DAS KRIEGSENDE 1945 IM BREGENZERWALD UND IM MONTAFON – EIN VERGLEICH. FILM UND VORTRAG Univ.-Doz. Dr. Wolfgang Weber MA MAS 09. Mai 2007 19.30 Uhr , Heimatmuseum

Vor gut einem Jahr, bei der Premiere von Tone Bechters Film über die letzten Kriegstage in Langenegg am 5. Mai 2006 habe ich erstmals darauf hingewiesen, wa- rum meiner Meinung nach diese hervorragende Dokumentation über die Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkrieges in einem kleinen österreichischen Dorf im Frühling 1945 so wichtig ist:

1. Bewertung Film Tone Bechter setzt mit seiner filmischen Dokumentation über die Toten von Lange- negg eine Forderung um, die UnivProf Dr Anton Pelinka in einem Aufsatz in den Mit- teilungen des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes im April letzten Jahres postulierte. Dort hielt Pelinka fest, dass die Geschichte des und das Gedenken an den österreichischen Widerstand(es) seit 1945 eine Angelegenheit einer kleinen Bildungselite war, welche die gesamte österreichische Gesellschaft kaum tangierte. Denn sie fand vorzugsweise in abgeschlossenen akademischen Zir- keln, zumeist auf Universitäten, nicht aber im sprichwörtlichen Volk, etwa an den Volkshochschulen, die dafür prädestiniert wären, statt.

Pelinka fordert daher in seinem Aufsatz eine Popularisierung der Widerstandsge- schichte ein, weil der geringe österreichische Widerstand gegen die NS-Herrschaft nach Ansicht von Pelinka „der herzeigbarste Aspekt der österreichischen Geschichte des 20. Jahrhunderts“ sei, um den herum man – ähnlich wie in Frankreich oder in Polen seit 1945 geschehen – positive nationale Identifikationsmuster bilden kann, die heute umso wichtiger sind als die EU ja die regionalen und nationalen Identitäten zusehends zu Gunsten einer diffusen europäischen Identität abbaut.

Tone Bechters Film über den missglückten bewaffneten Widerstand gegen die NS- Herrschaft in Langenegg in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945 tut eben das von Pelinka Eingeforderte: Er popularisiert diesen lokalen Widerstand gegen die NS- Herrschaft mit dem Medium des Films und eröffnet damit diesem „herzeigbarsten Aspekt der Langenegger Geschichte des 20. Jahrhunderts“ eine breitere Tiefenwir-

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 1 kung bzw. Wirksamkeit. Denn ein Film ist mobil und kann an unterschiedlichsten Or- ten und in unterschiedlichsten Kontexten gezeigt werden.

2. Nationalsozialisten in Langenegg – Ein Beispiel Als Basis für die Diskussion von Tones Films, aber auch des Widerstandes gegen die NS-Herrschaft hier im Montafon werde ich Ihnen in der nächsten halben Stunde einige Fakten über die Träger der NS-Herrschaft in Langenegg und in Gaschurn prä- sentieren, die Antworten auf meine in der Einladung zum heutigen Abend gemachte rhetorische Frage geben können. Diese Frage lautete:

Waren die lokalen NS-Funktionäre ausschlaggebend dafür, dass in Lange- negg in den letzten Kriegstagen im Mai 1945 Opfer zu beklagen waren, in Ga- schurn hingegen nicht?

Die Zeitzeugen in Tone Bechters Film haben bereits darauf verwiesen, dass die Na- tionalsozialisten in Langenegg keine Fremden waren und vor allem aus dem ärmeren Unterlangenegg stammten. So etwa Anton Hann. Er kommt im Film in zwei Hauptrol- len seines Lebens vor: Als Täter der NS-Diktatur und als Lebensretter. Diese Haupt- rollen teilt Hann mit vielen Österreicher/innen dieser Jahre. Sie waren Täter der NS- Herrschaft und konnten trotzdem in Einzelfällen Gutes tun – so wie Hann als langjäh- riger SA Chef, Zellenleiter und Organisationsleiter der NSDAP in Langenegg Verant- wortung für die NS-Diktatur trug, zugleich aber den beiden Lingenauer Widerstands- kämpfern, die bereits die Schlinge um den Hals hatten, mit seinem sicherlich muti- gem Einschreiten das Leben rettete. An Hann lässt sich zudem die Glaubwürdigkeit der Aussagen von Zeitzeugen in Tone Bechters Film und im Allgemeinen illustrieren. Die Aussagen der Zeitzeugen sind glaubwürdig.

