Masarykova univerzita

Filozofická fakulta

Ústav germanistiky, nordistiky a nederlandistiky

Německý jazyk a literatura

Bc. Hana Crhová

Vladimir Vertlib und Wladimir Kaminer im Vergleich Magisterská diplomová práce

Vedoucí práce: PhDr. Zdeněk Mareček, Ph.D. 2011

Prohlašuji, že jsem diplomovou práci vypracovala samostatně s využitím uvedených pramenů a literatury.

...... Podpis autora práce 2

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei Herrn PhDr. Zdeněk Mareček, Ph.D., der mich bei dieser Magisterarbeit begleitete, für seine wertvollen und hilfreichen Ratschläge und Zeit herzlich bedanken. Ich möchte mich auch beim DAAD bedanken, der mich mit seinem Stipendium einen für meine Arbeit sehr hilfreichen Forschungsaufenthalt an der Universität in Heidelberg ermöglichte. Ich danke Frau Prof. Dr. Gertrud Maria Rösch, die mich während meines Heidelberger Aufenthaltes betreute. Mein Dank gehört auch dem Zsolnay/Deuticke-Verlag und der Verlagsgruppe Random House für die Zusendung der Rezensionen und Interviews. Ebenfalls möchte ich mich bei Frau Susanne Reitemeyer für die Textkorrektur bedanken. Einen besonderen Dank gehört Herrn Vladimir Vertlib, der bereit war, meine Fragen zu beantworten.

3

Inhaltsverzeichnis

Einleitung ...... 6

1. Juden in der Sowjetunion und ihre Emigration ...... 8

1.1 Die Situation der Juden in der Sowjetunion ...... 8

1.2 Emigration der sowjetischen Juden nach dem Zweiten Weltkrieg ...... 10

1.3 Jüdische Gemeinden in Deutschland heute ...... 12

2. Das Leben Vladimir Vertlibs und Wladimir Kaminers ...... 14

2.1 Vertlib und Kaminer: Auf Deutsch schreibende Autoren russisch-jüdischer Herkunft und ihre unterschiedlichen Lebenswege ...... 20

3. Gemeinsame Themen bei V. Vertlib und W. Kaminer ...... 24

3.1. Schriftsteller werden, das Schreiben als Beruf ...... 24

3.1.1 Schriftsteller werden bei Vertlib ...... 25

3.1.2 Schriftstellerwerden bei Kaminer ...... 25

3.1.3 Gründe zum Schreiben ...... 26

3.1.4 Lesungen ...... 27

3.2 Deutsch als Zweitsprache (Fremdsprache) ...... 28

3.3 Judentum ...... 30

3.3.1 Leben der Juden in der Sowjetunion ...... 31

3.3.2 Emigration der sowjetischen Juden ...... 34

3.3.3 Leben der Juden im heutigen Deutschland ...... 36

3.3.4 Zusammenfassung ...... 38

3.4 Sowjetunion, Russland ...... 39

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3.5 Emigrantenleben in Deutschland und in Österreich ...... 42

3.5.1 Emigrantenleben bei V. Vertlib ...... 43

3.5.2 Emigrantenleben bei Kaminer ...... 45

3.5.3 Zusammenfassung ...... 48

4. Auftreten beider Autoren in der Öffentlichkeit und ihre Rezeption ...... 50

4.1 Vertlib und Kaminer im Internet ...... 50

4.2 Wie wollen die Autoren von ihren Lesern verstanden werden – Authentizität und Fiktionalität in ihren Werken ...... 52

4.3 Vertlib und Kaminer in der Literaturwissenschaft ...... 56

4.4 Vertlib und Kaminer in der journalistischen Welt ...... 62

4.5 Sprachen, in die man Werke Verltibs und Kaminers übersetzt ...... 69

5. Schluss ...... 71

Bibliographie ...... 74

Primärliteratur – Vladimir Vertlib ...... 74

Sekundärliteratur zu Vladimir Vertlib und seinem Werk ...... 74

Internetquellen zu Vladimir Vertlib und seinem Werk ...... 76

Primärliteratur – Wladimir Kaminer ...... 77

Sekundärliteratur zu Wladimir Kaminer und seinem Werk...... 78

Internetquellen zu Wladimir Kaminer und seinem Werk ...... 79

Bibliographie zum Thema Juden in der Sowjetunion und jüdische Gemeinden in Deutschland .. 81

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Einleitung

In meiner Magisterarbeit möchte ich mich mit dem Thema Deutschsprachige Schriftsteller russischer Herkunft beschäftigen. Hauptsächlich werde ich mich den Schriftstellern Vladimir Vertlib und Wladimir Kaminer widmen. Zu diesem Thema führte mich meine Begegnung mit Vladimir Vertlib, den ich während seines Brünner Aufenthalts anlässlich seiner Lesung beim Literaturfestival Měsíc autorského čtení im Juli 2009 betreute.

Gleich zu Beginn möchte ich die Frage beantworten, warum ich über die beiden Autoren schreiben werde und warum ich sie auch für meinen Vergleich ausgewählt habe. Die auffälligste Ähnlichkeit beider Autoren ist ihr Geburtsland; beide Autoren sind in der ehemaligen Sowjetunion geboren, beide sind sogar gleich alt, Vertlib wurde im Jahre 1966 geboren, Kaminer im Jahre 1967. Beide verbindet ihre jüdische Herkunft, die mit ihrer Emigration eng zusammenhängt. Beide emigrierten in ein deutschsprachiges Land, in dem sie immer noch leben – Vertlib in in Österreich, Kaminer in Berlin in Deutschland. Vertlib und Kaminer sind in ihren Emigrationsländern erfolgreiche Schriftsteller geworden, die ihre Werke auf Deutsch (also nicht in ihrer russischen Muttersprache) verfassen und daher zu den bedeutendsten Figuren der deutschsprachigen Literatur mit Migrationshintergrund gehören.

Die Lebenserfahrung beider Autoren dient sehr oft als Inspiration für ihre Schriftstellertätigkeit. Wie ich schon oben kurz geschildert habe, weist die Lebenserfahrung beider Autoren gewisse Ähnlichkeiten auf. Aus diesem Grund kann man bei Vertlib und bei Kaminer etliche gemeinsame Themen finden. Die Analyse der gemeinsamen Themen in Vertlibs und Kaminers Werken bildet den Kern meiner Magisterarbeit. Ich ging vom Werk Vladimir Vertlibs aus, zu dem ich Parallelen im

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Werk von Wladimir Kaminer suchte. Daraus ergaben sich folgende Themenschwerpunkte meiner Arbeit: Schriftstellertätigkeit, Schreiben in einer Fremdsprache, Russland bzw. Sowjetunion, Judentum, Emigrantenleben in Deutschland bzw. in Österreich.

Die Struktur meiner Magisterarbeit ist folgend: Zuerst möchte ich kurz auf das Thema Juden in der Sowjetunion und ihre Emigration eingehen – die Einstellung des sowjetischen Staates zu den Juden, den Antisemitismus der Stalin-Jahre, die Ursachen der jüdischen Auswanderung der letzten Jahrzehnte. Die Tatsache, dass ich ziemlich weit ausholen muss, um die Wurzeln des Antisemitismus zu zeigen, hängt auch mit der Thematik von Vertlibs Büchern zusammen. Deshalb ist es meiner Meinung nach gut, mir schon am Anfang einen Überblick der Ereignisse zu verschaffen, die für die in der Sowjetunion lebenden Juden wichtig waren. Die Verwicklung der Schicksale von sowjetischen Juden nach dem Zweiten Weltkrieg geht z. T. auf Ereignisse vom Anfang des 20. Jahrhunderts zurück Das ist der zweite Grund, warum ich nicht nur die Situation der Juden nach dem Zweiten Weltkrieg schildere, sondern auch die Periode seit 1917. Am Ende des ersten Kapitels gehe ich kurz auf die Veränderungen in den deutschen jüdischen Gemeinden seit den 90er Jahren, die gerade durch die Emigration der Juden aus der Sowjetunion verursacht wurden.

Nach diesem kurzen historischen Exkurs suche ich Parallelen im Leben von Vertlib und Kaminer. Danach beschäftige ich mich mit den Ähnlichkeiten in den literarischen Werken beider Autoren. Die ganze Arbeit schließt mit einem Überblick über die Rezeption beider Autoren in Deutschland, in Österreich und im Ausland ab. In diesem Kapitel arbeite ich mit Rezensionen zu den Werken beider Autoren, deren Rezeption in Deutschland und in Österreich und ich führe eine Liste mit den Sprachen ein, in die Vertlibs und Kaminers Wekr übersetzt werden. Ich konzentriere mich auch darauf, wie beide Autoren selbst in der Öffentlichkeit präsent sind, nicht nur durch Lesungen, sondern auch im Internet.

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1. Juden in der Sowjetunion und ihre Emigration

Auf dem Gebiet des heutigen Russland lebten Juden seit ältester Zeit. Der Antisemitismus verstärkte sich nach der Annektierung Polens, als die Zahl der jüdischen Bevölkerung gestiegen ist.1 Die russische, orthodoxe Bevölkerung wurde durch ihre Religion sehr stark geprägt. Als negativer Nebeneffekt dieser religiösen Prägung erwies sich bei manchen eine starke Ablehnung der anderen Religionen, was zur mangelnden Toleranz gegenüber der jüdischen Bevölkerung führte und oft bis zu Pogromen eskalierte. Die offizielle Macht bemühte sich, Juden in die russische Bevölkerung zu integrieren und so die jüdische religiöse Autonomie, die für die meiste Bevölkerung provozierend war, zu beschränken. Die Hoffnung für die in Russland lebenden Juden kam erst mit der Revolution.

1.1 Die Situation der Juden in der Sowjetunion

Viele Autoren sind sich einig, dass die russischen Juden in der Revolution eine gewisse Möglichkeit der Veränderung ihrer unerträglichen Lebensbedingungen sahen, unter denen sie in dem zaristischen Russland gelebt hatten.2 Die konkreten Zukunftsvisionen der russischen Juden variieren bei den Autoren. Goldberg erklärt die Begeisterung der Juden für die Revolution mit ihrem Wunsch nach Emanzipierung ihrer religiösen Gemeinschaft.3 Er behauptet, dass die meisten Juden auf ein freies religiöses Leben hofften, in dem sie ihre Religion praktizieren konnten. Schapiro meint hingegen, dass schon in dem Moment, als die Juden der revolutionären Partei beitraten, ihr Verzicht auf ihre religiöse Identität fest stand. In der Revolution

1 Goldberg, B.Z. The Jewish Problem in the . Analysis and Solution. New York: Crown Publishers, Inc., 1961.

2 Vgl. Ebd.

3 Vgl. Ebd. 8

kämpften sie, so Schapiro, für ein freies bürgerliches Leben und für bessere Lebensbedingungen. 4

Unmittelbar nach der Revolution lehnte die offizielle Macht alle vorrevolutionären Traditionen und Gedanken ab. Den Antisemitismus, der im zaristischen Russland sehr präsent gewesen war, verurteilte man. Auf der anderen Seite wollten die anti-sowjetischen Bewegungen den Kommunismus diskreditieren, indem man die kommunistischen Führer als Juden bezeichnete – was man ausnahmslos für eine Beleidigung hielt. Diese für die Juden gespannte Lage führte zu einigen Pogromen (Kischinev, Gomel und andere). Nach dem Bürgerkrieg distanzierte sich die offizielle Macht davon und versicherte der Bevölkerung, dass sie sich für die Unterdrückung des Antisemitismus einsetzt. Später bezeichnete Lenin Antisemitismus als etwas sehr Fatales und Negatives, was es jetzt nur in den imperialistischen Staaten gäbe und so benutzte er es als Argument, um die westlichen bürgerlichen Staaten zu diskreditieren.

Man versuchte, die jüdische und andere nicht-russische Bevölkerung in die große sowjetische Bevölkerung zu integrieren. Als Lenin an der Macht war, bemühte man sich tatsächlich um eine Integration der Juden, um ihre Gleichheit in der Bevölkerung und um gleiche Möglichkeiten für sie. Diese Fortschritte wurden allerdings in der Ära des Stalinismus wieder zurückgenommen.

Anfang der 40er Jahre, als deutsche Truppen einen Teil der Sowjetunion okkupierten, gelang es der Nazi-Propaganda, antisemitische Ideen unter der russischen Bevölkerung zu verbreiten. Die Bedrohung für die jüdische Bevölkerung kam nicht nur von den faschistischen Okkupanten, sondern auch von den Einheimischen. Aus diesem Grund übernahmen viele Juden, z.B. solche, die in der Roten Armee dienten,

4 Vgl. Schapiro, L. Introduction. In Kochan, L. Hrsg.: The Jews in Soviet since 1917. Oxford: Oxford University Press, 1978, S. 1 - 14

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einen russischen Namen, um der antisemitischen Gefahr nicht ausgesetzt zu werden. Auch nach dem Krieg, als die meisten Juden aus den Konzentrations- und Arbeitslagern zurückgekehrt waren, kam es zu Pogromen. Die Regierung schrieb die Schuld dafür den faschistischen Okkupanten zu, weil diese die Bevölkerung mit starkem Antisemitismus „anstecken“ sollten, und distanzierte sich davon.5

Mit dem unter dem Stalinismus immer stärker werdenden sozialistischen Gedankengut kam eine rasante Unterdrückung der Religion, was sich auch auf den Judaismus bezog. Mit der Entstehung des Staates wurden sowjetische Juden automatisch als Verschwörer dieses neuen Staates angesehen.

Im Januar 1953 wurden prominente jüdische Ärzte einer Verschwörung beschuldigt und in Haft genommen. Nach Stalins Tod wurden sie entlassen und rehabilitiert. Juden wurden fortan immer als andere Nationalität angesehen. In ihren Reisepässen (in der sog. fünften Rubrik) war deutlich gezeichnet, dass sie Juden waren. Als Mitglieder dieser Minderheit wurden sie sehr oft benachteiligt. Ihr Zugang zum Universitätsstudium, zu besseren Arbeitsplätzen oder ihre Teilnahme am öffentlichen Leben wurden deutlich erschwert oder überhaupt nicht ermöglicht. Aus diesen Gründen entschieden sich viele Juden zur Emigration.6

1.2 Emigration der sowjetischen Juden nach dem Zweiten Weltkrieg

Das erste große Zielland der jüdischen Emigration war Israel. 1975 unterschrieb Breschnew in Helsinki die Schlussakte der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Infolgedessen konnten sowjetische Juden Ausreisevisa

5 Vgl. Weinryb, B. in Soviet Russia. In Kochan, L. Hrsg.: The Jews in Soviet Russia since 1917. Oxford: Oxford University Press, 1978, S. 300 – 332.

6 Vgl. Ebd.

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nach Israel beantragen. Das Ganze war als Familienzusammenführung gedacht: Jeder, der ausreisen wollte, musste zuerst eine Einladung von Familienangehörigen aus Israel bekommen. Es folgte dann eine mühsame und lange Prozedur, die Duwidowitsch folgendermaßen beschreibt:

Außerdem war bei den zuständigen Behörden eine beglaubigte Einverständniserklärung der sowjetischen Angehörigen, eine Bescheinigung des Arbeitsgebers, der Hausverwaltung und eine der Partei oder des Komsomol (sowjetische Jugendorganisation) über den Austritt aus der Organisation einzureichen.7

Die Bewerber um den Ausreisepass mussten auf ihre Arbeitsstelle verzichten, die Studenten unter ihnen mussten sich exmatrikulieren lassen. Im Fall einer Ausreiseverweigerung bekamen sie ihre Arbeits- oder Universitätsstelle meist nicht mehr zurück. Nach der Erteilung des Ausreisevisums wurde der Emigrierende ausgebürgert.

Die offizielle Erklärung, so Duwidowitsch, für die Ausbürgerung lautete: Da es keine diplomatischen Beziehungen zu Israel gebe, sei der Schutz des Sowjetbürgers auf israelischem Territorium nicht gewährleistet. (In der Folge des Sechs-Tage- Krieges hatte die Sowjetunion 1967 die diplomatischen Beziehungen zu Israel abgebrochen.)8

Es gab keine Flugverbindung von Moskau nach Tel Aviv. Die Emigranten mussten deshalb zuerst nach Österreich. In Wien änderten dann viele ihr Reiseziel. Als häufigste Immigrationsländer für sowjetische Juden können die USA, Australien, Kanada und Israel genannt werden. Manche entschieden sich, in Westeuropa zu bleiben.

Vladimir Vertlibs Familie gelang es schon im Jahre 1971 nach Israel auszureisen, also vier Jahre vor der größten Emigrationswelle der sowjetischen Juden nach Israel. Wie auch viele andere jüdische Familien aus der Sowjetunion bemühten

7 Duwidowitsch, L, Dietzel, V. Hrsg. Russisch-jüdisches Roulette. Zürich: Amman Verlag, 1993, S. 10.

8 Ebd. S. 10-11.

11

sie sich um eine Emigration nach Westeuropa und später auch in die USA. Im Jahre 1972 übersiedelten sie nach Wien.9

Es entstanden noch viele illegale Wege, wie die sowjetischen Juden nach Westdeutschland, hauptsächlich nach Westberlin, kommen konnten. 1988-89 konnte man in Wien einen Antrag auf Einreisegenehmigung in die Bundesrepublik Deutschland stellen, über den in Bonn entschieden wurde.

Am 11. Juli 1990 trat das Gesetz in Kraft, demzufolge Juden aus Osteuropa bei ihrer Ankunft auf dem Territorium der DDR eine Vielzahl von sozialen Rechten und Garantien in Anspruch nehmen konnten. Am 15. Februar 1991 wurde Juden, die zwischen dem 1. Juni und dem 15. Februar eingereist waren, rückwirkend der Status eines politischen Flüchtlings zuerkannt. In diesem Zeitraum waren ungefähr 3600 sowjetische Juden mit einem Touristenvisum nach Berlin eingereist.10

Unter diesen 3600 war auch Wladimir Kaminer.

1.3 Jüdische Gemeinden in Deutschland heute

Die Emigration der Juden aus den ehemaligen Staaten der Sowjetunion setzte auch von 1990 bis 2007 fort. Jedes Jahr kamen mehrere Tausend Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Laut der Mitgliederstatistik der jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland für das Jahr 2009 gab es die größten Emigrationswellen der sowjetischen Juden nach Deutschland in den Jahren 1999 (8. 929), 1995 (8. 851) und 1996 (8. 608).11 Von 1990 bis 2009 kamen insgesamt 102. 533 sowjetische Juden nach Deutschland. Auch in den letzten Jahren kamen Juden aus der ehemaligen SU-Staaten nach Deutschland, ihre Anzahl ist aber im Vergleich zu den früheren Jahren geringer (im Jahr 2008 waren es 862, im Jahr 2009 704). Sie waren sicher der Grund, warum die jüdischen Gemeinden in Deutschland in den

9 Vgl. Vertlib, V.: Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem, 2008.

10 Ebd. S. 12-13

11 Vgl. von Bassewitz, H. (Redaktion) Mitgliederstatistik der jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland für das Jahr 2000. Frankfurt am Main, April 2010, S. 2-3. 12

letzten Jahren deutlich größer geworden waren. Im Jahre 1990 registrierten die jüdischen Gemeinden in Deutschland 29. 089 Mitglieder, im Jahre 2009 waren es schon 104. 241.12

Die Statistik, die ich zur Verfügung hatte, befasste sich nur mit den Zugängen der aus der ehemaligen Sowjetunion stammenden Juden. Für die Abgänge wurden gesamte Mitglieder berechnet. Deshalb kann ich nicht genau sagen, wie groß der Anteil der ehemaligen Sowjetbürger in den jüdischen Gemeinden in Deutschland ist. Die Statistik beweist aber mit Sicherheit, dass es sich um die Mehrheit handelt.

