Aktuelle Themen

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Aktuelle Themen Aktuelle Themen Antike für Anfänger Festvortrag zur Eröffnung des Altphilologenkongresses in Göttingen, 25. März 2008 Sehr geehrte Würden- und Amtsträger, sehr Kolonos“ von Sophokles . Und der Blick schweift geehrte Philologinnen und Philologen, sehr weiter: Wissensmagazine bringen spannende Ent- geehrte Damen und Herren! deckergeschichten und zugängliche historische Orientierung; große Ausstellungen dramatisie- Es herrscht eine gewisse Hochstimmung. Die ren die Pracht und den Untergang alter Reiche alten Sprachen sind doch nicht tot, und die und werden rege besucht; die großen Zeitungen Antike ist in der Kultur des neuen Jahrtausends debattieren seitenweise über die Lage Trojas und lebendiger, als mancher gedacht hätte. Diese über die Herkunft des Dichters der „Ilias“: ja, Lage erlaubt es, dass die Freunde des Altertums der literarische und historische Abenteurer, der sich wenigstens einen Moment lang von ihrem meint, das Rätsel Homers gelöst zu haben, schafft Kampf ausruhen. Sie können die Instrumente es nicht bloß ins Radio, sondern sogar ins „heute- der Rechtfertigung, mit denen sie in den letzten journal“. Jahrzehnten hantieren mussten, sie können ihre Ist das eine Renaissance? Wer, wie viele hier, Defensivtechniken einmal kurz beiseite lassen die schulische Praxis kennt, der wird mit einem und als Zuschauer auf die Gesellschaft blicken. solchen Urteil natürlich vorsichtiger sein. Die Wie sieht da das Geschehen aus? In den Verankerung der alten Sprachen im Kanon der Gymnasien wollen immer mehr Schüler Latein Bildungsfächer ist weiterhin prekär und kommt lernen; Latein scheint jetzt vielen Eltern generell leicht ins Wackeln; ich nenne nur den Fall noch für eine gewisse Qualität der Schulbildung meiner Heimatstadt Bochum, die im Dezember zu bürgen; Schulen und Behörden betreiben ein gegen viele Proteste beschlossen hat, ihre ein- regelrechtes Headhunting, um die frisch ausge- zige altsprachliche Schule, das „Gymnasium am bildeten Lateinlehrer aus anderen Bundesländern Ostring“, zu schließen; demnächst wird es dort abzuwerben. Der populäre Schriftsteller Robert wahrscheinlich einen Bürgerentscheid darüber Harris schreibt einen CiCERO-Roman nach dem geben. Latein als Anfangssprache gerät unter anderen; ein Buch eines deutschen Professors Druck, Griechisch wird, trotz leicht wachsender über die lateinische Sprache erobert die „Spie- Zahlen, weiter marginalisiert; die Schulstunden gel“-Bestsellerliste. Während Hollywood und die sind weniger geworden; es gibt heute für Überset- Fernsehanstalten sich mit Monumentalfilmen zungen eine „Eins“, für die es vor gar nicht langer und aufwendigen Serien mit antiken Stoffen über- Zeit vielleicht eine „Drei“ gegeben hätte; Europa schlagen, tun es ihnen die Theaterbühnen gleich leidet insgesamt an einer neuen Sprach-Faulheit; mit einer beispiellosen Dichte von Tragödienauf- die sogenannte „Gemeinschaftsschule“ rüttelt an führungen; Hellmut Flashar , der gerade an den Mauern des Gymnasiums, das hier und da einer Neuauflage seines Buches „Inszenierung auch von innen mitrüttelt; und auch die Ände- der Antike “ arbeitet, kommt kaum hinterher. rungen des Lehramtsstudiums, die den Namen Dabei beschränkt man sich nicht mehr auf die der schönen und gelehrten Stadt Bologna tragen zeitweise beliebte Trias des Protestes, nämlich müssen, verheißen wenig Gutes. Und doch: Das auf die drei Gegen-Stücke „Antigone“ (gegen Interesse ist da, es gibt viele neue, junge, enga- den Staat), „Troerinnen“ (gegen den Krieg) und gierte Lehrer, und es gibt allerlei didaktische „Medea “ (gegen die Männer) - nein, man wagt Konzepte, die dazu gemacht sind, mit der sich sich sogar, wie unlängst an den Münchner Kam- wandelnden kulturellen Lage umzugehen, Kon- merspielen geschehen, an ein vergleichsweise zepte für einen lebendigen, aber trotzdem nicht handlungsarmes Stück wie den „Ödipus auf oberflächlichen altsprachlichen Unterricht, die 148 auf dem Ideenmarkt der nächsten Tage hier in deplatz bekommt: beweisen wir damit nicht, dass Göttingen vermittelt und zur Diskussion gestellt uns unsere Kultur noch wichtig ist, oder gar wich- werden. tiger als zuvor? Ist es nicht bemerkenswert, dass Zunächst aber will ich den Blick nicht auf die die Werke und die Geschehnisse der Vergangen- Schule lenken. Sondern darauf, was das eigentlich heit, auf die wir immer wieder zurückkommen, für eine Antike ist, die sich da gerade im Kultur- in der Zeit des Internets und der Globalisierung betrieb und in der gesamten Öffentlichkeit so und der Spezialisierung des Wissens trotz allem machtvoll darbietet. Man könnte das, was da vor eine solche Anziehungskraft haben? Dieser ganze sich geht, so meine ich, unter drei Begriffen zu vermeintliche Krempel aus dem alten Europa? fassen versuchen: nämlich: Kompensation, Nun, bemerkenswert