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Marvelous Cinema Transmediales Und Hyperdiegetisches Erzählen Am Beispiel Des „Marvel Cinematic Universe“

Marvelous Cinema Transmediales Und Hyperdiegetisches Erzählen Am Beispiel Des „Marvel Cinematic Universe“

Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ Master-Studiengang Medienwissenschaft Masterarbeit Sommersemester 2013 Susanne Eichner, Prof. Dr. habil. Lothar Mikos

Marvelous Cinema Transmediales und hyperdiegetisches Erzählen am Beispiel des „ Cinematic Universe“

Vorgelegt von: Benjamin Hillmann

Berlin, den 26.07.2013 Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung – Your First Step Into a Larger World...... 1

2. Kapitel 1 – Blockbusting All Channels...... 8

2.1 Bedeutung und Entwicklung des Blockbuster-Kinos...... 8

2.2 Das Blockbuster-Kino im Zeitalter der Medienkonvergenz...... 12

2.3 Transmedia Storytelling – Versuch einer erweiterten Definition...... 17 2.3.1 Inhaltliche Tiefe...... 17 2.3.2 Wahl und Macht des Rezipienten...... 18 2.3.3 Immersion...... 18 2.3.4 Fan-Kult(ur)...... 19 2.3.5 Henry Jenkins 2011: Begriffs- und Definitionsklärung...... 20

3. Kapitel 2 – The Revolution is Serialized...... 24

3.1 Die Genesis der Fortsetzungsliteratur zu Zeiten der industriellen Revolution...... 24 3.1.1 Der Aufstieg der Comics in den USA...... 27 3.1.2 Marvel-Comics – Ursprünge, Kontinuität und Intertextualität...... 29 3.1.3 "The Marvel Method" und die fünf Säulen des Marvel-Universums...... 31 3.1.4 Intertextualität, Metaebene und Partizipation...... 33

4. Kapitel 3 – Marvel on the Big Screen ...... 37

4.1 Die Evolution der ...... 37

4.2 Marvel Cinematic Universe – Phase One...... 41

5. Kapitel 4 – Analyse des Marvel Cinematic Universe ...... 44

5.1 Die Kinofilme – Handlung, Filmwelt, Intertextualität...... 44 5.1.1 ...... 44 5.1.2 THE INCREDIBLE ...... 48 5.1.3 ...... 51 5.1.4 ...... 54 5.1.5 : THE FIRST AVENGER...... 58 5.1.6 THE ...... 62

5.2 Transmediale Erweiterungen – Inhalte und Merkmale...... 66 5.2.1 Comics: Marvel Cinematic Universe Tie-Ins...... 66 5.2.2 Kurzfilme: Marvel One-Shots...... 67 5.2.3 TV-Serie: Agents of S.H.I.E.L.D...... 68 5.2.4 Computer- und Videospiele...... 69 5.2.5 Radikale Intertextualität am Beispiel des Tesseract...... 70 5.2.6 Multimodalität am Beispiel der Figur Phil Coulson...... 72 5.2.7 Hyperserialität ...... 74

6. Fazit – Ein Universum der narrativen Möglichkeiten...... 76

Literaturverzeichnis...... 78 1. Einleitung – Your First Step Into a Larger World

Tony Stark, Milliardär, Playboy, Philanthrop, betritt sein Luxus-Anwesen an der Küste von Malibu. Wenige Augenblicke zuvor hat er als Iron Man seinen ersten großen Sieg über das Böse in Form des abtrünnigen Iron Mongers davon getragen. Ein Mann mit Augenklappe und schwarzem Ledermantel tritt aus dem Schatten hervor und konfrontiert den frisch ernannten Helden in seinem Wohnzimmer:

„You think you're the only superhero in the world? Mr. Stark, you've become part of a bigger universe. You just don't know it yet.“1

Nick Fury, Leiter der Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics Division – kurz S.H.I.E.L.D., hat soeben Kontakt zum potentiellen ersten Mitglied seiner geheimen Avengers-Initiatve aufgenommen. Die Leinwand wird schwarz und der Kinosaal langsam von Licht geflutet. Ein Teil des Kinopublikums hat diese Szene wahrscheinlich nicht zu Gesicht bekommen, weil es den Saal bereits zu Beginn des Filmabspanns verlassen hat. Sie werden diese zusätzliche Szene auch nicht missen, denn sie haben mit IRON MAN (USA 2008) gerade einen unterhaltsamen Hollywood-Blockbuster aus dem Genre der populären Superheldenfilme gesehen und sind mit ihren Gedanken bereits wieder im Alltag angekommen. Ein anderer Teil des Publikums im Saal ist eventuell noch sitzen geblieben, um während des Abspanns den Rest Popcorn aufzuessen oder ihre Mails via Smartphone abzurufen – und wundern sich jetzt, warum ein etablierter und bekannter US-Schauspieler wie Samuel L. Jackson (als ) in nur einer einzigen Szene nach dem eigentlichen Ende des Films auftaucht. Und was hat es überhaupt mit dieser „Avengers-Initiative“ auf sich? Dann sind da noch die Initiierten. Die Populärkultur- und Comic-Fans, die wohlig grinsend im Kinosessel sitzen und wissen, dass sie in den vergangenen zwei Stunden gerade den Einstieg in das Marvel Cinemtaic Universe erlebt haben. Sie können es kaum erwarten, ihre Erfahrungen über diverse Social-Media-Kanäle mit anderen Fans zu teilen und zu

1 IRON MAN (USA 2008)

1 diskutieren. Willkommen in der Ära von Henry Jenkins "convergence culture":

"By convergence, I mean the flow of content across multiple media platforms, the cooperation between multiple media industries, and the migratory behavior of media audiences who will go almost anywhere in search of the kinds of entertainment experiences they want. Convergence is a word that manages to describe technological, industrial, cultural and social changes depending on who´s speaking and what they think they are talking about. [...] In the world of media convergence, every important story gets told, every brand gets sold, and every consumer gets courted across multiple media platforms."2