12 Vgl. Ebd. 13

2. Das Leben Vladimir Vertlibs und Wladimir Kaminers

Vladimir Vertlib wurde am 2. Juli 1966 in Leningrad in der Sowjetunion geboren. Durch meine E-Mail-Korrespondenz mit Vladimir Vertlib habe ich erfahren, dass seine Mutter als Mathematiklehrerin in einer Mittelschule gearbeitet hatte. Später arbeitete sie als Computerprogrammiererin in einem Forschungsinstitut in Leningrad. Sein Vater studierte Jura, aber diesen Beruf konnte er wegen seiner jüdischen Herkunft ohne Protektion und Parteimitgliedschaft nicht richtig ausüben. Eine gewisse Zeit arbeitete er als Jurist in Krasnojarsk, aber er kehrte bald nach Leningrad zurück, wo er sich als Lektor und Korrektor in einem wissenschaftlichen Verlag und in einer Druckerei anstellen ließ. Vertlibs Familie wurde in der Sowjetunion oft wegen ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert, und deshalb entschlossen sich Verlibs Eltern zur Emigration. Die erste Station ihrer Emigration führte im März 1971 nach Kiryat Ono in Israel. Diese Stadt liegt 11 km östlich von Tel Aviv und wurde im Jahre 1940 gegründet, als sich ca. 40 jüdische Familien entschieden hatten, sich in dieser Region niederzulassen.13 Vertlibs Eltern waren aber in diesem Land unzufrieden und fühlten sich unsicher. Aus diesem Grund übersiedelten sie im April 1972 nach Wien.14

Vladimir Vertlib spricht über diese Zeit folgendermaßen:

Ursprünglich wollten meine Eltern nach Israel, blieben aber nur ungefähr ein Jahr lang dort. Sie waren mit völlig unrealistischen Erwartungen eingewandert und von den Zuständen im Land bald enttäuscht. Zu Beginn der Siebzigerjahre wusste man in der Sowjetunion noch kaum etwas über den Westen, der Informationsfluss war sehr gering. Meine Eltern hatten die Illusion, dass der jüdische Staat etwas ganz Besonderes sein müsse, ein Ort, an dem alle Juden „solidarisch und voller Enthusiasmus gemeinsam am Aufbau des Landes mitarbeiten". Dass es dort auch Korruption, soziale Ungerechtigkeit und Parteibuchwirtschaft gibt, war für sie ein Schock. Außerdem wurden sie mit Vorurteilen und Klischees konfrontiert, die viele Alteingesessene über die Neuzuwanderer aus der Sowjetunion hatten.15

13 Vgl. Offizielle Homepage der Stadt Kiryat Ono [on-line]. [Letzter Zugriff: 2011-04-07]. Abrufbar unter: ‹http://www.kono.org.il/_uploads/dbsattachedfiles/english%281%29.pdf›

14Vertlib, V. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem, 2007.

15 Schweiger, S. Reise zu meinen Wurzeln [on-line]. nu, Nr. 2., 2004, S. 15-18. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.nunu.at/› 14

Nicht einmal in Wien konnten sie richtig Fuß fassen. Verltibs Eltern konnten auch hier antisemitische Stimmungen spüren und fühlten sich oft diskriminiert.16 Die lange Odyssee dieser Familie war auch deshalb Anfang der Siebzigerjahre noch lange nicht zu Ende. Von Juni bis Oktober 1972 wohnte Familie Vertlib in Rom, von Oktober 1972 bis Juni 1975 lebten sie wieder in Wien, wo der kleine Vladimir die 1. bis 3. Klasse der Volksschule besuchte. Von Juni bis Oktober 1975 hielten die Vertlibs in Amsterdam auf. Dann wanderten sie zum zweiten Mal nach Israel aus, wo Vladimir die 4. Klasse der Grundschule besuchte. Im August 1976 kehrte die Familie – nach einem weiteren kurzen Zwischenaufenthalt in Rom - nach Wien zurück. Vladimir ging dort in die 1. Klasse des Gymnasiums. Im Juni 1980 versuchten sie in die USA einzuwandern, sie bekamen dort aber die notwendige Aufenthaltsgenehmigung nicht und übersiedelten endgültig im Oktober 1981 nach Wien.

Seit 1981 lebt Vladimir Vertlib in Österreich. Die Frage, die sich aufdrängt, wenn man über den ganzen Emigrationsprozess Vertlibs liest, ist, wo er sich zu Hause fühlt und welches Land er für seine Heimat hält. Fragen dieser Art beantwortete Vertlib schon mehrmals. Auf eine ähnlich gestellte Frage antwortet er folgendermaßen:

Das lässt sich für mich auch heute nicht eindeutig beantworten. Ich würde sagen, dass ich mein Zuhause in einer Zwischenwelt gefunden habe. Ich nehme aktiv am Kulturleben in Österreich teil, fühle mich mit diesem Land verbunden und würde ungern auf die österreichische Variante des Deutschen und auf manches, das für die Lebensweise in diesem Land typisch ist, verzichten wollen. Außerdem bin ich mit einer gebürtigen Österreicherin verheiratet. Und natürlich ist vieles, was man gemeinhin als „österreichische Mentalität“ bezeichnet, inzwischen Teil meines Wesens geworden...Genügt das, um Österreich als „Heimat“ zu bezeichnen? Ja und nein … Meine familiäre, sprachliche und kulturelle Prägung ist jedoch nur zum Teil österreichisch, und auch von anderen werde ich manchmal immer noch als Fremder, jedenfalls nicht als „typischer Österreicher“ wahrgenommen. Gerade meine zum Teil alles andere als angenehmen Erinnerungen daran, wie ich Österreich als Zuwandererkind erlebt und wahrgenommen habe, lassen sich auch Jahrzehnte später nicht beiseiteschieben. Eine gewisse Distanz und ein latentes Misstrauen Österreich und den Österreichern gegenüber werden wohl immer bleiben.17

16 Vgl. Ebd.

17 Malik, W. Interview mit Vladimir Vertlib [on-line]. Ausblicke 8, Nr. 2, 2003, S. 21 – 23. [Letzter Zugriff: 2010-10- 20]. Abrufbar unter: ‹http://www.scribd.com/doc/27415229/Ausblicke-17›

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Vladimir Vertlib lebte während seines Lebens in vielen verschiedenen Ländern, deren Sprachen er auch lernen musste. Insgesamt wurde er mit 6 Sprachen konfrontiert: Russisch, Deutsch, Englisch, Hebräisch, Italienisch und Niederländisch. In meiner E-Mail fragte ich ihn nach seiner Beziehung zu diesen Sprachen: Russisch ist seine Muttersprache, aber dank seinem langjährigen Aufenthalt in Österreich und seinem Schreiben auf Deutsch ist er sprachlich im Deutschen besser. Englisch musste er lernen, als die Familie eineinhalb Jahre in den USA lebte. Die Vertlibs wurden aus den USA abgeschoben und mussten daher sehr viel Unangenehmes durchmachen. Trotzdem ist Vertlibs Beziehung zum Englischen sehr positiv: Ich mag Englisch sehr und verbinde diese Sprache ganz stark mit meiner Jugendzeit.18 In Israel sprach er Hebräisch. Diese Sprache vergaß Vertlib aber später, trotzdem hält er sie wegen ihrem Klang für eine der schönsten Sprachen der Welt.19 Italienisch und Niederländisch vergaß er später bis auf ein paar Sätze. Dazu lernte er als Erwachsener noch Französisch.

Von 1984 bis 1989 studierte Vertlib Volkswirtschaftslehre in Wien. Wie kam es aber dazu, dass ein Volkswirt zum Schriftsteller wurde? Wann war es für ihn klar, dass er seine Ausbildung als Diplom-Volkswirt an den Nagel hängt:

Klar war es für mich intuitiv schon mit 14 Jahren, seit ich Tagebuch geschrieben habe. Aber zugetraut habe ich es mir lange Zeit nicht. Den Sprung ins kalte Wasser habe ich erst mit Mitte/Ende 20 gewagt, nach einem Studium der Volkswirtschaftlehre, weil ich zunächst nach den Erfahrungen der Unsicherheit in der Emigration auch auf Drängen meiner Eltern etwas Handfestes erlernen wollte. Danach habe ich dann noch drei Jahre in einer Versicherung gearbeitet und die Schriftstellerei nur nebenbei gemacht. Als ich meine Lebensgefährtin kennen lernte und von Wien nach Salzburg zog, habe ich mir dann einen gewissen Zeitraum zugestanden, um nur zu schreiben. Und als ich mit dem ersten Buch Erfolg hatte, war für mich alles entschieden.20

18 E-Mail-Korrespondenz zwischen der Autorin und Vladimir Vertlib vom 4. 4. 2011.

19 Ebd.

20 Bittner, H. Zunächst etwas Handfestes gelernt [on-line]. Neuß-Grevenbroicher Zeitung , 28. Mai 2002. [ Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.ngz-online.de/archiv/neusser_feuilleton/Zunaechst- etwas-Handfestes-gelernt_aid_228740.html›

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Für sein literarisches Werk wurde er wiederholt mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet. 1999 erhielt er den Österreichischen Förderpreis für Literatur. 2001 bekam er den Förderpreis zum Adalbert-von-Chamisso-Preis und den Anton- Wildgans-Preis. 2006 folgte dann die Dresdner-Poetikdozentur.

In den 90er Jahren zog er aus Wien nach Salzburg um. Über seinen Umzug in die Provinz spricht Vertlib sehr positiv:

In Salzburg zu leben bedeutet, dass ich mich dem Literaturauftrieb und den vielen Intrigen in Wien entziehen kann. Das kleine Österreich hat eine große Hauptstadt mit einer weit zurückreichenden historischen und kulturellen Tradition. Darum ist Wien oft selbstgenügsam und egozentrisch. Ein Wiener Künstler befindet sich vermeintlich im Zentrum des Kulturlebens des Landes, meint, er wäre am Nabel der Welt, verliert aber die Außenperspektive, die man von der Provinz aus hat. In der österreichischen Provinz bleibt einem ja nichts anderes übrig, als über die Grenze der eigenen Stadt oder des Bundeslandes hinauszuschauen.21

Von seinem Publikum wird Vertlib häufig als russisch-jüdischer Emigrant, der in deutscher Sprache schreibt22, bezeichnet. Er selbst möchte in erster Linie als österreichischer Schriftsteller wahrgenommen werden23. Gleichzeitig versteht er sich auch als jüdischer Autor. Er ist Mitglied der Theodor Kramer Gesellschaft24 und der jüdischen Gemeinde in Salzburg. Diese Gemeinde zählt etwa 100 Mitglieder, die aktiv sind. In Österreich gibt es keine russischen Kontingentflüchtlinge, wie es der Fall in Deutschland ist. Deshalb gibt es auch in Salzburg nur ein paar jüdisch-russische Familien, die zu dieser Gemeinde gehören. Vertlib selbst ist in der Salzburger Kultusgemeinde nicht aktiv. Er trat dieser Gemeinde nicht aus religiösen, sondern aus prinzipiellen Gründen bei. Nach seinen Worten sei er kein besonders religiöser Mensch.25 Das Judentum hängt aber sehr eng mit vielen seiner Texte und Werke zusammen.

21 Presser, E. Heimat im Zwischenbereich. Illustrierte Neue Welt, H4/5, 2006, S. 8.

22 Malik, W. Interview mit Vladimir Vertlib [on-line]. Ausblicke 8, Nr. 2, 2003, S. 21 – 23. [Letzter Zugriff: 2010-10-

20]. Abrufbar unter: ‹http://www.scribd.com/doc/27415229/Ausblicke-17›

23 Ebd. 24 Theodor Kramer Gesellschaft – nähere Informationen unter: http://www.theodorkramer.at/ 25 E-Mail-Korrespondenz zwischen der Autorin und Vladimir Vertlib vom 4. 4. 2011

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Wladimir Kaminer wurde am 19. Juli 1967 in Moskau in der Sowjetunion geboren. Seine Mutter arbeitete als Lehrerin, sein Vater war Betriebswirt von Beruf und arbeitete bei der sowjetischen Binnenflotte. Zuerst ließ sich Kaminer zum Toningenieur für Theater und Rundfunk ausbilden, dann folgte das Studium der Dramaturgie am Theaterinstitut in Moskau. Im Jahre 1990 entschied sich der 23- jährige Kaminer für die Ausreise in die DDR. Ohne jegliche Kenntnisse der deutschen Sprache versuchte Kaminer in Berlin Fuß zu fassen, was ihm später sehr gut gelang. In Berlin arbeitete er als Tontechniker bei einer freien Theatergruppe. Später begann er an im Berliner Kaffee Burger die sog. Russendisko zu veranstalten, bei der er bis jetzt als DJ auftritt. Im Jahre 1995 lernte er seine zukünftige Frau Olga kennen. Mit ihren Kindern Nicole und Sebastian leben sie in Berlin.26

Seit Ende der 90er Jahre schrieb Kaminer Feuilletons und Kolumnen für etliche deutsche Zeitungen. Kaminer war auch im Rundfunk aktiv – beim Radio MultiKulti des SFP war er als Moderator tätig und hatte seine eigene Sendung namens Wladimirs Welt. Im Jahre 2000 erschien sein erster Erzählband Russendisko, der Kaminer auch weit über die Grenze Deutschlands hinaus bekannt machte. Darauf folgten weitere Erzählbände und Literaturwerke.27

Im Jahre 2001 gab Kaminer zusammen mit wenig oder überhaupt nicht bekannten jungen Berliner Autoren einen Sammelband mit dem Titel Frische Goldjungs28 heraus. Kaminer fand diese Autoren bei verschiedenen Literaturveranstaltungen oder auf den Vorlesebühnen in Berlin. Er hielt sie für sehr begabt und wollte ihnen zum Durchbruch verhelfen. Es gelang ihm auch, dass fast alle Autoren von Frischen Goldjungs inzwischen Verträge bei verschiedenen Verlagen haben.

26 Stichwort: Kaminer, Wladimir: Leben und Biographie [on-line]. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.litde.com/autoren/kaminer-wladimir.php› 27 Ebd.

28 Kaminer, W. Hrsg. Frische Goldjungs. München: Wilhelm Goldmann Verlag, 2001. 18

In der deutschen Literaturwelt wird Kaminer oft mit seiner Tätigkeit in Bezug auf sein russisches Herkunftsland verbunden. Es ist eine logische Konsequenz, da die meisten Literaturwerke Kaminers die Themen wie Russen in Deutschland oder im Ausland, Sowjetunion, das heutige Russland usw. behandeln. Dazu trägt auch seine Tätigkeit bei der Russendisko bei. Oft wird Kaminer als Shootingstar oder Kult-Autor oder Schootingstar der Berliner Szene bezeichnet.29 Wegen seiner vielfältigen Aktivitäten wird Kaminer als Schriftsteller, Moderator, DJ oder Clubbesitzer bezeichnet. Er selbst bezeichnet sich aber als Geschichtenerzähler. Und wie ein Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sehr trefflich bemerkt: Zwar wechselt er ständig das Medium, doch eine Konstante bleibt: Was Kaminer auch macht, er transportiert Geschichten.30

Unter all diesen Bezeichnungen fehlt die Zuordnung als jüdischer Autor. Mit dieser Bezeichnung wird Kaminer im Unterschied zu Vertlib sehr selten verbunden. Wenn wir uns aber Kaminers Aktivitäten genauer ansehen, stellen wir fest, dass er z.B. bei den Jüdischen Kulturwochen am 18. Oktober 2010 in Frankfurt am Main aus seinem Buch Meine kaukasische Schwiegermutter vorlas.31 Über das Judentum äußerte sich Kaminer beim Interview für die schweizerische jüdische Zeitung Aufbau, eine Nachfolgerin der traditionsreichen New Yorker Wochenzeitung Aufbau, die seit 2005 im Züricher Verlag Jüdische Medien AG erscheint. Er sagte, dass er alle

29 Vgl. Ebd.

30 FAZ: Wladimir Kaminer. Der Geschichtenerzähler, 5. 3. 2007 [on-line]. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.faz.net/s/Rub2309A3DB4F3C4474B93AA8610A24AE0A/Doc~E564F0C02450A4BC582A52E9A894BFF 0D~ATpl~Ecommon~Scontent.html›

31 Vgl. Jüdische Kulturwochen 2010 in Frankfurt, [on-line]. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹ www.juedischekulturwochen2010-frankfurt.de›

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Religionen respektiert, aber dass er keine praktiziert – wie es der Fall vieler ehemaliger Sowjetbürger ist.32

Auch Kaminer wird gefragt, wo er sich zu Hause fühlt. Auf die Frage, ob er inzwischen Berlin als seine Heimat betrachten würde, antwortet er: Ich würde nicht sagen, Berlin, sondern vielmehr die Gegend hier im Prenzlauer Berg. Wir hatten hier zuerst Wohnungen in besetzten Häusern, das war 1990/91 und es gab eine große Gemeinschaft von vielen Russen, darunter viele Künstler. Dann sind viele wegen ihren Jobs weg, einige nach West-Berlin, einige nach Köln, andere nach Skandinavien und eine Zeit lang war ich alleine hier. Jetzt sind wieder Neue gekommen und von denen kenne ich mittlerweile fast alle.33

2.1 Vertlib und Kaminer: Auf Deutsch schreibende Autoren russisch- jüdischer Herkunft und ihre unterschiedlichen Lebenswege

In der Einleitung zu dieser Arbeit nannte ich verschiedene Gründe, warum ich über die beiden Autoren schreibe und welche Erkenntnisse ihr Vergleich zu versprechen schien. Kurz ging ich auch auf die Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten dieser Autoren ein. In diesem Abschnitt meiner Arbeit möchte ich mir diese Gemeinsamkeiten detaillierter ansehen und in ihnen auch mögliche Unterschiede aufzeigen, um einen plastischeren Vergleich der Lebenswege beider Autoren zu gewinnen.

Wie erwähnt, wurden die beiden Autoren in der Sowjetunion geboren. Vertlib emigrierte jedoch mit seinen Eltern im Alter von nicht einmal 5 Jahren. Seitdem lebte er für längere Zeit nicht mehr in der Sowjetunion oder in Russland. Sicher wurde er

32 „Ich trage einen tollen Anzug und bin auch noch nicht Deutscher“ Interview mit Wladimir Kaminer. Aufbau, Das jüdische Monatzsmagazin, April 2003.

33 Buhre, J.; Bergamini, J. Wladimir Kaminer. Fiction gibt es für mich nicht. 6. 7. 2001 [on-line]. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.planet-interview.de/wladimir-kaminer-06072001.html›

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nicht von der russischen Kultur isoliert. Er lernte sie mittels seiner Eltern kennen. Dagegen lebte Kaminer in der Sowjetunion bis zu seinem 23. Lebensjahr.

Beide Autoren emigrierten und bei der Emigration beider spielte ihre jüdische Herkunft eine große Rolle. Vertlibs Eltern entschieden sich zur Emigration noch während der diktatorischen Breschnew-Jahre, weil sie sich in der Sowjetunion wegen ihrer jüdischen Herkunft diskriminiert fühlten. Kaminer konnte dank seiner jüdischen Herkunft überhaupt aus der Sowjetunion ausreisen und bekam die Staatsangehörigkeit der ehemaligen DDR. Kaminer entschied sich selber für die Emigration, für Vertlib entschieden seine Eltern.

Während Vladimir Vertlib oft das Judentum thematisiert, ist es bei Wladimir Kaminer nicht leicht, sein Bekenntnis oder wenigstens seine Einstellung zum Judentum zu finden. Vereinzelt sind jedoch Hinweise auf das Judentum zu finden – wie z.B. seine Teilnahme an den Jüdischen Kulturwochen in Frankfurt am Main (siehe oben) oder ein paar Erwähnungen in seinem literarischen Werk (Russendisko, Militärmusik) oder sein Interview für das jüdische Monatsmagazin Aufbau, in dem er auch die jüdische Religiosität thematisiert.

