Jello Biafra's Incredibly Strange Record Collection
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JELLO BIAFRa’S INCREDIBLY STRANGE RECORD COLLECTION Es ergab sich, dass ich über mehrere Wochen er nicht grade telefonierte, konnte ich seine Platten durch solltest du dir anhören!« Mit ein oder zwei Songs war für er auch schon herein! Ich war nicht vorbereitet auf diese rie- für Jello Biafra hackelte. Arbeitsplatz war sein das Haus schallen lassen – in extremer Lautstärke und Kon- mich klar: »Oh my God, this is the incredibly strangest mu- sige Hand, die er um meinen Hinterkopf legte und mir ge- Haus in San Francisco, das er schon seit langer sequenz. Legte ich eine rare Swans-Platte auf, dauerte es sic of all, right here!« »Rock’n’Roll McDonald’s« war die rade in die Augen starrte: »Say ra! RA!!« – bonk! Er gibt mir Zeit bewohnt und das aussieht, als wäre der nur Minuten, bis Jello mir, der ich gerade auf einer Stehlei- erste Nummer auf dem Tape. Tammy hatte das von unver- einen Headbutt. »Say row! ROW!« – bonk! Noch ein Head- Architekt auf Drogen gewesen: kleine Türmchen, ter herumschichtete, auf die Schulter klopfte und eine ob- öffentlichten DAT-Tapes zusammengestellt. Normalerweise butt. »Say ooga-booga! OOGA-BOOGA!« – bonk! Dann bunte Fenster, raue Felswände, verwinkelte skure Vinyl-Scheibe in die Hand drückte: »Kennst du die? ist es ja so mit Leuten, die heute »Outsider Artists« genannt lachte er herzhaft: »Hehehehe!« Treppen – die Szenerie wirkt wie die Kulisse eines Das sind sozusagen die japanischen Swans… irres Zeug!« werden: entweder drei, vier Songs sind wirklich wild – und Damit wusste er, dass ich ok mit ihm war. Später sagte er 70er Koksparty-Films. Und dazwischen: Bücher, Ich leg es auf, er hat Recht und es wummst durch seine der Rest ist grade mal ok. Oder sie wollen wie die Beatles mir, dass er so in das Hirn von Leuten greifen und rausfin- DVDs, unzählige berüchtigte Mitbringsel aus Bude. Ein feiner Arbeitsplatz. oder Bob Dylan klingen. den konnte, ob sie cool mit ihm wären oder nicht. Ab und den letzten Jahrzehnten, einzelne Fitnessgeräte, Am Ende des letzten Arbeitstages bat ich um ein Interview: Aber bei Wesley kam ein seltsamer Song nach dem anderen, zu gab er Leuten zu feste Headbutts, sodass sie Sterne sa- seine vielgeliebte Katze – und Abermillionen immer mehr, immer mehr! Und es hörte einfach nicht auf! hen. Über die Jahre wurde ich ein Spezial-Freund von ihm von Platten. Da seine Sammelsucht nicht Rokko: Wie ich in den letzten Wochen gesehen habe, hast Ein paar Leute in Chicago kannten ihn von seinen Tagen als und ein Headbutt reichte nicht mehr aus. Ich glaube sein abschwächt, wachsen die Plattenberge wild dahin du Platten aus allen möglichen Richtungen – lass uns eher Illustrator. Er hatte schon ein bisschen einen Namen und ich Rekord lag bei 22 hintereinander. und so war es mein Job, das Alphabet in den über die obskureren reden. dachte mir: »Von all den bizarren Leuten ist er derjenige, wuchernden Wahnsinn zu bringen, der sich über Jello Biafra: Ein paar davon sind in V. Vale’s »Incredibly den wir rausbringen sollten.« R: Und du hast überlebt! mehrere Stockwerke zieht. Strange Music II«, oder? Ihn kennen zu lernen war eines der größten Vergnügen. JB: »Say ra! RA!