Doch vorerst zurück zu Iron Man und Nick Fury, deren Geburtsstunden lange vor dem Zeitalter der digitalen Medien und dem Verschmelzen alter und neuer Medienarten liegen. In den 1960ern, bzw. in der Zeitrechnung der US-Comic- Industrie im Silver Age3, erblickten zahlreiche neue und die Reinkarnationen älterer Comic-Helden des Marvel-Verlags (zuvor bekannt unter dem Namen Timely bzw. Atlas)4 das Licht der Welt. Darunter sowohl Eisenmann Tony Stark, der seinen ersten Auftritt 1963 in Tales of Suspense5 feierte, als auch Geheimagent Nick Fury, der im gleichen Jahr zusammen mit den Howling Commandos6 sein erstes Gefecht auf bebilderten Seiten austrägt. Unter der Leitung der heutigen Comic-Legende legte Marvel großen Wert darauf, Figuren und Geschichten in einem großen, sich ständig ergänzenden Erzähluniversum anzusiedeln und dessen Kontinuität fortlaufend aufrecht zu

2 Jenkins, Henry (2006): Convergence Culture. Where Old And New Media Collide. New York: New York University Press, S. 2f 3 Als Silver Age wird generell die Zeit zwischen Mitte der 1950er bis Anfang der 1970er bezeichnet, in der viele neue Comichelden eingeführt wurden und die Verleger und Artisten damit begonnen haben, die klassischen Genrekonventionen stärker zu variieren, um das Interesse an ihren Veröffentlichungen wieder zu steigern, nachdem es nach dem Ende des zweiten Weltkriegs stark eingebrochen war. Vgl. Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009): Menschliches, Übermenschliches. Zur narrativen Struktur von Superheldencomics. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 167 4 Vgl. Weaver, Tyler (2013): Comics for Film, Games and Animation. Using Comics to Construct Your Transmedia Storyworld. Burlington: Focal Press, S.110 5 (1963): Tales of Suspense #39 6 Marvel Comics (1963): Sgt. Fury and His #1

2 erhalten. So erschien 1963 auch bereits die erste Ausgabe der Avengers7, eine Gruppe von Superhelden, der u.a. Iron Man, Donnergott Thor und Wut-Monster Hulk angehören, um mit gebündelten Kräften gegen die Mächte zu kämpfen, denen sie sich nur gemeinsam stellen können. In der Welt der (Superhelden-)Comics war und ist das intertextuelle Erzähluniversum – das „shared universe“8 – ein essentielles und erfolgreiches Mittel zur Leserbindung und Fan-Community-Pflege. Matt Hills bezeichnet in seinem Buch über Fankulturen solche Erzähluniversen als „hyperdiegesis“ und nennt sie als eine der entscheidenden Grundvoraussetzungen für die Erhebung eines Medientextes zum Kult-Objekt bzw. die Generierung eines Fan- Kultes um einen Medientext:

„Another defining attribute of the cult text is hyperdiegesis: the creation of a vast and detailed narrative space, only a fraction of which is ever directly seen or encountered within the text, but which nevertheless appears to operate according to principles of internal logic and extension.“9

All das war in der Welt der Superheldencomics schon damals Realität, lange bevor Intertextualität bzw. Inter- und Transmedialität als Anker der modernen "particapatory culture"10 zu den Trendwörtern der heutigen Medien- und Unterhaltungsindustrien wurden. Während das Marvel-Imperium und seine Helden sich (wieder) erhoben, befand sich ein anderes amerikanisches Unterhaltungsimperium im freien Fall. Hollywoods Traumfabriken hatten in den späten 1960ern mit kostspieligen Kinoflops zu kämpfen und produzierten mehr und mehr am Publikumsgeschmack vorbei. Darüber hinaus mangelte es der Filmbranche an talentiertem Nachwuchs, der die Gedanken und Gefühle der jungen Nachkriegsgeneration verstand. Diese Krise verhalf einer neuen Generation Filmemacher in den 1970ern, ihre ganz eigenen Visionen des amerikanischen Kinotraums auf die Leinwände zu bringen. Inspiriert vom europäischen Autorenfilm und den politischen und gesellschaftlichen Umwälzungen in den USA, spiegelten

7 Marvel Comics (1963): The Avengers #1 8 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.115 9 Hills, Matt (2002): Fan Cultures. London and New York: Routledge, S.137 10 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 3

3 junge Filmemacher wie Martin Scorscese oder Francis Ford Coppola Amerikas angeschlagenes Selbstbild in ihren Filmen wieder und fanden dabei sowohl beim jungen Publikum als auch bei den Kritikern großen Anklang. Die in der Filmgeschichte allgemein als New Hollywood bezeichnete Dekade brachte so einige der größten bis heute noch aktiven Filmemacher des US-Kinos hervor. So schnell sich New Hollywood aus der Asche des alten Studiosystems erhoben hatte, desto abrupter näherte es sich wieder dem Boden der ökonomischen Realitäten. Je nach Betrachtungsweise stellen Steven Spielbergs Sommer-Hit JAWS (USA 1975) und George Lucas Weltraum-Märchen STAR WARS (USA 1977) entweder das Ende der wilden New Hollywood-Jahre oder deren Kulmination dar. Hollywood hatte die Masse als Publikum wieder gefunden – und den Urknall des modernen Blockbuster- Kinos initiiert.11 Das Erscheinen von STAR WARS war nicht nur für das moderne Kino ein entscheidender Moment, sondern auch für die Welt populärer Erzähluniversen und transmedialer Story-Welten. Der später als Episode IV – A New Hope betitelte erste Film der Sternenkrieger-Reihe legte den Grundstein für eines der größten populären Erzähluniversen des 20. Jahrhunderts. Wenn Jedi-Meister Obi-Wan Kenobi dem jungen Luke Skywalker nach seiner ersten Trainingslektion über die alles verbindende Macht zuversichtlich orakelt "You've taken your first step into a larger world."12, dann ähnelt das nicht nur zufällig der zu Beginn geschilderten Szene zwischen Tony Stark und Nick Fury. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt das damalige Kinopublikum noch nicht ansatzweise erahnen konnte, was Lucas Space-Fantasy in den folgenden Jahrzehnten an Geschichten in unterschiedlichsten Medien generieren würde, symbolisiert dieser Satz doch den Grundsatz erfolgreicher Erzähluniversen: Hole das Publikum mit einer (oder diversen) prägenden(n) Geschichte(n) zum Einsteig ab und belohne es fortan mit neuen Geschichten ihrer Helden und zuvor unbekannten Winkeln einer unvergleichbaren fiktiven Welt. Zwei Dekaden später im Kinosommer 1999, in dem auch der erste Teil der Star Wars Prequels EPISODE I – THE PHANTOM MENACE (USA 1999) die großen Leinwände eroberte, entführten ebenso die Wachowski-Geschwister Scharen von