Beide Autoren leben in einem deutschsprachigen Land. Vertlib kam im Jahre 1981 nach Wien. Österreich oder Wien gelten in Vorstellungen von Vielen als Orte, wo man Ausländer nicht besonders herzlich begrüßt. Selbst Vertlib bestätigt diese Vorstellungen, indem er sagt, dass er als Zuwandererkind in dieser Stadt nicht nur schöne Sachen erlebte (siehe Fußnote 17). Kaminer kam in der Revolutionszeit nach Berlin, das für eine multikulturelle Stadt gehalten wird. Gerade in einer solchen multikulturellen Stadt kann eine Institution wie die Russendisko sehr populär und erfolgreich werden.

Die Muttersprache beider Autoren ist Russisch, aber beide verfassen ihre Werke auf Deutsch. Vertlib lebte schon mehrmals während seiner Kindheit in Österreich, 21

endgültig übersiedelte die Familie Vertlib nach Österreich, als ihr Sohn Vladimir 15 Jahre alt war. Vertlib spricht eine österreichische Variante des Deutschen und man kann bei ihm keinen russischen Akzent hören. Er selbst sagt, dass er inzwischen Deutsch besser beherrscht als Russisch.34 Kaminer kam nach Deutschland, als er 23 Jahre alt war. Deutsch lernte er in einem Intensivsprachkurs, der 25 Wochen dauerte.35 Wie die You-Tube-Aufnahmen der Interviews mit Kaminer zeigen, spricht er heutzutage ein einwandfreies Deutsch mit einem russischen Akzent. Man könnte sich aber einen DJ auf der Russendisko ohne russischen Akzent kaum vorstellen.

Beide Autoren nahmen zusammen an einem Symposium in Japan teil. Dieses Symposium wurde zum Thema Identität, Migration und Nationalität36 veranstaltet und fand von 7. bis 8. November 2009 statt. Bei diesem Symposium diskutierten Vertlib und Kaminer über ihre Schriftstellerexistenz in Österreich bzw. Deutschland und über ihre Emigration und Leben in Deutschland und in Österreich.

Zum Schluss dieses Kapitels möchte ich noch auf die Schreibweise der Vornamen beider Autoren eingehen. Obwohl sich im Russischen um denselben Vornamen handelt, werden der Vorname Vertlibs mit V und der Vorname von Kaminer mit W fast ausnahmslos in allen ihren Werken, Interviews und Rezensionen geschrieben. Die Schreibweise von Wladimir mit W entspricht der Duden-Transkription, während die Schreibweise mit V in der wissenschaftlichen und englisch-amerikanischen Transkription erscheint.37 Dies mag mit dem

34 Vgl. Malik, W. Interview mit Vladimir Vertlib [on-line]. Ausblicke 8, Nr. 2, 2003, S. 21 – 23. [Letzter Zugriff: 2010- 10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.scribd.com/doc/27415229/Ausblicke-17›

35 FAZ: Wladimir Kaminer. Der Geschichtenerzähler, 5. 3. 2007 [on-line]. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.faz.net/s/Rub2309A3DB4F3C4474B93AA8610A24AE0A/Doc~E564F0C02450A4BC582A52E 9A894BFF0D~ATpl~Ecommon~Scontent.html›

36 Symposium Identität, Migration, Transnationalität [on-line]. [Letzter Zugriff: 2011-01-10]. Abrufbar unter: ‹http://www.hum.nagoya-cu.ac.jp/~tsuchiya/sympo/sym20091107.html›

37 Vgl. Russisch online lernen und üben. [Letzter Zugriff: 2011-04-11]. Abrufbar unter: ‹http://www.russian- online.net/de_start/beginner/lesen/translit.php›

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Emigrationsprozess beider Autoren zusammenhängen. Kaminer emigrierte aus der Sowjetunion direkt nach Deutschland, wo sein Vorname auf deutsche Weise geschrieben wurde. Vertlib lebte in seiner Kindheit in verschiedenen Ländern, wo eine andere Transkription zum Kyrillischen verwendet wurde.

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3. Gemeinsame Themen bei V. Vertlib und W. Kaminer

In diesem Kapitel gehe ich auf die Themen ein, die in den Werken Vertlibs und Kaminers erscheinen und gewisse Ähnlichkeiten aufweisen. Ich versuche zu beschreiben, wie ähnlich oder auch wie unterschiedlich sich die beiden Autoren mit diesen Themen befassen.

3.1. Schriftsteller werden, das Schreiben als Beruf

Vladimir Vertlib wurde im Jahre 2006 zur Dresdner Poetikdozentur eingeladen. Aus dieser Poetikdozentur entstanden fünf Vorlesungen, die im Jahre 2007 vom Universitätsverlag und Buchhandel Eckhard Richter in Dresden als Band mit dem Titel Spiegel im fremden Wort herausgegeben wurden. In den Vorlesungen widmet sich Vertlib literarisch-theoretischen Themen und schildert unter anderem auch seinen schriftstellerischen Werdegang. Es handelt sich also um wissenschaftliche Texte ohne Fiktion. Bei Kaminer kann man das Thema Schriftsteller werden und das Schreiben als Beruf in seinen Büchern Militärmusik (München, 2001), Mein deutsches Dschungelbuch (München, 2003) und Karaoke (München, 2005) finden. Hier handelt es sich um Erzählbände bzw. um einen Roman. Auch wenn Kaminer behauptet, dass seine Geschichten wirklich passiert seien, sagt er gleichzeitig, dass er das Geschehene beim Schreiben gelegentlich leicht abwandelt. Deshalb kann man diese Texte nicht als rein autobiographisch auffassen. Ich möchte also darauf hinweisen, dass die Formen der Texte, die sich den Themen Schriftsteller werden und Schreiben als Beruf widmen, bei den Autoren unterschiedlich sind, jedoch ihr Inhalt - meiner Meinung nach - für einen Vergleich durchaus geeignet ist.

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3.1.1 Schriftsteller werden bei Vertlib

Vladimir Vertlib begann, ein Tagebuch zu führen, als er 14 Jahre alt war. Zu dieser Zeit versuchte die Familie Vertlib, nach Amerika auszuwandern und dort die notwendigen Genehmigungen zu bekommen. Er schrieb einfach alles auf, was er nicht vergessen wollte, die Phantasie setzte sich aber beim Schreiben der Tagebücher durch:

Die Wirklichkeit erschien mir oft als karge und trockene Oberfläche dessen, was ich als eigentliche Wahrheit hinter der Wirklichkeit zu erkennen glaubte. Es war nicht allzu schwer, zu dieser Wahrheit vorzustoßen. Ich brauchte sie nur erfinden[…] Phantasie war eine ernste Angelegenheit. Manchmal versuchte ich mir vorzustellen, was geschehen wäre, wenn ich in bestimmten Situationen anders reagiert hätte. Dann fügte ich Traumsequenzen oder kleine Zusatzerzählungen ein.38

Viel später übersetzte Vertlib diese Tagebücher aus dem Russischen, seiner Muttersprache, ins Deutsche. Bei dieser Übersetzung veränderte bzw. ergänzte er einige Teile oder entfernte sie gänzlich. So wurde die Basis für sein erstes Buch Abschiebung (Salzburg/Wien, 1995) geschaffen.

3.1.2 Schriftstellerwerden bei Kaminer

Wladimir Kaminer geht in seinem belletristischen Werk nur selten auf seine literarischen Anfänge ein. Dennoch kann man bei ihm einige Bearbeitungen des Themas Schriftsteller werden finden. Im Roman Militärmusik erzählt der Ich-Erzähler Wladimir über seine Kindheit und Jugend in der Sowjetunion. Im ersten Kapitel schildert er seine ersten „literarischen“ Tätigkeiten. Als Kind erzählte er gerne. Die meisten Geschichten, die er erzählte, waren aber erfunden: Ich erzählte und erzählte, der eine war begeistert, den anderen machten meine Geschichten wütend, immerhin – alle hörten aufmerksam zu. Ich wurde zum größten Spinner der Schule.39 Bei einem

38 Vertlib, V. Der subversive Mut zur Naivität. In Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem 2008, S. 23.

39 Kaminer, W. Militärmusik. München: Manhattan, 2001, S. 16. 25

literarischen Schulwettbewerb sollte er Majakowskis Gedicht vortragen. Das Gedicht, das er vor einer Kommission vortrug, war aber von ihm selbst erfunden. Die Kommission erkannte es leider.

In der Erzählung Kaninchen im Buch Salve Papa! beantwortet der Ich-Erzähler die Frage, was aus einem normalen Menschen einen Schriftsteller macht. In dieser Erzählung schreibt er, dass er vom Arbeitsamt einen sehr langweiligen Job bei einer Theaterwerkstatt bekam. Am Ende jedes Tages sollte er einen Tagesbericht verfassen. Er schrieb immer eine offizielle Version für das Arbeitsamt und eine für das Vergnügen seiner Kollegen. An das Schreiben von Tagesberichten hat sich der Ich- Erzähler Wladimir aber sehr gewöhnt:

Die Theaterwerkstatt wurde vor einem Jahrzehnt geschlossen[…] Trotzdem verfasse ich weiter meine täglichen Dienstberichte. Ich kann einfach nicht damit aufhören. Aus heutiger Sicht würde ich also behaupten, das Arbeitsamt war der Auslöser für meine literarische Karriere.40 Auf diese Weise stellt Kaminer in seinen Erzählungen seine literarischen Anfänge dar.

3.1.3 Gründe zum Schreiben

Beide Autoren befassten sich auch mit der Frage, warum sie eigentlich schreiben. Im Spiegel im fremden Wort nennt Vladimir Vertlib gleich mehrere Gründe:

Natürlich: auch ich schreibe, weil ich schreiben muss, hoffe bei jedem Buch auf höhere Verkaufszahlen, bin stolz, wenn ich als Schriftsteller gelobt werde, und freue mich sehr über Preisgelder und Stipendien. Das allein wäre aber kein ausreichender Anreiz, den permanenten Ausnahmezustand eines Lebens als freiberuflicher Schriftsteller auf mich zu nehmen. Eine vielleicht naive, aber nie zur Gänze aufgegebene Hoffnung, mit dem eigenen Werk (trotz allem) etwas zu verändern oder zumindest aufzuzeigen, ist durchaus hilfreich.41

40 Kaminer, W. Salve Papa! München: Manhattan, 2008, S. 151.

41 Vertlib, V. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem 2008, S. 121.

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Einen Grund zum Schreiben, den ich bei Kaminer in seinem Erzählungsband Karaoke gefunden habe, ist zwar vielleicht nicht so ernst gemeint, aber beantwortet die Frage auch. Er schreibt seine Geschichten auf, um sich besser an Dinge in seinem Leben zu erinnern: Lange Zeit nutzte ich meine Geschichten als eine Art Denkzettel fürs Leben, zum Beispiel um mich an Orte zu erinnern, die ich besucht hatte.42

3.1.4 Lesungen

Als Schriftsteller nehmen sie beide an verschiedenen Lesungen in Deutschland, Österreich, aber auch im Ausland teil. Bei diesen Veranstaltungen treffen sie sich mit ihren Lesern und können deren Fragen beantworten. Im Spiegel im fremden Wort schildert Vertlib seine zweite Lesung, die in Salzburg im Jahre 1995 stattfand. Dort beschreibt er seine Nervosität und Angst vor den Fragen aus dem Publikum:

Schließlich zeigte ein junger Mann in der hinteren Reihe auf. Er schaute nicht mich, sondern meine Lektorin an und fragte in einer Mischung aus Hochsprache und Dialekt: Warum spricht denn der so gut Deutsch? Das ist ja nicht seine Muttersprache, aber er hat überhaupt keinen Akzent? Wieso ist es so?43

Auch Kaminer beantwortet Fragen auf Lesungen, die mit seiner nicht- deutschen Herkunft zusammenhängen:“Wie haben Sie unsere Sprache gelernt“?, wunderte sich das Publikum. ʺHaben Sie nicht Heimweh“?, „Träumen sie auf Deutsch oder auf Russisch?“, „Wie gefällt es Ihnen hier bei uns in Deutschland?“44 Die Lesungen in verschiedenen deutschen Städten inspirierten Kaminer dazu, ein Buch über seine Besuche in der deutschen Provinz zu schreiben. Dieses Werk mit dem Titel Mein deutsches Dschungelbuch erschien im Jahre 2003.

42 Kaminer, W. Karaoke. München: Manhattan, 2005, S. 124. 43 Vertlib, V. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem 2008, S. 121.

44 Kaminer, W. Mein deutsches Dschungelbuch. München: Manhattan, 2003, S. 11. 27

3.2 Deutsch als Zweitsprache (Fremdsprache)

Die Tatsache, dass Vertlib und Kaminer auf Deutsch (also nicht in ihrer Muttersprache) schreiben, beschäftigt nicht nur ihre Leser und ihr Publikum bei den Lesungen, sondern auch sie selbst. Die Frage, die Vertlib bei seiner zweiten Lesung gestellt wurde, beantwortet er mit einer erfundenen Geschichte. Er sagte, dass er Deutsch noch vor dem Stimmenbruch erlernt hatte und dass man eine Zweitsprache – wenn man sie vor Beginn der Pubertät erlerne -, fehlerfrei und akzentlos spreche. Wissenschaftlich belegt ist diese Theorie Vertlibs aber leider nicht.

Im Spiegel im fremden Wort erzählt Vertlib über seinen Vater und dessen Beziehung zur deutschen Sprache, die anfangs sehr negativ war, weil er sie mit der Nazi-Zeit verbunden hatte. Außerdem wollten die Vertlibs ursprünglich nicht in Österreich bleiben und deshalb sah der Vater keinen Grund dafür, diese Sprache zu lernen, die für ihn hart klang. Mit zunehmendem Alter mäßigte sich die einst radikal ablehnende Haltung des Vaters. Vertlib selbst spricht über den sprachlichen Einfluss seines Vaters folgendermaßen:

Er war stolz darauf, dass ich Schriftsteller geworden war. Dass ich Deutsch schreibe, nahm er in Kauf. Doch seine ambivalente Haltung Fremdsprachen – vor allem dem Deutschen – gegenüber war auch für meine Entwicklung prägend. Der lange Weg, den ich als Zuwanderer zu meiner neuen Sprache gehen musste, wurde dadurch noch beschwerlicher.45

Seit dieser Zeit veränderte sich Vertlibs Beziehung zum Deutschen, aber auch zum Russischen. Er führt ein schönes Beispiel am Wort Hund, auf Russisch Sobaka ein:

Für mich hat das russische Wort Sobaka einen unmittelbaren, einen hündischen Klang. Sobaka riecht nach Hund[… ]Höre ich dieses Wort oder denke ich nur daran, kommt es mir vor, als berühre ich das zottelige Fell des Tieres. Es gibt keine Distanz zwischen dem Wort und dem, was es bezeichnet. Im Deutschen hingegen hat sich für mich der Begriff vom Lebewesen emanzipiert. Er lässt den Schatten eines Hundes entstehen oder- noch treffender – einen Hund an sich[…]

45 Vertlib, V. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem 2008, S. 121.

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Hund hat die Tendenz mit anderen Wörtern, so zum Beispiel mit Mund und noch mehr mit Schlund oder rund, eine Klangpartnerschaft einzugehen und dadurch die Gedanken schweifen zu lassen.46

Vertlibs erste Schreibversuche waren auf Russisch: Im Deutschen hatten die Worte eine Bedeutung, im Russischen, meiner Muttersprache, einen tieferen Sinn.47 Dann aber folgten die Werke auf Deutsch. Die Tatsache, dass er nicht in seiner Muttersprache schreibt, sieht er als Vorteil. Wenn man über Ausdrücke in der Sprache nachdenken muss und nicht gleich intuitiv weiß, ob sie passend sind, gewinnt man eine gewisse Distanz. Eine solche Distanz kann für das Schreiben Verltibs Meinung nach sehr positiv sein, weil sie die Worte in einen anderen Kontext versetzen oder ihnen eine veränderte Bedeutung geben kann.

Wladimir Kaminer erlernte Deutsch erst als Erwachsener, nachdem er in Berlin angekommen war. In seinen Erzählungen widmet er sich also auch dem Thema Deutsch lernen. Im Erzählband Russendisko (München, 2000) kann man eine Erzählung mit dem Titel Deutschunterricht finden. In dieser Erzählung macht sich Kaminer über die deutschen Lehrbücher lustig. Eine andere Erzählung in diesem Buch mit dem Titel Sprachtest schildert auf amüsante Weise Versuche vom Vater des Ich- Erzählers, die deutsche Einbürgerung zu bekommen, für die auch das Bestehen des deutschen Sprachtests eine Vorbedingung ist.

In der Erzählung Deutsch für Anfänger im Erzählband Ich mache mir Sorgen, Mama schildert Kaminer Lesungen an deutschen Schulen. Auch die Schüler fragten den Hauptprotagonisten, warum er auf Deutsch schreibt und ob er schon in der Sowjetunion Deutsch lernte:

„Nein, ich habe Deutsch nicht in der Schule gelernt, sondern nur hier, aus Not“, erkläre ich. Als Schriftsteller und Journalist war ich an einem großen Lesepublikum interessiert, habe aber den Übersetzern immer misstraut.48

46 Ebd. S. 55. 47 Ebd. S. 58. 48 Kaminer, W. Ich mache mir Sorgen, Mama. München: Manhattan, 2004, S. 11-12.

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Er fügt noch hinzu, was für ihn die Sprache bedeutet: Ein Sprachkünstler bin ich nie gewesen, für mich ist die Sprache nur ein Werkzeug, ein Hammer, der mir hilft, Verständigungsbrücken zu anderen zu schlagen.49

In dieser Erzählung spricht der Ich-Erzähler über seinen ersten Kontakt mit der deutschen Sprache. Als er die Schule in der Sowjetunion besuchte, musste er sich für eine der Fremdsprachen entscheiden. Englisch und Deutsch standen zur Auswahl; fast alle Kinder wollten natürlich Englisch lernen. Nur diejenigen, die Verhaltensprobleme oder schlechte Noten hatten, wurden in den Deutschunterricht versetzt. Unser Erzähler gehörte nicht zu dieser Gruppe und konnte deshalb Englisch lernen. Als er in Berlin ankam, war für ihn der einzige Kommunikationsvermittler zu den Deutschen ein russisch-deutscher Sprachführer. Er schrieb sich in einen Deutschkurs an der Humboldt-Universität ein und ist seitdem viel mit Deutsch in Kontakt. Die deutsche Sprache beschreibt er folgendermaßen:

Sie ist vielmehr eine Art Lego-Baukasten, in dem alle Teile zueinander passen. Was man daraus baut, ist jedem selbst überlassen. Neulich zum Beispiel zeigte meine Schwiegermutter, die kein Deutsch kann, unserer siebenjährigen Tochter ein Foto von mir mit der Bildunterschrift Schriftsteller Kaminer und fragte sie, was da steht. „Ist doch klar“, sagte Nicole, „Schriftsteller – das ist ein Teller mit Schrift.“ Meine Schwiegermutter guckte sich daraufhin das Foto noch einmal genauer an, konnte aber nirgendwo einen Teller entdecken. Deutsch bleibt nach wie vor geheimnisvoll.50

3.3 Judentum

Wie ich schon im Kapitel 2 erwähnte, hängen viele Werke Verltibs mit dem Judentum zusammen. Die jüdische Thematik bei Vertlib kann man in mehrere Aspekte aufteilen, z.B. Leben der Juden in der Sowjetunion, Emigration der russischen Juden, Leben der Juden im heutigen Deutschland. Kaminer geht auf das Thema Judentum

49 Ebd. S. 12.

50 Ebd. S. 16.

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nicht so oft ein, einige Bearbeitungen dieses Themas können wir jedoch auch bei ihm finden (in den Werken Russendisko, Militärmusik). Bei Kaminer geht es hauptsächlich um Themen wie Juden in der Sowjetunion und Emigration der russischen Juden. In diesem Absatz konzentriere ich mich darauf, wie ähnlich oder wie unterschiedlich Vertlib und Kaminer mit diesem Thema umgehen.