Hann war tatsächlich einer der ersten Nationalsozialisten in Langenegg und wohnte in jenem Teil der Gemeinde, in dem nach der Aussage einer Zeitzeugin in Tones Film die Nationalsozialisten heimisch waren: in Unterlangenegg. Er entstammte aus einer dort angesehenen Familie. Sein Vater, ein gebürtiger Tiroler, war über viele Jahre Schulleiter, seine Mutter stammte aus einer über viele Jahrzehnte in Lange- negg ansässigen Bauernfamilie.

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 2 Anton Hann wurde am 1. Februar 1885 in Unterlangenegg geboren, absolvierte dort die achtjährige Volksschule und wurde 1906 zum Militärdienst beim 3. Regiment der Tiroler Kaiserjäger einberufen. Nach der dreijährigen Militärdienstzeit übernahm er die Landwirtschaft seiner Eltern. 1914/18 versah Hann als Feldwebel Kriegsdienst, vor allem als Kanzleikraft. 1920 wurde er zum Gemeindekassier von Langenegg be- stellt. Als solcher trat er 1934 der Vaterländischen Front bei. Ein Jahr später jedoch, am 8. April 1935, wurde Anton Hann Mitglied der NSDAP und SA – beide Organisa- tionen waren zu diesem Zeitpunkt in Österreich verboten. Anton Hann war also ein illegaler Nationalsozialist – und als Gemeindekassier ein Öffentlich Bediensteter je- nes österreichischen Staates, den die NSDAP mit Terror bekämpfte.

Nach einem Bericht des GP vom 8. Februar 1947 fanden „in der Verbots- zeit 1933 bis 1938 in dem Haus der [Familie] Hann nationalsozialistische Zusam- menkünfte statt“, weswegen es unter ständiger Beobachtung der staatlichen Behör- den stand. Die illegalen Aktivitäten von Anton Hann für die NSDAP bestätigte auch ein Bericht des Langenegger Bürgermeisters Josef Anton Bechter vom 20. Novem- ber 1945, der Hann gar als Führer der Langenegger illegalen NSDAP bezeichnete. Wenige Monate später (22. Juli 1947) widersprach Hann in einer Eingabe an das Bürgermeisteramt diesen Darstellungen heftig und führte u.a. aus:

Er sei der NSDAP erst nach dem 13. März 1938 beigetreten; er hätte diese nie ge- führt, sondern sei lediglich 1939 zum Zellenleiter von Unterlangenegg ernannt wor- den; er hätte sich zwischen dem 19. Juni 1933 (Parteiverbot) und dem 13. März 1938 nie für die NSDAP betätigt und er könne sich nicht erklären, warum er eine Partei- mitgliedsnummer aus dem Block der Illegalen und die Erinnerungsmedaille an den 13. März (eine Parteiauszeichnung) erhalten habe. Er vermutete, dass daran seine Frau Schuld habe:

Elise Hann, ebenfalls aus einer viele Jahrzehnte in Langenegg ansässigen Bauern- familie stammend, war im August 1934 „wegen Gutheißung ungesetzlicher Handlun- gen“ (Ermordung Dollfuß) anonym angezeigt und am Landesgericht Feldkirch vor Gericht gestellt worden. Das Verfahren gegen sie wurde jedoch nach wenigen Wo- chen eingestellt. Jene zwei Männer, welche Hann 1934 angezeigt hatten, stellten sich nach dem sog. Anschluss Österreichs im März 1938 bei den Hanns vor, ent-

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 3 schuldigten sich für ihre Denunziation und bezahlten den Hanns mehrere hundert Reichsmark „Bußgeld“. Anton vermutete in seinem Einspruch gegen seine Registrie- rung als illegaler Nationalsozialist im Juli 1947, dass er wegen des geschilderten Ver- fahrens gegen seine Frau im Sommer 1934 in den nach der Befreiung 1945 von den österreichischen Behörden auf Befehl der Alliierten und auf Grundlage eines öster- reichischen Gesetzes (Verbotsgesetz) erstellten Registrierungslisten als Illegaler auf- schien. Tatsächlich erfolgte Hanns Registrierung als Illegaler jedoch auf Grundlage parteistatistischer Erhebungsblätter, die von der NSDAP selbst erstellt worden waren und aus denen Hanns Beitritt zur NSDAP und SA am 8. Juli 1935 eindeutig hervor- ging.