11 Vgl. Elsaesser, Thomas (2009): Hollywood heute. Geschichte, Gender und Nation im postklassischen Kino. Berlin: Bertz + Fischer, S. 19ff 12 STAR WARS (USA 1977)

4 Zuschauern in die düstere Cyberpunk-Dystopie von THE MATRIX (USA 1999). Das Geschwisterpaar überwachte in den Folgejahren als kreative Instanz das transmediale Großprojekt hinter THE MATRIX, welches u.a. Comics, Videospiele und animierte Kurzfilme umfasst. Diese halten für den engagierten Zuschauer allesamt Puzzleteile in Form von überschneidenden Handlungssträngen und Figuren sowie versteckten Hinweisen und Informationshäppchen bereit, um das große Matrix-Story-Mosaik in seiner Vollständigkeit anschließend selber zusammensetzen zu können. Henry Jenkins hat sich in seinem Buch Convergence Culture – Where Old And New Media Collide näher mit dem Matrix-Phänomen und seinem Erfolg – als auch Fehlschlägen – in Bezug auf das medienübergreifende Erzählen fiktionaler Erzähluniversen auseinander gesetzt. Er bezeichnet diese Art des Erzählens als "transmedia stroytelling":

„A transmedia story unfolds across multiple media platforms, with each new text making a distinctive and valuable contribution to the whole. In the ideal form of transmedia storytelling, each medium does what it does best – so that a story might be introduced in a film, expanded through television, novels, and comics; its world might be explored through game play or experienced as an amusement park attraction. Each franchise entry needs to be selfcontained so you don't need to have seen the film to enjoy the game, and vice versa.“13

Während bei Star Wars das sogenannte expanded universe14 (Geschichten die z.B. in Romanen, Comics oder Videospielen erzählt werden und jenseits der Ereignisse der Kinofilme im selben Universum stattfinden) eine rein optionale Erweiterung darstellt, handelt es sich bei den medienübergreifenden Angeboten der Matrix-Welt teilweise um essentielle Informationen zum tieferen Verständnis der Filme. Dieser Umstand führte bei dem einen oder anderen traditionelleren Zuschauer allerdings schnell zu Irritationen im Kinosaal, denn auf einmal waren mehr Zeitaufwand und kognitive Leistung von den Zuschauern gefordert, sofern sie wirklich die Geschichte in ihrer Ganzheit verstehen wollten. Wie es Jenkins selbst formuliert: "To truly

13 Jenkins, Henry (2006), S. 97f 14 Vgl. ebd. S. 108f

5 appreciate what we are watching, we have to do our homework."15 Spätestens seit Beginn des 21. Jahrhunderts sind Medienkonvergenz und transmedia storytelling oft geradezu inflationär verwendete Trendbegriffe, die von Medienunternehmen und -produzenten oft gerne als Werbemittel für ihre neuen Brands und Franchises benutzt werden. Auch an den bereits 1993 gegründeten Marvel Studios ist dieser Trend nicht vorbei gegangen. Nachdem der audiovisuelle Seitenarm des Marvel-Verlages jahrelang nur als Produktionspartner bei lizenzierten Film- und Fernsehauswertungen ihrer Figuren und Franchises fungierte, entschied sich die Führungsriege des Studios 2004 dazu, zukünftig selber Filme zu finanzieren und produzieren. Unter der Leitung von President of Production wurde so der Grundstein für das Marvel Cinematic Universe gelegt, ein Franchise-übergreifendes Filmuniversum der verschiedenen Marvel-Helden, wie es Leser der Comics bereits seit Dekaden begleitete. Der Startschuss fiel 2008 mit jener hier zu Beginn erwähnten Adaption des Comic-Helden Iron Man. Darauf aufbauend folgten die Filme THE INCREDIBLE HULK (USA 2008), IRON MAN 2 (USA 2010), THOR (USA 2011), und CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER (USA 2011). Diese sich die selbe fiktive Welt teilende Reihe von Filmen mündete schließlich in THE AVENGERS (USA 2012), in dem sich die Helden der vorhergegangenen Einzelfilme gegen eine feindliche Übermacht verbünden müssen. Mit Hilfe der Erkenntnisse von Herny Jenkins und anderen Experten, wird sich diese Arbeit damit auseinandersetzen, wie das Marvel-Kino-Universum als film- und medienübergreifendes World-Building-Projekt über mehrere Jahre hinweg von den Produzenten und Filmemachern realisiert wurde. Schwerpunkte werden dabei sowohl narrative Aspekte, wie filmübergreifende Handlungselemente und intertextuelle Referenzen bilden als auch die Erweiterung des Filmgeschehens und damit der narrativen Welt durch transmediale Angebote wie Comics, Kurzfilme und TV- Inhalte. Ein weiterer Bestandteil wird außerdem die Analyse der multiplen Lesearten bzw. die dem individuellen Zuschauer überlassene Komplexität der medialen Erfahrung sein. Denn die Freiheit des Rezipienten, über die erfahrbare Tiefe des fiktiven Universums selbst zu bestimmen, wird in der Auseinandersetzung mit transmedialen Produktionen immer wieder als entscheidender Aspekt genannt.

