ARD N-tv-Star Maischberger: „Im Fernsehen funktioniert nur eines, und das ist der Erfolg“

MODERATORINNEN „Ich will die Besten“ N-tv-Talkerin Sandra Maischberger, 37, über das Missverhältnis zwischen winziger Quote und gewaltigem Image, ihre nächste Woche startende Gesprächsrunde in der ARD und ihre Selbsteinschätzung als „Rampensau“

SPIEGEL: Sie haben die Regeln des kom- Maischberger: Natürlich, ich habe nie ei- Maischberger: Die Atmosphäre ist zu eng, merziellen Fernsehens auf den Kopf gestellt: nen Hehl daraus gemacht, dass wir da in zu intim. Es fällt schwer, die Zügel locker Trotz Ihrer Miniquote im Bonsai-Kanal einer sehr privilegierten Situation sind. zu lassen. N-tv haben Sie ein ungeheuer gutes Image SPIEGEL: Sie haben also Ihr Format gefun- SPIEGEL: Eine neue Gesprächssendung mit und räumten in den vergangenen drei Jah- den und setzen nun dennoch neue Prio- Menschen von der Straße hätten Sie auch ren alle wichtigen Medienpreise ab. Wun- ritäten: Nächste Woche startet Ihre neue bei N-tv bekommen. Was wirklich lockt, ist dern Sie sich darüber manchmal selbst? ARD-Sendung „Menschen bei Maischber- doch wohl der Reiz des größeren Publi- Maischberger: Sie meinen: Keiner sieht es, ger“, mit mehreren Gästen, auch mit Nicht- kums zu Hause vor den Bildschirmen. aber alle reden darüber? Mal im Ernst, die prominenten, vor Studiopublikum. Maischberger: Was meinen Aufmerksam- Zuschauer-Reichweite, die für N-tv als Maischberger: Mein Format ist, Interviews keitswert angeht, ist mein Bedarf gesät- Nachrichtensender viel relevanter ist als zu führen, und zwar im intensiven Zwie- tigt, vielen Dank. Ich werde erkannt, be- die Quote, liegt zwischen 300 000 und gespräch – und genau das werde ich auch komme einen Platz im Restaurant, die 500000, das ist nicht schlecht. Für die po- bei der ARD machen. Bei N-tv hatte ich Menschen sind nett zu mir. Aber was litische Relevanz ist sowieso nicht ent- es vor allem mit politischen Entscheidern mich ärgert: Hillary Clinton kommt nach scheidend, ob wir ein Massenpublikum er- zu tun. Politik, wie ich sie begreife, be- Deutschland, und sie kommt nicht zu N-tv. reichen, sondern dass wir die Richtigen trifft aber uns alle. Ich möchte also auch Für mich ist die Quote weniger entschei- treffen. Und das tun wir. Menschen interviewen, die nicht bekannt dend als für manche meiner Besucher, die SPIEGEL: Sind Sie schon mal auf den Ge- sind, aber eine gute Geschichte haben, nicht in das kleine Kammerspiel kommen danken gekommen, dass genau das Ihr Er- oder schlicht solche, die von Politikent- wollen. Mein Ehrgeiz bezieht sich auf folgsgeheimnis ausmacht: Elitenkommuni- scheidungen betroffen sind. Dafür ist bei Gäste. Ich möchte sie alle haben; ich kation in einer Nische ohne Quotendruck, N-tv der Rahmen nicht wirklich gut ge- möchte die Besten haben. Und vielleicht das intensive Gespräch mit nur einem, viel- steckt. kann ich manche mit der größeren Platt- leicht zwei Gästen, ohne Studiopublikum? SPIEGEL: Inwiefern? form eher locken.

