglich sei, wenn die Beziehungen zwi- 26 Die Aktion erhielt bei den Eingeweihten die Bezeichnung „Rosinen- Aktion“. schen der Ost- und Westberliner Gemeinde sich verbesser- 27 Die Reiseberichte und Briefe von Alex Bein und Daniel Cohen aus ten, zumal Bendit nicht bereit war, irgendetwas gegen den Deutschland befinden sich in der Dienstregistratur des CAHJP,sowie im Zionistischen Zentralarchiv in Jerusalem. 28 In seinem Bericht vom 13. 4. 51 spezifiziert Bein das für ihn interessante 30 Die Beziehungen verbesserten sich, obschon zu jenem Zeitpunkt die Ver- Material nach folgenden Gruppierungen: bindungen zwischen den beiden Stadtteilen erschwert wurden. Gegen- Eins) Akten, Pinkassim und Einzeldokumente von Berlin und anderen seitige Besuche waren aber damals noch möglich. Gemeinden vom 17. Jahrhundert an, insbesondere aus dem 18. und der 31 Gemäß seiner eigenen Aussage hatte er den großen an der Oranienbur- ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. ger Straße gelagerten Aktenbestand vor der Beeinträchtigung durch ver- Zwei) Mehrere Kästen mit Photografien von Grabsteinen, Synagogen schiedene Instanzen bewahrt. etc. 32 Mengenmäßig waren dies mindestens eben so viele Akten wie der Drei) Zahlreiche Hefte mit Abschriften und Regesten über jüdische bereits 1951 eingesehene Archivbestand. Angelegenheiten aus deutschen Archiven. 33 Dies waren vor allem Archivsammlungen von jüdischen Organisationen 29 Siehe Anm. 12. und Akten aus der Verwaltung der Berliner Gemeinde.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 321 Willen des Regimes zu unternehmen. Bein musste also jährigen Verhandlungen unterzeichneten im Jahre 1955 einen Weg finden, um vorsichtig, schrittweise erst eine die damaligen Gemeindevorsitzenden der neuen Verlagerung der Akten nach Westberlin und später nach Gemeinde Hamburg ein Abkommen mit dem Staatsar- Jerusalem zu erreichen. chiv, in dem sie ihrer Forderung nach Transferierung des Im November 1957 berichtete Bein in einer kurzen Materials nach Israel Ausdruck verliehen. Aus dem Notiz, dass sich eine Lösung für die Verlagerung der zusammenfassenden Bericht von Alex Bein über die Ver- Akten aus der Ostberliner Gemeinde in den Westen handlungen mit Hamburg geht hervor, dass sich die anbahne.34 De facto gelangte im Januar 1958 eine Sendung Gemeindevertreter zu rasch auf eine unklar definierte von 95 Kisten mit insgesamt rund 750 Akten aus dem ehe- Kompromisslösung eingelassen hatten, die den Interessen maligen Gesamtarchiv ins JHGA nach Israel. Diese Sen- des JHGA keineswegs entsprach. Parallel reisten auch dung in den Westen geschah noch vor der Verlagerung der Alex Bein und der damalige Direktor des JHGA, Daniel an der Oranienburger Straße verbliebenen Akten ins Zen- Cohen, wiederholt nach Hamburg und führten sehr harte trale Staatsarchiv Potsdam. Verhandlungen, um die Überführung der Dokumente – oder zumindest eines Teils davon – nach Israel zu errei- chen. Die parallele Verhandlungsführung seitens der Ver- treter des JHGA mit den Hamburger Behörden war not- Das Gemeindearchiv der ehemaligen Gemeinden Ham- wendig, weil insbesondere der bereits erwähnte Notar burg-Altona-Wandsbek Hans Hertz ein persönliches Interesse am Verbleib der Akten in Hamburg hatte. Hertz beanspruchte ein besonde- res Anrecht, über das Schicksal der Akten zu bestimmen, Das Material der ehemaligen jüdischen Gemeinde in nachdem er sich vor dem Krieg für ihre Rettung eingesetzt Hamburg-Altona umfasst Akten aus über 300 Jahren jüdi- hatte. schen Lebens von mehreren separaten Gemeinden: Das 1955 unterzeichnete provisorische Abkommen bil- Deutsch-israelitische (aschkenasische) Gemeinde Ham- dete lediglich die Grundlage zu jahrelangen gerichtlichen burg, portugiesische (sefardische) Gemeinde Hamburg, Verhandlungen zwischen den Behörden in Hamburg und die Gemeinden Altona, Wandsbek und Harburg sowie die den Interessenvertretern der jüdischen Seite. Auf der Akten des jüdischen Gerichts und Rabbinats in Altona und Hamburger Seite war sogar der Bürgermeister, ein Freund der „Talmud-Tora Schule“ in Hamburg. von Hans Hertz, in die Verhandlungen involviert. Die Ver- Nach der Kristallnacht im November 1938 gelang es treter aus Israel wollten sich keinesfalls auf die Vorsitzen- 35 dank der Anstrengungen des Notars Hans Hertz , das den der neuen jüdischen Gemeinde in Hamburg verlas- Archiv der Gemeinden Hamburg-Altona vor der Gestapo sen, weil, ihrer Ansicht nach, verschiedenen einflussrei- zu retten, indem die Gemeinde das Archiv im Verlauf der chen jüdischen Persönlichkeiten in Hamburg ihre persön- Jahre 1938 bis 1941 sukzessive im Hamburger Staatsarchiv lichen Beziehungen mit den Behörden wichtiger waren als deponierte. Angesichts dieser sozusagen „freiwilligen“ das Erlangen des Gemeindearchivs.37 Die Verhandlungs- Deponierung der Akten im Staatsarchiv betrachtete letzte- führer auf der jüdischen Seite machten auch deutlich, dass res das jüdische Archivgut als sein Eigentum. Ein weiteres es sich in der Angelegenheit nicht lediglich um eine Streit- Argument für den Besitzanspruch des Staatsarchivs auf frage jüdischen Besitzes handele, sondern um eine mini- die Hamburger Gemeindeakten war, dass seiner Ansicht male Ehrung der jüdischen Naziopfer aus Hamburg. Die nach die jüdische Gemeinde Hamburg-Altona mehr als Vertreter des Hamburger Staatsarchivs und der Stadt die meisten anderen jüdischen Gemeinschaften Europas Hamburg beharrten weitgehend auf dem Standpunkt, mit dem Leben und der Entwicklung der Stadt verbunden dass das Gemeindearchiv 1938 freiwillig von den Juden im war und die Gemeindeakten deshalb als Teil der lokalen Staatsarchiv deponiert worden sei, missachteten dabei historischen Dokumentation am Ort bleiben sollten. aber die Umstände, welche zu dieser Handlung geführt 1951 nahm Alex Bein in Zusammenarbeit mit der hatten. Bein gelang es schließlich, die Hamburger Behör- „Jewish Trust Corporation“ (JTC), der Nachfolgeorganisa- den zu erweichen und beispielsweise die hebräischen und tion in der englischen und französischen Besatzungszone deutschen Protokollbücher für Jerusalem zu gewinnen. Deutschlands, erstmals Kontakte mit dem damaligen Nachdem die Akten zu Beginn des Jahres 1958 im Ham- 36 Direktor des Staatsarchivs auf. Bei seinem Besuch in burger Staatsarchiv neu verzeichnet worden waren, konn- Hamburg konnte er das Material auch selbst besichtigen. ten die beiden Parteien sich über die Aufteilung der Akten Später zweifelte die JTC daran, ob sie die legitime Nach- einigen. Die Grundidee war, dass jede Seite die für sie folgeorganisation der ehemaligen Hamburger Gemeinde bedeutendsten Akten als Originale erhielt und Mikrofilm- sei, und übertrug die Aufgabe der Rückforderung der neu kopien der Akten, die bei der anderen Partei deponiert gebildeten jüdischen Gemeinde in Hamburg. Nach lang- wurden. Im Verlauf des Jahres 1959 gelangten über 1500 Originalakten aus der Zeitspanne 1641–1944 ins JHGA 34 Siehe Anm. 12. Die Details über die Wege zur Verlagerung der Akten in sowie die Mikrofilme derjenigen Akten, die im Hambur- den Westen wurden aber nirgends schriftlich festgehalten, sondern nur ger Staatsarchiv verblieben waren. mündlich zwischen den wenigen Eingeweihten vermittelt. 35 Er war ein Nachkomme des bekannten jüdischen Physikers Heinrich Hertz, betrachtete sich selbst aber nicht als Jude. Hans Hertz hatte auch das umfangreiche Projekt, sämtliche Grabsteine auf dem Hambur- ger Friedhof zu fotografieren, angeregt. Es ist unklar, aus welchen Grün- den Hertz sich so sehr für die Rettung des jüdischen Archivguts ein- setzte. 36 Sämtliche Angaben über die Verhandlungen zur Überführung des Ham- burger Materials nach Jerusalem sind den Berichten von Alex Bein und Daniel Cohen über ihre Reisen nach Deutschland entnommen, welche 37 Viele waren zur Erlangung ihrer Wiedergutmachung auf die Hilfe der zur Dienstregistratur des CAHJP gehören. lokalen Behörde angewiesen.

322 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Als wesentlich schwieriger erwiesen sich aber die Ver- Das Archivgut von ehemaligen bayerischen Kultusge- handlungen mit den jüdischen Partnern. Während die meinden Vorsitzenden des Landesverbandes ihren Standpunkt zu Gunsten des JHGA geändert hatten, kam das nächste Hin- Infolge der Brände in den deutschen Synagogen in der dernis von Seiten des „Zentralrats der Deutschen Juden“. Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 erlitten auch Letzterer teilte den Standpunkt des deutschen Innen- viele der bayerischen Gemeindearchive beachtlichen ministeriums, welches nach Möglichkeiten suchte, das verbliebene jüdische Archivgut als deutsches Kulturgut in Schaden. In verschiedenen Regionen war die Anweisung 40 der Gestapo über die Bewahrung38 von Judenakten nicht Deutschland zu belassen. In den Verhandlungen mit rechtzeitig an die ausführenden Organe vermittelt wor- dem Leiter des Bundesarchivs in Koblenz und weiteren den, so dass viele der Dokumente den Flammen zum Regierungsvertretern vertraten diese wiederholt den Opfer fielen. In Bayern indes wurde die gleichzeitig mit Standpunkt, dass die jüdischen Gemeinden Teil der deut- dem schriftlichen Befehl erfolgte telefonische Order schen Geschichte bildeten und trotz der von ihrem Stand- soweit als möglich befolgt. Deshalb wurden insbesondere punkt aus bedauernswerten Ereignisse in der Nazizeit die- bayerische Gemeindearchive von der Gestapo konfisziert ses „deutsche Kulturgut“ dennoch in Deutschland verblei- und schlussendlich in den verschiedenen bayerischen ben sollte. Das Überführen des Gutes nach Israel würde Staatsarchiven gelagert. Dort wurden ihre Bestände später aus der Sicht der deutschen Behörden als Zeichen eines auch verzeichnet. Es bestand ein explizites Verbot der Racheaktes in den deutsch-jüdischen Beziehungen gedeu- Gestapo, Akten ohne ihr Einverständnis zu verlagern. tet. Diesem Argument stellte Bein stets seinen Standpunkt Die Bemühungen zur Überführung der Archivbestände entgegen, dass der Staat Israel und die dortigen Institutio- aus den staatlichen Archiven Bayerns nach Jerusalem dau- nen die Nachfolger der vernichteten deutschen Gemein- erten rund dreieinhalb Jahre. Im Mai 1951 kümmerte sich den bildeten und diesen nur auf diesem Wege ein würdi- Alex Bein im Laufe seiner Reise nach Deutschland erst- ges Denkmal gesetzt werden könne. Der harte Standpunkt mals um die Rückforderung der jüdischen Archive, die in von Bein sowie die Tatsache, dass zu jenem Zeitpunkt bayerischen Archiven aufbewahrt wurden. Bei seinen bereits wichtige Sammlungen wie die Gesamtarchivakten ersten Gesprächen mit den Vertretern der JRSO wurde in Israel waren, überzeugte die Vertreter des Bundesar- Bein darauf aufmerksam gemacht, dass es bis dahin ver- chivs, bei den Bemühungen der Überführung des jüdi- säumt worden war, offiziell Anspruch auf die jüdischen schen Archivguts nach Israel nicht hinderlich zu sein. Archive in den bayerischen Staatsarchiven geltend zu Ebenso musste der Zentralrat sich mit diesen Tatsachen machen. abfinden. Es wurde Bein und seinem Interessenvertreter Im August 1953 liefen Verhandlungen zwischen der aus Deutschland auch zugesichert, dass von Seiten des „Jewish Cultural Reconstruction“ und der neuen jüdi- Bundes dafür gesorgt werden könne, dass ein eventuelles schen Gemeinde in München über die Besitzansprüche für Ausfuhrverbot von deutschem Archivgut die jüdischen die bayerischen Archivbestände. Während die Archivver- Bestände nicht betreffen würde. waltung der bayerischen Staatsarchive prinzipiell einver- Es scheint, dass bis Mitte Juli 1954 all diese Hindernisse standen war, die Bestände nach Jerusalem zu transferie- überwunden waren und Beins konsequente Forderungen ren, erhob der erste Vorsitzende des „Landesverbandes ihre Früchte trugen. Der Beauftrage des Landesverbandes der jüdischen Kultusgemeinden in Bayern“ dagegen Ein- Bayern, Stefan Schwarz, erstellte für das JHGA Inventare spruch, weil er persönlich die Bestände in Bayern belassen über die jüdischen Bestände in den verschiedenen bayeri- wollte. In der Folge war es deshalb die Aufgabe der JRSO, schen Archiven. Die Archive ihrerseits ließen die betref- dieses Archivgut in die Gesamtregelung der Vermögens- fenden Akten verpacken und erteilten ihre Bereitschaft, diese an Bein als Bevollmächtigten des Landesverbandes angelegenheiten zwischen der JRSO und den neu gebilde- 41 ten jüdischen Gemeinden einzubeziehen. und der JRSO zu übergeben. Das gesamte Material Im Jahre 1954 trat Bein seine nächste Reise für das Zio- wurde in den Räumlichkeiten der jüdischen Gemeinde nistische Zentralarchiv und das JHGA nach Europa an, um München gelagert und durch den Direktor des JHGA, Daniel Cohen, für den Transport vorbereitet. Er musste die Rückführungsprojekte der einzelnen Archivbestände 42 voranzutreiben. Die Rückforderung der bayerischen aus den rund 3000 Akten aus 200 Gemeinden diejenigen Bestände war eines der Hauptziele dieser Reise. Bei sei- Dokumente aussortieren, die für die Tätigkeit des Landes- nem ersten Treffen in München wurde Bein bereits verbandes in den Fragen der Rückforderung von jüdi- bewusst, dass hier in erster Linie innerjüdische Meinungs- schem Eigentum wichtig waren. Die prinzipielle Überein- verschiedenheiten zwischen der JRSO und dem Landes- kunft zwischen dem Landesverband und dem JHGA verband überbrückt werden mussten. Die Leitung der besagte, dass alle Akten bis 1870 sofort nach Jerusalem bayerischen Staatsarchive war nach wie vor bereit, das überführt werden sollten, während die neueren Verwal- Archivgut nach Israel überführen zu lassen und hatte auch tungsakten, die für allfällige Rückforderungen benötigt an die verschiedenen lokalen Archive Bayerns Anweisung würden, vorerst beim Landesverband bleiben und später erteilt, dass diese die ihnen während der Nazizeit zur Auf- an das JHGA abgegeben werden sollten. Nach der definiti- bewahrung anvertrauten Archivbestände den jüdischen 40 Nachfolgeorganisationen übergeben sollten.39 Dieser Standpunkt und der Einsatz des Zentralrats dafür hatten auch das Hamburger Staatsarchiv veranlasst, für den Verbleib des Gemeinde- archivs in seinem Besitz zu kämpfen. 38 Siehe Anm. 3. 41 Die definitive Bewilligung zur Ausführung des Archivmaterials wurde 39 Eine offizielle Anweisung des bayerischen Erziehungs- und Kultus- erst eine Woche vor Cohens Ankunft in München erteilt, also in der ministeriums vom 16. Januar 1953 (Nr. I 107460) befahl, dass alles von ersten Augustwoche 1954. den Nazis konfiszierte jüdische Kulturgut an die Nachfolgeorganisatio- 42 Dies umfasste umfangreiche Sammlungen wie das Gemeinde- und Rab- nen zurückgegeben werden musste. Die jüdischen Gemeindearchive binatsarchiv von Würzburg, wie auch kleine Gemeindebestände mit nur waren Teil dieses Kulturgutes. einzelnen Akten.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 323 ven Sondierung der Akten blieben schließlich nur relativ Deutschland nach Jerusalem überführt worden waren, wenige Akten mit beispielsweise Kaufverträgen oder Ver- Kontakte zur neu gebildeten Israelitischen Kultusge- sicherungspolicen in München zurück.43 meinde Fürth aufgenommen, um die dort gelagerten Die Sammlung der bayerischen Akten umfasste auch Archive der Vorkriegsgemeinde und des jüdischen Wai- Personenstandsmatrikel, welche aus heute unbekannten senhauses für das JHGA zu erlangen. Obschon der Gründen vom Reichssippenamt nicht konfisziert worden Gemeindevorsitzende sein prinzipielles Einverständnis waren, sondern beim Gausippenamt verblieben.44 Diese zur Übergabe des Archivgutes gab und 1961 auch die Matrikel ließ Cohen gleich verfilmen, und die Originale Gemeindeversammlung diesen Schritt befürwortete, ver- verblieben beim Landesverband in München. zögerte sich die eigentliche Versendung jahrelang. Im November 1954 hatten Stefan Schwarz und Daniel Ein Vorwand für die Verzögerung war, dass der ehema- Cohen ihre Vorbereitungsarbeiten abgeschlossen und alle lige Bibliothekar der jüdischen Gemeinde München, notwendigen Ausfuhrbewilligungen erhalten. Bereits im S. Offenbacher, die Akten durchschauen wollte, um eine Dezember desselben Jahres traf die 20 Kisten umfassende Bestandsaufnahme zu machen und eine Geschichte der Sammlung in Jerusalem ein. Juden in Fürth zu verfassen. Tatsächlich wurden aber die Akten in Fürth nicht einmal verzeichnet und unter schlechten Lagerungsbedingungen aufbewahrt. Ende der Das Gemeindearchiv der Israelitischen Kultusgemeinde 60er Jahre schien es, dass auch der Gemeindevorsitzende Regensburg nicht mehr an der Überführung der Akten nach Jerusalem interessiert war und die Versendung unter verschieden- sten Vorwänden verzögerte. Das Gemeindearchiv von Regensburg gelangte nach der Der Anlass zur schlussendlichen Verschiffung der bei- Konfiszierung durch die Nazis ins Staatsarchiv Amberg, den Archivbestände nach Israel war ein Anschlag auf das wo die Akten auch verzeichnet wurden. Die damals jüdische Altersheim in München im Jahre 1970. S. Offenba- erstellte Liste umfasste 560 Konvolute aus dem frühen cher, der zu den Opfern dieses Attentates gehörte, hatte 19. Jahrhundert bis 1938. Unmittelbar nach dem Krieg mehrere alte Fürther Akten in seinem Zimmer aufbe- wurde der ganze Bestand an Ernst Hermann, den Leiter wahrt, welche größtenteils bei diesem Brand zerstört wur- des Landesentschädigungsamtes, Zweigstelle Regens- den. Nun konnten das JHGA und seine Helfer von der burg, übergeben. Dieser deponierte die Sammlung später „Mission d'Israel“ in München ihre Argumente bekräfti- bei einer privaten Gesellschaft. gen, dass der einzige sichere Aufbewahrungsort für die Stefan Schwarz sichtete 1954 bei seiner Inventarisie- Akten das JHGA in Jerusalem sei. Im Juni 1971 gelangten rung der jüdischen Bestände in den bayerischen Archiven sodann die umfangreichen Archivbestände46 der Kultus- auch das Gemeindearchiv von Regensburg. Bei Daniel gemeinde Fürth und des Waisenhauses nach Jerusalem. Cohens Deutschland-Reise im August 1954 brachten Ein Jahr später erfuhren die Vertreter des JHGA, dass Schwarz und Cohen auch sämtliche Akten aus Regens- das gesamte Archiv der jüdischen Realschule Fürth47 im burg ins Gemeindegebäude der jüdischen Gemeinde Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrt wurde. Da damals die München. Leider waren die Akten in Regensburg kom- prinzipielle Anweisung aus den frühen 50er Jahren zur plett ungeordnet gelagert, so dass bei der groben Ordnung Übersendung sämtlicher Archivbestände aus den bayeri- des Bestandes in München nur noch 490 Dokumente der schen Staatsarchiven nach Jerusalem48 noch in Kraft war, ursprünglichen Liste sowie knapp 50 nicht verzeichnete wurde auch diese Sammlung im Jahr 1972 an das JHGA lose Akten eruiert werden konnten. Der ganze Bestand versandt. wurde schließlich zusammen mit den anderen bayeri- schen Archiven im November 1954 nach Jerusalem über- führt. Das Archivgut von ehemaligen jüdischen Gemeinden in Rheinland-Pfalz Das Gemeindearchiv der Israelitischen Kultusgemeinde Fürth Im November 1951 erhielt Alex Bein erstmals von einem Vertreter der „Jewish Cultural Reconstruction“ die Mittei- Es ist unklar, wo das Archivgut der ehemaligen Israeliti- lung, dass dieser im Stadtarchiv von Neuwied das schen Kultusgemeinde Fürth während des Krieges aufbe- Gemeindearchiv der dortigen jüdischen Gemeinde ent- wahrt wurde.45 Bei den ersten Reisen von Vertretern des deckt habe. Da es zu jenem Zeitpunkt keine neue jüdische JHGA nach Deutschland wurde nie über die Retournierung Gemeinde in Neuwied gab, ernannte der Archivdirektor dieses Gemeindearchivs und des Archivs des jüdischen die jüdische Gemeinde in Koblenz als Bevollmächtigte der Waisenhauses in Fürth verhandelt, obschon diese beiden Akten. Im Mai 1954 übertrug der Gemeindevorsteher von Bestände beinahe komplett erhalten geblieben waren. Koblenz die Vollmacht an Bein, womit dieser offiziell bei Von Seiten des JHGA wurden erstmals im Jahre 1959, der Stadtverwaltung von Neuwied die fast 400 Akten als bereits die meisten wichtigen Archivbestände von umfassende Sammlung anfordern konnte. Die Akten wur- den im Herbst desselben Jahres an Daniel Cohen ausgelie- 43 Diese Akten liegen bis heute in München beim „Landesverband der jüdi- schen Kultusgemeinden in Bayern“. Eine Liste davon existiert beim CAHJP (R9–31). 46 Es handelte sich um über tausend Akten der Israelitischen Kultusge- 44 Dasselbe geschah auch mit den Personenstandsmatrikeln aus Hessen. meinde Fürth und mehrere hundert Akten des Waisenhauses, welche die 45 Möglicherweise war es wie die anderen mittelfränkischen Bestände im Epoche des späten 18. Jahrhunderts bis 1940 umfassen. Staatsarchiv Nürnberg aufbewahrt und wurde von dort an die neu gebil- 47 Es umfasst rund 100 Akten aus der Zeitspanne 1877–1940. dete jüdische Gemeinde in Fürth zurückgegeben. 48 Siehe Anm. 40.

324 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 fert und konnten zusammen mit den bayerischen Bestän- Nach Kriegsende forderte die französische Abteilung den Ende 1954 nach Jerusalem überführt werden. der „Jewish Trust Corporation“, zu deren Wirkungsgebiet Im Verlaufe seiner Reise im Jahre 1954 verhandelte Bein Worms gehörte, die Rückgabe der geretteten Kultur- auch über andere wichtige Gemeindearchive aus dem schätze. Die Stadt Worms verweigerte zunächst die Rheinland und vom Landesverband Hannover, die er aus Retournierung, mit der Begründung, dass die Akten und Zeitmangel nicht in allen Fällen selbst einsehen konnte. die wenigen angebrannten Kultgegenstände lokales deut- Der größte Teil des Archivguts der jüdischen Gemeinden sches Kulturgut darstellten. Die Wormser Stadtbehörden in Rheinland-Pfalz wurde durch die Brände in der Kristall- argumentierten zudem, dass das Archivgut für die sich in nacht zerstört. Die Gestapo konfiszierte die wenigen geret- Zukunft in Worms bildende jüdische Gemeinde am Ort teten Dokumente, die nach dem Krieg im Staatsarchiv verbleiben sollte53 und dass sich ehemalige Mitglieder der Speyer deponiert wurden. Daniel Cohen besuchte im Wormser Gemeinde, die den Krieg überlebt hatten und auf November 1954 den Vorsitzenden der Gemeinden Rhein- der ganzen Welt zerstreut lebten, nach wie vor als zah- land-Pfalz in Neustadt, P. Siegel, und erhielt von diesem lende Mitglieder der ehemaligen jüdischen Gemeinde das Versprechen, die Akten aus dem Staatsarchiv anzufor- betrachteten.54 dern und der israelischen Vertretung in Köln zur Überfüh- Die JTC gelangte an mehrere gerichtliche Instanzen, die rung nach Israel anzuvertrauen. De facto kümmerte sich sämtliche Berufungen der Stadt abwiesen und zugunsten Siegel jedoch nicht um die Auslieferung der Dokumente. der jüdischen Nachfolgeorganisation entschieden.55 Paral- Im Zusammenhang mit den Verhandlungen um das lel zu diesen gerichtlichen Unterhandlungen bemühten Archivgut aus Worms besuchte Cohen im Herbst 1956 sich das israelische Außenministerium und die Vertreter erneut das Staatsarchiv Speyer. Er entdeckte bei diesem des JHGA um einen außergerichtlichen Vergleich mit dem Besuch eine bedeutendere Sammlung von jüdischen Leiter des Museums und Archivs der Stadt Worms. Dank Akten aus Rheinland-Pfalz, von denen einige bereits vor der Vermittlung des Deutschen Bundeskanzleramtes und 1933 im Staatsarchiv deponiert worden waren. Dank des des Landes Rheinland-Pfalz kam es schließlich im Herbst damals bereits positiven Verhandlungsverlaufs in 1956 unter gegenseitigem Einverständnis zwischen den Worms49 konnte Cohen noch im November 1956 die deutschen und den israelischen Vertretern zu einem Über- Erlaubnis erhalten, das gesamte Aktengut der jüdischen einkommen. Demzufolge wurden im Besitz der Stadt Gemeinden Rheinland-Pfalz nach Jerusalem zu überfüh- Worms der Friedhof, der Raschistuhl56 und die Überreste ren. der Synagoge belassen,57 sowie einige Kultgegenstände. Das ganze handschriftliche Material dagegen – die Mach- sorhandschriften (Gebetbücher für Feiertage)58 und das Das Archivgut der alten jüdischen Gemeinde Worms50 Archiv – wurden im Oktober 1957 nach Jerusalem über- führt. Wie im Fall Hamburg wurde auch hier vereinbart, die Akten vor der Überführung nach Jerusalem als Mikro- Vor 1938 war der umfangreiche Archivbestand der jüdi- filme für die Stadt Worms zu kopieren. schen Gemeinde Worms an drei verschiedenen Orten auf- Im JHGA konnten diese Wormser Akten mit den beiden bewahrt. Die alten Dokumente aus der Epoche vor dem oben erwähnten Teilen des ehemaligen Wormser Archivs 19. Jahrhundert – darunter zahlreiche sehr alte Judenprivi- vereint werden, welche seit den frühen 50er Jahren im 51 legien – und Kultgegenstände waren im gemeindeeige- JHGA lagerten. Die Gemeinde-Registratur des 20. Jahr- nen Museum in der Vorhalle der Synagoge untergebracht. hunderts wurde vom Staatsarchiv Darmstadt durch die Die meisten Gemeindeakten des 19. Jahrhunderts wurden „Jewish Cultural Reconstruction“ zusammen mit dem 52 nach der Gründung des Gesamtarchivs dort deponiert, zweiten Teil der Darmstädter Gemeindeakten59 an das während die jüngere Gemeinde-Registratur im Verwal- JHGA abgegeben. tungsgebäude der Gemeinde untergebracht war. Die Vernichtungsmaßnahmen der Nazis setzten der beinahe tausendjährigen Geschichte der jüdischen Das jüdische Archivgut aus Darmstadt Gemeinde Worms ein grausames und definitives Ende. Nur ein kleiner Teil des Archivguts aus dem Museum und der Gemeindeverwaltung konnte vor den Flammen der Das Archivgut von Darmstadt umfasst folgende vier Ein- Kristallnacht gerettet werden. Diese Akten wurden vorerst heiten: Israelitische Religionsgemeinde (660 Akten), die im Keller der Gestapo in Darmstadt aufbewahrt. Von dort orthodoxe Religionsgesellschaft (9 Akten), Landrabbinat wurde das wertvolle Archiv- und Kulturgut durch den und Rabbinat Darmstadt (88 Akten) sowie die Landjuden- Direktor des Archivs und Museums der Stadt Worms, unter höchster persönlicher Gefährdung, in einen Turm 53 Zu jenem Zeitpunkt (1955) lebten acht Juden in Worms. des Doms geschmuggelt, um es den weiteren Zugriffen 54 Siehe Anm. 12. Die Stadt Worms konnte sich bei ihrer Argumentation auf den Standpunkt eines einzelnen ehemaligen Wormser Juden stützen, der der Gestapo zu entziehen. Die jüngeren Verwaltungsakten aus Israel nach Worms zurückgekehrt war und wohl dort wieder eine wurden wohl von der Gestapo ins Staatsarchiv Darmstadt Gemeinde gründen wollte. gebracht. 55 Die Stadt Worms gelangte mit ihren Berufungen bis ans Bundesgericht. 56 Raschi lebte im 11. Jahrhundert. Er ist bis heute der bedeutendste Kom- mentator der Bibel und des Talmud. Da Raschi in Worms studierte, 49 Siehe unten. bewahrte die Stadt viele Erinnerungen an ihn, darunter die alte Raschi- 50 Für ausführliche Angaben über die Geschichte des Wormser Archivs kapelle und den Stuhl, auf dem Raschi angeblich lehrte. siehe den Artikel von Daniel J. Cohen, in: Bulletin des Leo Baeck Instituts, 57 Der Friedhof war zu jenem Zeitpunkt bereits zum größten Teil renoviert Nr. 2/3, 1958, S. 3–7. und die Synagoge sollte wiederaufgebaut werden, sobald die Besitzver- 51 Die ältesten Urkunden stammen aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. hältnisse geregelt waren. 52 Vgl. Mitteilungen des Gesamtarchivs der deutschen Juden. Heft 1, 1908, S. 46, 58 Die zwei Machsorhandschriften wurden der Nationalbibliothek der wo alle Gemeinden, die Akten im Gesamtarchiv deponierten, aufgelistet Hebräischen Universität Jerusalem übergeben. sind, darunter auch Worms. 59 Siehe unten.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 325 schaft Hessen-Darmstadt (191 Akten). Ein Teil des waren. Nach Blochs Angaben wurden alle Dokumente, die Gemeindearchivs, vorwiegend Akten aus dem 19. Jahr- nicht von der Gestapo konfisziert wurden, bei der Bom- hundert, wurden schon früh dem Gesamtarchiv in Berlin bardierung der jüdischen Gemeinderäumlichkeiten in übergeben. Von diesem Teil befinden sich rund hundert Stuttgart im Herbst 1944 zerstört. Cohen entdeckte indes Akten im CAHJP. in den Kellern des Landesverbandes in Stuttgart Original- In Darmstadt waren nach Berichten von Augenzeugen akten der Gemeinden Laupheim, Esslingen, Markelsheim Teile der jüdischen Gemeinde-Registratur bei der Zerstö- sowie die Dokumente der „Israelitischen Oberkirchenbe- rung und Plünderung der Synagogengebäude im Novem- hörde und des Oberrats der Israelitischen Religionsge- ber 1938 vernichtet worden. Das damals unversehrt meinschaft in Württemberg“. Bei Verhandlungen mit den gebliebene Archiv der Gemeinde mit den Landjuden- Vertretern des Landesverbandes erreichte Cohen, dass schafts-Akten seit dem 18. Jahrhundert und die erhaltenen diese knapp 200 Akten bereits zu Beginn des Jahres 1955 laufenden Registraturen wurden wohl im Laufe des Jahres nach Jerusalem versandt wurden. Der Landesverband 1941 von der Gestapo beschlagnahmt, wobei offenbar eine behielt lediglich die Akten nach 1933 für Restitutionsfor- Trennung zwischen den älteren Akten und der laufenden derungen. Gemeinderegistratur vorgenommen wurde. Bei Kriegs- ende befanden sich die älteren Archivteile in einem Keller- raum des Schlosses Darmstadt. Sie wurden kurz nach dem Das Gemeindearchiv der Synagogengemeinde Königs- Krieg von der „Jewish Cultural Reconstruction“ übernom- berg men und an das JHGA in Jerusalem übergeben. Als sich bei der endgültigen Bestandsaufnahme im Staatsarchiv Darmstadt noch weitere Restbestände von Die Synagogengemeinde Königsberg deponierte in den den Landjudenschafts- und Gemeindeakten des 18. und Jahren 1933 bis nach 1938 sukzessive ihr umfangreiches Gemeindearchiv mit 555 Dokumenten aus der Zeitspanne 19. Jahrhunderts fanden, die bei der Abgabe nach dem 61 Krieg übersehen worden waren, wurde mit dem JHGA 1791–1929 im Preußischen Staatsarchiv Königsberg. und der neuen Jüdischen Gemeinde Darmstadt abgespro- Wahrscheinlich wurden die Akten dem Staatsarchiv in chen, dass die gesamte Originalüberlieferung in Jerusalem vier gesonderten Teilen anvertraut, zumal die ursprüng- zusammengefasst werden sollte, das Darmstädter Staats- liche Liste aus dem Staatsarchiv vier Abteilungen aufwies, und Stadtarchiv aber Filme der wichtigeren Dokumente deren Trennung nicht immer logisch war. bekommen würde. Diese Akten gelangten 1973 ins CAHJP Bereits im Verlaufdes Weltkrieges wurden viele Archiv- und bildeten die 3. Abteilung des Darmstädter-Bestandes. bestände aus Sicherheitsgründen aus den östlichen Teilen Die jüngeren Gemeinde-Registraturen wurden im Ver- des Deutschen Reiches in das staatliche Archivlager Göt- lauf des Weltkrieges in einem vom Sicherheitsdienst tingen verlagert. Im Jahre 1955 wurde dem JHGA bekannt, genutzten Gebäude sichergestellt. Ende der 40er Jahre dass sich das beinahe komplette Archiv der ehemaligen wurden diese im Stadtarchiv Darmstadt untergebracht jüdischen Gemeinde Königsberg in Göttingen befand, und und 1969 an die neu gebildete jüdische Gemeinde Darm- die ersten Bemühungen zur Rettung des Archives wurden stadt übergeben. 1976 wurde dieser Bestand zur Ordnung in die Wege geleitet. Der Bestand konnte im Archivlager und Verzeichnung ins Staatsarchiv Darmstadt überführt Göttingen besichtigt werden. Die Verhandlungen zwi- schen Alex Bein und der Jewish Trust Corporation einer- und nach vorgängiger Verfilmung ebenfalls ins CAHJP 62 abgegeben. Mit dieser 1977 in Jerusalem eingegangenen seits und der Regierung von Niedersachsen andererseits, 4. Abteilung war die Überführung der Originalakten der in deren Obhut das Archivgut lag, dauerten mehrere Jahre. ehemaligen Darmstädter Judenschaft beinahe abgeschlos- Es scheint indes, dass die Verhandlungen nicht so hart sen. Ein kleiner Restbestand, der 1983 in der Jüdischen waren wie an anderen Orten. Der Leiter des Archivlagers Gemeinde Darmstadt entdeckt wurde, gelangte seiner- in Göttingen war mit Bein einig, dass das Archivgut dort seits 1989 ins CAHJP. gelagert sein sollte, wo die ehemaligen Gemeindemitglie- der oder deren Nachfahren wohnten.63 Aus diesem Grund wurden die Akten auch nach dem Krieg nicht nach Königsberg zurückgebracht. Akten von ehemaligen jüdischen Gemeinden in Würt- Dennoch dauerte es bis Juli 1959, bis der gesamte temberg Archivbestand der Synagogengemeinde Königsberg nach Jerusalem überführt werden konnte. Es scheint, dass, im Gegensatz zu anderen in deutschen Archiven deponierten Im Jahre 1951 erhielt das JHGA mit der Übergabe durch Beständen, das Gemeindearchiv von Königsberg weder die „Jewish Cultural Reconstruction“60 auch die Akten der im dortigen Staatsarchiv noch in Göttingen neu geordnet württembergischen Gemeinde Freudental. Die Stadt Freu- oder verzeichnet wurde, denn das Material war bei der dental hatte den Bestand 1939 im Württembergischen Ankunft im JHGA nach wie vor in die oben erwähnten Staatsarchiv Ludwigsburg deponiert, welches das Mate- vier Abteilungen aufgeteilt. rial später freiwillig an die JRSO Stuttgart abgab. Bei seiner zweiten Deutschland-Reise 1954 besuchte 61 Zum Schicksal der Königsberger Akten vor 1933 siehe Brilling (Der Daniel Cohen auch das Land Württemberg. Der Vertreter Archivar 1960), Anm. 46. des Landesverbandes, Rabb. Dr. Bloch, legte Cohen bei 62 Das Lager in Göttingen unterstand direkt dem staatlichen Archiv des Landes Niedersachsen in Hannover. den ersten Gesprächen dar, dass in ganz Württemberg 63 Der erste Teil der Akten wurde vom damaligen Gemeindevorsteher, der keine weiteren Akten von jüdischen Gemeinden erhalten selbst nach Amerika emigrierte, im Preußischen Staatsarchiv deponiert. Deshalb bemühte sich Bein, vom ehemaligen Gemeindevorsteher eine offizielle Einwilligung zur Überführung der Akten nach Jerusalem zu 60 Siehe Anm. 9. erlangen.

326 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 lung Moritz Stern nur zufällige stückweise Errungen- Das Archiv der Israelitischen Gemeinde Halberstadt schaften gemacht hatte.

Ein Teil des bedeutenden Gemeindearchivs Halberstadt Schlussbemerkungen befand sich in den 30er Jahren im Besitz des Bibliothekars der jüdischen Gemeinde Berlin, Moritz Stern, dessen Die einzelnen Archivbestände der ehemaligen jüdischen Interesse vor allem der Geschichte der deutschen Juden im Gemeinden Deutschlands nahmen während der Naziherr- Mittelalter galt. Stern sammelte für seine Forschungen schaft und insbesondere nach der Kristallnacht im Originaldokumente, Abschriften und Zusammenfassun- November 1938 sehr unterschiedliche Wege. Abgesehen gen von alten Gemeindeakten aus ganz Deutschland. vom Gemeindearchiv Danzig, das vor 1938 in Sicherheit Stern selbst starb 1939 in Berlin. Seine Familie indes konnte gebracht wurde, war spätestens ab 1939 das gesamte deut- nach Palästina auswandern und die gesamte Dokumen- sche jüdische Archivgut dem Zugriff der Nazis ausgelie- tensammlung von Moritz Stern mitnehmen. Sterns Ange- fert. Die nationalsozialistische Ideologie, welche die Aus- hörige übergaben die Sammlung 1941 dem JHGA als Leih- 64 rottung des jüdischen Volkes beinhaltete, aber aus den gabe. schriftlichen Zeugnissen sein Wesen „wissenschaftlich“ Die Sammlung umfasst knapp 900 Akten – teils Origi- erforschen wollte, bewirkte, dass zumindest Teile der jüdi- nale, teils Abschriften – von der Israelitischen Gemeinde schen Gemeindearchive erhalten blieben. Halberstadt. Die Dokumente bezeugen die Geschichte der Die Schicksale der Akten während des Krieges waren Juden in Halberstadt vom späten 17. bis ins frühe 19. Jahr- ebenso unterschiedlich wie ihre Wege bis zur Überfüh- hundert. In den 50er Jahren konnte der Bestand durch die rung ins JHGA in Jerusalem. Während die Gesetzgebung rund 60 Halberstädter Akten aus dem Gesamtarchiv in verschiedenen Bundesländern, wie beispielsweise ergänzt werden. Somit deckt das heute im CAHJP erhal- Bayern, die freiwillige Übergabe der Bestände an die tene Gemeindearchiv von Halberstadt vor allem die frühe Nachfolgeorganisationen des deutschen Judentums Epoche der jüdischen Gemeinschaft in Halberstadt ab, bestimmte, betrachteten sich die staatlichen Institutionen während die jüngeren Verwaltungsakten verschollen sind. in einzelnen Städten, in deren Gewahr sich die Akten infolge der Nazipolitik befanden, auch als zukünftige legi- time Besitzer des Archivguts. Deshalb konnten einzelne Das Archiv der Synagogengemeinde Danzig65 wichtige Sammlungen wie das Gemeindearchiv von Ham- burg-Altona erst nach jahrelangen Verhandlungen ins JHGA gebracht werden. In anderen Fällen, wie das Archiv Die Freie Stadt Danzig geriet ab 1933 in den Konflikt zwi- der Gemeinde Fürth zeigt, mussten die neu gebildeten schen Polen und Deutschland. 1937 war die Gleichschal- jüdischen Gemeinden oder jüdischen Dachverbände in tung der Stadt mit dem Deutschen Reich soweit fortge- Deutschland überzeugt werden, dass die geretteten schritten, dass auch die Verfolgungsmaßnahmen gegen Bestände im JHGA in Jerusalem sicher und zweckvoll auf- die Juden immer schärfere Formen annahmen. Im Oktober bewahrt werden sollten. wurde erstmals vom Senat eine geordnete Auswanderung Die Anzahl der erhaltenen Akten aus den verschiede- der Juden, mit Zwangsliquidierung ihres Vermögens, nen Gemeindearchiven steht, abgesehen von den wenigen initiiert. Bis Oktober 1938 war die Hälfte der Gemeinde- fast vollständig erhaltenen Archivbeständen, in keinerlei mitglieder aus Danzig ausgewandert und nach den Korrelation zur Größe und Bedeutung der jeweiligen Vor- Novemberpogromen nahmen die Auswanderungsbemü- kriegsgemeinde. Während von einzelnen relativ unbedeu- hungen seitens der Gemeindevorsteher für die verbliebe- tenden bayerischen Gemeinden, wie bespielsweise Forch- nen Gemeindemitglieder stark zu. Sie versuchten, die heim, mehrere hundert Akten erhalten sind, existieren von Massenauswanderung durch den geregelten Verkauf der den wichtigen jüdischen Gemeinden Frankfurt a. M. und Gemeindegüter und Grundstücke zu finanzieren. Durch Berlin nur relativ wenige eigentliche Gemeindeakten. zunehmende antijüdische Gesetze wurde der Selbstauflö- Während das Gemeindearchiv von Frankfurt während der sungsprozess der Gemeinde beschleunigt. Nazizeit größtenteils verbrannt ist68, ist bis heute unklar, Im Mai 1939 begann der Abbruch der Synagoge. Das was mit dem Berliner Gemeindearchiv passiert ist, wel- reichhaltige Inventar der Synagoge wurde zur Rettung an ches im selben Gebäude wie das Gesamtarchiv in der Ora- 66 den „Joint“ nach New York versandt. Gleichzeitig wurde nienburger Straße untergebracht war.69 Hinsichtlich des 67 das rund 2000 Akten umfassende Gemeindearchiv an die Archivs der jüdischen Gemeinde Berlin wie anderer bis Jewish Agency in Jerusalem geschickt. Diese übergab sie heute verschollener jüdischer Archivbestände besteht dem 1938 gegründeten JHGA. Damit bildete das Danziger nach wie vor die Hoffnung, dass sie eines Tages in einem Gemeindearchiv die erste vollständige Sammlung des entlegenen Archiv entdeckt werden und ebenfalls ins JHGA, welches bis dahin nebst des Materials der Samm- CAHJP überführt werden können.

64 Die Sammlung Moritz Stern (Signatur P17 im CAHJP) umfasst Original- 68 Die eigentlichen Gemeindeakten von Frankfurt im CAHJP sind die weni- akten und Aktenabschriften aus dem 14. bis 20. Jahrhundert zu verschie- gen Überreste dieses fast vollständig verbrannten Gemeindearchivs. Des- denen jüdischen Gemeinden in Deutschland und Italien. halb sind auch viele der Akten angesengt. Zum Schicksal der Frankfurter 65 Zum Schicksal der jüdischen Gemeinschaft von Danzig siehe: Erwin Akten siehe auch: Peter Honigmann, Die Frankfurter Nachkriegsakten Lichtenstein, Die Juden der Freien Stadt Danzig unter der Herrschaft im Heidelberger Zentralarchiv, in: Wer ein Haus baut, will bleiben. 50 des Nationalsozialismus, Tübingen 1973. Jahre Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main, 1998, S. 156–164. 66 Vom amerikanischen Judentum 1914 gegründete Organisation zur 69 Die einzigen erhaltenen Berliner Akten stammen aus dem Gesamtarchiv- Unterstützung verfolgter und leidender Juden auf der ganzen Welt. bestand. Von ihnen befinden sich 180 Akten im CAHJP,. mehr als tausend 67 Die Akten spiegeln die Geschichte der Synagogengemeinde Danzig ab Akten im „Centrum Judaicum“ in Berlin, 58 Akten im „Zydowski Instytut 1765 bis 1938 wider. Historyczny“ in Warschau und 9 Akten im „Osoby Archiv“ in Moskau.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 327 Archivtheorie und -praxis Archive und Bestände

Die Sächsische Archivverwaltung erwirbt Archivalien geren Kolleginnen und Kollegen im Staatsarchiv Marburg beim Germanischen Nationalmuseum Nürnberg und in der Marburger Archivschule, wo er ab 1961 für Die Sächsische Archivverwaltung hat beim Germanischen mehrere Jahre an der Ausbildung der Inspektorenkurse Nationalmuseum Nürnberg Urkunden, Schreiben, Quit- beteiligt war. Sieburg beschränkte sich nicht auf die tungen und Briefe aus der Zeit vom 14. bis zum 19. Jahr- „stille“ Ordnungs- und Verzeichnungsarbeit am Büro- hundert erworben. Die Dokumente werden den zuständi- schreibtisch und im Magazin, sondern war auch stets gen Staatsarchiven zugeordnet und stehen in Kürze für die bestrebt, die von ihm entdeckten und erschlossenen Quel- Benutzer zur Verfügung. Die älteste Urkunde datiert von len und seine fundierten archivfachlichen Kenntnisse 1362 und gibt Auskunft über die Verleihung von Einkünf- einer breiteren Öffentlichkeit zugute kommen zu lassen. ten an den Domprobst zu Meißen. Aus einer Urkunde des So wird Sieburg nicht nur vielen Benutzern des Staatsar- Jahres 1426 geht die Übernahme der Herrschaft Wilden- chivs als auskunftsfreudiger, kompetenter und stets hilfs- stein durch die sächsischen Kurfürsten hervor. Unter den bereiter Referent in Erinnerung bleiben. Weiten Bevölke- angekauften Stücken befinden sich ferner Quittungen rungskreisen in der Region wurde Sieburg durch seine bekannter Dresdner Künstler aus dem frühen 19. Jahrhun- Publikationen und lokalgeschichtlichen Vorträge bekannt. dert sowie Briefe sächsischer Soldaten aus dem Schleswig- Allein in den vergangenen vier Jahren veröffentlichte er Holsteinischen Krieg von 1849. Zu den Kuriosa zu rechnen drei Findbücher und neun Aufsätze und hielt 26 (!) Vor- sind Schreiben aus den Jahren 1718/19, in denen der kur- träge zur Orts- und Heimatgeschichte. Viele Jahre war fürstliche Pirsch- und Wildmeister Ernst Balthasar Schäfer Armin Sieburg darüber hinaus Schriftführer des Marbur- aufgefordert wird, einen Brunfthirsch zu schießen, der für ger Zweigvereins des Vereins für Hessische Geschichte die Zubereitung von Arzneien benötigt wurde. und Landeskunde. Seiner alten Wirkungsstätte wird Armin Sieburg auch nach der Pensionierung nicht gänzlich den Rücken keh- Amtsrat Armin Sieburg (Staatsarchiv Marburg) in den ren. Der Ruheständler hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Als Ruhestand verabschiedet ehrenamtlicher Mitarbeiter möchte Sieburg die bereits Nach 44 Dienstjahren im Staatsarchiv Marburg schied weit vorangetriebene Verzeichnung der älteren hessen- Amtsrat Armin Sieburg am 31. Mai d. J. nach dem Errei- darmstädtischen Akten über den Raum Biedenkopf chen der Altersgrenze aus den Diensten des Landes Hes- abschließen und die Lehnsakten der Landgrafschaft Hes- sen. Der zum „Urgestein“ der hessischen Archivarszunft sen-Kassel verzeichnen. Darüber hinaus wird er sich auch zählende, am 22. Mai 1937 in Köln geborene und in Mar- an der Geschäftsführung der Historischen Kommission burg aufgewachsene Sieburg absolvierte bereits seine für Hessen beteiligen. Ausbildung im Staatsarchiv Marburg. Die Marburger Kolleginnen und Kollegen ehrten Klangvolle Namen stehen am Beginn seiner Laufbahn. Armin Sieburg am 4. Juni d. J. im Rahmen einer Feier- So war die Übernahme des 21-Jährigen zum 1. Mai 1958 stunde im „Landgrafensaal“ des Staatsarchivs. Archiv- auf eine bis dahin nicht existierende Archivarsstelle eine direktor Dr. Andreas Hedwig, Dr. Günter Hollenberg Gemeinschaftsleistung des damaligen Ltd. Archivdirek- als Vorsitzender des Personalrats und Frau Sabl als Ver- tors Johannes Papritz und des zuständigen Referenten treterin der Frauen würdigten die Verdienste des leiden- im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst schaftlichen Archivars und die Vorbildfunktion des kom- Prof. Dr. Georg Wilhelm Sante. Ausgebildet wurde der petenten, stets freundlichen und hilfsbereiten Mitarbei- junge Archivanwärter vom späteren Direktor des Staatsar- ters, der durch seine unermüdliche Erschließungsarbeit, chivs Darmstadt und langjährigen VdA-Vorsitzenden seine Publikationen und Vorträge in Hessen jahrzehnte- Prof. Dr. E. G. Franz, damals Archivrat im Staatsarchiv lang als die ideale Verkörperung des Archivars galt. Marburg. Wie rasch es Sieburg gelang, die Leitung des Marburg/L. Karl Murk Hauses von seinen Fähigkeiten zu überzeugen, ist nicht zuletzt an seinen Beförderungen ablesbar. In nur sechs Jah- ren stieg er vom Archivinspektor (1961) und Archivober- Nachlass Bernhard Quandt im Landeshauptarchiv inspektor (1965) zum Archivamtmann (1967) auf. Am Schwerin 1. April 1978 erfolgte die Ernennung zum Archivamtsrat. Im Oktober 2001 unterzeichneten Hermine Quandt und Unter insgesamt sieben Archivdirektoren hat Sieburg Dr. Röpcke, Direktor des Landeshauptarchivs Schwerin, seit 1958 ununterbrochen im Staatsarchiv Marburg einen Verwahrungsvertrag zum Nachlass des am 6. Au- gewirkt. Zu seinen Betätigungsfeldern zählten u. a. die gust 1999 verstorbenen Bernhard Quandt. Damit verfügt Sicherung und Erschließung der Aktenüberlieferung von das Landeshauptarchiv über einen Quellenfundus, der Kreisen, Städten und Gemeinden. Bürgermeister und vor allem den Lebensweg und die berufliche Verantwor- Landräte wurden von ihm bei der Einrichtung eigener tung eines bedeutenden mecklenburgischen Parteifunk- Archive kompetent beraten. Von seinen außerordentlich tionärs und Landespolitikers widerspiegelt. umfangreichen Erschließungsarbeiten zeugen viele Archivrepertorien zum kommunalen Schriftgut wie auch Biografischer Abriss zu zahlreichen älteren Aktenbeständen der Landgraf- Bernhard Quandt wurde am 14. April 1903 in Rostock schaft Hessen-Kassel. Von seinen in Jahrzehnten gewach- geboren. Nach dem Besuch der Volksschule erlernte er in senen lokal- und regionalhistorischen Kenntnissen und Gielow den Beruf des Eisendrehers. Während der Lehrzeit seiner fachlichen Kompetenz profitierten auch seine jün- hatte er erste Kontakte zur proletarischen Bewegung. Er

328 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 wurde 1918 Mitglied des Metallarbeiterverbandes und Gegenständen vornehmlich von seinen Auslandsaufent- 1920 der Sozialistischen Arbeiterjugend und der SPD. halten in Ländern Südostasiens, Afrikas und Lateinameri- 1922 erhielt er eine Arbeitsstelle in einer Maschinen- kas sind bedeutsame Seiten seines Lebens repräsentiert. fabrik in Hamburg und sammelte hier für seinen weiteren Hinzu kommen noch Bücher und Broschüren, die in Vor- politischen Lebensweg entscheidende Erfahrungen. Aus bereitung beabsichtigter Lebenserinnerung intensiv der Nähe konnte er den kommunistisch inspirierten Streik durchgearbeitet wurden. Da es sich hier um den Nachlass beobachten und sympathisierte mit seiner Zielsetzung. eines Spitzenfunktionärs der SED handelt, der viele Jahre Nach seiner Rückkehr nach Gielow 1923 trat er der KPD maßgeblich die Entwicklung in Mecklenburg (Vorpom- bei, wurde 1927 Parteisekretär in der Ortsgruppe der KPD mern) und im Bezirk Schwerin mitbestimmt hatte, dessen Gielow und Mitglied der Gemeindevertretung sowie des Tätigkeit in zahlreichen Unterlagen aus SED-Beständen Amtsausschusses Malchin. Während die politische Betäti- und staatlichem Schriftgut bereits dokumentiert ist, hiel- gung immer mehr zum Hauptinhalt seines Lebens wurde, ten wir es für geboten, ihn der historischen Forschung konnte er beruflich keine Stabilität erreichen. Er lebte von nicht lange vorzuenthalten. Eine intensive Erschließung Gelegenheitsarbeiten in der Forstwirtschaft, im Meliora- sollte den Nachweis der Bedeutsamkeit seines Inhalts lie- tions- und Straßenbau, Torfabbau und half in dem kleinen fern. Der Nachlass wurde geordnet, gegliedert und jede Landwirtschaftsbetrieb seiner Eltern. Akteneinheit systematisch erschlossen. Die Vertiefung der Wirtschaftskrise und die Zuspitzung Die Übermittlung von Dokumenten aus den einzelnen der politischen Auseinandersetzungen zu Beginn der 30er Lebensabschnitten bzw. Arbeitsperioden ist sehr unter- Jahre sahen Quandt neben Hans Warnke und Willi schiedlich. Das mag an der persönlichen Gewichtung der Schröder in führender Position in Auseinandersetzun- einzelnen Abschnitte liegen, wie auch überhaupt an der gen mit Sozialdemokraten und Nationalsozialisten. Nach- Einstellung zu einem Nachlass und der Vorstellung, was dem die Nationalsozialisten im Januar 1933 an die Macht man der Nachwelt überlassen sollte. Somit ist es nicht von gelangten, erfolgte das Verbotder KPD, und eine Welle des ungefähr, dass die Zeit des sozialistischen Aufbaus in der Terrors und der Verfolgung von Kommunisten begann. DDR von 1952 bis 1989 am ausführlichsten mit Dokumen- Quandt wurde mehrmals wegen illegaler Betätigung und ten und Bildern belegt ist. Dabei handelt es sich um Hochverrats verhaftet. Mit dem Beginn des Zweiten Welt- Manuskripte von Reden und Artikeln zu gesellschaftli- krieges am 1. 9. 1939 wurde er verhaftet und in das Kon- chen Höhepunkten, Gedenk- und Feiertagen, Würdigung zentrationslager Sachsenhausen eingewiesen. Die längste des Lebens von Kampfgefährten sowie Sammlungen von Zeit seiner Inhaftierung musste er jedoch im KZ Dachau Dokumentationen der Medien. verbringen. Eingestuft als besonders „gefährliche Person“ Einen Schwerpunkt bilden Dokumente zur Durchfüh- sollte er erst wieder nach der Befreiung durch französische rung der Bodenreform und Entwicklung der Landwirt- Truppen das Licht der Freiheit erblicken. Nach Gielow schaft. Hier setzt die Überlieferung bereits 1945 ein und zurückgekehrt, war ihm nur eine kurze Pause zur Erho- belegt die enge Beziehung Quandts zur Bodenreform und lung von der langen Haftstrafe vergönnt. Mit der Zulas- Kollektivierung der Landwirtschaft. sung politischer Parteien durch die Sowjetische Militärad- Zu erwähnen ist, dass es in einer Vielzahl der Reden ministration wurde Quandt am 10. Juni 1945 1. Kreissekre- und Artikel einen starken Bezug zu Historisierung gibt, tär der KPD in Güstrow. Nach der Bildung der Landesver- wobei die Arbeiterbewegung mit ihren Erfolgen und Nie- waltung Mecklenburg wurde er Landrat des Kreises derlagen und auch die persönlichen Erfahrungen domi- Güstrow. 1948 wurde er Landwirtschaftsminister von nieren. Das wird besonders deutlich in Artikeln und Mecklenburg und nach dem plötzlichen Tod von Kurt Bür- Reden zur mecklenburgischen Geschichte und Kultur und ger Ministerpräsident des Landes. Mit der Auflösung der den Zeugnissen zum antifaschistischen Widerstands- Länderstruktur und der Errichtung des Zentralstaates mit kampf. territorialer Neugliederung nach Bezirken und Kreisen Seine Tätigkeit als Mitglied des Staatsrates findet sich in 1952 erhielt Quandt die Aufgabe, als 1. Sekretär der SED- Dokumenten von Reisen in mehrere Länder überwiegend Bezirksleitung Schwerin die politische Führung bei der Afrikas und Lateinamerikas. Es sind Reden bei Begegnun- Errichtung des Sozialismus zu gewährleisten. gen mit Repräsentanten dieser Länder, Fotos und B. Quandt war bei der Parteiführung aufgrund seiner Geschenke. Außerdem war er häufig beauftragt, auf Stadt- Prinzipientreue, antifaschistischen Vergangenheit und jubiläen die Grußadresse des Staatsoberhauptes zu über- Fähigkeit zur Umsetzung zentraler Beschlüsse anerkannt. bringen, was er in der Regel mit einer kurzen Rede verband. So überstand er alle politischen Wirrnisse um den 17. Juni Das Ende der SED und der DDR 1989 bedeutete für 1953 und die Wirkungen des „Prager Frühlings“ bis zu sei- Bernhard Quandt nicht nur eine Zäsur in seinem Leben. Er nem Ausscheiden als 1. Sekretär 1974. Sein Leben war empfand es als eine persönliche Niederlage in einem jahr- jedoch fortan nicht das eines Pensionärs, sondern durch zehntelangen Kampf, den er eigentlich gewinnen wollte. vielfältige politische Aktivitäten gekennzeichnet. Er Er war bis kurz vor seinem Tod politisch aktiv, engagierte gehörte weiterhin dem Zentralkomitee der SED an und sich in der Partei des Demokratischen Sozialismus, sprach wurde Mitglied des Staatsrates der DDR. Im Auftrag die- auf Versammlungen der antifaschistischen Widerstands- ser Gremien hatte er zahlreiche Aufgaben im In- und Aus- kämpfer. land zu erfüllen. Sein Lebenswerk wurde mit höchsten Als besonders schmerzlich empfand er das Bestreben, staatlichen Auszeichnungen der DDR gewürdigt, deren sein Lebenswerk mit der Aberkennung der Ehrenrente als Unterlagen ebenfalls an das Archiv abgegeben wurden. antifaschistischer Widerstandskämpfer zu entwürdigen. Für ihn war die Tätigkeit von 1945 bis 1989 die Fortsetzung Inhalt des Nachlasses und Realisierung dessen, wofür er über neun Jahre in Mit 120 Akteneinheiten, 22 thematisch gestalteten Bilder- Gefängnissen und Konzentrationslagern hatte leiden alben und zahlreichen Einzelfotos sowie Geschenken und müssen. Im Nachlass sind Unterlagen darüber enthalten,

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 329 wie er die Auseinandersetzung über mehrere Instanzen Archiv der deutschen Jugendbewegung Witzenhausen der Gerichtsbarkeit aufnahm und schließlich gewann. Am 23. 11. 2001 wählte das Kuratorium der Stiftung Zahlreiche Zeugnisse der Solidarität von Persönlichkeiten Jugendburg Ludwigstein und Archiv der deutschen unterstützten ihn in seinem Vorhaben. Jugendbewegung Witzenhausen Prof. e. h. Wolfgang Das Landeshauptarchiv hat das Recht, Interessenten an Hempel für drei Jahre als Archivreferenten in den Vor- dem Nachlass die Einsicht zu gewähren, jedoch mit der stand der Stiftung. Mit seiner Wahl am 3. 3. 2002 zum Einschränkung, dass jede Benutzung durch Frau Hermine Archivreferenten der Vereinigung Jugendburg Ludwig- Quandt genehmigungspflichtig ist. stein e. V. übernahm Dr. Herbert Reyer, Direktor des Schwerin Klaus Schwabe Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim, in dem neu bekleideten Amt einen Sitz im Kuratorium der Stif- „Wirtschaftsarchiv des Jahres“ tung Jugendburg Ludwigstein und Archiv der deutschen Jugendbewegung. Im Auftrag des Hessischen Ministeri- Hohe Auszeichnung für das Bergbau-Archiv Bochum ums für Wissenschaft und Kunst wird die Fachaufsicht Nach dem Unternehmensarchiv der weltberühmten Mei- von Dr. Andreas Hedwig, Direktor des Hessischen ßener Porzellanmanufaktur ist jetzt das Bergbau-Archiv Staatsarchivs Marburg, wahrgenommen. Eine Auswahl- beim Deutschen Bergbau-Museum Bochum zum „Wirt- kommission und der Vorstand der Stiftung haben nach schaftsarchiv des Jahres“ ernannt worden. Verliehen wird Zustimmung durch das Kuratorium am 22. 6. 2002 diese Auszeichnung seit 2001 von der Vereinigung deut- Dr. Susanne Rappe-Weber, Archiv-Assessorin, zum scher Wirtschaftsarchivare (VdW), dem Interessensver- 24. 6. 2002 die Leitung des Archivs der deutschen Jugend- band der Wirtschaftsarchivare und -archive in Deutsch- bewegung übertragen. Die Archivtagung des Archivs der land und dem deutschsprachigen Ausland. Mit dem Preis deutschen Jugendbewegung findet in diesem Jahr nicht werden Beiträge zur Stärkung der Akzeptanz von statt. In Kürze wird sich ein Gremium zusammensetzen, Geschichte und historischem Bewusstsein im Unterneh- um den Archivtag 2003 zu planen. men oder in der Öffentlichkeit gewürdigt. Überreicht Baden-Baden Wolfgang Hempel wurde er am vergangenen Wochenende in der Heidelber- ger Print Media Academy im Rahmen der VdW-Jahresta- gung, an der gut 200 Wirtschaftsarchivare und Wissen- 100 Jahre Archiv für Geographie im Institut für Länder- schaftler teilnahmen und die dem Thema „Geschichte und kunde Leipzig: 1902–2002 Innovation sind keine Gegensätze“ gewidmet war. Das „Archiv für Geographie“ feiert in diesem Jahr seinen Wie der Berliner Wirtschaftskolumnist Dr. Peter Gil- 100. Geburtstag. Die 1902 unter dem Namen „Archiv für lies in seiner Laudatio zum Beginn der Tagung ausführte, Forschungsreisende“ innerhalb der „Abtheilung für ver- hat die Jury den diesjährigen Preis dem Bergbau-Archiv gleichende Länderkunde“ des Leipziger Museums für zuerkannt, weil dessen Leiterin Dr. Evelyn Kroker im Völkerkunde einsetzende Sammlungs- und Forschungstä- Jahre 2001 zum Abschluss ihres 25-jährigen Wirkens eine tigkeit ist auch nach 100 Jahren noch ungebrochen und lebt umfangreiche Übersicht über die Bestände vorgelegt hat. im 1992 gegründeten Institut für Länderkunde fort. Das Mit dieser reich illustrierten Publikation seien Maßstäbe heutige „Archiv für Geographie“ bildet zusammen mit gesetzt worden, wie Historische Archive ihre Schätze der „Geographischen Zentralbibliothek“ einen einzigarti- publikumswirksam präsentieren können: „Das Kroker- gen Fundus der deutschsprachigen Geographiegeschichte Kompendium bietet eine unglaubliche Fülle von Bestän- im weitesten Sinne. Die Sammlungen gliedern sich in das den – besser: Erinnerungen –, lesefreundlich gestaltet und aus über 100 Nachlässen und Nachlassteilen bestehende grafisch ansprechend gegliedert. Als Journalist hat mich Schriftarchiv und die umfangreiche Bildersammlung besonders beeindruckt, dass man hier nicht nur alles über (150.000 Fotos, 120.000 Ansichtskarten, 800 Gemälde, u. a.). Kohle und Erze, Zechen und Syndikate, Verhüttung und Die 1896 eröffnete „Abtheilung für vergleichende Län- Gruben erfährt. Es kommen auch Menschen vor, ihre derkunde“ war das Lebenswerk des Dresdner For- Schicksale in zwei schrecklichen Kriegen und als sie die schungsreisenden und Geologen Alphons Stübel (1835– Ärmel aufkrempelten, Trümmerfelder und Dividenden, 1904). Sein besonders in Südamerika zusammengetrage- der Hauer auf Zeche Sophia-Jacoba und sein Schulzeug- nes Sammlungsgut (u. a. Gemälde, Zeichnungen, Fotos, nis. Die Skala reicht von den schwarzen Göttern – dem Karten, Gesteine) bildete den Grundstock der Museums- Generaldirektor und Assessor des Bergfachs – bis zum abteilung. Anschaulich präsentiert wurden besonders die Obersteiger Friedrich Koch oder dem Hauer Heinrich naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und regiona- Löffler.“ len Vergleiche der Erde am Beispiel des Vulkanismus. Als Dr. Michael Farrenkopf, seit anderthalb Jahren neuer Exponate dienten handgezeichnete großformatige Pan- Leiter des Bergbau-Archivs, nahm die Urkunde und die oramen, Karten, Texttafeln, Gesteine, Ethnographica, Preismedaille aus der Hand von Dr. Harry Niemann, Zeichnungen, Gemälde, Fotos, Reliefs und Modelle. Heute Vorsitzender der VdW und Leiter des Konzernarchivs der ist nur noch ein Bruchteil der Ausstellungsstücke erhalten, DaimlerChrysler AG, entgegen. In seine Dankesworte u. a. die handgefertigten Panoramen. schloss er ausdrücklich auch die am Zustandekommen Zusammen mit der Bibliothek, der Kartensammlung des Buches beteiligten Mitarbeiterinnen des Bergbau- und dem Bildarchiv wurde mit dem Forscherarchiv ein Archivs – Brigitte Kikillus, Gudrun Neumann und Bri- Fundus geschaffen für Ausstellungen und größere Publi- gitte Sturm-Rodeck – ein. Zur Zeit sei man im Bergbau- kationen, besonders aber für die gezeigte Dauerausstel- Archiv intensiv damit beschäftigt, den gesamten Inhalt lung. Das Archiv diente somit damals weniger als Konser- des Buches zusätzlich über das Internet einer weltweiten vierungs- und Forschungsstätte, sondern vielmehr als medialen Nutzerschaft zur Verfügung zu stellen. Depot und Informationspool, v. a. bezüglich der Kolonial- Bochum Michael Farrenkopf länder und Überseegebiete.