15 Ebd. S.96

6 "Transmedia is about discovery, and the choice of how much the audience is willing to discover."16 Zum besseren Verständnis der Analysen und daraus resultierenden Schlussfolgerungen rekapituliert Kapitel 1 dieser Arbeit zunächst die Geschichte des modernen Hollywood-Blockbusters und seinem Aufbruch in das Zeitalter der Medienkonvergenz inklusive einer detaillierten Auseinandersetzung und erweiterten Definition von transmedia storytelling. Verständnis fördernde Hintergründe zum Phänomen populärkultureller Erzählwelten bietet zudem Kapitel 2, das sich mit der Genesis der Fortsetzungsliteratur im 19. Jahrhundert und der daraus entstehenden Comic-Kultur in den USA beschäftigt. Da die Überschreitung einzelner Medienformen nicht nur die Essenz von transmedia storytelling ausmacht, sondern dem Phänomen sogar direkt in den Namen geschrieben ist, ist eine interdisziplinäre Sichtweise auf transmedia storytelling und dessen historischen Ursprünge, die weiter in der Mediengeschichte zurückreichen, als man zunächst denken mag, nämlich nicht nur empfehlenswert, sondern gar von Nöten.

16 Weaver, Tyler (2013), S.115

7 2. Kapitel 1 – Blockbusting All Channels

2.1 Bedeutung und Entwicklung des Blockbuster-Kinos

Spricht man von den Verfilmungen von US-amerikanischen Comics, liegt es in den meisten Fällen nahe, dass man sich thematisch in der Sphäre des modernen Blockbuster-Kinos bewegt. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends sind bis heute praktisch jeden Sommer gleich mehrere Multi-Millionen-Dollar Produktionen basierend auf populären Superheldenstoffen auf dem internationalen Kino-Markt gestartet – und das in den meisten Fällen mit großem Erfolg. Die Rahmenbedingungen der Blockbuster-Produktionen und die Inhalte der Superhelden- Comics scheinen eine dementsprechend fruchtbare Symbiose darzustellen. Bei genauerer Betrachtung der Geschichte des Blockbuster-Kinos wird sogar deutlich, dass diese Entwicklung den beiden Unterhaltungszweigen seit Jahren vorbestimmt war. Die Bezeichnung Blockbuster ist im Englischen als auch im Deutschen längst in den alltäglichen Sprachgebrauch eingegangen und das nicht nur in Bezug auf das Kino. Auch im Fernsehen oder in der Videospiel-Branche wird regelmäßig von Blockbuster-Unterhaltung oder Blockbuster-Games gesprochen – sowohl auf Seite der Produktion, im Marketing oder unter den Rezipienten selbst. Es scheint also ein genereller Konsens darüber zu herrschen, was unter einem Blockbuster zu verstehen ist, bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber schnell, dass dem Begriff im Laufe der Zeit durchaus unterschiedliche Konnotationen zugeordnet wurden und das Konzept des heutigen Kino-Blockbusters nicht mehr mit der ursprünglichen Bedeutung des Terminus übereinstimmt. Im folgenden möchte ich zum besseren Verständnis kurz auf die historische Entwicklung des Begriffs eingehen. Regisseur Francis Ford Coppola liefert in seinem Vorwort zu George Lucas Blockbusting eine allgemein gültige, zeitlose Definition des Blockbusters als eine “[…] combination of financial success, critical success, great storytelling, and timing. Blockbusting is determined by the impact it makes on the culture and its

8 ability to stand the test of time.”17 Gerade bei einer historischen Betrachtung des Begriffs wird allerdings deutlich, dass im Diskurs des Kinos von zwei unterschiedlichen Dingen die Rede ist, wie auch Marianne Skarics festhält:

Manche Blockbuster sind wahre 'Entertainment-Maschinen', deren Erfolg eng gekoppelt ist mit extensivem Marketing und dem Verkauf zum Film gehöriger Produkte wie Soundtracks oder Videospielen [z.B. “Batman” (USA 1989)]. Andere Blockbuster erzielen ihre Erfolge ruhiger, unauffälliger und langsamer [z.B. “Good Will Hunting” (USA 1997) Man könnte demnach Blockbuster in bereits als solche intendierte, mit einer 'Blockbuster-Mentalität' versehene und in aus anderen Gründen zu Blockbustern gewordene Filme unterteilen.18

Der letztere Teil stellt dabei die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Blockbuster (in Bezug auf das Kino) dar. Der aus dem zweiten Weltkrieg stammende Begriff für eine Fliegerbombe, die einen ganzen Häuserblock zerstören konnte, wurde bis in die 1970er herein gewöhnlich für alle Arten von Filmen benutzt, die sich im Laufe ihrer Kinospielzeit zu großen Publikumserfolgen entwickelten [wie z.B. GONE WITH THE WIND (USA, 1939) oder THE SOUND OF MUSIC (USA, 1959)]. Durch die heutigen Produktions- und Distributionsbedingungen ist diese klassische Form des Blockbuster-Kinos aber bis auf wenige Ausnahmen praktisch ausgestorben. Heutige Blockbuster werden bereits von der ihnen zu Grunde liegenden Idee an darauf konzeptioniert, ein Massenpublikum anzusprechen, was sie auch müssen, um die enormen Produktionskosten mit zusätzlichem Gewinn wieder einzuspielen. Das hat aber auch dazu geführt, dass diese „intendierten Blockbuster“ das Risiko in sich tragen, fehl zu zünden und bei den heutigen Produktionsbudgets dadurch auch schon mal ein komplettes Produktionsstudio mit in den Abgrund reißen könnten. Das verleiht dem Ganzen nicht nur im Hinblick auf den historischen Ursprung des Begriffs eine unheimliche Ironie, es hätte vor einigen Dekaden auch noch zu

17 Coppola, Francis Ford (2010): Introduction. In: Block, Alex Ben; Wilson; Lucy Autrey (2010): George Lucas' Blockbusting. A Decade-by-Decade Survey of Timeless Movies Including Untold Secrets of their Financial and Cultural Sucess. New York: HarperCollins Publishers Inc., S. vi. 18 Skarics, Marianne (2004): Popularkino als Ersatzkirche? Das Erfolgsprinzip aktueller Blockbuster. Münster: Lit Verlag, S. 95