In Hanns Personalakt der BH (Landrat) , wo Hann 1943 angestellt wurde, wird er zudem sowohl von der Behörde als auch der NSDAP als verlässlicher Natio- nalsozialist bezeichnet, der aufgrund seines politischen Engagements auch Privile- gien hatte: Als einziger der BH Angestellten erhielt Hann nämlich für die tägliche An- reise von Langenegg zum Dienstort in Bregenz eine Fahrtkostenentschädigung. Sei- ne Tochter und sein Sohn, die er beide ebenfalls bei der BH untergebracht hatte, erhielten dieses Privileg nicht. –

Hann war also sehr wohl illegaler Nationalsozialist, der während der NS-Diktatur von seiner politischen Überzeugung auch Vorteile hatte. Der Gendarmerieposten Linge- nau beschrieb Hann anno 1948 als einen Menschen, der aus seiner NS-Gesinnung keinen Hehl machte, auch gegenüber Nicht-Nationalsozialist/inn/en, der aber seine NS-Funktionen nie insbesondere gegen Nicht-Nationalsozialist/inn/en ausnützte oder sie zur persönlichen Bereicherung verwendete.

Die Amnesie von Anton Hann im Hinblick auf seine NS-Vergangenheit ist symptoma- tisch für viele Österreicher/innen dieser Jahre. Sie ist nichts Besonderes, sondern traf in Langenegg ebenso viele „Ehemalige“ wie in Deutschland oder in Österreich – oder hier im Montafon. Im Montafon etwa traten zwischen 1938 und 1945 in Summe 1.311 Männer und Frauen der NSDAP bei: In Bartholomäberg 152, in Gaschurn 200, in Lorüns 25, in Schruns 365, in 91, in St. Anton 28, in St. Gallenkirch 142, in 166, in 142.

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 4 Diese Amnesie wurde durch die österreichischen staatlichen Behörden und die vier Alliierten der Anti-Hitler-Koalition nach 1945 durchaus gefördert. So hielten die Alliier- ten etwa bereits im November 1943 im Zuge ihrer Moskauer Deklaration fest, dass Österreich das erste Opfer der imperialistischen NS-Außenpolitik war und erklärten dessen Wiedererrichtung als souveräner Staat zu einem ihrer Kriegsziele. Allerdings forderten die Alliierten die Österreicher/innen auf, zu diesem Kriegsziel einen eigen- ständigen Beitrag zu leisten. Das erklärt im historischen Rückblick, warum Aktivitäten wie jene in Langenegg am 1. Mai 1945 später zu folgenden Interpretationen führten:

"In vorbildlicher mutiger Weise hatten es die Langenegger gewagt, in ent- scheidender Stunde [...] gegen schuldige Hetzer zuzupacken, Zerstörungen zu verhindern und ihre Häuser gegen die zurückflutende, entwurzelte und plün- dernde SS-Soldateska zu schützen. Es war dies gegen einen solchen Gegner eine soldatische Tat ersten Ranges, aus Erbitterung und männlicher Ent- schlossenheit, aus Liebe zur Heimat und zu Österreich geboren."

Mit diesem Text wurde die Vorarlberger Bevölkerung im Herbst 1945 zu einer „Heldengedenkfeier“ für den 7. Oktober 1945 nach Langenegg eingeladen, wo unter Anwesenheit von Spitzen der französischen Militärregierung der „gefallenen Helden“ von Langenegg gedacht wurde. Eine wesentliche Adressatin dieser Feier war die Besatzungsmacht Frankreich, der mit dieser „Heldengedenkfeier“ die in der Moskau- er Deklaration eingeforderte österreichische Eigeninitiative bei der Befreiung Öster- reichs von der NS-Herrschaft drastisch vor Augen geführt werden sollte. Das ist die zeitgenössische Matrix, vor der wir als Nachgeborene diverse sog. Widerstandsakti- onen in den letzten Kriegstagen 1945 hier in verstehen sollten.

