IMPULSE

Das - Syndrom

Versuch eines differenzierten Blicks

JOACHIM KLOSE Geboren 1964 in Eberswalde, war Grün- verlieren“. Wissenschaftliche Institute und dungsdirektor der Katholischen Aka- Kultureinrichtungen in fürchten demie des Bistums Dresden-Meißen, um den Ruf ihrer Stadt. Ganz Deutschland ist Landesbeauftragter der Konrad- steht vor der Frage, wie es zu verstehen Adenauer-Stiftung für den Freistaat ist, dass bis zu 25.000 Menschen auf die Sachsen, Leiter des Politischen Bildungs- Straße gegangen sind und dabei auch rech- forums Sachsens und Moderator der AG ten „Rattenfängern“ folgten. Was wird 13. Februar der Stadt Dresden. hinter den vielen Sprechblasen und Stereo- typen eigentlich zum Ausdruck gebracht? Die „Patriotische(n) Europäer gegen In der Wahrnehmung der deutschen Öf- die Islamisierung des Abendlandes“ wur- fentlichkeit scheint Pegida ein lokales den nicht aufgrund der Asyldebatte Dresdner Phänomen zu sein. Für interna- gegründet. Stein des Anstoßes waren Soli- tionale Medien1 handelt es sich dagegen daritätskundgebungen für die in Deutsch- um eine Gruppe, „die die Uhren im mo- land verbotene Arbeiterpartei Kurdistans dernen Deutschland stoppen will“. Man (PKK) und deren bewaffneter Kampf ge- höre „Parolen, die an die dunkelsten Kapi- gen den sogenannten Islamischen Staat. tel deutscher Geschichte erinnern“, weil , mehrfach mit dem Straf- „der Wutbürger fürchtet, sein Land zu recht in Konflikt geratener Erfinder von

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Pegida, beschrieb es so: „Nach einer Ak- lifiziert und finanziell besser situiert als tion von PKK-Anhängern auf der Prager der sächsische Durchschnitt. Auch sind Straße wollten wir etwas tun. Dort wur- sie durchschnittlich stärker politisch en- den Waffen für die verfassungsfeindliche gagiert – immerhin 82 Prozent gehen und verbotene PKK gefordert – da bin ich zur Wahl (die Wahlbeteiligung bei der dagegen. Also gründeten wir eine Face- Landtagswahl im September 2014 lag bei book-Gruppe.“ 2 Der Begriff der „Islami- 49 Prozent). Religionssoziologisch bilden sierung“ richtet sich nach Darstellung der sie exakt die Verhältnisse im Freistaat Namensgeber nicht gegen den Islam, son- Sachsen ab: eine klare Mehrheit besitzt dern gegen den islamistischen Terror, von keine Religionszugehörigkeit, 25 Prozent dem man befürchtete, dass er nach Deutsch- bekennen sich als Christen. Erstaunliche land hineingetragen würde. 77 Prozent der Befragten geben nicht den Die stark in Gang gekommene Asyl- Islam als Grund ihres Engagements an. und Flüchtlingsdebatte in Deutschland Der Autor einer der Studien, Werner Pat- führte dazu, dass die seit Mitte Oktober zelt, geht davon aus, dass ein Drittel der organisierten montäglichen „Spaziergänge“ Teilnehmer rechtsnational-xenophob ein- wachsende Resonanz fanden und medial gestellt ist, aber zwei Drittel durchaus die wahrgenommen wurden. So stieg die Teil- Mitte der Gesellschaft repräsentieren. Die nehmerzahl nach Polizeiangaben von et- teilnehmenden Hooligans, zu der die Mehr- wa 350 am 20. Oktober 2014 auf mehr als zahl der Demonstranten zunehmend auf 25.000 am 12. Januar 2015 an, was die Distanz geht,5 werden auf 500 bis 800 Per- Höchstzahl markierte. Am 17. März 2015 sonen geschätzt.6 sind es nach Polizeiangaben wiederum Folgendes lässt sich nach meiner Ein- 7.700 Demonstranten gewesen. schätzung sagen: Die Asyldebatte ist eher eine Art Katalysator für eine bisher über- sehene, tief empfundene Krisenstimmung. WER DEMONSTRIERTE Was Pegida nun deutlich werden lässt, ist MIT PEGIDA? eine Verunsicherung, die man vor allem als Heimatverlust beschreiben kann. Sie wurde verursacht durch die demografi- Drei Studien über die Demonstrationsteil- sche Schrumpfung, durch gänzlich ver- nehmer liegen vor.3 Obwohl ihre Aussage- änderte Sehgewohnheiten aufgrund bau- kraft zu Recht infrage gestellt wurde, da lich-struktureller Veränderung und den die Ergebnisse aufgrund der geringen Verlust sinnstiftender Bilder. Hinzu kam Auskunftsbereitschaft der Demonstranten ein Gefühl der Ungerechtigkeit: So wird nicht als repräsentativ gelten können,4 es auch 25 Jahre nach der Friedlichen Re- stimmen die Studien in bemerkenswerter volution als ungerecht empfunden, dass Weise miteinander überein. So ergibt sich sich aus der ehedem egalitären Gesell- am Ende ein zumindest charakteristisches schaft Gewinner und Verlierer herauskris- Profil der Pegida-Demonstranten. Dem- tallisiert haben und der Abstand zu den nach beträgt das Durchschnittsalter 46 bis Gewinnern trotz individueller Anstren- 48 Jahre. Circa achtzig Prozent der De- gungen nicht kleiner, sondern größer monstranten sind männlich, höher qua- wird.