« – bonk! Bonk! Bonk! Bonk! Bonk! Bonk! Text & Fotos: Rokko Normalerweise blieb er in meinem Haus, wenn er nach San Bonk! Bonk! Nachdem er sich verabschiedet hatte und ich R: Ja, aber nicht alle. Wesley Willis definitiv nicht. Francisco kam – und das war immer ein Abenteuer. rausging, fragte mich ein Freund: »Oh Jello, Scheiße, was Vor 14 Uhr braucht man ihn nicht anrufen: Jello Biafra geht JB: [lacht] Nein! Ich hab über Wesley Willis grade in der Wo- ist passiert?! Warst du in einer Schlägerei?« »Naja, Wesley meist erst um 8 in der Früh ins Bett und muss dann auch che erfahren, als das Buch in die Druckerei ging. Ich hab da- R: Erinnerst du dich noch, als du ihn zum ersten Mal ge- war zu Besuch…« »Oh, cool…« mal schlafen. Die Nächte werden dafür durchgearbeitet mals meine alte Freundin Tammy Smith in St. Louis getroffen troffen hast? Es war eine körperliche Herausforderung, die Verant- und auch ich blieb oft bis weit in die Finsternis hinein. Wenn – sie lebt in Chicago. Sie sagte: »Ich hab diese Kassette, die JB: Oh ja, er stand vor der Haustür! [lacht] Und dann kam wortung für ihn zu übernehmen – du wusstest nie, was 74 75 passieren, was er tun würde. Das Wichtigste war, die schi- das für ein Auto?«, dann sagte er sofort: »Das ist ein 94 zophrenen Stimmen, die er seine Dämonen nannte, davon Nissan Sentra.« Oder: »Das ist ein 97 Chevrolet Tahoe.« –. abzuhalten, in seinem Kopf herumzutoben und die Kont- er kannte sie alle. rolle zu übernehmen. Wenn das passierte, war er wirklich sehr, sehr aufgebracht. Manchmal ging das soweit, dass er R: Hatte er einen Führerschein? in Tränen ausbrach, als er versuchte, die Dämonen davon JB: Nein. abzuhalten, ihm zu sagen, dass er sich umbringen sollte. He’d either be on what he called a ›hellride‹ or he’d be on R: Kümmerte er sich um die geschäftliche Seite auch oder a ›joyride.‹ ging es bei ihm nur um die Kunst? Manchmal war er vergesslich. Einmal kam er aus der Du- JB: Er kümmerte sich ziemlich gut um die geschäftliche Seite, sche runter ins Wohnzimmer und begann da mit mir und weil er in furchtbarer Armut aufgewachsen ist. Das ist eins meinen Leuten zu quatschen – er hatte allerdings verges- der großartigen Dinge bei Wesley, dass er dieses arme, ge- sen, dass er noch immer tropfte und kein Gewand angezo- walttätige zu Hause samt seinen ernsthaften geistigen Er- gen hatte. [lacht] krankungen verlassen konnte – er hat sich da selbst aus Wenn du Wesley eine Frage gestellt hast, musstest du bereit eigener Willenskraft rausgezogen. sein – denn du wusstest nie, was seine Antwort sein würde. Er musste immer frisches Bargeld irgendwo bei sich haben. Ich war mit Wes, Tammy und ihrem damaligen Mann in Er hatte auch mal $5.000 in der CD-Hülle, die er um sei- einem Restaurant in Chicago Abendessen, als ein Fan mit nen Hals trug. Dort bewahrte er sein ganzes Geld auf, bis weit aufgerissenen Augen kam und meinte: »Bist du… ihm Leute sagten, er sollte es vielleicht auf eine Bank legen. Wesley Willis?!« »Yeeeeeaaaah!!!