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SPIEGEL: Kein Bammel vor dem Gabi-Bau- uns Themen zu erschließen, eine Stunde Gespräche, Ge- er-Effekt? Sie war bei den „Tagesthemen“ die nicht unbedingt mit pro- brauchsfernsehen. Talk-Jour- beliebt und unumstritten. Für ihre neue minenten Gästen besetzt nalismus statt Talk-Show. Mittwochs-Talkshow gilt das nicht mehr. werden müssen – und schon SPIEGEL: Sie produzieren im Maischberger: Bei Gabi Bauer war der haben Sie nicht nur eine viel Berliner „Tränenpalast“ – Schritt radikaler als bei mir. Früher waren größere Auswahl, sondern vor Studiopublikum. So et- ihre Interviews 3 Minuten lang, jetzt 30. Ich auch keine Streitigkeiten was hatten Sie lange nicht. möchte nur das transportieren, was ich am mit Beckmanns und Kerners Maischberger: Ich freue mich besten kann – mit anderen Themen, in ei- Redaktionen. darauf, oder glauben Sie et- nem anderen Studio. Aber klar, wenn man SPIEGEL: Prominenz bringt wa, ich hätte Angst vor Men- sich nicht nur auf das verlässt, was man aber Quote, wie Sie ja auch schen? Die Sendung heißt gut gemacht hat und was gut gelaufen ist, bei Ihrer N-tv-Sendung „Menschen bei Maischber- geht man ein Risiko ein. Ich glaube aller- immer wieder feststellen. ger“. Zählen Sie das Studio- dings, das Risiko, es nicht zu tun, mein Geben Sie uns doch mal publikum also ruhig dazu – Themenspektrum nicht zu erweitern, wäre ein Beispiel: Wer wäre in und unterschätzen Sie nicht

