Bibeln Aus Niedersachsen
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Jahrgang 27/28 Januar – Juli 2002/2003 Nr. 1 – 4/1 – 2 “Ganze Bücher von Geschichten” – Bibeln aus Niedersachsen Die Bibel ist in der Herzog August Biblio- thek nicht nur das “Buch der Bücher”, son- dern sie ist das zentrale Dokument der eu- ropäischen Kulturgeschichte und steht seit den Anfängen der Bibliothek bis heute im Zentrum ihrer Arbeit. Das “Jahr der Bibel” bietet die Gelegen- heit, die reichen Bestände der Bibliothek in einer Ausstellung in der Bibliotheca Au- gusta vorzustellen und zugleich durch eine Ausstellung im Kornspeicher die Auseinan- dersetzung der zeitgenössischen Kunst mit emen und Motiven der Bibel in die Dis- kussion einzubringen. Die neu aufgefundene Passionsmusik des Rudolstädter Hofkapellmeisters Ge- org Gebel d. J. aus dem Jahr 1748, aufge- führt in der Kirche Beatae Mariae Virginis in Wolfenbüttel, ist ein musikalisches Er- eignis, das sich im Jahr der Bibel mit ei- nem internationalen Barockkongreß in der Bibliothek verbindet. Vorträge und eine Podiumsdiskussion räumen der Frage, welchen Ort die Bibel heute in Kirche und Gesellschaft, Kunst und Literatur einnimmt, einen zentra- len Platz ein. Dies geschieht in einer For- schungsstätte für europäische Kulturge- schichte mit um so größerem Nachdruck, als nicht zu übersehen ist, daß der “Streit um die Bibel” ein Teil dieser Kulturge- schichte ist, von der die Bibel selbst, aber auch große Teile der Handschriften und Biblia, niederdeutsch (niedersächsisch/westfälisch). Köln: [Bartholomäus von Unkel/Heinrich Quen- Drucke ein beredtes Zeugnis ablegen. tell (?), um 1478]. HAB: Bibel-Sammlung 2° 103 2 3 te, oder besser noch: diese Geschichten, AUSSTELLUNGEN Zur Eröffnung wie sie in der Bibel sich finden, seit über tausend Jahren diese Region, und bald seit “Ganze Bücher von Geschichten” – Helwig Schmidt-Glintzer 2000 Jahren bereits erhebliche Teile West- Bibeln aus Niedersachsen europas und dann schließlich Orte und Ausstellung in der Bibliotheca Augusta Gegenden auf der ganzen Welt geprägt ha- 8. März bis 28. September 2003 Eigentlich zeigen wir hier immer irgend et- ben. was aus der Bibel. Ohne die Bibel ist diese Die Bibel ist in der Herzog August Graphik – Jenseits der Illustration Bibliothek nicht zu denken. – Warum dann Bibliothek nicht nur das “Buch der Bü- Ausstellung im Kornspeicher also auch noch eine besondere Ausstellung cher”, sondern sie ist das zentrale Doku- 1. Juni bis 28. September 2003 zum “Jahr der Bibel”? Heißt das nicht: “Eu- ment der europäischen Kulturgeschichte len nach Athen tragen”? und steht seit den Anfängen dieser Biblio- Natürlich haben wir, angeregt durch die thek bis heute im Zentrum unserer Arbeit. KONZERT Evangelisch-Lutherische Landeskirche, die Die Bibelsammlung, deren heutige Aufstel- Ausstellung gerne gemacht – wie wir auch lung im Bibelsaal Erhart Kästner veranlass- “Der leidende, sterbende und früher mit der Landeskirche gerne zusam- te, geht auf den Bibelsammler und Bibel- begrabene Jesus” men etwas gefeiert haben, wie das neue Ge- übersetzer Herzog August d. J. zurück, aber Die Johannispassion (1748) des sangbuch mit einer Gesangbuchausstellung auch auf die Sammlung der Herzogin Elisa- Rudolstädter