330 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Nach Stübels Tod wurde 1904 die Moritz-Alphons-Stü- Das 1992 neugegründete „Institut für Länderkunde“ bel-Stiftung gegründet. Die umfangreichen Bestände der führt nun die langjährige Tradition innerhalb des For- privaten Dresdner „Collection Stübel“, bestehend aus Stü- schungsverbundes der „Wissenschaftsgemeinschaft Gott- bels Privatbibliothek, Fotos und Gemälden, wurden in den fried-Wilhelm-Leibniz“ (WGL) fort. Das „Archiv für Geo- Leipziger Bestand übernommen. Das beachtliche Stif- graphie“ hat sich im wiedervereinigten Deutschland als tungsvermögen erlaubte es nun, eine personelle und pro- zentraler Anlaufpunkt der geographiehistorischen For- fessionelle Betreuung der Sammlungen zu ermöglichen. schung, aber auch des Sammelns und Erschließens bedeu- 1907 wurde die Abteilung schließlich in ein eigenständiges tender Nachlässe etabliert. städtisches „Museum für Länderkunde“ umgewandelt. Seit Ende der 1990er Jahre erfolgt die Nachlasserschlie- Die Sammlungen erfuhren nun, abgesehen von den üppi- ßung im „Archiv für Geographie“ auf rechnergestützter gen Beständen Stübels, erste Zuwächse – besonders inner- Grundlage mit dem Programm MIDOSA-Online. Leider halb des Schwerpunktes deutsche Kolonien. Bis zum I. lässt die aktuelle Personalsituation keine optimale und Weltkrieg zählten dazu u. a. der Ankauf und die Schen- kontinuierliche Bestandspflege, Nachlasserschließung kung zahlreicher Gemälde, die 126-teilige Reliefkarte von und Nutzerbetreuung zu. Projektgebunden konnten Sachsen und – wichtig für die heutigen Archivbestände – jedoch in den vergangenen drei Jahren mehrere Bestände die Nachlässe Wilhelm Reiss, Wilhelm Sievers und erschlossen und der Forschung zur Verfügung gestellt Rudolph Hauthal. werden. In dem von 1999–2001 von der VW-Stiftung Nach einer schwierigen Phase nach dem I. Weltkrieg geförderten Projekt „Formale und sachliche Erschließung wurde mit dem 1929 vollzogenen Umzug in das damals der Aktenbestände von Fachverbänden auf dem Gebiet hochmoderne „Neue Grassimuseum“ ein entscheidender der deutschen Geographie aus den Jahren 1953–1991“ Schritt vom Museum hin zum Forschungsinstitut eingelei- konnten vier Nachlässe geographischer Verbände tet. Unter dem Direktor Rudolf Reinhard (1876–1946) erschlossen und endgelagert werden. Die Online-Findbü- und dem Kustos Konrad Voppel (1892–1973) setzte eine cher sind im Internet recherchierbar (www.ifl-leipzig.de). intensive Ausstellungstätigkeit ein. Die neue Daueraus- Seit August 2001 läuft das von der DFG finanzierte Projekt stellung war konzipiert als ein „Museum der Erde“, mit „Nachlasserschließung des Bestandes Wolfgang Hartke“. Abteilungen für alle Landschaftszonen der Erde. In den Hier handelt es sich um einen Wissenschaftlernachlass 1930er Jahren erfuhr auch das Nachlassarchiv bedeutende von herausragender Bedeutung für die neuere Geogra- Zuwächse, u. a. durch die Bestände Joseph Partsch, Hans phiegeschichte. Besonders die umfangreichen Korrespon- Meyer, Carl Uhlig, Hans Steffen, Georg von Prittwitz-Gaf- denzen repräsentieren einen reichen Fundus an Quellen fron und die Unterlagen der ersten Deutschen Südpolarex- zur deutschen und internationalen Fachentwicklung. pedition 1901–1903. Die Fotosammlung zählte nun Auch bezüglich der umfangreichen und wertvollen 120.000 Titel; zusätzlich entstand eine Portraitsammlung Fotobestände haben kürzlich neue Vorhaben eingesetzt. bedeutender Gelehrter und Forschungsreisender. Die Zur Zeit laufen die Vorarbeiten zum Aufbau einer profes- Ernennung zum Reichsmuseum (Deutsches Museum für sionellen Bilddatenbank. Länderkunde) im Jahre 1935 und die 1942 vollzogene Das „Archiv für Geographie“ präsentiert sich der Umwandlung in das „Deutsche Institut für Länderkunde: Öffentlichkeit seit seiner Gründung besonders in Form Geographisches Zentralmuseum und Forschungsinsti- von Ausstellungen. Aktuell ist die Schau „Universitas tut“, verdeutlicht den Professionalisierungs- und Institu- Antarctica. 100 Jahre deutsche Südpolarexpedition 1901– tionalisierungsschub in jenen Jahren. Nach 1933 nahmen 1903 unter der Leitung Erich von Drygalskis“ an verschie- jedoch auch die stark nationalsozialistischen und nach denen Orten in Deutschland zu sehen. Kriegsausbruch auch kriegswichtigen Aktivitäten zu. Das Leipziger „Archiv für Geographie“ ist ebenso wie Auch ergänzte nun einiges Beutegut aus den eroberten die „Geographische Zentralbibliothek“ eine öffentliche Ostgebieten die Sammlungen. Einrichtung und kann von jedermann genutzt werden. Die enorme Zerstörung des Grassimuseums und die Institut für Länderkunde e.V., Leipzig gravierenden Kriegsverluste konnten einen Wiederaufbau Geographische Zentralbibliothek und Archiv des Instituts – Museum und Archiv eingeschlossen – nicht Schongauerstr. 9, 04329 Leipzig verhindern. Besonders unter dem von 1950–1970 tätigen Tel. 0341/2556526 Direktor Edgar Lehmann (1905–1990) wurden die Ein- E-mail: H–[email protected] richtungen nach und nach erfolgreich ausgebaut. Die www.ifl-leipzig.de Sammlungen erfuhren, oftmals durch einiges Verhand- Leipzig Heinz Peter Brogiato/Bruno Schelhaas lungsgeschick, wertvolle Zuwächse. Das „Deutsche Insti- tut für Länderkunde“ entwickelte sich zu dem zentralen Forschungsinstitut der Geographie in der DDR, ab 1968 Archivierung, Bewertung und Erschließung unter dem Dach der Akademie der Wissenschaften und ab 1978 als Großforschungseinrichtung unter dem Namen Die Unterstützung der Erschließung von Pfarr- und „Institut für Geographie und Geoökologie“. Das Museum Ephoralarchiven im Domstiftsarchiv Brandenburg schloss jedoch 1975 für immer seine Pforten. Viele Expo- durch die Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung nate wurden verschenkt, an andere Institutionen weiter- Die untere und mittlere Ebene der archivalischen Überlie- gereicht oder wurden unwiederbringlich vernichtet. Nur ferung der evangelischen Kirchen wird in der Evangeli- ein Bruchteil der Ausstellungsstücke ist heute noch vor- schen Kirche in Berlin-Brandenburg und in den meisten handen. Die Bibliothek, die Kartensammlung sowie die anderen evangelischen Landeskirchen größtenteils durch Nachlass- und Fotobestände konnten jedoch nahezu kom- ehrenamtliche Archivpfleger betreut. Da es oft schwierig plett in den heutigen Bestand überführt werden. ist, fachkundige und engagierte Archivpfleger zu finden, hat man begonnen, Pfarrarchive und die von den Superin-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 331 tendenten als Leiter der Kirchenkreise gebildeten Ephoral- dient. Deshalb müssen bei dem Verhältnis zwischen archive in regionalen Depositalarchiven zusammenzufüh- Schriftgutmenge und Personalstärke im Domstiftsarchiv ren.1 Solche Depositalfunktionen hat auch das Domstifts- andere Maßstäbe angelegt werden als in normalen Behör- archiv Brandenburg übernommen, das im Gegensatz zu denarchiven. Die Menge der zu übernehmenden Archive den meisten evangelischen Stiftsarchiven, die sich in den mit der Nutzerbetreuung und der Pflege und Erschlie- Landes- oder Staatsarchiven befinden, an seinem ßung der ursprünglichen Bestände des Domstiftsarchivs ursprünglichen Ort verblieben ist, weil das Domstift Bran- abzuwägen, ist zwar angedacht aber in der Endkonse- denburg nie endgültig aufgehoben worden ist. Die origi- quenz doch nicht eingehalten worden, damit kein gefähr- nären Bestände des Domstiftsarchivs sind die Urkunden detes Schriftgut, wofür ein Depositalbegehren vorlag, ver- des Hochstifts Brandenburg aus der Zeit, als die Bischöfe loren geht. Dazu sind die Pfarrarchive zu kostbar. In ihnen am Domstift Brandenburg noch einen wichtigen Herr- werden die Situationen der Menschen vor Ort (ob Rechts- schaftsmittelpunkt hatten, und die reiche schriftliche verhältnisse, Bevölkerungs- und Gesellschaftsstruktur, Überlieferung des Domkapitels, beginnend mit einem gro- soziale Verhältnisse, Frömmigkeit oder Mentalität) in ßen mittelalterlichen Urkundenbestand, seit dem 16. Jahr- einer Konkretheit widergespiegelt, die infolge der Instan- hundert fortgesetzt durch eine kontinuierliche Aktenüber- zenzüge (der Übergänge von den unteren zu den höheren lieferung, die zum einen die Verhältnisse der Untertanen Behörden) in den Archiven der mittleren und oberen des Domkapitels als Grundherrschaft detailliert wider- Ebene viel zu komprimiert oder gar nicht mehr überliefert spiegelt, zum anderen Quellen zur Geschichte des bran- wird. Hinzu kommt, dass die Überlieferung der Pfarrar- denburgisch-preußischen Staates enthält, weil das Dom- chive viel früher einsetzt als die der entsprechenden welt- stift bis 1945 landesherrlichen bzw. staatlichen Interessen lichen Gemeindearchive.2 Diese Überlegungen haben untergeordnet war, indem z. B. Domherrnstellen an hohe dazu geführt, dass im Domstiftsarchiv mehr Archiv- und Staatsbeamte und Militärs als Versorgung und Belohnung Bibliotheksgut deponiert worden ist, als es erschließen vergeben wurden oder die ehemalige Stiftsklausur für konnte. 1988 konnte von Konsistorium und Domstift noch eine Adelsschule, die Ritterakademie, zur Verfügung eine zweite Planstelle eingerichtet werden, um den zeitli- gestellt wurde. Durch diese Entfremdung von kirchlichen chen Abstand zwischen Übernahme von Schriftgut und Aufgaben war das Domstift nicht kirchlichen, sondern den seine Erschließung zu verringern. Seit der Vereinigung entsprechenden staatlichen Organen unterstellt (preußi- Deutschlands werden in der Evangelischen Kirche in Ber- sches Ministerium des Innern, nach dem Sturz der Mo- lin-Brandenburg viele Pfarren und Kirchenkreise zusam- narchie dem Regierungspräsidenten in Potsdam) und ist mengelegt, für deren Archive sich oft niemand mehr so erst infolge der endgültigen Trennung zwischen Staat und recht zuständig fühlt. Dadurch ist die Übernahme von Kirche im Land Brandenburg im Jahr 1946 der Kirche Pfarr- und Ephoralarchiven wieder stärker angestiegen. zurückgegeben und als Körperschaft des öffentlichen Angesichts dramatischer Stellenkürzungen im Kernbe- Rechts mit einer neuen Satzung der Aufsicht des Konsisto- reich kirchlicher Tätigkeit kann auf voraussehbare Zeit riums der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg aber keine Aufstockung des Archivpersonals aus Mitteln unterstellt worden. Seitdem das Domstiftsarchiv wieder kirchlichen Haushalts mehr erfolgen. Als im Jahre 2000 bei ein kirchliches Archiv ist, bot es sich an, der landeskirchli- 24 deponierten Superintendenturarchiven (191 lfm), 150 chen Archivpflege unter die Arme zu greifen und gefähr- Pfarrarchiven (374 lfm) und 11 größeren Kirchenbibliothe- detes Archiv- und Bibliotheksgut anderer Kirchengemein- ken (11.250 Bde.) eine Wartezeit von fast 10 Jahren zwi- den und Kirchenkreise im Domstiftsarchiv als Deposita schen Deponierung und Erschließung entstanden war (7 sicherzustellen und durch Erschließung zugänglich zu Ephoralarchive, 36 Pfarrarchive und eine bedeutende Kir- machen. Der Anfang war 1951 mit einer kostbaren Kir- chenbibliothek warteten auf ihre Erschließung), war ein chenbibliothek gemacht worden. Richtig angelaufen ist kritischer Punkt erreicht, der den Kurator des Domstifts, die Übernahme von Archiven und Bibliotheken erst 1974, Prof. Dr. Reihlen, bewogen hat, sich an Stiftungen um nachdem das Archiv hauptamtlich besetzt worden war Hilfe zu wenden. Dank der Bewilligung von Mitteln durch und Magazinräume eingerichtet werden konnten. die Dr. Meyer-Struckmann-Stiftung zur Förderung des Da Archive oder Bibliotheken nur bei Gefährdung Vorhabens „Sicherung und Erschließung von Kirchenar- übernommen werden (z. B. bei Lagerung in feuchten Kel- chiven im Domstift Brandenburg“ konnte am 1. Okt. 2001 lern, auf Böden oder in leerstehenden Pfarrhäusern) und die Diplom-Archivarin Frau Herrmann für ein Jahr, nun wenn die Pfarrer oder Gemeindekirchenräte ausdrücklich durch Verlängerung der Förderung für drei Jahre einge- darum bitten, weil ihnen für Erschließung und Betreuung stellt werden. Sie hat unter Anleitung der Mitarbeiter des Zeit und Kenntnisse fehlen, gibt es für die Übernahmen Domstiftsarchivs zunächst die beiden Pfarrarchive Hase- kein bestimmtes Zuständigkeitsgebiet, sondern sie loff und Rottstock, danach das Pfarrarchiv der Stadt Brück erstrecken sich fast auf die gesamte westliche berlin-bran- verzeichnet mit allen dazugehörenden Arbeiten, wie aus- denburgische Landeskirche. Infolge dieser Situation führlichen Enthältvermerken bei den vielen „Sammelak- kommt in den meisten Fällen völlig ungeordnetes Schrift- ten“, Aufarbeiten der zahllosen Einzelblätter durch gut in das Domstiftsarchiv, dessen Ordnung und Erschlie- Zuordnen zu vorhandenen oder Bildung von neuen ßung einen viel größeren Zeitaufwand als bei normalen Akten, Verfassen von Findbucheinleitungen bis hin zur Behördenarchiven erfordert, die das Schriftgut mit einem Übertragung der Signaturen und Titel auf die Archivalien, Übergabeverzeichnis erhalten, das als Grundlage der Ver- damit diese unkompliziert benutzt und zitiert werden zeichnung und oft auch als provisorisches Findhilfsmittel 2 Vgl. auch Toni Diederich, Gedanken zum Wert der Pfarrarchive und zur Sicherung ihrer historisch relevanten Kernüberlieferung, in: Überlie- 1 Vgl. Wolfgang Krogel, Landeskirchliches Archiv Berlin-Brandenburg, ferung, Sicherung und Nutzung der Pfarrarchive, Redaktion: Hans in: Brandenburgische Archive. Mitteilungen aus dem Archivwesen des Landes Ammerich, Speyer 1991 (Beiträge zum Archivwesen der Katholischen Kirche Brandenburg 17/18.2001, S. 19–22, hier S. 22. Deutschlands, Bd. 1), S. 10–26.

332 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 können. Zur Zeit verzeichnet Frau Herrmann das Pfarrar- Über das ZFB chiv der Stadt Bad Wilsnack, das auf Grund der berühm- Das Zentrum Bestandserhaltung in Leipzig bietet als hoch- ten Wallfahrtskirche in Wilsnack sogar bis in das Mittelal- spezialisierter Partner für Bibliotheken, Archive und ter zurückreicht. Das Findbuch dieses Archivs soll in den Museen jede denkbare Unterstützung und alle logisti- „Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Prignitz“ schen Maßnahmen rund um die Erhaltung von Buch- und veröffentlicht werden. Danach wird das Archiv der Garni- Dokumentenbeständen unter einem Dach. Dabei greifen sonkirche Potsdam verzeichnet werden, das durch eine vorwiegend selbst entwickelte Verfahren und traditionell- Abgabeliste zwar schon provisorisch benutzbar ist. Im handwerkliche Methoden perfekt ineinander. Blick auf die Pläne zum Wiederaufbau der Garnisonkirche In den nunmehr vier Jahren seines Bestehens hat das ist eine ausführliche Verzeichnung dieses Archivs aber ZFB den Schritt vom traditionell arbeitenden Restaurato- sehr wünschenswert. renbetrieb hin zu einem Experten-Team, das alle hand- Die Durchführung des von der Dr. Meyer-Struckmann- werklichen, wissenschaftlichen und technologischen Stiftung geförderten Vorhabens wird wie die Arbeit des Möglichkeiten einsetzt, um die Nachfrage aus Bibliothe- Domstiftsarchivs insgesamt organisatorisch, wissen- ken und Archiven nach bestandserhaltenden Maßnahmen schaftlich und archivalisch von einem Beirat betreut, dem befriedigen zu können, vollzogen. folgende Mitglieder angehören: Dr. Uwe Czubatynski, ZFB Zentrum für Bucherhaltung GmbH, Mommsenstraße 7, Pfarrer in Rühstädt; Dr. Antonius Jammers, Generaldi- D-04329 Leipzig Tel. (0341) 259 89–0, Fax (0341) 259 89–99, E-Mail: rektor der Staatsbibliothek Stiftung Preuß. Kulturbesitz [email protected], Internet: www.zfb.com a. D.; Dr. Maria von Katte, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel; Dr. Wolfgang Krogel, Leiter des Landes- kirchlichen Archivs der Evangelischen Kirche in Berlin- EDV und Neue Medien Brandenburg; Dr. Klaus Neitmann, Direktor des Bran- denburgischen Landeshauptarchivs; Prof. Dr. Helmut Vgl. die Beiträge „‚Informationstechnologie in der Verwaltung‘ Reihlen, Kurator des Domstifts Brandenburg; Dr. Hart- ...“ (unten unter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, mut Sander, Leiter des Evangelischen Zentralarchivs in Tagungen“), „Frühjahrstagung der Fachgruppe 7 ...“ (ebd.), Berlin. Für die erwiesenen Hilfen möchten wir der Dr. „Kolloquium zur Vorstellung ...“ (ebd.). Meyer-Struckmann-Stiftung und dem Beirat ausdrücklich danken. Benutzung, Öffentlichkeitsarbeit und Forschung Brandenburg Wolfgang Schößler Vgl. auch den Beitrag „16. Archivpädagogenkonferenz ...“ unten unter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, Tagun- Archivtechnik gen“. Vgl. auch die Beiträge „2. Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 „Tag der Archive“ in Karlsruhe ...“ (unten unter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, Über 300 Schüler werfen zum Landes-Geburtstag einen Blick Tagungen“), „Zentrum für Bestandserhaltung ...“ (unten unter auf die Entstehungsgeschichte des Landes der Rubrik „Auslandsberichterstattung“). Ein historisches Jubiläum stilgerecht an Originalquellen zu begehen – diese Chance ließen sich beim „Tag der Zentrum für Bestandserhaltung (ZFB): Kontinuität Archive“ in Karlsruhe anlässlich des 50. Geburtstags des gewährleistet Landes Baden-Württemberg am 25. April 2002 15 Schüler- Knappe öffentliche Haushalte zwingen ZFB zu Personalabbau gruppen mit 330 Schülern aus dem Raum von Bruchsal, Knappe öffentliche Haushalte zwingen Bibliotheken und Karlsruhe bis Offenburg nicht entgehen. Die Karlsruher Archive zu teilweise drastischen Sparmaßnahmen. Ver- Archive ermöglichten dabei einen gezielten Blick in die schiebungen und Kürzungen von Aufträgen für dringend Landesgeschichte. Anhand von Original-Dokumenten notwendige Maßnahmen zur Erhaltung wertvoller Bücher wie Plakaten, Korrespondenz, politischem Werbematerial, und Dokumente zwingen die ZFB Zentrum für Bestands- Karikaturen wurde das Verhältnis von Baden und Würt- erhaltung GmbH in Leipzig ebenfalls zu Kosteneinspa- temberg und die Entstehung des Südwest-Staates 1952 rungen. Von den derzeit 61 Arbeitsplätzen werden elf beleuchtet. Dabei setzen die beteiligten Archive Schwer- abgebaut. Dipl.-Ing. Ernst Becker ist aus der Geschäftslei- punkte entsprechend ihrer Bestände. Die politische und tung ausgeschieden, ist aber unverändert Gesellschafter regionale Dimension wurde vor allem vom Generallan- der Unternehmensgruppe. Nachfolger in der Geschäfts- desarchiv, Kreisarchiv und Stadtarchiv Karlsruhe themati- führung werden Dr. Manfred Anders, der bisherige Lei- siert, während Landeskirchliches Archiv und das Scheffel- ter der Bereiche Forschung und Entwicklung sowie Koor- archiv/Literarische Gesellschaft vorwiegend geistesge- dination internationaler Großprojekte beim ZFB, und Die- schichtliche Aspekte herausstellen. ter Müller. Die Schüler zeigten sich durchweg interessiert, weil Neben der Kontinuität in der Betreuung der Kunden grundlegende Informationen zur Vorgeschichte und den und der Kompetenz in allen Fragen der Bestandserhaltung Ereignissen der Staatswerdung 1952, die im Jahr 2002 wird das ZFB das begonnene internationale Projektge- durch die regionalen Medien stark in den Vordergrund schäft zum Aufbau weiterer Bestandserhaltungszentren gerückt wurde, schlichtweg fehlten. Besonders zufrieden aktiv weiterführen. Trotz der jetzt erforderlichen Personal- zeigten sich die Archivarinnen und Archivare darüber, maßnahmen wird die Unternehmensgruppe ZFB auch in dass es gelungen war, zum einen Klassen aller Schultypen Zukunft sowohl in allen Fragen der Bestandserhaltung als und zum anderen Schülergruppen von der 6. bis zur 13. auch in der Entwicklung und Errichtung weiterer Bestands- Klasse anzusprechen. Durchweg war es für die Schüler die erhaltungszentren ein leistungsfähiger Partner sein. erste Begegnung mit einem Archiv, wobei manche Grup-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 333 pen gleich nach weiterer Zusammenarbeit für eine Pro- der Eisenberger Linie und Graf Christian Ludwig aus der jektarbeit fragten. Die thematische Schwerpunktsetzung Wildunger Linie von 1685 und die Verfügung des Arolser bei dieser Aktion zeigte deutlicher als übliche „Schnup- Soldatenrats über die Absetzung des letzten regierenden per“-Besichtigungen die den Unterricht ergänzende Funk- Fürsten Friedrich (1918). tion der historischen Bildungsarbeit in Archiven und Im Anschluss an die gelungene Präsentation nutzten eröffnete in einigen Fällen Perspektiven für die weitere die zahlreich erschienenen Gäste aus Politik, Kultur, Wis- Zusammenarbeit von Archiv und Schule. senschaft und öffentlichem Leben die Gelegenheit zu anre- (Die Aktion entsprang einer Initiative der Arbeitsgemeinschaft gendem Gedankenaustausch bei Wein und Gebäck. der Karlsruher Archive, die schon 2001 zum „Tag der Archive“ zu Marburg/L. Karl Murk einer Präsentation über die archivische Arbeit im Weinbrenner- haus am Marktplatz eingeladen hatte.) Karlsruhe Clemens Rehm Präsentation des Professorenkatalogs und Ausstellung „Ein Fest für Marburg“ anlässlich des 475-jährigen Besuch von Bundesbankpräsident Ernst Welteke im Jubiläums der Philipps-Universität im Staatsarchiv Staatsarchiv Marburg Marburg Hohen Besuch erwartete das Staatsarchiv Marburg am Zu den kulturellen Großereignissen und Höhepunkten im 21. März d. J. anlässlich der Präsentation des von der Hes- diesjährigen Festkalender der Universitätsstadt Marburg sischen Landeszentrale für politische Bildung herausgege- zählen die Feierlichkeiten zum 475-jährigen Bestehen der benen Buches von Dr. Gerhard Menk zum Thema „Wal- Philipps-Universität. Wie schon mehrfach in der Vergan- decks Beitrag für das heutige Hessen“. 130 geladene Gäste genheit, so beteiligten sich das Hessische Staatsarchiv waren im „Landgrafensaal“ des Staatsarchivs erschienen, Marburg, in dem das Universitätsarchiv deponiert ist, und darunter auch der Direktor der Hessischen Landeszen- die Historische Kommission für Hessen auch diesmal mit trale für politische Bildung Klaus Böhme und viele Wal- einer Ausstellung und einer besonderen Festgabe am Jubi- decker, wie z. B. Prinz Friedrich Carl als Vertreter des läum. Fürstenhauses und der aus Korbach stammende Präsident Am 28. Mai d. J. wurden eine von Prof. Dr. Inge Auer- der Deutschen Bundesbank Ernst Welteke, der mit eini- bach konzipierte Ausstellung zum Thema „Ein Fest für gen heiteren Bemerkungen über seine Landsleute und ihre Marburg – Dokumente zum 400. Universitätsjubiläum Geschichte für den unterhaltsamen Teil der Veranstaltung 1927“ eröffnet und der nunmehr dritte Band des Marbur- sorgte. ger Professorenkatalogs für die Jahre 1971 bis 1991 der Im Staatsarchiv Marburg lagert der größte Teil der Öffentlichkeit präsentiert. Nach der Begrüßung durch Waldecker Archivalien. Etwa 11.000 mittelalterliche Archivdirektor Dr. Andreas Hedwig undderVorstellung Urkunden und 1.000 laufende Meter Akten aus späterer des Professorenkatalogs durch den Vorsitzenden der Zeit werden hier seit 1897 betreut. Marburger Archivare Historischen Kommission für Hessen, Dr. Hans-Peter sind die ersten Ansprechpartner für den Waldeckischen Lachmann, erinnerte Prof. Dr. Auerbach im Rahmen der Geschichtsverein und die einschlägig interessierten Wis- sehr gut besuchten Veranstaltung im „Landgrafensaal“ senschaftler, Heimat- und Familienforscher. Es ist vor mit einem Vortrag an die in Vergessenheit geratene Öffent- allem Archivoberrat Dr. Gerhard Menk zu danken, dass lichkeitsarbeit des Staatsarchivs anlässlich des Universi- das abgelegene, von der historischen Forschung lange Zeit tätsjubiläums von 1927. kaum beachtete Ländchen nunmehr zu den am intensivs- Die Ausstellung enthielt Exponate zur Vorbereitung ten erforschten Kleinstaaten in Hessen zählt. Durch eine und Durchführung der Feierlichkeiten, an deren Gestal- Vielzahl von wissenschaftlichen Publikationen zu ver- tung die Mitarbeiter des damals noch auf dem Marburger schiedenen Themen der waldeckischen Geschichte und Landgrafenschloss untergebrachten Staatsarchivs maß- durch seine Verzeichnungsarbeiten an den älteren Akten- geblich beteiligt waren. Nicht zuletzt dank der organisato- beständen der Grafschaft und des Fürstentums avancierte rischen Leistung des Archivdirektors und Honorarprofes- Menk zum besten Kenner der Materie. Eine Frucht dieser sors Friedrich Küch, der Räumlichkeiten im Schloss zur jahrzehntelangen intensiven Beschäftigung mit dem Verfügung stellte und für die Gestaltung des historischen Waldecker Archiv, seiner Erschließung und Erforschung Festzugs durch die Stadt verantwortlich war, wurde die ist die nunmehr in zweiter, erheblich erweiterter Auflage Jubiläumsfeier nach Einschätzung vieler Zeitgenossen vorliegende Abhandlung, in der im Vergleich zur ersten zum „schönsten Fest in Hessen“. Als besonderes Geburts- Auflage vor allem die Zeit unmittelbar nach 1945 ausführ- tagsgeschenk präsentierten die Historische Kommission lich dargestellt wird. In seinem Festvortrag ging der Autor für Hessen und das Staatsarchiv der Universität im Jahre auf die Rolle des Kleinstaats im wechselvollen politischen 1927 den von Franz Gundlach, Archivar zunächst im Kräftespiel in der Region ein. Er erläuterte, wie das Fürs- Staatsarchiv Marburg, dann im Stadtarchiv Kiel, erarbeite- tentum seit dem 19. Jahrhundert in Hessen, Preußen und ten ersten Band des Marburger Professorenkatalogs mit im Deutschen Reich wahrgenommen wurde und wies auf den Lebensdaten des gesamten Lehrkörpers der Marbur- Desiderate und künftige Forschungsfelder der hessischen ger und der Kasseler Universität für die Jahre 1527 bis Landesgeschichte hin. 1910, über dessen Entstehung die im Foyer des Staatsar- Anlässlich der Veranstaltung präsentierte das Staatsar- chivs gezeigte Ausstellung ebenfalls informierte. chiv im Foyer auch eine kleine Ausstellung bedeutender Der in zwei Teilbänden publizierte dritte Band des Waldecker Archivalien, darunter die Stiftungsurkunde für „Catalogus professorum academiae marburgensis“ wurde das Kloster Marienthal in Netze aus dem Jahre 1228, den ebenso wie der anlässlich des 450-jährigen Universitätsju- Lehnsbrief König Wenzels für Graf Heinrich zu Waldeck biläums im Jahre 1977 erschienene zweite, den Zeitraum von 1379, den die staatliche Einheit des Landes sichernden von 1911 bis 1971 umfassende Band von Prof. Dr. Inge Primogeniturvertrag zwischen Fürst Georg Friedrich aus Auerbach, der für das Universitätsarchiv zuständigen

334 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Referentin im Staatsarchiv Marburg, erstellt. Wie seine Republik vom 20. Dezember 19915 enthält keine Aussage Vorgänger ist er einerseits als biographisches Lexikon der über eine wie immer geartete Bindung zum Bundesarchiv. Mitglieder des universitären Lehrkörpers, andererseits als Dies geht nach § 2 Abs.1, letzter Satz Bundesarchivgesetz Findbuch zum Universitätsarchiv konzipiert. Die biogra- diesem vor; sichergestellt ist allerdings, dass die archiv- phischen Daten zu noch lebenden Hochschullehrern wur- würdigen Unterlagen der Stasi dann dem Bundesarchiv den im Rahmen einer Umfrageaktion erhoben. Der Mar- zufallen, wenn der Gesetzgeber die Aufgaben der Behörde burger Professorenkatalog – 1927 ein Novum in der deut- der oder des Bundesbeauftragten als erfüllt ansehen sollte. schen Hochschullandschaft – fand übrigens zahlreiche Damit ist jedoch auch mittelfristig nicht zu rechnen. Nachahmer. An seinem Vorbild orientierten sich die ein- In jedem Fall sind und bleiben für Archivarinnen und schlägigen Verzeichnisse der Universitäten Bonn, Kiel, Archivare unabhängig von der jeweiligen gesetzlichen Freiburg und Gießen. Grundlage die beiden Hauptziele, die das Bundesarchiv- Marburg/L. Karl Murk gesetz schon in der Langform seiner Überschrift mit „Sicherung“ und „Nutzung“ treffend bezeichnet, stets Richtschnur ihres Handelns. Meine Antwort auf die mir Archivrecht gestellte Frage hängt also davon ab, ob das neue Gesetz einerseits die Sicherung der Stasi-Unterlagen gewährleis- Vgl. auch den Beitrag „7. Archivwissenschaftliches Kolloquium ...“ tet und andererseits die Nutzungsmöglichkeiten unter unten unter der Rubrik „Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen“. sachgerechter Rechtsgüterabwägung an den Umständen des Einzelfalls verbessert. Was bringt das neue „Stasi-Aktengesetz“?1 Das im Deutschen Bundestag von den Fraktionen der Die im Rahmen der Beratungen über den Einigungsver- SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP gegen die Stim- men der CDU/CSU bei Enthaltung der PDS beschlossene trag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der 6 Deutschen Demokratischen Republik im Sommer 1990 und vom Bundesrat nicht angehaltene Gesetz führt insge- aktuelle Frage, ob ein besonderes Gesetz für die Unterla- samt in die richtige Richtung, ermöglicht eine im Vergleich gen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (Stasi) erfor- mit den Archivgesetzen des Bundes und der Länder übli- derlich oder das im Januar 1988 in Kraft getretene Gesetz che archivfachliche Behandlung vor allem auf dem Gebiet über die Sicherung und Nutzung des Archivguts des Bun- der Sicherung der Unterlagen. Aus der Sicht des Histori- des (Bundesarchivgesetz)2 eine geeignete gesetzliche kers und Archivars stellt die Tatsache, dass der bisherige Grundlage auch für die Unterlagen der Stasi sei, ist damals § 14 des Gesetzes ersatzlos gestrichen wurde, eine große leider politisch nicht hinreichend geprüft worden. Die Ent- Genugtuung dar. Dieser wollte bisher Betroffenen und scheidung des Gesetzgebers für ein Sondergesetz habe ich Dritten erlauben, ab dem 1. Januar 2003 Anträge auf als Archivar am Bundesarchiv weder in Koblenz noch in Anonymisierung der über ihre Person vorhandenen Infor- Potsdam nachvollziehen können. Immerhin waren sich mationen zu stellen. Diesem Antragsrecht waren zwar die Väter des Einigungsvertrages in nicht leichten nach- Grenzen gesetzt, aber andererseits hätte auch der Fall ein- träglichen Verhandlungen in letzter Minute darin einig treten können, dass derartige Anträge zur Vernichtungder geworden, dass eine Verbindung zwischen der noch auf- Unterlagen selbst geführt hätten. Diese Vorschrift ver- zubauenden Behörde des Bundesbeauftragten für die letzte mehr als archivarisches Berufsethos; sie hätte zu Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen endlosen Diskussionen über das Recht auf Anonymisie- DDR und dem Bundesarchiv hergestellt werden müsse: rung oder Vernichtung im Einzelfall und nach deren Der Präsident des Bundesarchivs, Prof. Dr. Friedrich Durchführung zu den wildesten Spekulationen über den P. Kahlenberg, wurde – in der deutschen Verwaltungs- angeblichen Inhalt der nicht mehr oder nur noch anonymi- geschichte einmalig – durch Gesetz, nämlich dem Eini- siert vorhanden Unterlagen geführt. Die Deutschen müs- gungsvertrag, zum Stellvertreter eines noch gar nicht sen die Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte aushal- ernannten Leiters einer konkurrierenden Behörde, der ten. Der Wert einer archivierten Information hängt nicht späteren Gauck-Behörde, ernannt.3 Der damalige Kultur- von der moralischen Qualität ihres Produzenten ab, die staatsminister Michael Naumann nannte diesen Vorgang quellenkritische Prüfung einer etwa unter Verletzung von im November 1999 bei der Verabschiedung Kahlenbergs Menschenrechten erworbenen Information ist dem Histo- in den Ruhestand zu Recht „Irgendwie metaphysisch“.4 riker zuzutrauen und nicht durch Vernichtung der Quelle Das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheits- zu verhindern. Damit ist noch nichts über das Wann und dienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen das Wie einer solchen Prüfung gesagt. Sie muss nur mög- lich bleiben. Nebenbei gesagt: mit der Idee, Akten der Geheimen Staatspolizei zu vernichten, ist bisher niemand 1 Eine gekürzte Fassung dieses Beitrages wurde bereits veröffentlicht in an die Öffentlichkeit getreten. der Rhein-Zeitung vom 12. Juli 2002, S. 2. 2 Gesetz über die Sicherung und Nutzung von Archivgut des Bundes Weniger deutlich ist der Fortschritt, den die Novellie- (Bundesarchivgesetz – BArchG) vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), rung des Gesetzes auf dem Gebiet der Nutzung bringen zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Bundesarchivge- könnte. Es ist archivfachlich zu bedauern, dass das Haupt- setzes vom 5. Juni 2002 (BGBl. I S. 1782). 3 Gesetz zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepu- blik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die 5 Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemali- Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertragsgesetz – und gen Deutschen Demokratischen Republik (Stasi-Unterlagen-Gesetz – der Vereinbarung vom 18. September 1990; Anlage I Besondere Bestim- StUG) vom 20. Dezember 1991 (BGBl. I S. 2272), geändert durch: 1. StU- mungen zur Überleitung von Bundesrecht gem. Art. 8 und Art. 11 des ÄndG vom 22. Februar 1994 (BGBl. I S. 334), 2. StUÄndG vom 26. Juli Vertrages, Kapitel II Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern – 1994 (BGBl. I S. 1748), 3. StUÄndG vom 20. Dezember 1996 (BGBl. I Sachgebiet B Verwaltung, Abschnitt II, § 1 Abs. 1 (BGBl. II S. 885, 912). S. 2026), 4. StUÄndG vom 19. Dezember 1998 (BGBl. I S. 3778). 4 Die Rede Naumanns ist abgedruckt in: Klaus Oldenhage/Hermann 6 BT-Plenarprotokoll 14/248 vom 4. Juli 2002, S. 25194D–25195A: Be- Schreyer/Wolfram Werner (Hrsg.), Archiv und Geschichte. Fest- schluss S. 25195A – Annahme Drucksache 14/9219, 14/9650, Annahme schrift für Friedrich P. Kahlenberg, Düsseldorf 2000, S. IX–XIII hier: S. XI. Änderungsantrag Drucksache 14/9717 sowie BR-Drucksache 600/02.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 335 motiv der Änderungen zu stark von dem Bestreben Höchst bedauerlich bleibt, dass das Gesetz auch in der geprägt war, die Möglichkeiten der Benutzung wiederher- Zukunft keine Benutzungsfristen kennt und insbesondere zustellen, die vor dem Urteil des Bundesverwaltungsge- nicht zwischen der Benutzung von Daten über Lebende richts zu Gunsten von Altbundeskanzler Helmut Kohl und Tote unterscheidet. Dies wäre nicht nur aus rechtli- auf Grund der Auslegung des Gesetzes durch die Behörde chen Gründen geboten, da der postmortale Persönlich- der Bundesbeauftragten bestanden. Der Abgeordnete keitsschutz nicht nur mit zunehmendem zeitlichen Cem Özdemir plädoyierte im Zusammenhang mit dem Abstand gegenüber der Freiheit der Forschung zurücktre- Gesetzentwurf für eine „Rückkehr in die Koalition der ten kann und muss, sondern auch eine Verringerung des Vernunft“.7 Eine Annäherung an die oder eine Anwen- Verwaltungsaufwandes zwingend erforderlich ist. In dung der Nutzungsvorschriften des § 5 des Bundesarchiv- Anlehnung an das jüngste Landesarchivgesetz, das 1997 gesetzes hätte einer sachgerechten Güterabwägung in Mecklenburg-Vorpommern in Kraft getreten ist, hätte anhand der Umstände des jeweiligen Einzelfalls den man personenbezogene Daten 10 Jahre nach dem Tod des Raum gegeben, der bei der grundsätzlich nicht leichten Betroffenen im Grundsatz freigeben können.11 Entscheidung zwischen Persönlichkeitsschutz und For- Nicht weniger bedauerlich ist die Bestätigung der schungsfreiheit erforderlich ist. Niemand wird verstehen, Zweckbindung der Forschung an die „politische und dass personenbezogene Informationen in den Akten der historische Aufarbeitung der Tätigkeit des Staatssicher- SED auf Dauer anderen Bedingungen als personenbezo- heitsdienstes“.12 Die Akten der Reichskanzlei oder des gene Informationen aus den Stasi-Unterlagen zugänglich Bundeskanzleramtes allein für die Erarbeitung der Behör- gemacht werden. Es wäre sachgerecht gewesen, die Son- dengeschichte verwenden zu dürfen, ist eine abenteuerli- derbehandlung der Stasi-Akten auf das gegenwärtig noch che Vorstellung. Ich räume ein, dass diese Beschränkung erforderliche Maß zu beschränken. wahrscheinlich in der Praxis geschickt umgangen werden Die Novelle dürfte immerhin das Ziel erreichen, Infor- kann. Die Beschränkung zeigt – und das ist bezeichnend – mationen über Personen der Zeitgeschichte, Inhaber poli- überdeutlich, dass der Gesetzgeber der „Stasi“ und ihren tischer Funktionen oder Amtsträger zugänglich zu Akten noch immer eine besondere Bedeutung und machen, „soweit es sich um Informationen handelt, die Behandlung beimessen will, die aus der Sicht eines Archi- ihre zeitgeschichtliche Rolle, Funktions- oder Amtsaus- vars nicht mehr oder nicht mehr lange erforderlich ist. übung betreffen“ (§ 32 Abs.1 Nr.4 der Novelle). Diese Ent- Eine Gesamtwürdigung der Novelle fällt indes wegen scheidung des Gesetzgebers ist uneingeschränkt zu begrü- der Streichung des § 14 positiv aus. Das demokratische ßen. Dies gilt auch deshalb, weil es das Verdienst von Alt- Deutschland vernichtet keine Akten, es sei denn kompe- bundeskanzler Helmut Kohl ist, selbst durch Memoiren8 tente Archivare messen ihnen keine Bedeutung für die und Unterstützung von umfangreichen Darstellungen Nachwelt zu. Dafür ist nicht nur dem Gesetzgeber zu dan- und Dokumentationen9 die entscheidenden Wegemarken ken, sondern auch denen, die den Weg des Klägers Helmut des Einheitsprozesses einer breiten Öffentlichkeit zugäng- Kohl durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit kritisch lich gemacht zu haben. Ob aber die vorgesehene „Benach- begleiteten. Ob das Recht, ab dem 1. Januar 2003 die Ver- richtigungsregelung“ in dem neuen § 32a des Gesetzes mit nichtung historischer Informationen zu beantragen, ohne einem vertretbaren Verwaltungsaufwand (Anschriftener- die Klage Kohls rechtzeitig aus dem Gesetz gestrichen mittlung, Identitätsprüfung und Benachrichtigung) zu worden wäre, darf man bezweifeln. bewältigen und der damit verbundene Zeitverlust hin- Koblenz Klaus Oldenhage nehmbar ist, darf bezweifelt werden. In einem Brief vom 6. Juni 2002 an den Innenausschuss des Deutschen Bun- 11 Gesetz zur Regelung des Archivrechts in Mecklenburg-Vorpommern (Landesarchivgesetz – LArchivG M-V) vom 7. Juli 1997 (GVOBl. M-V, destages wirft das „Bürgerkomitee Leipzig e.V. für die S. 283), hier: § 10 Abs. 1. Auflösung der ehemaligen Staatssicherheit“ überdies die 12 § 32 StUG. Frage auf, ob nicht auch ein „Recht auf Nichtwissen“ zu respektieren sei. „Wer sich mit der Vergangenheit nicht beschäftigen will, sollte auch nicht durch eine entspre- chende Benachrichtigung dazu gezwungen werden“.10 Mich schaudert es bei dem Gedanken, ich hätte zu Beginn Fachverbände, Ausschüsse, Tagungen meiner beruflichen Tätigkeit vor mehr als 30 Jahren ehe- malige Funktionäre der Geheimen Staatspolizei vor der Jahrestagungen des Restaurierungs- und des Fototech- Zulassung von Forschern etwa aus dem Institut für Zeitge- nischen Ausschusses der ARK in München schichte benachrichtigen müssen. Sowohl der Restaurierungs- als auch der Fototechnische Ausschuss der Archivreferentenkonferenz des Bundes und der Länder trafen sich Ende April 2002 zu ihren Jah- 7 So Özdemir in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 28. Juni restagungen in München. Als Gastgeber hatten die Gene- 2002 (BT-Plenarprotokoll 14/246, S. 24950D). raldirektion der Staatlichen Archive Bayerns und das 8 Helmut Kohl: „Ich wollte Deutschlands Einheit“. Dargestellt von Kai Bayerische Hauptstaatsarchiv eingeladen. Die Wahl des- Dieckmann und Ralf Georg Reuth, Berlin 1996. 9 Deutsche Einheit, Sonderedition aus den Akten des Bundeskanzleram- selben Tagungsortes machte es ähnlich wie schon letztes tes 1989/90, bearb. von Hanns Jürgen Küsters und Daniel Hofmann Jahr in Berlin-Lichterfelde wieder möglich, einen halben (Dokumente zur Deutschlandpolitik, hrsg. vom Bundesministerium des Tag lang gemeinsam zu beraten und sich mit Aufgaben Innern unter Mitwirkung des Bundesarchivs), München 1998. Geschichte der deutschen Einheit, Bd. 1: Karl-Rudolf Korte, Deutsch- und Problemen zu befassen, die in die Zuständigkeiten landpolitik in Helmut Kohls Kanzlerschaft; Bd. 2: Dieter Grosser, Das beider Ausschüsse einschlagen und deren Kooperation Wagnis der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion; Bd. 3: Wolfgang erfordern. Darüber hinaus blieben jedem Ausschuss Jäger, Die Überwindung der Teilung; Bd. 4: Werner Weidenfeld, Außenpolitik für die deutsche Einheit, Stuttgart 1998. anderthalb Tage, um sich der Erörterung genuiner Frage- 10 Dienstakten Bundesarchiv. stellungen und Themen zu widmen.