Diese Matrix ermöglichte es etwa, dass in Egg der langjährige nationalsozialistische Bürgermeister und Personalamtsleiter der NSDAP, Hans Felder, mit Unterstützung der französischen Militärregierung nach 1945 per amtlichem Bescheid zum patrioti- schen österreichischen Widerstandskämpfer mutierte, weil er dort die Sprengung zweier zentraler Brücken verhinderte – obwohl er während der NS-Herrschaft nach- weislich im Sinne der NS-Diktatur handelte und z.B. eine ukrainische Zwangsarbeite- rin der Gemeinde bei der Gestapo Außenstelle in Bregenz anzeigte bzw. sie dorthin überstellen ließ.

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 5 Diese zeitgenössische Matrix ermöglichte auch die Entstehung des Mythos über die Rettung des Montafon und insbesondere der Illwerke vor den „bösen zurückflutenden entwurzelten und plündernden“ deutschen Wehrmachts- und Waffen-SS-Einheiten.

3. Die letzten Kriegstage im Montafon Ende Mai 1945 forderte der französische Bezirksgouverneur für den Bezirk vom Bezirkshauptmann Graf Franz Terlago einen Bericht über die Befreiung Öster- reichs wenige Wochen zuvor an. In diesem Berichte sollte insbesondere auf die Ge- schichte der regionalen Widerstandsbewegung und deren Beitrag zur Befreiung des Landes von der NS-Herrschaft reflektiert werden. Der aus 28 Gemeindeberichten bestehende Gesamtbericht wurde im Jahr 2001 durch das Vorarlberger Landesar- chiv in seiner Reihe „Quellen zur Geschichte Vorarlbergs“ im Band 2 veröffentlicht.

In den 28 Gemeindeberichten, von den zuständigen Gendarmerieposten verfasst, lesen Sie Erstaunliches. Aus St. Gallenkirch berichtet Rayoninspektor Arthur Bösch etwa am 22. Juni 1945:

„Es hat sich schon früher im geheimen eine Widerstandsbewegung gebildet, die aus geflüchteten Soldaten und anderen Ortseinwohnern bestand. Sie konnte allerdings aus begreifliches Gründen nicht offen arbeiten, trat aber in den Umsturztagen mehr hervor.“

Nach Bösch gab es auf der Zamang gar „Partisanen“, die gemeinsam mit der ein- gangs erwähnten Widerstandsbewegung und den Ortseinwohner/innen von St. Gal- lenkirch etwa in der Nacht auf den 20. April 1945 rot-weiße-rote Papierstreifen und Aufrufe, eine NSDAP-Versammlung am Ort am nächsten Tag zu boykottieren, affi- chierten.

Später im Text identifiziert Bösch die vermeintlichen „Partisanen“ dann als sog. Wehrmachtsflüchtlinge, also Deserteure. Dass solche Deserteure im lokalen Wider- stand der letzten Kriegstage eine Rolle spielen konnten, darauf verweist ja auch To- ne Bechters Film, in dem einem Langenegger Deserteur ebenfalls eine tragende Rol- le beim Scharmützel mit deutschen Streitkräften in Langenegg am 1. Mai 1945 zu- kam.

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 6 In Gaschurn soll sich aus dem NS-Volkssturm in den letzten Kriegstagen 1945 ein „patriotischer Sicherheitsdienst“ mit bis zu 60 Männern unter Führung des Gastwirts und Kaufmanns Arthur Kessler gegründet haben. Kessler, am 16. November 1896 in Gaschurn geboren, war neben seiner Tätigkeit als Kaufmann und Gastwirt noch Auf- sichtsrat bei der Montafoner Bahn AG und war nach eigenen Angaben in seinem Registrierungsverfahren 1947 im Mai 1938 der SA und am 9. November 1938 der NSDAP beigetreten.

Nach dem von mir zitierten Bericht des GP Gaschurn vom 6. Juni 1945 soll Kessler und sein „Sicherheitsdienst“ Anfang Mai 1945 einen Trupp einer deutschen Pionier- kompanie entwaffnet und am Dorfeingang von Gaschurn Patrouillen installiert haben, die alle einmarschierenden deutschen Soldaten entweder zur Umkehr oder zur Ab- gabe ihrer Waffen zwang. Ähnlich soll in Partenen die lokale Widerstandsbewegung unter Romedius Boss kampfwillige deutsche Truppen zum Abzug überredet und das Personal der Flakstellung in Vermunt entwaffnet haben.