größer. Wie lange beispielsweise ist es noch der vergangenen Woche SESSNER / BR (O.) (U.); SCHRAPS STEPHAN die Rampensau in mir. interessant, sich nur mit Politikern zu be- ein guter Gast für „Men- Moderatorin Maischberger* SPIEGEL: Bei N-tv sieht man schäftigen? Wie entwickelt sich der Sender, schen bei Maischberger“ ge- „Privilegierte Situation“ Ihren Rückzug auf Raten mit für den ich arbeite? wesen? Sorge – und ein bisschen SPIEGEL: Bei Alfred Biolek, dessen Sende- Maischberger: Nehmen wir den turbulenten Unmut. Künftig wird es Ihren Talk nur platz Sie übernehmen, schauten am späten letzten Dienstag in . Da war Ro- noch mittwochs und donnerstags wie ge- Dienstagabend im Schnitt 1,5 Millionen zu. nald Schill für die N-tv-Sendung der per- wohnt live geben, montags läuft ein Er- Maischberger: Ich halte nichts davon, mir fekte Gast. Für das ARD-Format hätte es satzprogramm, die Dienstagssendung wird vorher zu überlegen, was passiert, wenn ich der Hamburger Justizsenator Roger Kusch aufgezeichnet, freitags bleibt es beim „Best scheitere. Ich kann gar nicht so denken. Das sein können, der nichts ahnend aufwachte of“ der Woche. Der Nachrichtenkanal hat ist meine einzige Gemeinsamkeit mit Fuß- und mittags plötzlich geoutet war, als an- Ihnen vor drei Jahren den Karriereneu- ballern. Die kriegen Sie vor dem Spiel auch geblicher Liebhaber Ole von Beusts. start ermöglicht. Nun zieht sich das wich- nie dazu, dass sie sich damit beschäftigen, SPIEGEL: Also doch wieder Politik, nur et- tigste Sendergesicht zunehmend zurück. was passiert, wenn sie verlieren. was menschelnder verpackt. Da werden Verstehen Sie den Groll? SPIEGEL: Sonntags Sabine Christiansen, sich Überlappungen zwischen Ihren Sen- Maischberger: Mir gegenüber hat niemand montags Beckmann, mittwochs Bauer, dungen bei N-tv und im Ersten doch kaum Unmut oder Groll geäußert. Im Übrigen donnerstags Maybritt Illner, dienstags bis vermeiden lassen. war das eine Programmentscheidung von freitags Kerner … Maischberger: Ich glaube, das wird nur bei N-tv. Wir haben auch die Variante ange- Maischberger: … und ich passe genau da- den wirklich großen Namen ein Problem, boten, Mittwoch, Donnerstag und Freitag zwischen. und dann muss ich eben sehen: Mit wel- live zu senden. So wird der Dienstag jetzt SPIEGEL: Zwischen wen? cher Sendung habe ich bessere Chancen. In eben eine „ewige Schönheit“, wie wir das Maischberger: Zwischen Beckmann und Wahrheit entscheiden ja die Gäste, in wel- nennen. Bauer. Er macht Unterhaltung, sie Politik. ches Umfeld sie wollen. Es gibt ja auch ei- SPIEGEL: Für den Nachrichtenkanal ist es SPIEGEL: Und beide würden genauso gern nige, die suchen eher das Kammerspiel als dennoch ein Problem, wenn sein Star, der wie Sie Hillary Clinton begrüßen. Wird der die große Manege. auch gute Werbe- und Sponsoring-Erlöse Kampf um die knappe TV-Ressource „in- SPIEGEL: Sie wollen während der einstün- garantierte, mit dem Ersten verknüpft ist. teressanter Gast“ für Sie im Ersten wirklich digen Sendung drei bis vier Gäste emp- Maischberger: Als ich angefangen habe, mit einfacher? fangen. Wird es ein gemeinsames Thema der ARD zu reden, habe ich auch mit N-tv Maischberger: Der Teich ist nicht größer geben wie bei Biolek? geredet. Damals war dort vorherrschende geworden seit den sechziger Jahren, das Maischberger: Nein. Ein Thema pro Gast Meinung, dass es der kleinen Sendung stimmt, aber es hängen viel mehr Angeln und jeweils nur ein Gast im Gespräch, der durchaus nutzen kann, wenn ihr Star auch drin, und alle fischen nach demselben. für sein Thema hereingebeten wird und Star einer größeren Anstalt wird, weil das SPIEGEL: Also brauchen Sie einen beson- dann den Tisch wieder verlässt. Einfach natürlich zurückstrahlt. ders guten Köder … SPIEGEL: Werden Sie Ihren Vertrag mit Maischberger: … und einen journalisti- * Mit Werner Schmidbauer in der BR-Jugendsendung N-tv, der Mitte 2004 ausläuft, verlängern? scheren Ansatz, das heißt, wir versuchen, „Live aus dem Schlachthof“, um 1990. Maischberger: Das steht derzeit nicht zur Debatte. SPIEGEL: Mit Ihrer eigenen Produktionsfir- Die Profi-Talker ma Vincent Television bleiben Sie dem Durchschnittliche Einschaltquoten Nachrichtenkanal ebenfalls fürs Erste treu, von Januar bis Juli 2003 mit dem neuen Magazin „Kino & Kult“. Markt- Maischberger: Wir haben bisher ja bereits Zuschauer in Millionen anteil ein Medienmagazin gemacht, das war un- Sabine Christiansen 4,9 18,6% ter den neuen Gesellschafterverhältnissen „Sabine Christiansen“, ARD nicht mehr gewünscht. Die Redaktion pro- duziert jetzt das Kulturmagazin. Mitte“, ZDF 3,0 14,4% SPIEGEL: Sie haben also gleich mehrere Rückfahrtickets in Richtung N-tv, falls das Reinhold Beckmann 1,6 13,6% Experiment im Ersten scheitert? „Beckmann“, ARD Maischberger: Ich habe gelernt: Im Fernse- hen funktioniert nur eines, und das ist der Sandra Maischberger „Maischberger“, N-tv 0,1 0,8% Erfolg. Deshalb gibt es auch im Fall des Misserfolgs keine Rückfahrtickets. Talk-Kolleginnen Illner, Christiansen, Maischberger: „Alle fischen nach demselben“ Interview: Marcel Rosenbach

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