336 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Der Restaurierungsausschuss befasste sich vorrangig mung eingesetzt werden, wurden die Neubeschaffungen mit dem Auftrag der ARK, einen schriftlichen Überblick des Jahres 2002 festgelegt. über Restaurierungs- und Konservierungsarbeiten zu Der Ausschuss wandte sich daneben neuen Fragestel- erstellen, um im Interesse des wirtschaftlichen Ressour- lungen zu. So wurde es durch die technische Entwicklung ceneinsatzes Entscheidungen über Erhaltungsmaßnah- im Bereich der Fotografie notwendig, sich mit der Digitali- men künftig fundierter und auch differenzierter vorberei- sierung aus fototechnischer Sicht zu befassen: Mehrere ten zu können. Die Ausschussmitglieder hatten zu diesem Projekte auf Länderebene wurden vorgestellt – die Band- Zweck in kleinen Arbeitsgruppen eine Bestandsaufnahme breite reichte von der gleichförmigen Massenanwendung über die gesamte Bandbreite der Restaurierungs- und bis zum qualitativ hochwertigen Farbscan von Einzelstü- Konservierungsverfahren, die in den Werkstätten der cken. Außerdem wurde über die praktische Umsetzung Archivverwaltungen des Bundes und der Länder zur der einschlägigen EG-Richtlinien und des Arbeitsschutz- Anwendung gelangen, erstellt. Neben Fragen der Massen- gesetzes in den Fotowerkstätten berichtet. Dem Arbeitge- konservierung und der Auftragsvergabe an gewerbliche ber, d. h. in der Regel dem Behördenleiter, fällt die Lei- Betriebe setzte sich der Ausschuss vor allem mit dem Pro- tungsaufgabe zu, die Einhaltung der Normen der Sicher- blem des Schimmelbefalls an Archivgut, seiner Bekämp- heitstechnik und Arbeitsmedizin sicherzustellen und für fung und den Konsequenzen für Personal und Benützer ausreichende Haushaltsmittel zu sorgen. Im Jahr 2003 auseinander. wird der Ausschuss in Hamburg tagen. Als Begleitprogramm zur Tagung fanden Führungen München Christian Kruse/Maria Rita Sagstetter durch die Restaurierungswerkstätte des Bayerischen Hauptstaatsarchivs und das Institut für Buch- und Hand- 62. Südwestdeutscher Archivtag 2002 in Mosbach schriftenrestaurierung der Bayerischen Staatsbibliothek Positionierung und Profilierung von Archiven neben und mit statt; daneben konnten sich die Ausschussmitglieder bei anderen Kulturinstitutionen einem Besuch in der Abteilung Bestandserhaltung der Bayerischen Staatsbibliothek über die dort angewandten Die Stadt Mosbach im Odenwald war vom 10. bis 12. Mai Strategien und Maßnahmen, vor allem über das Entsäue- 2002 Gastgeberin des 62. Südwestdeutschen Archivtags. rungs- und Verfilmungsprogramm, informieren. Als Zum Auftakt bot der plastische Abendvortrag des Grün- Tagungsort für 2003 ist das Landeshauptarchiv Koblenz dungsvorsitzenden des Mosbacher Geschichts- und vorgesehen. Museumsvereins, Bruno König, interessante Einblicke in die lokale Geschichte. In der gemeinsamen Sitzung der beiden Ausschüsse, Am Samstagmorgen begann mit rund 110 Teilnehme- für die zwei Gastreferenten gewonnen werden konnten, rinnen und Teilnehmern das Fachprogramm, das dem wurden drei Themenkomplexe behandelt: der Stellen- Thema „Positionierung und Profilierung der Archive wert, den die Mikroverfilmung innerhalb der Bestandser- neben und mit anderen Kulturinstitutionen“ gewidmet haltungsmaßnahmen der einzelnen Archivverwaltungen war. In seiner Eröffnungsansprache formulierte Tagungs- einnimmt, Empfehlungen für die sachgerechte Aufbewah- präsident Dr. Robert Kretzschmar, Leiter des Haupt- rung, Katalogisierung und Benützung von Fotobeständen staatsarchivs Stuttgart, die Leitfrage der Tagung: Wie kön- sowie Grundlagen und Maßnahmen des Arbeits- und nen es Archive – als Institutionen, die das Kulturgut Gesundheitsschutzes bei der Verfilmung und Restaurie- „archivische Überlieferung“ betreuen und bilden – errei- rung von Archivgut. chen, dass sie mit ihrer wichtigen gesellschaftlichen Funk- Im Vordergrund der Jahrestagung des Fototechnischen tion als Kulturinstitution wahrgenommen werden? Kretz- Ausschusses stand wie in jedem Jahr die Umsetzung des schmar skizzierte die veränderten Rahmenbedingungen, Sicherungsverfilmungsprogrammes des Bundes. 2001 unter denen sich die Archive derzeit positionieren müs- wurden in den 15 Verfilmungswerkstätten rund 14,5 Mil- sen, wobei er insbesondere auf die von den Museen lionen Aufnahmen von Archivalien auf 7303 Sicherungs- gesetzten Standards einer professionellen Bildungs- und filmen angefertigt. 7059 Sicherungsfilme der laufenden Öffentlichkeitsarbeit hinwies und den durch die Verknap- Produktion wurden klimatisiert und im Stollen in Ober- pung öffentlicher Haushaltsmittel entstandenen „heilsa- ried eingelagert. Die Umkopierung und Einlagerung der men Druck“ auf die Archive, sich ein positives öffentliches Sicherungsfilme der DDR wird voraussichtlich bis zum Image zuzulegen. Die Umsetzung der archivischen Auf- Jahresende 2002 abgeschlossen sein. Ebenfalls bis zu die- gaben könne langfristig nur durch eine aktive und profes- sem Termin werden – sieht man von wenigen noch zu sionelle Werbung für archivische Dienstleistungen und überarbeitenden Zweifelsfällen ab – alle Sicherungsfilme Produkte gesichert werden. Vor dem Beginn der Fachvor- der Bundesrepublik seit 1961 und alle Sicherungsfilme der träge dankte Dr. Kretzschmar dem scheidenden Präsiden- DDR in einer Datenbank dokumentiert sein. Um dieses ten des südwestdeutschen Archivtages, Dr. Ernst Otto erfreuliche Ergebnis zu erreichen, waren mehrjährige, oft Bräunche, Leiter des Stadtarchivs Karlsruhe, für sein mühevolle Eingabe- und Korrekturarbeiten der Archiv- Engagement und gab die Wahl Dr. Kurt Hochstuhls,Lei- verwaltungen des Bundes und der Länder erforderlich. ter des Staatsarchivs Freiburg, zum neuen Präsidenten Die Gesamtdatenbank wird künftig vom Bundesverwal- bekannt. Grußworte sprachen Wissenschaftsminister Prof. tungsamt, Zentralstelle für Zivilschutz, Bonn, gepflegt. In Peter Frankenberg, der Mosbacher Oberbürgermeister der Datenbank ist erstens erfasst, welche Akten welcher Gerhard Lauth, Prof. Dr. Volker Wahl als Vorsitzender Bestände bereits verfilmt wurden, zweitens ist über die des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archivare Film-, Stanz- und Behälternummer der Zugriff auf die im sowie Dr. E. Persoons vom Algemeen Rijksarchief Brüs- Stollen eingelagerten Filme gewährleistet. Nach einem sel für die ausländischen Archivtagsteilnehmer. intensiven Erfahrungsaustausch über Mikrofilmkameras Am Vormittag standen zunächst vier Beiträge aus dem und Filmentwicklungsgeräte, die bei der Sicherungsverfil- Bereich der kommunalen Archivarbeit auf dem Pro-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 337 gramm. Dr. Christhard Schrenk undPeter Wanner M.A. erarbeiteten Auswanderer-Dokumentationen beruht und vom Stadtarchiv Heilbronn berichteten aus ihren Erfah- im Laufe des Jahres im Internet verfügbar sein wird. rungen bei der historischen Bildungsarbeit. Sie betonten Die beiden folgenden Vorträge boten Gelegenheit, die die positiven gesellschaftspolitischen Effekte publikums- Erfahrungen anderer Kulturinstitutionen bei der Positio- wirksamer Bildungsarbeit, die erheblich dazu beitrage, die nierung und Profilierung kennen zu lernen – zum Ver- eigentlichen archivarischen Kernaufgaben in der Öffent- gleich und möglichen Transfer auf die Archivwelt. Hanne- lichkeit zu legitimieren und dem Stadtarchiv eine Existenz loreJouly,ehemalige Leiterin der Stadtbücherei Stuttgart, weit über den „gesetzlichen Mindestumfang“ hinaus zu berichtete, wie die Stadtbücherei in den 1990er Jahren sichern. Auch habe die erhöhte Präsenz in der städtischen erfolgreich ihr negatives öffentliches Image überwunden Kulturarbeit zu vermehrten Schenkungen von Nachlässen hat. Bilanzierend wies sie auf die positiven Wechselwir- und Dokumenten aus der Bevölkerung an das Archiv kungen zwischen guter Medien- und Benutzerresonanz, geführt. motivierten Mitarbeitern, Anerkennung bei vorgesetzten Diesen positiven Effekt konnte Dr. Michael Martin, der Behörden und Imagegewinn der Institution hin. Leiter des Stadtarchivs Landau, in seinem Referat bestäti- Dr. Thomas Schnabel, Leiter des Hauses der gen. Der weitgehend in Eigenarbeit erstellte Filmbeitrag Geschichte Baden-Württemberg, widmete sich den des Stadtarchivs zum „Rheinland-Pfalz Tag 2001“ in Lan- Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen der vom dau, den er in Ausschnitten vorführte, habe zu einem Haus der Geschichte und den Archiven geleisteten Arbeit spürbar höheren Bekanntheitsgrad des Stadtarchivs im für die Sicherung landesgeschichtlich relevanter Überlie- öffentlichen Bewusstsein geführt. ferung und die Förderung landesgeschichtlichen Interes- Dr. Susanne Asche vom Stadtarchiv Karlsruhe stellte ses. Er schloss mit den Wünschen für eine zukünftige gute das Projekt „Gedenkbuch für die Karlsruher Juden“ vor, Zusammenarbeit sowohl im praktischen Bereich als auch das einen aktiven Beitrag zur städtischen Gedenkkultur auf gesellschaftspolitischer Ebene beim „Kampf um die leisten soll. Für jedes Opfer sollen Karlsruher Bürger die Bedeutung der Landesgeschichte“. Biographie recherchieren und verfassen. Die Ergebnisse In seinem abschließenden Grundsatzreferat fragte werden sukzessive in einer Internet-Datenbank veröffent- Dr. Peter Müller,Leiter des Staatsarchivs Wertheim, nach licht und zu einem langsam anwachsenden Buch zusam- den zeittypischen gesellschaftlichen Rahmenbedingun- mengefasst. Die sehr lebhafte Diskussion drehte sich vor gen für die Positionierung der Archive, nach Ansatzpunk- allem um Fragen zum Datenschutz, zum Problem der Sub- ten für ein positiveres Image und nach den für die Profilie- jektivität der von Nicht-Historikern verfassten Biogra- rung notwendigen zukünftigen Schritten. Insgesamt sah phien und um die Gefahr einer möglichen Vereinnahmung er gute Chancen für die Archive, sich eigenständig neben der Toten durch die Interessen der Gegenwart. anderen kulturellen Einrichtungen und nicht nur als reine An der Präsentation des Projekts „Nationalsozialismus „Informationsdienstleister“ behaupten zu können. Vor- in Linz“ durch Dr. Fritz Mayrhofer, Leiter des Stadtar- aussetzung seien allerdings die Bereitschaft zur Öffnung chivs Linz, wurde deutlich, dass auch eine breit angelegte für ein breiteres Publikum, zu einer konsequenten Nut- wissenschaftliche Forschungsarbeit ein Ausgangspunkt zung der Neuen Medien, der Mut, neue Wege zu gehen für die Positionierung und Profilierung eines Archivs sein und die Orientierung an ansprechenden, „lebensnahen“ kann. Den Erfolg, messbar am großen Medieninteresse im Themen. In- und Ausland sowie am raschen Ausverkauf der wis- Dr. Kretzschmar, der in einem Resümee die Ergeb- senschaftlichen Publikation, führte Dr. Mayrhofer insbe- nisse der Tagung zusammenfasste, schloss sich dem – wie sondere auf eine gelungene PR-Arbeit zurück. er formulierte – „kritischen Optimismus“ von Dr. Müller Andreas Kellerhals vom Schweizerischen Bundesar- an und wies darauf hin, dass es sich bei der Profilierung chiv Bern berichtete über Erfahrungen und Lernprozesse und Positionierung um eine kontinuierliche Herausforde- bei den jährlichen Ausstellungen des Schweizerischen rung handelt, bei der es immer wieder erforderlich ist, den Bundesarchivs seit 1995. Mittlerweile konzentriert sich eigenen Standort kritisch zu reflektieren, Bewährtes neu das Bundesarchiv auf den inhaltlichen Bereich der Aus- zu evaluieren, Neues zu erproben und das eigene spezifi- stellungen; für alle anderen Bereiche werden professio- sche Profil weiter zu entwickeln. Bloße Effekthascherei nelle Anbieter hinzugezogen. Eine professionalisierte werde auf die Dauer wenig bewirken. Die Tagung habe Ausstellungsarbeit könne als „return of investment“ an gerade gezeigt, dass die ernsthafte wissenschaftliche die „Freizeitgesellschaft“ verstanden werden. Arbeit ein Teil der öffentlich wirksamen Aktivitäten von Am Nachmittag präsentierten Dr. Ernst Otto Bräun- Archiven bleiben muss und breite Anerkennung finden che vom Stadtarchiv Karlsruhe und Dr. Clemens Rehm könne. vom Generallandesarchiv Karlsruhe kurz das archivspar- Abends wurden die Tagungsteilnehmer von Oberbür- tenübergreifende baden-württembergische Kooperations- germeister Gerhard Lauth im Foyer der „Alten Mälzerei“ projekt „Wanderungsbewegungen im Umfeld der Revolu- empfangen. Die Exkursion am Sonntag unter der Leitung tion von 1848/49“, das von den Arbeitsgemeinschaften von Dr. Albrecht Ernst vom Hauptstaatsarchiv Stuttgart der Stadtarchive und Kreisarchive sowie der staatlichen hatte „Kirchen, Burgen und Schlösser im Neckartal“ auf Archivverwaltung Baden-Württemberg und der Universi- dem Programm. Bei anhaltendem Regenwetter ging es tät Karlsruhe getragen wird und das die Erstellung einer zunächst zur Gutleuthausanlage Mosbach, dann weiter Auswanderer-Datenbank vorsieht. Eine detaillierte Pro- zum Wasserschloss Lohrbach, Tempelhaus Neckarelz, jektvorstellung wird auf dem diesjährigen Deutschen Deutschordenschloss Horneck (Gundelsheim), zur Burg Archivtag in Trier erfolgen. Rehm stellte dabei auch die Guttenberg (Neckarmühlbach) und zur Notburgakirche aus staatlichen Unterlagen erstellte Auswandererdaten- Hochhausen. bank zur Auswanderung aus dem deutschen Südwesten Stuttgart Miriam Zitter vor, die auf den von Hans Glatzle undWolfgang Müller

338 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 55. Fachtagung rheinland-pfälzischer und saarländi- Saarlandes, Saarbrücken) auch eine neue Auflage des seit scher Archivarinnen und Archivare in Saarbrücken langem vergriffenen „Saarländischen Archivführers“. 35 Kolleginnen und Kollegen aus den beiden Bundeslän- Außerdem berichtete Dr. Wolfgang Müller aus dem dern und Ostfrankreich hatten sich am 6. Mai zur 55. Fach- neuen VdA-Arbeitskreis „Archivische Bewertung“ und tagung im Palais Röder am Saarbrücker Ludwigsplatz ein- dem Internet-Forum Bewertung. Dem gemeinsamen Mit- gefunden. Bei der Eröffnung begrüßte der Direktor des tagessen schloss sich eine Besichtigung der vom nassau- Landesarchivs Saarbrücken Dr. Wolfgang Laufer auch saarbrückischen Generalbaudirektor Friedrich Joachim den Beauftragten für Neue Medien/Internet/Dokumen- Stengel zwischen 1762 und 1775 erbauten Saarbrücker tation der Regierung des Saarlandes Wolfgang Tauchert Ludwigskirche – eines architektonischen Juwels der und würdigte die langjährige Zusammenarbeit der rhein- Barockzeit und des protestantischen Kirchenbaus – an. land-pfälzischen und saarländischen Archive. Als aktuel- Saarbrücken Wolfgang Müller les Beispiel der Kooperation stellten Dr. Beate Dorfey (Landeshauptarchiv Koblenz) und Michael Sander (Lan- „Informationstechnologie in der Verwaltung“ – der desarchiv Saarbrücken) das neue gemeinsame „Archiv- 17. Schleswig-Holsteinische Archivtag in Pinneberg portal für den Südwesten“ vor. Unter www.archiverlp.de präsentieren sich die Archive der beiden Bundesländer im Bei mildem Frühlingswetter trafen sich am 28. Mai 2002 in Internet mit Anschrift, Öffnungszeiten, Telefon, Fax und Pinneberg rund 80 Archivarinnen und Archivare zum E-mail und bieten Hinweise auf die Bestände, Veröffentli- Schleswig-Holsteinischen Archivtag. Das aus dem chungen sowie die Geschichte und Zuständigkeit des 18. Jahrhundert stammende Gebäude der Drostei, ehe- jeweiligen Archivs. Das bestehende Informationsangebot mals Verwaltungssitz der Herrschaft Pinneberg und vom soll weiter ausgebaut werden und letztlich alle Archive Kreis Pinneberg zu einem Kreiskulturzentrum hergerich- beider Länder umfassen. Außerdem ist eine archivüber- tet, bot mit seinem barocken Ambiente einen stilvollen greifende Beständedatenbank vorgesehen. Rahmen für die Veranstaltung. Der „Übernahme virtueller Registraturen“ wandte sich Nachdem Landrat Berend Harms und Bürgermeister Dr. Wolfgang Hans Stein (Landeshauptarchiv Koblenz) Horst-Werner Nitt die Tagungsteilnehmer begrüßt hat- zu und stellte die Geschichte und Zertifizierung des ten, ging Prof. Dr. Reimer Witt, Leiter des Landesarchivs Domea-Projekts (Dokumentenmanagement und elektro- Schleswig-Holstein in Schleswig, in seinen einführenden nische Archivierung im IT-gestützten Geschäftsgang) vor.1 Worten auf die besondere Rolle des Kreises Pinneberg im An diesem Projekt sind die Koordinierungs- und Bera- Spannungsverhältnis zwischen Schleswig-Holstein, Ham- tungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik burg und Niedersachsen ein. Dieses spiegele sich auch in in der Bundesverwaltung im Bundesministerium des der Überlieferungsgeschichte des Archivguts wider, was Innern, der interministerielle Koordinationsausschuss für in der jüngsten Publikation des Landesarchivs, des Find- Informationstechnik in der Bundesverwaltung und das buches zum Bestand Abt. 3 (Grafschaft Holstein-Schauen- Bundesarchiv beteiligt. Dabei erläuterte der Referent die burg-Pinneberg) des Landesarchivs, das auf dem Archiv- Grundlagen und Grundstruktur von Domea, diskutierte tag der Öffentlichkeit vorgestellt werden konnte, erneut den Begriff der elektronischen Akte und die Vermischung deutlich wird. Mit einem Dank an die Organisatoren der von aktenkundlicher und technischer Terminologie sowie Tagung, Dr. Carsten Müller-Boysen vom Landesarchiv die für die Archive mit der Übernahme und Bewertung und Kai Wittig vom Kreisarchiv Pinneberg, leitete er elektronischer Akten verbundenen Fragen. Nach der dann zum inhaltlichen Teil des Archivtages über, der unter gegenwärtigen Erprobung in verschiedenen Verwaltun- dem Thema „Informationstechnologie in der Verwaltung gen soll demnächst über die endgültige Einführung des – Fragen und Perspektiven“ stand. Systems in der rheinland-pfälzischen Landesverwaltung Den ersten Vortrag hielt Heinz Vogel vom Landesamt entschieden werden. Auch im Saarland fand beispiels- für Informationstechnik in Hamburg über „Das Projekt weise 2000 bereits eine „papierlose Kabinettssitzung“ Dokumenta – Ablösung der Papierakte in Hamburg“. Um statt, gegenwärtig wird ein IT-Innovationszentrum aufge- die Ablösung der Papierakte, eine der Voraussetzungen baut. für die Einführung der elektronischen Vorgangsbearbei- Ferner informierte der Direktor des Landeshauptar- tung, zu erreichen, soll in der gesamten Hamburger Ver- chivs Koblenz Dr. Heinz Günther Borck über Überlegun- waltung die elektronische Dokumentenverwaltung einge- gen zur partiellen Novellierung des rheinland-pfälzischen führt werden. Seit 1999 werde in einer Abteilung der Archivgesetzes und über den „Deutschen Archivtag“ in Behörde für Inneres ein Dokumentenmanagement-System Trier Mitte September 2002. Mit dem Archivtag verbunden im Pilotbetrieb angewandt. Herkömmliche papierne ist die große Ausstellung „Unrecht und Recht, Kriminali- Unterlagen würden dabei, nachdem sie bearbeitet und zu tät und Gesellschaft im Wandel 1500–2000“, die am den Akten geschrieben wurden, im TIFF-Format digitali- 16. September in den Trierer Viehmarktthermen eröffnet siert (eingescannt), mit Suchbegriffen versehen und dann wurde. Zur Ausstellung erschien auch ein mehrbändiger auf elektronischen Speichermedien vorgehalten. Ein Katalog. Unter der Ägide des Landesarchivs Saarbrücken Zugriff sei dann nur noch über Bildschirmarbeitsplätze erarbeiten zum Deutschen Archivtag Michael Sander möglich. Die Papierakten sollen anschließend vernichtet und Dr. Wolfgang Müller (Archiv der Universität des werden. Die Erfahrungen dieses Pilotprojekts „Doku- menta“ hätten gezeigt, dass es bei allen Mitarbeitern emo- 1 Vgl. auch mit weiteren Literaturhinweisen: Andreas Engel: Das Konzept tionale Widerstände gegen diese Veränderung der der Bundesregierung für Dokumentenmanagement und elektronische gewachsenen Arbeits- und Lesegewohnheiten gebe und Archivierung im IT-gestützten Geschäftsgang, In: Andreas Metzing dass der Abschied von der Papierakte nur mittelfristig (Hrsg.): Digitale Archive – ein neues Paradigma? Beiträge des 4. Archiv- wissenschaftlichen Kolloquiums (Veröffentlichungen der Archivschule Mar- möglich sei. Die Einführung der elektronischen Dokumen- burg, Nr. 31), Marburg 2000, S. 155–177. tenverwaltung sei weitgehend ein Organisations- und

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 339 Überzeugungs-, aber kein technisches Problem. Die Aus- blematik der Arbeitssicherheit und Arbeitshygiene im weitung der elektronischen Dokumentenverwaltung auf Archiv vor. Ein dritter Workshop unter Leitung von Kai weitere Behörden werde geplant. Vogel stellte die Frage, Wittig, Kreisarchiv Pinneberg, behandelte die Archiv- ob nach Einführung des Dokumentenmanagement- landschaft im Kreis Pinneberg. Systems nicht die Anbietungs- bzw. Abgabepflicht der Der rege Zulauf, den die Tagung fand, zeigte wieder Behörden an das Staatsarchiv von einer Bringschuld in einmal, wie sehr der schwierige Umgang mit elektroni- eine Holschuld umgewandelt werden könne, da das schen Unterlagen nach wie vor die Archivare beschäftigt Archiv über das Behördennetzwerk ja Zugriff auf die und welch große Bedeutung der Schleswig-Holsteinische Akten habe. Auf die in der Diskussion gestellte Frage, ob Archivtag für den Erfahrungs- und Gedankenaustausch es nicht besser sei, statt Bilddateien Textdateien zu spei- der Archivare im nördlichsten Bundesland hat. Im nächs- chern, um auch Volltextsuchen zu ermöglichen, entgeg- ten Jahr wird der Schleswig-Holsteinische Archivtag ent- nete Vogel, dass dies wegen der umfassenden Recherche- fallen, da am 23. und 24. Juni 2003 in Schwerin der möglichkeiten datenschutzrechtlich sehr bedenklich sei. 2. Norddeutsche Archivtag stattfindet. Im folgenden Vortrag behandelte Manfred Goralsky- Schleswig Robert Gahde Rugenstein von der Datenzentrale Schleswig-Holstein das Thema „Von der Karteikarte zum Internet – eGovern- 2. Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 des VdA in ment im Einwohnermeldeamt“. Er schilderte zunächst die Schleswig Entwicklung der Datenverarbeitung im Meldewesen, von der früheren hand- oder maschinenschriftlichen Führung Filmarchivierung als Herausforderung staatlicher Archive der Melderegister über die beginnende Automatisierung Zu diesem Thema fand am 5. Juni 2002 im Landesarchiv seit der Mitte der 1960er Jahre bis zum aktuellen Stand des Schleswig-Holstein die 2. Frühjahrstagung der Fach- eGovernment. Die heutige Internettechnologie biete ganz gruppe 1: Archivare an staatlichen Archiven im Verband neue Vernetzungsmöglichkeiten, mit denen die Sachbear- deutscher Archivarinnen und Archivare e. V. statt. Die beitung ihre räumliche Gebundenheit verliere. Bei ent- Tagung war geprägt durch den fachlichen Austausch der sprechender Vernetzung könnten Bürger sich in einer Archivarinnen und Archive an staatlichen Archiven, aber Nachbargemeinde, in der sie etwa ihren Arbeitsplatz hät- auch durch die gerade im Filmbereich notwendigen und ten, ummelden, und die Änderung der Meldedaten fruchtbaren Kontakte über den engeren archivischen könnte gleich an die Kfz-Zulassungsstelle oder an die Post Bereich hinaus. So konnten auf der Tagung auch Vertreter weitergeleitet werden. Formulare könnten zu Hause aus- der Bildstellen sowie Fachleute technischer Spezialfirmen gedruckt und – soweit eine eigenhändige Unterschrift ihre Erfahrungen einbringen. nicht erforderlich sei – elektronisch an die Verwaltung Dieser kooperative Gedanke war auch bei den Refera- geschickt werden. Im Hinblick auf die Archivierung der ten leitend, die im Anschluss an die Begrüßung durch den Daten äußerte er die Ansicht, dass die Archive sich um die Leiter des Landesarchivs Schleswig-Holstein, Prof. Dr. Sicherung der elektronischen Meldeunterlagen erst in der Reimer Witt, und das Grußwort des Vorsitzenden der Mitte des 21. Jahrhunderts kümmern müssten, wenn die Fachgruppe 1 im VdA, Dr. Robert Kretzschmar, Leiter gesetzliche Aufbewahrungsfrist (80 Jahre) auslaufe. Bis des Hauptstaatsarchivs Stuttgart, gehalten wurden. In den dahin seien sie bei den Meldebehörden sehr sicher aufge- Referaten ging es darum, Fragen der Filmarchivierung aus hoben. der Sicht der Archive, der Bildstellen und der Filmbenut- Im letzten Vortrag des Vormittags stellte Dr. Karl-Ernst zer darzulegen. Lupprian von der Generaldirektion der Staatlichen Dr. Dirk Jachomowski, der im Landesarchiv Schles- Archive Bayerns unter dem Titel „Die Große Allgemeine wig-Holstein das dort angesiedelte Landesfilmarchiv lei- Unsicherheit – wie lange werden digitale Daten leben?“ tet, referierte zunächst zum Thema „Filmische Quellen im ein bayerisches Konzept zur Archivierung digitaler Unter- Kontext herkömmlicher archivischer Überlieferung“. lagen vor. Digitale Datenträger unterlägen vielerlei Dabei ging er vier Fragen nach: Was ist für Archive neu am ungünstigen Umwelteinflüssen, die ihre ohnehin Medium Film? Welchen Überlieferungswert haben Filme begrenzte Lebensdauer negativ beeinflussen. Bei der DVD im Sinne archivischer Aufgabenstellung? Wie sollen lasse sich die voraussichtliche Lebenserwartung noch gar Archive in der Definition ihrer Zuständigkeit darauf rea- nicht sicher benennen, da die inneren chemischen Reaktio- gieren? Wie sieht filmarchivische Arbeit in einem staatli- nen noch nicht bekannt seien. Vor diesem Hintergrund sei chen Archiv aus? ein Modell eines „Archivspeichers für digitale Unterla- Ausführlich ging Jachomowski auf den Überlieferungs- gen“ entwickelt worden. Diese würden im Archiv über- wert von Filmmaterialien besonders vor dem Hintergrund nommen, aufbereitet und zunächst noch online vorgehal- des traditionellen archivischen Überlieferungsprofils ein. ten, später seien sie dann offline verfügbar. Da die bei einer Ein direkter Zusammenhang bestehe bei Filmen aus Archivierung in digitaler Form notwendige regelmäßige Behördenprovenienz. Darüber hinaus bringe filmische Datenmigration sehr hohe Kosten verursache, sehe das Überlieferung eine große Erweiterung von Dokumenta- Modell für die langfristige Archivierung eine Konvertie- tionsmöglichkeiten gesellschaftlicher Wirklichkeit. Jacho- rung auf analoge Speichermedien vor. mowski unterschied dabei zwischen „harten“ und „wei- Nach der Mittagspause war der Nachmittag ausgefüllt chen“ Dokumentationswerten. Zu ersteren zählte er bei- mit verschiedenen Workshops, die jeweils zweimal statt- spielsweise Ortsbilder, Verkehrsmittel oder Ereignisse; als fanden, sodass den Teilnehmern der Tagung die Qual der weiche Dokumentationswerte bezeichnete er Tendenz Wahl erleichtert wurde. Ein Workshop unter Leitung von und Machart von Filmen. Solche Gestaltungselemente hät- Dr. Dirk Jachomowski beschäftigte sich mit Zwangsar- ten selbst Quellencharakter beispielsweise für die Mentali- beiternachweisen; Dr. Annette Göhres vom Nordelbi- tät einer bestimmten Epoche. Vor diesem Hintergrund sei schen Kirchenarchiv stellte mit ihren Mitarbeitern die Pro- der gängige Begriff „Dokumentarfilm“ archivisch wenig

340 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 hilfreich. Jachomowski gab dem Begriff „Filmdokument“ material und Editionsbeispielen (Video und interaktive den Vorzug, der eben auch einen Werbefilm der zwanziger CD) aus der Arbeit des Landesmedienzentrums Bremen. Jahre oder einen Spielfilm aus der NS-Zeit umfassen Die Arbeitsweise der professionellen Nutzer und deren könne. Anforderungen an Filmarchive war Gegenstand des Refe- Da das bewährte archivische Netzwerk bei der Filmar- rats von Helga Fitzner (Köln) unter dem Titel „Filmar- chivierung nur noch partiell auf der Basis von Behörden- chive aus Nutzersicht: Von der Recherche zum Material- provenienzen funktionieren könne, sah Jachomowski hin- und Rechteerwerb“. Fitzner beschrieb ihre Arbeit und ihre sichtlich der Definition archivischer Zuständigkeiten eine Erfahrungen als freiberufliche Rechercheurin, die für in- Erweiterung des Provenienzprinzips durch das koopera- und ausländische Fernsehanstalten sowie Filmproduzen- tive Netzwerk. Dieses werde durch unmittelbar anste- ten tätig ist. Anhand eines fiktiven Beispiels wurde der hende Herausforderungen in Gestalt der Europäischen Produktionsablauf einer Fernsehdokumentation beschrie- Konvention zum Schutz des audiovisuellen Erbes beson- ben. Da Archivrecherchen oft nicht zeitig in die Produk- ders wichtig. Vorgesehen sei dabei eine Hinterlegungs- tion eingeplant würden, käme man auf professionelle pflicht für kinematographische Produktionen. Dieses Rechercheure oft erst dann zu, wenn die Produktion aus werde nur arbeitsteilig möglich sein, wobei Überliefe- dem Zeitplan laufe. Für die unter Zeitdruck durchgeführ- rungsprofile und das Prinzip archivischer Bewertung ten Recherchen seien tief erschlossene archivische Find- nicht beseitigt werden dürften. mittel ebenso wichtig wie die gute Kommunikation mit Abschließend gab Jachomowski vor dem Hintergrund den Archivaren. Nach der Ermittlung des passenden von anderthalb Jahrzehnten filmarchivischer Arbeit im Materials seien besonders eine klare Rechtelage für die Landesarchiv Schleswig-Holstein einen Einblick in die Lizenzierung und eine möglichst unkomplizierte Materi- Praxis der Filmarchivierung. Er erläuterte die Wichtigkeit albereitstellung von zentraler Bedeutung. Dabei seien von Sicherungspaketen mit Sicherungs- und Benutzungs- auch besonders Rechte Dritter zu beachten, nicht zuletzt stücken und betonte, dass die Ausgangsmaterialien für die Musikrechte. Kritisch setzte sich Fitzner mit der un- die Sicherungspakete möglichst nahe am Original liegen flexiblen Serviceleistung einiger Archive auseinander, bei müssten. Archiviert werde beim herkömmlichen Film denen durchaus Zeitspannen von drei Monaten zwischen stets im Originalformat 35mm oder 16mm. Für die wei- Sichtung, Lizenzierung und Kopierwerk vergingen. Die- tere Benutzung sei die Klärung von Urheberrechten mög- ses würde den Rahmen der meisten Produktionen spren- lichst bereits zum Zeitpunkt der Archivierung besonders gen. Auch die von einigen Archiven geforderten zeitlich wichtig. Als Fazit stellte er fest, dass die staatlichen befristeten Lizenzierungen seien in der Praxis des Medien- Archive trotz einiger Unterschiede zur herkömmlichen bereichs problematisch. Zum Teil hätten sich Archive aber archivischen Überlieferung mit ihren traditionellen bereits auf moderne Serviceanforderungen eingestellt. In Methoden über ein durchaus gutes und brauchbares solchen Fällen sei in der Medienbranche auch die Akzep- Instrumentarium für den Umgang mit filmarchivischen tanz angemessener Bezahlung solcher Leistungen durch- Quellen verfügten. aus gegeben. Eine Warnung sprach Fitzner davor aus, Anschließend referierte Rudolf Geisler, Leiter der Film- und Bildbestände an Imagebanken zu veräußern, da Landesbildstelle Bremen, zum Thema „Die Bildstellen im diese zu sehr die wirtschaftlich nutzbaren Bestände im Spektrum von medialer Bildungsarbeit und archivischer Auge hätten, was schon mehrfach zur unwiderruflichen Kulturpflege“. Er skizzierte die Geschichte der Bildstellen, Vernichtung einzigartigen Kulturguts geführt hätte. deren Schwerpunkt ursprünglich der Verleih von Bil- Nachmittägliche Workshops gaben einen Einblick in dungsmedien im Schulbereich gewesen sei, und verwies die vielfältige Arbeit des schleswig-holsteinischen Lan- auf die großen Veränderungen in der Gegenwart. Heute desfilmarchivs. Ins Auge fiel der hohe Aufwand, der seien die Bildstellen fast überall zu Medienzentren gewor- damit verbunden ist, archivische Sicherungspakete von den mit einem neuen Profil, das mehr und mehr in die IT- Filmen zu erstellen, die kontinuierlich aus unterschied- Technik münde und das inhaltliche Profil verändere. Den- lichsten Quellen neu erworben werden. Diese Sicherungs- noch bemühten sich die Bildstellen auch um ihre histori- pakete werden im Originalformat (35mm oder 16mm) schen Medien, und einige Bildstellen hätten sich auch Auf- von externen Firmen gefertigt und in besonders klimati- gaben der Filmarchivierung gestellt. Geisler erinnerte in sierten Magazinen eingelagert. Vorgeschaltet ist – beson- diesem Zusammenhang daran, dass fast auf den Tag ders bei ungeschnittenen stummen Filmdokumenten – genau vor zehn Jahren an gleicher Stelle im Landesarchiv eine aufwendige szenenweise Analyse und Konfektionie- Schleswig-Holstein die erste Tagung der damals ins Leben rung des zu kopierenden Materials. Feuergefährliche gerufenen Arbeitsgruppe Historische Filme stattgefunden Nitro-Filme werden nach der Sicherungskopierung ver- hatte. Diese Arbeitsgruppe, die anfangs vorwiegend aus nichtet. Erst nach Fertigstellung der Sicherungspakete Vertretern der Landesbildstellen bestand, hat sich in den erfolgt die szenenweise Erschließung der Filme. Für die folgenden Jahren mehr und mehr zu einem Forum entwi- Benutzung stehen zunehmend Magnetabtastungen im ckelt, das die Zusammenarbeit zwischen den Einrichtun- sendefähigen Betacam-Format zur Verfügung,so dass eine gen – Bildstellen wie Archiven – pflegt, die sich um histori- sehr schnelle Bereitstellung von Einzelszenen für Benutzer sche Filme kümmern. So ging der Appell von Geisler auch möglich ist, der allerdings stets eine vertragliche Lizenzie- sehr deutlich dahin, den Dialog zwischen den Landesme- rung vorausgeht. Diese Archivierungs- und Serviceberei- dienanstalten und den staatlichen Archiven weiter zu pfle- che stehen im Mittelpunkt der filmarchivischen Arbeit, gen und zu verbessern. Eine enge Verbindungder Medien- jedoch werden auch Editionen von Filmen auf Video-Ver- kompetenz der Bildstellen bzw. Medienzentren mit dem kaufskassetten erarbeitet. Ein gedrucktes Findbuch des spezifischen Fachwissen der staatlichen Archive sei im Filmbestandes ist beim Landesarchiv Schleswig-Holstein beiderseitigem Interesse und der Sache dienlich. Abgerun- erhältlich. det wurde der Vortrag durch die Vorführung von Archiv- Schleswig Oliver Fieg

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 341 Im Anschluss an das Fachprogramm fand die „Aktuelle Zu Beginn der Beratung gab Frau Hänel eine allge- Stunde“ der Fachgruppe 1 im VdA statt, die von meine Einführung. Danach konnten sich die Teilnehmer Dr.Kretzschmar alsVorsitzenden geleitet wurde. Dieser während einer fachkundigen Führung durch die Räum- dankte zunächst dem Landesarchiv Schleswig-Holstein lichkeiten davon überzeugen, dass sich mit dem Umzug und insbesondere Dr. Jachomowski für die umsichtige des Landratsamtes in das umgebaute ehemalige Kreis- Vorbereitung und Durchführung der interessanten krankenhaus auch die Bedingungen für das Kreisarchiv Tagung. Er wies in diesem Zusammenhang darauf hin, deutlich verbessert haben. Es erstreckt sich über 2 Etagen, dass die Frühjahrstagung eingerichtet wurde, um die umfasst einen freundlichen Benutzerraum mit 10 Arbeits- Möglichkeit zu geben, jenseits der großen Archivtage in plätzen, einen auf Zuwachs eingerichteten Technikraum, einem überschaubaren Kreis besondere Projekte einzelner modern ausgestattete Arbeitsräume für das Personal Archive oder Archivverwaltungen vorzustellen und – sowie mit etwa 5500 laufenden Metern Aufnahmekapazi- sofern etwas anliegt – in der „Aktuellen Stunde“ tät (ohne Zwischenarchiv) auch genügend Raumreserven bestimmte Themen aufzugreifen. In diesem Sinne könne im Magazinbereich, wovon zur Zeit etwa 65% der neu sie dazu dienen, die Diskussion innerhalb der Fachgruppe angeschafften Rollregalanlagen belegt sind. Klima- und zu fördern und Meinungsbildungen – etwa für die Mit- Brandmeldeanlage gewährleisten eine sachgerechte und gliederversammlung auf dem Deutschen Archivtag – vor- sichere Lagerung der Archivalien. Das ehemals auf zwei zubereiten. Im Fachprogramm des VdA solle die Früh- Objekte in Werdau und Zwickau verteilte Kreisarchiv ist jahrstagung keine Großveranstaltung sein, sondern eher nunmehr unter einem Dach untergebracht. eine Expertenrunde, zu der die zusammen kommen, die In der sich anschließenden zwanglosen Diskussion etwas zum Thema zu sagen haben, wobei – wie schon bei beantwortete die Gastgeberin Fragen der anwesenden der ersten Frühjahrstagung 2001 in Stuttgart durch die Fachkollegen und erläuterte, dass im Landratsamt Zwi- Einbeziehung von Vertretern der Kommunalarchivare ckauer Land die Ablösung der bisherigen Aufteilung in oder nun in Schleswig durch die Beteiligung der Bildstel- die Leitungsebenen Dezernat – Amt – Sachgebiet erfolgte len und einer Nutzerin – nach Möglichkeit auch Außen- und die Umstellung der Verwaltungsstruktur im gesam- sichten Berücksichtigung finden sollten. ten Landratsamt auf Verwaltungsvorstand – Fachbereiche Dr. Kretzschmar gab sodann einige Informationen zum – Fachdienste Modellcharakter trägt. Die Wertschätzung nächsten Deutschen Archivtag 2003 in Chemnitz und zur der sich nunmehr als moderne Dienstleistungseinrichtung weiteren Planung der Archivtage. Auch berichtete er, dass präsentierenden Behörde für das Archivwesen wird in der innerhalb des Vorstands des VdA ein Ausschuss für Bildung eines mit hoher Eigenverantwortung ausgestatte- Öffentlichkeitsarbeit gebildet worden sei, der demnächst ten eigenen Fachdienstes Archiv, der seit September 2001 seine Arbeit aufnehmen und sich damit befassen werde, das frühere Kreisarchiv umfasst, deutlich. Teil dieses Fach- wie der VdA sich besser nach außen darstellen kann. Er dienstes ist zudem eine neu geschaffene Altregistratur, bat ausdrücklich um Anregungen hierzu. Professor Witt wie sie in dieser Form bis dahin in der Kreisverwaltung sprach in diesem Zusammenhang an, dass seiner Ansicht noch nicht existierte. Sie übernimmt die Funktion eines nach das Layout des Internet-Angebots verbessert werden zentralen Zwischenarchivs für das Landratsamt und sollte. Der Fachgruppenvorsitzende teilte dazu mit, dass wurde mit drei umgesetzten Mitarbeitern aus anderen der Ausschuss für Öffentlichkeitsarbeit sich besonders Bereichen des Hauses personell besetzt. Die Servicelei- auch mit dem Erscheinungsbild des VdA im Internet stungen des Fachdienstes Archiv unter Leitung von Frau beschäftigen werde. Hinsichtlich der weiteren Frühjahrs- Hänel werden in Form von Produkten den Bürgern und tagungen kündigte er an, dass die nächste Frühjahrsta- der Verwaltung angeboten. gung im Jahr 2003 vom Bundesarchiv in Berlin ausgerich- Für alle Anwesenden war dieses Treffen eine interes- tet und als Thema organisatorische Fragen der Nutzung sante und aufschlussreiche Abwechslung innerhalb der behandeln werden. Für die Jahre danach seien Gespräche alltäglichen Archivarbeit. Jeder der Teilnehmer hat sicher mit dem Staatsarchiv Münster (Thema: Urkundenerschlie- auch die eine oder andere Inspiration für die eigene Tätig- ßung) und Leipzig (Thema: Adelsarchive) aufgenommen keit aus dieser gelungenen Veranstaltung mit nach Hause worden. Für weitere Vorschläge für die Frühjahrstagung genommen. oder auch zu Themen, die in den nächsten Jahren auf der Glauchau Holger Plänitz Fachgruppensitzung auf dem Deutschen Archivtag aufge- griffen werden sollten, sowie jedwede Anregung über- haupt sei man dankbar. Arbeitstagung des Verbandes schleswig-holsteinischer Stuttgart Robert Kretzschmar Kommunalarchivarinnen und -archivare e.V. (VKA) Die diesjährige Arbeitstagung des VKA fand am 19. und 20. März 2002 in Rendsburg statt. 67 Kolleginnen und Kol- Erfahrungsaustausch südwestsächsischer Kommunal- legen nutzten die Möglichkeit, um sich insbesondere über archivare Fotosammlungen, Datenschutz und den Musteraktenplan Am 17. April 2002 trafen sich auf Einladung der Kreisar- der kommunalen Spitzenverbände des Landes Schleswig- chivarin Anette Hänel insgesamt 13 Mitarbeiter kommu- Holstein zu informieren. naler Archive aus der Wirtschaftsregion Chemnitz-Zwi- Annette Henning vomKunsthistorischen Seminar der ckau im Landratsamt Zwickauer Land. Im Mittelpunkt Christian-Albrechts-Universität berichtete über den „rich- der Zusammenkunft, die im neuen Domizil der Kreisver- tigen“ Umgang mit der Fotosammlung. Dia-Reproduktio- waltung in Werdau stattfand, standen die Erfahrungen, nen und Fotos aus der kunsthistorischen Sammlung ver- die bei der Entwicklung und Umsetzung neuer Verwal- anschaulichten die beschriebenen Schadensbilder an tungsstrukturen im Kreisarchiv des Landkreises Zwi- Papierbildern und Negativen. Hinweise auf Behandlung ckauer Land gemacht wurden. der Schäden und die richtige Aufbewahrung der Fotos

342 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 rundeten den Beitrag ab. Auf Nachfrage musste sie beken- meinschaft kam ja seinerzeit mehr von außen, aus dem nen, dass der von ihr vertretene Standard auch in ihrem Kreis der Bistumsarchive als von den Ordensleuten selbst. Institut noch nicht umgesetzt ist. Das Thema Fotoarchivie- Der Mitgliederstand ist bei 164 angelangt, wobei sich diese rung wurde am zweiten Tag in einem Workshop fortge- Zahl sicher noch erweitern kann und sollte. Sechs von die- setzt. Zuerst sprach Lars Henningsen vom Archiv der sen Mitgliedern sind assoziierte Mitglieder aus dem dänischen Minderheit über seine Erfahrungen mit einer deutschsprachigen Ausland, wie von der Satzung vorge- Neuorganisation der Fotosammlung, der Digitalisierung sehen. Mittlerweile wurde auch eine Homepage der von Fotos und der Auswahl von archivgerechtem Ver- AGOA eingerichtet, auf der bislang (erst) 39 Mitglieder packungsmaterial. Zusammen mit Frau Henning und erscheinen, was etwa 24% der Anzahl der Mitgliedsar- Herrn Henningsen stellten sich Frau Ueck (Kreisarchiv chive entspricht. Da gibt es wohl noch mehrfach Bedenken Nordfriesland) und Frau Briel (Stadtarchiv Kiel) anschlie- vor dem „Gläsernen Archiv“ oder einer Häufung von ßend den zahlreichen Fragen der Kolleginnen und Kolle- Anfragen. Der Zugang zu den Ordensarchiven soll aber gen. kontinuierlich erweitert werden. Die Qualität der Ausführlich wurde das Thema Datenschutz am ersten Bestandsbeschreibungen ist sehr unterschiedlich und Tag durch Dr. Thilo Weichert vom Unabhängigen Lan- beruht ausschließlich auf den Angaben der einzelnen deszentrum für Datenschutz Schleswig-Holsteins behan- Archive. Freilich ist auch hier die äußerst unterschiedliche delt. Anhand zahlreicher Beispiele veranschaulichte er Erschließungssituation in den einzelnen Archiven in sehr kurzweilig, was möglich ist und was nicht. Die Rechnung zu stellen. anschließende rege Diskussion zeigte den enormen Dis- Die Domain lautet www.ordensarchive.de. Ebenso kussionsbedarf unter den Kolleginnen und Kollegen und wurde ein Faltblatt („Flyer“) erstellt, das man durchaus als machte Herrn Weichert deutlich, dass auch im Archivall- „adrett“ bezeichnen kann. Selbstverständlich haben es alle tag der Datenschutz eine bedeutende Rolle spielt, auch Mitglieder, die deutschen Ordensoberen – männlich und wenn es sich in seiner bisherigen Tätigkeit noch nicht weiblich – erhalten und alle deutschen Bistumsarchive, die widergespiegelt hat. auch laufend die zwei- bis dreimal erscheinenden Rund- Der 1. Veranstaltungstag wurde durch den Vortrag von briefe erhalten. Der Vorstand wird demnächst eine Dr. K.-J. Lorenzen-Schmidt über die Registratorenfort- Geschäftsordnung eben für den Vorstand und eine Hand- bildung im Staatsarchiv Hamburg abgeschlossen. Nach reichung für Hausobere, vorlegen, also hinsichtlich sol- den bisherigen informationsreichen Vorträgen war jetzt cher Schriftgutbildungen, die in abhängigen Ordenshäu- etwas Entspannung für die Zuhörer und Zuhörerinnen sern entstehen und später dann an das jeweils zentrale angesagt. Auf fast kabarettistische Art schilderte Loren- Provinzarchiv abgegeben werden. zen-Schmidt den Versuch des Staatsarchivs, die Registra- Es sei in diesem Zusammenhang nochmals darauf hin- toren aus ihren eingefahrenen Gleisen herauszuholen und gewiesen, dass Ordensarchive auch im kirchenrechtlichen sie zu archivarisch vorgebildeten Helfern in der Archivie- Sinne keine „Archive privater Natur“ sind, was bislang rung auszubilden. vielfach angenommen wurde, worüber von dem Münch- Der 2. Tag begann mit dem bereits erwähnten Work- ner Kirchenrechtler Prof. P. Dr. Stephan Haering einGut- shop zur Fotoarchivierung und wurde dann von Rolf achten eingeholt wurde. Martens vom Schleswig-Holsteinischen Landkreistag Angestrebt wird künftig eine noch engere Zusammen- fortgesetzt, der über den neuen Musteraktenplan der arbeit mit der „Bundeskonferenz der kirchlichen Archive kommunalen Spitzenverbände des Landes Schleswig- Deutschlands“, d. h. auch mit den Provinzkonferenzen, Holstein referierte. Dieser wurde erstellt, da der aus den die den jeweiligen Metropolitanverbänden zugeordnet 60er Jahren stammende Musteraktenplan der KGSt nicht sind. Fallweise, bei thematischen Tangenzen, wird ein Mit- mehr ausreichend ist und im Zuge des digitalen Doku- glied des Vorstands an den Provinzkonferenzen teilneh- menten-Managements neue Strukturen gefordert sind. men. Der Vorsitzende der AGOA ist sowieso Mitglied der Insgesamt enthält der Aktenplan ca. 16.000 Aktenzeichen, Bundeskonferenz und nimmt an ihrer Jahresversammlung von denen der Landkreistag, der für sich den Aktenplan teil. eingeführt hat, nur ca. 2.000 nutzt. Wie schon 2000 in München, so werden auch in diesem Das letzte Thema der Arbeitstagung, Produkthaushalt Jahr Regionalkonferenzen in Münster und Köln stattfin- als archivische Chance, konnte leider nicht behandelt wer- den, um das Kennenlernen und die Zusammenarbeit der den, da sich der Referent verspätete. Die rege Abschluss- AGOA-Mitglieder mit den Bistumsarchiven zu fördern diskussion zeigte jedoch, dass die Teilnehmerinnen und und zu intensivieren. Vom 8.–10. April fand die diesjährige Teilnehmer mit der Tagung trotz dieser kleinen Panne sehr (6.) Jahresversammlung statt, ein zweites Mal in Fulda. zufrieden waren. Thematisch standen „Schriftgut-Bewertung“ und „Daten- Ausführlich werden die Themen im Mitteilungsheft schutz“ im Mittelpunkt; dazu wurde das kirchliche 2002 des VKA behandelt, das auch ins Internet eingestellt Archivwesen in der Schweiz und das Archiv der „Vereini- wird: www.vka-sh.de. gung Deutscher Ordensobern“ und das des „Deutschen Husum Almut Ueck Katholischen Missionsrats“ vorgestellt. 2003 und 2004 werden die Jahresversammlungen in Freising stattfinden, wobei, wie allenthalben, die Säkulari- Arbeitsgemeinschaft der Ordensarchive (AGOA) sation das Schwerpunktthema sein wird, und das mit Die Arbeitsgemeinschaft hat in diesem Jahr ein halbes Referenten für Österreich, die ehemaligen Spanischen Nie- Jahrzehnt ihres Bestehens zurückgelegt und entspre- derlande, das Rheinland und die Schweiz, wobei das Kur- chende Arbeit geleistet und bewältigt, und wir, der Vor- fürstentum Bayern nur am Rande aufscheinen wird, das stand, glauben sagen zu können: „Die Sache hat sich 2000 in Mainz kompetent abgehandelt wurde. Für 2005 gelohnt.“ Die Anregung zur Errichtung dieser Arbeitsge- und 2006 ist Erfurt als Tagungsort vorgesehen.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 343 Im Ganzen ist zu hoffen, dass die Arbeitsgemeinschaft eingehend erläuterte. Stellvertretend für andere Staatsar- in jeder Beziehung weiterhin eine gute Entwicklung neh- chive vermittelte sie abschließend einen Überblick über men wird. das Wirtschaftsarchivgut, dass vom Landesarchiv Berlin Ettal/Würzburg Laurentius Koch OSB verwahrt wird. Mit rund 200 Beständen bilde es einen Schwerpunkt des Hauses. Allein von den Beständen Ost- Berliner Provenienz entstammten rund ein Drittel der Frühjahrstreffen berlin-brandenburgischer Wirtschafts- Wirtschaft. archivarinnen und -archivare Bei einer nachfolgenden Flughafenbesichtigung und Auf Einladung der Berlin Brandenburg Flughafen Hol- dem Besuch des Info-Zentrums konnten sich die Teilneh- ding (BBF) kamen am 21. März 2002 über 30 Wirtschaftsar- merinnen und Teilnehmer sowohl ein Bild machen über chivarinnen und -archivare des Arbeitskreises „Regiona- den bestehenden Flughafen mit seinem gegenwärtigen ler Erfahrungsaustausch Berlin/Brandenburg“ zu ihrem Verkehrsaufkommen als auch über den aktuellen Pla- diesjährigen Frühjahrstreffen auf dem Flughafen Berlin- nungsstand zu seinem Ausbau zum Airport Berlin Bran- Schönefeld zusammen. Unter den Teilnehmern fanden denburg International informieren. sich Vertreter der DISOS, des Landesarchivs Berlin und Das Herbsttreffen 2002 wird im Landesarchiv Berlin des Stadtarchivs Cottbus ebenso wie Mitarbeiter von stattfinden. Unternehmensarchiven, etwa der BBF, der Kreditanstalt Berlin Michael Klein für Wiederaufbau und der Berlin-Chemie sowie der drei ehemaligen Berliner Eigenbetriebe Bewag, Gasag und Behala. Frühjahrstagung der Fachgruppe 7 in Ravensburg Die Vorsitzende Renate Schwärzel eröffnete die „Informationsprodukte auf dem Prüfstand” hieß das Tagung des Gremiums, das unter dem Dach der Vereini- Generalthema der diesjährigen, am 22.–24. April 2002 ver- gung deutscher Wirtschaftsarchivare arbeitet. Nach über anstalteten Frühjahrstagung der Medienarchivare und zehnjährigem Bestehen zog sie Bilanz der bisherigen Mediendokumentare (Fachgruppe 7 im VdA) in Ravens- gemeinsamen Tätigkeit. Zu einem der wichtigen Erfolge burg. Schon der Blick darauf, was alles als Informations- zählte sie dabei die Überwindung des Misstrauens, das produkt in Frage kommt, öffnet ein weites Feld. Es reicht nach der Wende zwischen den Archivaren der ostdeut- von zunächst für „unnütz” gehaltenen Papieren – eine sol- schen Betriebe und den Staatsarchiven bestanden hätte. che Klassifikation gab es tatsächlich im Berner Staatsar- Daneben habe eine Wanderausstellung in Berlin und Bran- chiv – und audiovisuellen Strandgut-Schnipseln bis zu denburg die Öffentlichkeit für die Bedeutung unterneh- aufwendig zubereiteten Contents im Internet, von den merischen Schriftgutes und deren archivische Bearbeitung akribisch recherchierten und redigierten Faktendatenban- sensibilisieren können. Bedauerlich sei dagegen weiterhin ken des Munzinger-Archivs bis zum „Netzwerk Media- das Fehlen eines regionalen Wirtschaftsarchivs. Indem theken in Deutschland”, das den Ehrgeiz hat, Portal zu fast Schwärzel darüber hinaus über zukünftige Aufgaben jeder Art online verfügbarer Medien-Information zu sein. sprach, eröffnete sie die Diskussion über Perspektiven und Nahezu 250 Teilnehmer waren bei frühlinghaftem Wet- Schwerpunkte in der Arbeit des Arbeitskreises. ter in die verkehrstechnisch etwas abseits gelegene Ober- Hierbei wurde übereinstimmend betont, dass ein regel- schwaben-Metropole angereist. Sie erlebten nach den mäßiger fachlicher Austausch über den eigenen Arbeits- Worten des neuen Fachgruppenvorsitzenden Hans-Ger- bereich hinaus weiterhin sinnvoll sei. Gerade Unterneh- hard Stülb trotz dieses Andrangs das familiärste aller seit mensarchivare seien gegen die vielfältigen ökonomischen 1960 abgehaltenen Frühjahrs-Treffen. Dafür sorgte die ein- Interessen innerhalb eines Betriebes oftmals auf sich allein ladende Firma Munzinger, die sich angesichts ihres kom- gestellt. Diese Auffassung bestätigte Veronique Töpel menden 90-jährigen Jubiläums und des gerade gefeierten vom Sächsischen Wirtschaftsarchiv, die anschaulich von 80. Geburtstags ihres „Patriarchen” Dr. Ludwig Munzin- dem Gewinn berichtete, den viele sächsische Kolleginnen ger mit allem engagierte, was Munzinger-Familie (anwe- und Kollegen aus solchen Treffen im Freistaat ziehen wür- send in drei Generationen!) und Munzinger-Belegschaft den. Ferner erachteten die Teilnehmer eine enge Koopera- hergaben. Das setzte ein bei der historischen Stadtführung tion auch über die Landesgrenzen hinweg als wichtig, um mit Dr. Alfred Lutz und endete erst bei der letzten Besich- von wirtschaftsarchivarischer Seite optimal auf die sich tigungstour in Schloss Wolfegg – stets war man begleitet abzeichnende Vereinigung der Länder Berlin und Bran- von einem „Munzinger”. denburg vorbereitet zu sein. Stärker als sonst in die Tagung integriert waren die Aus- Im Anschluss daran referierte Heike Schroll vom Lan- steller, die ja auch ihre Informationsprodukte „auf den desarchiv Berlin über „Wirtschaftsschriftgut in staatlichen Prüfstand” stellten. Ein eigener Tagungsblock gab ihnen Archiven“. Nach einleitenden Worten über Formen wirt- Gelegenheit, sich in kurzen Statements zu präsentieren. schaftlichen Archivgutes und die Möglichkeiten seines Die Frühjahrstagung der Fachgruppe 7 wird für Aussteller Erwerbs durch staatliche Archive analysierte sie die offenbar immer interessanter: Was in der Branche Archivgesetze dahingehend, inwieweit sie die Archivie- „Medien- und Faktendatenbanken“ Rang und Namen hat, rung von Wirtschaftsschriftgut regeln. Hierbei konnte sie war in Ravensburg vertreten. feststellen, dass sich lediglich die Archivgesetze der Län- Bei der Eröffnung der Tagung durch den Fachgruppen- der Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern in besonde- vorsitzenden und die Grußredner wurde die Thematik rer Weise dieses Sachverhalts annähmen. In der Hälfte eines solchen Fachkongresses aus je verschiedenem Blick- aller anderen Archivgesetze bleibe er konkret ausgespart. winkel bereits angerissen. Während Bürgermeister Hans Damit unterscheide sich die jüngste Archivgesetzgebung Georg Kraus neben die 850-jährige Markt-Geschichte von derjenigen der DDR, deren Entwicklung und Auswir- Ravensburgs die Papiermacher-Tradition dieser Stadt kung auf die ostdeutschen Betriebe Schroll in der Folge stellte und auf die Lehreinheit „Neue Medien” an drei