9 berechtigten Stirnrunzeln geführt, von „fehlschlagenden Kino-Erfolgen“ zu sprechen, wie auch Tom Shone in seinem Buch Blockbuster festhält: „ […] Variety will Speak today of a bluckbuster 'failing' at the box office – which would have caused endless confusion to someone from 1975; a film was either a riotous success, in which case it was a blockbuster, or else it wasn't.19 Trotzdem ist dieses vermeintliche Oxymoron Teil der heutigen Realität des populären Kinos, auch wenn natürlich von Seiten der Filmproduktion und – vermarktung alles dafür getan wird, dass ein vermeintlicher Sommer-Blockbuster nicht an den Kinokassen scheitert, weswegen heutige Großproduktionen von Beginn an auf ihre Markttauglichkeit hin konzipiert werden. Bereits populäre Inhalte sind dabei als Basis ebenso gefragt wie einfach zu kommunizierende, wodurch heutzutage eine Flut von Adaptionen oder Remakes populärkultur-prägender Stoffe aus Literatur, Fernsehen, Kino – und eben Comics – den internationalen Markt beherrschen. Das Grundmuster für diese Produktionen haben vor allem das Gespann Lucas-Spielberg geprägt, auch wenn man deutlich machen muss, dass weder JAWS noch STAR WARS "geplante Hits" waren, ganz im Gegenteil. Der enorme Erfolg dieser Filme beim Publikum und der sich darum entwickelnde Fan-Kult, wiesen den großen Filmstudios den Weg zu ihrer heutigen Blockbuster-Formel, die sie in den darauf folgenden Jahrzehnten Stück für Stück optimierten. Doch was verhalf den ursprünglichen Vorbildern des heutigen "intendierten Blockbusters" zu ihrem Erfolg? Es waren ihre massentauglichen, vor allem an ein junges Publikum gerichtete Geschichten gekoppelt mit einem professionellen Produktionsstandard und innovativer, berauschender Ästhetik, wie sie das Genre- Kino zuvor noch nicht geboten hatte. Insbesondere Spielbergs JAWS sprengte die in vielen Kinogänger-Köpfen vorhandene Mauer zwischen Qualität/Anspruch und Unterhaltung und bewies, das beides möglich war:

"Spielberg had completely upended the pyramid of American film, ridding the blockbuster of its rather desperate bids of 'prestige' while also visiting on it the sort of filigree dramatic technique normally associated with films much further up the brow. The effect on audiences was

19 Shone, Tom (2004): Blockbuster. How Hollywood Learned to Stop Worrying and Love the Summer. New York: Free Press, S. 28

10 properly electric, for now we knew, and we would never go back, willingly, to the old system of cinematic apartheid that had existed before, dictating that popular films must be dumb, and highbrow films boring."20

Der Triumph von Lucas' STAR WARS hingegen bestand vor allem darin, das Publikum zu einer Reise in eine andere Welt, eine „weit, weit entfernte Galaxis“, abzuholen und auch nach dem Kinobesuch nicht mehr loszulassen. Anstatt einen Film auf einer zwei-dimensionalen Leinwand zu betrachten, tauchten die Menschen im Kinosaal geradezu in das Geschehen ein, reagierten mit Schreien oder Applaus auf das Gesehene, nahmen an der Geschichte selber teil.21 Im weiteren Sinne war es nicht Hollywood, das mit STAR WARS versuchte, die Filmindustrie in eine Spielzeugindustrie zu verwandeln, sondern es waren die Zuschauer, die sich STAR WARS zu eigen machten und damit spielten:

"You turned it into a toy, so you could keep playing with the movie in your head, as Lucas had played with it in his head, in the years before he got to make it [...]. That was how Star Wars felt, [...] as a clarion call to adventure, an invitation to another, impossibly glamorous universe where movies like Star Wars happened all the time."22

Was Filmemacher wie Spielberg und Lucas von anderen Regisseuren ihrer Ära unterschied, waren weniger die handwerklichen Einflüsse, sondern die ästhetischen und inhaltlichen Inspirationsquellen ihrer Werke. Diese fanden sie in ihrer Jugend nicht in der Kunst des anspruchsvollen Kinos, sondern in den bunten, schnellen und viszeralen Auswüchsen US-amerikanischer Massenunterhaltung wie Groschenromanen, Comics, TV-Sendungen und B-Movie-Serials aus der Frühzeit Hollywoods. Es war die Populärkultur vor der Festschreibung ihres Begriffes. Für Amerikaner ihrer Zeit war es einfach Trash:

20 Ebd. S. 33 21 Vgl. ebd. S. 55 22 Ebd. S. 11

11 "There was no 'popular culture' as we know it today. That phrase, with its charge of punkish, publicly endorsed glamour, was decades off. It was just 'junk' or 'trash' and to track it down required patience, dedication and cunning. You had to go around to your neigbor's house, like Lucas, or sneak down at night after your parents had gone to bed, like Spielberg, and if that failed, [...] bulid your own thrills yourself. They were the boys who built pop culture in their backyards."23

Die erste Filmemacher-Generation des modernen Blockbuster-Kinos sammelte und verarbeitete die Essenzen populärer Unterhaltung und setzte diese in einer Kettenreaktion, unterstützt durch die Standards des professionellen Filmemachens, auf den Leinwänden und in den Köpfen der Zuschauer frei. Die Ära der Comic- Adaption und Superhelden-Filme besteht vielleicht erst seit gut einer Dekade, das Aufeinandertreffen von Kino und Comic hatte das in den späten 1970ern initiierte Blockbuster-Kino allerdings schon immer in die DNA seiner Wurzeln geschrieben. Erst durch die Anforderungen und Produktionsbedingungen des heutigen Kinomarktes und dank der enormen Entwicklungen der Visual-Effects-Industrie, ist diese Verschmelzung heute zu seiner vollständigen Blüte gekommen.