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MOTIVE: NEID UND ANGST Gegenteil ist richtig: Gefühlte Bedrohun- gen erscheinen größer als reale. Im Grunde ist Pegida kein wirklich Zwei Begriffe sind prägend für das Klima politischer Protest, da ein Diskurs verwei- im Umfeld von Pegida: Neid und Angst – gert wird.7 So wirken Pegida-Demos eher Neid gegenüber diesen asymmetrischen wie kultische Handlungen, bei denen Un- Entwicklungen sowie Angst, zu den Ver- zufriedenheit pauschal, aber gemeinschaft- lierern zu gehören und den mühsam erar- lich zum Ausdruck gebracht wird. Da man beiteten Lebensstandard nicht halten zu sich tabuisiert und in ungerechtfertigter können. Hinzu kommen Krisen, die die Weise in die nationalsozialistische Ecke individuelle Wahrnehmung verändern – gestellt fühlt, entladen sich die Emotionen wie die Finanzkrise und die internationa- bei den Demonstrationen umso heftiger. len Konflikte in der Ukraine und im Nahen Durch die seit Jahren immer am 13. Fe- Osten sowie die Zunahme der Kriminali- bruar, dem Datum der Zerstörung der tät im grenznahen Raum in Sachsen. Stadt 1945, stattfindenden Auseinander- Dresden ist prädestiniert, um dieser setzungen hat sich die Öffentlichkeit stär- Krisenstimmung Anknüpfungspunkte zu ker polarisiert als anderenorts. Gewaltbe- bieten: Zwar floss seit 1990 viel öffentli- reite Hooligans und Rechtsextreme treffen ches und privates Geld nach Dresden. Das auf eine vor Gewalt nicht zurückschre- hat die Schönheit der Stadt wieder zum ckende linke Szene. Im vergangenen Jahr Tragen gebracht. Allerdings profitieren ist es erstmalig gelungen, die Rechtsextre- nicht alle davon: Siebzehn Prozent der men am 13. Februar aus dem Stadtbild Haushalte in den Plattenbauvierteln sind zu verdrängen. Die „AG 13. Februar“, ein inzwischen aufgrund von Konsumkredi- runder Tisch in der Stadt Dresden, an ten überschuldet. Die Menschen dort kön- dem Vertreter der Parteien, Gewerkschaf- nen mit der gesellschaftlichen Entwick- ten, Kirchen und der jüdischen Gemein- lung oft nicht mehr mithalten. Am säch- de, Vereine und Verbände teilnehmen, or- sischen Dialekt wird deutlich, wer hei- ganisierte eine Menschenkette, die den misch und wer hinzugezogen ist. So wird Stadtkern umschloss und zum Ausdruck täglich offenbar, dass die Personen auf der brachte, dass der Missbrauch dieses Da- oberen gesellschaftlichen Ebene meist aus tums durch „Rechte“ nicht hingenommen den alten Bundesländern stammen. Arme wird. Der linksextreme Flügel aber, der „Wessis“ kommen aber fast gar nicht vor. sich nicht auf Gewaltfreiheit und Rechts- Dass sich die bundesdeutsche Öffentlich- staatlichkeit einigen kann und sich im Ak- keit den Migranten zuwendet, nicht aber tionsbündnis „Dresden nazifrei“ sammelt, den Benachteiligten im Osten Deutsch- wirft diesem bürgerschaftlichen Engage- lands, wird als erneute Zurücksetzung ment vor, untätig und vor allem unwirk- empfunden. Dabei erzeugt die Zuwande- sam zu sein. Dieses Aktionsbündnis sieht rung, selbst wenn sie vergleichsweise ge- sich selbst als Retter der Stadt. ring ist, neue Verunsicherung, neuen Neid Als die Pegida-Demonstrationen im und neue Ängste. Das geschieht unabhän- Oktober 2014 starteten, fanden sie zu- gig davon, ob diese Wahrnehmungen den nächst relativ unbeobachtet von Medien objektiven Tatsachen entsprechen. Das und Öffentlichkeit statt. Einzig die linke