3.3.1 Leben der Juden in der Sowjetunion

In Vertlibs Roman Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur (München, 2003) wird das Leben der 92-jährigen russischen Jüdin Rosa Masur geschildert, die in diesem Alter mit ihrer Familie nach Gigricht in Deutschland emigrierte. Die Stadt bereitet zu ihrem Jubiläum ein Buch vor, in dem auch Rosas Lebensgeschichte erscheinen soll. Rosas Erzählung beginnt mit ihrer Kindheit im weißrussischen Dorf Witschi. In diesem Dorf lebte die jüdische Minderheit zusammen mit den christlichen weißrussischen Bewohnern. Dieses Zusammenleben war in den ruhigen Zeiten ganz friedlich, auch wenn die Weißrussen viele antisemitische Vorurteile gegen die Juden hatten. In den schwierigeren Zeiten galten die Juden als Sündenböcke für alles Böse. Rosa spricht über die Angst ihrer Eltern vor Pogromen und über die äußerst schwierige Lage für die russischen Juden im Ersten Weltkrieg.

Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg veränderte sich die Situation für Juden. Sie wurden im neuen Staat gleichberechtigt und konnten sogar in leitenden Positionen arbeiten. Rosa entschied sich für ein Jurastudium. Zu diesem Studiengang wurde sie aber nicht zugelassen, da ihr Vater für einen Großgrundbesitzer in Witschi gearbeitet hatte und mit ihm befreundet gewesen war. Zuerst arbeitete Rosa in einer Fabrik, um Anspruch auf ein Studienstipendium zu haben, dann studierte sie Deutsche Philologie und nach dem Studium wurde sie als Übersetzerin eingestellt. Sie heiratete Naum und bekam einen Sohn und eine Tochter. Rosa und Naum verzichteten auf die Religiosität und wollten wie normale sowjetische Bürger leben.

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Während des Zweiten Weltkriegs musste Naum einrücken. Rosa blieb mit den Kindern alleine. Vom Staat wurde sie beauftragt, eine Gruppe der Kinder auf das Land zu begleiten. Ihre eigenen Kinder fuhren mit. Bei der Fahrt drohte die Gefahr, von den deutschen Truppen erwischt zu werden, und deshalb ließen sich Rosa und ihre Kinder russische Namen statt ihrer jüdischen einfallen. Die deutschen Truppen kamen zwar nicht, aber wegen der Bombardierung und Epidemie mussten sie nach Leningrad zurückkehren. In Leningrad erlebte Rosa die Blockade und den großen Hunger. Einmal kam ihre Tochter Schelja lange nicht mehr nach Hause, Rosa geriet in Panik, weil sie befürchtete, dass Schelja den Menschenfressern zum Opfer gefallen war. Später fand Rosa sie wieder.

Nach dem Krieg war der Antisemitismus unter den Menschen in der Sowjetunion sehr deutlich spürbar. Viele wurden wegen angeblichem Kosmopolitismus verhaftet oder aus leitenden Positionen entlassen. Kostik, Rosas Sohn, wollte Fluggerättechnik studieren. Er bewarb sich an mehreren Universitäten und obwohl sein Ergebnis bei den Aufnahmeprüfungen sehr gut war, bekam er wegen seiner jüdischen Herkunft, die man an seinem Namen Schwarz ablesen konnte, keinen Studienplatz. Letztendlich durfte er in Tallin studieren, erkrankte jedoch dort und musste zurück zur Familie nach Leningrad. Rosa bemühte sich, in Leningrad einen Studienplatz für ihren Sohn zu finden, was zuerst hoffnungslos schien, aber letztendlich gelang. In einem deutschen Aufsatz machte Kostik einen Schreibfehler, der zur Verhaftung führte. Er schrieb STALINGAD statt STALINGRAD, wobei GAD im Russischen im übertragenen Sinne Bösewicht bedeutet. Die verzweifelte Rosa wandte sich sogar an Stalin, der überraschenderweise reagierte, Kostiks Freilassung veranlasste und ihm die Fortsetzung des Studiums ermöglichte. Kostik heiratete Frieda und sie hatten einen Sohn. Der Sohn emigrierte nach der Revolution nach Deutschland und machte Karriere, seine restliche Familie folgte ihm.

Dieser Roman erzählt am Beispiel einer Frau die Geschichte der Juden in der Sowjetunion. Vertlib lässt Rosa ohne Pathos sprechen, auch wenn sie über tragische Momente erzählt. Obwohl der Roman ernste und sehr traurige Aspekte des Lebens der

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jüdischen Bevölkerung in der Sowjetunion beschreibt, lassen sich in diesem Werk auch humorvolle Momente finden.

In einem ganz anderen Ton erzählt Kaminer über die Aspekte des Lebens seines Haupthelden Wladimir in der Sowjetunion, die mit dem Judentum zusammenhängen. In seinem Roman Militärmusik schildert der Ich-Erzähler, wie sein Vater nach Moskau kam. Der Vater stammt aus einem ukrainischen Dorf, wo er in einer Konservenfabrik arbeitete. Nach ein paar Jahren wollte er ein Studium in Moskau aufnehmen. Dafür brauchte er ein Gutachten von seinem Chef, der ihn aber zur Gründung einer Fabriktheatergruppe zwang. Nach ein paar Jahren durfte er nach Moskau ausreisen, wo er Betriebswirtschaft studierte und bald zum stellvertretenden Leiter der Abteilung Planwesen wurde: eine seltene Kariere für einen parteilosen Jungspezialisten jüdischer Abstammung51, so beendet Kaminer diese Geschichte.

In Kaminers Militärmusik macht der Hauptprotagonist Wladimir ein Praktikum beim Majakovskij-Theater. Als Strafe musste er bei Choreograf Stein arbeiten. Stein war Jude, hatte keine Angst, seine kritische Meinung zu äußern, und dafür hatte er einen eigenen KGB-Mann, der ihn ständig kontrollierte. Das Theaterensemble bereitete das Politspiel In Chile regnet es vor. Stein und der junge Praktikant beobachteten die Premiere dieses Stückes von einer Lichtbrücke. Stein stand plötzlich auf und begann, auf das Publikum unten zu urinieren. Das Kultusministerium wollte die beiden einer zionistischen Verschwörung bezichtigen, weil sie Juden waren. Der Theaterdirektor setzte sich für beide ein und Stein wurde „nur“ aus dem Theater entlassen. Auch weiter verhielt sich Wladimir nicht wie ein richtiger sowjetischer Bürger:

Obwohl jung, brachte ich es schnell fertig, alles Negative, was ein Bürger der Sowjetunion nur anstellen konnte, zu akkumulieren. Ich war kein richtiger Russe, weil in meinem Pass Jude stand, nicht Komsomolze, ein wenig Hippie und ein passiver Dissident. Ich trank Alkohol mit Unbekannten und versuchte, wenn sich die Möglichkeit ergab, schwarz Geld zu verdienen. Wie viele meiner Freunde hatte auch ich mehrere Auseinandersetzungen mit Organen des Ordnungsdienstes, und

51 Kaminer, W. Militärmusik. München: Manhattan, 2001, S. 23.

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in dem so genannten Schwarzen Buch der Jugendabteilug des KGB war ich auch registriert. Alles in allem: kein schlechter Beginn.52

In diesem Buch beschreibt Kaminer weitere Arbeitserfahrungen des Ich- Erzählers Wladimir. Er arbeitete beim Kulturhaus in Moskau. Eine Volksinitiative wollte sich bei ihnen einen Saal mieten, um dort Vorlesungen zu organisieren. Von seinem Leiter wurde er beauftragt, alles aufzunehmen, was im Saal gesagt wurde. Der erste Vortrag dieser Initiative hieß Die unwiderstehliche Schönheit des Baikal-Sees53, der sich sehr bald zu einer antisemitischen Rede des Volksinitiativevorsitzenden entwickelte. Er behauptete, dass die Juden - von ihm als Vorboten des weißen Zions bezeichnet - das Land ins Verderben stürzen, insbesondere die schöne Natur am Baikal-See. Deshalb sollte eine neue Kirche am Baikal-See entstehen. Der Ich- Erzähler war die ganze Zeit dabei: „Gut, dass sie meinen Nachnamen nicht wissen“, dachte ich und winkte den Verrückten freundlich mit der Hand.54 Es folgten weitere Vorlesungen dieser Initiative, bis sich jemand aus der Leitung die Tonbänder anhörte. Dann wurden alle Veranstaltungen der Initiative verboten.

3.3.2 Emigration der sowjetischen Juden

Das weitere gemeinsame Thema beider Autoren stellt die Emigration der sowjetischen Juden dar. Die Emigration einer jüdischen Familie aus der Sowjetunion schildert Vertlib in zwei seiner Werke – Abschiebung (Salzburg/Wien, 1995) und Zwischenstationen (Wien, 1999). In Zwischenstationen erzählt ein Mann über seine Emigration in den 70er Jahren aus der Sowjetunion nach Israel, Österreich, Holland, wieder nach Israel, Italien, in die USA und nach Österreich. Der Vater dieses Jungen war ein aktiver Zionist in der Sowjetunion, weshalb Israel zur ersten Station dieser Familie wurde. Die Eltern waren aber vom Leben in Israel enttäuscht und

52 Ebd. S. 54.

53 Ebd. S. 87.

54 Ebd. S. 89.

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entschlossen, nach Österreich auszuwandern, wo sie jedoch oft mit Antisemitismus konfrontiert wurden. Aus diesem Grund wollten sie ihr Glück in den Niederlanden finden, wo sie wiederum keine Aufenthaltserlaubnis erhielten. So kehrten sie nach Israel zurück. Zu dieser Zeit kam es hier oft zu Bombenangriffen; so war Todesangst an der Tagesordnung. Aufgrund dieser gefährlichen Lage wanderte die Familie zunächst nach Italien und schließlich in die USA aus. In den USA durften sie aber auch nicht bleiben und kehrten nach Wien zurück. Im letzten Kapitel ist der Erzähler ein erwachsener Mann, der gerade den Entschluss fasst, aus Wien zu seiner Lebensgefährtin nach Salzburg umzuziehen. Die Eltern tobten wegen dieser Entscheidung: Vater setzte nach, indem er darauf hinwies, dass ich Jude sei. Es wäre schon schwierig genug, im antisemitischen Wien zu leben. Aber die österreichische Provinz sei noch chauvinistischer als die Hauptstadt.55 Aber der junge Mann gab sein Vorhaben nicht auf und übersiedelte in die österreichische Provinz.

In diesem Roman werden verschiedene Aspekte der Emigration geschildert: die Bemühungen der Eltern (hauptsächlich des Vaters), für ihren Sohn das ideale Land für ein Leben ohne Antisemitismus und mit vielen Möglichkeiten zu finden, die Verzweiflung des Sohnes, der sich immer an das neue Land gewöhnen musste, und die unterschiedliche Herangehensweise der ausländischen Behörden zu Emigranten im jeweiligen Land.

In der Erzählung Abschiebung begegnet der Leser einem russisch-jüdischen Jungen, der mit seinen Eltern in den USA auf die Aufenthaltserlaubnis wartet. Aus der Sicht dieses Jungen erfährt man über die ganze Prozedur. Die amerikanischen Beamten werden hier sehr kritisch dargestellt – als Menschen, welche die Emigranten als Last betrachten, mit vielen Vorurteilen und Hass. Die Familie bekam die nötige Erlaubnis nicht und wurde nach Österreich abgeschoben, die ganze Abschiebung geschah unter für die Familie äußerst demütigenden Bedingungen.

55 Vertlib, V. Zwischenstationen. München: DTV, 2009, S. 292.

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Wladimir Kaminer geht auf die jüdische Emigration Anfang der 90er Jahre in seinen Erzählungen und Romanen ein, indem er sich von seinen eigenen Erfahrungen mit der Emigration inspirieren lässt. In der Erzählung Russen in Berlin im Erzählband Russendisko beschreibt der Ich-Erzähler Wladimir, wie er von seinem Onkel erfuhr, dass russische Juden in die DDR ausreisen dürfen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Sowjetunion waren die russischen Juden froh, dass sie in ihrem Pass als Juden bezeichnet waren, obwohl es früher für sie ein Hindernis war. Wladimir erinnert sich in dieser Erzählung daran, dass seinem Vater aufgrund seiner jüdischen Herkunft die Aufnahme in die Partei verweigert wurde. Nun war die Situation völlig anders. Viele täuschten sogar eine jüdische Herkunft vor. In Berlin am Polizeipräsidium bekam er die ostdeutschen Dokumente und zog ins Wohnheim in Marzahn ein. Später ging dieser Prozess nicht mehr so schnell, nach der Wiedervereinigung wurden die neuen jüdischen Einwohner in alle Bundesländer verteilt, überall waren die Regeln für die Einreise etwas anders:

Wir bekamen die wildesten Geschichten in unserem gemütlichen Marzahnwohnheim zu hören. In Köln zum Beispiel wurde der Rabbiner der Synagoge beauftragt, durch eine Prüfung festzustellen, wie jüdisch diese neuen Juden wirklich waren. Ohne ein von ihm unterschriebenes Zeugnis lief gar nichts. Der Rebbe befragte eine Dame, was Juden zu Ostern essen. „Gurken“, sagte die Dame, „Gurken und Osterkuchen“. „Wie kommen Sie denn auf Gurken?“ regte sich der Rebbe auf. „Ach ja, ich weiß jetzt, was Sie meinen“, strahlte die Dame, „wir Juden essen zu Ostern Matze.“ „Na gut, wenn man es ganz genau nimmt, essen die Juden das ganze Jahr über Matze und auch mal zu Ostern. Aber wissen Sie überhaupt, was Matze ist?“ fragte der Rebbe. „Aber sicher doch“, freute sich die Frau, „das sind doch die Kekse, die nach altem Rezept aus dem Blut von Kleinkindern gebacken werden.56

3.3.3 Leben der Juden im heutigen Deutschland

Vladimir Vertlib befasst sich auch mit der Situation der deutschen jüdischen Gemeinden in dieser Zeit, zu denen die russisch-jüdischen Emigranten untrennbar gehörten. In seinem Roman mit dem Titel Letzter Wunsch schildert Vladimir Vertlib die Geschichte von Gabriel Salzinger, einem deutschen Juden aus Gigricht – es handelt sich hier um dieselbe fiktive deutsche Stadt wie im Roman Das besondere

56 Kaminer, W. Russendisko. München: Manhattan, 2000, S. 14.

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Gedächtnis der Rosa Masur. Gabriels Vater David Salzinger starb und sein letzter Wunsch war, auf dem jüdischen Friedhof neben seiner Frau begraben zu werden. Seine Bestattung wurde aber von einer Mitarbeiterin der hiesigen Kultusgemeinde unterbrochen, die behauptete, dass David Salzinger kein Jude war, weil seine christliche Mutter bei einem reformierten Rabbi zum Judentum konvertiert sei. Die Gigrichter orthodoxe jüdische Gemeinde kann die Bestattung eines Nicht-Juden auf dem jüdischen Friedhof nicht erlauben. Im Roman erfahren wir die Lebensgeschichte des Vaters David Salzinger, der mit seiner Mutter vor dem Krieg nach Palästina ausgewandert war, nach dem Krieg aber wieder nach Deutschland zurückkehrte. Man kann den Überlegungen Gabriel Salzingers über das Judensein folgen. Er stellt sich oft Frage, wer ein Jude ist, und sucht nach seiner eigenen Identität.

Im Roman bespricht man das Judentum im heutigen Deutschland. Der Leser bekommt eine Vorstellung davon, wie eine jüdische Gemeinde aussieht und funktioniert. Auch in diesem Werk begegnet man dem Thema Antisemitismus. Man kann hier über antisemitische Einstellungen lesen, mit denen Gabriel Salzinger schon seit seiner Jugend konfrontiert wird.

In diesem Roman wird u.a. das Thema der russisch-jüdischen Emigranten besprochen, die fast die Mehrheit der Gigrichter jüdischen Gemeinde bilden. Sie sind aber für die orthodoxen Juden keine richtigen Juden:

Diese Kontingentflüchtlinge aus der GUS“, erklärt der Rabbiner, „sind entweder überhaupt keine Juden oder am Judentum nicht interessiert. Die Sozialleistungen der Kultusgemeinde nehmen sie gerne in Anspruch, doch dem Judentum gehen sie letztendlich verloren. Niemand von ihnen befolgt die Mitzwot, viele haben sogar nichtjüdische Ehepartner.57 Gabriel Salzinger trifft sich in der Synagoge mit Konstantin Schwarz und Rosa Masur – also mit den russischen Kontingentflüchtlingen aus Verltibs anderem Roman.

57 Vertlib, V. Letzter Wunsch. München: DTV, 2006, S. 297.

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3.3.4 Zusammenfassung

In diesem Absatz versuchte ich zu zeigen, wie unterschiedlich beide Autoren das Thema Judentum bearbeiten. Hier eine kurze Zusammenfassung: Von Vladimir Vertlib bekommt man eine literarische Bearbeitung der jüdischen Geschichte in der Sowjetunion und im heutigen Deutschland vermittelt. Vertlib selbst arbeitete mit vielen geschichtlichen Quellen und wollte bei diesem Thema in die Tiefe gehen. Kaminer widmet sich diesem Thema wie allen anderen, die zu seinem Alltag gehörten oder gehören. In seinem Alltag wurde er mit seiner jüdischen Herkunft konfrontiert und diese Konfrontationen beschreibt er auf leichte und unterhaltsame Weise in seinen Büchern. In Vertlibs Werken findet man Überlegungen und Reflexionen über die jüdische Identität und Religiosität. Es ist etwas, womit sich Kaminer nicht beschäftigt, er schreibt über seine jüdische Herkunft wie über eine von vielen Dingen, die in seinem Leben vorkommen. Katrin Molnár geht in ihrem Vergleich der Bearbeitungen der jüdischen Thematik bei Vertlib und Kaminer noch weiter:

Die ungewöhnliche, mit Dilettantismus, Naivität und Entpolitisierung kokettierende Nonchalance, mit der Deutschland (genau Ostberlin) in Kaminers Texten zum Emigrationsziel erkoren wird, deutet es schon an: Während Vertlibs Romanfiguren sowohl ein jüdisch-diasporisches als auch ein säkulares Selbstverständnis mit ihren Migrationserfahrungen verknüpfen, haben Kaminers Ich-Erzähler und seine jüdischen Emigranten-Figuren ein ausschließlich säkulares Selbstverständnis. Sie repräsentieren noch stärker als Vertlbis Roman-Figuren den „homo sovieticus“ ohne Verwurzelung im Judentum. 58

Meiner Meinung nach lässt sich dieser Unterschied durch unterschiedliche Lebenserfahrungen (siehe Kapitel II) beider Autoren erklären, die ihnen als Inspirationsquelle für ihre literarische Tätigkeit dienten. Molnár führt ein, dass bei Kaminer das Judentum als Spaßfaktor jugendlicher Rebellion in der Sowjetunion und als Reiseleiter59 behandelt wird. Das hängt meiner Meinung nach damit zusammen, dass Kaminers Werk als Ganzes mit leichtem Humor geschrieben wird und nie in die

58 Molnár, K. „Die bessere Welt war immer anderswo.“ Literarische Heimatskonstruktionen bei Jakob Hessing, Chaim Noll, Wladimir Kaminer und Vladimir Vertlib im Kontext von Alija, jüdischer Diaspora und säkulerer Migration. In Amsterdamer Beiträger zur neuren Germanistik, Nr. 69, 2009, S. 328.

59 Ebd.

38

Tiefe geht oder heikle Faktoren des menschlichen Zusammenlebens thematisiert. Wie man weiter in diesem Kapitel sehen kann, bearbeitet Kaminer auf diese Weise fast alle Aspekte in seinen Werken – das Thema Judentum ist also auch keine Ausnahme.

3.4 Sowjetunion, Russland

Vladimir Vertlibs Darstellung des Lebens in der Sowjetunion findet man in seinen Romanen Zwischenstationen und Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur. Beide Werke sind aus der Sicht der sowjetischen Juden geschildert. In Zwischenstationen gilt die Sowjetunion als ein Land, das stark antisemitisch ist und den Juden keine Möglichkeiten bietet, als ein Land, in dem man als Jude nicht gut leben kann. Der Hauptdarsteller dieses Romans kann über die Sowjetunion aber nur indirekt sprechen, er verließ sie schon als kleines Kind. Das meiste, was er über das Leben in der Sowjetunion weiß, erzählten ihm seine Eltern.