Hofkapellmeisters im Jahr 1994. Auch diesmal haben uns die beth Sophie Marie (1683 – 1767), welche Georg Gebel d. J. (1709 – 1753) Vorbereitungen Spaß gemacht. Aber wir diese im Umfang von etwa 1200 Bänden zu dessen 250. Todesjahr haben nicht gedacht, wie aktuell wir wären am 28. September 1764 nach Wolfenbüt- Weimarer Barock-Ensemble mit dieser Ausstellung. tel bringen ließ. Den über 3000 Bibeln der und Vocalensemble InCanto Weimar Da wird in unserer Gesellschaft in den Bibliothek sind Handschriften und bedeu- Leitung: Rüdiger Rémy, Dresden letzten Tagen ernsthaft von politischen tende Fragmente, wie die gotische Bibel- Mandatsträgern erwogen, die Folter zu- übersetzung des Ulfila (um 311 – 382/ 3), Konzert im Rahmen des 11. Jahrestreffens zulassen. Und dafür, daß an menschlichen ebenso an die Seite zu stellen wie Werke von des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Embryos Experimente zugelassen werden – Künstlern des 20. Jahrhunderts, wie Marc Barockforschung, mitgetragen von der oder ihrer Abtötung zu diesem Zwecke zu- Chagall, Emil Schumacher, Max Beck- Gesellschaft der Freunde zustimmen sei –, scheinen gelegentlich mann, Gerhard Marcks, Otto Dix oder der Herzog August Bibliothek e. V. schon Mehrheiten in Sicht. Und da hatten Fritz Baumgärtner. Hauptkirche Beatae Mariae Virginis wir doch geglaubt, daß auch ohne Religion Die Ausstellung zum “Jahr der Bibel” Donnerstag, 3. April 2003, 20 Uhr der Artikel 1 des Grundgesetzes unumstöß- präsentiert historische Bibeln aus Nieder- Karten: 15,– / 10,– € lich sei: “Die Würde des Menschen ist un- sachsen und dokumentiert damit die gro- antastbar. Sie zu achten und zu schützen ist ße Tradition der handschriftlichen Über- Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.” lieferung biblischer Texte des Mittelalters VORTRÄGE Da gab es vor einigen Wochen ein Ur- und den Beginn des Bibeldrucks in Nord- teil, wonach ein Kruzifix aus einem Sit- deutschland. Natürlich ist unser Raum be- Professor Dr. theol. D.D.h.c. Rudolf Smend zungssaal zu entfernen sei, als wäre das sonders reich vertreten, und manche Orte (Göttingen): Kreuz eine Zumutung in einer Welt, in der ganz in der Nähe, wie Heiningen oder Gos- Das Buch der Bücher: Aspekte der Bibel wir uns mit Bildern umstellen lassen, ge- lar. Dabei kommen die Bibeln aus der Zeit Augusteerhalle gen die zu protestieren sich wahrlich loh- vor Martin Luthers Bibelübersetzung eben- Dienstag, 11. März 2003, 20. Uhr nen könnte. so zu ihrem Recht wie diejenigen aus der Eintritt frei Vor 5000 Jahren etwa begannen – so- Feder und in der Nachfolge des großen Re- weit wir wissen – Menschen, Schrift zu ver- formators. Vieles spricht dafür, den Zugang Professor Dr. Heimo Reinitzer (Hamburg): wenden. Damit beschäftigen wir uns, wenn zur Bibel und zu ihrer Wirkungsgeschich- Bindung und Freiheit – zum Verhältnis wir uns mit Büchern beschäftigen – und te unter Berücksichtigung der historischen von Bibel und Literatur das ist ein Tausendstel der Menschheits- Auffächerung und der Überlieferungsviel- Augusteerhalle geschichte. Die restlichen 99,9 % bleiben falt zu suchen. In diesem Sinne betreiben Dienstag, 25. März 2003, 20 Uhr außer Betracht. Es könnte uns nachdenk- wir die Rekonstruktion der