Paris, Stadt Meiner
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14 | Film & Medien | 33 | 18. August 2011 33 | 18. August 2011 | Film & Medien | 15 FILME IN KÜRZE Zerrissener Propaganda-Held Locarno: Die Kunst Bei Paris fallen mir Belle | Maria „ Windhager | r ist der personifi zier- Époque und 20er ein. Nos- Paris, Stadt meiner braucht Unterhaltung Ete US-Patriotismus: Der 1941 erstmals im Co- talgie ist aber eine Falle: Das Filmfestival öffnete sich dem hastigen Hollywood- mic in Erscheinung ge- | Mainstream. Im Wettbewerb dominierte Langsamkeit. | Community tretene, später zum Ana- Sie lässt dich die schlech- chronismus gewordene Superheld Captain Ame- ten Dinge ignorieren. | Von Matthias Greuling | Designschutz oder rica feierte nach 9/11 ei- ne Renaissance. Nun elten zuvor hatte Locarno eine solche Medienöffentlichkeit. Das lag Freiheit der Kunst kommt seine Geschich- “ aber nicht daran, dass am Samstag mit der schweizerisch-argenti- te ins Kino: Die USA sind S nischen Koproduktion „Abrir puertas y ventanas“ (Bild unten) ein gerade in den Zweiten TRÄUME kleines, feines Kammerspiel um drei Mädchen, die um ihre Großmut- er Luxusgüterhersteller Louis Weltkrieg eingetreten. ter trauern, den Goldenen Leoparden und den Preis für die beste Haupt- DVuitton hatte Anfang dieses Durch ein gewagtes Ex- Nächste Station: Rom darstellerin Maria Canale erhielt. Regisseurin Milagros Mumenthaler Jahres vor einem holländischen periment wird aus einem herzens- hat mit großer fi lmischer Statik die Ängste und die Entwicklungen der Gericht eine einstweilige Verfü- guten Schwächling (Chris Evans) ie nächste Station auf Woody Allens Frauen beschrieben, und damit einen der beachtenswertesten Beiträge gung gegen die Malerin Nadia ein muskelbepackter Supersoldat. Europa-Dreh-Tour ist Rom: Er fi lmt dort in einem überwiegend spröden Wettbewerb gestellt. Plesner erwirkt. Sie sollte pro Tag Anfangs wird er nur in Propagan- D momentan „The Bop Decameron“ mit Nein, der Grund für die Medienaufmerksamkeit waren die großen Na- 5000 Euro für den Eingriff in das dashows eingesetzt, doch dann Alec Baldwin, Jesse Eisenberg, Ellen Page, Pe- men, mit denen Festival-Leiter Olivier Père in diesem Jahr auftrumpfte. Geschmacksmusterrecht von Lou- wirft er sich in die Schlacht gegen nélope Cruz, Roberto Benigni, Judy Davis – und Mit Daniel Craig und Harrison Ford kamen zwei Kaliber hierher, die man is Vuitton bezahlen. einen deutschen Superschurken ihm selbst in den Rollen, als „Amerikaner, der gewöhnlich nur in Cannes oder Venedig zu sehen bekommt – aber Locar- Die Malerin wollte mit ihrem Ge- (Hugo Weaving), der die USA und mit seiner Frau nach Rom reist, weil seine Toch- no, das als Festival für die hohe Filmkunst gilt – will und muss sich dem mälde „Darfurnica“ (in Anlehnung das Dritte Reich gleichermaßen un- ter dort einen Italiener heiraten will“, wie er im Mainstream öffnen, will es weiterhin in der A-Liga mitspielen. Zuletzt be- an Pablo Picassos „Guernica“) die terjochen möchte. Wer Comicver- Gespräch mit der FURCHE verrät. kam Locarno im eigenen Land Konkurrenz: Denn das Festival in Zürich Aufmerksamkeit auf Hunger und fi lmungen mag, dem kann „Cap- nimmt viel Geld in die Hand, um ebenfalls