Die Hauptdarstellerin des anderen Romans Vertlibs, Rosa Masur, erlebte persönlich, wie die Sowjetunion entstanden und aufgelöst worden war. Alle Geschichten und Erlebnisse Rosas, die es in diesem Roman dargestellt werden, setzt Verltib in einen geschichtlichen Rahmen. Der Anfang der Sowjetunion versprach allen eine bessere Zukunft, es gab keine Juden oder andere Minderheiten mehr, alle wurden zu Sowjetbürgern und waren für eine gewisse Zeit gleichberechtigt - mit Ausnahme derer, die man als Feinde des Sozialismus bezeichnete. Mit der Besetzung der Sowjetunion durch die deutschen Truppen während des Zweiten Weltkriegs veränderte sich die Situation deutlich. Vertlib gelingt es, über diese Ereignisse sehr überzeugend zu berichten. Am stärksten und lebhaftesten ist seine Schilderung der Leningrader Blockade. Im Zusammenhang mit der Blockade schreibt er über die Verzweiflung der Menschen, die ihre Haustiere aufessen mussten und auch über Menschenfresser, die kleine Kinder umbrachten, um sie zu verspeisen. Die 50er Jahre in der Sowjetunion hält man für die Zeit der Angst; auch dieses Gefühl kann Vertlib den Lesern vermitteln. Weiter erfährt man über die Macht der Regierenden in diesem

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großen Staat, wie sie über die Schicksale anderer entscheiden und sie kontrollieren, verhaften und die Verwandten in Angst lassen.

Die ersten Zeilen dieses Romans sind aber dem heutigen Russland gewidmet:

In der Küche einer Kommunalwohnung in Leningrad, das seit kurzem wieder Sankt Petersburg hieß, aber von allen weiterhin Leningrad genannt, erzählt die Hure Svetlana ihren Nachbarn vom fernen und märchenhaft schönen Aix-en- Provence.60 Svetlana teilt mit der Familie Rosa Masurs die Wohnung. Sie war früher Französischlehrerin an einer Kadettenschule, aber die neue Zeit, die allgemeine Not mitgebracht hatte, brachte Svetlana zu ihrer neuen Beschäftigung. Svetlana half Kostik, dem Sohn Rosas, zu seiner Entscheidung, nach Deutschland auszuwandern. Die größte Motivation war vor allem die deutsche Sozialleistung, weil ihre russische Rente kaum zum Überleben reichte. Am Beispiel Svetlanas und an der Armut der Familie Masur werden die neuen Verhältnisse in Russland zum Ausdruck gebracht.

Der Erzähler des Romans Zwischenstationen kam Anfang der 90er Jahre seine Familie in Sankt Petersburg besuchen. Die Stadt wirkte mit allen Werbungen und Plakaten neu kapitalistisch. Von seinen Verwandten erfuhr er, dass sie auch gefährlich geworden war:

Das Leben sei gefährlich geworden, wird mir erklärt. Am Abend auszugehen könne das Leben kosten. Wer die Gefahren mißachtete, sei selber schuld. In den folgenden drei Wochen werde ich ständig auf der Hut sein und mich öfters umschauen.61 Die Leute äußern ihre Unzufriedenheit ziemlich oft, war es aber früher besser? Nein, wirklich besser sei es früher auch nie gewesen, nur anders.62 Das Russland in den Büchern Vertlibs ist ein Land, wo das Leben sehr schwierig ist und die Menschen unzufrieden und arm sind.

60 Vertlib, V. Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur. München: DTV, 2007, S. 5. 61 Vertlib, V. Zwischenstationen. München: DTV, 2009, S. 12.

62 Ebd. S. 22.

40

Ein anderer Blick auf die Sowjetunion und später auf Russland vermittelt Kaminer. Sein Roman Militärmusik ist von seiner Kindheit und Jugend in der Sowjetunion inspiriert. Dieses Werk erwähnte ich bereits in dieser Arbeit im Absatz über das Thema Judentum. Bereits da zeigte ich, dass Kaminer über seine Themen sehr leicht und auf amüsante Weise schreibt. Die Schilderung des Lebens in der Sowjetunion ist keine Ausnahme. Er schreibt darüber auch kritisch, aber die Kritik wirkt eher satirisch und nicht so streng:

1967 feierte unser Land ein wichtiges Jubiläum – 50 Jahre sind seit der Großen Oktoberrevolution vergangen. Für die real existierenden sozialistischen Kleinbürger gibt es nicht viele Gründe, stolz auf ihr Land und die dort herrschende Ordnung zu sein. Sie hatten mit dieser Ordnung etliche Probleme: das Wurstproblem, das Zuckerproblem, das Butterproblem und unzählige andere, welche die Sowjetunion für sie unattraktiv machten. Für einen Romantiker sah die Realität dagegen sehr positiv aus. Denn im Ballet waren wir die Nummer eins.63 In den Geschichten über seine Jugend tritt der Ich-Erzähler auch gegen die offizielle Macht, begegnet dem Unsinn der Diktatur und wurde in seiner Tätigkeit durch die KGB beschränkt, aber das Erzählen wirkt auf die Leser im Endeffekt positiv und lustig; es ist im Grunde ein Erzählen über die Jugend, an die sich der Autor nach einigen Jahren gerne erinnert.

Die Sinnlosigkeit der kommunistischen Diktatur kommt bei Kaminer im Buch Es gab keinen Sex im Sozialismus. Legenden und Missverständnisse des vorigen Jahrhunderts zum Ausdruck. Auch hier liegt jedoch erneut keine starke, ernste Kritik vor. Kaminer zeigt am Alltag der sowjetischen Einwohner und an den von der Bevölkerung verbreiteten Legenden, wie lächerlich diese Diktatur sein konnte.

Im Jahre 2006 gab Kaminer zusammen mit seiner Frau Olga das Buch Küche totalitär, das Kochbuch des Sozialismus heraus. Das Buch ist anhand der Länder und Gebiete der ehemaligen Sowjetunion strukturiert: Armenien, Weißrussland, Georgien, Ukraine, Aserbaidschan, Sibirien, Usbekistan, Lettland, Tatarstan und Südrußland. Zu

63 Kaminer, W. Militärmusik. München: Manhattan, 2001, S. 9.

41

jedem Gebiet gibt es eine kurze Erzählung Wladimir Kaminers, entweder über das Gebiet selbst, über ihre Einwohner oder über Erfahrungen, die Kaminer mit diesem Gebiet oder dessen Bewohnern machte; oft hängen sie mit dem Essen zusammen. Zu jedem Gebiet findet man ein entsprechendes Kochrezept mit für diese Region typischen Gerichten.

Über die Veränderungen im Russland der Neunzigerjahre schreibt Kaminer in seinem Buch Die Reise nach Trulala (München, 2002). Unter der sozialistischen Diktatur sehnten sich alle ein bisschen nach der Kultur des Westens, in den 90er Jahren kam diese Kultur nach Moskau selbst. In der Erzählung Die Verdeckung Amerikas schildert er das Durchdringen der amerikanischen Kultur nach Moskau am Beispiel der neuen Moskauer Stripbars. In dieser Erzählung kann man eine Kritik der damaligen Verhältnisse erkennen; sie wird wie in den meisten Erzählungen Kaminers aber auf amüsante Art und Weise geäußert.

An der Bearbeitung dieses Themas ist deutlich zu sehen, dass Kaminers Erzählungsbild der Sowjetunion und Russlands die Leser hauptsächlich amüsieren soll. Der Fokus ist auf die witzigen Erlebnisse eines jungen Mannes in der Sowjetunion und später in Russland gerichtet. Vladimir Verltibs Darstellung hingegen hängt oft mit den historischen Ereignissen zusammen. Seine Romane sollen die Leser nicht amüsieren, sie weisen hauptsächlich auf das Schicksal der Juden in der Sowjetunion hin, das sehr schwierig und in vielen Momenten tragisch war.

3.5 Emigrantenleben in Deutschland und in Österreich

Zu Beginn dieses Absatzes möchte ich mir die Frage stellen, wer die Emigranten in Deutschland und in Österreich sind, über die Vladimir Vertlib und Wladimir Kaminer schreiben. Bei Verltib sind es am häufigsten die russisch-jüdischen Emigranten: der Junge und seine Familie aus dem Roman Zwischenstationen, Rosa Masur und ihre Familie aus dem Roman Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur 42

oder auch teilweise aus dem Roman Letzter Wunsch. In der Erzählung Ein schöner Bastard64 erzählt Vertlib die Geschichte einer tschechoslowakischen Emigrantin in Wien. Im Roman Am Morgen des zwölften Tages konzentriert er sich auf die moslemische Minderheit in der deutschen Fiktionsstadt Gigricht. Kaminer schreibt fast ausnahmslos über Emigranten verschiedener Nationalität in Berlin, am häufigsten aber über die russischen Emigranten. Sehr oft handelt es sich hier um alltägliche Geschichten dieser Menschen mit sog. internationalem Hintergrund.

3.5.1 Emigrantenleben bei V. Vertlib

Während ihres Wiener Aufenthaltes musste die russisch-jüdische Familie im Roman Zwischenstationen viel Unangenehmes durchmachen. Die Mutter, eine in Russland hochgeschätzte Akademikerin, musste zuerst als Putzfrau arbeiten, der Vater konnte lange Zeit keine Arbeit finden. Die Wiener in den 70er Jahren, denen die Familie begegnete, waren nicht besonders freundlich: Eh klar! Man sollte euch endlich alle raushauen. Früher, da ist man mit euch noch anders verfahren! Bagage, elendigliche.65, so ein österreichischer Nachbar. Die Nachmittage verbrachte der Sohn bei einer anderen Nachbarin. Sie war zu diesem Kind zwar sehr lieb, sprach aber in seiner Anwesenheit über Hitler wie über einen Helden. Das gefiel den Eltern nicht, aber sie hatten keine andere Betreuung für ihren Sohn. Später in der Schule hatte der Junge sehr gute Leistungen. Er konnte auf das Gymnasium gehen, was zu dieser Zeit nur wenigen ausländischen Kindern gelang. Seine Mutter verglich die Situation für österreichische Kinder und für ihren Sohn folgendermaßen: Glaub ja nicht, daß sie dir jemals verzeihen, wer du bist. Wenn du nach oben kommen willst, musst du schon viel besser sein als sie, und wenn du fällst, fällst du viel tiefer.66 Am Gymnasium gab es natürlich Mitschüler, die den russischen Jungen wegen seiner Herkunft beschimpften. Der Vater dieses Jungen betonte die Schwierigkeit ihrer Situationen: Sie sind Juden,

64 Verltib, V. Mein erster Mörder. München: DTV, 2008, S. 83 – 189.

65 Vertlib, V. Zwischenstationen. München: DTV, 2009, S. 63.

66 Vertlib, V. Zwischenstationen. Wien-München: Franz Deuticke Verlagsgesellschaft, 1999, S.163. 43

aber zugleich auch Russen, eine Minderheit in einer Minderheit, das heißt doppelt so fremd. 67

Rosa Masur bekam die Möglichkeit, sich am Projekt zum Jubiläum der Stadt Gigricht zu beteiligen. Die größte Motivation für sie war das Geld, das sie für ihre Geschichte bekommen sollte. Die Deutschen in Gigricht verhielten sich ihr gegenüber mit Respekt, auf der Jubiläumsfeier bereitete man ihr sogar koscheres Essen zu. Unter den russisch-jüdischen Bewohnern dieser Stadt wird oft über das schlechte Gewissen der Deutschen gesprochen, das sie gegenüber den Juden haben. Daher sollen ihrer Meinung nach die Juden von den Deutschen freundlich aufgenommen werden.

Im Roman Letzter Wunsch begegnet man auch der russisch-jüdischen Minderheit. Sie nehmen am Leben der Synagoge zwar teil, werden von den deutschen orthodoxen Juden jedoch für keine richtigen Juden gehalten (siehe Fußnote 20).

Im Roman Am Morgen des zwölften Tages (Wien, 2009) geht Vertlib auf das Thema der muslimischen Minderheit in Deutschland ein. Die Hauptfigur in diesem Werk ist Astrid Heisenberg, eine deutsche Buchhandlungsverkäuferin. Astrid hat eine Tochter, deren Vater, der Iraker Khaled, noch vor ihrer Geburt verschwand. Astrids Großvater Sebastian Heisenberg galt als einer der größten Orientalisten Deutschlands. Im Buch erfährt der Leser über seine Studienreise in die persischen Gebiete während des Zweiten Weltkriegs. Astrid begann eine Affäre mit dem Iraker Adel, der sie in Betrunkenheit schlug. Astrid suchte einen Frauenclub namens Der weiße Halbmond auf und ging regelmäßig zu den Treffen dieses Clubs. Die Clubmitglieder waren alle Frauen, die sehr schlechte Erfahrungen mit muslimischen Männern gemacht hatten. In diesem Roman wird also die Problematik der Frauenstellung in den muslimischen Familien in Deutschland und des ständigen Terrorverdachts gegenüber der muslimischen Minderheit geschildert.

67 Ebd. 250.

44

Ein schöner Bastard ist eine Erzählung Verltibs über eine deutsch-tschechische Familie. Der Vater war deutscher Jude, die Mutter Tschechin und die Familie lebte in Český Těšín. Vor dem Krieg hatte der Vater seinen eigenen Parfümerieladen, der prosperierte. Während des Krieges wurde er verhaftet und seine Frau musste sich allein um die Tochter Renate kümmern. Nach dem Krieg emigrierte der Vater nach Wien, als Deutscher hatte er in der kommunistischen Tschechoslowakei Schwierigkeiten mit der offiziellen Macht. Viel später emigrierte auch Renate nach Wien, wo sie keine feindlichen Angriffe wegen ihrer Herkunft erlebte. Gelegentlich hörte sie solche Meinungen von Österreichern, dass es Tschechen und „Judenmischlinge“ unter dem Protektorat gut gehen sollte. Diese Äußerungen endeten immer mit einem Nehm ´S ma´s net üb´l, gnä´ Frau68. Sie nahm es aber übel. Ihr Chef in der Arbeit war einer der ersten Nazis noch vor dem Krieg. Er mochte Renate aber sehr und half ihr einmal mit der Aufenthaltserlaubnis. Dank ihm konnte sie in Österreich bleiben.

3.5.2 Emigrantenleben bei Kaminer

Die Erzählungen Kaminers, in denen zumeist in Berlin lebende Emigranten auftreten, beinhalten Geschichten über das alltägliche Leben dieser Menschen oder ihre interessanten Lebensgeschichten. Die Erzählungen wurden wieder in einer für Kaminer typischen leichten Form verfasst. In einigen dieser Erzählungen bearbeitet Kaminer auch typische Vorurteile, mit denen Ausländer in Deutschland konfrontiert werden. In folgendem Absatz konzentriere ich mich hauptsächlich auf diese Bearbeitungen.

In der Erzählung Russen in Berlin im Erzählband Russendisko thematisiert Kaminer das typische Vorurteil gegenüber den Russen und der Mafia:

68 Vertlib, V. Mein erster Mörder. München: DTV, 2008, S. 183.

45

Gestern in der Straßenbahn unterhielten sich zwei Jungs ganz laut auf Russisch, sie dachten, keiner versteht sie. „Mit einem 200 mm-Lauf kriege ich das nicht hin. Er ist doch ständig von vielen Menschen umgeben.“ „Dann solltest du einen 500er nehmen.“ „Aber ich habe doch nie mit einem 500er gearbeitet“ „Gut, ich rufe morgen den Chef an und bestelle eine Gebrauchsanweisung für den 500er. Ich weiß aber nicht, wie er reagieren wird. Besser ist es, du versuchst es mit dem 200er. Man kann es doch noch einmal probieren.“69

So endet die Erzählung, ohne Erklärung, Kommentar oder eine Stellungnahme Kaminers zu diesem Klischee.

In der Erzählung Wie ich einmal Schauspieler war in demselben Band begegnet man dem Ich-Erzähler Wladimir bei seinem Job als Statist bei der Verfilmung der Schlacht um Stalingrad. In dieser Erzählung wird der Leser mit der Vorstellung Westlers konfrontiert, dass Russen barbarisch und grob seien. Er beschreibt das Drehen folgender Szene:

Während sich die Mumien-Frau im Zelt mit Shakespeare in Love dem Rausch der Leidenschaft hingibt, haben die Kartenspieler draußen ihren eigenen Spaß. Der Verlierer muss fünf Kerzen mit einem Furz ausblasen. So sind sie eben, die wilden russischen Sitten. Die 30 Soldaten sollen sich dabei wie verrückt amüsieren, aber alle schämen sich nur.70 An dieser Stelle ist die kritische Stimme schon spürbar.

An einer anderen Stelle beschäftigt er sich mit dem illegalen Aufenthalt einer seiner Freunde in Berlin; er wurde beim Autofahren von der deutschen Polizei erwischt und ins Gefängnis gebracht. Die Polizei fuhr ihn zu sich nach Hause, damit er vor der Ausweisung seine Sachen packen konnte. Er wollte aber vor der Polizei fliehen und sprang vom zweiten Stock aus dem Fenster und prallte gegen eine Laterne:

Glücklicherweise konnte er sich an einem NPD-Plakat „Mut zur Wahl – wähle National“ festhalten. Mit diesem rutschte er dann langsam nach unten. Sein Freund schleppte ihn ins Auto. Nur das NPD-Plakat blieb zurück. Einige Stunden später stellte mein Bekannter fest, dass sein Bein immer mehr anschwoll. Er ging

69 Kaminer,W. Russendisko. München: Manhattan, 2000, S. 18.

70 Ebd. S. 142.

46

zum „Chirurgen“, einem illegalen russischen Arzt, der in seiner illegalen Praxis illegale Patienten von legalen Krankheiten heilt.71

In der Erzählung Die russische Braut wird auf die deutsch-russischen Paare eingegangen: Kommt dir dein Leben langweilig vor? Bist du arbeitslos? Hast du Minderwertigkeitskomplexe oder Pickel? Beschaff dir eine russische Braut und bald wirst du dich selbst nicht mehr wieder erkennen.72 Die Liebe zu einer Russin ist aber laut Kaminer nichts Einfaches. Die russischen Frauen sind nämlich sehr teuer, sie wollen nach der neuesten Mode gekleidet sein und pflegen teure Hobbys. In dieser Erzählung geht Kaminer auch darauf ein, dass die Russinnen mit einer solchen Heirat die Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland erhalten. Er bearbeitet das Phänomen der russischen Bräute auf eine hyperbolische Weise. Diese übertriebene Weise wirkt aber nicht kritisch.