Das in den Gendarmerieberichten vom Mai und Juni 1945 für den französischen Mili- tärgouverneur von Bludenz gezeichnete Bild des Montafon als einem Tal voller wehrhafter überredungsstarker österreichischer Patrioten ist vor der zeitgenössi- schen Matrix der Forderung des Moskauer Memorandums so wirkungsstark, dass das andere Bild, das in den Berichten ansatzweise gezeichnet wird, kaum hervortritt:

Das ist das Bild der österreichischen Verantwortung für die NS-Diktatur. Dazu finden Sie in den zeitgenössischen vom Vorarlberger Landesarchiv 2001 publizierten Be- richten nur zwei vorsichtige Hinweise:

Rayoninspektor Bösch aus St. Gallenkirch am 6. Juni 1945 berichtet, dass sein Vor- Vorgänger Josef Burtscher am 6. Mai 1945, nur drei Tage, nachdem er das Amt ü- bernommen hatte, von der Widerstandsbewegung außer Dienst gestellt wurde, weil Burtscher bis zum 3. Mai Ortsgruppenleiter in gewesen war. Drei Wochen spä- ter wurde Wilhelm Nachbauer als Gendarm nominiert, der jedoch nach 14 Tagen im Dienst ebenfalls als ehemaliger Nationalsozialist entlassen und durch die französi- sche Gendarmerie verhaftet wurde. In Gaschurn, so der Bericht von Bösch, verhiel- ten sich die Nazi nach der Befreiung „sehr ruhig“. Dieser Hinweis ist zumindest ein

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 7 Indiz dafür, dass es etwa in Gaschurn neben den guten österreichischen rund 60 Männern des Sicherheitsdienstes, die vom NSDAP Mitglied Arthur Kessler geführt wurden, auch andere Nationalsozialisten gab, die sich „sehr ruhig“ verhielten.

Waren diese Nationalsozialisten wie etwa der Nationalsozialist Anton Hann in Langenegg Einheimische – oder wie es in Bericht der Gemeinde vom Mai 1945 hieß „fremde Elemente“, die „durch den Bau der Illwerke in Parthenen herbeigeführt“ worden waren und „die politischen Gegensätze schärfer“ aus- prägten „als dies sonst der Fall wäre“???

4. Sozialprofil der NSDAP in Gaschurn In Gaschurn wurden mit Stichtag 14. November 1947 exakt 200 Männer und Frauen als Mitglieder ehemaliger NS-Organisationen wie NSDAP, SA und SS registriert. Ga- schurn und Partenen sollen damals rund 3.500 Einwohner/innen gezählt haben, m.a.W. rund 5,7 % der Bevölkerung waren in der NSDAP organisiert. Das sind drei Mal weniger als in Langenegg, wo der Organisationsgrad bei rund 17 % lag, und zweimal weniger als im Vorarlberger Landesdurchschnitt, wo er bei rund 10 % lag.

In die Registrierungslisten ehemaliger NSDAP Mitglieder wurden nur die zum Stich- tag anwesenden Personen eingetragen, ehemalige NSDAP Mitglieder, die noch in Kriegsgefangenschaft waren oder geflüchtet waren wie der schon erwähnte Gen- darmerieinspektor Josef Burtscher wurden nicht registriert.

Von den 200 in Gaschurn verzeichneten Nationalsozialist/inn/en waren 58 in Ga- schurn und 16 in Partenen geboren, weitere elf im Montafon und weitere 40 in Vor- arlberg. Das sind rund 63 % Vorarlberger „Einheimische“ unter den Gaschurner Nati- onalsozialist/inn/en, von denen wiederum rund 60 % in Gaschurn oder Partenen ge- boren waren. Es waren also nicht die durch den Bau der Illwerke in Partenen „her- beigeführten fremden Elemente“, welche in Gaschurn der NSDAP beitraten, sondern die dort bzw. in Vorarlberg geborenen und aufgewachsenen Menschen.

Wie österreichisch die NSDAP in Gaschurn war, zeigt der Anteil an österreichischen Staatsbürgerschaften unter den Gaschurner Registrierten: Er betrug 88 %, nur ein einziger der in Gaschurn Registrierten war deutscher Staatsbürger. In Langenegg lag

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 8 der Anteil an österreichischen Staatsbürger/innen bei 95 %, in ganz Vorarlberg bei 96 %.

Das älteste Mitglied der NSDAP in Gaschurn war der am 1. November 1870 in Ga- schurn geborene Landwirt Franz Sandrell, der im September 1938 mit 68 Jahren der NSDAP beitrat. Das jüngste Mitglied war der am 23. September 1921 in Gaschurn geborene Schlosser Ernst Witwer, der 1940 mit 19 Jahren sowohl der NSDAP als auch der SA beitrat.