mit großen Namen zu glänzen. Armut in der sudanesischen Pro- tain America – The First Avenger“ Chris Evans gibt DIE FURCHE: Warum wählten Sie für „Midnight vinz Darfur lenken. Auf dem Ge- nur empfohlen werden. Ein Su- den Captain in Paris“ das Paris der 20er-Jahre? Klingende Namen und ein Ehrenleopard für Abel Ferrara mälde fi ndet sich auch die Darstel- perheldenfi lm in historischen America – ein Woody Allen: Zuerst hatte ich den Titel im Kopf, lung eines abgemagerten Buben, Kos tümen – das ist sehr char- herzensguter doch ich wusste noch nicht, was um Mitter- Daher hat Père neben der Premiere des sinnfreien Blockbusters „Cow- den Plesner mit einem Paris-Hil- mant, auch wenn Design und Fri- Schwächling, der nacht in Paris passieren würde. Wenn ich an Pa- boys & Aliens“ auch noch weitere klingende, wenngleich gehaltvollere ton-Chihuahua und einer Tasche suren nicht hundertprozentig zu einem muskel- ris denke, fallen mir die Belle Époque und die Namen parat: Abel Ferrara erhielt einen Ehrenleoparden fürs Lebens- im Louis-Vuitton-Design ausgestat- stimmen. Der Film spielt auch bepackten Super- 20er-Jahre ein, die besten Künstler jener Zeit, werk und durfte auf der Piazza Grande auf seiner Mundharmonika spie- tet hat. Dieses Motiv fand sich auch damit, dass der Superheld ur- soldaten wird. wie die Leute in Bars Absinth trinken, die schö- len. So beherzt, dass man ihn gewaltsam durch Ausblendung des Tons auf Postern und T-Shirts. Der Ver- sprünglich nur eine Propaganda- nen Dinge. Nostalgie ist aber eine Falle: Sie lässt stoppen musste. Gérard Depardieu kam, um über seine Filme mit Mauri- kaufserlös wurde einer karitativen fi gur war. Leider bleiben die Ne- dich die schlechten Dinge ignorieren. In dieser ce Pialat zu sprechen und traf bei der Gelegenheit auf Isabelle Huppert, Organisation für Darfur gespendet. benfi guren blass. Und auch Tatsache fand ich für den Film das Potenzial für die ebenfalls einen Ehrenpreis erhielt. „Ich verstehe das Kino als einen Die Einstweilige Verfügung wur- Captain Americas Zerrissenheit Probleme, die ihn spannend machen könnten. Ort für alle Menschen“, sagt Olivier Père. „Das schließt den Arthaus-Film de im Mai vom Bezirksgericht Den zwischen martialischer Physis DIE FURCHE: Gibt es etwas, das Sie nostalgisch „Midnight in Paris“: Woody Allen versucht sich einmal mehr am Lebensthema liche: Schlag Mitternacht fi ndet Gil mal mehr, wie es Allen gelingt, die ebenso ein wie den Blockbuster. Kino ist Kunst, aber auch Unterhaltung.“ Haag mit Hinweis auf die Europä- und sensibler Psyche hätte mehr werden lässt? | Bewusstsein vs. Unterbewusstein. Und lässt manches Klischee nicht aus. | eine vollbesetzte 1920er-Karosse nächste Facette seines alten The- Keine neue Weisheit, aber eine wahre. ische Menschenrechtskonvention Raum verdient. (Michael Kraßnitzer) Allen: Wenn ich zum Beispiel an etwas in mei- vor, wird steigt hinein – und gerät mas zu entwickeln. Obwohl sich Père geradezu frenetisch über seinen diesjährigen Wett- aufgehoben: Demnach muss ei- ner Kindheit denke, dann wünschte ich für ei- so ins Paris dieser Zeit. Er trifft al- Die größte Schwäche an diesem bewerb freute („Ein überaus starker Jahrgang“), blieben die Reaktionen ne Abwägung zwischen