Kaminer befasst sich aber auch mit dem Leben anderer Nationalitäten in Berlin. Im Buch Schönhauser Alle erzählt er über Vietnamesen, die einen Lebensmittelladen besitzen. Er hebt ihren Fleiß hervor – sie sind fast zu jeder Tageszeit im Geschäft und machen nur einen Tag Urlaub. Er schreibt aber auch über die sprachliche Barriere - die Vietnamesen sprechen fast kein Deutsch. Auch die vietnamesische Küche wird hier beschrieben: Man riecht es jeden Tag in ihrer Mittagspause im Hausflur. Diese exotischen Gerüche, die unser Haus erfüllen, sind schwer zu beschreiben. Ich stelle mir dabei einen frittierten Hund mit Ananas vor.73

In der Erzählung Geschäftstarnungen (Russendisko) kam er auf eine andere merkwürdige Sache im Leben der Emigranten in Berlin: Viele Ausländer besitzen ein Restaurant oder einen Imbiss mit Gerichten aus ihrem Herkunftsland. In Berlin kann man viele türkische Imbisse, italienische oder griechische Restaurants besuchen. Man kam aber darauf, dass die Besitzer eines türkischen Imbisses nicht Türken, sondern Bulgaren waren. Griechen führten ein italienisches Restaurant und Araber hingegen

71 Ebd. S. 88.

72 Ebd. S. 62.

73 Kaminer, W. Schönhauser Allee. München: Wilhelm Goldmann Verlag, 2003, S. 13.

47

ein griechisches Restaurant. So erfuhr er eine typische Eigenschaft für Bewohner Berlins: Nichts ist hier echt, jeder ist er selbst und gleichzeitig ein anderer.74

Bis jetzt scheint es, dass Kaminer das Emigrantenleben in Berlin bzw. in Deutschland als friedliches Zusammenleben betrachtet und keine Konflikte mit den einheimischen Bewohnern sieht. Die meisten Geschichten über Ausländer sind auf diese Weise geschrieben. Ein Gegenbeispiel können wir im Buch Meine russischen Nachbarn finden. In der Erzählung Die Russen-WG erzählt Kaminer über die neuen Nachbarn, die von anderen Hausbewohnern folgendermaßen begrüßt wurden: Die anderen Bewohner unseres Hauses empfingen die Russen-WG nicht mit Blumen. Vor allem die Rentnerin aus dem vierten Stock und unser Hausmeister zeigte Misstrauen. Bei dieser Bevölkerungsgruppe ist die Fremdenangst am stärksten entwickelt.75

In Salve Papa! fühlt sich der Ich-Erzähler bei einer seinen Lesungen in einer deutschen Kleinstadt ein bisschen deprimiert, weil die deutschen Leser ihn fragten, wie es ihm in Deutschland gefällt und begrüßte ihn herzlich willkommen in Deutschland. Gerade diese Leute verstehen sich selber als sehr tolerant, aber verstehen nicht, dass der Hauptprotagonist trotz seiner russischen Herkunft nach so langer Zeit zum Teil Deutschlands wurde.76

3.5.3 Zusammenfassung

In diesem Absatz verglich ich die Bearbeitungen des Themas Emigrantenleben in Deutschland und Österreich bei beiden Autoren. Hier eine Zusammenfassung: Vertlib schildert das Leben der Ausländer in Österreich oder in Deutschland auf eine Weise, die der Realität entsprechen kann. Er schreibt über Feindlichkeit der Einheimischen gegenüber den Emigranten oder über ihre Angst vor der Abschiebung. Bei Kaminer ist dieses Thema wieder humorvoll bearbeitet, es soll die Leser hauptsächlich amüsieren. Er schreibt auch über die Abschiebung aus Deutschland, die

74 Kaminer, W. Russendisko. München: Manhattan, 2000, S. 98.

75 Kaminer, W. Meine russischen Nachbarn. München: Wilhelm Goldmann Verlag, 2009, S. 17.

76 Vgl. Kaminer, W. Salve Papa! München: Manhattan, 2008, S. 38.

48

einem russischen Illegalen drohte, er macht es aber auf eine ganz andere Weise: In diesem Fall entstand daraus fast eine Groteske. Auch bei Kaminer lassen sich Stellen finden, in denen er unfreundliche Verhaltensweisen von Einheimischen gegenüber Ausländern beschreibt. Sie überwiegen jedoch nicht und sind durchaus in einen humorvollen Rahmen gesetzt – damit meine ich, dass es in der Erzählung, die sie beinhaltet, witzige Momente gibt.

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4. Auftreten beider Autoren in der Öffentlichkeit und ihre

Rezeption

Vladimir Vertlib und Wladimir Kaminer sind Autoren, die gerade jetzt ihre Werke schreiben und herausgeben. Für beide ist es natürlich auch wichtig, dass sie gelesen werden; deshalb präsentieren sie sich selbst und ihre Werke in der Öffentlichkeit durch verschiedene Mittel. In diesem Kapitel konzentriere ich mich darauf, wie die beiden Autoren in den Medien auftreten, wie sie da von anderen (hauptsächlich von den Kritikern) dargestellt werden und ich versuche auch herauszufinden, wie sie von ihrem Publikum wahrgenommen werden. Einige Punkte in diesem Kapitel sind auch der Wahrnehmung dieser Autoren von den Germanisten gewidmet und den Sprachen, in die ihre Werke übersetzt werden.

4.1 Vertlib und Kaminer im Internet

Für die Stichwörter Vladimir Vertlib findet man in Google 77 700 Treffer (Stand am 17.11.10), für Wladimir Kaminer 98 700 (Stand am 17.11.2010). Bis jetzt gelang es mir jedoch nicht, eine eigene Homepage von Vladimir Vertlib zu finden. Wladimir Kaminer stellt sich und die Russendisko auf der Homepage russendisko.de vor. Hier befindet sich auch sein Blog. Der letzte Beitrag wurde aber leider schon am 1.9.2009 hochgeladen. Man kann hier aber einen Link zu Twitter finden, wo Kaminer sehr oft seine Bemerkungen veröffentlicht. Im Dezember 2010 gründete Kaminer seine neue Homepage wladimirkaminer.de, wo man die Neuigkeiten aus Twitter finden kann, genauso wie andere Informationen zum Autor. Auf dieser Hompage sind auch das Video Kaminer goes Kaukasus und vom Autor selbst gelesene Bemerkungen zu verschiedenen Themen hochgeladen. Beim sozialen Netzwerk Facebook hat Kaminer auch seine Seite – mit 2 435 Fans (17.11.2010). Beim Suchen nach Vladimir Vertlib im Facebook findet man keinen entsprechenden Treffer.

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Die meisten Treffer, die ich zu Vladimir Vertlib gefunden habe, sind Berichte über seine Lesungen, Rezensionen oder Informationen zu seiner Person. Vereinzelt findet man auch Interviews mit ihm.

Kaminer hingegen ist im Internet sehr aktiv. Auf YouTube (über 100 Treffer zu Wladimir Kaminer auf YouTube am 18.11.2010) findet man sehr viele Gespräche mit ihm oder seine aufgenommenen Auftritte, ab und zu sieht man ihn auch mit seiner Familie. Ein Gespräch mit Wladimir Kaminer, seiner Frau Olga und den Kindern Nicole und Sebastian, das auch im Internet abrufbar ist77, erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 5. Oktober 2008.

Obwohl es im Internet viele Links zu Wladimir Kaminer, sein Leben und Werk gibt, ist es schwierig, glaubwürdige Informationen zu seiner Person zu finden: Ich habe irgendwann mal festgestellt, dass fast alles, was über mich im Internet zu lesen ist, nicht stimmt.78 Gleichzeitig gesteht Kaminer ein, dass selbst die Informationen auf seiner eigenen Homepage eine gewisse Zeit unkorrekt waren. Sie waren aber nicht die einzige Quelle, aus der sich all diese falschen Informationen im Internet verbreiteten. Kaminer selbst sorgt in vielen Interviews für Verwirrung der Journalisten. Im Herbst 2006 z.B. kündigte er an, dass er im Jahre 2011 gegen den zurzeit regierenden Berliner Bürgermeister Wowereit antreten will.79 Beim Interview für die tschechische Zeitung MF Dnes gibt er aber zu, dass es sich dabei nur um einen Witz handelte. Er wollte auf diese Weise lediglich auf politische Probleme Berlins aufmerksam machen.80

77 Adorján, J. Wladimir Kaminer. Papa schreibt das so oder so auf. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5.10.2008, [on-line]. Abrufbar unter: ‹http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E1CE96C01485D4AF88340723 A6CE61062~ATpl~Ecommon~Scontent.html›

78 Kinder, A. Interview mit Wladimir Kaminer. 18.10.2007, [on-line]. [Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹http://www.easttalk.de/articles/show/interview-mit-wladimir-kaminer›

79 Vgl. Neuber, F. Konkurenz für Wladimir Kaminer. Jüdische Zeitung, Juli 2007, [on-line]. Letzter Zugriff: 2010-10-20]. Abrufbar unter: ‹ http://www.j-zeit.de/archiv/artikel.615.html›

80 Horáčková A.: Berlínskou zeď bych dal znovu postavit. A ještě výš! MF Dnes, 12.12.2009, Beilage Kavárna, S. 38 – 39. 51

Auf YouTube konnte ich zu Vladimir Vertlib keine Treffer finden (18.11.2010). Über die Familie von Vertlib erfährt man kaum etwas. Im Spiegel im fremden Wort erscheinen Verltibs Eltern in den Kapiteln über die Authentizität und Fiktion in seinen Werken. Die Erlebnisse während seiner Emigration waren schließlich mit seinen Eltern eng verbunden und diese Erlebnisse dienten Vertlib als Inspiration. In den Gesprächen in den Zeitungen (teilweise auch online) erfährt man nur, dass Vertlib verheiratet ist und dass er sowohl in Salzburg als auch in Wien lebt. Ansonsten erhält man keine näheren Informationen zu seinem Privatleben.

Die zwei Autoren nutzen das Medium Internet ganz unterschiedlich. Kaminer präsentiert sich selbst und „lebt“ aktiv im Internet. Seine Familie wird auch mit einbezogen und unterstützt Kaminer bei Interviews, die man nicht nur in den Printmedien, sondern auch im Internet finden kann. Seine Kinder und seine Frau treten auch in verschiedenen Fernsehspots auf, die später auf YouTube abzurufen sind. Vertlib hingegen geht an das Medium Internet deutlich zurückhaltender heran und weigert sich, sein Privatleben in der Öffentlichkeit zu präsentieren.

4.2 Wie wollen die Autoren von ihren Lesern verstanden werden – Authentizität und Fiktionalität in ihren Werken

Wenn man Zwischenstationen und Abschiebung von Vladimir Vertlib liest und gleichzeitig über seine Biographie informiert ist, ist man geneigt, die beiden Werke mit der Kindheit und Jugend des Autors zu verknüpfen. Vertlib selbst schließt die Entstehung dieser Verbindung nicht aus, indem er in einer seiner Vorlesungen im Spiegel im fremden Wort Beispiele zur Fiktionalität und Authentizität in seinen Werken einführt:

Ich beginne mit einem Ausschnitt aus meinem Roman Zwischenstationen, in dem von den Irrwegen einer russisch-jüdischen Familie auf der Suche nach einer

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„idealen Heimat“ berichtet wird, weil diese Passagen – wie der gesamte Roman – besonders dazu provozieren, als Autobiographie gelesen zu werden.81

Auch der Erzähler in Zwischenstationen trägt dazu bei: Die Geschichte des Jungen und seiner Familie wird vom Ich-Erzähler aus der Retrospektive erzählt, also von einem schon erwachsenen Mann, der sich mit zeitlicher Distanz an die Emigration in seiner Kindheit erinnert. In der Erzählung Abschiebung ist der Ich-Erzähler hingegen der Protagonist selbst, also ein heranwachsender Junge.

Das Thema der Authentizität und Fiktionalität in den Werken Vertlibs geht auf seine literarischen Anfänge zurück. Schon früher im Text ging ich auf dieses Thema ein: Vertlib führte seit seiner Kindheit Tagebücher – schon in diesen Tagebüchern veränderte er oder ergänzte Teile, die ihm in der realen Form nicht gefallen hatten. Später übersetzte er die Tagebücher aus dem Russischen ins Deutsche. Bei dieser Übersetzung wurden noch mehrere Passagen verändert und so entstand die Basis für das erste Werk Vertlibs, dessen Veröffentlichung noch eine Weile dauerte: Nach der Emigration hat es fast fünfzehn Jahre gedauert, bis ich die notwendige Distanz zu haben glaubte, um über meine Erlebnisse als Kind und als Jugendlicher zu reflektieren und sie zu Literatur zu verdichten.82

Schon die Tagebücher, also die Basis für die frühen Werke Vertlibs, waren nicht authentisch. Vertlib reflektiert darüber folgendermaßen:

Die meisten meiner Geschichten sind auf diese Weise entstanden – Aus Erfahrung und Anschauung und aus deren kreativer Ergänzung […].Soweit die Fiktion als Ergänzung zu Selbsterlebtem eine symbolische und allgemein gültige Dimension besitzt, kann sie, wie ich glaube, zu guter Literatur werden. Wenn ich beim Schreiben das Gefühl habe, dass das Erlebte oder das Erinnerte sowie das Erinnerte, das man nachträglich als Erlebtes wahrnimmt, etwas widerspiegelt, das über die eigene Person hinausgeht, in dem sich also auch andere Menschen spiegeln könnten, dann kann daraus etwas Wertvolles entstehen.83

81 Vertlib, V. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem, 2008, S. 10 – 11.

82 Ebd. S. 22

83 Ebd. S. 25 53

Sehr interessant ist auch die Entstehung des Romans Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur. Die Basis für diesen Roman waren die Erzählungen von Vertlibs Großmutter Mira. Ihre Erinnerungen nahm Vertlib auf Kassetten auf. Dazu kamen noch Erinnerungen von seinen Eltern und Verwandten an das Leben während des Zweiten Weltkriegs und in der Sowjetunion:

Als ich aus Miras Geschichten tatsächlich einen Roman machte, emanzipierte sich Rosa Masur nach und nach und immer mehr von ihrem realen Vorbild, wurde zu einer fiktiven Gestalt, zu einer Romanfigur, die nur mehr bedingt, an manchen Stellen wenig oder nichts mehr, mit meiner Großmutter gemeinsam hatte.84 Laut Vertlib hat also jede Fiktion einen realen Hintergrund und jedes autobiographische Werk auch etwas Fiktionales in sich.

Diese These von Vertlib ist auch für Kaminer gültig. Kaminer wiederholte schon mehrmals während Interviews für verschiedene Zeitungen oder sogar in seinen Büchern, dass seine Geschichten tatsächlich passiert waren. Er gibt aber gleichzeitig auch zu, etwas verändert oder ergänzt zu haben. In den Erzählungen oder Romanen gibt es immer einen Ich-Erzähler namens Wladimir, der viele Ähnlichkeiten mit dem Autor selbst aufweist, und der Leser bekommt bald das Gefühl, dass es sich tatsächlich um den Autor selbst handelt. Er erzählt Geschichten aus seinem Leben, Geschichten seiner Verwandten und Freunde oder Geschichten aus dem Leben in der ehemaligen Sowjetunion und im heutigen Deutschland. Gleichzeitig bewahrt sich Kaminer auch eine gewisse Distanz zu diesen Geschichten und ihrer Authentizität, die man am besten auf der letzten Seite seines Buches Salve Papa! beobachten kann: Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen sind weder vorhanden noch beabsichtigt. Es sei denn, die Personen wollen sich in dem Buch erkennen.85 Die Erzählungen in diesem Sammelband sind zumeist Geschichten aus dem Leben seiner Familie – seine Kinder kommen hier sehr oft vor. Nach Erscheinen dieses Buches wurde seine ganze Familie von der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung interviewt. In diesem Interview äußern

84 Ebd. 92.

85 Kaminer, W. Salve Papa! München: Manhattan, 2008, S. 224.

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sich die Kinder darüber, was und inwieweit ihr Vater die Geschichten über sie verändert hatte und sie stellten fest, dass ihr Vater ziemlich viel erfunden hatte.86

Kaminer schrieb mehrmals darüber, wie sein Protagonist Wladimir nach Deutschland gekommen war. Eine Version davon können wir in Russendisko (2000) finden. Hier erzählt er, dass er als sowjetischer Jude in die DDR ausgereist war – diese Version korrespondiert am meisten mit dem tatsächlichen Lebenslauf Kaminers, den man in verschiedenen Quellen finden kann. In Militärmusik (2001) schreibt er hingegen, dass er seine Tante in Deutschland besuchte und sich daraufhin zum Bleiben entschied. In Frische Goldjungs (2001) findet man als Vorstellung des Autors Informationen zu Kaminers Person. Dort steht, dass er ursprünglich nach Paris fahren wollte, wegen Unkenntnis der lateinischen Buchstaben jedoch versehentlich schon in Berlin ausstieg. Diese unwahrscheinlichste Version wird in diesem Sammelband als wahre Information über den Autor präsentiert.

Vertlib betont häufig, dass seine Geschichten fiktiv sind, man kann aber in einigen autobiographische Züge erkennen. Kaminer behauptet genau das Gegenteil. Er sagt oft, dass seine Geschichten nicht fiktiv sind und dass er die wahren Lebensgeschichten immer interessanter findet als die erfundenen.87 Trotzdem arbeitet er auch mit einer gewissen Fiktionalität, über die er auch offen spricht. Diese Fiktionalität ist auch teilweise ein Mittel, wie er sich selber in der Öffentlichkeit präsentiert (z.B. Kandidatur zum Berliner Bürgermeister, angebliche Unkenntnis der lateinischen Buchstaben bei der Ankunft in Berlin). Man kann also sehen, dass beide Autoren mit Authentizität und Fiktionalität arbeiten und sie auch thematisieren. Jeder aber betont eine andere Sichtweise auf diese Problematik und nur Kaminer verwendet sie zur Selbstpräsentation.

86 Vgl. Adorján, J. Wladimir Kaminer. Papa schreibt das so oder so auf. FAZ, 5. 10. 2008.

87 Vgl. z.B.: Horácková A.: Berlínskou zeď bych dal znovu postavit. A ještě výš! MF Dnes, 12.12.2009, Beilage Kavárna, S. 38 – 39.

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4.3 Vertlib und Kaminer in der Literaturwissenschaft

In diesem Absatz möchte ich mich darauf konzentrieren, wie Vertlib und Kaminer von der heutigen Literaturwissenschaft rezipiert werden, in welchen Zusammenhängen sie in den literaturwissenschaftlichen Werken erscheinen und zu welchen literarischen Strömungen sie laut den Germanisten gehören. Die für mein Thema relevanten Werke der Sekundärliteratur fand ich in der elektronischen Datenbank Bibliographie der deutschen Sprach- und Literaturwissenschaft.

In den Werken Verltibs suchen viele Literaturwissenschaftler nach Identitätsmodulen. Maciej Drynda geht in seinem Absatz zu Vertlib auf das Thema der verfremdeten Identität ein. Er versucht auch Merkmale der collected memory (die Erinnerungen, die ein Mensch während seines Lebens einsammelte) und collective memory (Gedächtnis der Menschheit) in den Geschichten Vertlibs zu finden.88

Die Identität, für die sich die literaturwissenschaftlichen Aufsätze im Fall von Vertlibs Werken interessieren, ist oft mit dem Judentum verbunden. Das Thema der Emigration der Juden und ihre Suche nach einer neuen Heimat bzw. nach ihrer neuen Identität, die auch von der Heimat abhängt, bearbeitet Hans-Joachim Hahn in seinem Artikel Europa als neuer jüdischer Raum? Diana Pintos Thesen und Vladimir Verltibs Romane89. Er betont Vertlibs Definition des Judentums, die uns in Zwischenstationen vom Ich-Erzähler vermittelt wird, nämlich dass das Judentum eine Schicksalsgemeinschaft darstellt – alle Juden sind nach der Shoah miteinander verbunden, egal ob sie religiös sind oder nicht. Laut Hahn kann der Protagonist in den Zwischenstationen sein Glück in der Zwischenwelt finden, die eine imaginäre Welt darstellt. Hahn macht auch auf die Probleme der Diaspora aufmerksam, indem er die unterschiedliche Wahrnehmung der jeweiligen Emigrationsländer von den sowjetischen

88 Drynda, M. Erinnerungsräume revisited. Vladimir Verltibs Geschichten der verfremdeten Identität. In Drynda, J., Dzikowska, K. Hrsg.: Labyrinhte der Erinnerung. Beiträge zur österreichischen Literatur. Poznan: 2009, S. 315 – 322.

89 Hahn, H-J. Europa als neuer jüdischer Raum? Diana Pintos Thesen und Vladimir Vertlibs Romane. In Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 69, 2009.

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Juden in Verltibs Roman Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur beschreibt. Die Juden-Figuren in diesem Roman werden von ihren Verwandten, die nach Israel oder nach Amerika auswanderten, verachtet, weil sie nach Deutschland, also ins Land der Täter, emigrierten.