344 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Fachhochschulen verwies, ließ es Ernst Munzinger mationsprodukt der Faktendatenbank „Internationales humorig angehen mit der Bemerkung, nun müsse man als Biographisches Archiv” führen, von Bernhard Ziegler im Einladender seine Produkte auch noch gleich „prüfen las- anschließenden Block erläutert wurde. Einem – freilich sen”. Der stellvertretende VdA-Vorsitzende Dr. Hans etwas dürftig ausgefallenen – Trendbericht über „Zeitung- Ammerich verband „den Abschied von der absoluten archive im Internet – auf dem Weg vom Gratisangebot zur Schriftlichkeit” auch in den staatlichen Archiven mit lau- Einnahmequelle” konnte man entnehmen, dass als Kun- fenden DFG-Projekten, die als Brückenschlag zwischen den für solche Angebote vorwiegend Unternehmen oder Archivaren und Dokumentaren, zwischen Staats- und vielleicht noch semi-professionelle Nutzer in Frage kom- Medienarchiven dienen könnten. men, nicht aber private. Konsequent geht diesen Weg in Traditionell fachübergreifend war der Eröffnungsvor- die Unternehmen die schon seit längerem „outgesourcte” trag von Prof. Dr. Thomas Hengartner, Volkskundler an Gruner+Jahr-Dokumentation in Hamburg, deren digitale der Universität Hamburg und soeben erst durch den Archivdienstleistungen Martin Borek vorstellte. renommierten Leibniz-Preis ausgezeichnet. Nach Hen- Den Unterschied zwischen einer auf möglichst seriöse gartner haben Archivmaterialien, wie sie Medien produ- und verifizierte Information fußenden und einer dem zieren, eine enorme Aussagekraft für die Alltagskultur, Boulevard-Interesse dienenden Faktendatenbank machte gerade wenn sie als „unnütz” oder als Strandgut klassifi- in schöner Offenheit Jantje Bruns vom Axel Springer Ver- ziert würden. An Beispielen wie Tschernobyl, dem Golf- lag deutlich. Hier wird die biographische Information aus krieg und dem 11. September zeigte der Volkskundler auf, der Yellow-Presse selbst geholt und bezieht sich nicht dass „das, was aus einem Ereignis gemacht wird, für die zuletzt auf Amouren und Krankheiten der Prominenten Alltagskultur häufig wichtiger ist als das Schlüsselereignis (z. B. auch auf die zahlreichen „Partnerinnen” eines amtie- selbst.” Kulturwissenschaftler seien deshalb „hochgradig renden Ministerpräsidenten), und da wird auch, anders interessiert” an einer Mitwirkung bei der Bewertungspra- als bei Munzinger, nirgends nachgefragt. Die Aufberei- xis in Medienarchiven – in dieser Funktion eher potentielle tung von ganz und gar harten Fakten präsentierte dagegen Partner als Nutzer. Hengartner beklagte in diesem Zusam- Ulrich Behling mit seinen volkswirtschaftlichen Zeitrei- menhang das Fehlen einer Hinterlegungspflicht bei AV- hen aus der Abteilung Information & Research der Ver- Medien als einen Anachronismus. lagsgruppe Handelsblatt. „Syndication” war ein anderer Tagungsblock am Mon- Die parallel angebotenen Workshops des Dienstag- tagnachmittag überschrieben, womit im Wesentlichen das nachmittags konnten vom Berichterstatter nicht gleichzei- Geschäft der Zweitverwertung von „Contents” in tig besucht werden. Mit der digitalen Video-Archivierung, Medienarchiven gemeint war. Dr. Bertold Heil von der die im Workshop „Film & Video” von Ronald Jochmann Gruppe PwC Deutsche Revision, Düsseldorf, stellte das und Kirsten Schade (Axel Springer TVNews) sowie von Geschäftsmodell dieses Beratungsunternehmens vor. Heike Schweigert (Fernseh Allianz, Hamburg) und Jörg PwC hat rund 11.000 Mitarbeiter, ein Umsatzvolumen von Wehling (SWR, Baden-Baden) vorgestellt wurde, rund 1,4 Milliarden EURO und ist an rund 40 Standorten beschäftigte sich die Fachgruppe 7 schon in früheren Jah- in Deutschland vertreten. Hier wie auch in den beiden ren in der jeweiligen AG Multimedia. Hier war zu hören, anderen Referaten des Blocks – mit Philipp Berens von dass die noch Ende der 90er Jahre von Vertretern der In- der Verlagsgruppe Milchstraße, Hamburg, und Jürgen dustrie ziemlich euphorisch vorgetragenen Zukunftsvi- Albert von der Ideenkapital AG, Düsseldorf – ging es um sionen angesichts der immensen Digitalisierungskosten „recycelte Kreativität”, die Beratungs- und Finanzdienst- im Videobereich einer eher gedämpften Betrachtung gewi- leister aus redaktionellen Inhalten gewinnen können. chen sind. Immerhin hat die Archivierung von Videomate- Dagegen stellten Axel Bundenthal (ZDF, Mainz), Ruth rial in Ansichtsqualität ihre technische Probe bestanden, Haener (NZZ, Zürich) und Philip Diekmeyer (WDR, und gerade kleinere Videoarchive speisen sich offenbar Köln) die Nutzung der Internet-Technik für die hausin- günstig aus dem digitalen Produktionsprozess. terne Informationsversorgung durch Medienarchivare in Aus dem Workshop „Bild – Zukunft im Bildermarkt” den Vordergrund. Anschaulich machte Bundenthal auf war zu erfahren, dass trotz steigender Nachfrage nach Bil- den Unterschied zwischen dem „anarchisch von unten dern das Agentursterben weitergehen werde. Thomas gewachsenen” Internet und dem „hierarchisch von oben Raupach (Raupach Consulting, Hamburg) beleuchtete kontrollierten” Intranet aufmerksam, während Ruth Hae- diese Zukunft, und Dr. Erich Weinreuter befasste sich ner das seit 1992 digital aufgebaute NZZ-Archiv mit Nach- mit dem Trend der Kommerzialisierung bei öffentlich- druck als „Cost-Center” verteidigte, dem genügend Zeit rechtlichen Bildarchiven. Öffentliche Bildarchive leben für Kundenanbindung zur Verfügungstehen müsse. Diek- inzwischen – durch Honorar-Angleichungen – in Koexi- meyer betonte in seinem Beitrag die Wichtigkeit einer stenz mit den kommerziellen Agenturen und kooperieren Informationsarchitektur, die in ein Archivportal, wie es im sogar miteinander. Generell gute Chancen haben offenbar WDR zur Verfügung stehe, verschiedene Türen zur Multi- Spezialagenturen. media-Information einbauen müsse. Im Mittelpunkt des Workshops „Print-Regionalzeitung Am Dienstagvormittag konnten die Teilnehmer den & Archiv” stand eine Podiumsdiskussion zwischen Klaus Weg von zunächst gratis angebotenen Informationen aus von Prümmer (ifra, Darmstadt) und den Chefredakteu- Zeitungsarchiven zu mehr und mehr kostenpflichtigen ren der Schwäbischen Zeitung, Joachim Umbach, des Dienstleistungen verfolgen. Die „kontra Informationsge- Südkurier, Werner Schwarzwälder,undderLeonberger schenke” gerichtete Philosophie des Munzinger-Archivs, Kreiszeitung, Karl Geibel. Die Frage „Brauchen Zeitun- eines der ersten kommerziellen Angebote schon vor dem gen ein Archiv?” wurde dabei durchweg positiv beant- digitalen Zeitalter, wurde vom Firmenchef Ernst Mun- wortet. Unterschiedlich war die Einschätzung, ob dafür zinger selbst vorgestellt, während die redaktionelle, eine eigene Archivabteilung nötig sei. Die Befürchtung, dokumentarische und technische Arbeit, die zum Infor- dass bei anhaltenden Verlusten in Presseverlagen der Rot-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 345 stift zuerst bei den Archiven angesetzt würde, konnte zur Frühjahrstagung eingefunden, die dem facettenrei- nicht aus dem Weg geräumt werden. Immerhin würde der chen Leitthema „Nationale und internationale Beziehun- Südkurier-Chef zuerst in den Redaktionen nach Einspar- gen der deutschen Universitäten und wissenschaftlichen potential suchen, bevor er das Archiv schließen würde. Einrichtungen während der NS-Zeit“ gewidmet war. Noch einmal spannend wurde es am Mittwochmorgen, Nach der Begrüßung durch den gastgebenden Archivdi- als – etwas abseits vom Schwerpunktthema – die Fort- rektor Dr. Werner Moritz (Universitätsarchiv Heidelberg) schritte bei der automatischen Indexierung beleuchtet und den Fachgruppen-Vorsitzenden Dr. Dieter Speck wurden. Dr. Thomas Kamphusmann vom Frauenhofer- (Universitätsarchiv Freiburg) würdigte der stellvertre- Institut für Software- und Systemtechnik, Dortmund, tende VdA-Vorsitzende Dr. Hans Ammerich (Bistumsar- stellte „Textmining” vor, Michael Weniger von der Berli- chiv Speyer) in seinem Grußwort die gute Tradition der ner Zeitung und Jürgen R. Paulus von der Firma GadT Frühjahrstagungen der Fachgruppe 8. Im Eröffnungsvor- die Software „Grammatikalische Analyse deutschsprachi- trag vermittelte Prof. Dr. Notker Hammerstein (Frank- ger Texte” und Waltraut Wiedermann von der Austria furt) einen allgemeinen Überblick über die schillernde Presseagentur APA, Wien, die automatisierte Beschlag- „Wissenschaftspolitik im NS-Staat“. Dabei erinnerte er wortung von Volltextdaten mit Mr. Cat, wohinter sich das einführend an die nach 1945 formulierten apologetischen Programm „Morphological Reduction Categorizer” ver- Bekenntnisse mancher Hochschullehrer, die Universitäten birgt. Alles linguistische Verfahren, die irgendwann ein- seien auch in der NS-Zeit in ihrem Innersten intakt geblie- mal den erschließenden Dokumentar ersetzen sollen, die- ben, das Bleiben im Amt habe „Schlimmeres verhütet“, es ses aber solange nicht können, solange jemand für die Kor- habe kein genuin nationalsozialistisches Hochschulpro- rektur offenbar nicht auszurottender Erschließungsfehler gramm gegeben und der profunde Irrationalismus der und für die Feinerschließung gebraucht wird. Der journa- nationalsozialistischen Weltanschauung habe nicht zur listischen Sprache in ihrer ganzen, fernab jeder linguisti- ehrwürdigen deutschen Universität gepasst. Ebenso dis- schen Berechenbarkeit liegenden Kreativität ist offenbar kutierte der Referent die Frage nach einer genuinen „NS- „automatisch” nie ganz beizukommen. Wissenschaft“ und verwies auf die Tradition des „unpoli- Am Schluss der Tagung gerieten noch einmal das Inter- tischen Professors“, der in Distanz zur demokratischen net und dafür erbrachte medienarchivarische Dienstleis- Weimarer Republik stand, sich weitgehend an national- tungen ins Blickfeld. Die Initiative „Netzwerk Mediathe- konservativen Ideen orientierte und durchaus vom macht- ken in Deutschland”, die mittlerweile ein Portal für fast politischen Wiederaufstieg des Deutschen Reiches und alle multimedialen Online-Dienste der Bundesrepublik vom starken Staat träumte. Insgesamt gab es aus Hammer- öffnet, von der ZKM in Karlsruhe bis zu den Filmarchiven steins Sicht „keinen Widerstand, aber Distanz“ und in der in Berlin, wurde von Dr. Dietmar Preißler und Claudia Universität, nach Dieter Langewiesche „institutionelle Wagner vom Haus der Geschichte in Bonn vorgestellt. Selbstbehauptung bei Traditionswahrung“. Die 1933 ein- Und Hans Peter Trötscher von der F.A.Z. zeigte auf, wie setzende Demütigung und Vertreibung der jüdischen weit der Internet-Service der Frankfurter Allgemeinen Gelehrten bewirkte einen gravierenden Aderlass wissen- Zeitung entwickelt ist und auf welchem Wege man schaftlicher Kompetenz und schädigte das Ansehen der Zugang dazu erhält. Die Zusammenfassung der gesamten deutschen Universitäten. Ferner thematisierte der Refe- Tagung oblag am Ende dem Fachgruppenvorsitzenden rent das „Führerprinzip“ in der Universität, die For- Hans-Gerhard Stülb, eine erstaunliche Leistung, wenn schungsförderung, die universitären Veränderungen wäh- man bedenkt, dass dieses Informationsprodukt erst wäh- rend des Zweiten Weltkrieges, den „Kriegseinsatz“ der rend der letzten Vorträge am Tagungscomputer erstellt Geistes- und Naturwissenschaften und die verbrecheri- werden konnte. schen Menschenversuche. Als Fazit ist festzuhalten, dass die Ravensburger Früh- Archivdirektor Dr. Werner Moritz präsentierte einen jahrstagung gewiss allen Teilnehmern in angenehmer überaus anregenden und breit recherchierten Blick auf Erinnerung bleiben wird. Dafür sorgten eine hervorra- „die Universität Heidelberg und die 550-Jahrfeier 1936“. gende inhaltliche Vorbereitung durch den Programmkoor- Dem Jubiläum der ältesten deutschen Universität kam dinator Prof. Dr. Ralph Schmidt,FHHamburg, eine orga- aufgrund ihrer Tradition und ihres internationalen nisatorische Glanzleistung der Fa. Munzinger, eine zügige Renommees im Olympiajahr eine herausragende Bedeu- Durchführung durch die jeweilige Moderation, in die sich tung zu, und so erwiesen zahlreiche internationale Gäste die neuen Vorstandsmitglieder der Fachgruppe teilten, ein dem kulturellen Weltzentrum Heidelberg ihre Reverenz, geselliges Rahmenprogramm mit einem unterhaltsamen auch wenn unter nationalsozialistischer Ägide vielsagend und kulinarischen Abend in der Zehntscheuer und nicht das Adjektiv in der bekannten Inschrift am Gebäude der zuletzt die schöne Atmosphäre der vom späten Mittelalter neuen Universität „Dem lebendigen Geist“ in „Dem deut- geprägten Stadt Ravensburg, deren Oberbürgermeister schen Geist“ ersetzt und die englische Delegation wegen Hermann Vogler es sich nicht nehmen ließ, beim Rat- ihrer Kritik an der Ausgrenzung jüdischer Wissenschaftler hausempfang die Stadträte aus dem Sitzungssaal zu bitten in Deutschland wieder ausgeladen wurde. Dem Vorbild und den Tagungsteilnehmern ohne jede informationstech- der 500-Jahr-Feier 1886 folgend, wurden 43 Ehrendoktor- nische Hilfe einen kommunalpolitischen Exkurs der würden an nationale und internationale Persönlichkeiten Extraklasse zu bieten. verliehen, um auch auf diese Weise die sich schwieriger Uelzen Eckhard Lange gestaltenden internationalen universitären Verbindungen zu dokumentieren. Im Zuge der von den Nationalsozialis- Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 in Heidelberg ten propagierten „Neuordnung Europas“ wurde bei- 65 Kolleginnen und Kollegen aus Universitätsarchiven spielsweise im Oktober 1941 ein Institut für Großraum- und Archiven wissenschaftlicher Institutionen hatten sich wirtschaft gegründet, dessen Aktivitäten allerdings weit- am 21. und 22. März an der ältesten deutschen Universität gehend erfolglos blieben. Der wissenschaftliche Aus-

346 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 tausch konzentrierte sich zunehmend auf die mit Hitler- helm-Instituts für Anthropologie im Rahmen der Eugenik Deutschland verbündeten und neutralen Staaten, Aus- und „Zigeunerforschung“ und die Verzahnung zwischen landskontakte sollten auch der Abwehr der alliierten Züchtungsforschung und Autarkiepolitik oder betrach- „Greuelpropaganda“ dienen und im Ausland Studierende tete die personellen und institutionellen Verbindungen die Aufgabe von kulturellen Botschaftern des NS-Staates zur NS-Forschungspolitik, wobei sich übrigens die Insti- wahrnehmen. tute „auf den Nationalsozialismus zu bewegten“. Ferner Anhand seiner neuesten Publikation1 untersuchte der beleuchtete sie die Auslandsbeziehungen der Kaiser-Wil- Direktor der Bibliothek und des Archivs der Eötvös helm-Gesellschaft. Auch wenn die Tradition der For- Loránd Universität Budapest Dr. László Szögi die Studien schungskontakte nicht abriss, so vollzog sich doch eine ungarischer Studenten an deutschen Universitäten, skiz- Umorientierung der Auslandskontakte und ein Ausbau in zierte die politische Situation Ungarns nach dem Friedens- Bezug auf befreundete Staaten in Südosteuropa. Nach vertrag von Trianon und erläuterte in Fallbeispielen die Kriegsausbruch wurden unter anderem die Forschung in besonderen Beziehungen zur Technischen Hochschule den besetzten Gebieten koordiniert, die sowjetischen Insti- Karlsruhe. Die Analyse der Auslandsbeziehungen der tute geplündert und ausländische Arbeitskräfte rekru- Münchener Ludwig-Maximilians-Universität in der NS- tiert.2 Zeit wird durch die schwierige Quellenlage und die bisher Holger Impekoven (Bonn) stellte die 1925 unter der nicht erfolgte Aufarbeitung des Themas erschwert, unter- Ägide des Auswärtigen Amtes gegründete Alexander- strich Dr. Wolfgang Smolka (Universitätsarchiv Mün- von-Humboldt-Stiftung vor, die Stipendien vornehmlich chen), der die Auswirkungen der NS-Gesetze auf den an ausländische Studierende der Geisteswissenschaften in Lehrkörper und die Emigration etlicher Münchener Deutschland vergab, wobei Mitte der 30er viele Stipendia- Dozenten in die Türkei ebenso betrachtete wie die beson- ten aus den südosteuropäischen Staaten stammten und dere Resonanz der Münchner Universität bei Studieren- nach wie vor „auswärtige Kulturpolitik als nationale den aus Nordamerika, für die 1931 das Junior Year einge- Machtpolitik“ verstanden wurde. Dieser Prozess dynami- richtet worden war. Ferner skizzierte er die seit 1933 geför- sierte sich nach 1938, als die Stipendienvergabe immer derten und inhaltlich beeinflussten Ferienkurse für Aus- mehr zum Instrument einer spezifischen auswärtigen NS- länder, die 1940 unter dem Motto „München ruft“ stan- Kulturpolitik wurde, bis zur umfassenden Betreuung der den, und hob den Anstieg von Studierenden aus den süd- Stipendiaten, der Propaganda für das neue Europa und osteuropäischen Ländern hervor, da sich München im dem Kriegseinsatz. So betrachtete das Auswärtige Amt Zuge der NS-Politik verstärkt als „Tor zum Südosten“ die „kulturelle Durchdringung des neutralen Auslandes“ begriff. als kriegswichtig. Spätestens seit 1941 stand die Stipen- Eine reizvolle Fallstudie zur Gießener Justus-von Lie- dienvergabe im Dienst der Kriegsführung auch in den big-Universität bot Dr. Eva-Marie Felschow (Universi- besetzten Gebieten, als Belohnung und Anreiz zur Kolla- tätsarchiv Gießen). Die bis 1945 kleinste Universität im boration, im Dienst einer pragmatischen Besatzungspoli- Reich, die von den Dozenten meist als berufliche Durch- tik und zur Rekrutierung einer künftigen einheimischen gangsstation zu den größeren Hochschulen angesehen Führungsschicht. Andererseits wurden die Stipendiaten wurde, verfügte auch über den geringsten Ausländeran- im Reich überwacht, in die Maßnahmen zum Kriegsein- teil an Studierenden, und die Hochschule arrangierte sich satz einbezogen, und es herrschte Furcht vor Rassen- wie andernorts 1933 ohne große Schwierigkeiten mit den schande mit deutschen Frauen und Mädchen. 1945 endete neuen Verhältnissen. Beispielsweise regte die Juristische ein singuläres Kapitel in der Geschichte des Ausländerstu- Fakultät 1934 an, Benito Mussolini wegen seiner forcierten diums. Revisionspolitik gegen Versailles mit dem Friedensnobel- Ebenfalls ein Instrument nationalsozialistischer Kultur- preis auszuzeichnen, wobei die Rektoren in Greifswald, politik bildete das von Gideon Botsch (Berlin) in seinen München und Frankfurt diese Initiative unterstützten und Aktivitäten präsentierte Deutsche Auslandswissenschaft- Freiburg statt dessen Adolf Hitler als potentiellen Kandi- liche Institut, das – zunächst mit der Berliner Friedrich- daten präsentierte. Eindrucksvoll analysierte die Referen- Wilhelm-Universität verbunden – dann 1942 als Reichs- tin die durch das entsprechende Reichserziehungsministe- institut unter der Ägide von Franz Alfred Sixt eingerichtet rium erfolgte Bewilligung oder Verweigerung von Aus- worden war. Neben herkömmlichen Kontakten zu Persön- landskontakten. So wurden 24 weitgehend fachlich moti- lichkeiten, Professoren und Journalisten wurden Ferien- vierte Anträge zur Teilnahme an internationalen Kongres- kurse eingerichtet, aus Mitteln des Auswärtigen Amtes sen gestellt, wovon zwei negativ beschieden wurden. die Zeitschrift „Politische Wissenschaft“ neu gegründet Gelegentlich kamen auch ausländische Wissenschaftler, und ein Gesprächskreis „Europa-Seminar“ auch zur Pro- vornehmlich Mediziner und Naturwissenschaftler, zu pagierung der nationalsozialistischen Europa-Politik ein- Gastvorträgen nach Gießen. gerichtet. Da nicht zuletzt eine einheitliche Sprachrege- „Die Wissenschaftlichen Einrichtungen in der NS-Zeit“ standen im Mittelpunkt des zweiten Tages, wobei jeweils 2 Vgl. Susanne Heim: Forschung für die Autarkie. Agrarwissenschaft an überaus anregende Ergebnisse aus laufenden Forschungs- Kaiser-Wilhelm-Instituten im Nationalsozialismus, In: Susanne Heim (Hrsg.). Autarkie und Ostexpansion. Pflanzenzucht und Agrarforschung und Dissertationsprojekten vorgestellt wurden. So zeigte im Nationalsozialismus. Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im PD Dr. Susanne Heim (Berlin) am Beispiel der Kaiser-Wil- Nationalsozialismus, Band 2, Göttingen 2002, S. 145–177. Vgl. außerdem helm-Gesellschaft, wie „die Wissenschaftler fachbezogen Carola Sachse/Benoit Massin: Biowissenschaftliche Forschung an Kai- ser-Wilhelm-Instituten und die Verbrechen des NS-Regimes. Forschungs- die politischen Ziele des Nationalsozialismus partiell programm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalso- adaptierten“, untersuchte die Aktivitäten des Kaiser-Wil- zialismus“, Ergebnisse 3, Berlin (2000) sowie Helmut Maier: „Wehrhaft- machung“ und „Kriegswichtigkeit“. Zur rüstungstechnologischen Rele- vanz des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Metallforschung in Stuttgart vor 1 Vgl. Szögi László: Ungarländische Studenten an deutschen Universitä- und nach 1945. Forschungsprogramm „Geschichte der Kaiser-Wilhelm- ten und Hochschulen, Budapest 2001. Gesellschaft im Nationalsozialismus“, Ergebnisse 5, Berlin 2002.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 347 lung für die vorgesehene europäische Neuordnung fehlte, Über die Sicherung digitaler Unterlagen wird auf Bundes- strebte man seit der militärischen Wende auf den Kriegs- ebene intensiv diskutiert. Dabei besteht Einigkeit bzgl. des schauplätzen auch die Steuerung der deutschen wissen- „life-cycle-Konzepts“, d. h. der Beteiligung der Archive schaftlichen Institute im Ausland an und widmete sich seit schon bei der Konzeptionierung digitaler Datenverarbei- Sommer 1944 der Betreuung geflüchteter Kollaborateure. tung. In einigen Bundesländern gibt es bereits entspre- Wegen der rigiden rassenimperialistischen deutschen chende Verwaltungsvorschriften. Außerdem hat die Besatzungspolitik mit dem Ziel einer deutschen Beherr- Archivreferentenkonferenz (ARK) eine Projektgruppe ein- schung und Ausbeutung des Kontinents scheiterte die gesetzt, um Handlungsbedarf für Archivgesetzänderun- auswärtige Kulturpolitik am Deutschen Auslandswissen- gen zu ermitteln, die allerdings schwer durchsetzbar sein schaftlichen Institut an ihren eigenen Voraussetzungen. werden. Auch die Einführung eines Archiv-audits wird Im Rahmen der Fachgruppenangelegenheiten stellte angestrebt. der Vorsitzende Dr. Dieter Speck (Universitätsarchiv Frei- UdoSchäfer entwickelte in seinem Beitrag Grundzüge burg) das Programm der Fachgruppensitzung beim Deut- einer Dogmatik zu den Rechtsvorschriften über Geheim- schen Archivtag in Trier am 19. September vor. Die nächste haltung sowie Berufs- und besonderen Amtsgeheimnissen Frühjahrstagung findet vom 17. bis 19. März 2003 in Leip- im Sinne der Archivgesetze. Er unterscheidet zwischen zig zum Thema „Archivische Überlieferung zu Hoch- Rechtsvorschriften über Geheimhaltung niederer und schul-, Universitäts- und Akademiejubiläen“ statt. Die fol- höherer Ordnung. Je nach Einordnung der Vorschriften genden Frühjahrstagungen sollen nach jetziger Planung ergeben sich Konsequenzen für die Befugnisse der 2004 in Potsdam und 2005 in Saarbrücken durchgeführt Archive zur Übernahme der diesen Bestimmungen unter- werden. Außerdem informierte Dr. Wolfgang Müller fallenden Unterlagen und für die Vorlage an Benutzer. (Universitätsarchiv Saarbrücken) über den neuen VdA- Unterliegt Schriftgut den Geheimhaltungsvorschriften Arbeitskreis „Archivische Bewertung“, der sich auch der höherer Ordnung, darf es von den Archiven nur aufgrund Diskussion um Bewertung von Prüfungsakten und -arbei- hinreichender gesetzlicher Öffnungsklauseln übernom- ten zuwenden wird. Abgerundet wurde die Tagung durch men werden. Bei der Vorlage von Unterlagen an Benutzer, Führungen durch das Heidelberger Universitätsarchiv die Vorschriften über Geheimhaltung niederer Ordnung und Universitätsmuseum sowie Besichtigungen der Alten unterliegen, gelten die 30-jährige oder entsprechende kür- Aula und des Studentenkarzers und einen Besuch im zere Schutz- und Sperrfristen. Hingegen sind die längeren legendären Heidelberger Schloss. Herzlich dankte die Schutzfristen anzuwenden, wenn die Akten sich von der Fachgruppe schließlich Dr. Werner Moritz und seinem Zweckbestimmung oder vom wesentlichen Inhalt her auf Team für eine gelungene Tagung. Lebenssachverhalte beziehen, die durch Rechtsvorschrif- Saarbrücken Wolfgang Müller ten über Geheimhaltung höherer Ordnung geschützt wer- den. Dabei lassen sich das Bayerische, das Hamburger und das Saarländische Archivgesetz so auslegen, dass auch 7. Archivwissenschaftliches Kolloquium der Archiv- dann, wenn die Unterlagen einer Rechtsvorschrift des schule Marburg Bundes über Geheimhaltung unterlagen, eine Verkürzung Archivgesetzgebung in Deutschland – Ungeklärte Rechtsfragen der längeren allgemeinen Schutzfrist möglich ist. Hieran und neue Herausforderungen schloss sich eine intensive Diskussion der aufgeworfenen Nach 15 Jahren Archivgesetzgebung ist es Zeit, eine Bilanz Fragen an. zu ziehen. Diese Aufgabe übernahm Rainer Polley zur Solveig Nestler von der Stiftung „Archiv der Parteien Einleitung der Tagung am 5. 6. 02 in Marburg und stellte und Massenorganisationen der DDR“ im Bundesarchiv in dabei fest, dass sich die Archivgesetze bei einer großen Berlin berichtete über die „Beachtung der Persönlichkeits- Variationsbreite im Detail insgesamt bewährt haben. Denn schutzrechte bei der Auswertung der Überlieferung des unter ihrer Geltung ist es bisher kaum zu Rechtsstreitigkei- Zentralkomitees der SED“. Zwar ist für diesen Bereich die ten gekommen. Durch das System des Ermessens und der 30-jährige Schutzfrist aufgehoben, jedoch unterliegt unbestimmten Rechtsbegriffe gelingt es, zufriedenstel- Archivgut, das sich auf natürliche Personen bezieht, dar- lende Lösungen für die Benutzung unter Berücksichti- über hinaus einer Sperrfrist, die 30 Jahre nach dem Tod des gung der Persönlichkeitsrechte Dritter zu finden. Blei- Betroffenen endet, wodurch an die Wahrung von Persön- bende offene Probleme, insbesondere im Benutzungs- lichkeitsschutzrechten besondere Anforderungen gestellt recht, können sich wohl durch eine stärkere dogmatische werden. So ist bei der Vorlage von Sachakten, durch die Durchdringung der Materie angemessen lösen lassen. personenschutzwürdige Belange berührt werden – was in Andere Fragen jedoch erfordern ein gesetzgeberisches einer Vielzahl von Fällen vorkommt – eine jeweils am Ein- Eingreifen. So ist es vordringlich, für die sich bildende zelfall orientierte Rechtsgüterabwägung zwischen Persön- digitale Überlieferung die Stellung der Archive gegenüber lichkeitsschutz und Wissenschaftsfreiheit erforderlich. Die der Verwaltung zu verbessern, um die Unterlagen sichern von den Forschern zu unterzeichnende Verpflichtungser- zu können. klärung verweist auf die Berücksichtigung schutzwürdi- In der folgenden lebhaften Diskussion wurde hervorge- ger Belange Dritter, enthält die Auflage, Informationen hoben, dass sich archivpolitische Vorstellungen nur durch aus dem privaten Lebensbereich nicht oder nur anonymi- Gesetze durchsetzen lassen und daher durch die Archive siert zu verwerten, und sieht evtl. Kopierverbote vor. der Weg zu den Juristen gesucht werden muss. Daneben Daneben findet ein ausführliches Beratungsgespräch mit werden immer wieder scheinbar klare gesetzliche Rege- den Mitarbeitern der Stiftung statt. lungen in Zweifel gezogen, woraus sich die Notwendig- Unter dem Thema „Rechtsfragen zur Benutzung von keit zur Präzisierung der Gesetze ergibt. Es wurde aber Archivgut im baden-württembergischen Archiv-Alltag“ auch darauf verwiesen, dass es genauso wichtig ist, aus berichtete Barbara Hoen über eine archivische Fortbil- dem Vorhandenen schöpferisch Lösungen zu entwickeln. dungsveranstaltung, die angesichts eines immer komple-

348 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 xer werdenden Nutzungsrechts dazu beitragen sollte, not- diese Unklarheiten auszuräumen. Sie sollte vor allem fest- wendiges juristisches Fachwissen und einen Erfahrungs- schreiben, dass die Trennung von Registratur- und Archiv- austausch unter den Archiven zu vermitteln. Von den gut bestehen bleibt, Archivgut nicht dem IFG unterliegt zuvor durch die Archive eingereichten und in der Veran- und die archivarische Bewertungskompetenz durch eine staltung behandelten Fragen bezog sich ein Großteil auf bereits erfolgte Vorlage von Verwaltungsunterlagen den Umgang mit personenbezogenen Unterlagen im wei- gemäß IFG nicht beeinträchtigt werden darf. teren Sinn. Dies entspricht der konkreten Arbeitssituation In der Diskussion wurde darauf hingewiesen, dass ein in den Archiven, die weiterhin stark von Forschung zu Anforderungskatalog der ARK für die Informationsfrei- Themen aus der NS-Zeit bestimmt ist. Um den Nutzern heitsgesetze existiert, der demnächst ins Internet gestellt der Archive die komplexen Sachverhalte und Erforder- werden soll. Der neue Ansatz, den unterschiedlichen nisse nachvollziehbar machen zu können, ist eine ausge- Zweck der Informationsfreiheitsgesetze und der Archiv- prägte Beratungskompetenz der Archive notwendig. Wei- gesetze als Abgrenzung zu benutzen, wurde diskutiert. terhin sind archivische und juristische Fachkenntnisse die Hingewiesen wurde weiterhin darauf, dass Archivgut, Voraussetzung sachgerechter Lösungen. Auch die Akzep- das schon gem. IFG vorgelegt wurde, nicht ohne weiteres tanz der Rechtsgrundlagen durch die Mitarbeiter hat ent- im Archiv frei vorgelegt werden kann, da die jeweiligen scheidende Bedeutung. Zu alldem leistete die vorgestellte Benutzungsvoraussetzungen nicht übereinstimmen. Veranstaltung einen Beitrag. Schließlich wurde berichtet, dass auch in Thüringen seit In der Diskussion ging es um die im Vortrag aufgewor- letztem Oktober ein IFG-Entwurf vorliegt. fenen Frage, wie Archivgut zu behandeln ist, das nicht Karsten Kühnel führte ein in „Die archivrechtliche mehr den Schutzfristen unterliegt, aber dennoch schüt- Situation der deutschen Ordensarchive, dargestellt am zenswerte personenbezogene Angaben enthält. Einigkeit Beispiel des Archivs der Vereinigung Deutscher Ordens- besteht darüber, dass nach einer für jeden Einzelfall not- obern und des Deutschen Katholischen Missionsrats“. Die wendigen Abwägung, ob eine Vorlage der Unterlagen Rechtslage stellt sich als kompliziert dar, und so sind die wegen zu berücksichtigender Interessen Dritter einzu- Bedingungen der Benutzung der Ordensarchive bis heute schränken oder zu versagen ist, eine eingehende Beratung nicht hinreichend geklärt. Die Handhabung von Schutzfri- der Benutzer erforderlich ist. Dass diese daneben eine sten ist entsprechend – u. a. auch aufgrund von Ausbil- Erklärung zu unterzeichnen haben, in der sie sich zur dungsdefiziten bei den zuständigen Archivaren – eher Beachtung der Belange Betroffener verpflichten, ist ebenso restriktiv. Für das Archiv der Deutschen Ordensobern und unstrittig, wobei darauf hingewiesen wird, dass die des Deutschen Katholischen Missionsrats wurde eine Archive sich dadurch nicht vollständig aus der Haftung Archivbenutzungsordnung in Kraft gesetzt, die auch Tat- befreien können. Weiterhin wird der Inhalt des Begriffs bestände regelt, die sich üblicherweise in Archivgesetzen des „Betroffenen“ diskutiert, der im Archivrecht nicht de- finden. Dabei lehnt sich der Text an die Benützungsord- ckungsgleich mit dem aus dem Datenschutzrecht ist. Kon- nung für die staatlichen Archive Bayerns an. trovers bleibt schließlich, ob man Tatbestände umschrei- In der Abschlussdiskussion wurde u. a. über die Frage ben kann, die einen letzten Kernbereich der Persönlich- gesprochen, wie die Prüfung der Wissenschaftlichkeit von keitsrechte betreffen und die daher innerhalb der Schutz- Forschung vorzunehmen sei. Einigkeit bestand über die fristen für jede Art von Forschung gesperrt sein müssen. Abgrenzungsschwierigkeiten. Es wurden verschiedene Michael Klein referierte über das Thema „Informa- Lösungsmöglichkeiten vorgetragen. Hilfestellung kann tionsfreiheitsgesetze und Archive. Das Beispiel Berlin“. Ziff. 13.2 Niedersächsische Verwaltungsvorschriften ge- Informationsfreiheitsgesetze gibt es außer in Berlin bereits ben, die Wissenschaftlichkeit definiert. in Brandenburg, Schleswig-Holstein und Nordrhein- Die auf dieser anregenden und wichtigen Veranstal- Westfalen. Sie begründen ein generelles, subjektiv-öffent- tung gehaltenen Vorträge werden demnächst als Beiträge liches Recht auf Zugang zu öffentlichen Unterlagen. Trotz- in der Reihe der Veröffentlichungen der Archivschule dem ist die Einsichtnahme an ein aufwendiges Prüfungs- Marburg erscheinen. verfahren gebunden, um das Vorliegen der zahlreichen Hamburg Dagmar Bickelmann Verbotstatbestände auszuschließen. Enthalten die Unter- lagen personenbezogene Daten oder Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse, sind zudem die Betroffenen zu hören. Problematisch ist das Verhältnis dieser Vorschriften 16. Archivpädagogenkonferenz zum Archivrecht. So bleibt nicht nur im Berliner Informa- Auch die am 14. und 15. Juni 2002 in Rudolstadt veranstal- tionsfreiheitsgesetz (IFG) offen, ob die Bestimmungen sich tete 16. Archivpädagogenkonferenz hat die seit 1988 auch auf Archivgut beziehen oder nicht. Vertritt man die bestehende Tradition erfolgreich fortgeschrieben: Herzli- Ansicht, das IFG sei in diesem Bereich anwendbar, so gera- che Gastgeber, die für eine hervorragende Organisation ten die Archive wegen des erforderlichen aufwendigen am Tagungsort und schönes Wetter sorgen, rund zwanzig Prüfungsverfahrens in unlösbare Probleme. Sieht man das interessierte Teilnehmer aus ganz Deutschland, die inten- Archivgesetz dagegen als Spezialregelung, ginge es dem siv und konzentriert das umfangreiche Tagungspro- allgemeineren IFG vor. Ein anderer Ansatz geht davon gramm abarbeiten und auch bei nur kurzen Pausen nicht aus, dass das Einsichtsrecht des IFG nur für Unterlagen murren, eine straffe und trotzdem kommunikative gilt, die amtlichen Zwecken dienen. Mit der Übergabe von Tagungsleitung – so wie in den vergangenen Jahren war Schriftgut durch die Behörden an die Archive findet auch die diesjährige Konferenz sowohl in Bezug auf die jedoch eine Umwidmung statt, die aus Verwaltungsgut erzielten Ergebnisse wie auf die zahlreichen neuen Kon- Archivgut macht und damit auch eine Zweckänderung takte ein „voller Erfolg“. Schade nur, dass im kommenden beinhaltet. Das IFG wäre damit nicht mehr anwendbar. Jahr einmal ausgesetzt werden muss – wegen der europäi- Letztendlich ist eine Gesetzesänderung anzustreben, um schen Konferenz. Aber der Reihe nach!

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 349 Die Gastgeberinnen, die Leiterin des Stadtarchivs bar, dass das Beratungsgespräch zwischen Lehrern und Rudolstadt, Maria-Luise Krohn, unddie Abteilungsleite- Archiv unabdingbarer Bestandteil eines Besuches im rin am Thüringischen Staatsarchiv Rudolstadt und Vorsit- Archiv sein muss. zende des thüringischen Landesverbandes des VdA, Nach der kurzen Kaffeepause standen die Bausteine Katrin Beger, hatten keine Mühen gescheut, die Tagung zur Archivdidaktik zur Diskussion, die bereits in der Vor- so angenehm wie möglich zu gestalten: den hellen bereitung der Tagung allen Teilnehmern zur Kenntnis Tagungsraum im frisch renovierten Alten Rathaus, dem gebracht worden waren. Sehr kontrovers wurde der Bau- Stadtarchiv, in Rudolstadt wie auch die Reservierung stein von Dr. Günther Rohdenburg, Abteilungsleiter eines hervorragenden und preisgünstigen Hotels im Zen- und Archivpädagoge am Staatsarchiv Bremen, zum trum und damit in unmittelbarer Nähe zum Tagungsort. Thema „‚Neue Medien‘ im Archiv“ diskutiert, besonders Auch für den geselligen Teil hatten sie mit dem Lokal und die These, dass der Einsatz neuer Medien Grundprinzi- dem wunderschönen warmen Wetter, das den Tagesord- pien der historischen Bildungsarbeit zerstöre, wurde aus- nungspunkt „Nachtgespräche“ im Freien ermöglichte, giebig erörtert. Wie auch bei den anderen Bausteinen einen Volltreffer erzielt. Der Übergang in Geburtstagsfei- wurde wie erwartet erkennbar, dass erst ein sehr frühes erlichkeiten gestaltete diesen Programmpunkt zusätzlich Stadium der Herausbildung einer Didaktik im engeren erfrischend. Auch die Stadtführung durch Frau Krohn Sinne erreicht ist und noch weitere Diskussionen notwen- am Anfang der Tagung erfreute durch kurzweilige Erläu- dig sind, die von der Archivpädagogenkonferenz und terungen und schaffte das richtige Klima für den Einstieg dem „Arbeitskreis Archivpädagogik und Historische Bil- in die Konferenz, die wie gewohnt am Freitagmittag star- dungsarbeit“ im VdA moderiert und vorangetrieben wer- tete und sich schwerpunktmäßig mit dem Hauptthema den sollen. Eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Ros- „Bausteine einer Archivdidaktik“ beschäftigte. witha Link, Referentin für historische Bildung am Stadt- Dr. Thomas Lange, Archivpädagoge am Staatsarchiv archiv Münster, und Dr. Katharina Hoffmann, Lehrbe- Darmstadt, eröffnete die Tagung nach einer knappen auftragte an der Uni Oldenburg, wird diesen Prozess Kurzvorstellung der Teilnehmer mit einem kurzen Refe- begleiten. Auch die Bausteine zur „Archivführung“ von rat, das er unter das Motto „Lernen im Archiv im Zeitalter Dr. Wiltrud Fischer-Pache, stellvertretende Leiterin des von PISA“ stellte. Damit spannte er den weiten Bogen von Stadtarchivs Nürnberg, konnte noch am Freitag behandelt der Multiperspektivität der Rekonstruktion von werden, bevor der vorgezogene Tagesordnungspunkt Geschichte zum Lernen in der Industriegellschaft allge- „europäische Konferenz“ die Aufmerksamkeit aller bean- mein und blätterte die Felder für didaktische Überlegun- spruchte. gen zur Arbeit im Archiv auf. Dr. Erika Münster- Die Koordinatoren Dieter Klose, Archivpädagoge am Schröer, Leiterin des Stadtarchivs Ratingen, spitzte ihre Staatsarchiv Detmold, Joachim Pieper, Archivpädagoge didaktischen Überlegungen zum Thema „Erwachsenen- am Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, und Dr. Clemens bildung und Archiv“ zu und legte damit auch den ersten Rehm, Abteilungsleiter am Generallandesarchiv Karls- Baustein zur Archivdidaktik vor. (Sämtliche Bausteine ruhe, stellten das Konzept und den Finanzplan für die im sind in ihrer ersten Arbeitsfassung im Internet unter Juni 2003 im Tagungszentrum Europa-Institut in Bocholt www.archivpaedagogen.de/rudolstadt nachzulesen, dort geplante Konferenz über Inhalte und Ziele der Archivpä- werden auch die überarbeiteten Versionen als Ergebnisse dagogik in Europa vor. Nach ausführlicher Diskussion des Diskussionsprozesses eingestellt werden.) Die Refe- befürwortete die Archivpädagogenkonferenz ausdrück- rentin stellte den Wandel dar, der sich in der Vermittlungs- lich diese Konferenz und wird sich nach Kräften an ihrer arbeit der Archive ereignet hat, und verdeutlichte die Kon- Verwirklichung beteiligen, unter anderem durch Referen- sequenzen für die Bildungsarbeit insbesondere in Kom- ten und Teilnehmer. (Die weiteren Planungen sind künftig munalarchiven, die sich den modernen Gegebenheiten unter www.archivpaedagogen.de/europa zu verfolgen.) anpassen müssen. Schließlich hielt Studienrat am Gymna- Nach einem Empfang im Rathaus, bei dem Frau Beger sium Ernestinum in Gotha Rüdiger Benser einen weite- die Teilnehmer ersatzweise für den verhinderten Bürger- ren Kurzvortrag über seine praktischen Erfahrungen mit meister begrüßte, gingen die Teilnehmer gegen 20 Uhr Schülerarbeiten im Archiv, die er durch Befragungsergeb- zum gemütlichen Teil des ersten Tages über (s. oben). nisse untermauerte. Er machte darin sehr plastisch deut- Am Sonnabend standen die Didaktikbausteine von lich, dass das Archiv nur ein Informationsgeber unter vie- Roswitha Link über „Geschichtswettbewerb(e) und len ist, von denen die meisten anderen wesentlich leichter Archiv“ sowie von Joachim Pieper zum Thema „Mög- in den Schulalltag einzugliedern sind und schneller Ergeb- lichkeiten einer verordneten Geschichtsdidaktik – oder nisse liefern. Als Schlussfolgerung wurden „Wünsche an Richtlinienobligatorik und Schülerarbeit im Archiv“ zur das Archiv“ formuliert, um die Arbeit so reibungslos wie Diskussion. Trotz Fußballweltmeisterschaft – die „Rund- möglich zu gestalten. funkbeauftragte“ hielt uns ständig auf dem laufenden – Im Anschluss an die Referate wurden in der ausführli- wurde auch hier ausgiebig diskutiert und Vorschläge für chen Diskussion die Thesen und Ansatzpunkte gewürdigt Änderungen und Erweiterungen eingebracht. Als Ergeb- und durch weitere praktische Erfahrungen aus verschie- nisse der Diskussion stehen weitere Themen als Deside- densten Bereichen ergänzt. Es wurde sehr deutlich, dass rate für die Archivdidaktik fest: „virtuelle Führung“, Archive die Benutzer „fitmachen“ müssen für die Archiv- „Ausstellungen“, „Publikationen“, „Recherche im arbeit und dass in der täglichen Arbeit der Spagat zwi- Archiv“, einzelne Schulformen im Archiv (Berufskolleg, schen „Infobörse“ und „Gralsburg“ immer wieder über- Primarstufe etc.), Tag der offenen Tür, Einführungsveran- standen werden muss. Der Wunsch, ein gegenseitiges Pro- staltungen für spezielle Zielgruppen. fil der Anforderungen und Wünsche an den jeweiligen Nach Abschluss der Beratungen zum Leitthema leitete Partner Schule bzw. Archiv zu erstellen, konnte nur als Roswitha Link alsSprecherin des Arbeitskreises „Archiv- Desiderat formuliert werden, gleichzeitig wurde erkenn- pädagogik und historische Bildungsarbeit“ im VdA mit

350 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 einem Bericht über die Aktivitäten im vergangenen Jahr tive auf einen Wandel der Bibliothek vom „abgeschlosse- zur 4. Mitgliederversammlung über. Bedauerlicherweise nen Informationsspeicher“ zum „Ort des Informations- stellte Frau Link das Sprecheramt aus dienstlichen Grün- austauschs und der Wissensproduktion“. Zusätzlich zur den zur Verfügung. Die Mitglieder des Arbeitskreises und Quellenpräsentation ließen sich Verknüpfungen zu wis- die Archivpädagogenkonferenz sprachen Frau Link gro- senschaftlichen Beiträgen und damit ein „kontinuierlich ßen Dank für die geleistete Koordinationstätigkeit vor anzureichernde[s] Informationssystem“ erstellen. Wenn allem auch bei der Gründung des Arbeitskreises aus und nach einer digitalen Präsentation von Büchern weniger verbanden dies mit dem Wunsch der weiteren Mitarbeit. Benutzer ins Haus kämen, könnte dies eine neue Aufgabe Als neuer Sprecher wurde Joachim Pieper einstimmig für Bibliotheken werden. gewählt. Das nächste Treffen des Koordinierungsaus- Auf eine Vorstellung des CEEC-Projekts durch Patrick schusses wurde auf den 7. November 2002 terminiert. Sahle und Torsten Schaßan folgte Sahles Bericht zu Die verbleibenden rund zwei Stunden der Tagungszeit „Erfahrungen mit internationalen Standards bei der wurden gefüllt durch die Berichte aus den einzelnen Handschriftenbeschreibung“. Im Vordergrund standen Archiven, in denen die vielfältigen Aktivitäten zur histori- die im Zuge des CEEC-Projekts bei der Auseinanderset- schen Bildung an Archiven sichtbar wurden – für alle eine zung mit dem MASTER-Standard gewonnenen Erkennt- Fundgrube neuer Ideen und Anreize, Neues auszuprobie- nisse. Der seit 1999 in einem EU-Projekt entwickelte Stan- ren. Abschließend führte Frau Krohn uns durch ihr neues dard soll den Austausch möglichst aller zu Handschriften Archiv – beeindruckend waren vor allem die geschickten vorhandenen Erschließungsinformationen ermöglichen. Verbindungen von historischem Bau und modernster Grundlage des Konzepts ist die Verwendung von Mark- Funktionalität eines Archivs. – Die Tagung wurde durch up-Sprachen (SGML/XML). Nach einem vorbestimmten Dr. Günther Rohdenburg in gewohnter Weise organisa- Schema der obligatorischen und fakultativen Erschlie- torisch souverän vorbereitet und geleitet. ßungselemente und ihrer möglichen Anordnungen (DTD) Bremen Günther Rohdenburg werden die in einem – evtl. aus analogen Formaten mittels OCR gewonnenen – Fließtext vorliegenden Informations- einheiten jeweils an ihrem Anfang und Ende mit definier- ten, sowohl menschen- als auch maschinenlesbaren Mar- Kolloquium zur Vorstellung des Projekts „Codices kierungen versehen. Auf diese Weise können auch Electronici Ecclesiae Coloniensis (CEEC) – Digitale Erschließungen eingebunden werden, die zwar in einen Handschriftenbibliothek Köln“ in Köln durch den elektronischen Text überführt werden können, einer Erfas- Lehrstuhl für Historisch-kulturwissenschaftliche Infor- sung in den festgelegten Feldern einer Datenbank aber mationsverarbeitung der Universität zu Köln und die Probleme bereiten. Das Verfahren eignet sich daher für Erzbischöfliche Diözesanbibliothek Köln eine Integration älterer und neu entstehender Erschließun- Das am 1. Juni 2001 veranstaltete Kolloquium gab einen gen. Überblick über aktuelle Verfahren der digitalen Präsenta- Als ein möglicher Problembereich zeichne sich die Fas- tion von Quellen und Erschließungsinformationen. Das sung der DTD ab. In drei Bereichen stelle sich hier die Spektrum umfasste die Retrokonversion gedruckter Frage der Kompatibilität: 1. bei der Definition der Infor- Handschriftenbeschreibungen, die Herstellung bildlicher mationseinheiten, 2. bei der Festlegung ihrer möglichen Digitalisate und die datentechnische Verknüpfung dieser Anordnung und 3. bei der Markierung der einzelnen Ele- Materialarten. mente (z. B. für die Informationseinheit „Personenname“ Der stellvertretende Präsident der „Monumenta Ger- die Codes „name“, „person“, „persname“?). Abstim- maniae Historica“ Gerhard Schmitz formulierte in sei- mungsbedarf bestehe im Hinblick auf die definitorische nem Eingangsreferat das geisteswissenschaftliche Inter- Arbeit der Text-Encoding-Initiative (TEI) wie auf die DFG- esse an Quellenpräsentationen im Internet. Von den Richtlinien zur Handschriftenbeschreibung. Auch gegen- bekannten Vorteilen des ortsunabhängigen und schnellen über dem MASTER-Standard verhalte sich das CEEC-Pro- Zugriffs abgesehen, hob er besonders hervor, dass die Dar- jekt nicht völlig konform. Sahle betonte in diesem Zusam- stellung einer Handschrift durch bildliche Digitalisate menhang, dass mit der Veränderbarkeit von DTDs die leichter zu bewerkstelligen ist als die Herstellung einer grundsätzliche Möglichkeit zu Anpassungen jedoch gege- Textversion. Aus diesem Grund würden derartige Präsen- ben sei. Dies gelte auch für eine in Zukunft mögliche fei- tationsformen die Zugänglichkeit gerade solcher Texte nere Aufgliederung der Informationseinheiten. verbessern, die nicht im unmittelbaren Brennpunkt des Der Projektleiter Manfred Thaller skizzierte in seinem Interesses stünden und daher wenig Aussicht hätten, in Referat die Arbeitsweise des für die Datenverarbeitung im absehbarer Zeit dem aufwendigen Editionsprozess unter- CEEC-Projekt eingesetzten Programms Kleio. Das System zogen zu werden. Daneben verwies der Referent auf Fälle, ist in der Lage, mit Markierungen im XML-Format aufbe- in denen die bildliche Darstellung nicht nur ein kosten- reitete Texte wie Felder einer Datenbank zu behandeln. günstiger Editionsersatz ist, sondern mit der Einheit von Eine wichtige Leistung ist dabei die Umformung von in Form und Inhalt einen über den bloßen Text wesentlich den erfassten Texten uneinheitlich ausgedrückten Schlüs- hinausgehenden Informationswert vermittelt. Als weite- selinformationen wie etwa Seitenzahlen in kanonische ren Leistungsbereich digitaler Quellenpräsentationen Formate. Eine Abfragesprache ermöglicht es, die einge- beschrieb Schmitz die strukturierte Darbietung erschlie- speisten Daten wie bei einer Datenbankrecherche auszule- ßender Informationen zu den dargebotenen Quellen (z. B. sen. Mit einer integrierten Online-Schnittstelle (CGI = Initienverzeichnisse, Auswerfen von Rubriken). Dabei Common Gateway Interface) wird die Ansteuerung und sollten auch spezielle Abfragemöglichkeiten, etwa zu den die Ausgabe über das Internet möglich. Thaller strebt an, kodikologischen Aspekten von Handschriften geboten Kleio als „Open Source“ für einen breiten Anwenderkreis werden. Abschließend entwickelte Schmitz die Perspek- nutzbar zu machen. Bislang war dies nicht zuletzt durch

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 351 das Fehlen einer Dokumentation erschwert, die sich nun Shot-Technik wird je Grundfarbe eine eigene Aufnahme in Arbeit befinde. erstellt, die dann für die Darstellung mit den übrigen kom- Dieter Wüllner von der Firma „Image Engineering“ biniert wird. gab eine Einführung in den gegenwärtigen Stand der digi- Am Schluss stand Torsten Schaßans Vorführung der talen Farbbilderfassung. Er beschrieb das aktuelle Leis- im CEEC-Projekt gebrauchten Aufnahmetechnik. Die Vor- tungsspektrum der Digitalkameras vom Amateurbereich lagen werden mit einer Farbtiefe von 24 Bit aufgenommen. bis zu professionellen Geräten. Eine herkömmlichen Auf- Die im Vergleich zur aktuellen Technik hohe Aufnahme- nahmen vergleichbare Qualität wird für ein Darstellungs- qualität wird mit einem erheblichen Zeitaufwand erkauft: format von 10x15 cm bei einer Auflösung von 1.600x1.200 Am Tag können rund 150 Digitalisate von Buchseiten Bildpunkten (= 1,92 Megapixel) erreicht. Dabei fällt je Bild erstellt werden. Die hiermit verbundene Verweildauer der eine Datenmenge von 5,8 MB an. Professionelle Digitalka- Seiten im Aufnahmelicht sei noch zu verantworten, da die meras ermöglichen eine Auflösung von 2,6 bis 15,6 Mega- Lichtstärke den in einem Lesesaal üblichen Werten ent- pixeln. Bei der letzteren fallen je Aufnahme 48 MB an. spreche und die Erwärmung während der Aufnahmen bei Geräte dieser Art kosten deutlich unter 50.000 DM (N.B.: 1,5° C liege. Der UV-Anteil des Lichts wird durch ein Fil- Ende Mai 2001) bei stark fallender Tendenz. Wesentliche terglas zurückgehalten, das auch die Planlage der Buchsei- Unterschiede in der Aufnahmetechnik bestehen zwischen ten während der Aufnahme gewährleistet. Die Digitalisie- den Geräten mit einem über das Aufnahmefeld bewegten rungskosten je Seite betragen rund 2,00 DM. Der Aufwand Sensorbalken und Kameras, die das Bild mit einem festen für die langfristige Speicherung und den Erhalt der Nutz- Sensor in einer oder drei Aufnahmen erfassen (One- bzw. barkeit der Digitalisate ist in der Berechnung nicht enthal- Three-shot-Technik). Die Geräte mit Abtastbalken liefern ten. besonders qualitätvolle Aufnahmen, benötigen aber ver- Köln Klaus Nippert gleichsweise viel Zeit für die Bilderfassung. Bei der Three-

Auslandsberichterstattung Internationales

Tagung des International Council on Archives, Sektion mobilindustrie, das Versicherungswesen, das Bankwesen Wirtschaftsarchive, in Heidelberg und die Brauwirtschaft. Im Mittelpunkt dieser Bestands- Auf dem internationalen Archivtag in Sevilla 2000 wurde aufnahme sollen einerseits die unternehmerischen Ver- ein neuer Vorstand des International Council on Archives, flechtungen – wer gehört zu wem? –, sodann aber auch Section Business an Labour Archives, gewählt. Unter dem die Schicksale und Erfahrungen einzelner Unternehmens- Vorsitz von Henrik Fode,Direktor des Erhvervsarkivet in archive im Zuge multinationaler Zusammenschlüsse ste- Arhus, Dänemark, haben sich 15 Vertreter aus 13 Natio- hen. Ziel ist es, dem International Council on Archives auf nen, darunter die USA, Australien, Israel, Schottland, dem Kongress in Wien 2004 auf dieser Basis Empfehlun- Frankreich, Griechenland, Finnland, Dänemark, Norwe- gen über künftige Leitlinien der internationalen Archivpo- gen, Schweden, Italien, Spanien und Deutschland, im litik in Bezug auf die Archivgesetzgebung und die Organi- Frühjahr 2001 zu einem ersten Gedankenaustausch in sation der Wirtschaftsarchive zu geben. Arhus getroffen. Dort wurde vereinbart, zunächst einen Überschattet wurde die Tagung von der Nachricht, dass aktuellen Überblick über die nationale Archivgesetzge- im dänischen Archivwesen Kürzungen von 20% drohen. bung sowie die Organisation des Archivwesens der Wirt- Davon ist auch das Erhvervsarkivet in Arhus betroffen, wo schaft in den einzelnen Ländern zu erarbeiten. nach der Pensionierung des Direktors diese Stelle nicht Zu einem zweiten Treffen lud nun der deutsche Vertre- neu besetzt werden soll. Eine umfangreiche internationale ter Karl-Peter Ellerbrock, Westfälisches Wirtschaftsar- Protest- und Solidaritätsbekundung an den dänischen chiv Dortmund, am 5. und 6. Mai 2002 nach Heidelberg Kultusminister soll helfen, den größten Schaden vom ein. Der Arbeitskreis hatte damit auch die Gelegenheit, an Archivwesen der Wirtschaft in Dänemark abzuwenden. dem Gedankenaustausch der parallel stattfindenden Dortmund Karl-Peter Ellerbrock VDW-Tagung teilzunehmen und die deutschen Fachkolle- gen persönlich kennen zu lernen. In zwei Arbeitssitzun- gen wurden zunächst die Ergebnisse der einzelnen Ausar- Zentrum für Bestandserhaltung (ZFB) übergibt in Riga beitungen zum Status der nationalen Gesetzgebung und das restaurierte Konvolut „Personalia“ den Stand des Archivwesens der Wirtschaft diskutiert, die für den Archivtag in Wien 2004 zu einem umfassenden Schwerste Schäden fachmännisch behoben Report zusammengefasst werden sollen. Eine besondere Kostbarkeit der Lettischen Nationalbiblio- Schwerpunkt der Diskussion wurde dann die Frage thek, die dem ZFB im September 2001 anvertraut worden nach den Problemen von Wirtschaftsarchiven der im Zuge war, konnte jetzt zurückgegeben werden. Es handelt sich der Globalisierung entstehenden multinationalen Kon- um das außerordentlich schwer beschädigte Konvolut zerne. Es wurde verabredet, hierzu eine Bestandsauf- „Personalia“, bestehend aus 98 kleineren Drucksachen des nahme zu erarbeiten, die sich zunächst einigen speziellen 17. und frühen 18. Jahrhunderts, das nur noch als Buch- Wirtschaftssektoren zuwenden soll, die von dieser Ent- block vorlag. Einzelne Drucksachen gelten als die letzten wicklung besonders betroffen sind. Dazu zählen die Auto- erhaltenen.

