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TALKSHOWS Öder als Schröder Unter der Harmonie der Großen Koalition leiden vor allem die politischen TV-Plauderrunden. Wo sich niemand mehr streitet, regiert schnell Langeweile. Deshalb laden Christiansen, Illner, Maischberger und Co. immer seltener Mandatsträger ein.

ur mal angenommen, Harald Schmidt hätte recht gehabt, als er Nneulich bei „Sabine Christiansen“ diesen einen Satz so locker in die Runde warf. Es war eine Replik auf FDP-Mann Wolfgang Gerhardt, der gerade große Li- nien gefordert hatte statt des kleinen Karos der Großen Koalition. Er müsse ihn ent- täuschen, sagte daraufhin Schmidt: Das Volk wolle nicht nur seine Ruhe und kei- nen Streit. „Das Volk will auch keine Kon- zepte.“ Da lachten alle. Und es klang so befreit, dass fast was dran sein muss. Eigentlich hätte man das Studio danach auch dichtmachen können. Denn mit die- sem einen Satz schien die ganze Wahrheit endlich auf Christiansens Glastischchen zu liegen. Und die Wahrheit lautete: Das alles hier macht keinen Sinn. Geht nach Hause, oder lasst es bleiben! Schaltet ein oder aus! Ist alles egal. Schmidts Befund jedenfalls ist schla- gend. Wenn das Volk klare Konzepte woll- te, hätte es vielleicht anders gewählt. Wenn das Volk richtigen Streit wollte und nicht das aktuelle fade Geplänkel, hätte es bes- ser die alte Regierung im Amt gelassen. Nun hat es weder das eine noch das andere bekommen, sondern das große, halbgare Nichts. Und alles ist noch öder als bei Schröder. ARD-Talkerin Christiansen, Gesprächspartner*: Polit-Theater ohne Schurken und Helden ist auf Das Volk, das keine Konzepte will, könn- te abschalten. Aber das Volk ist nicht allein. Es hat immer noch Sabine Christiansen, und Sandra Maischberger. Es hat Frank Plasberg mit „Hart aber fair“ vom WDR, „Das Duell“ auf N-tv und „Was erlauben Strunz?“ auf N24. Und die müssen ihre Sesselchen jede Woche füllen. Aber mit wem reden? Und worüber? Politiker im Fernsehen sind inzwischen so aufregend wie die Beobachtung trocknen- der Dispersionsfarbe. Wo sich vor ein paar Monaten noch Showgrößen wie Joschka Fischer, Friedrich Merz und Guido Westerwelle eifersüchtige Gefechte lieferten, wo Edmund Stoiber aufgeregt stotterte und das Testosteron aus des Kanzlers Anzug zu quellen schien, herrscht nun lähmende Harmonie. Der deutsche Polit-Talk hat sich selbst ad absur-

* Journalist John A. Kantara, Politiker Matthias Platzeck,

Daniel Cohn-Bendit und Günther Beckstein am 21. Mai BILDERDIENST BONN / ULLSTEIN P.S.I. in . TV-Moderatorin Maischberger, Studiogast Dalai Lama: „Kehrt das Patriarchat zurück?“