« – und natürlich gab er Manchmal machte er das nämlich nicht ordentlich zu und ihm einen Headbutt und versuchte ihm gleich eine CD zu die Scheine hingen raus. Er setzte sich immer enorm un- verkaufen. Wesley versuchte jedem überall seine CDs anzu- ter Druck, dass er CDs verkaufen musste. Ich glaube, das drehen. Er hielt Fremde auf der Straße auf. Einmal ging er kommt daher, dass er auf der Südseite Chicagos aufge- Und ich weiß nicht, ob es irgendeinen anderen Künstler gibt, Captain Beefheart, aber wirklich einzigartig. Sie spielte alles auf ein Baptisten-Begräbnis von Schwarzen, um ihnen CDs wachsen ist, ein Onkel war wegen Mord im Gefängnis, ein der jeden Song mit einem Werbe-Jingle beendete. [lacht] Er praktisch selbst ein und das Aufnahmestudio war gelistet als zu verkaufen. Als ich mit ihm ins Naturhistorische Museum Cousin war ein Mordopfer. Sein Vater verkaufte Kassetten, gab mir zwei verschiedene Antworten, warum er das tat. Ein- »Fortress Dax«, was darauf schließen lässt, dass sie das alles ging, verkaufte er beim Hineingehen den Wachleuten CDs. Ramsch, was auch immer er irgendwo ergattern konnte, mal sagte er, er macht das, weil er glaubte, dass ihn die Leute selbst aufgenommen hatte. Einmal, als er bei mir war, sagte ich: »Hey Wesley, das war auf einem Tischchen direkt auf der Straße. Und ich denke, so ernster nehmen. Aber beim nächsten Mal antwortete er Die Leute aus dem Musikbusiness wollten dann irgendwie großartig! Du hast die ganze Show im Bottom of the Hill wenn er an einem Tag kein Geld machte, hatten die Kinder auf dieselbe Frage grinsend mit einem simplen: »I like to.« ein größeres Ding aus ihr machen. Das einzige Mal, dass sie heute alleine moderiert! Du solltest deine eigene Talkshow am Abend nichts zu essen. Deswegen war Wesley in kon- hier spielte, war in diesem gigantischen Theater, im War- haben.« »Ja, ich hätte gern meine eigene Fernsehshow.« stanter Furcht, zu verhungern, Pleite zu gehen, obdachlos R: [lacht] Und wenn du ihn ein drittes Mal gefragt hättest, field, als sie für die Sisters of Mercy eröffnete. Natürlich hab »Wer wäre dein erster Gast?« Und ohne mit der Wimper zu zu werden oder im Gefängnis zu landen. Entgegen der all- hättest du wieder eine andere Antwort gekriegt. ich es nicht hingeschafft, hab sie nie gesehen, nie getrof- zucken antwortete er: »Richard Roundtree«, der Typ, der gemeinen Gerüchte bestand er stets darauf, dass er weder JB: Das weißt du nie. Er tourte sogar mal durch Europa mit fen, und wundere mich, was aus der wohl geworden ist. Ihr »Shaft« gespielt hatte, »und Broom Hilda.« – einen Comic- irgendwann obdachlos gewesen wäre noch ein Gefängnis den Goldenen Zitronen. Aber dann sagte er, er würde nie Zeug war unglaublich, und plötzlich – poof! – ist sie weg! figur, eine Hexe. Das waren seine ersten zwei Gäste! [lacht] von innen gesehen hätte. zurückkommen, weil: »In Deutschland hatte ich viermal Das hatte er bereits gewusst Bis heute mag Wes die lohnendste Erfahrung sein von allen, Durchfall!« An dem Tag, an dem ich Wesley meinen Eltern R: Was war das Letzte, was du von ihr gehört hast? mit denen ich auf Alternative Tentacles zusammengearbei- vorstellte, wiederholte er diesen Satz in der Endlosschleife. JB: Ich habe gar nichts von ihr gehört! Ich kenne nieman- R: … und verschiedene Welten zusammengemischt. tet habe. Die Leute haben so viele verschiedene Definitio- den, der sie kennt. Ich meine, sie hatte denselben Manager JB: Ja! Er war ein savant, aber zu schlau für einen idiot sa- nen von Punk Rock und sie scheinen enger und enger zu R: Eine andere Musikerin aus deiner Sammlung ist Dani- wie Poly Styrene und die X-Ray Spex – Falcon Stuart.