352 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Der äußerlich vor allem mechanisch geschädigte Buch- an Büchern, Zeitschriften und Archivalien per Schenkung block aus 335 Blatt auf Bünde gebundener Druckwerke an die Zentral- und Stadtbibliothek der Stadt Zürich. Mit gelangte in einem desolaten Zustand nach Leipzig. Die dieser Vereinbarung ist der geschlossene Fortbestand dieses Seiten waren durchgängig mit Bleistift bezeichnet, Materials erst einmal gesichert, das Projekt eines unabhän- beschnitten und hatten verschiedene Größen. Ein Wasser- gigen sozialen und politischen Treffpunkts und das eines schaden hatte am Hadernpapier starke Schmutzränder, traditionsreichen selbstverwalteten Archivs der Arbeiter- Schimmelbefall und Materialabbau bis hin zu Fehlstellen und neuen sozialen Bewegungen aber vorerst zu Ende. verursacht. Die Restaurierung erfolgte in Arbeitsteilung Die Studienbibliothek wurde 1971 von Theo und Ama- und begann im Fachbereich „Papierbearbeitung“, wo die liePinkus, zwei weit über die Schweiz hinaus bekannten Rückverleimung angelöst und mechanisch entfernt Linken, die Sympathien für den realexistierenden Sozialis- wurde. Dann folgte das Zerlegen durch Lösen der Wech- mus wie die neuen sozialen Bewegungen hatten, gegrün- selstichheftung auf einfache Bünde. Bis auf Blätter mit det. Sie wollten ihre Privatbibliothek der Öffentlichkeit Stempeln oder Tinteneintragungen durchliefen alle Blätter zur Verfügung stellen. Die Sammelschwerpunkte der bei- ein Warmwasserbad, wo sie von Wasserrändern befreit den wie auch der Studienbibliothek waren kommunisti- und Verfärbungen aufgehellt wurden. Je nach Schadens- sche Bewegung des 20. Jahrhunderts, Frühsozialismus, bild wurden 18 Blatt manuell, 195 maschinell gespalten Marxismus, antifaschistischer Widerstand, Exil, Bücher und 122 nachgeleimt. Bei der Papierspaltung wurden die aus und über den Realsozialismus, „1968“ und Neue durch Schimmelpilz geschädigten Blätter mit Zellulosepa- Soziale Bewegungen (Frauenbewegung, Umweltbewe- pier (8 g/qm) stabilisiert und durch das Calciumcarbonat gung, StudentInnen etc.) in der Schweiz und in Deutsch- im Kernklebstoff alterungsbeständig ausgerüstet. Kleinere land. Fehlstellen wurden manuell ausgefüllt, 35 Blatt liefen über Die Bibliothek hat einen Umfang von 50000 Büchern die Anfasermaschine. Anschließend folgten das Zusam- (Sachbücher und Belletristik) und unzähligen Kleinschrif- mentragen, Vorrichtearbeitenzur Lagenbildung sowie das ten. Ein wesentlicher Bereich des Bestands sind die Archi- Einpressen des kompletten Buchblocks. valien. Darunter befindet sich auch der umfangreiche, Im ZFB-Fachbereich „Sonderarbeiten Einzelstücke“ bereits erschlossene Nachlass des Stifter-Paares Amalie entschied man sich aufgrund der historischen und geogra- und Theo Pinkus-De Sassi. Hinzu kommen Zeitungen und fischen Entstehungssituation für einen Holzdeckelband Zeitschriften. Die ca. 12000 Personen- und Organisations- im Stil des 17. Jahrhunderts. Nach Anfertigung der Vor- dossiers, größtenteils mit Zeitungsausschnitten von Pin- satzlagen aus Antikbütten erfolgte die Heftung der 68 kus, konnten nur zu geringem Teil in die Obhut des Lagen auf vier Doppelbünde. Dabei wurde eine Rundbo- „Schweizerischen Sozialarchiv“ übergehen. genheftung durchgeführt, wobei das Bundmaterial zwi- Ab 1998 ging es, so die geschäftsführende Stiftungsrätin schen den Lagen umwickelt wird. So wird es beim Leimen Brigitte Walz-Richter, für die Stiftung nur noch darum, des Rückens nicht gehärtet und behält seine Elastizität den Fortbestand der Bibliothek zu erhalten. Warnendes lange Zeit. Diese Heftart ermöglicht das Auflegen in einer Beispiel war die Bibliothek des Schweizerischen Gewerk- flachen Kurve und verhindert die Faltenbildung des auf- schaftsbundes, die – nach hundert Jahren Aufbau – vor geklebten Einbandleders. Bundmaterial, Heftfaden und einigen Jahren aufgelöst und deren Buchbestand einfach Kapitale bestehen aus Hanf. Nach dem Runden des Buch- verkauft wurde. Verhandlungen mit dem unter anderem blocks wurde mit einer Gelatinelösung eine Maske aus von der Bundesregierung sowie Stadt und Kanton Zürich Aerolinen aufgebracht, dann erfolgte das Umstechen der getragenen und schon 1906 gegründeten „Schweizeri- Kapitale. Für die Holzdeckel wurde reines Buchenholz, schen Sozialarchiv“ führten nicht zum Erfolg: Das Sozial- zum Einledern ein spezielles Restaurierungsleder verwen- archiv sah sich weder finanziell noch räumlich zu einer det, das in einem kombinierten Verfahren aus Gerbung mit Übernahme in der Lage. Die Zentralbibliothek wird nun pflanzlichen Stoffen und einer Chromgerbung entstand die übergebenen Materialien geschlossen und separat auf- und eine gute Stabilität und Alterungsbeständigkeit stellen und in ihren elektronischen Katalog aufnehmen. gewährleistet. Die Herstellung der Schließen aus Messing- Dadurch wird die Zugänglichkeit des Materials weiter blech orientierte sich an historischen Vorbildern. Nach der voll gewährleistet und für die Forschung wie für Laien Verbindung von Buchblock und Deckeln liegt das Konvo- sogar noch erhöht. Die MitarbeiterInnen der Studien- lut wieder als Buch in historischem Gewand vor. bibliothek haben vor der Übergabe umfangreiche Teile Die Restaurierung ist ein gemeinsames Geschenk von aussortieren und die Bibliothek damit auf ihren inhaltli- Professor Volker von Sengbusch unddesZFBanlässlich chen Kern reduzieren müssen. Von einem Scheitern der der 800-Jahr-Feier der Stadt Riga. Das Konvolut konnte am Studienbibliothek wollen sie nicht sprechen. Sie sind ver- 24. April 2002 im Rigaer Rathaus übergeben werden. hältnismäßig guter Dinge und hoffen im Gegenteil, jetzt mehr Zeit als früher für die inhaltliche Arbeit mit den Archivalien zu haben. Schweiz Die Studienbibliothek ist zu finden unter www.studien- Studienbibliothek Geschichte der Arbeiterbewegung, bibliothek.ch. Zürich Bremen Bernd Hüttner Übergabe statt Ende Die „Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewe- gung“ in Zürich übergibt wesentliche Teile ihres Bestandes

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 353 Literaturbericht

Archivbestände zur Geschichte Est-, Liv- und Archive vor der Globalisierung? Beiträge zum Sym- Kurlands in der Dokumentensammlung des posion des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsar- Herder-Instituts. Bearb. von Csaba János Kenéz chivs in Verbindung mit den Allgemeinen Reichsarchi- und Peter Wörster. Verlag Herder-Institut, Marburg ven in Brüssel (Belgien) und Den Haag (Niederlande) 2000. 130 S. mit 6 Abb., brosch. 20,– C. vom 11. bis 13. September 2000. Hrsg. von Mechthild Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Marburger Herder-Insti- Black-Veldtrup, Ottfried Dascher und Axel Kop- tut eine Dokumentensammlung zur Geschichte Ostmitteleuropas petsch. Nordrhein-Westfälisches Hauptstaatsarchiv, angelegt. Im Mittelpunkt des Interesses standen dabei die Länder Düsseldorf 2001. 310 S., brosch. 16,– C. Estland und Lettland bzw. die früheren politischen Einheiten Est- (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes land, Livland und Kurland. Unter den Bedingungen der sowje- tischen Herrschaft in diesem baltischen Raum schien es ange- Nordrhein-Westfalen, Reihe E – Beiträge zur Archivpra- bracht, die in den Westen gelangten historischen Quellen mög- xis, H. 7) lichst an einer Stelle zu konzentrieren und wissenschaftlich Die Publikation dokumentiert die Düsseldorfer Tagung, die zugänglich zu machen. Neben einer Reihe von Unterlagen, die Archivarinnen und Archivare aus Übersee und Europa zusam- sich im Eigentum des Herder-Instituts befinden, stellt der über- menbrachte. Sie liest sich wie ein Sachstandsbericht zu drei Fra- wiegende Teil Leihgaben der Bundesrepublik Deutschland und gen, die zu je einer Sektion gebündelt waren: (1) Wie bewältigen der Baltischen Historischen Kommission dar. Das gesamte Mate- Archive das Management digitaler Akten? (2) Wie bringen sie ihre rial wurde inzwischen nach archivischem Provenienzprinzip Verzeichnungsergebnisse in das Internet? (3) Wie bewerten sie geordnet und erschlossen. Archivgut an der Wende zum 21. Jahrhundert? P. Horsman Im einzelnen handelt es sich einerseits um eine Überlieferung erläutert einleitend zur Sektion 1 unter dem schönen Titel originaler Nachlässe. Im Vordergrund stehen dabei vor allem „Tomorrow is a long time“ Standards für die Langzeitaufbewah- Familien- und Firmenarchive, Registraturen von Vereinen und rung elektronischer Unterlagen. Hieran schließen sich Einzelbei- Organisationen sowie Schriftstücke zur Geschichte einzelner Orte spiele aus der Praxis an. M. Wettengel stellt das Konzept und Städte. Andererseits findet sich im Herder-Institut eine DOMEA® des Bundesarchivs, H. Hoffman das „Digital Reposi- umfangreiche Sammlung von Reproduktionen aus baltischen tory Project“ der Niederlande vor. K.-E. Lupprian zeichnet die Archiven – vor allem aus den Staatsarchiven in Riga und Tartu Probleme der archivischen Behandlung der Digitalen Flurkarte (Dorpat). Dieser Sammlung liegt eine Verfilmungsaktion Bayerns auf. C. Gränström informiert in einem Überblick über zugrunde, die im Zusammenhang mit der Umsiedlung der jüngste schwedische Entwicklungen, auch schon über den im Deutschbalten Ende 1939 in jeweils zweiseitigen Verhandlungen Januar 2001 verabschiedeten Bericht „The principle of public zwischen Lettland bzw. Estland und dem Deutschen Reich festge- access to information and IT“. Die größte Brisanz lag in der 2. Sek- legt und die dann in den Archiven vor Ort bis in die Zeit nach der tion, die D. Pitti eröffnete mit einem Bericht über den in den USA sowjetischen Besetzung 1940 vorgenommen wurde. Ausgewählt entwickelten Verzeichnungsstandard EAD und Thesen zu wurden „zentrale Quellengruppen zur Geschichte der Deutschen maschinenlesbaren archivischen Verzeichnungen. Obwohl er her- in Liv-, Est- und Kurland“ (S. 9), im Grunde also Archivalien aus ausragender Kopf der EAD-Arbeitsgruppe der amerikanischen allen wichtigeren historischen Archivbeständen der betreffenden Archivare ist, war er selbstkritisch genug, um (gegen innerameri- Länder – aus der städtischen Überlieferung ebenso wie aus der rit- kanische Widerstände und/oder solche aus der „Alten Welt“?) terschaftlichen, Gerichtsakten ebenso wie Landtagsrezesse oder abzuwägen: „While standards present intellectual and technical Unterlagen der schwedischen und russischen Gouvernements- challenges, they also present political challenges. A standard will verwaltungen. Wie sich inzwischen gezeigt hat, stellen einige die- only succeed if it realizes the principles and objectives of the com- ser Reproduktionen heute Unikate dar, da ihre originalen Vorla- munity it serves“. Von S. Ross liegt leider nur ein Kurzbericht gen seit dem Zweiten Weltkrieg verschollen sind. Ein weiterer Teil über die Erfahrungen in Großbritannien vor. A. Van Camp prä- der Reproduktionen stammt von Archivalien aus dem Stadtar- sentierte den Findbuchverbund (auf EAD-Basis) der Research chiv Reval, das 1940 nach Deutschland verlagert wurde und erst Libraries Group. M. Black-Veldtrup glich EAD mit deutschen 1990 nach Tallinn zurückkehrte. Im Zusammenhang mit dieser Verzeichnungspraktiken ab und warf zum Schluss die Frage auf, Rückgabe erfolgte eine Verfilmung der Archivalien, durch die ein ob EAD als Standardaustauschformat taugt. F. M. Bischoff skiz- Kopienarchiv entstanden ist, das ebenfalls in das Herder-Institut zierte das Projekt einer Retrokonversion älterer Findmittel in gelangte. online-taugliche Versionen. Die 3. Sektion bewegte sich auf kon- Die vorliegende Publikation stellt eine Beschreibung aller die- ventionellen, aber nicht minder wichtigen Pfaden. E. Aerts erläu- ser Originale und Reproduktionen dar, wobei die heute gültige terte die belgische Variante der Stichprobenauswahl bei Massen- Tektonik der Bestände zugrundegelegt wurde. Der knappen Dar- akten, R. Depoortere die Wechselwirkung zwischen der dorti- stellung der jeweiligen Bestandsbildner – Biographisches bei Per- gen Gesetzgebung und archivischer Praxis in der Gegenwart. sonen, Institutionsgeschichte bei Gesellschaften, Organisationen R. Kretzschmar warb mit guten Gründen für eine Ausdehnung oder Behörden – folgt eine Bestandsgeschichte, die den Weg der der Bewertung im horizontalen und vertikalen Verbund von Unterlagen an ihren heutigen Platz darstellt, daneben aber ebenso Baden-Württemberg auf das gesamte Bundesgebiet. Er nannte auch auf die im Baltikum verbliebenen Teile der Überlieferung diese Kooperation zwischen staatlichen und vor allem kommuna- eingeht. Eine ausführliche Bestandsbeschreibung gibt Auskunft len Archiven „ein sinnvolles Stück Globalisierung im Kleinen“. über sachlichen Inhalt, Umfang und Laufzeit. Hinweise auf Find- I. Schnelling-Reinicke berichtete über ein Archivierungsmo- mittel und jeweils weiterführende Literatur runden die einzelnen dell für die Bezirksregierungen in NRW, M. Werth-Mühl über Beschreibungen ab. die Bewertung von Ministerialakten im Bundesarchiv. Beide Bei- Auf diese Weise wird der Zusammenhang der im und seit dem träge sind praxisorientiert, und gerade deshalb nimmt man ihnen Zweiten Weltkrieg vielfach weit verstreuten Bestandssplitter die Bekenntnisse zur Rationalität im Archiv ab. Den Band schließt zumindest auf dem Papier wiederhergestellt und der historischen ein Statement von H. de Vries über die PIVOT-Methode in den Baltikums-Forschung ein kaum zu überschätzendes Hilfsmittel Niederlanden ab. an die Hand gegeben. Ein umfassendes Personen- und Ortsregis- Münster Wilfried Reininghaus ter, das auch die estnischen und lettischen Namen enthält, unter- streicht die Bedeutung dieses länderübergreifenden Archivfüh- rers. Hannover Manfred von Boetticher

354 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Bibliographie des Kreises Viersen. Bearbeitet von solide und gelungene archivarische Dokumentation im Dienst Jürgen Grams und Gerhard Rehm. Viersen 1999. der Landesgeschichte. Dem steht auch nicht entgegen, dass die 651 S. Ln. 18,– C. Herausgeber auf ein Literaturverzeichnis verzichtet haben und (Schriftenreihe des Kreises Viersen (vormals Kempen- dass sich das Untersuchungsgebiet viel weiter in die Seitentäler und in die Mittelgebirgsregionen zu beiden Seiten des Mittel- Krefeld) 44.) rheins hinein erstreckt, als der im Untertitel gewählte Begriff Mit- Zu den Büchern, die viel genutzt, aber nie zitiert werden, gehört telrhein vermuten lässt. mit Sicherheit die hier anzuzeigende Bibliographie. Dass ein sol- Wiesbaden Klaus Eiler ches Werk auch in dieser Zeitschrift Erwähnung findet, zeigt, dass es den Bearbeitern gelungen ist, ein komplexes Thema sinnvoll zu gliedern und in ansprechender Weise darzubieten. 50 Sachtitel Bücherschätze der rheinischen Kulturgeschichte. sind in neun Gruppen gegliedert, die von „Allgemeines“ über Aus der Arbeit mit den historischen Sondersammlun- „Naturkunde“, „Allgemeine und politische Geschichte“, „Wirt- schaft und Soziales“, „Personen, Familienkunde“, „Religion und gen der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf Kirche“, „Vereine und Verbände“, „Bildung und Information“ bis 1979 bis 1999. Hrsg. von Heinz Finger. Droste Verlag, zu „Kunst und Kultur“ reichen. Wichtig für diejenigen Schreiber, Düsseldorf 2001. 551 S. mit 24 Abb., brosch. 50,10 C. die sich nicht allein auf Sekundärliteratur stützen möchten, sind (Studia humaniora, Düsseldorfer Studien zu Mittelalter die „Quellensammlungen“ und „Inventare“ sowie die einschlägi- und Renaissance, Bd. 34.) gen Arbeiten zu den klassischen Hilfswissenschaften. Gerade in Die vorliegende Publikation ist ziemlich ungewöhnlich, obwohl dieser Rubrik wird glücklicherweise nicht streng an den Grenzen eigentlich Schriften zum Altbestand großer und traditionsreicher des heutigen Kreises Halt gemacht. Auch dadurch wird diese Bibliotheken nicht gerade selten sind. Seitdem die Kodikologie, Bibliographie gleichzeitig zu einem wichtigen Nachschlagewerk die Paläographie und die Inkunabelforschung zunehmend von für die Region. – Das Einteilungsschema wird bei den 36 alten, Wissenschaftlern außerhalb des Bibliothekspersonals betrieben alphabetisch geordneten Ortschaften – soweit es die Sachlage werden, also seit rund zwei Jahrzehnten, haben viele kostbare erlaubt – beibehalten. Insgesamt sind 10 128 Einträge erfasst, die Büchersammlungen dennoch Darstellungen durch die eigene zusätzlich durch ein Autorenregister erschlossen sind. Derartige, Bibliothek in einem Zimelienband gefunden. Die Universitäts- zumal so vorbildlich erarbeitete Bibliographien können dazu bei- und Landesbibliothek Düsseldorf war da keine Ausnahme. 1989 tragen, Irrungen und Wirrungen zu vermeiden, zweifellos helfen hat auch sie ein hübsches Bilderbuch von 126 Seiten, darunter 56 sie jedem Archivar, der über die Region arbeitet, vermeintlich ganzseitigen Abb. herausgebracht („Kostbarkeiten aus der Uni- Unbekanntes in seinen historischen Kontext zu stellen. versitätsbibliothek Düsseldorf“. Wiesbaden 1989). Die Verfasser Geldern Stefan Frankewitz der knappen Beschreibungen waren zwei Düsseldorfer Bibliothe- kare. Einer der beiden war Heinz Finger, der Herausgeber des Peter Brommer, Achim Krümmel, Kristine Werner, vorliegenden umfangreichen Bandes. Es ist gegenwärtig (leider) Momentaufnahmen. Burgen am Mittelrhein in keineswegs der Regelfall, dass dem Zimelienband einer Biblio- thek ausführliche inhaltliche Untersuchungen folgen. Sehr alten Zeichnungen und neuen Fotografien. Gör- bemerkenswert ist ebenfalls, dass hier deren Verfasser zu etwa res Verlag, Koblenz 2000. 194 S. mit vielen, meist farb. gleichen Teilen, und zwar zu je einem guten Drittel, aus dem Abb., Ln. 17,79 C. Benutzerkreis und dem Personal einer Bibliothek kommen. Der Das einmalige Ensemble von mittelalterlichen Burgen, Ruinen, Rest stammt von Buchrestauratoren, die intensiv am Bestand der- kleinen Städten und der lieblichen Landschaft des Mittelrheintals selben Bibliothek gearbeitet haben. So wurden die Forschungser- hinterließ bei zahlreichen Schriftstellern und Malern der Roman- gebnisse des Bandes in diesem Fall ganz konkret von allen drei tik den nachhaltigsten Eindruck und inspirierte sie zu künstleri- mit dem alten Buch erstrangig befassten Personengruppen schen Höhenflügen. Die romantischen Darstellungen trugen gemeinsam erarbeitet, ein Faktum, das ebenso begrüßenswert indessen auch dazu bei, die mittelalterliche Vergangenheit in wie in der Praxis immer noch ganz ungewöhnlich ist. einem verklärten Licht erscheinen zu lassen. Im späten 19. Jahr- Die Einleitung des Herausgebers (von dem auch drei der ins- hundert begann man mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung gesamt 19 Beiträge stammen) ist sehr deutlich in zwei Teile geglie- der Burgen als archäologischer Denkmäler. Schließlich vermitteln dert, einen theoretischen (S. 11–19) und einen deskriptiven sie als kulturelles Erbe und touristische Attraktionen ersten Ran- (S. 20–46). Letzterer gibt einen ebenso minutiösen wie systema- ges den Einblick in eine untergegangene gesellschaftliche Lebens- tisch präzis ausgearbeiteten Überblick über die Gesamtheit der form, symbolisieren die verwickelten Territorialverhältnisse, historischen Sondersammlungen der Bibliothek der Heinrich- unterstreichen die wirtschaftliche und politische Bedeutung des Heine-Universität. Durch seine Genauigkeit und seinen Umfang Rheins und seiner Seitentäler im Mittelalter und liefern ein Abbild von 27 Seiten ist er ein wertvolles Hilfsmittel der Forschung. Er der fortschreitenden Fortifikationstechnik. Die Erhaltung der stellt aber auch eine Verpflichtung der Bibliothek dar, diesen nun Burgen gilt daher als wichtige Voraussetzung für die Anerken- als einmalig erwiesenen historischen Bestand vollständig zu nung des Mittelrheintals als Weltkulturerbe. Da ältere Baupläne erschließen, was gewiss im Detail nur in jahrzehntelanger konti- kaum überliefert sind, kommt historischen bildlichen Darstellun- nuierlicher Arbeit geschehen kann. gen, die Rückschlüsse auf frühere bauliche Zustände zulassen, In der theoretischen Einleitung ist vor allem auf den Abschnitt eine erhöhte Bedeutung zu. Das Landeshauptarchiv Koblenz „Begriff und Wesen von Sondersammlungen“ hinzuweisen, in besitzt im Dienstnachlass des ehemaligen preußischen Archivars der der Herausgeber sich besonders um eine allgemeine Wertbe- Leopold von Eltester zahlreiche detailgetreue Zeichnungen von stimmung historischer Buchbestände für die moderne Wissen- Höhen-, Tal- und Wasserburgen, Zollstationen und Burghäusern. schaft bemüht und die gegenüber früher sehr veränderte Rolle Diesen meist in Bleistift oder Tusche, zuweilen auch als Lavierun- solcher Bestände im heutigen Bibliothekswesen beschreibt. gen nach älteren Vorlagen zwischen 1836 und 1874 gezeichneten Die einzelnen Beiträge des Sammelbandes sind in sechs sehr Darstellungen haben die Herausgeber aktuelle monochrome foto- deutlich geschiedene Themenkreise gegliedert. Den Historiker grafische Ansichten aus den Jahren 1999 und 2000 gegenüberge- werden besonders die ersten drei Bereiche interessieren, die stellt. Als besonders reizvoll erweist sich dieser methodische Bestände aus rheinischen Kirchenbibliotheken (S. 47–162), ein- Ansatz dadurch, dass man die Fotos möglichst aus der gleichen zelne Handschriften und Drucke (S. 163–284) sowie wichtige Perspektive aufnahm, aus der Eltester die Bauwerke gezeichnet Düsseldorfer Depositarbibliotheken (S. 285–408) behandeln. Alle hat. Außerdem wurden den Abbildungen historische Erläuterun- Aufsätze des ersten Themenkreises haben eines gemeinsam, die gen und zur Untermauerung der Burggeschichte weitere, bisher Bibliothekshistorie wird nie als isolierte Institutionengeschichte unveröffentlichte Abbildungen von Siegeln, Wappen, Münzen, betrachtet. Katrinette Bodarwé behandelt mit den Handschrif- Zeichnungen und Kartenausschnitten aus Archivgut des Landes- ten auch die Geistesgeschichte des Essener Stiftes und des Werde- hauptarchivs beigefügt. Der Band ist ein beredtes Zeugnis für eine ner Klosters. Dasselbe bietet Harald Horst für die Abtei Sieg-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 355 burg. Der Herausgeber Finger stellt mit den liturgischen Michael Embach, Joscelyn Godwin, Johann Friedrich Büchern der Lambertuskirche in Düsseldorf auch die wechsel- Hugo von Dalberg (1760–1812). Schriftsteller, volle Geschichte des Düsseldorfer Kollegiatsstiftes dar. Am weite- Musiker, Domherr. Selbstverlag der Gesellschaft für sten geht Stefan Hirschmann in seiner Verbindung von Kodiko- Mittelrheinische Kirchengeschichte, Mainz 1998. 607 S., logie und Landesgeschichte. Sein Beitrag über die Werdener Hugenpoet-Handschriften enthält implizit auch eine Sozialge- 1 Abb., geb. 49,– C. schichte der Familie von Hugenpoet und einen Nachweis ihrer (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kir- Abstammung aus dem rheinisch-bergischen Geschlecht Nessel- chengeschichte, Bd. 82.) rode. Im zweiten Teil des Sammelbandes sind besonders der sehr Mit dem vorliegenden Werk legt das Autorenduo Michael umfangreiche Aufsatz von Arnold Otto und ein recht knapper Embach, Direktor der Bibliothek des Bischöflichen Priestersemi- Beitrag des (schon mit einer großen Untersuchung bei Teil 1 nars Trier, und Joscelyn Godwin, Musikwissenschaftler an der genannten) Stefan Hirschmann zu nennen. Otto behandelt sehr Colgate University (State New York), eine profunde Studie zu gründlich (in der inhaltlichen Untersuchung fast pedantisch) und Leben und Werk Johann Friedrich Hugo von Dalbergs vor, die mit auch theologischer Kompetenz das „Erbauungsbuch des Gra- eine weitgehend vergessene „‚Universalgestalt‘ an der Schwelle fen von Salm-Reifferscheidt-Dyck“, eine bislang nicht edierte des 18. zum 19. Jahrhundert in all ihrer Vielschichtigkeit und in Düsseldorfer Handschrift des Spätmittelalters. Hirschmanns den faszinierenden Spiegelungen der Zeit“ (Vorwort, S. 5) ver- zweiter Beitrag gibt eine überzeugende und exakte Neudatierung dientermaßen ans Licht gelehrter Reflexion hebt. Zumeist im auf das Jahr 1552 für die Entstehung des aus Altenberg stammen- Schatten seiner berühmteren Brüder Karl Theodor (1744–1817) den Düsseldorfer Graduales mit der Signatur D32. Im dritten The- und Wolfgang Heribert (1750–1806) stehend, hat der universalis- menkreis ist der größten Düsseldorfer Depositarbibliothek der tisch geprägte Genius Johann Friedrich Hugos bestenfalls spora- umfangreichste Aufsatz des gesamten Bandes (S. 287–368) gewid- disch die Aufmerksamkeit der Wissenschaft gefunden. Dabei met. Dieser behandelt die der Pfarrei St. Martin in Düsseldorf-Bilk sind sich die beiden Autoren durchaus der Schwierigkeiten und gehörende „Binterimbibliothek“ mit Blick auf deren Begründer, Grenzen bewusst, die ihnen die fragmentarische biographische den Kirchenhistoriker Anton Josef Binterim (1779–1855). Er Überlieferung und die Polychromie des Dalberg’schen Schrift- beschreibt erstmals diese private Forschungsbibliothek, und zwar tums, das sich einer stringenten gattungs- oder epochenspezifi- mit Schwergewicht auf deren Handschriften- und Inkunabelbe- schen Klassifizierung weitgehend entzieht, auferlegen. Aufgrund stand. Dabei weist er auf die dort wiederentdeckte „Historia Xan- dieser Präliminarien bot sich eine interdisziplinäre Annäherung tensis“ des Philipp Schoen († 1492) hin. Schließlich revidiert er das an Person und Oeuvre auf der Grundlage einer Einbettung der bisherige in der Forschung etablierte Bild des Bibliotheksgrün- überkommenen Schriften in die rekonstruierte Biographie an, die ders Binterim, der heute kaum noch als „ultramontaner Agitor“ die Autoren, um es vorwegzunehmen, glänzend bewältigt haben. erscheinen kann und dessen Leistungen als Historiker weit über Während Michael Embach die Gestalt Dalbergs aus einer primär die eines simplen Sammlers hinausgingen, wie fast generell kirchen- und literaturgeschichtlichen Perspektive untersucht und unterstellt wurde. Von gleicher Qualität wie die Behandlung der Biographie, Genealogie, literarische Bedeutung Dalbergs und ins- Binterimbibliothek ist die der Bibliothek von J. F. Benzenberg besondere sein Wirken als Mitglied der rheinischen Domkapitel (S. 397–408). Harald Horst, der sich bei der Behandlung der Sieg- von Trier, Worms und Speyer sowie als Präsident der kurtrieri- burger Bibliothek im ersten Abschnitt als Mediävist auswies, hat schen Schulkommission beleuchtet, nimmt Joscelyn Godwin das auch die Bibliothek des neuzeitlichen Naturwissenschaftlers, musikalische und musiktheoretische Schaffen Dalbergs in den Publizisten und Politikers Johann Friedrich Benzenberg (1777– Blick, das „gegenüber dem schriftstellerischen ... eine ganz eigene 1846), der übrigens ein Freund Binterims war, professionell Qualität behauptet“ (S. 15). beschrieben und interpretiert. Das übersichtlich angeordnete Werk gliedert sich in 15 reich Der vierte Teil ist der Arbeitspraxis gewidmet und sehr lesens- annotierte Segmente, die auf der Grundlage einer permanenten wert, aber naturgemäß innerhalb einer Rezension schwer referier- Verbindung von allgemeinhistorischen, geistesgeschichtlichen bar, der fünfte Teil der Buchrestaurierung am Düsseldorfer Altbe- und fachwissenschaftlichen Fragestellungen ein vielschichtiges stand. Im letzten nimmt der Aufsatz des niederländischen Lebens- und Schaffensmosaik entwerfen. Ausgehend von einer Restaurators Peter H. J. M. Schrijen (S. 435–463) eine überragende schmalen und heterogenen Basis verwertbarer biographischer Stellung ein. Der oft komplizierte Tatbestand der Restaurierungs- Zeugnisse – unter denen in Sonderheit dem erstmals zusammen- befunde wird durch 15 kleine in den Text eingestreute Abbildun- getragenen, ca. 150 Einzeldokumente umfassenden Briefkorpus gen ausgezeichnet verdeutlicht. Das vorgetragene Ergebnis Dalbergs prominente Bedeutung zukommt – befassen sich die „handwerklicher“ Arbeit hat auch geistesgeschichtliche Konse- ersten Kapitel im Anschluss an eine Einführung in Gegenstands- quenzen, die die Historiographie der mittelalterlichen Zisterzien- bereich, Problematik und Methodik der Darstellung (S. 13–24) serbibliotheken mit Sicherheit stark beeinflussen werden. Der mit dem familiengeschichtlichen Hintergrund (S. 25–43) und sechste Abschnitt des Bandes besteht aus einer Dokumentation dem biographischen Werdegang Dalbergs bis ca. 1785 (S. 45–90). über 58 Ausstellungen mit Exponaten aus dem Düsseldorfer Alt- Eingehend beleuchtet werden dabei, soweit dies die Quellen bestand (S. 471–496). Diese belegt, dass im Fall des Düsseldorfer erlauben, Dalbergs Kindheit, Jugend und Schulbildung, sein Ein- Altbestandes (und wahrscheinlich nicht nur dort) Forschungslite- tritt in die Domkapitel von Trier (1768), Speyer (1769) und Worms ratur ganz überwiegend im Zusammenhang mit Ausstellungen (1770), seine Studienaufenthalte in Erfurt (1772/74) und Göttin- entstanden ist. Wenn also heute (trotz ständig konservatorisch gen (1777/78), Subdiakonats- und Diakonatsweihe (1783/84), verbesserter Aufbewahrungsbedingungen!) die Entleihung von Dalbergs (eher marginal einzustufendes) Wirken als Domherr der Manuskripten und Frühdrucken für Ausstellungen gern modisch drei rheinischen Domkapitel sowie kleinere Bildungsreisen, die er kritisiert wird, sollte man bedenken, dass die grundsätzliche in den Jahren 1782–1787 nach Stuttgart, in die Niederlande und Ablehnung der Entsendung von Leihgaben ein zweischneidiges nach Düsseldorf unternahm. Den humanistisch-philanthropi- Schwert ist und historische Buchbestände mehr verbirgt als schen Frühschriften aus den Jahren 1776–1789, die ganz den Geist schützt. der Aufklärung atmen, ist ein weiterer ausführlicher Abschnitt Der vorliegende Band, der durch eine dreiteilige Bibliographie gewidmet (S. 91–129). Breiten Raum nimmt Dalbergs Wirken als und einen Dokumentenanhang (S. 511–548) abgeschlossen wird, Präsident der einflussreichen kurfürstlichen Schulkommission im kann als ein Markstein der rheinischen Buch- und Bibliotheksge- Erzbistum Trier ein, der er zwischen 1785 und 1789 vorstand schichte gelten. Es ist zu hoffen, dass er für das Entstehen ähnli- (S. 131–170). In dieser Funktion unternahm Dalberg enorme cher Publikationen als Vorbild dient. Anstrengungen, das Bildungsideal der Aufklärung in einem sehr Köln Konrad Groß konkreten Wirkungsfeld zu realisieren. Die in diesem Zusammen- hang getroffenen Reformen (Absetzung der Piaristen, Neugestal- tung des Trierer Gymnasiums, Lehrplanentwürfe für Gymnasien und Volksschulen, wissenschaftliche Ausbildung am Priesterse- minar) trugen in nicht unerheblichem Umfange zur Hebung der

356 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Bildungsverhältnisse im Trierer Kurstaat bei. Längere Segmente Fränkische Urbare. Verzeichnis der mittelalterlichen der Untersuchung fokussieren die Freundschaft mit Johann Gott- urbariellen Quellen im Bereich des Hochstifts Würz- fried Herder und die gemeinsam mit diesem 1788/89 unternom- burg. Bearb. von Enno Bünz, Dieter Rödel, Peter mene, in einem Eklat endende Italienreise (S. 171–201) und die Rückert und Ekhard Schöffler. Verlag Degener & anhand der erhaltenen Briefe dokumentierten Beziehungen Dal- bergs zu zeitgenössischen Forschern, Gelehrten, Künstlern, Ver- Co., Neustadt a. d. Aisch 1998. 295 S. mit 18 Abb., geb. wandten und Freunden (darunter Emmerich Joseph von Dalberg, (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Johannes von Müller, Karoline von Wolzogen, Karl Hieronymus Geschichte Reihe X, Quellen zur Rechts- und Wirt- Windischmann, Joseph Goerres, Goethe und Schiller) bis zu sei- schaftsgeschichte Frankens 13.) nem Tod am 26. Juli 1812 (S. 281–301). Dazwischen eingestreut Im Rahmen der Beschäftigung mit der mittelalterlichen Grund- findet sich unter dem Titel „Die philosophische Ästhetik“ eine herrschaft hat auch die Erfassung und Edition von Urbaren, das eingehende Analyse der 1791 anonym erschienenen, ganz unter sind verkürzt gesagt: „Verzeichnung(en) von Gütern und Ein- dem Einfluss Herders stehenden Schrift „Vom Erfinden und Bil- künften“ (S. 13), wieder an Boden gewonnen. Trotzdem wird der- den“ (S. 203–225), der eine zentrale Bedeutung für das Verständ- oder diejenige, der/die sich näher mit der Materie beschäftigt, nis von Dalbergs Weltanschauung zuerkannt wird, bildet sie doch schon nach kurzer Zeit feststellen, dass es an präzisen Erfassun- „das philosophische Fundament“ für seine „theoretischen gen des vorhandenen Quellenmaterials mangelt. Abhandlungen auf dem Gebiet der Musikästhetik und eröffnet Vorliegendes Verzeichnis behebt diesen Mangel zumindest für darüber hinaus das Verständnis auch zu den Kompositionen den Bereich des Hochstifts Würzburg. Die Bearbeiter haben zu selbst“ (S. 203). Dalbergs Engagement als Freimaurer und Illumi- diesem Zwecke in 32 Archiven und Bibliotheken in und außer- nat, seiner Mitgliedschaft in der Trierer Lesegesellschaft, seinen halb des Sprengels (u. a. Rom/Vatikan, Speyer, Wien) die vorhan- späteren Reiseaktivitäten (Schweiz, Frankreich, Niederlande, Ita- denen Überlieferungen ermittelt und nach einem vorher festge- lien) sowie der Erörterung seiner politischen Standpunkte, insbe- legten Schema beschrieben. Dazu erhielt jede Grundherrschaft sondere seiner differenzierten Beurteilung der Französischen eine aus vier Buchstaben bestehende Sigle, die einen Bezug zum Revolution und seiner Reaktion auf den Tod Kaiser Josephs II. Namen der Herrschaft hat; durch eine anschließende Zahl wer- (1790), ist das Kapitel „Aufgeklärte Politik um und nach 1789“ den mehrere vorhandene Aufzeichnungen in chronologischer gewidmet (S. 227–280). Von großer Erudition zeugen die Ausfüh- Reihenfolge festgehalten. Es folgen 1) der Name und der Gültig- rungen zu Dalbergs musikalischen Schriften mit ihren vielfältigen keitsbereich der Grundherrschaft; 2) die Bezeichnung des Schrift- ästhetischen und sittlichen Implikationen (S. 311–339) und seiner stücks in der Quelle selbst, im Repertorium oder eine eigenstän- „Musiktheorie und Akustik“ mit ihren praktisch-experimentellen dige Einordnung des Bearbeiters; 3) der Aufbewahrungsort der Forschungen (S. 341–358). Die orientalischen Schriften Dalbergs Quelle; 4) die Datierung der Anlagehand und der Nachträge; (S. 359–398), die im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts erschie- 5) hilfswissenschaftliche Beschreibungen der Sprache, des nen, erfahren ebenso angemessene Berücksichtigung wie das aus Beschreibstoffs, des Einbandes und des Umfangs, der verschiede- heutiger Sicht eher kurios anmutende „Meteor-Buch“ (S. 390– nen Schreiber, der Nutzungsart wie Gebrauchsregister oder 411), dessen Gegenstand Fragen des Ursprunges, der Natur und Kanzleiregister, des Erstellungsgrundes ob eventuell Renovation des „Cultus“ der Meteore und Meteoriten bilden. Die beiden letz- oder Kauf, schließlich der Gliederung (geographisch, alphabe- ten Sektionen des Buches wenden sich den heute fast in Verges- tisch, nach Ämtern o. ä.); 6) eventuelle Edition(en); 7) Literatur. senheit geratenen musikalischen Kompositionen Dalbergs zu: Sämtliche in den Urbaren genannten Ortschaften können über Das Kapitel „ Instrumentalmusik“ (S. 413–495) stellt sein kompo- das Ortsregister der Urbare, eventuell vorkommende Weistümer sitorisches Schaffen von 1778–1810, der Kernepoche der musikali- über das Ortsregister der Weistümer erschlossen werden. schen Klassik, in eingehender Detailanalyse seiner Werke (Sona- Obschon der Außenstehende nichts über die Vollständigkeit ten, Klavier- und Kammermusik, Fantasien bei auffälligem Feh- etc. der Erfassung sagen kann, seien einige methodische Gesichts- len einer Oper oder kirchenmusikalischer Schöpfungen) vor und punkte hervorgehoben und zur Nachahmung für andere Regio- ist mit zahlreichen Notenbeispielen angereichert; das Segment nen empfohlen: eine ausführliche Einleitung (59 Seiten); nach „Vokalmusik“ (S. 497–551) weist den Gesangskompositionen dem eigentlichen Verzeichnis der Urbare folgen Quellen und Lite- (Melodramen, Kantaten, Liedern, Canzonen, Romances, Songs), ratur sowie vier Indices: Register der Grundherrschaften, die wieder illustriert mit reichem Notenmaterial, einen angemesse- bereits erwähnten Ortsregister nach Urbaren und Weistümern nen Platz unter dem Liedschaffen der Goethezeit zu. Eine sowie ein Register der Urbarschreiber. umfangreiche Bibliographie (S. 553–591) sowie ein benutzer- Am Schluss verdeutlichen mehrere Abbildungen die Varietät freundliches Personenregister (S. 593–607) beschließen den opu- der erfassten Quellen. Eine ähnliche Aufarbeitung der rheini- lenten Band, der eine hochwillkommene Bereicherung unserer schen Urbarüberlieferung ist ein dringendes Desiderat. Kenntnis der Kirchen-, Musik- und Literaturgeschichte an den Trier Reiner Nolden Schnittpunkten von Aufklärung, Klassik und Frühromantik dar- stellt. Die hier in gebotener Kürze skizzierten biographischen und werkanalytischen Bausteine fügen sich zu einem komplexen Hans Fuhrmann, Das Urkundenwesen der Erzbi- Gesamtportrait, das trotz mancher quellenbedingter Lücke mit schöfe von Köln im 13. Jahrhundert (1238– Recht den Anspruch erheben darf, das bisher geschlossenste 1297). Verlag Franz Schmitt, Siegburg 2000. 608 S. mit Lebensbild Johann Friedrich Hugo von Dalbergs vorzulegen. 135 Abb., Ln. 34,– C. Dem Autorentandem gebührt Verdienst und Dank für die längst Die Untersuchungen von Fuhrmann wurden 1994 von der Uni- überfällige Würdigung einer fast vergessenen Gelehrtenpersön- versität Bonn als Dissertation angenommen; im Anschluss wurde lichkeit, die die Forschung ohne Zweifel zu weiterer Beschäfti- die Arbeit mit Literaturhinweisen bis zum Jahre 1997 erweitert, gung anregen wird. Hervorzuheben ist schließlich die sprachliche um zum Zeitpunkt der Drucklegung den aktuellen Forschungs- Eleganz der Darstellung, die die Lektüre zu einem intellektuellen stand zu erreichen. Auf der Grundlage von insgesamt 786 Urkun- Vergnügen macht, sowie die vorbildliche typographische Gestal- den in 863 Ausfertigungen (davon 58 Doppel-, acht Dreifach- und tung des Werkes, zu dem man Autoren und Lesern gleicherma- einer Vierfachausfertigung) wird die Entwicklung des Urkunden- ßen beglückwünschen kann. wesens der Erzbischöfe Konrad von Hochstaden (1238–1261), Die Autoren bereiten derzeit eine neue Ausgabe der Werke Engelbert von Falkenburg (1261–1274) und Siegfried von Wester- Dalbergs vor, an die bereits jetzt hohe Erwartungen geknüpft wer- burg (1274–1297) aufgezeigt. Zusätzlich wurden etwa 500 Urkun- den dürfen. den zur Absicherung insbesondere des Schriftvergleichs herange- Trier Bernhard Schmitt zogen; diese Urkunden nennen insbesondere den Erzbischof von Köln als Empfänger. Mehr als zwei Drittel der erzbischöflichen Urkunden richten sich an geistliche Institutionen, geistliche Fürs- ten und die römische Kirche; die übrigen Empfänger verteilen

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 357 sich auf Herrscher, den Adel, die Ministerialen sowie Städte und Seit einigen Jahren nutzt die Landesarchivdirektion das Forum einzelne Bürger. der Baden-Württembergischen Heimattage erfolgreich, um in Fuhrmann setzt sich zu Beginn grundsätzlich in kritischen Kooperation mit den Archiven vor Ort die angestammte Klientel, Anmerkungen mit der Anwendung der klassischen Methoden also Ortshistoriker und heimatkundlich Interessierte aber auch der Diplomatik, dem Schrift- und Diktatvergleich, auseinander. das breitere Publikum auf archivische Problemfelder aufmerksam In den vergleichbaren Untersuchungen von Urkunden des Früh- zu machen und über archivische Nutzungsmöglichkeiten zu und Hochmittelalters gilt der Schriftvergleich als die Methode zur unterrichten. Gemeinsam mit dem Staatsarchiv Sigmaringen und näheren Bestimmung der verschiedenen Schreiber. Der Gesamt- dem Kreisarchiv Reutlingen veranstaltet, galt die Tagung 1999 in eindruck der Schrift und die Hervorhebung individueller Schrift- Pfullingen ortsgeschichtlichen Quellen in den unterschiedlichen elemente dienen als Kriterien für die Zuweisung der Urkunden Archivtypen. zu einzelnen Schreibern. Für die Urkunden des beginnenden In zwei einleitenden Referaten werden zunächst die jüngeren Spätmittelalters bedeutet die Bewertung des Schriftvergleichs, Tendenzen in der ortsgeschichtlichen Forschung in Baden-Würt- dass bei der Feststellung von Übereinstimmungen im Gesamtein- temberg (Andreas Schmauder), namentlich auch die Darstel- druck von Schriftgruppen die übereinstimmenden Schriftmerk- lung der Zeit des „Dritten Reiches“ (Benigna Schönhagen) male höher bewertet werden als individuelle Merkmale, um die beleuchtet. Mit der seit Anfang des 19. Jahrhunderts bestehenden Zuweisungen zu einzelnen Schreibern gesichert zu treffen. Hilf- amtlichen Kreisbeschreibung und der heute noch in Deutschland reich für die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse sind die Defini- einzigartigen amtlich-institutionalisierten „Landesbeschrei- tionen der Begriffe „der Kanzlei- und Empfängerausfertigungen bung“ hat die Ortsgeschichte hier eine bedeutende Tradition, sowie der Ausfertigung der Dritten und der unbestimmbaren deren Existenz unter finanzpolitischem Druck immer einmal wie- Hand“ (S. 59 f.). der – glücklicherweise erfolglos – zur Disposition gestellt wird. Das Ziel des Schrift- und Diktatvergleiches besteht darin, die Mit der wissenschaftlichen Akzeptanz der Sozial- und Mikro- Kanzleiausfertigungen von den Empfängerausfertigungen, den geschichte ist seit den späten 70er Jahren ein wahrer Boom ortsge- Ausfertigungen von unbestimmbarer Hand, der dritten Hand schichtlicher Literatur zu verzeichnen, 40 bis 50 neue Titel pro sowie den Fälschungen zu unterscheiden; diese Arbeit wird im Jahr: von der immer stärker arbeitsteilig und interdisziplinär historisch-chronologischen Teil (S. 73–299) geleistet. Im systema- angelegten wissenschaftlichen Ortsgeschichte über das „Heimat- tischen Teil (S. 299–403) werden ferner die inneren und äußeren lob“ älterer Prägung aus einer Hand, bis hin zu der insbesondere Merkmale der Urkunden, die Urkundenarten, die Entstehung der von einigen kommunalen Archiven wie Stuttgart und Heilbronn Urkunden sowie die Beteiligung Dritter an der Beurkundung dar- gepflegten und nicht ganz unumstrittenen Chronik-Form. gestellt. Am Beispiel des Fürstlich Thurn- und Taxischen Depositums Im Hinblick auf das untersuchte umfangreiche Material von Obermarchtal im Staatsarchiv Sigmaringen stellt Annegret ca. 1300 Urkunden sind folgende Ergebnisse festzuhalten: Wenz-Haubfleisch die Aussagekraft von Privatarchiven zur 1) Unter Erzbischof Konrad von Hochstaden sind 21 erzbischöfli- Grundherrschaft dar. Anhand des Salemschen Lehengutes Ker- che Schreiber mit 183 Urkunden in 189 Ausfertigungen nachweis- nen in Spöck führt sie zunächst dessen vielfältigen dokumentari- bar, 36 Empfängerschreiber mit 93 Urkunden, 156 unbestimmbare schen Niederschlag in den verschiedenen Quellentypen beispiel- Hände, die 194 Urkunden in 217 Ausfertigungen mundierten. haft für das Jahr 1725 vor: Lehensbrief bzw. -revers, Verhörbücher, 2) Unter Erzbischof Engelbert von Falkenburg werden acht Kanz- Urbare, Parzellenkarten und Rechnungen, um dann die einzelnen leischreiber, von denen drei bereits unter seinem Vorgänger tätig Quellentypen mit ihrer Entstehungsgeschichte, Aussagekraft und waren, sieben Empfängerhände mit neun Urkunden in zwölf Problematik einer allgemeinen kritischen Würdigung zu unter- Ausfertigungen und 29 Urkunden in 31 Ausfertigungen durch die ziehen. unbestimmbare Hand nachweisbar. 3) Im Laufe des Pontifikats Visitationsprotokollen, also dem schriftlichen Niederschlag des Erzbischofs Siegfried von Westerburg steigt die Urkunden- sozialdisziplinierender kirchlicher Aufsichtstätigkeit, widmet ausstellung wieder an; 13 Kanzleihände mit 125 Urkunden in 131 sich Irmtraud Betz-Wischnath, denn „anders als die Quellen Ausfertigungen stehen 11 Empfängerhände in 33 Ausfertigungen normativen Charakters unterrichten diese über den tatsächlichen und 88 unbestimmbare Hände mit 94 Urkunden in 98 Ausferti- Zustand des Kirchenwesens“. Neben der Kirchengeschichte gungen gegenüber. selbst sind es eben gerade die Orts- und Regionalgeschichte, die In Anlehnung an die heute übliche Konvention in der Termino- nachhaltig von diesen Quellen zehren, gewähren diese doch (fast) logie der diplomatischen Forschung wird auch die Kanzlei der ungeschönt „Einblick in die inneren Verhältnisse der Pfarreien, Erzbischöfe von Köln als „die Gesamtheit der Ausstellerschreiber“ der Städte und Dörfer“, insbesondere dann, wenn, wie im Her- (S. 54) bezeichnet; unter dem Begriff „Kanzlei“ wird also auch im zogtum Württemberg, jährlich und tatsächlich vor Ort visitiert 13. Jahrhundert keine institutionalisierte Verwaltungseinheit sub- wurde. sumiert. Der Amtstitel eines erzbischöflichen „notarius“ ist nach- Ein bisher nicht annähernd gehobener Schatz sind die für das weisbar, ohne jedoch die genauen Kompetenzen und Funktionen Herzogtum Württemberg eigentümlichen sogenannten „Inventu- seines Amtes definieren zu können (S. 406). Dem Ergebnis des ren und Teilungen“, amtlich aufgenommene Inventarverzeich- Diktatvergleichs kommt vergleichsweise eine geringere Verwert- nisse der Mobilien und Immobilien eines jedes Bürgers anlässlich barkeit zu, die auf die starke Straffung des Formulars im Laufe des von Eheschließung und Tod, die eingeführt wurden, um Erbaus- 13. Jahrhunderts zurückzuführen ist. In zwei Anhängen werden einandersetzungen vorzubeugen. Rolf Bidlingmaier stellt diese detailliert in Formularlisten die verschiedenen Wortlaute des klas- für die Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, die Lokalgeschichte, sischen Urkundenformulars aufgeführt und in anschließenden die Entwicklung der Sachkultur oder die schwäbische Mentalität Formulartabellen die einzelnen Bestandteile von der Invocatio bis ganz allgemein unvergleichlichen Quellen kundig und mit Ver- hin zur Corroboratio und Datierung den einzelnen Schreibern weis auf die reichlich vorhandene zeitgenössische Verwaltungsli- zugeordnet. Ein Orts- und Personenindex schließt die Arbeit ab, teratur vor. Die Inventarpflicht wurde 1555 gesetzlich eingeführt die als grundlegende Aufarbeitung der Kanzleigeschichte der Erz- und blieb bis zur Einführung des BGB am 1. 1. 1900 akribisch bischöfe von Köln im 13. Jahrhundert zu gelten hat. geübte Praxis. Tausende solcher überaus detailreicher Inventare Pulheim Hans Budde lagern in jedem württembergischen Kommunalarchiv; Bidling- maier rechnet hoch, dass landesweit etwa 4 Mio. solcher Inventare Der furnehmbste Schatz. Ortsgeschichtliche auf Auswertung warten. Und es ist diese Fülle, an der bisher alle Quellen in Archiven. Vorträge eines quellenkundli- Forschungsprojekte gescheitert sind. chen Kolloquiums im Rahmen der Heimattage Baden- Norbert Hoffmann schließlich gibt vor dem Hintergrund der jeweiligen Behördengeschichte einen Überblick über die „alles Württemberg am 23. Oktober 1999 in Pfullingen. Hrsg. andere als homogene“ Überlieferung der württembergischen Pro- von der Landesarchivdirektion Baden-Württemberg. vinzialbehörden des 19. Jahrhunderts, also Kreisgerichtshöfe, Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2001. 99 S. mit 10 Abb., Kreisregierungen, Kreisfinanzkammern, und rundet damit das geh. 10,– C. ansprechend aufgemachte Bändchen ab, das jedem an lokal- oder

358 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 regionalgeschichtlichen Problemen Arbeitenden ans Herz gelegt derlanden als Provinz Gelderland, in Deutschland als Stadtname. werden darf. Eine historische Substanz entsprach ihm aber nicht mehr. Zur Bietigheim-Bissingen Stefan Benning Erklärung ist hier der instruktive Beitrag über das Gelderlandge- fühl damals und heute heranzuziehen. Frijhoff deutet es als mal erfolgreiche, mal weniger erfolgreiche „Suche nach dem Gleich- Gelre – Geldern – Gelderland. Geschichte und Kultur gewicht zwischen politischen Ambitionen, wechselnden Formen des Herzogtums Geldern. Hrsg. im Auftrag des Histori- von Gruppensolidarität und dem begrenzten Erfahrungshorizont schen Vereins für Geldern und Umgegend von Johan- von Subregionen und Provinzen.“ (S. 475) In der Kunst und Kul- nesStinner undKarl-Heinz Tekath. Verlag des Histo- tur, im Aufbau von Archiven, der Herausgabe von Geschichtsdar- rischen Vereins für Geldern und Umgegend, Geldern stellungen, historischen Vereinen und Vereinigungen schuf es sich 2001. 527 S. mit zahlr., z. T. farb. Abb., geb. sein eigenes Selbstbewusstsein. Der Kunst und Kultur sowie dem historischen Bewusstsein sind deshalb konsequenterweise die (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes beiden letzten Kapitel des Aufsatzbandes gewidmet. Nordrhein-Westfalen, Reihe D: Ausstellungskataloge Ausgeklammert blieb bislang das „Innenleben“ des Herzog- staatlicher Archive, Teilbd. 1: Aufsätze.) tums, seine Verfassung, Verwaltung, Wirtschaft und sozialen Ver- Das Goldene Zeitalter des Herzogtums Geldern. hältnisse. Dem widmet sich das umfangreichste Kapitel des Ban- Geschichte, Kunst und Kultur im 15. und 16. Jahrhun- des mit insgesamt 16 Beiträgen. Spezialfragen der Verwaltungs- dert. Verlag des Historischen Vereins für Geldern und gliederung und -struktur werden behandelt, Amtsträger und ihre Umgegend, Geldern 2001. 252 S. mit zahlr., z. T. farb. Funktionen vorgestellt, Burgen und Städte beschrieben, das Münzwesen, die Landwirtschaft und Wasserwirtschaft (Deich- Abb., geb. schauen) erläutert, die sozialen Verhältnisse analysiert und das (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes religiöse Leben (Stifte, Reformation, Juden) geschildert. Dabei Nordrhein-Westfalen, Reihe D: Ausstellungskataloge wird deutlich, dass das Herzogtum über Entwicklungspotenziale staatlicher Archive, Teilbd. 2: Katalog.) verfügte, z. B. durch seinen hohen Urbanisierungsgrad im Spät- Das 2001 gefeierte 150-jährige Jubiläum des Historischen Vereins mittelalter, die auf mehr hoffen ließen, als tatsächlich erreicht für Geldern und Umgegend war der unmittelbare Anlass für wurde. Die machtpolitischen Verhältnisse vereitelten es. Vielfach deutsche und niederländische Archivare, Historiker und weisen die Autoren auf Desiderate der Forschung hin. Sie sehen Museumsfachleute aus dem Gebiet des ehemaligen Herzogtums es als Resultat der politischen Situation an (Aufteilung des Her- Geldern, eben diesem alle Aufmerksamkeit zuzuwenden, um den zogtums) und führen es nicht auf eine mangelhafte Quellenlage heutigen Erkenntnisstand darüber zusammenzustellen. Heraus- zurück. gekommen ist ein voluminöser, facettenreicher Aufsatzband, für Der Reiz des Aufsatzbandes liegt nicht allein darin, dass er den den Archivare und Historiker verantwortlich zeichnen, und ein Blick auf ein untergegangenes Territorium lenkte und damit für mit ausführlichen Kommentaren und Erläuterungen sowie vor- kurze Zeit eine verflossene Gestalt der Geschichte wiederbelebte züglichen Fotos versehener Katalog, für den zwei Museumsfach- sondern vor allem darin, wie er es tat. Es ist den Herausgebern leute (P. van der Coelen und Dr. R. Plötz, Kevelaer) die Endre- und natürlich den Autoren gelungen, durch diese Arbeit Grenzen daktionsarbeit übernahmen. zu überwinden, die die Politik gezogen hat, die durch die Sache Natürlich ist ein Jubiläum ein hinreichender Grund für eine aber nicht gegeben sind, ein breites Spektrum historischer Fragen solche Arbeit aber kein notwendiger. Es trat noch ein weiteres vor den Augen des Lesers zu entfalten und ihm deutlich zu hinzu, etwas, das Stinner/Tekath in ihrem Vorwort als „Lei- machen, dass das Vergangene nicht untergegangen ist, sondern densdruck“ bezeichneten. Sie beklagen zu Recht, dass andere nie- auf eigene Art weiterlebt. derrheinische Territorien (Jülich-Kleve-Berg, Kurfürstentum Von Anbeginn war es intendiert, dass an das Herzogtum auch Köln) in früheren Jahren schon dargestellt wurden, das Herzog- durch eine Ausstellung erinnert werden soll. Vier Museen haben tum Geldern bislang aber keine angemessene Würdigung erfah- sich dazu zusammengeschlossen, und zwar das Niederrheinische ren hat. Das hat mehrere Gründe. Als eigenständiges historisches Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte e.V. Kevelaer, das Gebilde tritt das Herzogtum bzw. zunächst die Grafschaft Ende Museum Het Valkhof Nijmegen, das Stedelijk Museum Zutphen des 11. Jahrhunderts in Erscheinung (1096 erste explizite Erwäh- und das Stedelijk Museum Roermond. Ein Spezialaspekt (Das nung eines Grafen von Geldern), kann seine Selbständigkeit aber Leben auf dem Lande) wurde im Niederrheinischen Freilichtmu- nur bis zum 16. Jahrhundert behaupten. 1543 wird es durch den seum Grefrath präsentiert. Die Ausstellungsmacher entschieden Venloer Traktat kaiserliches Lehen, bevor es 1581 (Haager Mani- sich für den Titel „Das Goldene Zeitalter des Herzogtums Gel- fest) mit seinen nördlichen Territorien an die Generalstaaten und dern“, ein Titel, der im Aufsatzband mit einem großen Fragezei- mit seinen südlichen, dem Oberquartier, an die spanischen Nie- chen versehen wurde (S. 312). Dieses Bedenken ist berechtigt, derlande kommt. Das Oberquartier wird seinerseits im Frieden zu gleichwohl die Titulierung nachvollziehbar. Die Differenziertheit Utrecht 1713 auf die Vereinigten Niederlande, Österreich, Preu- des Wortes steht dem Museum, das auf sinnliche Reize, auf das ßen und Jülich aufgeteilt. Plakative setzen muss, nicht in dem Maße zur Verfügung, wie der Den filigranen Verästelungen der territorialgeschichtlichen historischen Abhandlung. Fragen sind die beiden ersten Kapitel des Bandes mit insgesamt Wer den Aufsatzband gelesen hat, wird bei der Durchsicht des neun Aufsätzen gewidmet, wobei das 16. Jahrhundert die Zäsur Katalogs etwas irritiert sein. In vielen Fällen erweckt er den Ein- markiert. Wem Jahreszahlen und Verträge zu abstrakt sind, erhält druck, als sei er eine Kurzfassung des Aufsatzbandes. Über- durch die ausgezeichneten Beiträge über die Darstellung Gel- schneidungen kommen häufiger vor. Einige Beispiele seien derns in der alten und modernen Kartographie die Möglichkeit, genannt. Unter der Rubrik „Landesgeschichte und Landesrecht“ die Veränderungen anhand historischer Karten nachzuvollzie- (S. 42–45) schildert der Katalogtext die Entstehung der ersten hen. Überhaupt haben es die Herausgeber dem Leser leicht geldrischen Landesgeschichte. Ebendies findet sich im Aufsatz- gemacht. Der Eilige kann sich im Anhang (S. 489–517) schnell band auch im Beitrag von Ute Heinen-von Borries (S. 457– anhand einer Chronik über die Geschichte der Grafschaft und des 466). Die Karte mit den geldrischen Landesburgen (Katalog S. 48) Herzogtums informieren. enthält auch der Aufsatzband (S. 189). Das Münzwesen (Katalog Zum Verständnis der geldrischen Territorialgeschichte liefert S. 103–112) hat sein Gegenstück im Aufsatzband (S. 243–260), dann das Kapitel über Geldern im Spannungsfeld von Bündnis und die Grabstätten der geldrischen Grafen (Katalog S. 176 f.) fin- und Konkurrenz an Maas, Rhein und Ijssel mit insgesamt acht den ausführliche Erläuterung samt Bildwiedergabe im Aufsatz- Untersuchungen die notwendigen Informationen. Hier wird band (S. 55–63). Der geschilderte Befund mit den genannten deutlich, welch schweren Stand das Herzogtum zwischen rivali- Überschneidungen erweckt den Eindruck, dass zwischen den sierenden Nachbarmächten hatte. Ihnen ist es schließlich zum Verantwortlichen keine enge Abstimmung erfolgt ist. Opfer gefallen, aber – und das ist erstaunlich – ohne dabei in Ver- Der Vorteil des Katalogs liegt zweifelsfrei in der durchgängig gessenheit geraten zu sein. Sicher lebte der Name fort: in den Nie- besseren Qualität der Abbildungen. Seine Texte sind instruktiv