Vladimir Vertlib wird nicht nur zu den jüdischen Autoren (wie z.B. bei Hahn, der aber schon auf die Schwierigkeiten bei der Definition der jüdischen Literatur überhaupt hinweist), sondern auch und wahrscheinlich häufiger zur österreichischen Literatur eingeordnet.90 Oft hält man Vertlib für einen österreichischen Autor mit Migrationshintergrund. Mit diesem Aspekt arbeitet Ernst Grabovzski in seinem Artikel Österreich als literarischer Erfahrungsraum zugewanderter Autorinnen und Autoren.91 In diesem Artikel wird analysiert, wie die Protagonisten in Vertlibs Zwischenstationen Österreich als Zuwanderungsland wahrnehmen.

Eine komplexere Darstellung Vertlibs als Autor findet man in Annette Teufels und Walter Schmitz´ Nachwort zu Vertlibs Spiegel im fremden Wort. Schmitz und Teufel befassen sich unter anderem auch mit dem autobiographischen Element in den Werken Vertlibs. Sie weisen auf seine Distanz zu dem Erzählten in Zwischenstationen hin, die durch die Figur des Ich-Erzählers geschieht. Der Ich-Erzähler ist ein erwachsener Mann, der mit dieser Distanz über seine Kindheit erzählt. In der Figur des Vaters in Zwischenstationen fanden sie das Bild Peter Schlemhils, der nach seinem Schatten sucht. So sucht diese Figur des Vaters nach dem idealen Land für das Leben seiner Familie. Diese zwei Literaturwissenschaftler halten Vertlib für einen Autor der zweiten Generation der Shoah – in seinen Romanen thematisiert er auch das Schicksal der Juden während des Zweiten Weltkries und seine Romane gehören gewiss zu den

90 Vgl.: Drynda, M. Erinnerungsräume revisited. Vladimir Verltibs Geschichten der verfremdeten Identität. In Drynda, J., Dzikowska, K. Hrsg.: Labyrinhte der Erinnerung. Beiträge zur österreichischen Literatur. Poznan, 2009, S. 315 – 322.

91 Vgl. Grabovszki, E. Österreich als literarischer Erfahrungsraum zugewanderter Autorinnen und Autoren. In.: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 69, 2009.

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bewegendsten dieser zweiten Generation.92 Zugleich baut er in seinen Werken das Klischee von den Ostjuden ab: Vom Bild des ungeschickten, bettelarmen, doch frommen und vergeistigten – eben deshalb liebenswerten – Ostjuden sind Vertlibs Figuren weit entfernt.93 Die ganze Abhandlung schildert das Schaffen Vertlibs sehr positiv. Einen besonders positiven Eindruck hinterlässt der letzte Satz dieses Artikels: Erzählen braucht Zuhörer, braucht ein Gegenüber, sucht nach Antwort: Vladimir Vertlibs erzählte Poetik ist eine Einladung zum Dialog.94

In den literaturwissenschaftlichen Artikeln, die sich dem literarischen Werk Kaminers widmen, wird auch häufig auf das Thema Identität eingegangen. In Aigi Heeros Artikel Multikulturelle Identitätskonstruktion in der deutschen Gegenwartsliteratur – am Beispiel Aglaja Veteranyis, Radek Knapps und Wladimir Kaminers95 wird die Schilderung der Identität bei Kaminer als Anpassung oder Dazwischen sein96 definiert. Heero weist darauf hin, dass man in Kaminers Erzählungen oder Romanen sehr viele Assimilationen finden kann, und zwar Assimilation des Bekannten und Unbekannten, des Eigenen und des Fremden. Zugleich versteht Heero als eines der literarischen Ziele Kaminers die Zerstörung von Klischees, die man im Westen gegenüber dem Osten hat. Heero analysiert auch mögliche Ursachen für den Erfolg von Kaminers Werken. Zu seiner Popularität trägt sicher das wachsende Interesse der Menschen im Westen für den Osten bei. Eine andere Ursache wird folgendermaßen zusammengefasst: Möglicherweise ist das [Mythoszerstörung] auch das Erfolgsrezept Kaminers und Knapps, nämlich den (deutschen) Lesern das Fremde zu präsentieren, ohne dabei tiefer zu gehen […], sondern populäre oberflächliche Vorstellungen zu reflektieren.97

92 Schmitz, W., Teufel, A. Wahrheit und „subversives Gedächtnis“. Die Geschichte(n) von Vladimir Vertlib. In Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem, 2008, S. 216.

93 Ebd. S. 235.

94 Ebd. S. 253.

95 Heero, A. Multikulturelle Indentitätskonstruktion in der deutschen Gegenwartsliteratur. In Parry, Ch., Voßschmidt, L. Hrsg. Europäische Literatur auf Deutsch? München: Judicium Verlag, 2008, 193 ff.

96 Ebd. S. 193.

97 Ebd. S. 199.

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Elke Mehnert befasst sich mit dem Phänomen Kaminer, indem sie auch die Ursachen seines Erfolgs analysiert.98 Ihrer Ansicht nach repräsentiert Kaminer selbst das Bild des Russen von nebenan99, der zugleich alle Ideale des gut integrierten Immigranten erfüllt. Zu den Ursachen gehört auch die Themenauswahl, die gut für breiteres Publikum geeignet ist. Auch die Form, in der seine Geschichten geschrieben werden – also überwiegend die Form der Kurzgeschichten - wird vom heutigen Leser positiv rezipiert. Die bedeutendste Ursache des Erfolgs Kaminers sieht sie aber darin, dass der Autor seine Bücher in der heutigen Mediengesellschaft gut und geschickt „verkaufen“ kann. Nicht nur seine Bücher, sondern auch der Autor muss „pop“ sein, muss sein Werk gut repräsentieren, indem er für seine Leser fast überall präsent ist. Das tut Kaminer auch – allein im Dezember 2010 hat er 11 Lesungen in verschiedenen deutschen Städten100. Diese These wird meiner Meinung nach auch durch die Anzahl der Treffer zu Kaminer im Internet bestätigt.

Christoph Meuer analysiert in seinem Artikel „Ihr seid anders und wir auch“: Inter- und transkulturelle Russlandsbilder bei Wladimir Kaminer101 Räume in Kaminers Werk, wobei er sich hauptsächlich auf Russland in Kaminers Geschichten konzentriert. Er befasst sich mit der sowjetischen und mit der eigenen Identität des Ich-Erzählers in Kaminers Büchern und mit dessen Darstellung verschiedener Phänomene (sowjetische/russische Kultur, russische Musik, typische russische Frau).

98 Mehnert, E. Russen und Deutsche – Nachbarn in Deutschland. In Schmitz, W. Hrgs.: Zwischeneuropa/Mitteleuropa. Dresden: Thelem, 2008, S. 440 ff.

99 Ebd. S. 442.

100 Offizielle Homepage von der Russendisko: http://beta.russendisko.de/de/termine/lesungen/?tx_cal_controller[offset]=1&cHash=171158df0c [Letzter Zugriff: 2010-11-30]

101 Meuer, Ch. „Ihr seid anders und wir auch“: Inter- und transkulturelle Russlandsbilder bei Wladimir Kaminer. In.: Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 69, 2009.

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In einem kritischen Ton stellt Eva Hausbacher die literarische Tätigkeit Kaminers in der Publikation Poetik der Migration im Kapitel mit dem Titel „Zwischen Konsalik und Kafka: Wladimir Kaminer – ein russischer Star der deutschen Literatur102 dar. Laut Hausbacher bewegt sich Kaminer immer irgendwo im Zwischenraum – z.B. zwischen Mainstream und Minoritätsliteratur, zwischen Autobiographie und Fiktion, zwischen jüdischer und deutscher Literatur. Hausbacher sieht darin eine gelungene Marketingstrategie, die zusammen mit Kaminers immigrant chic, das Kaminer zu seiner Selbstvermarktung103 nutzt, zur Tatsache beiträgt, dass seine Bücher Bestseller geworden sind. In Kaminers Russendisko sieht sie ebenfalls eine erfolgreiche Vermarktung, die auf Ostalgie basiert.104 Oft bearbeitet Kaminer Klischees gegenüber den Russen. Laut Hausbacher spart er dabei mit Gefühlen und geht nicht in die Tiefe. Sie macht auf einen Paradox aufmerksam: Auch wenn Kaminer in seinen Büchern gegen Klischees kämpfen will, ist sein Kampf nicht erfolgreich, so dass die Klischees verbleiben. An dieser Stelle führt sie noch eine These an, die folgendermaßen paraphrasiert werden kann: Kaminers Bücher decken eher das traditionelle Denken des Deutschen über Russen auf und so hält er den Deutschen einen Spiegel vor. Die Autorin befasst sich auch mit der Frage, ob Kaminer zur Popliteratur gehört. Auch wenn sich Kaminer von der Popliteratur distanziert, findet Hausbacher viele Pro-Argumente seiner Zugehörigkeit zu dieser Strömung. Er spricht ein breites Publikum an; die formale Seite seiner schriftstellerischen Persönlichkeit, die er durch sein Performance zum Ausdruck bringt, ist bei seinem Schaffen sehr wichtig und ständig präsent. Ein weiteres Pro- Argument ist laut Hausbacher die Oberflächlichkeit seiner Texte in Form und Inhalt105. Hausbacher analysiert auch die Sprache in Kaminers Texten. Er vermischt die russischen und die deutschen Wörter nicht und führt Neologismen ein. Wenn man die deutsche mit der russischen Version des Buches Russendisko vergleicht, ist zu sehen, dass es für das deutsche Publikum geschrieben wurde.

102 Hausbacher, E. Poetik der Migration. Transnationalle Schreibweise in der zweitgenössischen russischen Literatur. Tübingen: Stauffenburg Verlag, 2009, 247 ff.

103 Ebd. S. 248.

104 Ebd. S. 249.

105 Ebd. S 267.

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Mit der Frage, ob Kaminer als Schriftsteller zur Popliteratur gehört, beschäftigt sich auch Thomas Ernst. Seine Zugehörigkeit zu dieser Strömung sieht er nicht als eindeutig an. Das Buch Russendisko stellt laut Ernst einen minoritären Debuttext106 dar. Auch wenn man in Kaminers Werk einige popliterarische Formen beobachten kann – wie z.B. Positionierung oder Einstellung zur Musik, Beziehung zur materiellen Welt -, grenzt er sich von dieser Strömung mit der inhaltlichen Seite ab. Das, was von den Darstellern in den Popliteratur-Romanen hochgeschätzt wird, wird von den Protagonisten in Kaminers Büchern verspottet. Kaminers Figuren hören im Unterschied zu den Figuren in Popliteratur-Romanen nicht MTV, sondern russische Musik, sie stehen nicht auf teure Sachen, sondern sie erinnern sich mit Nostalgie an Waren aus der ehemaligen Sowjetunion. Auch die Tatsache, dass Kaminer das Leben in Deutschland aus der Immigrantenperspektive schildert, führt dazu, dass sich Kaminers Werk laut Ernst eher der Minoritätsliteratur zuordnen lässt.

Es lassen sich auch literaturwissenschaftliche Aufsätze finden, in denen beide Autoren zusammen zum Thema einer literarischen Abhandlung werden. Oft betrifft die Thematik dieser Artikel das Werk mehrerer Autoren, die aus dem Osten emigriert sind und jetzt auf Deutsch schreiben, wie z.B. Radek Knapp. In Aigi Heeros Artikel Zwischen Ost und West: Orte in der deutschsprachigen transkulturellen Literatur107 wird nach den Alltags- und Sehnsuchtsorten in den Werken beider Autoren gesucht, wobei sich man auch mit dem Staunen über neue Orte befasst. Kaminers Befassung des Staunens ist im Unterschied zu Vertlibs eher materiell geprägt: Der Protagonist in Russendisko überlegt sich neue Verdienstmöglichkeiten, vergleicht Waren und Preise in Geschäften. Katrin Molnár vergleicht in ihrem Artikel Die bessere Welt war immer anderswo. Literarische Heimatskonstruktionen bei Jakob Hessing, Chaim Noll, Wladimir Kaminer und Vladimir Vertlib im Kontext von Alija, jüdischer Diaspora und

106 Ernst, T. Jenseits von MTV und Musikantenstadt. Popkulturelle Positionierungen in Wladimir Kaminers „Russendisko“ und Feritlun Zaimoglus „Kanaks Sprak“. In Arnold, H. L. Hrsg. Text + Kritik Sonderband Literatur und Migration, Nr. 10, 2006.

107 Heero, A. Zwischen Ost und West: Orte in der deutschsprachigen transkulutrellen Literatur. In Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 69, 2009, S. 205 ff.

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säkularer Migration108 die Bearbeitungen der jüdischen Identität bei Kaminer und Vertlib. Auf ihre Schlussfolgerungen ist in dieser Arbeit bereits eingegangen ( siehe S. 38).

Ich versuchte, beide Autoren in verschiedenen Lexika zu finden. Das Stichwort Wladimir Kaminer kann man im Killy Literaturlexikon in Band 6 finden – hier wird sein literarisches Schaffen dem Situationismus zugeordnet.109 Informationen zu Wladimir Kaminer kann man auch in der elektronischen Version des Brockhaus nachschlagen110. Vladimir Vertlib konnte ich in keinem literarischen Lexikon finden. Der Band 12 Vas – Z des neuen Killy Literaturlexikons erscheint erst im September 2011111. Man könnte aber annehmen, dass das Stichwort Vladimir Verltib in dieser neuen Fassung auch vorhanden sein wird. Im Kritischen Lexikon der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG) findet man keinen der beiden Autoren.

4.4 Vertlib und Kaminer in der journalistischen Welt

In diesem Absatz konzentriere ich mich darauf, wie Vertlib und Kaminer in Zeitungen und Zeitschriften präsentiert werden. Ich widme mich hauptsächlich den Rezensionen zu den Werken beider Autoren. Ich versuche auch herauszufinden, wie die beiden Autoren selbst in der Presse auftreten und welchen Themen sie sich in ihren Artikeln widmen. Die Materialien für diesen Absatz wurden mir von den Verlagen

108 Molnár, K. „Die bessere Welt war immer anderswo.“ In. Amsterdamer Beiträge zur neueren Germanistik, Nr. 69, 2009.

109 Vgl. Siebenpfeiffer, H. Kaminer, Wladimir. In Kühlmann, W. Hrsg. Killy Literaturlexikon Band 6. Berlin: Walter der Gruyter GmbH & Co. 2009, S. 267.

110 Munzinger – Wissen, das zählt *on-line] [Letzter Zugriff: 2010-12-16]. Abrufbar unter: ‹http://online.munzinger.de/search/query?query.id=query-12›

111 Vgl. De Gruyter [on-line] [Letzter Zugriff: 2010-12-16]. Abrufbar unter: ‹http://www.degruyter.com/cont/fb/li/detailEn.cfm?id=IS-9783110220384-2›

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Manhattan und Deuticke zugeschickt, wofür ich mich an dieser Stelle bedanken möchte.112

Vertlibs Werk wird von Kritikern meistens sehr gut angenommen. Eine durchaus positive Kritik zu Vertlibs Zwischenstationen kann man bei K.-M. Gauss lesen, der die Erscheinung dieses Buches für ein Ereignis hält:

Worum sich viele bemühen, dem 1966 geborenen, in Österreich lebenden Vladimir Vertlib, ist es wie nebenhin gelungen. Den europäischen Roman, den die Kritiker vermissen, Lektoren verlangen, den Roman, der die neue Landkarte Europas voraussetzt und sich über die nationalen Grenzen hinwegsetzt – dieser Flüchtling hat ihn geschrieben.113

Thomas Kraft beurteilt vor allem die Dynamik dieses Romans positiv: Und immer wieder gibt es turbulente Ereignisse, die anekdotisch eingeflochten werden.“114 Vereinzelt kann man aber Widersprüche bei den Kritikern finden. Während Carl- Ludwig Reichert den Roman für seine hervorragende Sprache und Unsentimentalität lobt115, findet Ariane Thomalla in ihm auch Schwächen: Manche Anekdote hätte fehlen dürfen. Auch die Gesamtdramaturgie hinkt.116 Die negative Kritik dieses Romans ist aber eher eine Ausnahme.

Für Das besondere Gedächtnis der Rosa Masur verdiente Vertlib einen Vergleich mit und Isaak Singer.117 Günther Stocker bewies dieser Roman Folgendes: Autoren wie Vladimir Vertlib sind ein Glücksfall für die deutschsprachige Literatur im

112 Von den Verlagen bekam ich Kopien von Interviews mit beiden Autoren oder Rezensionen zu ihren Werken, die oft nur eine Datumangabe beinhalteten, deshalb konnte ich nicht immer eine vollständige bibliographische Angabe zu den Zitaten in meiner Arbeit ergänzen.

113 Gauss, K.-M. Auftritt des Erzählers Vladimir Vertlib. Neue Züricher Zeitung, 18.03.1999, S. 68.

114 Kraft, T. Der Führer im Schrank. Der Tagesspiegel, 05.12. 1999.

115 Reichert, K. L. Odysseus Word abgeschoben. Abendzeitung, 14.05.1999.

116 Thomalla, A. Endstation Österreich. Freitag, 18.02.2000.

117 Vgl. Kissler, A. Miss Jahrhundert. FAZ, 23.06.2001.

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Besonderen.118 Bei mehreren Kritikern findet man positive Bemerkungen dazu, dass sich Vertlib als Protagonistin eine alte Frau aussuchte und dass es ihm gelang, sich in diese Figur einzuleben, was für einen jungen Mann sicher nicht leicht war.119 In diesem Roman erzählt die alte Rosa über ihr ganzes langes Leben. Dabei bekommt der Leser auch die ganze Geschichte des 20. Jahrhunderts auf 430 Seiten nacherzählt. Georg Pichler bewertet Vertlibs Bemühen folgendermaßen:

Als kongenialer Chronist von Rosa Masur erweist er sich in diesem großen Roman (mehr als in seinen beiden vorangegangen Romanen) als ein außergewöhnlicher Erzähler, der sehr ökonomisch, mit viel Gespür und Gefühl für seine Figuren, ein anschauliches Geschichtsbuch geschaffen hat[…]120

Laut Hans Auinger gelang es Vertlib aber nicht vollkommen. Einige Geschichten, die Rosa erlebt hatte, schienen ihm zu abenteuerlich121. Das Treffen Rosas mit Stalin, das auch im Roman steht, hält er für das krasseste Beispiel für dieses erzähltechnische Dopping122.