100 der spiegel 23/2006 dum geführt. Mit all seiner TV-gerechten Doch die Show ist aus. Zurück bleibt der ter Müller in „Berlin Mitte“ im ZDF. Konfliktgier, seinen ewig gleichen Phrasen Talk, der nun oft derart spröde wirkt, dass „Richtig“, sagt Moderatorin Maybrit Ill- und dem manischen Drang, jedes Tabu zu auch die Quoten zu leiden beginnen. ner. „Dazu haben wir jetzt ungefähr schon knacken, solange man dafür nicht mehr Zumindest „Sabine Christiansen“, die 200 Sendungen gemacht.“ als 30 Sekunden Sende-/Redezeit braucht, Mutter aller TV-Polit-Runden, merkt das Immer die gleichen Leute. Immer die- lockte er erst Zuschauer an und stößt sie längst. Marktanteil von Juni bis September selben Sprüche. Dabei ist das Klagelied nun genauso kraftvoll wieder ab. Und bei- 2005: 18,0 Prozent. Marktanteil in den ver- über die Polit-Talkshows nicht mal neu. Im de, Wahlvolk wie Moderatoren, erwischt gangenen sechs Monaten: 12,9 Prozent. Bauch der Fernsehnation rumpelt und ru- der große Kater. Polit-Theater ohne Schurken und Helden mort es seit Jahren. Doch statt Langewei- Die neue Sachlichkeit ist Gift – auch und ist auf Dauer so fesselnd wie Torwand- le war das vorherrschende Gefühl zuletzt vor allem für das unter allen Medien am schießen ohne Ball. eher die Wut. meisten auf Action und Krawall gebürste- „Die Kleinen möchten sich gern mit Der Kabarettist Georg Schramm hat das te Fernsehen. Talkshow heißt das Genre. den Großen streiten. Die Großen möch- im Jahr 2003 versucht zu kanalisieren. Da- ten sich aber nicht mit ih- mals ließ er seine Figur des zornigen Rent- nen streiten. Sie decken die ners Lothar Dombrowski über die „Bühne Streitthemen mit Harmonie der Berliner Puppenkiste“ schimpfen. Die zu“, sagt Sabine Christian- Politiker würden „in den öffentlich-recht- sen. Darum lade ihre Redak- lichen Bedürfnisanstalten bei den Klofrau- tion verstärkt Nichtpolitiker en Christiansen und Illner ihre Sprechbla- als Gäste ein. „Mehr Politi- sen entleeren“. Es sollte ein Einmal-Gag ker bringen nicht unbedingt sein für den ARD-„Scheibenwischer“. Et- mehr Erkenntnisgewinn“, was später nahm Schramm den Satz dann glaubt die öffentlich-recht- in sein Tourprogramm auf. „Ich habe ge- liche Talk-Diva. spürt, dass die Leute auf diesen Satz ge- Sandra Maischberger hat wartet haben. Und für keinen anderen Satz in ihrem täglichen Talk auf habe ich regelmäßig so viel Begeisterung N-tv Hunderte Interviews geerntet wie für diesen“, sagt er. mit Politikern geführt. Dass Meist kam er gar nicht bis zum Ende, sie die Sendereihe kürzlich weil er vom Applaus unterbrochen wur- beendete, hat auch mit dem de. Nach der Show bedankten sich die Ausgang der letzten Bun- Zuschauer bei ihm. Für diesen einen Satz. destagswahl zu tun. Bei ei- Irgendetwas müssen diese ritualisierten ner anderen Konstellation Polit-Plauderrunden also an sich haben, hätte sie womöglich weiter- das die Zuschauer rasend macht. gemacht. So talkt sie nun über an- Selbst das Entertainment dere Themen. In den ver- des verbalen Boxkampfs ist gangenen beiden Wochen waren das: „Du sollst den verschwunden. Mann ehren – Kehrt das Pa- triarchat zurück?“ Und: Vielleicht sind Politiker und ihre Gast- „Freud ist schuld: Schluss geber gar nicht so weit voneinander ent- mit dem Sexwahn.“ fernt in diesem Fall. Vielleicht haben Lan-

MARCEL METTELSIEFEN / NDR METTELSIEFEN MARCEL Auch bei ihrer verbliebe- geweile und Wut einen gemeinsamen Dauer so fesselnd wie Torwandschießen ohne Ball nen „Menschen bei Maisch- Grund. Ein Gefühl der Ohnmacht. berger“-Runde in der ARD Dazu muss man etwas tiefer in die Be- sitzen oft Politiker auf dem findlichkeit der Fernsehnation eindringen, Sofa, aber möglichst wenige. dorthin, wo es rumort und grummelt. Der Sie setzt nicht mehr auf Psychologe und Buchautor Stephan Grü- den Schlagabtausch nach newald („Deutschland auf der Couch“) Parteibuch, eher auf skurrile macht das. In seinem Kölner Institut Paarungen. Da sitzt dann Rheingold führen er und sein Team tiefen- etwa Alt-Kommunarde Rai- psychologische Interviews mit Konsumen- ner Langhans neben der tra- ten. Zu einem großen Teil geht es dabei um ditionsbewussten Marianne Fernsehgewohnheiten. Rund 5000 Deut- Fürstin zu Sayn-Wittgen- sche werden jährlich befragt. Eineinhalb stein-Sayn. Stunden dauert so ein Gespräch. Hauptsache, es kommt Das hat seinen Grund. In der ersten hal- nicht zu dieser speziellen Be- ben Stunde erzählen die Interviewten nur gegnungsroutine, die Politi- das sozial Erwünschte. Erst wenn sie all- kern so entsetzlich eigen ge- mählich Vertrauen fassen, geben sie auch worden ist, weil sie sich un- das persönlich Peinliche preis. Wozu man tereinander ohnehin ständig nachts die Erotikfilmchen tatsächlich nutze sehen – und alle das Gleiche zum Beispiel. In diesen Interviews be- reden. kommt Grünewald auch heraus, wie das so „Wir müssen schauen, abläuft, abends im Kopf des Zuschauers dass es mehr Arbeit in bei „Sabine Christiansen“ & Co. Sagt er.