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 359 und konzis. Mancher Leser wird darüber erfreut sein. Nicht ganz während das Ministerium zwar die Notwendigkeit der qualitati- deutlich wird bei dem durchgängig eingehaltenen Konzept, ven Verbesserung der Mädchenschule bejaht, aber darauf beharrt, warum der erhellende und wertvolle Beitrag von Thissen über dass die Aufgabe der Höheren Mädchenschule darin bestehe, den städtischen Alltag in Nimwegen (S. 65–82) im Katalog unter- gute Hausfrauen und Mütter zu erziehen und nicht gebildete, gebracht wurde. Konzeptionell hätte er im Aufsatzband seinen berufstätige Frauen. Platz haben müssen. Sehen wir von den Abstimmungsproblemen Das achte Kapitel beschreibt eine veränderte, stärker kompro- einmal ab, liegt mit dem Katalog eine schöne Zusammenstellung missgerichtete Strategieentwicklung der Vereinsvorsitzenden – von Exponaten zur geldrischen Geschichte vor, die dank der vor- und schließlich den Erhalt der ministeriellen Genehmigung zur züglichen Wiedergabequalität und guten Erläuterungen den Einrichtung sechsjähriger Gymnasialklassen (5. 6. 1902). Betrachter erfreut. Die Arbeit schließt mit zwei kurzen Kapiteln, in denen die Auf- Viersen Arie Nabrings lösung des Vereins Mädchengymnasium und das weitere Schick- sal des von ihm begründeten Mädchengymnasiums beschrieben werden. Elke Görgen-Schmickler, „Warum nicht auch Das Verdienst dieser Untersuchung liegt darin, dass hier Mädchen?“ Die Geschichte des Vereins Mädchen- detailgetreu und unter gründlicher Ausschöpfung aller vorhan- denen Quellen beschrieben wird, auf welchem Wege es dem Ver- gymnasium zu Köln (1887–1902). Rheinlandia-Verlag, ein Mädchengymnasium zu Köln nach schweren Rückschlägen Siegburg 1994, 121 S., 1 Abb., brosch. 11,20 C. und gegen die in der Gesellschaft verbreiteten Vorurteile gelun- (Ortstermine: Historische Funde und Befunde aus der gen ist, von dem Preußischen Kultusministerium die Genehmi- deutschen Provinz Band 5.) gung zu erhalten, probeweise ein sechsklassiges Mädchengymna- Im Zentrum der etwas mehr als 100 Seiten umfassenden Schrift sium in Köln zu errichten. Es ist das erste Mädchengymnasium, steht die Arbeit des Vereins Mädchengymnasium zu Köln von sei- das in Preußen konzessioniert wurde, und es hatte Vorbildcharak- ner Entstehungsgeschichte bis zur Konzessionierung eines sechs- ter für spätere Regelungen der Abiturberechtigung für Mädchen. klassigen humanistischen Mädchengymnasiums durch das Preu- – Das Bild der präzisen Arbeitsweise wird etwas getrübt durch ßische Kultusministerium im Jahre 1902. Die Arbeit basiert auf Schwächen in der Satzkonstruktion und Orthografie und eine vor dem umfangreichen, im historischen Archiv der Stadt Köln gela- allem in den einleitenden Kapiteln zu bemerkende Neigung zu gerten Aktenbestand des Kölner Vereins. Zu den wesentlichen einseitiger Darstellung. Quellen zählen die handschriftliche Korrespondenz zwischen Hamburg Elke Hertel den Vorstandsmitgliedern des Vereins, mit Frauen aus der Frau- enbewegung, Persönlichkeiten des Rheinischen Großbürgertums Reimund Haas undMonica Sinderhauf, Zur Kirchen- und Vertretern des Preußischen Kultusministeriums. Hinzu kom- geschichte und zum Pfarrarchiv von Stürzel- men das Protokollbuch des Vereins, Protokolle von Ausschusssit- zungen, Petitionen des Vereins an das Kultusministerium und die berg. Dormagen 2001, 33 S., 6 Abb. Denkschrift des Vereins zur Konferenz über die höhere Mädchen- (Blätter zur Geschichte von Zons und Stürzelberg, schulbildung. Die Arbeit des Kölner Vereins Mädchengymna- Band IX.) sium wird vor allem im historischen Kontext der Frauenge- Das sog. Neusser Modell der subsidiären Pfarrarchivpflege ist schichte, hier: der Arbeit der bürgerlichen Frauenbewegung am mittlerweile in die Jahre gekommen – gemeint sind insgesamt Ende des 19. Jahrhunderts gesehen. produktive 16 Jahre, in denen die Archive der katholischen Pfarr- Den Anfang bildet ein Kapitel über die „historische Einord- kirchengemeinden des Stadt- bzw. Kreisdekanates Neuss sowie nung des Untersuchungsgegenstandes“. Ausgehend von einer der Stadtdekanate Grevenbroich und Dormagen in zwei knappen Darstellung der Bildungsideale Jean-Jacques Rousseaus Abschnitten nahezu flächendeckend mit Findbüchern von hand- beschreibt die Autorin den Einfluss dieser Ideen auf die Mäd- werklich hohem, nämlich dem Kölner Standard versehen worden chenpädagogik, sodann die Entwicklung des Schulwesens im sind. Das Neusser Modell beschreibt langfristige archivpflegeri- 19. Jahrhundert. Es folgt eine kurze Darstellung der Arbeit der sche Maßnahmen des Caritasverbandes des Kreisdekanates sich bildenden Frauenbewegung und des gesellschaftlichen Neuss, der sich als freier Träger auf gelernte Historiker(innen) in Umbruchs am Ende des 19. Jahrhunderts, der verstärkt die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen stützen und sich auf professio- Berufstätigkeit der Frau und damit eine verbesserte Ausbildung nelle Fachaufsicht und flankierendes Projektmanagement durch der Mädchen erforderte. Die – letztlich erfolgreiche – Entwick- das Archiv des Erzbistums Köln (AEK) verlassen konnte. Die Ver- lung des Mädchenschulwesens wird weitgehend als Erfolg der zeichnung erfolgte größtenteils dezentralisiert, d. h. vor Ort, das Frauenbewegung dargestellt. Der letzte Teil des einleitenden AEK hingegen half mit Archivtechnik und EDV. Vorliegendes Kapitels führt über zu dem eigentlichen Gegenstand dieser Unter- Heft von 33 Seiten ist letztlich ein mixtum compositum, bestehend suchung, der Arbeit des Kölner Vereins Mädchengymnasium. aus einer Darstellung zur Pfarrgeschichte von St. Aloysius und Das zweite Kapitel ist den beiden Initiatoren des Vereins Mäd- dem Abdruck ausgesuchter Findbuchbestandteile, welches in chengymnasium zu Köln gewidmet. Bei der Darstellung des toto und in unveröffentlichter Form insgesamt 170 Seiten und 459 Lebenslaufs von Mathilde von Mevissen (1848–1924) liegt das Verzeichnungseinheiten umfasst. Dessen Auswahlveröffentli- Schwergewicht auf ihrer Verbindung zur Frauenbewegung und chung beinhaltet nun die Bestandsgliederung (d. h. ein Inhalts- den Gründen für ihr hartnäckiges Festhalten an althumanisti- verzeichnis, das auf ein im AEK entwickeltes Klassifikations- scher Bildung für Mädchengymnasien. Die Darstellung des schema bzw. einen Rahmen-Aktenplan für Pfarr-Registraturen Lebenswegs von Prof. Dr. Joseph Hansen (1862–1943) erklärt, dass fußt), eine Liste ortskirchlich tätiger Geistlicher sowie besagte sein historisch geschulter Blick für gesellschaftliche Entwicklun- Pfarrgeschichte. Leider fehlen Ordnungsbericht und Bemerkun- gen ihn für die Frauenfrage und hier insbesondere das Kölner gen über Bewertung und Kassation von pfarrkirchlichem Archiv- Projekt Mädchengymnasium eintreten ließen. gut, womit eine über die örtlichen Bezüge hinausgehende, für das Kapitel 3 beschreibt „Erste Bemühungen von Mathilde von allgemeine Archivarshandwerk sicherlich lehrreiche Findbuch- Mevissen und Prof. Dr. Joseph Hansen zur Gründung eines über- passage nicht einsehbar ist. Der historiographische Teil von regionalen Mädchengymnasiums Juli 1897 bis März 1898“. Dar- 12 Seiten wartet auch mit einigen Reproduktionen historischer gestellt wird hier vor allem die Suche nach finanzkräftigen Spen- Zeichnungen vornehmlich zur Baugeschichte der Pfarrkirche auf. dern, nach Unterstützung aus den Kreisen der Frauenbewegung Diesem Abriss der Pfarrgeschichte gelingt es, mit wenigen Stri- und nach einer geeigneten Direktorin. chen den Weg einer kleinen niederrheinischen Kapellengemeinde In den Kapiteln 4 bis 7 geht es um die Vereinsarbeit, die sich auf von der Mitte des 17. Jahrhunderts über die Höherstufung zur das Abfassen erfolgloser Eingaben an das Preußische Kultus- Rektoratsgemeinde in der Mitte des 19. Jahrhunderts bis hin zur ministerium konzentriert. Bei der Kontroverse zwischen Verein Auspfarrung von der Mutterkirche in Zons und Errichtung der und Kultusministerium geht es im Wesentlichen darum, dass der selbständigen Pfarrei pleno iure im Jahre 1919 zu skizzieren. Der Verein ein humanistisches Vollgymnasium für Mädchen fordert, rheinischen Kirchengeschichtsforschung steht nunmehr ein wei-

360 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 terer Schlüssel für die ortsgeschichtliche Überlieferung zur Verfü- Entwicklungen im Bereich des Dokumenten-Managements. Auch gung, der seinen bleibenden Wert nicht erst beweisen muss. Nicht für Archive, deren Aufgabe die Übernahme und Archivierung von ungefähr gehört der Kreis Neuss schon seit längerem zu den von Unterlagen aus elektronischen Systemen ist, wird die Kennt- besterschlossenen katholischen „Kirchenarchivlandschaften“ in nis der Systeme, die in den abgabepflichtigen Stellen eingesetzt Deutschland; die Erschließung des Pfarrarchivs von Stürzelberg werden, nützlich sein. Zwar entsprechen die hier verwendeten rundet dieses Bild weiter ab. Bezeichnungen „Archivierung“ und „Langzeitarchiv“ nicht der Recklinghausen Matthias Kordes archivfachlichen Terminologie, dennoch ist es nützlich, diese bei Anbietern und Anwendern von Systemen gängige Begrifflichkeit zur Kenntnis zu nehmen. Auch die Probleme der langfristigen Ulrich Kampffmeyer, Barbara Merkel, Dokumenten- Verfügbarkeit von elektronischen Dokumenten werden praxis- Management. Grundlagen und Zukunft. 2. überarb., orientiert angesprochen, allerdings nicht umfassend behandelt aktual. und erw. Auflage. Project Consult, Hamburg (S. 65 ff.). Gerade im ersten Teil des Buches zeigt sich, dass die 1999. 318 S., 81 Abb., brosch. 30,– C. neue Auflage nicht vollständig aktualisiert wurde. So findet sich Zunehmend werden elektronische Systeme für die Verwaltung unter der Standardisierung von Formaten noch immer eine digital gespeicherter Unterlagen eingesetzt. Die Vielfalt der Beschreibung von ODA/ODIF (S. 144 f.) ohne einen Hinweis dar- systemtechnischen Lösungen und der verwendeten Bezeichnun- auf, dass diese Norm sich auf dem Markt nicht hat durchsetzen gen trägt dabei zu Unübersichtlichkeit und Verwirrung bei. Zu können, während XML in der Liste fehlt, wohl aber in dem neue- Recht sprechen Kampffmeyer und Merkel, die im Bereich der ren zweiten Teil der Publikation erwähnt wird (S. 224). Vermisst Unternehmensberatung tätig sind, daher von einer „babyloni- wird im Zusammenhang mit den funktionalen Anforderungen an schen Sprachverwirrung“, und ihre vorliegende Veröffentlichung Systeme auch eine Nennung der „Model Requirements for the soll zur Klärung der Begriffe beitragen. Sie beschreibt die wich- Management of Electronic Records (MoReq)“ der Europäischen tigsten technologischen Ansätze und Einsatzgebiete von Doku- Kommission. Dennoch vermag das Buch eine erste, grundlegende menten-Management-Systemen, erläutert Anforderungen an sol- Orientierung zu vermitteln und die wichtigsten Entwicklungsli- che Systeme und zeigt künftige Trends auf. Es handelt sich dabei nien aufzuzeigen. Für eine vertiefte Beschäftigung mit den hier um die zweite, aktualisierte und erweiterte Auflage einer bereits angesprochenen Sachverhalten ist dagegen weitere Literatur her- 1997 erschienenen Broschüre, die um einen neu verfassten, aktu- anzuziehen. ellen Überblick über die Marktentwicklung ergänzt wurde. Koblenz Michael Wettengel Im ersten Teil des Buches werden zunächst Begriffserklärun- gen gegeben sowie Produkte und Systeme beschrieben und von- Katalog der Leichenpredigten und sonstiger einander abgegrenzt. Dabei unterscheiden die Verfasser zwischen Trauerschriften in den städtischen Museen Zit- Dokumenten-Management-Systemen im engeren und im weite- tau. Bearb. von Rudolf Lenz, Werner Hupe, Helga ren Sinn. Dokumenten-Management-Systeme im engeren Sinn dienen der Verwaltung und dem Retrieval von Dokumenten in Petzoldt. Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart 2000. X, Netzwerken. Die Bildung von Dokumentengruppen, Versions- 120 S., 1 Klappkarte, brosch. 25,– C. management und selbstbeschreibende Dokument-Objekte sind (Marburger Personalschriften-Forschungen, Bd. 28.) wesentliche Merkmale von Dokumenten-Management. Die Zehn Jahre nach den ersten Bemühungen um eine Dependance Unterstützung von Bearbeitungsprozessen spielt dagegen der Marburger Forschungsstelle für Personalschriften an der zunächst keine bestimmende Rolle. In diesem Verständnis unter- Technischen Universität Dresden konnte von den fünf Mitarbei- scheiden sich Dokumenten-Management-Systeme beispielsweise tern nunmehr ein weiterer Band in der Reihe der Marburger Per- von Workflow- und von Groupware-Systemen. Die Charakteris- sonalschriften-Forschungen vorgelegt werden. Bereits seit 1991 tika der unterschiedlichen Systemkategorien und ihre Anwen- hatte man mit den Schwerpunkten Sachsen, Oberlausitz und dungsgebiete werden in dem Buch eingehend erläutert. Ange- Schlesien die Leichenpredigten und sonstigen Trauerschriften der sichts der sich zunehmend vermischenden Systemkonzepte plä- Breslauer Dombibliothek, des Hauptstaatsarchivs Dresden, der dieren die Verfasser für einen erweiterten Begriff von Dokumen- Sächsischen Landesbibliothek Dresden, der Schlosskirche zu ten-Management. Dieser stellt eine Sammelbezeichnung für Oels, der Bibliothek des Ossolineums in Breslau, der Wojewod- unterschiedliche Systemkategorien dar, beispielsweise sowohl schaftsbibliothek in Oppeln-Rogau, des Kamenzer Stadtarchivs für das klassische Dokumenten-Management im engeren Sinn, als und der Christian-Weise-Bibliothek Zittau ausgewertet und auch für Imaging, Workflow, Groupware, E-Mail-Systeme und publiziert. Folgerichtig schloss sich nunmehr die Aufnahme der digitale Archivsysteme. Dokumenten-Management-Systeme 327 Leichenpredigten und Trauerschriften des Zittauer Städti- werden künftig Funktionalitäten unterschiedlicher Systemkate- schen Museums und der Evangelisch-Lutherischen Superinten- gorien integrieren, um eine ganzheitliche Bearbeitung und Ver- dentur Zittau an. waltung von Dokumenten zu gewährleisten. Auf 80 Seiten und in bewährter Form auf der Basis eines 45 Danach werden funktionale Anforderungen und Systemanfor- Punkte umfassenden Fragenkataloges wurden die gefundenen derungen für Dokumenten-Management-Systeme aufgelistet Personalschriften, in der Mehrzahl Gedenkschriften mit Persona- und erläutert sowie eine Übersicht über Standards im Bereich von lia und weniger Leichenpredigten, kurz dargestellt. Ihre Samm- Dokumentenformaten, Systemen und Schnittstellen gegeben. Im lung verdanken sie einem Raritätenkabinett, das im 19. Jahrhun- zweiten Teil des Bandes folgt unter dem Titel „Die Zukunft des dert in Zittau zum Museum mit Handbibliothek umfunktioniert Dokumenten-Managements“ ein aktueller Überblick über die wurde. Marktentwicklung und Prognosen im Bereich des Dokumenten- Interessantes Detail der hier aufgezeigten Sammlung stellen Managements, die auf einem Vortrag und einer Studie der Verfas- die sehr ausführlichen und medizingeschichtlich auswertbaren ser für den International Information Management Congress im Krankheitsberichte dar, die immerhin bei 34,9% (114 Personen) Jahr 1998 beruhen. Es wird ein Ausblick auf die Entwicklung bei der Eintragungen, meist verfasst vom Zittauer Stadtphysikus Systemlösungen und Produktkategorien gegeben, die durch eine Dr.Johann Carl Heffter (1722–1786), nachweisbar sind. Erstaun- zunehmende Marktkonzentration und durch ein Zusammen- lich und für die vergleichende Geschlechterforschung zu beach- wachsen unterschiedlicher Technologien, vor allem die Integra- ten sind die für die Sammlung im Zittauer Städtischen Museum tion von klassischem Dokumenten-Management und Workflow nachweisbaren 41% der Katalogisate (132 Personen), die weibli- sowie die Nutzung von Internet/Intranet-Technologien, gekenn- chen Geehrten zuzuordnen sind. Aus ihnen erschließen sich vor zeichnet ist. Den Band beschließen ein Glossar sowie ein Litera- allem für das 18. Jahrhundert weiblicher Alltag und weibliche tur- und Abkürzungsverzeichnis. Lebensumstände. Das Buch bietet einen guten Überblick über unterschiedliche Wie gewohnt beschließen den Band die ausführlichen Perso- Systeme und Systemkomponenten, über Einsatzgebiete und nen-, Orts- und Berufsregister auf 37 Seiten. Besonders dankbar Anforderungen. Es trägt zur Begriffsklärung bei und bietet einen wird vom Fachpublikum das Register der bildlichen Darstellun- auf profunder Marktkenntnis beruhenden Einblick in Trends und gen sowie das der Mädchen- und Witwennamen angenommen

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 361 werden. Die ausklappbare Erläuterung der verwendeten Siglen archive, Amnesty International Research Archives u. a.) erwor- erleichtert die inhaltliche Erfassung der Katalogeinträge. ben wurden. Die verfilmten Unterlagen stammen dabei überwie- Seit 1998 werden auch die in Dresden ausgewerteten Bestände gend aus dem 19., vor allem aber aus dem 20. Jahrhundert. sicherungsverfilmt, so dass sie dem bereits in Marburg seit 1986 Das Gesamtverzeichnis wird durch laufende Aktualisierun- katalogisierten und verfilmten Bestand an Leichenpredigten und gen auf dem neuesten Stand gehalten. Die jeweils neueste Version Gelegenheitsschriften zugeordnet werden und damit dem Aus- kann über das Internet auf der Homepage der Bayerischen Staats- bau des Spezialarchivs für Personalschriften dienen. bibliothek abgerufen werden: . Der Unterschied zur gedruckten schriften Marburg und ihrer Dependance in Dresden, einen Kata- Fassung ist darin zu sehen, dass Einleitung, Benutzungshinweise log der Leichenpredigten der Städte Bautzen und Löbau zu erstel- sowie das Orts-, Personen- und Sachregister etwas knapper gehal- len sowie den umfangreichen Bestand an Trauerschriften der ten wurden. Ein Protokoll der Updates erlaubt einen raschen Oberlausitzer Bibliothek der Wissenschaften zu Görlitz herauszu- Zugriff auf die inzwischen vorgenommenen Nachträge und geben, können nur die besten Wünsche für ein ebenso solides Ergänzungen. Eine neue Druckfassung ist derzeit nicht vorgese- Gelingen mit auf den Weg gegeben werden. Schon jetzt kann man hen. dem Herausgeber, Rudolf Lenz, und seinen Mitarbeitern für diese München Bernhard Grau mühevolle Arbeit danken. Dresden Martina Wermes Die Männer- und Frauenklöster der Benediktiner in Rheinland-Pfalz und Saarland. In Verbindung Freddy Litten, Gesamtverzeichnis der ausländi- mit Regina Elisabeth Schwerdtfeger bearb. von Fried- schen mikroverfilmten Archivalien in der helm Jürgensmeier. EOS Verlag Erzabtei St. Ottilien Bayerischen Staatsbibliothek München. Osteu- 1999. 1196 S., 1 farb. Abb., 4 Karten, Ln. 70,– C. ropa-Institut München, München 1998. 239 S., brosch. (Germania Benedictina Bd. IX: Rheinland-Pfalz und 15,40 C. Saarland.) (Mitteilungen des Osteuropa-Instituts München, Bis zum Ende des Ancien Régime war Deutschland in unüber- Nr. 36) schaubarer Weise von Stiften und Klöstern verschiedenster Wie bereits im 50. Jahrgang des Archivar (S. 916 f.) mitgeteilt, Ordenszugehörigkeit übersät. Ihre kulturelle Bedeutung im wei- besitzt die Bayerische Staatsbibliothek in München eine umfang- testen Sinne war den Menschen, vor allem den Historikern, stets reiche Sammlung von Akteneditionen auf Mikrofilm bzw. Mikro- bewusst. Insofern hatte und hat das vom Max-Planck-Institut für fiche, die durch Ankäufe laufend ergänzt wird. Ein ähnlich Geschichte getragene große Forschungsprojekt der „Germania umfangreicher Bestand verfilmter Archivalien dürfte in Deutsch- Sacra“, in dem u. a. die einzelnen Stifte und Klöster nach einem land ansonsten nur noch bei der Staats- und Universitätsbiblio- einheitlichen Schema möglichst erschöpfend aufgearbeitet wer- thek Göttingen zu finden sein. den, seinen Sinn. Obwohl inzwischen – nicht zuletzt dank der Es ist als das Verdienst Freddy Littens anzusehen, wenn diese Mitwirkung von Archivaren – für einzelne Bistümer, z. B. Trier der bibliothekarischen Erschließungsweise nur bedingt zugängli- und Münster, eindrucksvolle Bände vorliegen, ist die Gesamtbi- chen Bestände in den zurückliegenden Jahren durch gedruckte lanz der „Germania Sacra“ eher dürftig, was in erster Linie auf Übersichten und Verzeichnisse einer breiteren Öffentlichkeit den angestrebten Perfektionismus zurückzuführen sein dürfte. bekannt gemacht wurden. Seit 1991 veröffentlichte er in der Reihe Das viel jüngere, aber ähnlich renommierte Projekt der „Ger- der Mitteilungen des Osteuropa-Instituts in München mehrere mania Benedictina“ geht bekanntlich andere Wege. Das auf 13 Teilverzeichnisse zu bestimmten geographischen Räumen (Ost- Bände angelegte Unternehmen orientiert sich in seiner Einteilung asien, Osteuropa, Westeuropa). Hinzu kam eine Publikation über an den heutigen Landes- bzw. Staatsgrenzen; es beschränkt sich britische und amerikanische Akteneditionen, die die beiden Welt- auf den Benediktinerorden und bezieht auch dessen nach der kriege betrafen. Säkularisation neu- oder am alten Ort wiedergegründeten Klöster Eine entscheidende Verbesserung der Zugänglichkeit brachte mit ein. Dass in dieser Hinsicht Vollständigkeit angestrebt wird, schließlich das von Litten 1998 vorgelegte Gesamtverzeichnis der also auch Niederlassungen behandelt werden, die nur kurze Zeit bei der Bayerischen Staatsbibliothek verwahrten ausländischen bestanden, macht die besondere Quälität der Bände als Nach- Archivalien auf Mikrofilm. Als dessen größter Vorteil ist hervor- schlagewerke aus. zuheben, dass es sich zur Ordnung und Erschließung des Prove- Der hier anzuzeigende Band IX der „Germania Benedictina“, nienzprinzips bedient. Die Editionen sind also weitgehend nach eine Generation nach dem ersten, Bayern gewidmeten Band von den Ländern und den die Originalunterlagen verwahrenden 1970 erschienen, beeindruckt schon äußerlich durch seinen Institutionen geordnet. Dies erleichtert eine systematische Suche Umfang: Er enthält eine instruktive Einleitung von Friedhelm Jür- und macht mühselige Katalogrecherchen vielfach überflüssig. gensmeier (S. 15–45), die Abhandlung von 55 (54) Abteien, Priora- Zugleich gibt das Verzeichnis einen nach Ländern geordneten ten und Propsteien in ortsalphabetischer Reihenfolge Überblick über bereits abgeschlossene beziehungsweise derzeit (S. 47–1094), einen vier Konventen gewidmeten Anhang, deren noch laufende Editionsprojekte. Zugehörigkeit zum Benediktinerorden umstritten ist (S. 1095– Der Schwerpunkt der Sammlung liegt dabei ganz eindeutig 1105), ein von Regina Elisabeth Schwerdtfeger erstelltes Register bei den Akteneditionen US-amerikanischer, britischer und russi- aller Orts- und Personennamen sowie ordens- und kirchenge- scher Provenienz, doch sind auch Verfilmungsprojekte aus Bel- schichtlicher Sachbegriffe (S. 1107–1196) und vier sehr übersicht- gien, Frankreich, Israel, Italien und den Niederlanden verzeich- liche Karten der benediktinischen Niederlassungen in Rheinland- net. Die inhaltliche Struktur der Sammlung wird im Wesentlichen Pfalz und Saarland (1), Klöster der Bursfelder Kongregation (2), durch die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförder- Klosteraufhebungen zur Zeit der Reformation (3) und Klöster im ten Sondersammelgebiete vorgegeben: Geschichte Osteuropas, 19. und 20. Jahrhundert (4), wobei allerdings die Verortung der des deutschsprachigen Raums, Frankreichs, Italiens und der nahe Maria Laach gelegenen Gladbacher Propstei Buchholz ver- Weltkriege. Dementsprechend überwiegen die Dokumente aus unglückt ist. dem Bereich der Außenpolitik. Doch ist nicht zu übersehen, dass Die nach bekanntem (wohldurchdachtem) Schema aufgebau- darüber hinaus inzwischen eine Fülle von Editionen zu bestimm- ten Artikel schwanken naturgemäß erheblich in ihrem Umfang, ten historischen Ereignissen (Französische Revolution, Judenver- sind aber gerade auch bei den kleineren Niederlassungen oder folgung, Adolf-Eichmann-Prozess u. ä.), Persönlichkeiten (engli- solchen, die nur kurzfristig bestanden, von großem Nutzen. Bei sche Könige bzw. Königinnen, verschiedene amerikanische Präsi- den bedeutenderen Abteien wie Disibodenberg, Hornbach, Klin- denten und russische Revolutionsführer; politischer Nachlass genmünster, Laach, Limburg an der Haardt, Altmünster und St. Emil Julius Gumbels; KGB-Dokumente über Hitler) oder Institu- Jakob in Mainz, Mettlach, Prüm, Rolandswerth, Schönau, Tholey tionen (British Broadcasting Corporation, amerikanische Verlags- sowie St. Eucharius-St. Matthias, St. Irminen, St. Martin und vor

362 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 allem St. Maximin in Trier schwellen die Artikel, nicht zuletzt beigegebenen Strukturschemata und Karten veranschaulicht ist. wegen der umfangreichen Literaturverzeichnisse, erheblich an. Dem schließt sich eine Registratur- und Überlieferungsgeschichte Mitunter sind mehrere Autoren, im Falle von St. Maximin sogar der im Staatsarchiv Münster verwahrten Bergbehörden an. sieben, an der Bearbeitung beteiligt. Die auf dem Titelblatt Aus naheliegenden Gründen müssen sich die Bearbeiter des genannten Bearbeiter haben streng genommen kein einziges Gesamtprojekts auf die Überlieferung der preußischen Oberberg- Kloster bearbeitet. Die Artikel stammen ausweislich des Verzeich- ämter und deren Vorläufer, sofern diese oberbehördliche Funktio- nisses der Mitarbeiter von insgesamt 42 Autorinnen und Autoren; nen ausgeübt haben, beschränken. Der häufig in Spezialinventa- darunter befinden sich viele aus der Archivarszunft. Mit Recht ren damit verbundenen Gefahr, den Blick des Benutzers auf wei- wird im Vorwort des Herausgebers P. Ulrich Faust OSB die tere potentielle, für den Gegenstand ebenso relevante Archivalien Redaktion des Bandes durch Friedhelm Jürgensmeier und Regina zu blockieren, ist Wiegand erfolgreich entgangen, indem hier auf Elisabeth Schwerdtfeger herausgestellt, angesichts des Gesamt- eine sachthematische Gesamtübersicht (S. 75–149) zur Überliefe- umfangs eine enorme Leistung, bei der man kleine Versehen (z. B. rung in anderen Beständen (z. B. allgemeine Verwaltung, Justiz- falsche Autorenangabe „Schukraft“ S. 8, statt Schuknecht S. 5 und behörden, Familien- und Gutsarchive, Nachlässe) des Staatsar- 901) gern nachsieht. Bei der enormen Bedeutung des Bandes für chivs Münster nicht verzichtet wurde. die Kirchen-, Ordens- und Landesgeschichte – weit über Rhein- Das eigentliche ca. 500-seitige Inventar schließlich vereinigt land-Pfalz und das Saarland hinaus – hätte man allerdings beim die Bestände vor allem des Märkischen Bergamtes Wetter (1738– Register insgesamt mehr Sorgfalt anwenden sollen. Abweichend 1815), des Westfälischen Oberbergamtes (1792–1810), der Westfä- von den früheren Bänden wird hier die Abkürzung „Kl.“ nicht lischen Salinendirektion (1804–1809) sowie des Oberbergamtes nur für klösterliche Niederlassungen, sondern „auch Stifte“ Dortmund (ab 1815). Ordnungsprinzip bildet nicht die Prove- (S. 1108) benutzt. Das berühmte Aachener Marienstift erscheint nienz, vielmehr geben hier sachthematische Aspekte den Aus- demnach unter „Aachen, – – Liebfrauen, Kl.“ (S. 1109); anderer- schlag. Dies ermöglicht einen systematischen, bestands- und epo- seits wird angegeben (S. 1196) „Zell, – St. Philipp (Stift)“. In den chenübergreifenden Zugriff beispielsweise zu Fragen der Bergge- meisten Fällen ist für den Unkundigen aber nicht ersichtlich, ob es setzgebung oder zur Organisation und inneren Verwaltung der sich um ein Kloster (wenn ja, welchen Ordens?) oder ein Stift han- Bergbehörden wie gleichermaßen zum Knappschaftswesen oder delt, weil alles unter dem Lemma „– Kirchen/Klöster/Stifte“ auf- zur Fürsorge. Neben der angeführten Bestandsbezeichnung, geführt wird. Eine Identifizierung – auch bei Orts- und Personen- Bestellsignatur und Laufzeit bieten vor allem die nicht selten aus- namen – hätte sicherlich zur Ausmerzung etlicher, z. T. peinlicher führlichen Enthält-Vermerke informativen Aufschluss über den Fehler geführt. Im Ganzen überwiegt aber die große Freude über Akteninhalt; darüber hinaus sind vielfach Vorprovenienzen, der einen in jeder Hinsicht gewichtigen Band, der in keinem Archiv Umfang der Akte bzw. das behördliche Aktenzeichen angemerkt. oder historischen Institut fehlen sollte. Den Autorinnen und Zur besseren Übersichtlichkeit wurden abweichend vom sachli- Autoren gebühren ebenso wie dem Redaktionsteam Dank und chen Prinzip lediglich Personalakten alphabetisch in einem Anerkennung für den von ihnen geschaffenen Band, der das gesonderten Abschnitt platziert. Unternehmen der „Germania Benedictina“ ein gewaltiges Stück Es steht zu erwarten, dass mit der Realisierung des Gesamt- weitergebracht hat und hoffentlich alle beflügelt, die an den noch projekts ein hilfreiches Instrumentarium für die weitere Erfor- fünf ausstehenden Bänden beteiligt sind. schung der regionalen Montangeschichte, ob aus dem Blickwin- Köln Toni Diederich kel der Berliner Zentrale, der jeweiligen Region selbst oder in ver- gleichender Perspektive zwischen den Bergbauregionen, ob nach wirtschafts-, sozial- oder rechtsgeschichtlichen Fragestellungen, Die preußische Berg-, Hütten- und Salinenver- zur Verfügung steht. Auch deshalb darf man auf die geplanten waltung 1763–1865. DieBestände in den Nordrhein- Folgebände zum Oberbergamt Bonn bzw. Halle, zu den schlesi- Westfälischen Staatsarchiven. Bd. 1: Staatsarchiv Mün- schen Bergämtern sowie zu den preußischen Zentralbehörden ster. Bearb. von Peter Wiegand. Nordrhein-Westfäli- gespannt sein, um so mehr, als dann auch ein gemeinsamer Index sches Staatsarchiv Münster, Münster 2000. 646 S., die Bände abschließen soll. Berlin Bärbel Holtz brosch. 17,– C. (Veröffentlichungen der staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfalen, Reihe C: Quellen und Forschun- Schöne neue Welt. Rheinländer erobern Amerika. gen, Bd. 47/1.) Bd. 1: Das Tagebuch des Johannes Herbergs. Bearb. v. Der hier vorzustellende Band bildet den Auftakt eines von der Dieter Pesch. 280 S. mit 52 z. T. farb. Abb.; Bd. 2: Auf- Volkswagen-Stiftung geförderten Gemeinschaftsprojektes, mit satzteil. Bearb. v. Kornelia Panek. 389 S. Martina dessen Abschluss die Überlieferung der einstigen preußischen Galunder Verlag, 2001. Brosch. Jeder Band 19,75 C. Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung im heutigen Nordrhein- Westfälischen Hauptstaatsarchiv Düsseldorf, im Nordrhein- (Führer und Schriften des Rheinischen Freilichtmu- Westfälischen Staatsarchiv Münster, im Geheimen Staatsarchiv seums und Landesmuseums für Volkskunde in Kom- Berlin Preußischer Kulturbesitz, im Landeshauptarchiv Magde- mern; Nr.59 und 60.) burg sowie in den polnischen Archiven Wroclaw (Breslau) und 1996 begannen im Rheinischen Freilichtmuseum in Kommern die Katowice (Kattowitz) inventarisch festgehalten sein wird. Dem Vorbereitungen zu einer Ausstellung, die sich der rheinischen wirtschafts- wie sozialhistorisch Interessierten wird dann ein Auswanderung nach Amerika widmen sollte. Während der schneller Überblick und gezielter Zugriff auf die Bestände der Arbeiten tauchte 1997 bei einer Auktion das Tagebuch des Johan- Provinzialbergbehörden der preußischen Hauptbergdistrikte wie nes Herbergs aus Ronsdorf auf. Es enthielt die Beschreibung sei- auf die Behörden der Berliner Zentralverwaltung möglich sein. ner Reise nach Amerika von 1764–66. Damit bekam das Museum Die Beständeübersichten konzentrieren sich dabei auf das Jahr- eine vorzügliche Quelle zur rheinischen Auswanderung im hundert zwischen dem Ende des Siebenjährigen Krieges 1763 mit 18. Jahrhundert an die Hand. Dieter Pesch edierte es, versah es der dann einsetzenden Gründung der Oberbergämter und dem mit einer ausführlichen Einleitung, umfangreichen Kommenta- Allgemeinen Preußischen Berggesetz von 1865, als das Prinzip ren und zahlreichen vorzüglichen Illustrationen. Der Hauptinhalt staatlicher Direktion schließlich abgeschafft wurde. des Tagebuchs besteht in der Darstellung der Schwierigkeiten, Thematisch orientierte Quellenübersichten gelten längst als denen sich Herbergs gegenüber sah, als er versuchte, eine Erb- wichtige Informationsmittel für die Forschung. Der von Peter schaftsangelegenheit zu regeln. Sodann enthält es eine penible Wiegand bearbeitete Band reicht sichtlich über den archivwissen- Buchführung, um die ihm entstandenen Kosten aufzulisten. Das schaftlichen Terminus Inventar hinaus. In einem etwa 50-seitigen zusammen wäre keine Rechtfertigung für die aufwendige Edi- Exkurs – fußend auf breiter Literatur- und Quellenbasis – wird tion. Sie leitet sich eher aus den Passagen her, in denen Herbergs zunächst der Entwicklung der Berg-, Hütten- und Salinenverwal- seine Eindrücke von der Atlantiküberquerung, der Ankunft und tung im preußischen Westfalen nachgegangen, die zusätzlich in dem Leben in Amerika festhält. Nicht umsonst wird es im Auf-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 363 satzband von zwei Autoren (Aaron Spencer Fogleman: Immi- sachdienlichen Berichten und Hinweisen die keineswegs leichte grants and Fortune Seekers in Eighteenth-Century America und Reise vorbereiten halfen (Peter Schäfer: Die Rudolstädter, Bre- J. M. Duffin: Aspects of Everyday Life Among German Settlers mer und Hamburger Auswanderungszeitung). Es war ein gewal- of Seventeenth and Eighteenth Century Philadelphia and Ger- tiger Schritt, die Heimat zu verlassen, um in Amerika neu zu mantown) als Hauptquelle für ihre Untersuchungen genutzt. beginnen. Auf Rosen gebettet waren die Auswanderer jedenfalls Ohne auf die minutiös rekonstruierten Familiengeschichten nicht, und viele bezahlten die Entscheidung schon bei der Über- und die Ursachen näher einzugehen, die zur Reise des J. Herbergs fahrt durch Erkrankung oder Schiffskatastrophen mit dem Leben nach Amerika führten, sei soviel festgehalten, dass sie im Zusam- (Cornelius Neutsch: Der Weg in die Neue Welt). menhang der Auswanderung von 13 Familien aus Krefeld 1683 Neben der Schilderung der Ursachen, die zur Auswanderung stehen. Hier hebt Pesch mit Recht hervor, dass die Familien nur führten, nimmt die Darstellung des Lebens der Auswanderer in zum Teil aus Krefeld stammten. Die Heimat der Auswanderer Amerika breiten Raum ein. Mehr als eine Verbeugung vor den war der Niederrhein, waren Mönchengladbach, Rheydt, Rhein- Moden des Zeitgeistes ist dabei der Beitrag von Elke Hertel, die dahlen, Wickrath, Wickrathberg, Kempen, Dülken, Kaldenkir- dem Leben der Emigrantenfrauen aus dem Raum Meerbusch/ chen (Bd. I, S. 12). Krefeld diente lediglich als Sammelstätte, an Krefeld nachging. Alltägliche Mühsal und Leidenserfahrung der die Vorbereitungen für die Auswanderung getroffen wurden. (S. 258) – mit diesen Begriffen charakterisiert Hertel den Alltag Was die Qualität des Tagebuchs angeht, so liegt, bei kritischer der Frauen und weiß ihn auch anschaulich zu schildern. Amerika Betrachtung, der Hauptwert in seiner Singularität. Herbergs gibt empfing die Neuankömmlinge nicht mit offenen Armen, aber gab über weite Strecken Banalitäten wieder. Notierenswert ist ihm vor jedem die Chance, etwas aus seinem Leben zu machen, und das allem, was sich in Zahlen fassen lässt (Preise, Gewichte, Entfer- war vielfach weit mehr als die Auswanderer in ihrem Ursprungs- nungen, Mengen). Das hält er mit buchhalterischer Gewissenhaf- land erhoffen konnten. tigkeit minutiös fest. Seltener finden sich allgemeine Beobachtun- Mit diesen knappen Einblicken ist noch nicht die Fülle der in gen zu Land und Leuten, politischen Verhältnissen und Gegeben- den beiden Bänden angesprochenen Themen dargestellt. Man- heiten. Aber sie fehlen nicht. Man muss dem Tagebuchschreiber cher Aufsatz trägt zur Nüchternheit bei, indem er den verklären- allerdings zugute halten, dass er Kaufmann und kein Schriftstel- den Blick auf rheinische Spuren relativiert (z. B. Tobias Arand: ler war. Die englische Sprache beherrschte er am Beginn seiner Peter Minuit aus Wesel) oder feststellt, spezifisch Rheinisches Reise nicht. So konnte er vieles nur von außen beurteilen. habe sich in Amerika schnell verloren. Was sich nicht so schnell Da ist es denn von Vorteil, dass es neben der Tagebuchedition verloren hat, war das Bekenntnis der Auswanderer zu ihren deut- auch einen Aufsatzband zum Thema „Rheinische Auswande- schen Wurzeln. Dieser Aspekt kommt m. E. etwas zu kurz und rung“ gibt. Insgesamt 20 Beiträge – teils für den Aufsatzband findet sich nur en passant erwähnt. Gerade hier hat ein Rheinlän- geschrieben, teils Abdrucke der Symposienbeiträge in der Abtei der seine Stimme erhoben, und zwar der aus Dülken stammende Brauweiler im Mai 2000 – weiten den Blick und zeichnen ein diffe- Joseph D. Vehling. renziertes Bild der Auswanderung nach Amerika seit dem Viersen Arie Nabrings 17. Jahrhundert. Nun betrat man damit kein Neuland. Die Ame- rika-Auswanderung als Gegenstand historischer Forschung wird Spätmittelalterliche städtische Geschichtsschrei- schon seit langem intensiv untersucht und diskutiert. Neu ist bung in Köln und im Reich. Die „Koelhoffsche“ allerdings die Fokussierung des Blicks auf die speziellen rheini- Chronik und ihr historisches Umfeld. Hrsg. von Georg schen Gegebenheiten und die Frage nach den Spuren der Rhein- Mölich, Uwe Neddermeyer und Wolfgang länder in der Neuen Welt. Die gelungene Auswahl der Beiträge liefert die Rechtfertigung für die Beschränkung der Untersu- Schmitz. SH-Verlag, Köln 2001. 160 S., geb. 34,– C.. chung, wobei die Autoren nicht immer im Rheinland bleiben. Die (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins, Auswanderungs- und Übersiedlungspolitik des Königreichs Bd. 43.) Hannover, die sich dadurch ihrer sozialen Problemfälle entledi- Der vorliegende, vom Kölnischen Geschichtsverein mit Hilfe u.a. gen wollte, erfährt eine eingehendere Darstellung (Antonius des Erzbistums Köln und des Landschaftsverbands Rheinland Holtmann: „Den müssen wir nach Amerika schicken“), weil es publizierte Band erschien aus Anlass des fünfhundertsten Jahres- in der preußischen Rheinprovinz, angeregt durch das Beispiel tages der Drucklegung der „Koelhoffschen“ Chronik. Diese „Cro- Hannovers, ähnliche, allerdings nicht verwirklichte Überlegun- nica van der hilliger stat van Coellen“ wurde 1499 durch Johann gen gab (Gerd Behrens: Zur Auswanderung von Sträflingen und Koelhoff den Jüngeren – einem Drucker, von dem sonst nur anderen ungeliebten Personen aus dem Rheinland). Bremen-Bre- wenige und eher kleine Editionen überliefert sind – mit großem merhaven als Transitstation musste geradezu zwangsläufig mit- Aufwand publiziert. Der Verfasser ist bis zum heutigen Tage behandelt werden (Horst Rößler:Bremen-Bremerhaven als Tran- unbekannt. Die Forschung streitet seit langem nicht nur über des- sitstation für Auswanderer aus dem Rheinland im 19. Jahrhun- sen nur vermutbare Identität, sondern auch über Umstände der dert), um eine sachgerechte Schilderung der Auswanderung zu Drucklegung und die Gründe und den Umfang des städtischen liefern. Wenn das Rheinland also verlassen wird, geschieht es aus (nicht kirchlichen!) Einschreitens gegen den Drucker. Als histori- überzeugenden Gründen. sche Quelle, nicht zuletzt für die Herrschaftsideologie der führen- Zum Verständnis der Auswanderung ist ein Blick auf die Ursa- den Kreise im spätmittelalterlichen Köln und für die an dieser chen natürlich unumgänglich. Da treten für das 17. und 18. Jahr- geäußerten intellektuellen Kritik, ist sie von größter Bedeutung. hundert die religiösen Gründe in den Vordergrund (Ulrich Der Band enthält insgesamt neun Beiträge. Jene von Carl Bister: Beziehungen zwischen amerikanischen und rheinischen August Lückerath und von Anna-Dorothee von den Erweckten), um im 19. von den wirtschaftlichen (Friedrich Zun- Brincken,diesich mit den mittelalterlichen Voraussetzungen für kel: Auswanderung als notwendiges Ventil) und politischen die von Koelhoff edierte Chronik befassen, sind von besonders (Antonius Holtmann: Amerika-Auswanderung im Kontext hohem quellenkritischen Niveau. Volker Henns Aufsatz stellt einer Revolution) abgelöst zu werden. Die alles die stadtkölnische Geschichtsschreibung in den großen Gesamt- andere überragende Triebfeder der Auswanderung war jedoch zusammenhang der spätmittelalterlichen Stadtchronistik im die wirtschaftliche Situation. Selbst der Anstieg der Auswande- nördlichen Deutschland, und Robert Meier vergleicht die „Koel- rerzahlen 1850 und einige Jahre später hat seine Hauptursache in hoff“-Chronik mit der um 1470 in Köln entstandenen „Agrip- den ökonomischen Verhältnissen und führt sich nicht auf exilierte pina“ des Heinrich van Beek, die in sieben Handschriften überlie- und geflohene Revolutionäre oder politisch enttäuschte Massen fert ist, aber niemals zum Druck gelangte. Christoph Reske zurück (S. 330). beschäftigt sich mit rein buchkundlichen Fragen (u. a. Anzahl der In Zeiten, in denen es noch keine Massenmedien gab, stellt sich Drucktypen und „Layout“), während Uta Goerlitz’ Untersu- natürlich die Frage, wie sich an der Auswanderung Interessierte chung über den Mainzer Humanisten Hermann Piscator († 1526) informieren konnten. Da waren es zum einen die Briefe der bereits weitestgehend philologisch-historiographischer Natur ist und Ausgewanderten an die Verwandten in der alten Heimat aber nur indirekt mit Koelhoffs Chronik der Stadt Köln in Zusammen- sodann vor allem sogenannte Auswandererzeitungen, die mit hang steht.

364 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Die Beiträge der beiden verbleibenden Autoren, Heinz Finger Kernstück werden in einer Chronik die studentischen Proteste der und Uwe Neddermeyer, sind – ohne die übrigen abwerten zu Jahre 1965 bis 1970 einzeln erfasst. Die abschließende Bibliograhie wollen – von ganz besonderem Interesse, weil zwischen ihnen ist thematisch gegliedert und erhebt keinen Anspruch auf Voll- zurückhaltend, aber deutlich eine bemerkenswerte Kontroverse ständigkeit. Das ist bei der Fülle der Literatur auch nicht zu der Forschung ausgetragen wird. Bei dieser geht es um die erwarten. Die Erfassung der weltweiten studentischen Proteste genaueren Umstände der Drucklegung und des Verkaufs der der 60er und 70er Jahre hätte den Rahmen des Projektes „Koelhoffschen“ Chronik: für Finger um die Wirtschaftlichkeit gesprengt. des Unternehmens und die Eingriffe der Zensur, für Nedder- Über das dreigeteilte Register – Institution, Organisation und meyer um die Wirtschaftlichkeit in Zusammenhang mit der Auf- Hochschulen; Personenregister sowie ein Orts- und Länderregi- lagenhöhe, die Finger – der älteren Forschung folgend – a priori ster – erreicht der Benutzer schnell die gewünschten Informatio- als gering ansetzt. Da Finger auch die Zensur in seine Untersu- nen über punktuelle aber auch über größere Zusammenhänge. chung einbezieht, ist sein Beitrag mehr am Inhalt der Chronik Die Einleitung ist knapp und führt den Leser auf die drei großen interessiert als der Neddermeyers. Er glaubt, den Autor als einen Bestandteile des Buches hin, das sowohl durch den methodisch Mendikanten, genauer einen Augustinereremiten, bestimmen zu vorbildlichen Aufbau als auch durch die inhaltliche Vielfalt zu können. überzeugen weiß. Der eigentlich springende Punkt der Kontroverse ist die Frage, Leipzig Gerald Wiemers ob die Chronik Koelhoffs wirtschaftlichen Ruin bedeutete oder nicht, und wenn sie ein ökonomischer Fehlschlag war, dann aus welchen Gründen? Für Heinz Finger ist der wirtschaftliche Fehl- Johannes Vossen, Gesundheitsämter im National- schlag ebenso ein Faktum wie der geistesgeschichtlich hohe Wert sozialismus.Rassenhygiene und offene Gesundheits- des Werkes. Für Uwe Neddermeyer ist die Drucklegung der Chronik zwar auch kein Geschäftserfolg, aber das Problem für fürsorge in Westfalen 1900–1950. Klartext-Verlag, Essen Koelhoff war nach ihm die auf ihrem Tiefpunkt angelangte Kon- 2001. 546., geb. 32,90 C. junkturlage für niederdeutsche Chroniken, nicht jedoch die (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte eigene Fehlkalkulation. und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 56.) Heinz Finger stützt seine Ansicht auf altgesicherte For- Die Geschichte des öffentlichen Gesundheitswesens während der schungsergebnisse, besonders auf jene von Severin Corsten. Uwe NS-Diktatur ist seit Ende der 1980er Jahre stärker in das Blickfeld Neddermeyer beruft sich auf die eigene, gewiss bemerkenswerte der Geschichtswissenschaft gerückt. Wegweisende Studien dieser Habilitationsschrift („Von der Handschrift zum gedruckten Zeit haben die enge Vernetzung der Gesundheitspolitik mit der Buch“, Wiesbaden 1998). Es scheint dem Rezensenten, dass die spezifisch nationalsozialistischen Bevölkerungs- und Rassenpoli- „Koelhoff“-Chronik aber kein günstiger Gegenstand ist, um die tik herausgestellt. Jedoch war die Geschichte der in diesem dort gewonnenen Ergebnisse zu verifizieren. Die Drucklegungs- System zentralen Gesundheitsämter und der dort beschäftigten geschichte dieser Chronik lässt sich „herkömmlich“ besser erklä- Personen über die Etablierungsphase bis Mitte der 1930er Jahre ren. Dies hindert nicht, dass die Theorien Neddermeyers aufs hinaus bislang ein Desiderat der Forschung. Diese Lücke ist nun- Ganze gesehen unbedingt von der Frühdruckforschung zu rezi- mehr von Johannes Vossen geschlossen worden, der einen bedeu- pieren und in die bisherigen Modelle zu integrieren sind. tenden Beitrag zum differenzierteren Verständnis der Medizin im Düsseldorf/Köln Harald Horst Nationalsozialismus liefert. Zurecht legt Vossen einen besonde- ren Schwerpunkt auf die Rolle der Gesundheitsämter im Natio- Die Studentenproteste der 60er Jahre. Archivführer nalsozialismus. Durch das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Gesundheitswesens“ wurden die Gesundheitsämter zur entschei- – Chronik – Bibliografie Hrsg. von Thomas P. Becker denden Instanz in der Umsetzung der nationalsozialistischen und Ute Schröder. Böhlau Verlag, Köln-Weimar-Wien Rassen- und Bevölkerungspolitik, die dort tätigen Ärzte zu orga- 2000. 381 S., geb. 39,90 C. nisatorischen Treibriemen dieser Politik. Das „Vereinheitli- Der vorliegende Band schließt eine Lücke. Die archivische Aufbe- chungsgesetz“ war demnach, wie auch Vossen herausarbeitet, reitung der Studentenproteste, der Nachweis über möglichst alle weniger ein Organisationsgesetz als vielmehr die Grundlage, um schriftlichen Quellen, scheint hinter den individuellen, historisie- die spezifischen nationalsozialistischen „Erb- und Rassenge- renden Darstellungen zurückzutreten. Dennoch wird das Buch setze“ umzusetzen. als wichtiger Quellennachweis bestehen können. 30 Jahre nach In der überaus materialreichen Dissertation, die das zur Verfü- den 68er-Protesten bleiben die bundesweiten studentischen gung stehende Quellenmaterial der Kommunal- und Staatsar- Aktionen von 1997/1998 weit zurück. Der Anschluss an diese Zeit chive umfassend ausgewertet hat, wird weit mehr geleistet, als ist halbherzig, begrenzt. Große, charismatische Führungspersön- der eingrenzende Untertitel der Studie suggeriert. Denn Vossen lichkeiten fehlen. Die Ergebnisse sind eher mager. Nicht das Jubi- gelingt eine umfassende Analyse des öffentlichen Gesundheits- läum und die Studentenproteste rückten die 68er-Bewegung in wesens, der prägenden Gesundheitswissenschaften und der für den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, sondern der mediale die praktische Arbeit vor Ort eingerichteten Institutionen von der Rückgriff auf einzelne Aktivisten aus dieser Zeit, die inzwischen Jahrhundertwende bis in die Frühgeschichte der Bundesrepublik respektable Regierungsposten innehaben. Deutschland. Insbesondere wird den beiden zentralen Aufgaben- Unabhängig von den Zeitläufen setzte die Fachgruppe 8 bereichen der Gesundheitsämter im Nationalsozialismus, der bereits 1996 im Verein, heute Verband deutscher Archivarinnen „Erb- und Rassenpflege“ und der Gesundheitsfürsorge von ihren und Archivare, eine Arbeitsgruppe mit dem Ziel ein, die oft ver- Anfängen um die Jahrhundertwende, über ihre wechselseitige streuten Archivalien in den verschiedenen Archiven systematisch Durchdringung in der Weimarer Republik bis hin zur eindeutigen zu erfassen. Promotor dieser Arbeitsgruppe war von Anfang an Fixierung auf das „Konstrukt“ Rasse nach 1933 nachgegangen. Dr. Thomas Becker (Universitätsarchiv Bonn). Erste Ergebnisse Auch der Neu-/Wiederaufbau des öffentlichen Gesundheitswe- konnten in der Fachgruppensitzung auf dem Archivtag 1998 in sens nach 1945 wird vom Autor differenziert hinsichtlich der Münster präsentiert werden. Zwei Jahre später legten Thomas Frage nach personellen und konzeptionellen Kontinuitäten und Becker und Ute Schröder (Universität Bonn), unter Mitarbeit Brüchen untersucht. Hierbei wird auch erstmalig in diesem Aus- der Universitätsarchivare Wolfgang Müller (Saarbrücken), Eva- maße die Entnazifizierung des medizinischen Personals der Maria Felschow (Gießen), Jürgen Siggemann und Detlev Gesundheitsämter analysiert, wobei Vossen insgesamt die Thesen Franz (beide Mainz) einen Band vor, der hohen Ansprüchen bestätigen kann, dass gerade die Entnazifizierung der Ärzte von genügt. Neben dem eigentlichen Archivführer, der das ganze der britischen Besatzungsbehörde mit besonderer Vorsicht durch- Spektrum der Archive, ausgenommen die Kirchenarchive, dazu geführt wurde. wichtige private Sammlungen erfasst, sind Archive in Österreich Die vom Autor dargestellten Entwicklungslinien werden und der Schweiz einbezogen, ohne dass hier Vollständigkeit zu immer wieder gelungen am Fallbeispiel Westfalen festgemacht, erreichen war, wie die Fehlliste ausweist. Neben dem eigentlichen wobei Vossen stets souverän auf dem aktuellen Forschungsstand

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 365 und der Quellenkenntnis argumentiert, so dass die Untersuchung dung mit der Loyalität zum NS-Staat zu verbinden.“ (S. 604) dazu beiträgt, die Erforschung der Geschichte der Gesundheits- Auch in den Kreisen Düren und Jülich sei der „Hitler-Mythos“ politik im Nationalsozialismus insgesamt einen großen Schritt weit verbreitet gewesen mit der Folge, dass von „Resistenz des ja nach vorne zu bringen. gerade im Düren-Jülicher Land sehr ausgeprägten ‚katholischen Düsseldorf Wolfgang Woelk Milieus‘ keine Rede“ sein könne, „da man ... an der vom NS- Regime offerierten ‚Volksgemeinschaft‘ und ihren ‚kultischen‘ und (zuweilen durchaus) sozialen Einrichtungen regen Anteil Horst Wallraff, Nationalsozialismus in den Krei- nahm.“ (Ebd.) Das Fazit des Verf.: „Vielleicht gab es bei etlichen Menschen tatsächlich innere Vorbehalte gegen die brutale Aus- sen Düren und Jülich.Tradition und »Tausendjähri- grenzung und Verfolgung der jüdischen, polnischen und behin- ges Reich« in einer rheinländischen Region 1933 bis derten ‚Gemeinschaftsfremden‘, und vielleicht zwang das ‚katho- 1945. 2. Auflage. Hahne & Schloemer Verlag, Düren lische Milieu‘ die orts- und kreisleitenden NS-Funktionäre auch a 2000. XIV, 606 S. und 84 S. Anhang, geb. 30,– C. priori zur Mäßigung, doch belegen lässt sich nur ein in seinem Die aus einer Kölner Diss. hervorgegangene, auf breiter Material- Ausmaß allzu geringer ‚Dissens‘ der Bevölkerung gegenüber der grundlage basierende Arbeit von W. versteht sich als „regional- nationalsozialistischen ‚Rassenpolitik‘ ... .“ (S. 605) Der Verf. hat historische NS-Analyse“ mit dem Forschungsziel, im Kontext des eine verdienstvolle Studie zur rheinischen Regionalhistorie vor- übergreifenden gesamtstaatlichen Bezugsrahmens des NS- gelegt, die zahlreiche vertiefende Erkenntnisse zur höchst kom- Systems eine „komparative (historische) Strukturanalyse“ (S. 6) plexen und wechselvollen Geschichte einer katholischen Region der Geschehnisse in den beiden damaligen Kreisen Düren und unter dem Nationalsozialismus bietet. Jülich zu leisten und dabei im Sinne des Postulats einer „Gesell- Aachen Rüdiger Schütz schaftsgeschichte“ zu klären, wie und in welchem Maße das NS- Regime die Lebensverhältnisse und das Verhalten der Bevölke- rung geprägt und beeinflusst hat. Nach einleitenden Ausführun- JürgenWilke,Grundzüge der Medien und Kommu- gen zur Problematik lokaler und regionaler Forschungen zur NS- Zeit, zur Quellenüberlieferung und zu grundlegenden methodi- nikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. schen Fragen (Ertrag und Wertigkeit von Zeitzeugenbefragun- Jahrhundert. Böhlau-Verlag, Köln-Weimar-Wien 2000. gen, „Oral History“, „Alltagsgeschichte“) skizziert W. zunächst 436 S. 27,50 C. die entwicklungsgeschichtlichen Grundlinien der Düren-Jülicher Wilke schränkt in seinem Überblick die Medien- und Kommuni- Region vom 19. Jahrhundert bis zum Ende der Weimarer Repu- kationsgeschichte im Wesentlichen darauf ein, was nach der blik (S. 23–40), widmet sich sodann unter dem Titel „Inkubation“ Erfindung der Drucktechnik im 15. Jahrhundert als Medien der der „Kampfzeit“ der NS-„Bewegung“ im Dürener und Jülicher Information, Massenbeeinflussung und öffentlichen Meinungs- Land (S. 41–78) und behandelt anschließend die Formierungs- bildung entstand und sich fortentwickelt und was er als „Massen- phase des NS-Systems unter den Begriffen „Nationale Revolu- kommunikation“ bezeichnet. Ausgehend von den Einblattdru- tion“ und „Gleichschaltung“ bis zur Zerschlagung der sozialde- ken zu den frühen Zeitungen und Zeitschriften verfolgt er deren mokratischen und kommunistischen Arbeiterbewegung Entwicklung bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in insgesamt (S. 81–206). Dabei erweist sich, dass sich auch im „katholischen acht Kapiteln. Die Darstellung bricht im Wesentlichen mit dem Milieu“ der Kreise Düren und Jülich ein Prozess der partiellen Beginn des I. Weltkriegs ab, indem er auf Forschungslücken und „Selbstgleichschaltung“ vollzog, der nicht zuletzt auch in der vor allem die Existenz anderer umfassender Kompendien ver- wachsenden Anzahl (auch katholischer) „Märzgefallener“ seinen weist. Sie beschränkt sich im Wesentlichen auf Deutschland, kom- Ausdruck fand. Das Folgekapitel „Regime“ (S. 207–440), dem die pakt formulierte Einblicke in die Entwicklung vor allem der west- Leitfrage: „‚Schwarze‘ Region in braunem Gewand?“ vorange- lichen Nachbarländer sind hinzugefügt. Nicht behandelt werden stellt ist, analysiert zunächst eingehend und detailreich den Kom- der gesamte Bereich der Buchherstellung und -distribution, so plex „Alltag“ und „Brauner Kult“ und sodann den Bereich „Kir- dass die unterhaltenden Medien sowie der künstlerisch-literari- che und Glaube: Hort des Widerstandes oder Rückzug auf innere schen Kommunikation bzw. deren mediale Vermittlung nicht zur Emigration?“ Das Fazit des Verf.: „Auch wenn die Renitenz der Sprache kommen und in den behandelten Sektoren nur eine völlig genannten – katholischen und protestantischen – Geistlichen zum untergeordnete Rolle spielen. Die Fotografie findet unter den wenigsten Teil politisch motiviert gewesen ist und in der Tat die „Vorläufern“ in einer ausführlicheren Darstellung des Films bzw. Funktionsfähigkeit des NS-Regimes kaum gefährdet haben mag, des Kinos Erwähnung, ein Kapitel, das auch auf die Anfänge des so hat diese anti- und nichtnationalsozialistische Widerspenstig- Rundfunks und seines Programms in den 20er Jahren eingeht. keit doch mit einiger Sicherheit zahllose Christen in ihrem Glau- Wilke argumentiert in den einzelnen Kapiteln entsprechend ben und damit in ihrer Treue zur Kirche bestärkt ...“ (S. 340). Es dem „klassischen“ Modell der öffentlichen Kommunikation. Er folgt der Komplex „Jugend und Schule: ‚Arische‘ Erziehung oder fragt nach den technischen wie auch häufiger nach den im enge- konfessionell bestimmte Bildung?“, dem sich der Themenbereich ren Sinne ökonomischen Voraussetzungen und rechtlichen Rah- „Arbeit und Industrie: ‚Führer‘ der Wirtschaft oder verführtes menbedingungen für die jeweilige Entwicklung von Zeitungen Patriarchat?“ anschließt. Im Folgekapitel „Krieg“ (S. 443–576) und Zeitschriften, darüber sind politisch bewegte Zeiten nach behandelt der Verf. zunächst den „Kriegsalltag: Zwischen Ideolo- Meinung des Verf. häufig ein Anstoß dafür, Massenkommunika- gie und Inferno“, untersucht sodann unter dem Schlüsselbegriff tion auszubauen und weiter zu entwickeln. Abschließend fragt er „Rassenwahn“ eingehend die Komplexe „‚Euthanasie‘, Fremdar- am Ende eines jeden Abschnitts nach den Wirkungen der sich in beiter und die Eliminierung der jüdischen Gemeinden“ und gibt jeweils veränderten Entwicklungsstadien befindlichen Publizis- danach eine eindringliche Schilderung des „totalen Krieges“ mit tik. Breitere sozial- und mentalitätsgeschichtliche Voraussetzun- der am 16. November 1944 erfolgten Zerstörung der Städte Düren gen – über die steigende Alphabetisierungsquote hinaus – für den und Jülich und dem nachfolgenden Kriegsgeschehen. Das quantitativen Ausbau wie die inhaltlichen Veränderung des Pres- Schlusskapitel „Folgen“ (S. 577–600) ist den drei Bereichen „Eva- sewesens, die den Gang der Entwicklung stärker als Prozess kuierung, Enttrümmerung, Entnazifizierung“ gewidmet. Allen wechselseitiger Beeinflussung von Produzenten und Publikum Kapiteln ist reiches zeitgenössisches Bildmaterial beigegeben. erscheinen ließen, werden nur kurz angesprochen aber nicht wei- Den Abschluss bildet ein hilfreicher Anhang mit Kurzbiogra- tergehend reflektiert bzw. für die Darstellung fruchtbar gemacht. phien. Vor dem Hintergrund der in der rheinischen landes- und Unter Berücksichtigung der beschriebenen Einschränkungen regionalgeschichtlichen Historiographie immer wieder erörterten findet der Leser – und hier ist in erster Linie an „Einsteiger“ in die Frage nach der (vermeintlichen) Resistenz des katholischen Pressegeschichte zu denken – eine gut lesbare, alle relevanten Milieus gegenüber dem Nationalsozialismus gelangt W. zu dem Fakten und auch die vorhandene Literatur (das Verzeichnis (auch von L. Haupts für Aachen konstatierten) Ergebnis, dass „bei umfasst 60 Seiten) verarbeitende Darstellung des Zeitungs- und einer großen Mehrheit der Katholiken“ ab 1933 das Bestreben Zeitschriftenwesens vor, das – soweit dazu überhaupt Untersu- sichtbar geworden sei, „ihre religiöse und weltanschauliche Bin- chungen vorliegen – auch auf deren Inhalte eingeht. Ein Perso-