Die stärkste Altersgruppe unter den Gaschurner Nationalsozialisten waren 1945 die 40-50-jährigen mit 35 % vor den 30-40-jährigen mit 32 %, m.a.W. heißt das, dass über zwei Drittel der NSDAP Mitglieder in Gaschurn den Entschluss zum Beitritt zur Partei Adolf Hitlers in einem Alter wagten, in dem sie alt genug waren, um einen sol- chen Schritt abschätzen zu können. Arthur Kessler etwa, der Leiter der Gaschurner Widerstandsbewegung war sieben Tage vor seinem 42. Geburtstag, rund ein halbes Jahr nach dem sog. Anschluss Österreichs an NS-Deutschland nämlich am 9. No- vember 1938 in die NSDAP eingetreten – und wenige Wochen nach dem sog. An- schluss, im Mai 1938, bereits in die SA.

Ein Drittel aller Parteibeitritte (35,3 %) in Gaschurn erfolgte im Jahr 1938, das Gros mit 48,6 % allerdings erst 1939. Kessler war daher mit seinem Beitritt durchaus früh dran – im Hinblick auf den SA Beitritt folgte er jedoch dem Trend, denn über die Hälf- te aller in Gaschurn als SA Mitglieder verzeichneten Männer setzte diesen Schritt bereits 1938 (53,2 %. 1939: 16,1 %). Der aus Gaschurn gebürtige SA Sturmführer Josef Bergauer war der SA bereits zu deren Verbotszeit, im Sommer 1936 beigetre- ten.

Hinsichtlich des Berufsprofils der NSDAP in Gaschurn komme ich zu einem Befund, den ich auch in Langenegg vorfand: Die NSDAP war in Gaschurn wie in Langenegg ein Abbild der sozioökonomischen Verhältnisse vor Ort. Während in Langenegg, wo es während des Zweiten Weltkriegs keinen nennenswerten Handel oder Industrie gab, der Anteil an Bauern unter den NSDAP Mitgliedern bei 61 % lag – und damit die Berufsstruktur des Ortes nahezu ident abbildete – lag der Anteil an Bauern in Ga- schurn bei nicht ganz einem Viertel (23,8 %) und jener der Arbeiter, die in Lange-

Univ Doz Dr Weber Vortrag Schruns 9. Mai 2007 9 negg fast gar nicht vorkommen, in Gaschurn bei etwas weniger als einem Fünftel (18,8 %). Der Hinweis auf die Illwerke Baustellen etwa in Vermunt reicht aus, um diesen hohen Arbeiteranteil zu erklären, der im Vorarlberg Vergleich jedoch wieder stimmig ist. Gleich hoch wie der Anteil der Arbeiter ist in Gaschurn der Anteil an Handwerkern, was sich ebenfalls mit dem Hinweis auf die vorhandenen industriellen Baustellen erklären lässt, ebenso der Anteil von Angestellten mit 12,4 % und der öf- fentlich Bediensteten mit 8,9 %.

Die NSDAP in Gaschurn wie in Langenegg war also eine dort heimische Partei, die wesentlich von Menschen am Ort getragen wurde, die gut in der lokalen Bevölkerung verankert waren. Das erklärt für mich im Falle Langenegg den späten und letztend- lich blutig gescheiterten Widerstand gegen die NS-Herrschaft am Ort, der erst auf den Plan trat, als die französischen Kampfeinheiten beinahe in Rufweite waren. Denn die Eigenen bekämpfen man später als die Fremden.

Im Falle Gaschurn drängt sich auf meine rhetorische Frage in der Einladung der Montafon Museen zur heutigen Veranstaltung angesichts der frühen NSDAP und SA Mitgliedschaft des Leiters der Widerstandsbewegung Arthur Kessler eine sehr schlüssige Antwort auf: Ja, es waren die lokalen Eliten, die das unblutige Ende er- möglichten, weil sie sowohl zur NS-Elite als auch zur Widerstandselite zählten. In Langenegg war dies nicht so. Anton Hann etwa blieb im Unterschied zu Arthur Kess- ler der NSDAP bis zum sog. Zusammenbruch treu und trat nicht in die Bregenzer- wälder Widerstandsbewegung ein.

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