INA PEEK / IMAGO Deutschland gibt“, sagt Saar- Nach politischer Bildung klingt das eher ZDF-Frontfrau Illner: Die neue Sachlichkeit ist Gift lands Ministerpräsident Pe- nicht. In den ersten 15 Minuten erwarte

der spiegel 23/2006 101 Medien der Zuschauer eine echte Lö- sung für ein politisches Pro- blem. „Er will den gordischen Knoten tatsächlich lösen. Doch dann geht ihm irgend- wann der Faden verloren zwi- schen Details und Experten- kauderwelsch, und er versteht nichts mehr.“ Frustriert wechs- le der Zuschauer dann sein In- teresse und schaue sich „Sabi- ne Christiansen“ an wie einen Boxkampf. Er suche sich einen Freund und einen Feind und schaue, wie die sich schlagen. Doch am Ende der Sendung gebe es ja, anders als beim

Sport, niemanden, der zum TEUTOPRESS Sieger des Kampfs erklärt WDR-Moderator Plasberg wird. Dann erinnere sich der Mit wem reden – und worüber? Zuschauer wieder, weshalb er die Sendung überhaupt gucke. Und aus Tageszeitungslandschaft gibt es im deut- dem Chaos ziehe er den Schluss: Es gibt schen TV-Journalismus keine Streitkultur, keine Lösung. „Also lohnt es sich auch die über das Abfragen von Statements hin- nicht, dass wir überhaupt irgendwas ver- ausgeht. Es sei denn, man zählte den ritu- ändern. Alles kann bleiben, wie es ist.“ alisierten Ärmelschonerkommentar in den Jetzt, da selbst das Entertainment des nächtlichen „Tagesthemen“ schon dazu. verbalen Boxkampfs verschwunden ist, Die Politik allein jedenfalls liefert die bleibt nur noch der Frust. Das Nichtver- nötige Streitkultur nicht mehr. Sabine stehen. Die Öde. Christiansen vermisst „Politiker mit kla- Doch die Polit-Talks reagieren auf die ren Positionen, um die gerungen wird“. neue Situation seit Monaten mit den alten Früher habe man auch nur Horst Seehofer gegen Ulla Schmidt stellen müssen und „Die Politik fürchtet sich Friedrich Merz gegen Oskar Lafontaine. davor, mit dem „Doch wenn heute Herr Beck sagt, wir ste- hen fest an der Seite der CDU, dann ver- Bürger zusammenzutreffen.“ wischen Konturen bis zur Unkenntlich- keit.“ Alles richtig, alles wahr. Doch was Reflexen. Wenn sich aus den Plauder- folgt daraus? Dass man statt dieser Lang- runden überhaupt keine Originalität mehr weiler eben andere einlädt? pressen lässt, werden immer häufiger Sicher ist, dass es die Politik den Talk- Einspielfilmchen gezeigt, in denen das shows nicht leicht macht. Die Redaktion Straßenvolk kurz sagen kann, was ihm von „Sabine Christiansen“ etwa hat für die- stinkt. Zur Erhellung trägt das nicht bei. sen Sommer eigentlich mehrere Sendungen Aber es gäbe eine gute Materialsammlung im sogenannten Townhall-Format geplant, ab für eine Doktorarbeit über die Deut- bei der Politiker quasi mit dem eigenen schen und ihre Ressentiments. Wahlvolk konfrontiert werden, ein direkter Das ist die Antwort des hiesigen Fern- Schlagabtausch zwischen Volk und Poli- sehjournalismus auf die Große Koalition: tik gewissermaßen. Doch die angefragten Nebenkriegsschauplätze, Scheingefechte, Politiker bis hoch zum Bundespräsidenten Spiegelfechterei. Wo die Politik den TV- hätten fast alle abgesagt. „Die Politik“, ver- Leuten die Aufreger nicht mehr frei Haus mutet man in Christiansens Redaktion, und gut portioniert ins Haus liefert, kommt „fürchtet sich davor, mit dem Bürger zu- nicht etwa irgendwer auf die Idee, mal sammenzutreffen.“ Denn da unten, das wirklich etwas Neues zu machen. Man merken auch sie, scheint etwas zu brodeln. hofft einfach weiter. Man mag die Feigheit vor dem Wähler Zurzeit kracht es gerade ein bisschen in tadeln. Aber das ist nur die halbe Wahr- der Großen Koalition, SPD und Union sind heit. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen, sich auch öffentlich ein klein wenig böse. Abteilung politische Volksbildung, ist ge- Doch wer glaubt, die Flaute in den Talk- fesselt in seiner Moderatorenrolle: Wenn shows sei damit passé, könnte sich irren. sich die Parteien nicht gegenseitig beißen, Weder Mehrwertsteuererhöhung noch sieht man erst, wie zahnlos es ist. Hartz-IV-Krach vermögen das Fernsehvolk Doch das ist kein Gegenentwurf zu einer zu elektrisieren. Regierung, die letztlich auch nur eine Und die Stimme der Opposition? Ist so Talk-Runde repräsentiert, moderiert eben leise geworden, dass man ihren Wider- von nach dem Motto: Ich spruch kaum hört. Leider zeigt sich, dass glaube, jetzt sollten wir mal Herrn Münte- dem Fernsehen eine Stimme des Wider- fering zu Wort kommen lassen, und dann spruchs überhaupt fehlt. Anders als in der ist Herr Glos dran. Markus Brauck

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