366 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 nen- und Titelregister unterstreicht den Wert des Buches als Nach- che-Beziehung ausgewirkt hat. Dass nicht nur katholischerseits schlagewerk und erleichtert den Einstieg für weiterführende die staatliche Bevormundung der Kirche zum Dissens und zur Recherchen und Auseinandersetzungen mit spezielleren Frage- Opposition führte, zeigt Bettina K. Dannemann am Beispiel des stellungen. Erweckungs- und Vereinswesens im badischen Protestantismus. Stuttgart Edgar Lersch Gleichsam in Ergänzung hierzu liefert Gerhard Schwinge einen Überblick über das Engagement kirchlicher Kreise im Vereinswe- sen jener Jahrzehnte. Einen ganz anderen Themenkomplex bear- Zwischen „Staatsanstalt“ und Selbstbestimmung. beiten Hermann Ehmer und Gregor Richter in ihren jeweiligen Kirche und Staat in Südwestdeutschland vom Beiträgen, und zwar den der Finanzen; sie arbeiten die histori- Ausgang des Alten Reiches bis 1870. Hrsg. von schen Grundlagen der staatlichen Leistungen sowohl an die evan- gelischen Landeskirchen in Württemberg und Baden als auch an Hans Ammerich undJohannes Gut (†). Jan Thorbecke die katholische Kirche in Württemberg, also dem Sprengel des Verlag, Stuttgart 2000. 348 S., davon 1 farb. Abb., Ln. neu errichteten Bistums Rottenburg-Stuttgart, heraus. Eines der 32,72 C.. seit jeher brisantesten Themen innerhalb der vielfältigen Staat- (Oberrheinische Studien, Bd. 17.) Kirche-Beziehungen beleuchtet Joachim Maier, der sich ausführ- Bereits die Abbildung auf dem Umschlag des hier anzuzeigen- lich zur Frage der Schule, insbesondere dem problematischen den, übrigens sehr empfehlenswerten Sammelbandes fokussiert Feld der Schulaufsicht in den beiden gemischt konfessionellen einige der zentralen sozialen und (kirchen-)politischen Umwäl- Staaten Baden und Württemberg äußert. Der abschließende Auf- zungen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert: Die Lithogra- satz ist dem Judentum gewidmet und zeigt für beide Länder eine phie von etwa 1840 zeigt das älteste – 1944 zerstörte – evangeli- von staatskirchlichen Vorstellungen geprägte Politik, wobei sich sche Gotteshaus im ehemaligen Vorderösterreich, die Ludwigs- jedoch Baden im Vergleich zu Württemberg als der liberalere Staat kirche in Freiburg, benannt nach dem neuen Landesherrn, dem hinsichtlich seiner Haltung gegenüber jüdischen Belangen, wie badischen Großherzog. Errichtet wurde die Kirche zwischen 1829 beispielsweise der auch hier zentralen Schulfrage, erwies. Die und 1839 aus dem Baumaterial und ganz im romanischen Stil der Entscheidungen der Regierungen wie der Kirchenleitungen in Kirche der 1806 säkularisierten, im Sprengel des 1821 aufgehobe- beiden Territorien waren, so das Resümee des Autors Uri nen Bistums Konstanz gelegenen Zisterzienserabtei Tennenbach. R. Kaufmann, noch lange Zeit ganz eindeutig von der Überzeu- Im Hintergrund erkennt der Betrachter das Freiburger Münster, gung der Inferiorität der jüdischen Kultur geleitet. damals seit kurzem Kathedralkirche des neu errichteten Erzbis- Das Staat-Kirche-Verhältnis im Abendland in seiner vielhun- tums Freiburg. Und mit diesen Themen – Säkularisation und ihre dertjährigen Geschichte hat bekanntlich immer wieder Anlass zu Folgen, territoriale, staatliche und kirchliche Neuordnung(en), Diskussionen und Konflikten gegeben. Als Ergebnisse dieser das stärker gewordene Nebeneinander der Konfessionen und die allzu häufig von Auseinandersetzungen begleiteten Entwick- daraus resultierenden strukturellen Entwicklungen, ein verän- lung, die oftmals Prestige- und Machtverluste für die eine oder dertes Staat-Kirche-Verhältnis – befassen sich insgesamt vierzehn andere Seite mit sich brachte, kam es immer wieder zu Um- oder Beiträge, bei denen es sich im Wesentlichen um die für den Druck Neudefinitionen dieser Beziehung, wobei die diesbezüglichen überarbeiteten und teilweise wohl auch ergänzten Referate einer Vorgänge an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert als beson- Tagung der Arbeitsgemeinschaft für geschichtliche Landeskunde ders markant und einschneidend zu bezeichnen sind. am Oberrhein vom Oktober 1998 handelt. Die Resultate dieses historischen Prozesses für den deutschen Hans Ammerich zeichnet den mühsamen Weg der Neuorga- Südwesten werden unter Berücksichtigung des aktuellen For- nisation der katholischen Kirche im deutschen Südwesten nach, schungsstandes eindrucksvoll geschildert. Die durch ein Register in deren Mittelpunkt die Neuumschreibung bzw. sogar Neuer- erschlossenen Beiträge fügen sich zu einem Gesamtwerk, zu dem richtung der weitgehend den veränderten Territorialgrenzen den Herausgebern nicht zuletzt auch wegen der sehr ansprechen- angepassten (Erz-)Diözesen stand. Mit der Frage der Selbstbe- den, mit einem informativen Bildteil illustrierten Gestaltung gra- stimmung der Evangelischen Landeskirche im Großherzogtum tuliert werden kann. Baden, wie sie sich nach der Union von 1821, also dem Zusam- Bonn-Bad Godesberg Norbert Schloßmacher menschluss von Reformierten und Lutheranern präsentierte, beschäftigt sich Johannes Ehmann. Der recht unterschiedlich verlaufene Prozess der Verselbständigung der drei südwestdeut- 12 Gulden vom Judenschutzgeld ... Jüdisches schen evangelischen Landeskirchen – Pfalz (Bayern), Baden, Leben in Berkach und Südwestthüringen.Bearb. Württemberg – steht im Zentrum der Untersuchung von Siegfried von Franz Levi (†) unter Mitarbeit von Johannes Hermle. Unter dem Titel „Staat, Gesellschaft, Kirchen“ stellt Mötsch und Katharina Witter. Urban & Fischer Ver- Hans Fenske grundsätzliche Überlegungen zu den genannten Phänomenen an; dieser Text hätte durchaus an den Anfang des lag, München-Jena 2001. 384 S. mit 34 Abb., Ln. Bandes gehört. Konkreter äußert sich Clemens Rehm in seinem (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Beitrag über die Erzdiözese Freiburg in den 1840er Jahren, die er Thüringen, Große Reihe Bd. 7.) vom Nebeneinander bzw. Gegeneinander von zunehmend stär- Der vorliegende Band ist in drei Abteilungen gegliedert: Einlei- ker werdenden ultramontanen und – noch tonangebenden – tung, Dokumententeil und Anhang. Die Einleitung befasst sich staatskirchlichen Strömungen geprägt sieht. Herbert Smolinsky mit der jüdischen Geschichte in Franken und Thüringen, mit der thematisiert die endgültig 1848/49 ausgelöste Debatte um das Berkacher lokalen und jüdischen Geschichte, der allgemeinen Verhältnis zwischen Staat und Kirche, um die „Freiheit der Kir- Quellenlage und enthält eine Bibliografie. Die Darstellung der che“ im Großherzogtum Baden. Die hieraus resultierende Aus- jüdischen Geschichte in Franken und Thüringen erfasst die inten- einandersetzung zwischen Staat und Kirche insbesondere in siven Bindungen der Juden innerhalb dieser Region, die – zusam- Baden und Preußen gipfelte bekanntlich in den 70er und 80er Jah- men mit Hessen – als ein Siedlungsraum der Juden in Deutsch- ren des 19. Jahrhunderts im Kulturkampf; ein Vorhutgefecht bil- land anzusehen ist. Beachtenswert ist das intensive Eingehen auf dete dabei der sog. Badische Kirchenstreit, dessen Höhepunkt – die für kleine Ortschaften in Südthüringen so typisch kompli- als Folge eines Loyalitätskonflikts („Beamtenpflicht oder Kirchen- zierte Ortsgeschichte, die meist den längeren Aufenthalt von treue“) – die Exkommunikation der führenden Mitarbeiter des Juden begünstigte. Jüdische Präsenz ist in Berkach sicher seit dem Großherzoglichen Katholischen Oberkirchenrats im Jahre 1853 frühen 17. Jahrhundert nachweisbar. Dieser Umstand gliedert war und dessen Direktor, Bernhard August Prestinari (1811– sich gut in die für Thüringen typische jüdische Siedlungsge- 1893), im Mittelpunkt des Beitrags von Christoph Schmider schichte der Frühen Neuzeit ein. steht. Dem wenngleich nur sehr vorübergehend virulenten anti- Der Dokumententeil stellt die Edition von 102 Dokumenten klerikalen Deutschkatholizismus in Baden wendet sich Andreas aus diversen Archiven der Region vom 16.–19. Jahrhundert dar, Holzem zu und beschreibt paradigmatisch, wie dieser an sich hauptsächlich aber der Unterlagen aus dem Archiv des Freiherrn religiös-konfessionelle Konflikt sich politisch auf die Staat-Kir- von Stein in Völkershausen, das dankenswerter Weise von seinen

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 367 Besitzern für die Dokumentation freigegeben wurde. Dieser Teil Angelika Häse, Mittelalterliche Bücherverzeichnisse aus Kloster gliedert sich in Gesetze und Verordnungen, Finanzangelegenhei- Lorsch. Einleitung, Edition und Kommentar. Harrassowitz ten, Innenleben der jüdischen Gemeinde, Streitigkeiten mit der Verlag, Wiesbaden 2002. 417 S., 23 Abb., geb. 102,– C. (Beiträge christlichen Umgebung sowie Handel und Wandel, jeweils mit zum Buch- und Bibliothekswesen 42.) mehreren Unterthemen. Weitere Dokumente finden sich im Anhang, hier allerdings zur jüdischen Ortsgeschichte aus Wall- Handbuch zur Statistik der Parlamente und Parteien in den west- dorf/Werra, darunter auch einige Privaturkunden. lichen Besatzungszonen und in der Bundesrepublik Deutsch- Insgesamt gelang den Bearbeitern eine beeindruckende land, Teil I: Abgeordnete in Bund und Ländern. Mitgliedschaft Zusammenstellung zahlreicher wichtiger Unterlagen, die teil- und Sozialstruktur 1946–1990. Bearb. von Christian Hand- weise auch als Abbildungen beigefügt wurden. Am Schluss des schell. Droste Verlag, Düsseldorf 2002. 524 S., Ln. 59,80 C. Buches befindet sich noch ein Glossar und ein Ortsregister. (Handbücher zur Geschichte des Parlamentarismus und der Jerusalem Stefan Litt politischen Parteien, Bd. 12/I.) Gabriele Haug-Moritz, Der Schmalkaldische Bund (1530–1541/ 42). Eine Studie zu den genossenschaftlichen Strukturelemen- Sonstige Titel ten der politischen Ordnung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen Acta Pacis Westphalicae. Serie II B: Die französischen Korrespon- 2002. Ca. 930 S. mit 2 Karten, geb. 118,– C. denzen. Bände 5/1 1646–1647 und 5/2 1647. Bearb. von Guido Braun. Aschendorff Verlag, Münster 2002. Insgesamt 2971 S., Martin Höllen, Loyale Distanz. Katholizismus und Kirchenpoli- Ln. 239,90 C. tik in SBZ und DDR. Ein historischer Überblick in Dokumen- ten. Register für das Gesamtwerk (Bände I, II, III/1 und III/2). Akten der Reichskanzlei Hitler 1933–1945. Band III: 1936. Hrsg. Berlin 2002. 24 S., geh. für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Hans Günter Hockerts, für das Bun- Wolfgang Hölscher, Der Auswärtige Ausschuss des Deutschen desarchiv von Hartmut Weber. Bearb. von Friedrich Hart- Bundestages 1953–1957. 2 Halbbände. Droste Verlag, Düssel- mannsgruber. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München dorf 2002. CLX, 1850 S., Ln. 180,– C. (Quellen zur Geschichte 2002. LXVIII, 1030 S. 99,80 C. des Parlamentarismus und der politischen Parteien, Vierte Reihe, Bd. 13/II.) Das Archivwesen im 20. Jahrhundert. Bilanz und Perspektiven. Vorträge des 60. Südwestdeutschen Archivtags am 3. Juni 2000 Hörfunk und Fernsehen. Aufsatznachweis aus Zeitschriften und in Aalen. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2002. 123 S., brosch. Sammelwerken. Jahresband 2001. Bearb. von Rudolf Lang. 12,– C. Westdeutscher Rundfunk, Bibliothek, Köln 2002. LXVIII, 369 Andreas Biefang, Bismarcks Reichstag. Das Parlament in der S., brosch. Leipziger Straße. Fotografiert von Julius Braatz. Droste Ver- Sabine Holtz, Bildung und Herrschaft. Zur Verwissenschaftli- lag, Düsseldorf 2002. 319 S., 192 Abb., 158 Taf., Ln. 49,80 C. chung politischer Führungsschichten im 17. Jahrhundert. (Photodokumente zur Geschichte des Parlamentarismus und DRW-Verlag, Leinfelden-Echterdingen 2002. Ca. 544 S., ca. 6 der politischen Parteien Bd. 6.) Abb., geb. 74,– C. (Schriften zur Südwestdeutschen Landes- Brandenburgische Besitzstandskarte des 14. Jahrhunderts. Hrsg. kunde 32.) vom Brandenburgischen Landeshauptarchiv und der Histori- Klaus Jürgens, „Wir wollen unerschrocken sagen, was unser schen Kommission zu Berlin. Bearb. von Gerd Heinrich, Mat- Herz in Jesus fand.“ Zur Jugendarbeit in der Braunschweigi- thias Helle, Joachim Robert Moeschl. Maßstab 1:300000, schen Landeskirche während der Zeit des Nationalsozialis- Mehrfarbdruck. Berlin, Potsdam 2002. 1 Kartenblatt mit Erläu- mus. Selbstverlag der Evangelisch-lutherischen Landeskirche terungsheft. 20,50 C. in Braunschweig, Braunschweig 2002. 136 S., 10 Abb., brosch. Das brandenburgische Städtewesen im Übergang zur Moderne – (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch-lutheri- Stadtbürgertum und kommunale Selbstverwaltung im schen Landeskirche in Braunschweig Heft 9.) 19. Jahrhundert. Hrsg. von Klaus Neitmann. Berliner Wissen- Kaiser Ludwig der Bayer. Konflikte, Weichenstellungen und schaftsverlag, Berlin 2002. 349 S. 86,– C. (Veröffentlichungen Wahrnehmungen seiner Herrschaft. Hrsg. von Hermann des Brandenburgischen Landeshauptarchivs, Bd. 43.) Nehlsen und Hans-Georg Hermann. Verlag Ferdinand Tobias Brinkmann, Von der Gemeinde zur . Jüdi- Schöningh, Paderborn – München – Wien – Zürich 2002. 344 S. sche Einwanderer in Chicago 1840–1900. Universitätsverlag mit 18 Abb., kart. 60,– C. (Quellen und Forschungen aus dem Rasch, Osnabrück 2002. 488 S., brosch. 29,90 C. Gebiet der Geschichte, Neue Folge, Heft 22.) Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkun- Oliver Karnau, Düsseldorf am Rhein. Die architektonische und gen der pseudoisidorischen Fälschungen. Hrsg. von Wilfried städtebauliche Neugestaltung des Rheinufers um 1900. Gru- Hartmann und Gerhard Schmitz. Verlag Hahnsche Buch- pello Verlag, Düsseldorf 2002. 110 S. mit zahlr. Abb., brosch. handlung, Hannover 2002. XII, 279 S., geb. 30,– C. (Monu- menta Germaniae Historica. Studien und Texte, Bd. 31.) Alfons Kenkmann, Wilde Jugend. Lebenswelt großstädtischer Jugendlicher zwischen Weltwirtschaftskrise, Nationalsozialis- Gerhard von Scharnhorst. Private und dienstliche Schriften. Bd. 1: mus und Währungsreform. 2. Auflage. Klartext-Verlag, Essen Schüler, Lehrer, Kriegsteilnehmer (Kurhannover bis 1795). 2002. 480 S., 14 Abb., brosch. 44,– C. Hrsg. von Johannes Kunisch. Bearb. von Michael Sikora und Tilman Stieve. Köln 2002. XL, 864 S., 1 Frontispiz auf Kunst- Lebensbilder aus Baden-Württemberg. Band 20. Im Auftrag der druck, geb. 99,– C. (Veröffentlichungen aus den Archiven Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Würt- Preußischer Kulturbesitz, Bd. 52.) temberg hrsg. von Joachim Fischer und Gerhard Taddey. Gölshausen. 1200 Jahre Geschichte eines Brettener Stadtteils. Verlag Kohlhammer, Stuttgart 2002. 530 S., 20 Abb., Ln. Hrsg. von Peter Bahn und Manfred Hartmann. Info Verlag, 28,50 C. Karlsruhe 2002. 311 S. mit zahlr. Abb., geb. 15,– C. (Brettener Lutherinszenierung und Reformationserinnerung. Hrsg. von Ste- stadtgeschichtliche Veröffentlichungen Bd. 18.) fan Laube und Karl-Heinz Fix. Evangelische Verlagsanstalt, Hans-Jürgen Goertz, Das schwierige Erbe der Mennoniten. Auf- Leipzig 2002. 280 S. mit zahlr. Abb., geb. 38,– C. (Schriften der sätze und Reden. Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2002. Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt Bd. 2.) 216 S., geb. 18,80 C. Martin Mayer, Geheime Diplomatie und öffentliche Meinung. Thomas Göthel, Demokratie und Volkstum. Die Politik gegen- Die Parlamente in Frankreich, Deutschland und Großbritan- über den nationalen Minderheiten in der Weimarer Republik. nien und die erste Marokkokrise 1904–1906. Droste Verlag, SH-Verlag, Köln 2002. 448 S., geb. 49,80 C. (Kölner Beiträge zur Düsseldorf 2002. 383 S., Ln. 44,80 C. (Beiträge zur Geschichte Nationsforschung, 8.) des Parlamentarismus und der politischen Parteien Bd. 133.)

368 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Thomas Mergel, Parlamentarische Kultur in der Weimarer Repu- Matthias Schmandt, Judei, cives et incole. Studien zur jüdischen blik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Geschichte Kölns im Mittelalter. Verlag Hahnsche Buchhand- Öffentlichkeit im Reichstag. Droste Verlag, Düsseldorf 2002. lung, Hannover 2002. 336 S., geb. 38,– C. (Forschungen zur 530 S., Ln. 60,– C. (Beiträge zur Geschichte des Parlamentaris- Geschichte der Juden. Abteilung A Abhandlungen, Bd. 11.) mus und der politischen Parteien Bd. 135.) Urs von Schroeder, Swissair 1931–2002. Aufstieg, Glanz und Sabine Meschkat-Peters,Eisenbahnen und Eisenbahnindustrie Ende einer Airline. Huber Buchverlag, Frauenfeld 2002. in Hannover 1835–1914. Verlag Hahnsche Buchhandlung, Armin Schulte, „Es war so schwierig, damals zu leben.“ Auslän- Hannover 2002. 616 S. mit zahlr. Abb. u. Tab. sowie 2 Karten, dische Zivilarbeiter und Kriegsgefangene in Solingen 1939– geb. 40,– C. (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Nie- 1945. Selbstverlag des Stadtarchivs Solingen, Solingen 2001. dersachsens Bd. 119.) 232 S. mit zahlr. Abb., brosch. 12,– C. Die neuzeitlichen Handschriften der Nullgruppe (Ms 0301–0600). Malte Schumacher, Manfred Grieger, Wasser, Boden, Luft. Bei- Beschrieben von Detlef Döring. Harrassowitz Verlag, Wiesba- träge zur Umweltgeschichte des Volkswagenwerks Wolfsburg. den 2002. XXII, 209 S., Ln. 88,– C. (Katalog der Handschriften Wolfsburg 2002. 140 S. mit zahlr. Abb., brosch. (Historische der Universitäts-Bibliothek Leipzig. Neue Folge 1.) Notate, Schriftenreihe des Unternehmensarchivs der Volkswa- Die nichtarchivischen Handschriften der Signaturengruppe Best. gen AG, Wolfsburg, H. 5.) 701 Nr.191–992. Bearb. von Eef Overgaauw. Harrassowitz Viktor-L. Siemers, Braunschweigische Papiergewerbe und die Verlag, Wiesbaden 2002. 623 S., 37 Abb., Ln. 94,– C. (Mittelal- Obrigkeit. Merkantilistische Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhun- terliche Handschriften im Landeshauptarchiv Koblenz 2. Ver- dert. Selbstverlag des Braunschweigischen Geschichtsvereins, öffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz Wolfenbüttel 2002. 288 S., geb. 18,– C. 94.) Hans-Bernd Spies, Friedrich Carl Joseph Freiherr von Erthal Matthias Ohm, Das Braunschweiger Altstadtrathaus. Funktion – 1719–1802. Erzbischof von Mainz und Kurfürst des Reiches Baugeschichte – figürlicher Schmuck. Verlag Hahnsche Buch- (1774–1802). Kleine kultur- und sozialgeschichtliche Studien handlung, Hannover 2002. 168 S., 8 Abb. und Pläne, kart. zu seiner Zeit. Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Aschaf- 13,50 C. (Braunschweiger Werkstücke, Reihe A: Veröffentli- fenburg 2002. 102 S. mit zahlr., z. T. farb. Abb., brosch. (Mittei- chungen aus dem Stadtarchiv und der Stadtbibliothek Bd. 49; lungen aus dem Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg, Beiheft der ganzen Reihe Bd. 106.) 1.) Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über Reinhart Staats, Der Braunschweiger Löwe in biblischer den „Akt von Gnesen“. Hrsg. von Michael Borgolte. Akade- Beleuchtung. Selbstverlag der Evangelisch-lutherischen Lan- mie Verlag, Berlin 2002. 334 S., 15 Abb., geb. 74,80 C. (Europa deskirche in Braunschweig, Braunschweig 2002. 64 S., 30 Abb., im Mittelalter. Abhandlungen und Beiträge zur historischen geh. (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Evangelisch- Komparatistik, Bd. 5.) lutherischen Landeskirche in Braunschweig Heft 10.) Quellensammlung zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik. Steffen Stuth, Höfe und Residenzen. Untersuchungen zu den I. Abteilung: Von der Reichsgründungszeit bis zur kaiserlichen Höfen der Herzöge von Mecklenburg im 16. und 17. Jahrhun- Sozialbotschaft (1867–1881). Bd. 6: Altersversorgungs- und dert. Edition Temmen, Bremen 2001. 488 S., 20 Abb., geb. Invalidenkassen. Bearb. von Florian Tennstedt und Heidi 20,90 C. (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Meck- Winter unter Mitarbeit von Elmar Roeder, Christian lenburg-Vorpommerns Bd. 4.) Schmitz und Uwe Sieg. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Die Tegernseer Briefsammlung des 12. Jahrhunderts. Hrsg. von Darmstadt 2002. XL, 602 S., geb. 92,– C. Helmut Plechl unter Mitwirkung von Werner Bergmann. Heinz Quellmalz, Josef Wermert, Bibliographie der Stadt Olpe Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover 2002. XL, 414 S., 1648–2000. Stadt Olpe/Stadtarchiv und Heimatverein für Ln. 54,– C. (Monumenta Germaniae Historica. Die Briefe der Olpe und Umgebung, Olpe 2001. XVI, 446 S., geb. 35,– DM. deutschen Kaiserzeit, Bd. 8.) (Quellen und Beiträge des Stadtarchivs Olpe, Bd. 8.) Josef Urban, Archiv des Erzbistums Bamberg. Verlag Archiv des Katharina Rauschenberger, Jüdische Tradition im Kaiserreich Erzbistums Bamberg, Bamberg 2002. 36 S. mit 8 Abb., geh. und in der Weimarer Republik. Zur Geschichte des jüdischen Urkundenbuch des Klosters Walkenried. Band 1: Von den Anfän- Museumswesens in Deutschland. Verlag Hahnsche Buch- gen bis 1300. Bearb. von Josef Dolle nach Vorarbeitenvon Wal- handlung, Hannover 2002. 336 S., geb. 38,– C. (Forschungen ter Baumann. Verlag Hahnsche Buchhandlung, Hannover zur Geschichte der Juden. Abteilung A Abhandlungen, 2002. 781 S., Ln. 44,– C. (Veröffentlichungen der Historischen Bd. 16.) Kommission für Niedersachsen und Bremen 210.) Joachim Rex, Die Berliner Akademiebibliothek. Die Entwicklung Urkundenregesten des Staatsarchivs des Kantons Zürich. Bd. 5: der Bibliothek der Akademie der Wissenschaften in drei Jahr- 1416–1430. Bearb. von Peter Niederhäuser. Staatsarchiv des hunderten anhand der Quellen dargestellt. Harrassowitz Ver- Kantons Zürich, Zürich 2002. 512 S., Ln. lag, Wiesbaden 2002. Ca. XII, 295 S., geb. Ca. 78,– C. (Beiträge zum Buch- und Bibliothekswesen 44.) Verzeichnis der Nachlässe und Sammlungen der Handschriften- abteilung der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kultur- Wilhelm Ribhegge, Die Grafen von der Mark und die Geschichte besitz. Bearb. von Eva Ziesche. Harrassowitz Verlag, Wiesba- der Stadt Hamm im Mittelalter. Ardey-Verlag, Münster 2002. den 2002. Ca. XIX, 237 S., Ln. Ca. 78,– C. (Staatsbibliothek zu 160 S., 10 Abb. 9,90 C. Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Kataloge der Handschrif- Ludwig Richter, Die Deutsche Volkspartei 1918–1933. Droste tenabteilung. Zweite Reihe: Nachlässe 8.) Verlag, Düsseldorf 2002. 863 S., Ln. 84,80 C. (Beiträge zur Benedykt Zientara, Heinrich der Bärtige und seine Zeit. Politik Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien und Gesellschaft im mittelalterlichen Schlesien. Aus dem Pol- Bd. 134.) nischen übersetzt von Peter Oliver Loew. Oldenbourg Wis- Ernst Riegg, Konfliktbereitschaft und Mobilität. Die protestanti- senschaftsverlag, München 2001. 411 S. 39,80 C. (Schriften des schen Geistlichen zwölf süddeutscher Reichsstädte zwischen Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im Passauer Vertrag und Restitutionsedikt. DRW-Verlag, Leinfel- östlichen Europa, Bd. 17.) den-Echterdingen 2002. 414 S., geb. 65,80 C. (Schriften zur Süd- Zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Das Dienstleistungsunter- westdeutschen Landeskunde 43.) nehmen Archiv auf dem Prüfstand der Benutzerorientierung. Hans Martin Schaller, Handschriftenverzeichnis zur Brief- Vorträge des 61. Südwestdeutschen Archivtags am 26. Mai sammlung des Petrus de Vinea. Verlag Hahnsche Buchhand- 2001 in Schaffhausen. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart 2002. lung, Hannover 2002. XLVI, 584 S., geb. 60,– C. (Monumenta 85 S., brosch. 8,50 C. Germaniae Historica. Hilfsmittel, Bd. 18.)

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 369 Repertorienveröffentlichungen 2001/2002 Bd. 52/1 und 2: Gemarkungspläne im Generallandesarchiv (mit Nachträgen zum Erscheinungsjahr 2000) Karlsruhe. Inventar. Bearb. von Marie Salaba und Gisela Schenck. Verlag W. Kohlhammer, Zusammengestellt von Anette Gebauer-Berlinghof Stuttgart 2001. 1513 S., 31 Abb., 2 Ausklappta- und Meinolf Woste feln, geb. 97,50 C. Bd. 58: Nachlass Leo Wohleb. Inventar des Bestands Vorbemerkungen: T 1/Wohleb, Leo im Staatsarchiv Freiburg. Die seit Heft 4/1985 jeweils im November-Heft erscheinenden Bearb. von Kurt Hochstuhl, Joachim Übersichten über die Findbuchveröffentlichungen in der Bundes- Fischer und Werner Baumann. Verlag republik Deutschland werden hiermit fortgesetzt, wobei alle bis W. Kohlhammer, Stuttgart 2002. 248 S., 25 Oktober 2002 bei der Schriftleitung eingegangenen Findbücher Abb., geb. 31,– C. und Inventare berücksichtigt wurden. Auch in Zukunft bittet die Schriftleitung um Zusendung der Bayern vervielfältigten und gedruckten Inventare und Findbücher mit Bayerische Archivinventare Angabe des Verkaufspreises sofort nach ihrer Fertigstellung oder Bd. 51: Staatsarchiv Augsburg. Fürststift Kempten Archiv. um die bibliographischen Angaben zu den Inventaren und Find- Bearb. von Gerhard Immler. Teilbände I und II. Gene- büchern. Die Repertorienveröffentlichungen bitte an die Adresse raldirektion der Staatlichen Archive Bayerns, Mün- der Schriftleitung (s. Impressum) mit dem Vermerk „Repertorien- chen 2002. 1508 S., geb. 29,90 C. veröffentlichung“ schicken.

Bund Brandenburg Findbücher zu den Beständen des Bundesarchivs Veröffentlichungen des Brandenburgischen Landeshauptarchivs 82: Deutsche Gewerkschaften von den Anfängen bis 1933 Bd. 39: Übersicht über die Bestände des Brandenburgischen (Bestände RY 23 bis RY 54, RY 62). Bearb. von Andreas Landeshauptarchivs. Teil III/1: Behörden und Institu- Grunwald. 2001. 217 S. 10,– C. tionen in der Provinz Brandenburg/Land Branden- 83: Ministerium für Post- und Fernmeldewesen (Bestand burg 1945 bis 1952. Bearb. von Torsten Hartisch u. a. DM 3). Teil 1: Postwertzeichen. Bearb. von Evelyn Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2002. 407 S. Grünspek. 2001. 210 S. 10,– C. 68,– C. 84: Bundesministerium der Finanzen (Bestand B 126), Bd. 45: Urkundeninventar des Brandenburgischen Landes- Teil 1: Zölle. Bearb. von Kerstin Oldenhage. 2001. 180 hauptarchivs – Kurmark. Teil 2: Städtische Institutio- S. 10,– C. nen und adlige Herrschaften und Güter. Bearb. von F. Teil 2: Besatzungslasten (1949–1971). Bearb. von Kers- Beck. Berliner Wissenschaftsverlag, Berlin 2002. 828 S. tin Oldenhage. 2001. 144 S. 7,50 C. 116,– C. Teil 3: Lastenausgleich (1948–1990). Bearb. von Kers- tin Oldenhage. 2002. 188 S. 7,50 C. Hamburg 85: Nachlass Lauritz Lauritzen (Bestand N 1282). Bearb. Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien und Hansestadt von Michael Wettengel. 2001. 143 S. 10,– C. Hamburg 86: Zentrale Deutsche Kommission für Sequestrierung Bd. XVII: Inventar erhaltener Originalpläne und -zeichnungen und Beschlagnahme (Bestand DO 3). Bearb. von Elke von Fritz Schumacher. Bearb. von Dieter Schädel. Vogel. 2001. 259 S., 11,– C. Hamburg 2001. 297 S. 21,– C. 87: Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirt- schaftsgebietes (Bestand Z 8). Bearb. von Johannes Mecklenburg-Vorpommern Bleich. Ergänzung und Überarbeitung durch Kerstin Schenke unter Mitarbeit von Anneliese Hoffmann- Findbücher, Inventare und kleine Schriften des Landeshauptarchivs Thielen. 2001. 431 S. 13,– C. Schwerin 88: Palast der Republik (Bestand DC 207). Teil 2: Theater Bd. 5: Findbuch des Bestandes 2.11–2/1 Acta externa. im Palast. Bearb. von Cornelius Sommer und Ros- Band 2: Beziehungen Mecklenburgs zu Kaiser und witha Schröder. 2001. 96 S. 7,50 C. Reich, Österreich, Brandenburg und Preußen (1450– 89: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 1888). Bearb. von Johann Peter Wurm. Schwerin 2000. (Bestand B 145). Teil 1: Abteilung V – Film, Funk, Fern- 234 S., 11 Abb., geb. 19,90 C. sehen (1949–1972). Bearb. von Thomas Marschner. Bd. 6: Inventar der Mecklenburger Reichskammergerichts- 2002. 166 S. 10,– C. akten. Bearb. von Hans-Konrad Stein-Stegemann. Teil 1: Akteninventar. Teil 2: Indices. Schwerin 2001. Findbuch zum „Archivbestand 2: Allgemeine Sachablage des 1281 S., geb. 73,– C. (Inventar der Akten des Reichs- Ministeriums für Staatssicherheit der DDR.“ Hrsg. von der Abtei- kammergerichtes Nr.28.) lung Archivbestände der BStU. Angefertigt von der Arbeits- gruppe der Abteilung Archivbestände unter der Leitung von Niedersachsen Marlies Lemcke, Birgit Schuldt und Monika Wucherpfennig Inventare und kleinere Schriften des Staatsarchivs in Oldenburg unter Berücksichtigung zahlreicher Hinweise von Ralf Sehl. Konzeption, Erläuterung und Redaktion der Verzeichnungsanga- Heft 42: Verwaltungs- und Beamtengeschichte der Herrschaf- ben von Joachim Franke. Lit Verlag, Münster – Hamburg – Berlin ten Jever, Varel und Kniphausen. Mit alphabetischem – London 2001. 311 S., brosch. Beamtenverzeichnis 16. Jahrhundert – 1807. Bearb. von Friedrich-Wilhelm Schaer. Holzberg Verlag, Veröffentlichungen aus den Archiven Preußischer Kulturbesitz Oldenburg 2001. 224 S., brosch. 7,50 C. Bd. 54: Herzog Albrecht von Preußen und Livland (1540– 1551). Regesten aus dem Herzoglichen Briefarchiv Rheinland-Pfalz und den Ostpreußischen Folianten. Bearb. von Stefan Veröffentlichungen der Landesarchivverwaltung Rheinland-Pfalz Hartmann. Köln 2002. LIII, 569 S., geb. 69,– C. Bd. 95: Fritz Straßmann (1902–1980). Mitentdecker der Kern- spaltung. Inventar des Nachlasses und Kommentie- Baden-Württemberg rung der Versuche zur Kernspaltung. Bearb. von Peter Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Baden-Würt- Brommer und Günter Herrmann. Koblenz 2001. temberg 25,– C.

370 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Sachsen-Anhalt 8: Findbuch Gemeindearchiv Tiefenbronn. Bestand Veröffentlichungen der Staatlichen Archivverwaltung Sachsen- Gemeinde Lehningen 1758–1971 (1972–1985). Bearb. Anhalt, Reihe A: Quellen zur Geschichte Sachsen-Anhalts von Heike Sartorius. Pforzheim 2001. 246 S., 6 Abb., Bd. 16: Findbuch der Akten des Reichskammergerichts im geb. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Buchstabe N – 9: Findbuch Gemeindearchiv Tiefenbronn. Bestand S(im). Bearb. von Dietrich Lücke. mdv Mitteldeut- Gemeinde Mühlhausen 1614–1971 (1972–1973). scher Verlag, Halle 2001. (Inventar der Akten des Bearb. von Heike Sartorius. Pforzheim 2001. 232 S., Reichskammergerichts, Nr.25.) 6 Abb., geb. Bd. 17: Die Preußische Berg-, Hütten- und Salinenverwaltung 1763–1865. Der Bestand Oberbergamt Halle im Lan- Parlamentsarchive und Archive politischer Parteien deshauptarchiv Sachsen-Anhalt. Bearb. von Jens und Verbände Heckl. Selbstverlag des Landeshauptarchivs Sach- Archiv Demokratischer Sozialismus (ADS) der Rosa-Luxemburg-Stif- sen-Anhalt, Magdeburg 2001. tung Findbücher Schleswig-Holstein 02: Bestand: Die PDS im Deutschen Bundestag (1990 bis Veröffentlichungen des Schleswig-Holsteinischen Landesarchivs 1994). Bearb. von Christine Gohsmann und Jochen 72: Findbuch des Bestandes Abt. 3. Grafschaft Holstein- Weichold. Berlin 2001. 161 S., brosch. Schauenburg-Pinneberg. Bearb. von Malte Bischoff 03: Bestand: Dr.Dagmar Enkelmann, MdB (1990 bis 1998). und Lars E. Worgull. Schleswig 2002. 89 S., brosch. Bearb. von Christine Gohsmann und Jochen Wei- 10,10 C. chold. Berlin 2001. 21 S., geh. 04: Bestand: Dr.Hans Modrow MdB (1990 bis 1994). Stadtarchive und Archive sonstiger Gebietskörper- Bearb. von Christine Gohsmann und Jochen Wei- schaften chold. Berlin 2001. 31 S., geh. Archiv des Enzkreises, Pforzheim Reihe B: Gemeindearchive

Personalnachrichten Zusammengestellt von Meinolf Woste

Bund Archivassessorin Dr. Elke Koch beim Staatsarchiv Lud- wigsburg zur Archivrätin und Beamtin auf Lebenszeit Bundesarchiv (3. 6. 2002), Ernannt: Archivangestellte Anja Adelt beim Hauptstaatsarchiv Stuttgart zur Archivinspektorin z. A. (13. 6. 2002). Leitende Archivdirektorin PD Dr. Angelika Menne- Haritz zur Direktorin (16. 8. 2002), Versetzt: Andreas Kunz zum Archivreferendar (1. 7. 2002), Archivoberinspektor Hartmut Obst beim Hauptstaats- Regierungsoberinspektorin Ute Kronauer zur Regie- archiv Stuttgart zum Generallandesarchiv Karlsruhe rungsamtfrau (21. 8. 2002), (1. 11. 2002), Archivinspektorin z.A. Marion Teichmann zur Ar- Archivinspektor Johannes Renz vom Generallandesar- chivinspektorin (1. 7. 2002). chiv Karlsruhe zum Hauptstaatsarchiv Stuttgart (1. 11. 2002). Versetzt: Eingestellt: Archivoberrat Dr. Michael Wettengel zur Stadt Ulm Diplom-Archivar Alexander Hoffmann als Archivan- (1. 9. 2002). gestellter beim Generallandesarchiv Karlsruhe (1. 10. 2002), Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Diplom-Archivarin Corinna Knobloch als Archivan- Ernannt: gestellte beim Staatsarchiv Sigmaringen (1. 11. 2002). Archivinspektorin Sabine Schafferdt zur Archivober- inspektorin (16. 8. 2002). Land Bayern Ernannt: Die Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicher- heitsdienstes der ehemaligen DDR Archivrat z. A. Jens Martin M. A. beim Staatsarchiv Nürnberg zum Archivrat (1. 8. 2002), Ernannt: Archivinspektor Jochen Rösel beim Staatsarchiv Archivoberrätin Birgit Salamon zur Archivdirektorin Amberg zum Archivoberinspektor (1. 8. 2002), (30. 5. 2002). Archivsekretär Reinhard Kirner beim Bayerischen Hauptstaatsarchiv zum Archivobersekretär (1. 9. 2002). Land Baden-Württemberg Eingestellt: Ernannt: Verwaltungsinformatikanwärter Matthias Schmidt Archivrat Dr. Carl Martin Häußermann beim Staats- bei der Generaldirektion der Staatlichen Archive archiv Ludwigsburg zum Oberarchivrat (3. 6. 2002), Bayerns (9. 9. 2002).

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 371 Archiv für Christlich-Demokratische Politik der Konrad- Rudolstadt (5. 3. 2003). – Abteilungsleiter i. R. Dr. Peter- Adenauer-Stiftung e. V.: Prof. Dr. Hans-Otto Klein- Joachim Rakow, Schwerin (7. 1. 2003). – Stadtarchivdi- mann ist mit Erreichen des 65. Lebensjahres aus den rektor i. R. Dr. phil. sc. Gert Richter, Chemnitz (12. 2. Diensten des Archivs ausgeschieden (31. 5. 2002). 2003). 65 Jahre: Städtische Angestellte Annemarie Engel- Hochschulen, wissenschaftliche und berufsständische Organisa- mann, Borna (1. 1. 2003). – Archivoberrat Dr. Hans- tionen Heinrich Fleischer (2. 3. 2003). – Dr. Bernhard Koß- Städt. Archivdirektor a. D. Prof. Dr. Rolf Nagel wurde mann, Langen (14. 3. 2003). – Landeskirchenarchivrat zum auswärtigen korrespondierenden Mitglied des Hermann Kuhr, Braunschweig (25. 3. 2003). – Stadtar- Instituto Històrico e Geogràfico Brasileiro in Rio de chivdirektor Dr. Wolfgang Löhr, Mönchengladbach Janeiro berufen. (31. 1. 2003). – Kirchenarchivdirektor Dr. phil. Hartmut Sander, Berlin (22. 3. 2003). – Staatsarchivdirektor a. D. Ltd. Archivdirektor Dr. Andreas Röpcke wurde zum Dr. Hans-Peter Wehlt, Detmold (11. 2. 2003). Vorsitzenden der Historischen Kommission für Meck- lenburg gewählt (14. 9. 2002). 60 Jahre: Dr. habil. Hans-Peter Baum, Würzburg (25. 2. 2003). – Archivleiter Werner Bittner, Köln (29. 1. 2003). Geburtstage – Referatsleiter Harald Brandes, Koblenz (15. 1. 2003). – Archivamtsrätin Christine Bührlen-Grabinger, 90 Jahre: Landesarchivdirektor i. R. Dr. Rudolf Brandts, Stuttgart (10. 1. 2003). – Stadtarchivamtmann Jörg Bergisch Gladbach (21. 3. 2003). Dresp, Lippstadt (29. 1. 2003). – Archivdirektor Dr. 75 Jahre: Stadtarchivar i.R. Gerhard Buetow, Sulingen theol. Hermann Ehmer, Stuttgart (17. 2. 2003). – (22. 1. 2003). – Archivdirektor a. D. Dr. phil. Ludwig Archivdirektor Dr. Stefan Hartmann, Berlin (7. 2. Falck (5. 2. 2003). – Dienstchef a. D. Paul Früh-Mag- 2003). – Landesarchivdirektor Rickmer Kießling getti, Zürich (29. 1. 2003). – Archivdirektor a. D. Prof. (24. 2. 2003). – Archivoberrat Dr. phil. Michael Rei- Dr. Wilhelm Volkert, München (26. 2. 2003). mann, Oldenburg (8. 1. 2003). – Leitender Archivdirek- 70 Jahre: Archivleiter a. D. Richard Höpfner, Köln (4. 2. tor Dr. Bodo Uhl, München (7. 1. 2003). – Archivamtsrä- 2003). – Archivar i. R. Dr. Karlheinz Kuba, Berlin (5. 3. tin Christa Wolf, Dresden (28. 1. 2003). 2003). – Staatsarchivdirektor i. R. Dr. Peter Langhof,

Kurzinformationen, Verschiedenes

Adressen, Ruf- und Faxnummern Anschrift: Landratsamt Calw, Kreisarchiv, Vogteistr. 44-46, Das Staatsarchiv Amberg hat die E-Mail-Adresse: 75365 Calw, Tel.: 07051/160-314, Fax: 07051/795-314, E- [email protected]. Mail: [email protected], Internet: www.kreis- calw.de/52. Das Staatsarchiv Augsburg hat die E-Mail-Adresse: [email protected]. Das Kommunalarchiv Minden hat die neuen Telefon- und Faxnummern: Zentrale 0571/97220-0, Dr. Monika Das Staatsarchiv Bamberg hat die E-Mail-Adresse: M. Schulte (Leitung) 0571/97220-27, Vinzenz Lübben [email protected]. (Stadtarchiv) 0571/97220-12, Gisela Winter-Kaschub Das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt hat das (Kreisarchiv) 0571/97220-13, Fax: 0571/97220-11, E-Mail Schloss Oranienbaum als Dienstsitz der Abteilung Ora- (Stadtverwaltung): [email protected], E-Mail nienbaum zum 30. 9. 2002 aufgegeben. Die Abteilung ist (Kreisverwaltung): kommunalarchiv@minden-lueb- nach Dessau umgezogen und hat die neue Anschrift: Lan- becke.de. deshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Dessau, Hei- Die Verwaltung von Stadtarchiv Münsingen, Hei- destr. 21, 06842 Dessau, Postfach 1761, 06815 Dessau, Tel.: matmuseum Münsingen und der ständigen Aus- 0340/519896-0, Benutzersaal 0340/519896-40, Fax: 0340/ stellung Juden in Buttenhausen ist ab 1. September 519896-90, E-Mail: [email protected]. Die Abtei- 2002 in neuen Räumen untergebracht: Altes Rathaus, lung Dessau ist für Benutzer geöffnet: Montag – Mittwoch Marktplatz 1, 72525 Münsingen, Postfach 1140, 72521 8–16 Uhr, Donnerstag 8–17.45 Uhr, Freitag 8–12.30 Uhr. Münsingen, Tel.: 07381/182-115, Fax : 07381/182-215, Das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Mag- E-Mail: [email protected]. deburg (Leitung, Abteilung Magdeburg/Wernigerode) Das Stadtarchiv Osterode am Harz, Martin-Luther- hat die E-Mail-Adresse: [email protected]. Platz 2, 37520 Osterode am Harz hat die Telefonnummer Das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abtei- 05522/315859, E-Mail: [email protected], lung Merseburg hat die E-Mail-Adresse: merseburg@ Internet: www.stadtarchiv-osterode.archiv.net. lha.mi.lsa.net.de. Das Diözesanarchiv Limburg ist ab 1. 11. 2002 unter Das Staatsarchiv Würzburg hat die E-Mail-Adresse: der folgenden Adresse zu erreichen: Weilburger Str. 16, [email protected]. 65549 Limburg, Postfach 1355, 65533 Limburg, Tel.: 06431/ Das Kreisarchiv Calw ist seit dem 1. Oktober 2001 2007-16 oder -14 (für genealog. Anfragen -18), Fax: 06431/ durch den Kreisarchivar Gregor Swierczyna besetzt. 2007-99, E-Mail: [email protected], Öffnungs-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 375 zeiten: Montag, Dienstag und Donnerstag 9–12 Uhr und Migration mit Leben zu füllen. Dabei können sie verges- 13–16 Uhr (tel. Anmeldung erforderlich). sene Beispiele erfolgreicher Integration für die Öffentlich- Das Landeskirchliche Archiv Stuttgart und die keit erschließen, aber auch Ursachen für das Scheitern des Bibliothek des Evangelischen Oberkirchenrats Zusammenlebens von Einheimischen und Zugewander- haben ab Mitte November 2002 die neue Anschrift: Balin- ten benennen. Sie recherchieren in der Geschichte – mit ger Str. 31, 70567 Stuttgart-Möhringen, Tel.: 0711/2149- dem dadurch entstehenden zeitlichen Abstand ist die 212, E-Mail: [email protected]. Archiv und Bibliothek Chance verbunden, sich abseits von Wahlkampf und Stim- sind zu erreichen mit den Stadtbahnen U 5 und U 6 (Halte- mungsmache eine Meinung über Ein- und Auswanderung stelle Möhringer Bhf.). Parkplätze sind vorhanden. zu bilden und bei aktuellen politischen Debatten einen eigenen Standpunkt vertreten zu können. Das Archiv des Deutschen Liberalismus der Fried- Als Fundort für Fotos, Karten und schriftliche Überlie- rich-Naumann-Stiftung ist nach Übernahme der Akten ferung haben Archive für Wettbewerbsteilnehmer eine der ELDR (Zusammenschluss der liberalen Parteien in herausragende Bedeutung. Aus- wie Einwanderung Europa) in „Archiv des Liberalismus“ (AdL) umbenannt haben in der schriftlichen Überlieferung Spuren hinterlas- worden. sen. Sie zu finden, brauchen viele Schülerinnen und Schü- Die Georg Fischer AG, Stiftung Eisenbibliothek und ler insbesondere zu Beginn ihrer Recherche die Unterstüt- Konzernarchiv hat die neue Anschrift: Klostergut Para- zung ihrer Geschichtslehrer bzw. die der Fachleute im dies, CH-8252 Schlatt TG, Tel.: +41 (0)52-6312743, Fax: +41 Archiv. Mit dieser Hilfe können auch jüngere Schüler fün- (0)52-6312755, E-Mail: [email protected], Inter- dig werden. Für sie sind häufig Zeitungsartikel, Fotos oder net: www.georgfischer.com (mit Link „Paradies“). Pläne Fundstücke, deren Auswertung ihnen Erkenntnisse Das neu eröffnete Karl Dedecius Archiv (Große bei ihren Forschungen verspricht. Auch die »graue Litera- Scharrnstr. 59, 15230 Frankfurt/Oder) ist geöffnet: Diens- tur« ist eine ertragreiche Fundquelle, in der sich einschlä- tag und Mittwoch von 12–16 Uhr und Donnerstag von gige Informationen verbergen können. An handschriftli- 10–16 Uhr. che Schriftstücke oder an Akten, die ein hohes Maß an Vor- wissen über die Verwaltungsstrukturen der Vergangen- heit nötig machen, wagen sich erfahrungsgemäß eher die älteren Jugendlichen heran. Geschichtswettbewerb zum Thema Migration »Guten Tag, wir sind Schüler der Städtischen Schule und Schüler im Archiv – Albtraum von Archivaren? suchen Material zu Migranten in unserem Ort.« Solche Eine große Zahl von Jugendlichen findet im Laufe ihrer oder ähnliche Sätze könnten in den nächsten Wochen häu- Forschungen zum Geschichtswettbewerb den Weg in ein figer in den Lesesälen von Archiven in Deutschland fallen Archiv – für die meisten ist es die erste Berührung mit die- – der neue Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten ser Institution. Bei ihren Archivrecherchen sind die der Körber-Stiftung ist am 1. September 2002 gestartet. Jugendlichen noch mehr als erwachsene Benutzer auf die Viele jugendliche Spurensucher unter 21 Jahren recher- Hilfestellung der Archivare und Archivmitarbeiter ange- chieren an ihrem Heimatort rund um das Rahmenthema wiesen. Die Systematik eines Archivs, der Weg von der »Weggehen – Ankommen. Migration in der Geschichte«. Beständeübersicht über die Findbücher hin zu einschlägi- Der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, frü- gen Akten und nicht zuletzt die besonderen Bedingungen her Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte um den Preis eines Archivs, die sich bis auf die Arbeitsformen auswir- des Bundespräsidenten, möchte das forschende Lernen ken (Stichworte sind hier beispielsweise Aushebezeiten, fördern und ermutigt Jugendliche, sich anhand von Litera- Kopierverbote oder Sperrfristen), erschweren ihnen oft tur, Archivmaterial und Zeitzeugengesprächen in diesem den ersten Zugang. Diejenigen, bei denen die Neugier auf Jahr mit Themen wie beispielsweise Auswanderern im 18. die Schätze der Archive über diese ersten Schwierigkeiten Jahrhundert, Wanderarbeitern im 19. Jahrhundert oder überwiegen, werden häufig mit einzigartigen Erfahrun- Flüchtlingen oder Gastarbeitern im 20. Jahrhundert zu gen belohnt. Sie halten plötzlich die letzte Postkarte eines beschäftigen. Der Großteil der Schüler wird dabei von Verfolgten vor seiner Deportation in den Tod in der Hand, Lehrerinnen und Lehrern betreut; einige ältere Schüler können anhand einer gefundenen Liste dem ersten Gastar- bzw. »alte Hasen« des Geschichtswettbewerbs nehmen beiter ihrer Heimatstadt einen Namen geben – die Authen- auch schon mal ohne die Betreuung durch Erwachsene tizität von Archivmaterial hat noch auf jeden Schüler seine daran teil. Einsendeschluss für alle Wettbewerbsarbeiten Faszination ausgeübt. ist der 28. Februar 2003. Damit viele Schülerinnen und Schüler solche Erfahrun- gen machen können und dabei möglichst nicht zum »Alb- Jugendliche Spurensucher traum« für Archivare werden, bietet die Körber-Stiftung Seit 1973 wird der Geschichtswettbewerb des Bundesprä- etwa 100 jugendlichen Teilnehmern und ca. 200 potentiel- sidenten von der Körber-Stiftung und vom Bundespräsi- len Betreuern im Rahmen von wettbewerbsbegleitenden denten gemeinsam ausgeschrieben. Knapp 100 000 Workshops Einführungen in die historische Projektarbeit Jugendliche haben sich in mittlerweile 17 Ausschreibun- und die Archivrecherche an – in enger Kooperation mit gen daran beteiligt. In einem sechsmonatigen Projekt Archivpädagogen und Archivaren. Ziel ist es, den Jugend- gehen Schülerinnen und Schüler einem lokalen Aspekt lichen erste Orientierungen für die Quellenrecherche vor des Rahmenthemas an ihrem Heimatort nach. Sie befragen Ort an die Hand zu geben, damit sie sich an dem für sie Experten, führen Umfragen durch oder sprechen mit Zeit- fremden Ort »Archiv« etwas besser zurechtfinden können. zeugen, stellen Anfragen bei Behörden und Lokalpoliti- Trotzdem werden viele jugendliche Spurensucher ohne kern. Das diesjährige Ausschreibungsthema bietet diese Vorbereitung ihren ersten Archivbesuch planen Jugendlichen die Möglichkeit, den abstrakten Begriff müssen. Sie sind dann um so mehr davon abhängig, dass