2.2 Das Blockbuster-Kino im Zeitalter der Medienkonvergenz

Wenn wir von Medienkonvergenz und damit verbundenen Trends wie transmedia storytelling, Multi-Channel-Inhalten und immersiven Medienerlebnissen sprechen, scheinen dabei zwei Wahrnehmungen oft unbewusst als gegeben vorausgesetzt zu werden: Erstens, dass diese Trends neuartige Entwicklungen der durch die Dotcom- Ära entstandenen Möglichkeiten der digitalen Medien und Distribution sind und zweitens, dass, wie bei so vielen anderen Phänomenen der globalen Populärkultur, ihre Wiege in den "kulturimperialistischen" Mühlen der US-Unterhaltungsindustrie

23 Ebd. S. 6

12 zu finden ist. Doch ein genauerer Blick in die Medien-Historie erzählt eine andere Geschichte. Das vielleicht früheste Beispiel für ein transmediales Erzählprojekt ist zunächst in der Tat eine US-amerikanische Kreation. 1930 debütierte die Figur The Shadow zunächst als Erzählstimme der Radiosendung Detectiv Story Hour. Kurz darauf erschuf Autor Walter B. Gibson eine eigene Reihe von Groschenromanen über den maskierten Rächer und seinem Kampf gegen die Unterwelt. Auch wenn die Inhalte nicht direkt miteinander in Verbindung standen, wurde durch die Buchgeschichten der Eindruck erweckt, mehr über den mysteriösen Mann aus dem Radio zu erfahren, der seine wahre Identität dem Publikum verbarg. So entstand sogar noch vor der Einführung des Fernsehens die frühe Form eines transmedialen Erzählprojekts.24 Die Figur (in ihrer Radio-Version später u.a. auch von Schauspieler Orson Welles gesprochen) wurde zudem zu einem Vorläufer und Archetypen für die noch folgenden maskierten Helden und Rächer der Populärkultur, wie z.B. der 1939 zum ersten Mal in Erscheinung tretende Batman vom Bob Kane.25 Das erste Land, in dem eine breitflächige und professionalisierte "media mix"26- Kultur Fuß fasste, befand sich allerdings auf der anderen Seite des Pazifiks. Die technikbegeisterten Fan-Communities, die seit den 1970ern um japanische Anime- Serien wie Macross oder Gundam Wing entstanden, katalysierten einen in Nippon bis heute ungebrochenen Trend für "synergetic storytelling"27. Die Idee, dass eine Geschichte zeitgleich durch verschiedene Medien hinweg erzählt werden kann, ist in Japan seit Dekaden ein etabliertes Mantra der Medienproduktion, während sich Hollywood und der Rest der Welt bis in das neue Jahrtausend hinein damit schwer taten, medienübergreifende Angebote zu schaffen, die über die Vergabe von Lizenzen an Dritte zur Produktion von bloßen Begleitartikeln hinausgehen. So wurde der Begriff "transmedia producer" erst 2010 durch den Druck von einflussreichen Personen wie Filmregisseur James Cameron und Filmproduzentin Gale Ann Hurd, offiziell als Berufsbezeichnung in der US-Industrie akzeptiert.28 Aber nicht nur die

24 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S. 27 25 DC Comics (1939): Detective Comics #27 26 Jenkins, Henry (2006), S. 112f 27 Rose, Frank (2012): The Art of Immersion. How the Digital Generation Is Remaking Hollywood, Madison Avenue, and the Way We Tell Stories. New York; London: Norton, S. 41 28 Vgl. ebd., S. 41f

13 Möglichkeiten des medienübergreifenden Erzählens durch TV-Serien, Filme, Videomarkt-Veröffentlichungen und Mangas (Comics) der selben Franchise führten zu der heute auch weit über Japan hinaus reichenden Popularität von Anime- Produktionen. Auch im Bereich der Fan-Communities waren und sind japanische Produktionen gefördert durch das Plus an Aufmerksamkeit durch Multi-Channel- Angebote und transmediale Story-Erfahrungen Vorreiter für Entwicklungen wie Fan- Connventions, Fan-Fiction und andere von den Rezipienten kreierte Inhalte.29 Interessanterweise stammen die jüngeren Versuche US-amerikanischer Filmproduktionen mit transmedialen Charakter meistens aus der Hand von Regisseuren wie Cameron (AVATAR, USA 2009) oder den Wachowskis, deren Filmen nicht nur oft inhaltliche und ästhetische Bezüge zu populären Anime- Produktionen aufweisen, sondern die selber auch gerne als Advokaten der japanischen Animationskunst auftreten. So plant Cameron schon seit geraumer Zeit eine Kino-Adaption des Manga-Klassikers Battle Angel Alita30, während die Wachowskis sogar mehrere renommierte japanische Animationsstudios und Regisseure in die transmediale Auswertung der Matrix-Franchise in Form der ursprünglich als Webisodes veröffentlichten Kurzfilmsammlung THE ANIMATRIX (USA 2003) mit einbanden.31 Darüber hinaus betonten die Wachowskis den großen Einfluss von Anime als Inspirationsquelle für ihr Matrix-Universum, das praktisch als erste US-Franchise vollständig die japanischen Media-Mix-Strategien rund um das synergetische Erzählen von medienübergreifenden Geschichten adaptierte.32 Heutzutage sind nicht nur unsere medialen Erfahrungen von übergreifenden und sich gegenseitig ergänzenden Prozessen bestimmt, sondern im weitesten Sinne unsere gesamte Kommunikation, unsere Beziehungen, unsere Erinnerungen – kurzum unsere komplette Kultur hat sich zu einer Kultur der Konvergenz entwickelt.33 Zuschauergruppen und Fan-Communities sind aktiver denn je, nicht nur in Bezug auf Kommunikation und Organisation durch die digitalen Medien, sondern auch wenn es um Rekreation und Erweiterung von rezipierten Inhalten geht. Populäre Medieninhalte müssen deshalb heute nicht nur einen universellen Markt ansprechen,

29 Vgl. ebd., S. 42f 30 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt0437086/ [Stand: 25.05.2013] 31 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 103f 32 Vgl. Rose, Frank (2012), S. 43 33 Vgl. Jenkins, Henry (2006), S. 3f