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Szene organisierte Gegendemonstratio- STIGMATISIERUNG VON nen mit Plakatparolen wie „Gegen Rassis- GESPRÄCHSANGEBOTEN mus“, „Gegen Fremdenfeindlichkeit“ und „Gegen Heimat“. Eine erste Zuspitzung erfolgte am 15. November 2014, als die So kritisiert das Bündnis Initiativen, die „Besorgten Eltern“, eine Initiative gegen einen Dialog mit Pegida-Demonstranten die Lehrplanänderungen beim Sexualkun- versuchen wollen. Ein montäglicher Kehr- deunterricht in Baden-Württemberg,8 ei- aus, bei welchem mit Besen und Warn- ne Veranstaltung auf dem Theaterplatz weste der „Pegida-Dreck“ symbolisch weg- anmeldeten und den Rechtspopulisten gekehrt wird, markiert das Gegenteil von Jürgen Elsässer auftreten ließen, der so- Dialogbereitschaft.11 Alle vorsichtigen Ge- gleich die Brücke zu den Montagsdemons- sprächsversuche mit Pegida-Befürwortern, trationen von Pegida schlug.9 Oberbürger- wie sie etwa vom Direktor der Sächsischen meisterin Helma Orosz bat im Vorfeld Landeszentrale für politische Bildung an- dieser Veranstaltung darum, dass sich gestrengt werden, oder analytische An- die „ AG 13. Februar“ des Themas Zuwan- sätze, die das Phänomen zu verstehen ver- derung und Migration annehme, auf suchen, wie sie der Politikwissenschaftler rechte Provokationen reagiere und Pegida Werner Patzelt vornimmt, werden bei- im Blick behalte. So unterstützte die AG spielsweise mit anonymen Flugblättern12 den Aufruf zur Gegendemonstration, in- diskreditiert. formierte die Presse über Pegida und half, Dialog in einem solchen gesellschaft- den Sternmarsch am 9. Dezember 2014 lichen Kontext ist schwierig. Nachdem die zu organisieren. Dieser war das erste sicht- Pegida-Demonstrationen nach Weihnach- bare Zeichen, das von einer breiten Bür- ten wieder eingesetzt hatten und der Kon- gerschaft getragen wurde und für einen flikt um den 70. Jahrestag der Zerstörung bürgerschaftlichen Konsens gegen Pegida der Stadt drohte, organisierte die Konrad- steht. An diesem Tag sahen sich 9.000 Adenauer-Stiftung zwei Veranstaltungs- Bürger 10.000 Pegida-Demonstranten ge- reihen: „Pegida ausbuchstabieren“ 13 und genüber.10 Als aber auf der Seite der Pe- „Pegida hinterfragen“ 14. Zu den Abenden gida-Gegner ein Vertreter von „Dresden der ersten Sequenz kamen jeweils mehr als nazifrei“ zuerst das Wort ergriff und den 500 Personen, um miteinander in offener Anspruch erhob, dass dieses Bündnis die und fairer Weise zu diskutieren.15 Es zeigte Gegenveranstaltung organisiert habe, war sich, dass die Mitte der Gesellschaft anwe- es mit dem Konsens wieder vorbei. Von send war und durchaus dialogfähig ist: den folgenden Montagsdemonstrationen Die Hälfte des Publikums entsprach dem hat sich die Bürgergesellschaft wieder gewohnten einer abendlichen Bil- zurückgezogen und den Extremen die dungsveranstaltung, ein Drittel waren be- Straße überlassen. Das Aktionsbündnis kennende Pegida-Demonstranten und „Dresden für alle“, welches sich im An- etwa ein Sechstel konnte dem linken Spek- schluss formierte, blieb ein Deckmantel für trum zugeordnet werden. linke Aktivitäten, die die Mitte der Gesell- Das Ergebnis ist: Die Teilnehmer der schaft nicht erreichen und nicht integrativ Pegida-Demonstrationen fühlen sich mehr- wirken. heitlich dem bürgerlichen Lager zugehörig,