376 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 ihre Spurensuche von den Experten im Archiv wohlwol- Es entspricht nicht den Tatsachen, dass Herrn Professor lend unterstützt wird und sie als Benutzer ernst genom- Lammers die Einsicht in derartige Unterlagen verwehrt men werden. Für viele Schülerinnen und Schüler war der wurde. Richtig ist vielmehr, dass Herr Professor Lammers Gang in ein Archiv in der Vergangenheit bereits sehr dies gar nicht begehrt hat. Herr Professor Lammers hat am erfolgreich: Arbeiten aus nun fast 30 Jahren Geschichts- 20. Januar 1998 schriftlich nach Material zu den öffentli- wettbewerb haben gezeigt, dass insbesondere ältere Schü- chen Reaktionen auf die Tübinger Ringvorlesung „Deut- lerinnen und Schüler häufig Arbeiten einreichten, die sich sches Geistesleben und Nationalsozialismus“ im Jahr mancher Geschichtsprofessor als Seminararbeit wünschen 1964/65 gefragt und am 4. Februar 1998 per e-mail gebe- würde. Häufig recherchieren sie an Themen, die lokalge- ten, die Unterlagen, die ihm das Universitätsarchiv am schichtlich noch nicht aufgearbeitet sind und eine größere 27. Januar 1998 als einschlägig benannt hat, für seinen zeit- Öffentlichkeit auf interessante Bestände der Archive und lich sehr knapp bemessenen Archivbesuch am 12. Februar neue Aspekte der Lokalgeschichte aufmerksam machen 1998 bereitzustellen. In der gesamten Korrespondenz vor können. und nach dem Archivbesuch von Herrn Professor Lam- Neben vielen neuen Informationen zu Aspekten der mers war von den Entnazifizierungsunterlagen des Tübin- Migrationsgeschichte Deutschlands winken den jugendli- ger Lehrkörpers mit keinem Wort die Rede. chen Forschern Geld- und Sachpreise im Gesamtwert von Bereits unmittelbar nach Erscheinen seines Aufsatzes 250000 Euro. Die Ausschreibungsunterlagen gibt es im habe ich Herrn Professor Lammers brieflich und in vor- Magazin SPUREN SUCHEN Nr.16, zu bestellen bei der sichtiger Form mein Befremden über seine tatsachenwid- Körber-Stiftung, Bestellservice, Postfach 540305, 22503 rige und das Ansehen des Universitätsarchivs schädi- Hamburg oder unter www.geschichtswettbewerb.de. gende Behauptung zum Ausdruck gebracht. Eine Antwort Hamburg Katja Fausser/ darauf ist dem Universitätsarchiv bis heute nicht zuteil Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten geworden. Wenn nun Herr Dr. Paul in seiner Besprechung aus dem Beitrag von Herrn Professor Lammers lediglich die Zur Rezension des Sammelbandes „Dynamische Zeiten. erwähnte Fußnote mit der diskriminierenden, tatsachen- Die 60er Jahre in den beiden deutschen Gesellschaften“ widrigen Behauptung aufgreift, dann ist das natürlich sein Leserbrief gutes Recht. Schließlich ist es für die archivarische Fachöf- In der Mai-Nummer des „Archivar“ findet sich auf Seite fentlichkeit von Interesse zu erfahren, dass es – angeblich – 154 eine Besprechung des von Axel Schildt, Detlef Sieg- immer noch Archive gibt, die sich ihren Nutzern gegen- fried und Karl Christian Lammers herausgegebenen über als Akteneinsichtsverhinderungsinstitute verhalten. Sammelbandes „Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in den Die Frage allerdings, ob wirklich sein kann, was nach dem beiden deutschen Gesellschaften“. Diese Besprechung Gesetz nicht sein darf, hat sich Herr Paul in Bezug auf das enthält Ausführungen, die dem Ansehen des Universitäts- Universitätsarchiv Tübingen leider nicht gestellt. Ein kriti- archivs Tübingen abträglich sind und durch die ich mich scher und weniger leichtgläubiger Rezensent hätte das tun auch persönlich gekränkt fühle. Deshalb bitte ich Sie um müssen. Michael Wischnath/ eine Richtigstellung. Leiter des Universitätsarchivs Tübingen Der Rezensent, Herr Johann Paul, refereriert aus dem Beitrag des Mitherausgebers Karl Christian Lammers über „Die Auseinandersetzung mit der ,braunen‘ Universität. Veranstaltungstermine Ringvorlesungen zur NS-Vergangenheit an westdeut- (ohne Gewähr) schen Hochschulen“ die auf Seite 151, Fußnote 13 ver- ab 12. 6. 2000: Wanderausstellung des Hauptstaats- steckte Bemerkung: „Für diese Untersuchung wurde mir archivs Stuttgart und der Stadtar- Zugang zum Universitätsarchiv Tübingen gewährt, leider chive Herrenberg und Stuttgart „Ein nicht zu den Akten der Entnazifizierungsverfahren ehe- schwäbischer Leonardo? Heinrich maliger Tübinger Professoren und Dozenten.“ Diese Schickhardt (1558–1635). Baumei- Behauptung entspricht nicht den Tatsachen, erhält aber im ster – Ingenieur – Kartograph/Un Rahmen der Besprechung entscheidendes Gewicht, weil Léonard de Vinci souabe? Heinrich der Leser an dieser Stelle mehr über den Aufsatz von Schickhardt (1558–1635). Architecte Herrn Professor Lammers gar nicht erfährt. – Ingénieur – Cartographe“ Das Universitätsarchiv Tübingen legt deshalb Wert auf 4.9. bis 22. 12. 2002: Boll (Kurhaus Bad Boll) folgende Feststellung: 15. 1. bis 28. 2. 2003: Bad Urach Soweit die Unterlagen zur Entnazifizierung des Lehr- (Stadtmuseum) 15. 3. bis 30. 4. 2003: Marbach a. N. (Rathaus) körpers der Universität Tübingen im Universitätsarchiv 5. 5. bis 7. 7. 2003: Esslingen am Neckar Tübingen und nicht wie die Spruchkammerakten im (Altes Rathaus) zuständigen Staatsarchiv überliefert sind, fallen sie mit 10. 7. bis 31. 8. 2003: Göppingen (Städtisches Museum im Storchen) wenigen Ausnahmen schon seit Jahren nicht mehr unter 15. 9. bis 31. 10. 2003: Sulz am Neckar die Sperrfristen nach dem Landesarchivgesetz Baden- 15. 11. bis 31. 12. 2003:Neuenbürg (Schloss) Württemberg. Sie werden von der Forschung längst inten- ab 12. 9. 2001: Wanderausstellung des Branden- siv genutzt, auch in Veröffentlichungen, die das Universi- burgischen Landeshauptarchivs tätsarchiv selbst zu verantworten hat. Es steht nicht im Potsdam „Facetten adeliger Lebens- Ermessen des Universitätsarchivs, den Zugang zu solchen welten in Brandenburg 1701–1918“ Quellen nach Gutdünken zu gewähren oder zu unterbin- 5. 9. bis 20. 12. 2002: Potsdam (Stiftung den. Dieser rufschädigende Eindruck wird hier aber „Großes Waisenhaus zu erweckt. Potsdam“, Lindenstr.34a)

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 377 23. 1. bis 9. 3. 2003: Finsterwalde (Kreis- innerdeutschen Grenze zwischen museum Finsterwalde, Lange Str. 6/8) Rehna und Cumlosen, an Elbe und 16. 3. bis 27. 4. 2003: Schwedt (Stadtmuseum, Schaalsee“ Jüdenstr. 17) 25. 11. 2002 bis 31. 1. 2003: Magdeburg ab 20. 9. 2001: Wanderausstellung des Nordelbi- (Dokumentations- schen Kirchenarchivs Kiel „Kirche, zentrum am Moritzplatz, Christen, Juden in Nordelbien 1933 Umfassungsstr. 76) bis 1945“ ab 10. 8. 2002: Wanderausstellung der Bundesbe- 9. 11. bis 8. 12. 2002: Kirchenkreis Hamburg- Harburg auftragten für die Unterlagen des 9. 1. bis 9. 2. 2003: Kirchenkreis Eutin Staatssicherheitsdienstes der ehe- 14. 2. bis 9. 3. 2003: Kirchenkreis Münsterdorf maligen DDR, Außenstelle Neu- 14. 3. bis 13. 4. 2003: Kirchenkreis Neumünster 18. 4. bis 18. 5. 2003: Kirchenkreis Blankenese brandenburg „‚Feind ist, wer anders 23. 5. bis 22. 6. 2003: Kirchenkreis Plön denkt.‘ Die Staatssicherheit im ehe- (Weitere Orte werden in einer späteren Aus- maligen Bezirk Neubrandenburg“ gabe veröffentlicht. Weitere Informationen 18. 11. bis 6. 12. 2002: Lychen (Rathaus) unter www.kirche-christen-juden.org.) ab 28. 11. 2001: Wanderausstellung des Sächsischen 29. 8. 2002 bis Ausstellung des Zentralarchivs der Staatsarchivs Leipzig und des Regie- 14. 3. 2003: Evangelischen Kirche der Pfalz rungspräsidiums Leipzig „Vom Speyer „Volksfrömmigkeit – Umrisse eines Leipziger Kreis zum Regierungsbe- Phänomens“ (Zentralarchiv) zirk Leipzig. Geschichte und Leis- ab 31. 8. 2002: Ausstellung der Bundesbeauftragten tungen einer sächsischen Mittelbe- Berlin für die Stasi-Unterlagen „Verrat aus hörde (1547–2000)“ Liebe. Die Romeo-Methode der Sta- 2. 9. bis 20. 11. 2002: Leisnig (Burg Milden- si“ (Informations- und Dokumenta- stein, Burglehn 6) 2. 12. bis 20. 12. 2002: Dresden (Staatsministe- tionszentrum der BStU, Mauerstr. 38) rium des Innern, Wilhelm-Buck-Str. 2) 2. 9. 2002 bis Ausstellung des Stadtarchivs Erfurt 31. 1. 2003: „Bauen – (nicht nur) mit Zahlen“ ab 17. 1. 2002: Wanderausstellung der Bundesbe- Erfurt (Stadtarchiv) auftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe- 2. 9. 2002 bis Ausstellung des Landeshauptar- maligen DDR „Staatssicherheit – 28. 3. 2003: chivs Sachsen-Anhalt, Abteilung Garant der SED-Diktatur“ Merseburg Merseburg „Bilanzen – Fotos – Leu- 7. 11. bis 1. 12. 2002:Regensburg (Salzstadl, An narex. Wirtschaftsbestände in Sach- der Steinernen Brücke) sen-Anhalt“ ab 29. 4. 2002: Wanderausstellung der Bundesbe- auftragten für die Unterlagen des ab 17. 9. 2002: Wanderausstellung der rheinland- Staatssicherheitsdienstes der ehe- pfälzischen und saarländischen maligen DDR „Jehovas Zeugen Archive „Unrecht und Recht. Krimi- unter dem NS-Regime und in der nalität und Gesellschaft im Wandel DDR. Opfer unter zwei deutschen 1500–2000“ Diktaturen“ 17. 9. bis 1. 12. 2002: Trier, Viehmarktthermen 6. 9. bis 30. 12. 2002: Erfurt (Außenstelle 26.9. bis 29.11.2002: Wanderausstellung der UNESCO der BStU, Petersberg, Ludwigsburg erarbeitet von der Alliance for Na- Haus 19) ture „Das Welterbe/The World Heri- ab 15. 5. 2002: Wanderausstellung des Bundesar- tage“ (Staatsarchiv) chivs, des Staats- und des Stadtar- chivs Ludwigsburg „Ruth ‚Sara‘ 2.10. bis 31.12.2002: Ausstellung des Arbeitskreises Lax, 5 Jahre alt, deportiert nach Riga. Dessau Nordrhein-Westfälischer Papierres- Deportation und Vernichtung badi- tauratoren, ergänzt durch Exponate scher und württembergischer der Restaurierungswerkstatt des Juden“ Landeshauptarchivs Sachsen- 21. 11. 2002 bis Rastatt (Bundesarchiv – Anhalt „Eine Zukunft für die Ver- 12. 1. 2003: Erinnerungsstätte für die gangenheit: Konservieren und Freiheitsbewegungen in der deutschen Restaurieren von Archiv- und Geschichte) Bibliotheksgut“ (Gebäude der März/April 2003: Freiburg im Breisgau Abteilung Dessau des Landeshaupt- (Schloss) archivs) 30. 5. bis 24. 7. 2003: Schwäbisch Hall (Hällisch-Fränkisches 2. 10. 2002 bis Ausstellung des Wiener Stadt- und Museum) 31. 1. 2003: Landesarchivs „Bach-Dorf-Stadt- ab 1. 7. 2002: Wanderausstellung der Bundesbe- Wien Bezirk – 1000 Jahre Liesing“ auftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehe- 3. 10. 2002 bis Ausstellung des Museums für Kom- maligen DDR, Außenstelle Schwe- 19. 1. 2003: munikation mit der Bundesbeauf- rin „Grenzgebiet. Ereignisse an der Frankfurt/M. tragten für die Unterlagen des Staats-

378 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 sicherheitsdienstes der ehemaligen Straßburg. Vergangenheit und Pers- DDR „Ein offenes Geheimnis. Post- pektiven einer deutsch-französi- und Telefonkontrolle in der DDR“ schen Freundschaft/40 ans de jume- (Museum für Kommunikation lage Strasbourg–Stuttgart. Histoire Frankfurt/M., Schaumainkai 53) et perspectives d'une amitié franco- allemande” (Hall d'accueil du Cen- 7.10. bis 20.12.2002: Ausstellung des Stadtarchivs Dres- tre Administratif) Dresden den und des Dresdner Kreuzchores „Der Dresdner Kreuzchor“ (Stadtar- 15. 11. 2002 bis Ausstellung des Stadtarchivs Bad chiv Dresden, Elisabeth-Boer-Str. 1) 31. 1. 2003: Kissingen „Spielzeug und Bilderbü- Bad Kissingen cher aus Amerika und Asien. 10. 10. 2002 bis Ausstellung der Bundesbeauftrag- Schätze aus der Sammlung Schütze“ 4. 1. 2003: ten für die Unterlagen des Staatssi- (Altes Rathaus) Rostock cherheitsdienstes der ehemaligen DDR „Jugendwerkhöfe in der DDR. 26. bis 27. 11. 2002: Kolloquium der staatlichen Archiv- Das Beispiel Torgau“ Ludwigsburg verwaltung Baden-Württembergs aus Anlass der Verabschiedung von 16.10. bis Ausstellung des Staatsarchivs Mün- Prof. Dr. Gerhard Taddey „Archivi- 13.12.2002: chen „‚Kraftbayerisch‘ – Georg sches Arbeiten im Umbruch” München Queri 1879–1919. Ein Journalist, (Staatsarchiv) Schriftsteller und Volkskundler aus Oberbayern“ (Staatsarchiv) 27. bis. 29. 11. 2002: Tagung der Bundesbeauftragten für Berlin die Stasi-Unterlagen „Hatte ‚Janus‘ ab 16. 10. 2002: Wanderausstellung von Günter eine Chance? Das Ende der DDR Randecker und dem Bundesarchiv und die Sicherung der Zukunft der „Matthias Erzberger. Reichsminister Vergangenheit“ (Museum für Kom- in Deutschlands schwerster Zeit“ munikation) 30. 10. bis 20. 12. 2002: Ludwigsburg (Staatsarchiv) 3. 12. 2002 Ausstellung des Hessischen Staats- 18. 10. 2002 bis Ausstellung des Landesarchivs bis 31. 3. 2003: archivs Marburg „‚... damit die Bos- 4. 4. 2003: Schleswig-Holstein „‚Hab acht!‘ Zu Marburg heit gedämpfet werde‘. Justizvoll- Schleswig den Anfängen von Unfallverhütung zug und Häftlingsalltag in Nordhes- und Arbeiterschutz“ (Landesarchiv) sen im 18. bis 20. Jahrhundert“ (Staatsarchiv) 27. 10. 2002 bis Ausstellung des Staatsarchivs Det- 2. 2. 2003: mold „Fürstin Pauline zur Lippe – 10. bis 11. 12. 2002: Fortbildungsveranstaltung des West- Detmold Frauenzimmer-Regentin-Reformerin“ Münster fälischen Archivamtes „Übernahme 30.10. bis Ausstellung des Staatsarchivs Ham- und Erschließung von Nachlässen“ 20.12.2002: burg in Zusammenarbeit mit dem 24. 1. bis 23. 2. 2003: Ausstellung des Hauses der Heimat Hamburg Amt für Geoinformation zum Elb- Sigmaringen des Landes Baden-Württemberg tunnel-Elbbrücken „Drunter und „Dan hier ist beser zu leben als in Drüber. Elbquerungen gestern und dem schwaben land. Vom deutschen heute“ (Staatsarchiv) Südwesten in das Banat und nach ab 30. 10. 2002: Wanderausstellung der sächsischen Siebenbürgen” (Staatsarchiv) Staatsarchive „Fremd- und Zwangs- ab 30. 1. 2003: 25 Jahre Staatsarchiv Wertheim: arbeit in Sachsen 1939 bis 1945“ Wertheim-Bronnbach Jubiläumsprogramm 30. 10. 2002 bis 24. 1. 2003: Leipzig 30. 1. 2003: Die Zisterzienser und ihre Archive. ab 4. 11. 2002: Ausstellungsreihe des Hauptstaats- Bemerkungen zur pragmatischen Schriftlich- keit eines geistlichen Ordens. Vortrag im Rah- Stuttgart archivs Stuttgart „Archivale des men des Festakts zum 25-jährigen Bestehen Monats” 12. 3. 2003: Ende eines Klosters. Die Säkulari- 4. bis 29. 11. 2002: „‚Stuttgart hat mich sehr sierung der Zisterzienserabtei Bronnbach ermüdet …‘ Ein Brief von 5. 4. 2003: Die Bedeutung der Zisterzienser für Hermann Hesse im Nach- die europäische Kulturgeschichte. Vortrag zur lass Robert Haußmann“ Eröffnung der Multimedia-Präsentation zur 4. bis 31. 12. 2002: „Weihnachtliche Motive Geschichte des Klosters Bronnbach auf mittelalterlichen 10. 5. 2003: Kloster Bronnbach als Begräbnis- Urkunden“ stätte. Sonderführung mit einführendem Vor- 7. bis 31. 1. 2003: „Besitznahme und Erwer- trag bung Neuwürttembergs“ 15. 6. 2003: Bronnbacher Klostergeschichte(n) I (1153–1500). Historisch-musikalische Soirée 15. bis 29. 11. 2002: Präsentation des Hauptstaatsar- 2. 8. 2003: Kloster Bronnbach als Wirtschaftsbe- Straßburg chivs, des Stadtarchivs und des trieb. Kulturhistorische Wanderung 20. 8. 2003: Bronnbacher Klostergeschichte(n) II Bereichs Internationale Angelegen- (1500–1648). Historisch-musikalische Soirée heiten der Landeshauptstadt sowie 13. 9. 2003: Kirchenkonzert mit Werken fränki- des Institut Français de Stuttgart scher „Klosterkomponisten” aus dem 18. Jahr- hundert und der Robert Bosch Stiftung „40 28. 9. 2003: Bronnbacher Klostergeschichte(n) Jahre Städtepartnerschaft Stuttgart– III (1648–1803). Historisch-musikalische Soirée

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 379 5. 2. bis 30. 5. 2003: Ausstellung des Wiener Stadt- und 16. bis 17. 6. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Wien Landesarchivs „Ferdinand I. (1503– Marburg chivschule Marburg 1564) – ein Kaiser an der Wende zur Thema: Urheberrecht im Medienar- Neuzeit“ chiv (ASK 42) (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: 22. 2. bis 18. 5. 2003: Ausstellung des Bayerischen Haupt- [email protected]) München staatsarchivs „Bayern ohne Klöster? 19. bis 21. 6. 2003: Europäische Konferenz für Ar- Die Säkularisation 1802/03 und ihre Bocholt chivpädagogik Folgen“ (Hauptstaatsarchiv, Aus- (Anmeldung: Europäische Staatsbürgerakade- stellungsraum Ludwigstraße 14) mie, Adenauerallee 59, 46399 Bocholt. Weitere Informationen unter www.archivpaedago- 14. 3. 2003: 4. Tagung für Archivpädagogik des gen.de/europa.) Karlsruhe Generallandesarchivs Thema: Migration (Landesmedien- 23. bis 24. 6. 2003: 2. Norddeutscher Archivtag zentrum Baden-Württemberg) Schwerin (Schloss) 17. bis 19. 3. 2003: Frühjahrstagung der Fachgruppe 8 2. bis 4. 7. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Leipzig des VdA Marburg chivschule Marburg (Ansprechpartner: Dr. Wiemers, Universitäts- Thema: Bewertung, Überlieferungs- archiv Leipzig) bildung und Behördenbetreuung 27. bis 28. 3. 2003: 3. Frühjahrstagung der Fachgruppe 1 (ASK 11) Berlin im VdA in Zusammenarbeit mit dem (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: Bundesarchiv Berlin (Bundesarchiv) [email protected]) Thema: Organisation der Nutzung – 14. bis 18. 7. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Konzeptionen und Erfahrungen Marburg chivschule Marburg Thema: Einführung in das Archiv- 31. 3. bis 1. 4. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- wesen (GK 2) Marburg chivschule Marburg (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: Thema: Archivierung elektronischer [email protected]) Unterlagen (SIK 51) (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: 21. bis 23. 7. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- [email protected]) Marburg chivschule Marburg 5. 4. bis 3. 8. 2003: Ausstellung des Badischen Landes- Thema: Rechtsfragen im Archivall- Karlsruhe museums und des Generallandesar- tag (ASK 41) chivs „Gut Licht! – Fotografie in (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: Baden 1840–1930” (Schloss) [email protected]) 8. bis 12. 9. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- 7. bis 10. 4. 2003: Jahresversammlung der Arbeitsge- Marburg chivschule Marburg Freising meinschaft der Ordensarchive Thema: Einführung in die Ordnung 8. bis 9. 4. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- und Verzeichnung von Archivgut Marburg chivschule Marburg (GK 1) Thema: Digitale Präsentation von (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: Archivgut im Internet (ASK 23) [email protected]) (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: 6. bis 7. 10. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- [email protected]) Marburg chivschule Marburg 28. bis 30. 4. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Thema: Werkzeuge für Internetprä- Marburg chivschule Marburg sentation von Findmitteln: EAD Thema: MIDOSA – Schulung (SIK 62) (Encoded Archival Description) und (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: MIDOSAonline (ASK 31) [email protected]) (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: [email protected]) 5. bis 9. 5. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Marburg chivschule Marburg 11. 10. 2003: 14. Tag der Heimatforschung und Thema: Aufgaben und Betrieb klei- Wertheim-Bronnbach Archivfest ner und mittlerer Archive (GK 3) Thema: Zwischen Spiritualität, Wis- (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: senschaft und Herrschaftsrepräsen- [email protected]) tation. Kloster Bronnbach als geisti- 16. bis 18. 5. 2003: 63. Südwestdeutscher Archivtag ges Zentrum und „Residenz” Ludwigshafen Thema: Archive auf dem Markt? 13. bis 17. 10. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- am Rhein Vermarktung und Verwaltung archi- Marburg chivschule Marburg vischer Dienstleistungen (Rathaus) Thema: Einführung in Methoden 4. 6. 2003 bis Ausstellung im Wiener Stadt- und und Management archivischer Ar- 30. 1. 2004: Landesarchiv in Kooperation mit beit (GK 4) Wien dem Stadtarchiv Budapest „Buda- (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: pest und Wien“ [email protected])

380 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 20. bis 21. 10. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- 3. bis 5. 11. 2002: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Marburg chivschule Marburg Marburg chivschule Marburg Thema: Archivierung elektronischer Thema: Das Internet in der Öffent- Unterlagen (SIK 52) lichkeitsarbeit der Archive (SIK 61) (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: [email protected]) [email protected]) 20. bis 22. 10. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- 6. bis 7. 11. 2003: Fortbildungsveranstaltung der Ar- Marburg chivschule Marburg Marburg chivschule Marburg Thema: Schäden an Archivgut Thema: Normung und Qualitätssi- erkennen, begrenzen und behandeln cherung im Bereich der Schriftgut- (ASK 22) verwaltung (SIK 53) (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: (Anmeldung: Tel.: 06421/16971–12, E-Mail: [email protected]) [email protected])

Gesetzliche Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften für das staatliche Archivwesen und zur Archivpflege in der Bundesrepublik Deutschland

Zusammengestellt mit Unterstützung der Landesarchivverwaltungen von Peter Dohms und Meinolf Woste

Vorbemerkungen: Diese Übersicht berücksichtigt die vom 1. Juli bis 31. Dezember 2001 erlassenen gesetzlichen Bestimmungen und Verwaltungsvorschriften und setzt damit die Zusammenstellung von Heft 2/2002 (S. 184–189) fort. Soweit Texte oder Textstellen in vollem Wortlaut wiedergegeben sind, wurden sie in Petit gesetzt. Erläuterungen oder Zusätze der Bearbeiter sind kursiv gebracht.

Übersicht: 1. Bund, 2. Bayern, 3. Hessen, 4. Niedersachsen, 5. Nordrhein-Westfalen, 6. Rheinland-Pfalz, 7. Saarland, 8. Sachsen, 9. Thüringen

1. Bund 3. Hessen 1. Registraturrichtlinie für das Bearbeiten und Verwalten 1. Umwandlung der Archivschule Marburg in einen Lan- von Schriftgut in Bundesministerien vom 11. Juli 2001. desbetrieb. Erlass des Hessischen Ministeriums für Wis- 2. Siebente Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom senschaft und Kunst vom 5. Dezember 2001 (K II 3-450/ 29. Oktober 2001. Bundesgesetzblatt Teil I, S. 2785ff. 80-695). Staatsanzeiger für das Land Hessen Nr.52/53 hier: Artikel 76 Bundesarchivgesetz. vom 24. Dezember 2001, S. 4750. In § 6 Satz 1 des Bundesarchivgesetzes vom 6. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), das zuletzt durch das Gesetz vom 13. März 1992 Artikel 1 (BGBl. I S. 506) geändert worden ist, werden die Wörter „Der Bundesminister des Innern“ durch die Wörter „Das für Ange- Der Organisationserlass für die Archivschule Marburg vom legenheiten der Kultur und der Medien zuständige Mitglied 21. November 2000 wird wie folgt geändert: der Bundesregierung“ ersetzt. 1. § 1 wird wie folgt geändert: a) Die Überschrift lautet „Rechtsform und Aufgaben der 2. Bayern Archivschule“ 1. Verordnung zur Anpassung von Verordnungen an den b) Abs. 1 erhält folgende Fassung: Euro im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsminis- (1) Die Archivschule Marburg ist ein kaufmännisch ein- gerichteter Landesbetrieb nach § 26 Abs. 1 der Hessi- teriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom schen Landeshaushaltsordnung (LHO) im Geschäftsbe- 6. Juli 2001. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt reich des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und 2001, S. 371. Kunst. Sie hat ihren Sitz in Marburg. hier: § 10 Änderung der Archivbenützungsordnung. 2. In § 7 Abs. 1 Satz 2 wird das Wort „vierten“ gestrichen. 2. Änderung der Aussonderungsbekanntmachung. Be- kanntmachung der Bayerischen Staatsregierung vom Artikel 2 6. November 2001. Bayerischer Staatsanzeiger Nr.46/ Die Änderungen treten mit Wirkung zum 1. Januar 2002 in 2001. Kraft. 3. Änderung der Aussonderungsbekanntmachung-VS. Bekanntmachung der Bayerischen Staatsregierung vom 6. November 2001. Bayerischer Staatsanzeiger Nr.46/ 2001. 4. Niedersachsen 4. Gesetz über den Einsatz der Informations- und Kom- 1. Verordnung zur Änderung der Allgemeinen Gebühren- munikationstechnik in der öffentlichen Verwaltung ordnung vom 19. Dezember 2001. Niedersächsisches (IuK-Gesetz) vom 24. Dezember 2001. Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr.36/2001. Gesetz- und Verordnungsblatt 2001, S. 975. hier: Kostentarif Nr.81 „Staatsarchive“.

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 381 5. Nordrhein-Westfalen §4 Informationsrecht 1. Gesetz zur Anpassung des Landesrechts an den Euro in (1) Jede natürliche Person hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Nordrhein-Westfalen (EuroAnpG NRW) vom 25. Sep- gegenüber den in § 2 genannten Stellen Anspruch auf Zugang tember 2001. Gesetz- und Verordnungsblatt für das zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen. Land Nordrhein-Westfalen Nr.34/2001 vom 26. Okto- (2) Soweit besondere Rechtsvorschriften über den Zugang zu ber 2001. amtlichen Informationen, die Auskunftserteilung oder die hier: Artikel 2 – Änderung der Gebührenordnung für Gewährung von Akteneinsicht bestehen, gehen sie den Vor- die staatlichen Archive des Landes Nordrhein-Westfa- schriften dieses Gesetzes vor. Im Rahmen dieses Gesetzes ent- len. fällt die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit. 2. Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen §5 für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfrei- Verfahren heitsgesetz Nordrhein-Westfalen) vom 15. November (1) Der Zugang zu den bei den öffentlichen Stellen vorhande- 2001. Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nord- nen Informationen wird auf Antrag gewährt. Der Antrag kann rhein-Westfalen 40/2001, S. 806. schriftlich, mündlich oder in elektronischer Form gestellt wer- den. Er muss hinreichend bestimmt sein und insbesondere § 1 Zweck des Gesetzes erkennen lassen, auf welche Informationen er gerichtet ist. § 2 Anwendungsbereich Anträge auf Zugang zu amtlichen Informationen der Verwal- § 3 Begriffsbestimmungen tungstätigkeit von Schulen sind in inneren Schulangelegenhei- § 4 Informationsrecht ten an die Schulaufsicht, in äußeren Schulangelegenheiten an § 5 Verfahren die Schulträger zu richten. Begehrt die Antragstellerin oder § 6 Schutz öffentlicher Belange und der Rechtsdurchsetzung der Antragsteller eine bestimmte Art des Informationszu- § 7 Schutz der behördlichen Entscheidungsbildungsprozesse gangs, so darf nur dann eine andere Art bestimmt werden, § 8 Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen wenn hierfür ein wichtiger Grund vorliegt. § 9 Schutz personenbezogener Daten (2) Die Information soll unverzüglich, spätestens innerhalb § 10 Einwilligung der betroffenen Person eines Monats nach Antragstellung, zugänglich gemacht wer- § 11 Kosten den. Die inhaltliche Richtigkeit der Information ist nicht zu § 12 Veröffentlichungspflichten überprüfen. Die Ablehnung eines Antrages nach Absatz 1 oder § 13 Beauftragte oder Beauftragter für das Recht auf Informa- die Beschränkung des beantragten Zugangs zu einer Informa- tion tion ist schriftlich zu erteilen und zu begründen; bei mündli- § 14 Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes cher Antragstellung gilt die Schriftform nur auf ausdrückli- § 15 In-Kraft-Treten ches Verlangen der Antragstellerin oder des Antragstellers. §1 Die informationssuchende Person ist im Falle der Ablehnung Zweck des Gesetzes auch auf ihr Recht nach § 13 Abs. 2 hinzuweisen. Zweck dieses Gesetzes ist es, den freien Zugang zu den bei den (3) Ist die Gewährung des Informationszugangs von der Ein- öffentlichen Stellen vorhandenen Informationen zu gewähr- willigung einer betroffenen Person abhängig, gilt diese Einwil- leisten und die grundlegenden Voraussetzungen festzulegen, ligung als verweigert, wenn sie nicht innerhalb eines Monats unter denen derartige Informationen zugänglich gemacht wer- nach Anfrage durch die öffentliche Stelle vorliegt. den sollen. (4) Der Antrag kann abgelehnt werden, wenn die Information §2 der Antragstellerin oder dem Antragsteller bereits zur Verfü- Anwendungsbereich gung gestellt worden ist oder wenn sich die Antragstellerin (1) Dieses Gesetz gilt für die Verwaltungstätigkeit der Behör- oder der Antragsteller die Information in zumutbarer Weise den, Einrichtungen und sonstigen öffentlichen Stellen des Lan- aus allgemein zugänglichen Quellen beschaffen kann. des, der Gemeinden und Gemeindeverbände sowie der sonsti- (5) Bei Anträgen, die von mehr als 20 Personen auf Unterschrif- gen der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Per- tenlisten unterzeichnet oder in Form vervielfältigter gleichlau- sonen des öffentlichen Rechts und deren Vereinigungen tender Texte eingereicht werden (gleichförmige Anträge), gel- (öffentliche Stellen). Behörde im Sinne dieses Gesetzes ist jede ten die §§ 17 und 19 des Verwaltungsverfahrensgesetzes ent- Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt. sprechend. Sind mehr als 20 Personen aufzufordern, einen (2) Für den Landtag und für die Gerichte sowie für die Behör- gemeinsamen Vertreter zu bestellen, kann die öffentliche Stelle den der Staatsanwaltschaft gilt dieses Gesetz, soweit sie Ver- die Aufforderung ortsüblich bekanntmachen. waltungsaufgaben wahrnehmen. Entsprechendes gilt für den Landesrechnungshof und die Staatlichen Rechnungsprü- §6 fungsämter. Schutz öffentlicher Belange und der Rechtsdurchsetzung (3) Für Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Prüfungs- Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen, soweit einrichtungen gilt dieses Gesetz nur, soweit sie nicht im und solange Bereich von Forschung, Lehre, Leistungsbeurteilungen und a) das Bekanntwerden der Information die Landesverteidi- Prüfungen tätig werden. gung, die internationalen Beziehungen, die Beziehungen (4) Sofern eine natürliche oder juristische Person des Privat- zum Bund oder zu einem Land oder die öffentliche Sicher- rechts öffentlich-rechtliche Aufgaben wahrnimmt, gilt sie als heit oder Ordnung, insbesondere die Tätigkeit der Polizei, Behörde im Sinne dieses Gesetzes. des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften oder der Behörden des Straf- und Maßregelvollzugs einschließ- §3 lich ihrer Aufsichtsbehörden beeinträchtigen würde oder Begriffsbestimmungen b) durch die Bekanntgabe der Information der Verfahrensab- Informationen im Sinne dieses Gesetzes sind alle in Schrift-, lauf eines anhängigen Verwaltungsverfahrens, eines Ord- Bild-, Ton- oder Datenverarbeitungsform oder auf sonstigen nungswidrigkeitenverfahrens, eines Disziplinarverfahrens Informationsträgern vorhandenen Informationen, die im oder der Erfolg einer bevorstehenden behördlichen Maß- dienstlichen Zusammenhang erlangt wurden. Informations- nahme erheblich beeinträchtigt würde oder träger sind alle Medien, die Informationen in Schrift-, Bild-, c) durch das Bekanntwerden der Information Angaben und Ton- oder Datenverarbeitungsform oder in sonstiger Form Mitteilungen öffentlicher Stellen des Bundes oder anderer speichern können. Länder ohne deren Zustimmung offenbart würden.

382 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 Entsprechendes gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür akademischen Grad, Berufs- und Funktionsbezeichnung, bestehen, dass die Information zu einer Gefährdung der Büroanschrift und Rufnummer beschränken und öffentlichen Sicherheit oder Ordnung missbräuchlich verwen- a) die betroffene Person als Amtsträger an dem jeweiligen det werden soll. Vorgang mitgewirkt hat oder §7 b) die betroffene Person als Gutachter, Sachverständiger oder Schutz des behördlichen Entscheidungsbildungsprozesses in vergleichbarer Weise eine Stellungnahme in einem Ver- (1) Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen für Ent- fahren abgegeben hat, es sei denn, der Offenbarung stehen würfe zu Entscheidungen, für Arbeiten und Beschlüsse zu schutzwürdige Belange der betroffenen Person entgegen. ihrer unmittelbaren Vorbereitung sowie für Protokolle ver- traulicher Beratungen. §10 (2) Der Antrag soll abgelehnt werden, wenn Einwilligung der betroffenen Person a) sich der Inhalt der Information auf den Prozess der Willens- (1) Im Fall des § 9 Abs. 1 Buchstabe a) ist zu prüfen, ob dem bildung innerhalb von und zwischen öffentlichen Stellen Antrag auf Informationszugang nach Abtrennung oder oder Schwärzung der personenbezogenen Daten stattgegeben wer- den kann. Ist dies nicht oder nur mit unverhältnismäßigem b) das Bekanntwerden des Inhalts der Information die Funk- Aufwand möglich, hat die öffentliche Stelle unverzüglich die tionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Landesre- Einwilligung der betroffenen Person einzuholen. Wird die Ein- gierung beeinträchtigt oder willigung nicht erteilt oder gilt sie nach § 5 Abs. 3 als verwei- c) es sich um Informationen handelt, die ausschließlich gert, besteht der Anspruch auf Informationszugang nicht. Bestandteil von Vorentwürfen und Notizen sind, die nicht (2) Die öffentlichen Stellen treffen gemäß § 4 Abs. 6 des Daten- Bestandteil eines Vorgangs werden sollen und alsbald ver- schutzgesetzes Nordrhein-Westfalen geeignete Maßnahmen, nichtet werden. damit Informationen, die dem Anwendungsbereich der §§ 6 (3) Informationen, die nach Absatz 1 vorenthalten worden bis 9 unterfallen, möglichst ohne unverhältnismäßigen Auf- sind, sind nach Abschluss des jeweiligen Verfahrens zugäng- wand abgetrennt werden können. lich zu machen. Für Protokolle vertraulichen Inhalts gilt dies nur für die Ergebnisse. §11 §8 Kosten Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (1) Für Amtshandlungen, die aufgrund dieses Gesetzes vorge- Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen, soweit nommen werden, werden Gebühren erhoben. Die Ablehnung durch die Übermittlung der Information ein Betriebs- oder eines Antrages auf Informationszugang ist gebührenfrei. Geschäftsgeheimnis offenbart wird und dadurch ein wirt- (2) Die Landesregierung wird ermächtigt, im Einvernehmen schaftlicher Schaden entstehen würde. Entsprechendes gilt für mit dem Landtagsausschuss für Innere Verwaltung und Ver- Informationen, die wegen ihrer volkswirtschaftlichen Bedeu- waltungsstrukturreform die Gebührentatbestände und die tung im öffentlichen Interesse geheimzuhalten sind. Sätze 1 Gebühren durch Rechtsverordnung (Gebührenordnung) zu und 2 gelten nicht, wenn die Allgemeinheit ein überwiegendes bestimmen. Die Bestimmungen des Gebührengesetzes des Interesse an der Gewährung des Informationszugangs hat und Landes Nordrhein-Westfalen bleiben im Übrigen unberührt. der eintretende Schaden nur geringfügig wäre. Im Zweifelsfall ist der oder dem Betroffenen vorher Gelegenheit zur Stellung- nahme zu geben. Betroffen sein kann auch eine öffentliche §12 Stelle. Veröffentlichungspflichten §9 Geschäftsverteilungspläne, Organigramme und Aktenpläne Schutz personenbezogener Daten sind nach Maßgabe dieses Gesetzes allgemein zugänglich zu (1) Der Antrag auf Informationszugang ist abzulehnen, soweit machen. Die öffentlichen Stellen sollen Verzeichnisse führen, durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene aus denen sich die vorhandenen Informationssammlungen Daten offenbart werden, es sei denn, und -zwecke erkennen lassen. Soweit möglich hat die Veröf- a) die betroffene Person hat eingewilligt oder fentlichung in elektronischer Form zu erfolgen. § 4 Abs. 2 Satz 1 dieses Gesetzes bleibt unberührt. b) die Offenbarung ist durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt oder c) die Offenbarung ist zur Abwehr erheblicher Nachteile für §13 das Allgemeinwohl oder von Gefahren für Leben, Gesund- Beauftragte oder Beauftragter für das Recht auf Information heit, persönliche Freiheit oder sonstiger schwerwiegender (1) Für die Sicherstellung des Rechts auf Information ist die Beeinträchtigungen der Rechte Einzelner geboten oder oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz zuständig. d) die Einholung der Einwilligung der betroffenen Person ist (2) Jeder hat das Recht, die Landesbeauftragte oder den Lan- nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich desbeauftragten für den Datenschutz als Beauftragte oder und es ist offensichtlich, dass die Offenbarung im Interesse Beauftragten für das Recht auf Information anzurufen. Das der betroffenen Person liegt oder Datenschutzgesetz Nordrhein-Westfalen gilt entsprechend. e) die Antragstellerin oder der Antragsteller macht ein rechtli- (3) Die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz legt ches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information dem Landtag und der Landesregierung jeweils für zwei Kalen- geltend und überwiegende schutzwürdige Belange der derjahre einen Bericht über ihre oder seine Tätigkeit als Beauf- betroffenen Person stehen der Offenbarung nicht entgegen. tragte oder Beauftragter für das Recht auf Information vor. § 27 (2) Soll Zugang zu personenbezogenen Informationen nach des Datenschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen gilt entspre- Absatz 1 Buchstabe b bis e gewährt werden, ist die betroffene chend. Person von der Freigabe der Information zu benachrichtigen, §14 wenn dies nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand Überprüfung der Auswirkungen des Gesetzes verbunden ist. Können durch den Zugang zu einer Informa- (1) Die Auswirkungen dieses Gesetzes werden nach einem tion schutzwürdige Belange der betroffenen Person beein- Erfahrungszeitraum von zwei Jahren durch die Landesregie- trächtigt werden, so hat die öffentliche Stelle dieser vorher rung unter Mitwirkung der kommunalen Spitzenverbände Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. und die Landesbeauftragte oder des Landesbeauftragten für (3) Dem Antrag auf Informationszugang soll in der Regel statt- den Datenschutz überprüft. Die Landesregierung unterrichtet gegeben werden, soweit sich die Angaben auf Namen, Titel, danach den Landtagsausschuss für Innere Verwaltung und

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 383 Verwaltungsstrukturreform über das Ergebnis der Überprü- Weitere persönliche Angaben (Geburtsjahr, Beruf) können fung. vom Benutzer oder der Benutzerin auf freiwilliger Basis erho- (2) Die öffentlichen Stellen, bei denen Anträge auf Zugang zu ben werden. Bei persönlicher Einsichtnahme ist für die schrift- Informationen gestellt werden, sind verpflichtet, eine Statistik liche Antragstellung ein Vordruck zu verwenden. zu führen. Die Statistik umfasst den Gegenstand des Antrags, (2) Bei Nutzungen nach § 2 Abs. 1 Buchstabe b) bis e), insbeson- die Dauer der Bearbeitung, die Entscheidung über den Antrag dere bei schriftlichen oder mündlichen Anfragen, kann auf sowie die Anzahl der Widersprüche und Klagen. Sie weist einen schriftlichen Antrag gemäß Absatz 1 verzichtet werden. außerdem aus, in wie vielen Fällen mit welchem Gegenstand (3) Der Antrag gilt nur für das laufende Kalenderjahr, das betroffene Personen eine Einwilligung in die Offenbarung angegebene Nutzungsvorhaben und den angegebenen Nut- ihrer personenbezogenen Daten erteilt haben und in wie vielen zungszweck. Wechselt der Nutzer oder die Nutzerin Nut- und welchen Fällen eine Einwilligung ausdrücklich nicht zungsvorhaben oder Nutzungszweck, ist erneuter Antrag zu erteilt oder die Verweigerung der Einwilligung durch Nichtäu- stellen. ßerung der betroffenen Person fingiert wurde. Gleiches gilt für die Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 9 Abs. 2. (4) Der Benutzer oder die Benutzerin hat sich auf Verlangen auszuweisen. §15 (5) Sollen andere Personen als Hilfskräfte oder Beauftragte zu In-Kraft-Treten den Arbeiten herangezogen werden, so ist jeweils ein eigener Dieses Gesetz tritt am 1. Januar 2002 in Kraft. Antrag zu stellen. (6) Mit dem Antrag verpflichtet sich der Benutzer oder Benut- zerin, die Vorschriften dieser Verordnung sowie ergänzende 6. Rheinland-Pfalz Bestimmungen des Landesarchivs (§ 12) einzuhalten. 1. Aufbewahrung, Aussonderung und Vernichtung des (7) Die Angaben im Antrag und Daten über den Ablauf der Schriftgutes der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Benutzung, besonders über das benutzte Archivgut, können Staatsanwaltschaften und der Justizvollzugsbehörde. für die Zwecke des Landesarchivs weiter verarbeitet werden. Rundschreiben des Ministeriums der Justiz vom §4 25. Oktober 2001. Justizblatt 2001, S. 300. Benutzungsgenehmigung (1) Über den Benutzungsantrag entscheidet der Leiter oder die 7. Saarland Leiterin des Landesarchivs. 1. Verordnung über die Benutzung von Archivgut beim (2) Die Benutzungsgenehmigung kann mit Bedingungen und Landesarchiv (Archivbenutzungsordnung – ArchBO) Auflagen erteilt werden. vom 10. Dezember 2001. Amtsblatt des Saarlandes vom (3) Die Benutzungsgenehmigung kann eingeschränkt oder 10. Januar 2002. versagt werden, wenn a) bei früherer Benutzung von Archivgut wiederholt oder Auf Grund des § 12 des Saarländischen Archivgesetzes schwerwiegend gegen diese Verordnung oder ergänzende (SArchG) vom 23. September 1992 (Amtsbl. S. 1094) verordnet Bestimmungen des Landesarchivs (§ 12) verstoßen oder der Ministerpräsident: festgelegte Benutzungsbedingungen oder -auflagen nicht §1 eingehalten worden sind, Benutzungsberechtigung b) der Erhaltungszustand des Archivguts oder Vereinbarun- Archivgut steht nach Maßgabe des Saarländischen Archivge- gen mit Eigentümern von Archivgut dies erfordern, setzes und dieser Verordnung auf Antrag jedermann zur c) Archivgut aus dienstlichen Gründen oder wegen gleichzei- Benutzung zur Verfügung. tiger amtlicher oder anderweitiger Nutzung nicht verfüg- §2 bar ist, Benutzungsarten d) der mit der Nutzung verfolgte Zweck anderweitig, insbe- (1) Die Benutzung erfolgt sondere durch Einsichtnahme in Druckwerke oder andere a) durch persönliche Einsichtnahme im Landesarchiv, Veröffentlichungen oder in Reproduktionen erreicht wer- b) durch mündliche, fernmündliche oder schriftliche Anfra- den kann, gen, e) die Benutzung einen nicht vertretbaren Verwaltungsauf- c) durch Anforderung von Reproduktionen von Archivgut, wand verursachen würde. d) durch Versendung von Archivgut zur Einsichtnahme an (4) Die Benutzungsgenehmigung kann widerrufen werden, einem anderen Ort, wenn e) durch Ausleihe von Archivgut für Ausstellungen. a) wiederholt oder schwerwiegend gegen diese Verordnung (2) Die übliche Benutzungsart ist die persönliche Einsicht- oder ergänzende Bestimmungen des Landesarchivs (§ 12) nahme im Landesarchiv. verstoßen wird oder festgelegte Nutzungsbedingungen oder -auflagen nicht eingehalten werden, §3 Benutzungsantrag b) nachträglich Gründe bekannt werden, die zur Versagung geführt hätten, (1) Die Benutzungsgenehmigung ist schriftlich beim Landesar- chiv zu beantragen. Im Antrag ist folgendes anzugeben: c) Urheber- oder Persönlichkeitsschutzrechte oder andere schutzwürdige Belange Dritter nicht beachtet werden. 1. Name, Vorname und Anschrift des Antragstellers oder der Antragstellerin, (5) Bei Einschränkung, Versagung oder Widerruf der Benut- zungsgenehmigung sind die Gründe – auf Wunsch schriftlich 2. Name, Vorname und Anschrift des Auftraggebers oder der – mitzuteilen. Auftraggeberin, wenn die Benutzung im Auftrag eines oder einer Dritten erfolgt, §5 3. der Benutzungszweck, der Gegenstand der Nachforschungen Durchführung der Benutzung und die beabsichtigte Auswertung; bei Benutzung zu wissen- (1) Die Archivbenutzung findet grundsätzlich nur in dem hier- schaftlichen Zwecken ist die Art der geplanten Arbeit, bei Stu- für bestimmten Arbeitsraum (Benutzersaal) unter fachlicher dien- und Prüfungsarbeiten die Hochschule anzugeben, Aufsicht statt. Für das Verhalten im Benutzersaal gelten die Vor- 4. die Art der vorgesehenen Veröffentlichung. schriften der Benutzersaalordnung des Landesarchivs (§ 12).

384 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 (2) Der Benutzer oder die Benutzerin ist verpflichtet, das Landesarchiv erfolgen und der Nutzungszweck nicht durch Archivgut im Benutzersaal zu belassen, die innere Ordnung Versendung von Reproduktionen erreicht werden kann. des Archivguts zu bewahren, es nicht zu beschädigen, zu ver- (2) Zur Ausstellung geeignete Archivalien können ausgeliehen ändern oder in seinem Erhaltungszustand zu gefährden. Das werden, wenn die Ausstellungsbedingungen fachlichen gleiche gilt entsprechend für Findmittel jeder Art und Biblio- Anforderungen entsprechen und der Ausstellungszweck nicht theksgut. durch Verfügungstellung von Reproduktionen erreicht wer- (3) Die Durchführung der Benutzung bleibt dem Benutzer den kann. oder der Benutzerin überlassen. Die Beratung durch das Perso- (3) Die Entscheidung über Versand und Ausleihe sowie über nal des Archivs beschränkt sich grundsätzlich auf den Nach- die jeweilige Dauer fällt der Leiter oder die Leiterin des Lan- weis der einschlägigen, im Landesarchiv vorhandenen Archi- desarchivs unter fachlichen Gesichtspunkten. Ein Anspruch valien. Der Benutzer oder die Benutzerin hat keinen Anspruch auf Versand oder Ausleihe besteht nicht. auf umfassende Hilfe beim Lesen oder Übersetzen der Archi- (4) Über die Ausleihe ist zwischen dem Landesarchiv und dem valien. Entleiher oder der Entleiherin ein Leihvertrag abzuschließen. (4) Der Benutzer oder die Benutzerin haftet für den Verlust oder jede vorsätzliche oder fahrlässige Beschädigung von (5) Die Anfertigung von Reproduktionen am fremden Nut- Archivalien. zungsort bedarf der vorherigen Einwilligung des Landesar- chivs. (5) Die Archivbücherei steht Benutzern oder Benutzerinnen zur Verfügung, soweit dienstliche Interessen nicht entgegen- (6) Die jeweils anfallenden Kosten trägt der Besteller oder die stellen. Sie ist eine Präsenzbibliothek. Bestellerin. §11 (6) Die Benutzung privater technischer Hilfsmittel im Zusam- Ablieferungspflicht menhang mit der Archivalienbenutzung ist grundsätzlich gestattet, soweit die Archivalien nicht gefährdet und die Ord- Von Veröffentlichungen, die unter Nutzung des Archivgutes nung im Benutzersaal nicht gestört wird. Das Landesarchiv des Landesarchivs entstanden sind, steht dem Landesarchiv kann dazu auch eigene Räume oder Kabinen zur Verfügung ein kostenloses Belegexemplar zu. Stellt dies im Einzelfall eine stellen. unzumutbare Härte dar, kann das Landesarchiv auf das Beleg- §6 exemplar verzichten bzw. einvernehmlich einen Ankauf zu Benutzung fremden Archivguts einem reduzierten Preis tätigen. Ist für die Benutzung eines Depositums mit dem Eigentümer oder der Eigentümerin die Für die Benutzung von Archivalien, die von anderen Archiven Abgabe eines Belegexemplars vereinbart, steht diesem oder oder Instituten übersandt werden, gelten dieselben Bedingun- dieser das Exemplar zu. gen wie für das Archivgut des Landesarchivs, sofern die über- sendende Stelle nicht anderslautende Auflagen macht. Gebüh- §12 ren und Auslagen tragen diejenigen, die die Versendung ver- Ergänzende Bestimmungen anlasst haben. Das Landesarchiv kann zu dieser Verordnung ergänzende §7 Bestimmungen treffen. Insbesondere regelt es die Öffnungs- Öffnungszeiten des Benutzersaales zeiten sowie den Schutz des Archiv- und Bibliotheksguts bei (1) Die Öffnungszeiten werden durch das Landesarchiv geson- der Benutzung und den Ablauf der Benutzung durch eine dert festgesetzt und bekannt gegeben. Benutzersaalordnung. §13 (2) Der Benutzersaal kann aus besonderem Anlass zeitweilig Gebühren und Auslagen geschlossen werden. §8 Die Erhebung von Verwaltungs- und Benutzungsgebühren Anfertigung von Reproduktionen sowie von Auslagen für die Benutzung des Landesarchivs richtet sich nach der Gebührenordnung für die Benutzung des (1) Auf schriftlichen Antrag stellt das Landesarchiv oder eine Landesarchivs in der jeweils geltenden Fassung. von ihm beauftragte Stelle Reproduktionen von Archivalien her, sofern nicht fachliche Gründe entgegenstehen. Über das §14 jeweils geeignete Reproduktionsverfahren entscheidet das In-Kraft-Treten Landesarchiv. Ein Anspruch auf die Anfertigung von Repro- (1) Diese Verordnung tritt am Tage nach ihrer Verkündung in duktionen besteht nicht. Kraft. (2) Auf besonderen Antrag können einzelne fotografische (2) Gleichzeitig tritt die Benutzungsordnung für das Landesar- Reproduktionen durch den Benutzer oder die Benutzerin chiv Saarbrücken vom 27. März 1986 (GMBI. Saar S. 225) außer selbst angefertigt werden, sofern nicht fachliche Gründe entge- Kraft. genstehen. (3) Reproduktionen dürfen nur für den im Benutzungsantrag bezeichneten Zweck unter Angabe der Herkunft aus dem Lan- 8. Sachsen desarchiv verwendet werden. Bestehende Urheberrechte, auch 1. Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des des Landesarchivs, sind zu wahren. Innern zur Euro-bedingten Änderung von Rechtsver- (4) Für die Veröffentlichung von Archivalienreproduktionen ordnungen vom 12. Dezember 2001. Sächsisches ist die vorherige Genehmigung des Landesarchivs erforder- Gesetz- und Verordnungsblatt 2002, S. 3. lich. §9 hier: Artikel 6 – Änderung der Sächsischen Archivge- Schriftliche Auskünfte bührenordnung. Schriftliche Auskünfte auf Anfragen beschränken sich grund- dazu: Berichtigung des Artikels 6 durch die Änderung sätzlich auf die Mitteilung von Art, Umfang, Zustand und der Rechtsverordnungen vom 20. März 2002. Sächsi- Benutzbarkeit einschlägiger Archivalien im Landesarchiv. sches Gesetz- und Verordnungsblatt 2002, S. 155. §10 9. Thüringen Versand und Ausleihe von Archivalien (1) Zum Versand geeignete Archivalien können in Ausnahme- 1. Thüringer Verwaltungskostenordnung für den Ge- fällen zur Benutzung ausgeliehen werden, wenn Benutzung schäftsbereich des Ministeriums für Wissenschaft, For- und Aufbewahrung unter vergleichbaren Bedingungen wie im schung und Kunst vom 31. Juli 2001. Gesetz- und Ver-

Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4 385 ordnungsblatt für den Freistaat Thüringen 6/2001 vom Von den Aktiengesellschaften werden alle Steuerakten aus den 13. September 2001, S. 113. Körperschaftssteuerfinanzämtern übernommen. Die OFD stellt hier: Verwaltungskostenverzeichnis Nr. 3 – Amtshand- ebenfalls zum 1. März jeden Jahres für die Finanzämter Listen der lungen der Staatsarchive. Aktiengesellschaften den Staatsarchiven zur Verfügung. Zusätzlich erfolgt ein konkretes Auswahlverfahren. Grundlage 2. Anordnung zur Organisation der Thüringischen Staats- bildet die bei der Oberfinanzdirektion vorliegende Branchenliste. archive und des Thüringischen Landesamts für Denk- Diese Liste baut auf der Systematik der Wirtschaftszweige auf malpflege vom 14. November 2001. Thüringer Staatsan- und lässt über die Gewerbekennzahl das jeweilige Gewerbe zeiger Nr.50/2001. erkennen. Aufgrund des großen mengenmäßigen Umfanges der 3. Vereinbarung der Thüringischen Staatsarchive mit der Listen treffen die entsprechenden Staatsarchive als erstes eine Auswahl der Wirtschaftszweige, von denen Steuerakten über- Oberfinanzdirektion Erfurt über die Bewertung von nommen werden sollen und somit eine Branchenliste benötigt Steuerakten der Finanzämter im Freistaat Thüringen wird. Anhand dieser Listen erfolgt dann die konkrete Auswahl vom 23. August 2001. einzelner Unternehmen.

Modell zur Bewertung von Steuerakten der Finanzämter 2. Steuerunterlagen von Persönlichkeiten und außergewöhnliche im Freistaat Thüringen Steuerfälle (Normiertes Bewertungsverfahren als Vereinbarung i. S. von § 13 Die OFD räumt den Finanzämtern die Möglichkeit ein, den Abs. 1 ThürArchivG) Staatsarchiven jährlich zum 1. März Steuerpflichtige zu benen- nen, die im vergangenen Kalenderjahr als „außergewöhnlich“ Allgemeines und Grundsätzliches auffielen (zum Beispiel: hoher Arbeitsaufwand oder gravierende Einkommensschwankungen). Zusätzlich benennt jedes Staatsar- Die nachfolgende Regelung sollte möglichst rückwirkend bis chiv den Finanzämtern in seinem Zuständigkeitsbereich bis zum 1991 Anwendung finden. Für die Zeit davor und in den Fällen, wo 1. Dezember jeden Jahres Persönlichkeiten des öffentlichen dies nicht realisierbar ist, muss die Verfahrensweise mit dem Lebens (aus Wirtschaft, Medien, Politik, Verwaltung) unter jeweiligen Staatsarchiv vereinbart werden. Angabe des Namens und der Adresse. Zum Stichtag 1. März eines jeden Jahres übersendet die Oberfi- Die zuständigen Finanzämter teilen daraufhin mit, ob die nanzdirektion Erfurt (OFD) den Staatsarchiven entsprechend genannten Persönlichkeiten steuerlich geführt werden und eine ihres Sprengels eine Aufstellung, die jeweils die 30 steuerkräftigs- Steuerakte zur Abgabe an das Staatsarchiv vorgesehen werden ten Fälle enthält und aus vier Listen besteht: kann. – über Sonstige Gewerbetreibende (ohne Körperschaften) mit Angaben des Gewinns aus Gewerbebetrieb und zusätzlichem 3. Grunderwerbsteuer Ausweis des Gesamtumsatzes; Die Daten der Grunderwerbsteuer gehen in die entsprechenden – über Selbständige Steuerpflichtige (Fälle mit Einkünften aus Einheitswertakten ein. Mit einer Aussonderung dieser Akten ist selbständiger Tätigkeit) mit Angaben des Gewinns aus selb- nach Aussage der Oberfinanzdirektion Erfurt in absehbarer Zeit ständiger Tätigkeit; nicht zu rechnen. Sobald eine Aussonderung ansteht, wird durch – über Sonstige Steuerpflichtige (einkommensteuerpflichtige das jeweilige Staatsarchiv eine regionale Auswahl nach Ort, Fälle) mit Angabe des zu versteuernden Einkommens; Straße, Hausnummer getroffen. – über Land- und Forstwirte (Fälle mit Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft) mit Angabe des Gewinns aus Land- und 4. Erbschafts- und Schenkungssteuer Forstwirtschaft. Diese Akten sind grundsätzlich anzubieten. Für Finanzämter, in denen Körperschaften steuerlich geführt wer- den, wird eine fünfte Liste erstellt. Diese enthält die 30 Körper- 5. Rennwett- und Lotteriesteuer, Versicherungssteuer, Feuer- schaften mit dem höchsten Gewinn unter zusätzlicher Angabe schutz des Gesamtumfanges. Diese Akten sind grundsätzlich anzubieten. Auf der Grundlage dieser Listen treffen die Staatsarchive eine Auswahl der zur dauernden Aufbewahrung vorgesehenen 6. Betriebsprüfungsberichte Steuerakten und teilen das Ergebnis den Finanzämtern mit, die Betriebsprüfungsberichte sind grundsätzlich anzubieten. wiederum ihre Unterlagen mit dem Vermerk „Staatsarchiv“ ver- sehen. 7. Steuerverfahrens- und Steuerfahndungsakten Diese Akten sind grundsätzlich anzubieten. 1. Steuerunterlagen von Unternehmen Die vorstehende Vereinbarung zum Modell zur Bewertung von Von jedem Finanzamt werden durch das jeweilige Staatsarchiv Steuerakten der Finanzämter im Freistaat Thüringen wird zwi- folgende Steuerakten übernommen: schen den sechs thüringischen Staatsarchiven und der Oberfi- – von den fünf steuerkräftigsten Unternehmen nanzdirektion Erfurt geschlossen. Änderungen an diesem Modell – von den fünf steuerkräftigsten freien Berufen sind nur mit Zustimmung aller Beteiligten zulässig. – von den 10 umsatzsteuerkräftigsten Unternehmen (Körper- (Mit Wirkung vom 23. 08. 2001 vom Thüringer Ministerium für schaftssteuer). Wissenschaft, Forschung und Kunst gebilligt und zur weiteren Beachtung bekannt gegeben.)

386 Der Archivar, Jg. 55, 2002, H. 4