europäischen Eintritt frei lich stimmen, dass die heutige Weltbevöl- Kulturgeschichte und folgen der Maxime, Professor Dr. Jan Rohls (München): kerung handelt und Entscheidungen trifft, den Zugang nicht nur zu den Quellen al- Vernunft des Glaubens zumeist ohne dabei über die letzten 5 Mil- lein, sondern auch über die geschichtlichen Augusteerhalle lionen Jahre nachgedacht zu haben, so als Stationen zu suchen, was bei der Betrach- Dienstag, 8. April 2003, 20 Uhr könnte der Mensch mit all seinen Potentia- tung von Bibelillustrationen besonders ins Eintritt frei len blind in die Zukunft gehen. Auge fällt. Da lohnt es sich vielleicht, jenes Bu- Der Bibel kommt in einer Forschungs- ches zu gedenken, das nicht nur als Buch stätte für europäische Kulturgeschichte ein PODIUMSDISKUSSION der Bücher sich versteht, sondern das ei- zentraler Platz zu, gerade weil wir nicht ne Geschichte erzählt, die den Anfang übersehen, dass der “Streit um die Bibel” Bibel und moderne Gesellschaft der Menschheit mit einschließt. Wir wis- ein Teil dieser Kulturgeschichte ist, von Moderation: Professor Dr. Helwig sen, dass es andere Geschichten darüber der die Bibeln selbst, aber auch große Tei- Schmidt-Glintzer gibt und dass es noch neue geben kann, le unserer Handschriften und Drucke be- Augusteerhalle aber wir wissen auch, dass diese Geschich- redtes Zeugnis ablegen. Diese Interpretati- Donnerstag, 5. Juni 2003, 19 Uhr 2 3 le bereits zu Lebzeiten übelste Polemik ein- getragen hat, etwa in der 1780 gedruckten Schrift: “Der Sieg der Wahrheit des Wor- tes Gottes über die Lügen des Wolfenbüt- telschen Bibliothecarii Ephraim Lessing, und seines Fragmenten-Schreibers in ihren Lästerungen gegen Jesum Christum, seine Jünger, Apostel, und die ganze Bibel.” o- mas Mann rückte dies in seiner Rede über Lessing 1929 zurecht, wenn er sagte, “Lu- thers Geist war es und kein anderer, den Lessing anrief und aufrief gegen das Lu- thertum”, und er ging so weit, Lessing als “den neuen Luther”, den Luther seiner Zeit zu bezeichnen, den wir unsererseits freilich wie bereits omas Mann aus der Distanz sehen. Den fortdauernden Geltungsanspruch der biblischen Überlieferung anzuerken- nen, heißt ja gerade nicht, das Denken auf- zugeben. Selbst einem, der sich mit Max Weber für “religiös unmusikalisch” hält, Psalterium latinum. Pergament, 164 Bl., 14,5 x 10,5 cm, Niedersachsen, 13. Jahrhundert (1. Hälf- dürfte dies bei dem Hinweis auf die Konse- te?). Cod. Guelf. 1257 Helmst. quenz deutlich werden, welche der Versuch einer Einebnung der absoluten Differenz zwischen Schöpfer und Geschöpf bedeu- tete. Ich greife hier Habermas’ Anmerkung ons- und Deutungsarbeit bezieht sich eben- schenk anzusehen, das die Vorsehung dem zum 1. Buch Moses, 1,27 auf (‘Und Gott so auf das Alte Testament wie auf das Neue menschlichen Geschlecht hätte geben kön- schuf den Menschen, ihm zum Bilde, zum Testament. Wissenschaftliche Einsichten nen, und meine Hochachtung für dassel- Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie ei- der Natur-, der Kultur- und der Kogni- be wird um so viel größer, je geringschätzi- nen Mann und ein Weib’): “Dass der Gott, tionswissenschaften relativieren selbstver- ger dessen äußere Einrichtung bei dem er- der die Liebe ist, in Adam