dem nen Moment, ich wäre noch dort, ein Sandwich | Von Otto Friedrich | les, was auch bei Hemingway Rang Opus liegt darin, dass sich der Fil- darauf eher verhalten. Die meisten Geschichten, die hier erzählt wurden, durch das Geschmacksmuster ge- Captain America essend und ein Comic-Buch lesend, und alles und Namen hat (Scott Fitzgerald memacher zu sehr auf touristische sind mindestens so dünn wie jene aus dem Blockbuster-Fach; nur kom- schützten geistigen Eigentum von USA 2011. Regie: Joe Johnston. Mit wäre schön. Überlege ich dann aber länger, fällt aris – Ein Fest fürs Le- am rechten Rand der Republika- und seine trinkende Gemahlin Zel- Klischees von Paris verlässt: Al- men sie ohne Effekte aus und provozieren mitunter arge Langatmigkeit. Louis Vuitton und der Kunst- und Chris Evans, Hayley Atwell, Hugo Wea- mir ein, dass es ziemlich schrecklich war. Und ben. So lautet der Titel ner angesiedelt sind, was den libe- da, Hemingway, Joyce etc.). Und er len fantasiert Paris mit der Atti- „Low Life“, „Mangrove“ oder „El año del tigre“ – sie alle zelebrieren un- Meinungsfreiheit vorgenommen ving, Stanley Tucci. Universal. 123 Min wer würde schon zu einem Zahnarzt in den des Buches, in dem der ralen Gil zur Weißglut bringt (und gerät in die Fänge der Surrealisten, tüde eines US-Touristen, der eben ter dem Label „Filmkunst“ unendliche Langsamkeit. Mia Hansen-Løves werden. Diese wurde nun vom Ge- 20er-Jahren gehen wollen, als es noch kei- alte Ernest Hemingway vice versa). Rachel nimmt außer- von Picasso über Dalí bis zu Filme- seinen Hemingway und einige Rei- „Un amour de jeunesse“, mit einer lobenden Erwähnung bedacht, ist das richt zugunsten der Kunst- und Mei- ne Anästhesie gab? seine Erfahrungen in dem Gils Ambitionen, einen Ro- macher Luis Buñuel. Und Gertrude seführer gelesen hat. Man merkt Ärgernis dieses Festivals: Klischeeüberladen zimmert sie die Fantasie ei- nungsfreiheit entschieden: Ein Gesamtbild nur zu erahnen DIE FURCHE: All Ihre Filme sind in Pder Seine-Metrople nach Ende des man und nicht bloß Blockbuster- Stein (Kathy Bates) nimmt sich – (wie zuletzt auch bei den etwa in ner immerwährenden Teenager-Liebe. Innovationen sehen anders aus. weltweit bekannter Luxusgüter- warmem Licht gehalten – trotz der oft Ersten Weltkriegs beschreibt. Von Drehbücher zu schreiben, nicht wie bei den anderen – auch des Ro- Immerhin zeigte die Jury mit dem israelischen Beitrag „Hashoter“ (Ju- hersteller müsse mit der kritischen beißenden Ironie der Dialoge. Scott Fitzgerald bis Gertrude Stein recht ernst. mans von Gil an. Wood Allen fantasiert Paris rypreis) und dem rumänisch-ungarischen Film „Best Intentions“ (Regie- Auseinandersetzung mit seinen ie Donau ist wie Allen: Ich möchte es halten, wie Matisse, wurden einige da auch als han- Natürlich wirken sich die nächt- „ und Darstellerpreis) zwei Arbeiten mit relevanter Aussage aus: Das ers- Produkten rechnen und eine solche „Deine Ader durch der gesagt hat: „Wer sich eines meiner Bil- delnde Personen zu Weltliteratur. Anschwellende Verwirrtheit lichen Zeitreisen von Gil nicht mit der Attitüde eines amerikanischen te, ein brisantes Gesellschaftsdrama, das andere ein beklemmendes Bild auch tolerieren. Bei dieser Abwä- Osteuropa,