ist das schon - doch der A r c h a i k und G e h e i m n i s . Schluss auf die allgemeine Relevanz, auf ein neues und konstantes Interesse des Publikums, der 1. Kompensation. Wir beobachten ganz allge- scheint mir ganz trügerisch zu sein. Nicht, dass mein einen Zuwachs an historischer Information, es da kein Bedürfnis gäbe; nicht, dass das ganze an historischer Erinnerung in der Öffentlichkeit. Gedenken und Kanonisieren ausschließlich in der Geschichtsausstellungen, Geschichtsmagazine, verschärften Konkurrenz zwischen den Medien Geschichtskanäle suchen und finden ihr Publi- und den Verlagen seinen Grund hätte - auch kum. Runde oder auch nur halbrunde Jubiläen, wenn diese Medienkonkurrenz dabei durchaus Geburtstage und Todestage werden in unge- eine gewisse Rolle spielt: So wird in den Redak- kannter Ausdehnung und in steigender Frequenz tionskonferenzen gefragt: „Hat der Mitbewerber abgefeiert. Hinzu kommen groß inszenierte Neu- schon seine Sonderseiten zu Karajan gebracht? “ übersetzungen von Klassikern, hinzu kommen ... Aber dieses Bedürfnis nach öffentlicher Unter- auch immer weiter ausgefächerte Reihen von richtung, das tatsächlich existiert, bedeutet nicht, kompakter Einführungsliteratur sowie histori- dass diese Unterrichtung direkt an eine vorhan- sche Aufklärungs- und Besinnungsbeiträge zu dene Bildungswelt anschließt. Die Funktion ist verschiedenen Gelegenheiten des traditionellen eine ganz andere: Es ist die der Kompensation. Festkalenders wie Weihnachten, Ostern oder Und zwar nicht in dem Sinne, wie es Odo Mar - auch zu Papstbesuchen. - Wochenzeitungen quard meinte, als er die Geisteswissenschaften durchmessen „das Wissen dieser Welt“ in einem mit ihren Themen zu einer Kompensation der „Bildungskanon “ und reisen von der Athener Dynamik der Moderne erklärte. Sondern in dem Agora zum Tübinger Stift. Einzelne Wissensfrag- einfachen Sinne, dass das History-Special und mente aus alter Zeit tauchen auch immer wieder die MozART-Beilage das kompensieren, was in an entscheidender Stelle in den beliebten Quiz- Schule, Elternhaus und Universität nicht mehr Shows von Günther Jauch und anderen auf. All geleistet wird. Wenn heute Schillers Geburts- dies sind Gelegenheiten, gerade die klassischen tag gefeiert wird, dann dient das nicht mehr wie Bildungsgüter wieder aufscheinen zu lassen, sie einst der gelebten nationalkulturellen Erinne- gebündelt zu reaktivieren, sie zum besonderen rung, nicht mehr der Selbstbestätigung eines mit Ereignis zu machen, ob es nun Homer ist oder den gefeierten Gegenständen oder Ereignissen Rubens oder Mozart oder Schiller - der eng vertrauten Bildungsbürgertums. Es wird Schiller, dem gleich nach dem Schillerjahr 2005 meistens nicht ein neuer Aspekt des Werkes, (zu seinem 200. Todestag) das nächste Schiller- nicht ein individueller, aus unserer Zeitgenos- jahr 2009 (zu seinem 250. Geburtstag) gewidmet senschaft kommender Zugang zu dem Klassiker sein wird. erschlossen, ein Zugang also, der die Kenntnis der Vordergründig könnte man aus der gestei- kanonischen Kultur, der den alltäglichen Umgang gerten Präsenz dieser Inhalte auf ein wachsen- mit ihr zur Voraussetzung hätte. Nein, wenn des Interesse ihrer Empfänger schließen. Wenn wir in den Medien heute Schillers Geburtstag unsere Bildungstradition im „Spiegel“ und im feiern oder über Troja streiten, dann fangen wir Fernsehen wieder einen breit abgesteckten Sen- ganz von vorne an. Dann gibt es Info-Kästchen 149 und Einführungstexte: Wer war dieser Schiller? wir annehmen müssten, das seien nur Nottriebe, Wann hat er gelebt? Was sind seine Hauptwerke? was wir gerade in der Öffentlichkeit erleben. Die Warum ist sein Name so berühmt? Oder: Worum verantwortungsvolleren Medien müssen also geht es eigentlich in der „Ilias“? sehen, wie sie das Beste daraus machen, und es Das heißt: Die Medien - auch die anspruchs- wäre sicher dumm, wenn die Altsprachler und volleren - sind zu Schullehrern geworden. Das die Altertumswissenschaft die gegenwärtige Situ- ist gar keine schlechte Aufgabe, auch wenn sie ation, wenn sie die öffentliche Aufmerksamkeit manchem, der sich darauf umstellen muss, noch nicht nutzten. Die Kategorie der Kompensation lästig sein mag. Es ergeben sich damit übrigens kann jedoch, so meine ich, dabei helfen, aus dem auch ganz neue Betätigungsfelder für historische Boom der Themen nicht immer gleich ein nach- Experten. Aber man muss sich eben klar machen, haltiges Interesse in der Gesellschaft abzuleiten. dass gegenwärtig, zugespitzt gesagt, eine Verlage- rung der Volksbildung hin zu den Medien stattfin- 2. Archaik. Friedrich N ietzsche hat einmal det. Der Informationssektor übernimmt mit rasch geschrieben: „Humanität ist ein ganz ungriechi- verglühenden Feuerwerken die Orientierung scher Begriff.“1 Dieser Befund lässt sich, schaut über
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