122 Die Politische Meinung Das Pegida-Syndrom, Joachim Klose aber nicht mehr von der Politik repräsen- 1 Sächsische Zeitung, 7. Januar 2015, S. 4: Wie die tiert. Das hat die CDU in Sachsen erkannt Welt Pegida sieht. Ausländische Medien be- richten über die Demokratie in Dresden – nicht und bietet Dialogforen an, um neue Brü- nur besorgt und kritisch. 16 cken zu diesen Bürgern zu bauen. Dass 2 http://www.bild.de/regional/dresden/demonstra- dieser Dialog und die intensive sowie tionen/pegida-erfinder-im-interview-38780422. kritische Auseinandersetzung mit Pegida bild.html. 3 http://tu-dresden.de/aktuelles/newsarchiv/2015/1/ hilfreich sind, zeigt die Entwicklung: pegida_pk, http://tu-dresden.de/die_tu_dresden/ Pegida teilte sich in einen radikalen und fakultaeten/philosophische_fakultaet/ifpw/polsys/ einen politikinteressierten Flügel.17 Das for/pegida, https://www.otto-brenner-stiftung.de/ fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/Pegida/ wird zur Folge haben, dass die Bewegung Pegida-Report_Berlin_2015.pdf. entweder zerläuft oder sich radikalisiert. 4 http://www.mdr.de/fakt/fakt_pegida_studie_ Sollte der radikale Flügel die Oberhand kritik100.html, http://www.dnn-online.de/dresden/ gewinnen, muss er mit allen rechtsstaatli- web/dresden-nachrichten/detail/-/specific/ Harte-Kritik-an-Pegida-Studie-der-TU-Dresden- chen Mitteln bekämpft werden. Die Teil- 3529812757. nehmer aus der bürgerlichen Mitte wer- 5 FAZ, 30. Januar 2015, Stefan Locke: „Nichts mehr den sich dann schämen, einst unter dem mit Gida – Die Dresdner Bewegung bricht im Streit auseinander“. Label „Pegida“ mit auf die Straße gegan- 6 http://www.spiegel.de/sport/fussball/pegida-in- gen zu sein. Sie sollten vor allem darin be- dresden-fussball-hooligans-sind-bei-demos-dabei- stärkt werden, weiterhin der von rechts a-1012700.html. und links propagierten Logik von Gewalt 7 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 18. Januar und Gegengewalt zu entrinnen. Dieser 2014, Byung-Chul Han: „Zuhören! Pegida ist kein politischer Protest, sondern ein Angstsymptom“. Logik müssen starke Bilder entgegen- 8 https://www.youtube.com/watch?v=0jRiz3WKT64. gestellt werden. Die Menschenkette am 9 https://www.youtube.com/watch?v=Gnt3dHm59ss. 13. Februar ist ein geeignetes Mittel dazu. 10 http://www.dw.de/dresden-pro-und-contra-pegida/ Positiv ist jedoch, dass nun in allen gesell- av-18117757. schaftlichen Bereichen wieder über Politik 11 http://www.deutschlandradiokultur.de/kuenstler- protest-in-dresden-mit-besen-und-weste-gegen- geredet wird. Aufgabe ist es nun, dieses pegida.1008.de.html?dram:article_id=307819. Interesse für die politische Gestaltung zu 12 https://www.addn.me/uploads/2015/01/Kritik-an- nutzen. Patzelts-Pegida-Analyse.pdf. Während die Fragen der Asylproble- 13 http://www.kas.de/wf/doc/kas_14829-1442-1-30.pdf? 150108152531. matik durch Transparenz der Zuwande- 14 http://www.kas.de/wf/doc/kas_14925-1442-1-30.pdf? rungsregeln, integrative Ansätze und 150123122322. klare Positionierung politisch zu lösen 15 http://www.kas.de/sachsen/de/publications/40118, wären, sind die Themen des Verlustes von http://www.kas.de/sachsen/de/publications/40125, Sicherheit und Geborgenheit innerhalb http://www.kas.de/sachsen/de/publications/40136/. 16 http://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-01/ der Bevölkerung langfristige Aufgaben. pegida-forum-diskussion-landesregierung. Sie sind eine Herausforderung für alle 17 http://www.deutschlandfunk.de/nach-pegida- gesellschaftlichen Träger und haben zu spaltung-wir-sind-uns-viel-zu-sicher.858.de.html? tun mit Annahme, Beheimatung und Zu- dram:article_id=310300. kunftsfreude.

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