14 sondern gleichzeitig auch inhaltlich potentiell endlos erweiterbare Basen für Fan- Kulturen darstellen. Jenkins spricht in diesem Zusammenhang von einer neuen Kunst des Geschichtenerzählens, der "art of world building":

„More and more, storytelling has become the art of world building, as artists create compelling environments that can not be fully explored or exhausted within a single work or even a single medium. The world is bigger than the film, bigger even than the franchise – since fan speculations and elaborations also expand the world in a variety of directions.“34

Filmemacher und andere Kreative befinden sich heute sowohl in der Rolle des Produzenten von kulturwirtschaftlichen Produkten als auch in der des universellen Geschichtenerzählers. Jedes Element einer Geschichte hat heute das Potential durch neue Medienarten erweitert bzw. näher beleuchtet zu werden, genauso wie neue potentiell profitable Distributionswege den Ausbau immer komplexerer Story-Welten erfordern.35 Daraus resultiert eine für die noch nicht "konvergierten" Teile des modernen Publikums oft merkwürdig fragmentiert wirkende, dem inhaltlichen Zusammenhang entrissene Art des Erzählens, sowohl im aktuellen Blockbuster-Kino als auch in anderen populären Medien. "If you look at such works by old criteria, these movies may seem more fragmented, but the fragments exist so that consumers can make the connections on their own time and in their own ways." 36 Diese Fragmentation des Geschichtenerzählens ist letztendlich auch eine direkte Reaktion auf die fortschreitende Fragmentation des Publikums. Unterschiedliche Zuschauergruppen werden durch verschiedene Rezeptionsebenen des selben Inhalts angesprochen. So spricht z.B. auch Digital Media-Theoretikerin Janet Murray von drei verschiedenen Arten von Konsumenten, die durch zeitgenössische, populäre Medieninhalte angesprochen werden: Der aktiv involvierte "real-time"-Zuschauer, der kurzfristig in jedem neuen Inhalt Unterhaltung und Spannung sucht, das reflektiertere "long-term"-Publikum, das nach kohärenten Mustern in der Geschichte

34 Ebd., S. 116 35 Vgl. ebd., S. 117 36 Ebd., S. 121

15 als Ganzes sucht und der "navigational viewer", dem es Freude bereitet, Verbindungen in verschiedenen Teilen der Geschichte zu folgen und multiple Anordnungen des gleichen Materials zu entdecken37. Diese multiple Rezeptionsausrichtung in der Praxis in den jeweiligen Inhalten umzusetzen ist allerdings ein Unterfangen, das nicht immer von Erfolg oder dem Verständnis einer klassischen Kritik über die Qualität von medialen Inhalten geprägt ist. So wurden laut Jenkins sowohl die Kinofortsetzungen als auch andere mediale Umsetzungen des Matrix-Universum dafür kritisiert, inhaltlich zu stark voneinander abzuhängen und für den durchschnittlichen Rezipienten kaum noch fassbar zu sein. Inhaltliche Lücken der Filme könnten für Zuschauer ohne Kenntnisse der animierten Kurzfilme nicht geschlossen werden, Nebenfiguren hätten für Zuschauer ohne Bezug zum Videospiel Enter the Matrix eher handlungsbremsende als –bereichernde Funktionen und auch die Auflösung der Geschichte habe am Ende nicht die über Jahre ausgemalten Erwartungen der Fans erfüllen können. Kritiker sahen in den transmedialen Auswüchsen zudem eher neue Wege der Profitmaximierung als des Geschichtenerzählens, was ohne Zweifel die Kehrseite des aktuellen Transmedia- Trends ausmacht. Am Ende war das Matrix-Universum ein interessanter aber mängelbehafteter Blick in die Zukunft der transmedialen Unterhaltung.38 Das Blockbuster-Kino, das als Auswertungsweg für Franchise-Universen momentan immer noch eines der entscheidenden Leitmedien darstellt – Kino als das Event, um das sich alle weiteren Teile der Auswertungskette drehen – ist im Zeitalter der Medienkonvergenz und Konvergenzkulturen mit ebenso vielen Chancen wie Herausforderungen konfrontiert. Die neuen Medien und die ständige Vernetzung der Konsumenten ermöglichen cross- sowie transmediale Auswertungen erfolgreicher Franchises, ikonischer Figuren und beliebter Geschichten, fordern aber gleichzeitig auch neue Erzähltechniken und größeren Umfang an Inhalten. Der (post-)moderne Kino-Blockbuster muss konstant im Moment der Rezeption unterhalten, als auch darüber hinaus weitere Ebenen für tiefergehende Auseinandersetzung bereithalten und im besten Fall zu jedem Zeitpunkt in alle Richtungen inhaltlich erweiterbar sein. Er muss als Produkt für die Masse, als auch ein speziell auf den individuellen Zuschauer zugeschnittenes Unterhaltungsgut funktionieren.

37 Murray, Janet zitiert in ebd., S. 121 38 Vgl. ebd., S. 98f. u. S.105f

16 2.3 Transmedia Storytelling – Versuch einer erweiterten Definition

Wie bereits in der Einleitung (S. 5) festgehalten, versteht Henry Jenkins unter transmedia storytelling eine Geschichte, die über verschiedene Medien hinweg erzählt wird. Bei der jeder Teil sowohl für sich selbst steht als auch Teil einer größeren übergreifenden Erzählung ist und deren Einzelteile in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden können. Zwei dieser Definition innewohnenden Aspekte sollen hier im Folgenden genauer betrachtet werden und zwar die der inhaltlichen Tiefe und der Wahl bzw. Macht des Rezipienten über den Rezeptionsverlauf. Schlussfolgernd daraus folgen weitere Unterpunkte zu Immersion und Fan-Kult(ur) sowie eine aktuelle Überarbeitung und Differenzierung des Begriffs transmedia storytelling durch Jenkins selbst.