Zu Vertlibs anderem Roman Letzter Wunsch meint Paul Jandl, dass er sich mit wichtigen Themen wie Judentum, jüdische Identität und Antisemitismus auseinandersetzt: Vladimir Vertlib hat einen wichtigen Roman geschrieben, der beides zugleich ist: große Erzählung und politischer Essay.123Auf sehr wichtige Probleme, die sich nicht nur auf die deutsch-jüdischen Verhältnisse beziehen, weist Vertlib in diesem Roman auch laut Helmut Sturm hin.124 Martin Link charakterisiert diesen Roman mit den Worten ironisch, tragikomisch, liebevoll125. In einigen Rezensionen, die das Werk als Ganzes positiv beurteilen, kann man auch kritische Bemerkungen finden. Klaus

118 Stocker, G. Aus dem Zeitalter der Extreme. Buch Kritik, BW 1.

119 Vgl. Ebd. Oder Schiller, M. Frauenschicksal aus schwerer Zeit. Hamburger Abendblatt, 11.06.2001.

120 Pichler, G. Tapeten von den Wänden kratzen. Die Presse, 28.04.2001.

121 Auinger, H. Ein Jahrhundert-Roman. Salzburger Nachrichten, 25.08.2001.

122 Ebd.

123 Jandl, P: Tote wandern nicht aus. Neue Züricher Zeitung, 13.01.2004, S. 41 – 42.

124 Sturm, H. Kein Platz für den Toten. Salzburger Nachrichten, 29.11.2003.

125 Link, M. Das Lachen über einem Grab. Neuer Vorarlberger Tageszeitung, 12.05.2004. 64

Zeyringer findet den Roman sprachlich nicht immer so geschickt126 und David Axmann wünscht sich einen anderen Schluss.127

Auch der Erzählband Mein erster Mörder wird meist positiv angenommen. Eine durchaus positive Rezension findet man bei Verena Auffermann in der Süddeutschen Zeitung, die den Lesern empfiehlt: Unbedingt lesen, dieses Buch ist erhellender als jede Ausstellung.128 Die Sprache dieser Erzählungen hebt Sabine Berking hervor:

Beim Schreiben, so hat Vertlib einmal gesagt, greift er intuitiv auf den Rhythmus seiner russischen Muttersprache zurück. Das Vokabular und die Syntax, mit wienerischem Kolorit, sind so makellos komponiert und den Erzählenden so passend auf die Zunge gelegt, wie es nicht selten gerade jede translingualen, transkulturellen Autoren vermögen, die sich das Deutsche als Fremdsprache erlesen und erhört haben.129

In der Rezension in der Jüdischen Zeitung werden Vertlibs Figuren mit Kaminers verglichen. Für Kaminer geht dieser Vergleich nicht positiv aus:

Vladimir Vertlib löst in allen seinen Büchern das ein, was Wladimir Kaminer zu versprechen scheint. Während Kaminers liebenswerte Helden seltsam statisch bleiben, ohne jede innere Entwicklung, vermag Vertlib legendige Charaktere zu entwickeln.130

Eine negative Kritik zu Vertlibs Mein erster Mörder können wir bei Barbara Ruhsmann finden, die diese Erzählungen für nicht sehr fertig hält.131

Zu Vertlibs letztem Roman gibt es sowohl positive als auch negative Rückmeldungen. Die positiven loben hier das hervorragende Erzähltalent Vertlibs und

126 Zeyringer, K. Verhinderte Grablegung. Der Standard, 31.7.2004.

127 Vgl. Axmann, D. Ein Sohn sucht eine Identität. Wiener Zeitung, 10.10.2003.

128 Auffermann, V. Im richtigen Land zu der falschen Zeit mit der falschen Sprache. Süddeutsche Zeitung, 02.11.2006.

129 Berking, S. Unter der Käseglocke. FAZ, Nr. 79, 03.04.2006, S. 38.

130 „Mein erster Mörder“ von Vladimir Vertlib. Jüdische Zeitung, März 2006.

131 Vgl. Ruhsmann, B. Suchbegegnungen. Die Furche/Bücher-Frühling, Nr. 16, 20.04.2006.

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die Spannung in dessen Geschichten.132 Die negativen finden den Roman wenig stabil133 oder „überladen“134. Mehrmals kann man lesen, dass Vertlib mit diesem Roman und mit dessen Thematik in ein Wespennest135 sticht.

Vladimir Vertlib tritt selbst als Rezensent in Zeitungen und Zeitschriften auf (z.B. Mit der Ziehharmonika, Literatur und Kritik, Wiener Zeitung, Die Presse). Er äußert sich zur Situation in Israel136 oder zur österreichischen Politik gegenüber Juden und zum Leben der Juden in Österreich.137

Kaminers erster Erzählband Russendisko erregte nicht nur bei den Lesern große Aufmerksamkeit, sondern auch die in verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften tätigen Journalisten widmeten diesem Werk viele Bemerkungen. So erklärte Alexander Honold das Erfolgsrezept Kaminers für dieses Buch: Auf Beschönigungen zu verzichten, um noch die schlimmste Wendung der Dinge für die Komik einzuspannen.138 Im Jahre 2000 war Kaminer für Henryk M. Broder aus dem Spiegel ein großes Erzähltalent und „auf dem besten Weg, deutscher Dichter zu werden.139 Roland Mischke hielt Russendisko, Schönhauser Allee und Militärmusik für nett erzählte Ansammlungen von Beobachtungen, aber nicht von überragender literarischer Qualität.140 Die Popularität dieser Werke wurde durch den selbstironischen Ton von Kaminers Geschichten

132 Vgl. Gärtner, T. Traumatische Geschichten. Dresdner Neuste Nachrichten, 03.05.2010. Oder Axmann D. Vertlib, Vladimir: Am Morgen des zwölften Tages. Wiener Zeitung, 17.10.2009.

133 Schaber, S. Leise ächzt es im Gebälk. Die Presse, 10.10.2009.

134 Aschenbrenner, C. Orientalische Affären. Neue Zürcher Zeitung, 20.05.2010.

135 Mazanauer, B. Stich ins Wespennest. Readme.CC., April 2009, S. 31. Und Mezanauer, B.: Ein Plädoyer für säkulare Werte. Der Landbote, 08.10.2009.

136 Vgl. Vertlib, V. Meine Cousine in Haifa. Die Presse, Spectrum/Zeichen der Welt, 22. 07. 2006.

137 Vgl. Interview mit V. Verltib: „Wegfahren und nie angekommen“. Jüdische Allgemeine, S. 14, 16.03.2006.

138 Honold, A. Verwegen quert ein Russe durch Berlin. FAZ Buchmesse-Literaturbeilage, 17.10.2000.

139 Broder, H. Glücklich in der Russen-Zelle. Spiegel, 18.9.2000.

140 Mischke, R. Kurort Berlin. Handelsblatt, 01.03.2002.

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geschaffen. Mischke beendet seine Rezension folgendermaßen: Er (Kaminer) produziert Schelmenliteratur, ein Gattung, die Unterprivilegierte zu Helden macht, die dann mit List, Witz und Verve durchs Leben kommen. Ein Narr darf alles, sogar die Wahrheit sagen. Das ist Wladimir Kaminers Chance. Er nutzt sie.141

Dieter Hildebrandt hielt Kaminer in seiner Rezension zum Buch Die Reise nach Trulala für einen begabten Fantast und für einen Candide der Normalität142. Er lobte die Sanftheit von Kaminers Satire und bezeichnet die Titelgeschichte als Groteske, wie sie auch ein Woody Allen nicht besser geschrieben hat.143

Christoph Bartmann behauptete, dass Kaminers Geschichten in Mein deutsches Dschungelbuch manchmal etwas oberflächlich sind; ansonsten jedoch ist Kaminer seiner Meinung nach ein großer Stilist, ein Meister seiner Form144. Bartmanns Artikel endet für Kaminer sehr positiv: Wladimir Kaminer, soviel steht fest, ist ein großer Gewinn für die deutsche Literatur.145

Auch Kaminers Erzählband Es gab keinen Sex im Sozialismus wurde von Kritikern positiv angenommen. In Welt Kompakt macht Marina Neubert auf Kaminers Nachlässigkeit im Umgang mit Details146 in Bezug auf historische Fakten aufmerksam; sonst wurde dieses Buch in diesem Artikel als humorvolles Werk mit Witz, ohne große Ansprüche147 dargestellt. Neubert hebt hier noch die Situationskomik und die Text- Performance148 dieses Werkes hervor. Im Buch Es gab keinen Sex im Sozialismus

141 Ebd.

142 Hildebrandt, D. Ein Grüner radelt nach Sibirien. Die Zeit (Literaturbeilage) Nr. 47, November 2002.

143 Ebd.

144 Bartmann, Ch. Wo bin ich? Süddeutsche Zeitung, 12.12.2003.

145 Ebd.

146 Neubert, M. Sowjets hatten gar keinen Sex. Welt kompakt, 13.2.2009.

147 Ebd.

148 Ebd.

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beweist Kaminer nach Ansicht Ingo Schiwecks, dass er Meister darin ist, aus der größten Banalität noch etwas Komisches herauszukitzeln.149

In Daniela Mairovicis Rezension zu Kaminers Buch Meine russischen Nachbarn wurden lauter Superlative verwendet – die Erzählungen sind ihrer Meinung nach witzig, lustig und unterhaltsam. Sie beschreibt eine Lesung Kaminers, bei der aus diesem Buch vorgelesen wurde und zu der Kaminers russischer Nachbar Sergej kam – also eine der Figuren in diesem Buch.150 An diesem Beispiel können wir sehen, wie Kaminer mit der Authentizität und Fiktionalität umgeht und wie er aus seinen Texten eine Performance macht.

Wladimir Kaminer ist selbst in der Welt der deutschen Medien präsent. Die deutschen Medien halten Kaminer für einen Russenexperten151, deshalb wird er oft zu Diskussionen über Russland und dessen Politik eingeladen. Andererseits wird er von russischen Medien für einen Deutschenexperten152 gehalten. Die meisten Interviews mit Kaminer hinterlassen einen ähnlichen Eindruck wie seine Geschichten. Auch bei den meisten Interviews erzählt er darüber, wie er nach Deutschland kam oder wie er zum Schriftsteller und DJ wurde.153 Nach der Erscheinung des Buches Küche totalitär wurde Kaminer auch von verschiedenen Life-Style-Magazinen zum Thema Russische Küche interviewt.154 In der Süddeutschen Zeitung im Magazin schildert Kaminer die traditionellen russischen Speisen und die Gastronomie, hauptsächlich das Gericht

149 Schiweck, I. Kaminer klärt auf. Spiegel Online , 2.3.2009, [on-line]. [Letzter Zugriff 2010-12-03]. Abrufbar unter: ‹http://www.spiegel.de/kultur/literatur/0,1518,6100844,00.htm › 150Vgl. Mairovici, D. Kaminers komische Nachbarn. Berliner Zeitung, 28.08.2009, S. 29. 151 Adorján, J. Wladimir Kaminer. Papa schreibt das so oder so auf. FAZ, 4. 10. 2008, [on-line]. [Letzter Zugriff 2010-12-03].Abrufbar unter: ‹http://www.faz.net/s/Rub117C535CDF414415BB243B181B8B60AE/Doc~E1CE96C01485D4AF88340723 A6CE61062~ATpl~Ecommon~Scontent.html› 152 Ebd. 153 Vgl. Jung, I. Russendisko auf Sylt. Hamburger Abendblatt, 27.08.2008. oder Stumpff, T. Wladimir Kaminer „ich bin kein Sprachkünstler. Für mich ist Sprache nur ein Instrument.“ Galore 02, 25.01.2004. 154 Vgl. Piske, S. Küche libertär. H.O.M.E, April/Mai 2006. Oder Wesselhöft, P. Was bekommt der Küche besser: Sozialismus oder Kapitalismus. Der Feinschmecker, 4/2006, S. 153, ff. 68

Cholodez. Auf dem Foto zu diesem Artikel ist Kaminer zusammen mit seiner Mutter Shanna, die diesen Artikel mit dem Rezept für Cholodez ergänzt.155

4.5 Sprachen, in die man Werke Verltibs und Kaminers übersetzt

Laut Angaben des Verlags Manhattan werden Kaminers Werke in diese Sprachen übersetzt:

Militärmusik: Bulgarisch, Kroatisch, Tschechisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Ungarisch, Isländisch, Hebräisch, Italienisch, Koreanisch, Litauisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Schwedisch, Niederländisch.

Schönhauser Allee: Kroatisch, Finnisch, Ungarisch.

Die Reise nach Trulala: Bulgarisch, Kroatisch, Tschechisch, Französisch, Ungarisch, Italienisch, Lettisch, Niederländisch, Norwegisch, Polnisch, Russisch, Koreanisch, Portugiesisch.

Mein deutsches Dschungelbuch: Norwegisch.

Ich mache mir Sorgen, Mama: Finnisch, Italienisch.

Küche totalitär: Italienisch, Ungarisch, Schwedisch.

Ich bin kein Berliner: Finnisch, Chinesisch (Taiwan), Bulgarisch, Spanisch. Es gab keinen Sex im Sozialismus: Niederländisch.

Russendisko wurde in diese Sprachen übersetzt (Angaben der Agentur Eggers & Landwehr): Tschechisch, Spanisch, Niederländisch, Englisch, Italienisch, Russisch, Portugiesisch, Norwegisch, Finnisch, Griechisch, Slowenisch, Serbisch, Ungarisch, Rumänisch, Hebräisch, Koreanisch, Schwedisch.

155 Vgl. Kaminer, W. Glückliches Händchen. Süddeutsche Zeitung – Magazin, 03.12.2004.

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Auch bei der Franz Deuticke Verlagsgesellschaft habe ich nach Übersetzungen der Werke von V. Vertlib gefragt. Ich habe folgende Information bekommen:

Folgende Übersetzungen sind gemacht (und teils auch schon erschienen): Zwischenstationen in Italienisch, Slowenisch, Russisch. Bei den anderen Romanen sind wir noch in Verhandlungen mit ausländischen Verlagen, da kann aber noch nichts fix verkündet werden. (09.12.2010)

Beim Otto-Müller-Verlag erkundigte mich nach den Übersetzungen von der Erzählung Die Abschiebung von Vertlib und bekam folgende Antwort: in unseren Unterlagen findet sich lediglich eine Übersetzung ins Tschechische. (17.12.2010)

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5. Schluss

In dieser Magisterarbeit versuchte ich, zwei Autoren zu vergleichen, die viele Gemeinsamkeiten aufweisen. Je tiefer ich mich aber mit meiner Analyse beschäftigte, desto mehr Unterschiede zwischen beiden Autoren fand ich. Diese Unterschiede besprach ich schon an mehreren Stellen in dieser Arbeit. Hier eine kurze Zusammenfassung:

Die Herkunft Vertlibs und Kaminers und ihre Emigration nach Österreich und Deutschland beeinflusste ihr Werk deutlich. Dies mag auch der Grund für Ähnlichkeiten in ihrer Themenauswahl sein. Wenn man sich aber die literarische Form, für die sie sich entschieden haben, genauer ansieht, kann man sofort den ersten großen Unterschied bemerken. Vertlib schreibt Romane oder längere Erzählungen, die oft einen geschichtlichen Hintergrund haben, und versucht, in seinen Geschichten mehrere Perspektiven darzustellen. Kaminer wählt hingegen oft die Form kürzerer Erzählungen, die es ihm nicht erlaubt, in die Tiefe zu gehen. Nahezu alle seiner Erzählungen und Geschichten sind in einem humoristischen Stil geschrieben. Auf den Leser wirken sie sehr leicht und witzig und ihr Ziel ist hauptsächlich zu amüsieren. Man kann auch bei Kaminer Geschichten finden, die die Leser zum Nachdenken bringen sollen, diese „Momente“ zum Nachdenken sind aber oft in einem Inhalt verborgen, der auf den ersten Blick sehr humorvoll wirkt.

Der zweite große Unterschied besteht in der Selbstdarstellung beider Autoren. Über Kaminer kann man sagen, dass er „überall“ präsent ist. Mit diesem „Überall“ sind seine häufigen Lesungen in ganz Deutschland gemeint (siehe www.wladimirkaminer.de unter Veranstaltungen) oder die Anzahl der Treffer zu seiner Person und seinem Werk im Internet. Die literarische Form kurzer Erzählungen lässt sich vor allem im Internet sehr gut präsentieren, was Kaminer auf seiner Homepage, wo man sich einige vom Autor selbst gelesene Geschichten anhören kann, auch tut. Kaminer bezieht auch seine Familie in seine literarische Tätigkeit mit ein. Viele Geschichten Kaminers werden von Erlebnissen und vom Leben seiner Frau, seiner Kinder und seiner Eltern inspiriert, aber 71

die Familienmitglieder treten nicht nur als Figuren im literarischen Werk Kaminers auf, sondern es gibt auch Interviews mit ihnen. Somit ist nicht nur der Autor selbst für seine Leser immer „dabei“, sondern auch seine Familie als Inspiration für Figuren in seinen Erzählungen und Romanen.

Eine solche Selbstdarstellung lässt sich bei Vertlib überhaupt nicht beobachten. Der größte Unterschied in der Selbstdarstellung beider Autoren besteht sicher in der Verwendung des Internets. Vertlib gründete bis jetzt keine eigene Internetseite, auf der er sich selbst und sein Werk vorstellen könnte. Hierbei entsteht eine wichtige Frage: Ist die literarische Form, die Vertlib ausgewählt hat, für eine solche Präsentation im Internet geeignet?

Vom Privatleben Vertlibs erfahren die Leser kaum etwas. Meiner Meinung nach hängt es mit Vertlibs Einstellung zu den autobiographischen Aspekten in seinen Romanen und Erzählungen zusammen: Vertlib präsentiert sein Werk als fiktional, auch wenn er zulässt, dass er sich von seinem Leben und vom Leben seiner Familie inspirieren ließ. Kaminer behauptet, dass seine Geschichten tatsächlich passiert seien, nur ab und zu habe er etwas verändert. Das bedeutet, dass die meisten Figuren in Kaminers Erzählungen und Romanen wirklich existieren müssen und deshalb ist es sinnvoll, sie den Lesern auch vorzustellen. Außerdem ist es eine gute Werbung für das Buch, wenn die Leser die Figuren aus dem Buch mit eigenen Augen sehen können. Das wäre bei Vertlib und bei seiner Einstellung zur Realität und Fiktionalität in seinem Werk unmöglich.

Ich persönlich hatte die Möglichkeit, Lesungen beider Autoren zu besuchen. An dieser Stelle erlaube ich mir ein paar Bemerkungen zu diesen Veranstaltungen, die eher einen subjektiven Charakter haben werden:

Die Lesung von Vladimir Vertlib fand anlässlich des Literaturfestivals Měsíc autorského čtení im Juli 2009 in Brno statt. Vertlib las aus seinen Büchern Spiegel im 72

fremden Wort und Zwischenstationen vor. Er selbst ging darauf ein, dass sein Werk keine reine Autobiographie ist und seine Behauptung begründete er mit der Figur der Mutter, die Unterschiede zu Vertlibs Mutter aufwies. Er besprach auch die sprachlichen Fragen mit dem Publikum und erklärte, wie es für ihn ist, auf Deutsch zu schreiben. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass er sich als österreichischer Autor mit russisch- jüdischem Hintergrund vorstellte. Schließlich wurde er als österreichischer Autor von den Veranstaltern eingeladen, da die Ehrengäste aus den Reihen der Schriftsteller in diesem Jahrgang aus Österreich kamen.

Die Lesung von Wladimir Kaminer, die ich besuchen konnte, fand im Dezember 2010 in Heidelberg statt. Der Autor las sowohl ältere als auch neue, noch nicht herausgegebene Erzählungen vor. Nebenbei kommentierte er und erklärte Details zu seinen Erzählungen, was die Authentizität des Erzählten noch verstärkte. Die Leser konnten den Eindruck gewinnen, dass die Geschichten tatsächlich passiert seien. Die Thematik der Erzählungen betraf den Alltag, Russland und Deutschland gesehen mit den Augen eines „Nicht-Deutschen“. Hinsichtlich der Geschichten, die das Leben in Russland schilderten, wirkte Kaminer als „Botschafter“ Russlands. Der Eindruck wurde durch die so genannte Russendisko (eine Disko mit russischer Musik) bestätigt, die nach der Lesung stattfand.

Während der Entstehung dieser Arbeit habe ich mich mit einigen Fragen an Vladimir Vertlib gewandt. Unter anderem fragte ich ihn, ob er selbst Parallelen in seinem Werk und im Werk von Wladimir Kaminer sehen kann. Diese Arbeit und diesen Vergleich möchte ich also mit den folgenden Worten von Vladimir Vertlib beenden:

Die Parallelen bestehen wohl darin, dass wir uns beide ironisch mit Stereotypen und Klischees auseinandersetzen und dass die Themen Russland und Emigration, das Leben als Immigrant, die Frage der Identität und die europäische Vergangenheit in unseren Werken (d.h. bei uns beiden) vorkommen. Selbstverständlich gehen wir damit sprachlich und inhaltlich unterschiedlich um. Bei Herrn Kaminer steht die satirische, oft auch groteske Auseinandersetzung mit der Welt und mit sich selbst weit stärker im Vordergrund als bei mir, auch wenn der Humor, wie ich glaube, in meinem Werk gleichermaßen eine wesentliche Rolle spielt.

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Bibliographie

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Vertlib, V. Meine Cousine in Haifa. Die Presse, Spectrum/Zeichen der Welt, 22. 07. 2006.

Verltib, V. Mein erster Mörder. München: DTV, 2008.

Vertlib, V. Spiegel im fremden Wort. Dresden: Thelem, 2007.

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Vertlib, V. Zwischenstationen. München: DTV, 2009.

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