2.3.1 Inhaltliche Tiefe

In Anbetracht von transmedialen Inhalten ist unter Tiefe weniger die inhaltliche bzw. thematische Komplexität eines Stoffes, einer Handlung oder der Figurenzeichnung zu verstehen, sondern die verschiedenen (inhaltlichen bzw. auch medialen) Ebenen, durch die eine Erzählung oder erzählte Welt ausgebreitet wird. Sinnbildlich gesprochen funktioniert transmedia storytelling idealerweise wie eine Zwiebel, deren einzelne Schichten sowohl für sich alleine stehen, als auch zusammengelegt ein Ganzes ergeben. Grundvoraussetzung dafür ist, dass mehrere Schichten vorhanden sein müssen, um bei Bedarf vom Konsumenten freigelegt werden zu können und ihm die Möglichkeit bieten, so tief in die Materie einzudringen, wie es ihm gerade recht ist. Frank Rose spricht in diesem Zusammenhang von "deep media": "[...] A new type of narrative is emerging – one that's told through many media at once in a way that's nonlinear, that's participatory and often gamelike, and that's designed above all to be immersive."39 Unmittelbar damit verbunden ist, die Wahl des Rezipienten über die Tiefe dieser Erfahrung.

39 Rose, Frank (2012), S. 3

17 2.3.2 Wahl und Macht des Rezipienten

Eine funktionierende transmediale Erfahrung zeichnet sich dadurch aus, dass der Rezipient die Möglichkeit hat und die Motivation dazu verspüren sollte, tiefer in die jeweilige Erzählung vorzudringen ohne dies aber zwangsweise tun zu müssen. Sich nur auf der Schale der Zwiebel zu bewegen sollte eine genauso vollständige Erfahrung bieten, wie sich an einer Stelle durch die verschiedenen Schichten zu bohren. "That inner desire to dig deeper, that choice to peel back the layers, to track down pieces of story, of character, is the beating heart of great transmedia storytelling."40 Diese Art des Geschichtenerzählens bietet deshalb auch wie keine andere zuvor die Möglichkeit, verschiedene Typen von Rezipienten, vom Gelegenheitszuschauer bis zum leidenschaftlichen Fan, anzusprechen und abzuholen. Dies ist ein entscheidendes Merkmal in Zeiten immer stärkerer Publikumsfragmentierung und Individualisierung des Konsumverhaltens, das die Bedeutung und das Potential von transmedialen Inhalten in ein neues Licht rückt. Regisseur James Cameron spricht in Bezug auf seinen Film AVATAR von einer "fractal-like complexity": "The casual viewer can enjoy it without having to drill down to the secondary and tertiary levels of detail. But for a real fan, you go in an order of magnitude and, boom!. There's a whole new set of patterns."41

2.3.3 Immersion

Der Begriff Immersion wird gewöhnlich in Zusammenhang mit der Rezeption von Computer- und Videospielen verwendet, um die „Form des Erlebens, die einem Eintauchen in virtuelle Realitäten entspricht“42 zu beschreiben. Der Effekt kann laut Lothar Mikos aber auch bei anderen Medieninhalten auftreten, sofern „der Medientext einen hohen Grad an kognitiver und emotionaler Aktivität der Rezipienten hervorbringt, die sich mit einem zweckfreien Vergnügen am Text paart“43. In der amerikanischen Forschungsliteratur wird der Begriff immer wieder in

40 Weaver, Tyler (2012), S. 31 41 Zitiert in Rose, Frank (2012), S. 49 42 Mikos, Lothar (2008): Film- und Fernsehanalyse. Konstanz: UVK (2. Aufl.), S. 184 43 Ebd., S. 185

18 Zusammenhang mit transmedialen Erzählungen und deren attraktiven Eigenschaften für ein modernes Publikum verwendet. Frank Rose spricht von einem Bedarf an Immersion, Teile des Publikums würden geradezu in medial erzählte Geschichten eintauchen wollen, von ihren Inhalten komplett umgeben sein, sich in eine scheinbare Zweit-Realität einklinken. Interaktivität und Nicht-Linearität werden dabei oft als Schlüsselfaktoren immersiver Medienerlebnisse begriffen. Bei der Auseinandersetzung mit dem Eintauchen in fiktive Welten schwingt allerdings häufig eine Angst vor der totalen Immersion mit, dem Moment, in dem Realität und Fiktion verschwimmen und beide Gegenstände vom Rezipienten nicht mehr auseinandergehalten werden können, wie Rose weiter ausführt. Trotz dieser Angst würden wir uns Rose zufolge allerdings nach immer immersiveren Fiktionen und Medienerfahrungen sehnen.44 Interessanterweise wird dieser Diskurs nicht nur aktuell von Forschern und Experten geführt, sondern er findet auch in den betroffenen Medien selber statt. Egal ob jüngst in Filmen wie INCEPTION (USA 2010), TRON: LEGACY (USA 2010) oder SHUTTER ISLAND (USA 2010), oder in Videospielen wie Metal Gear Solid 2 : Sons of Liberty (Konami, 2001) oder der Assassins' Creed-Reihe (Ubisoft, 2007- 2013), immer wieder sehen sich Protagonisten und in letzter Konsequenz auch das Publikum mit vermeintlichen Realitäten konfrontiert, die sich als bloße Konstrukte erweisen und im Verlauf dieser Entdeckung langsam auseinanderfallen. Bestes Beispiel dafür ist natürlich THE MATRIX, welcher sich mit seiner Handlung über von Maschinen versklavten und unbewusst in einer Computersimulation lebenden Menschen seine eigene Immersivität auf geradezu ironische Weise dem Publikum vorhält und selbst dekonstruiert.

2.3.4 Fan-Kult(ur)

Wie an mehreren Stellen schon deutlich geworden, lässt sich kaum über Produktion und Inhalte von populären Medieninhalten sprechen, ohne nicht auch die Seite des Rezipienten und seine Auseinandersetzung mit den Texten zu thematisieren. Viel- mehr stellt die Rezeption und daraus resultierende Fan-Kulturen die entscheidende

44 Vgl. Rose, Frank (2012), S. 291f

19 Komponente des Erfolgs dar, denn ein komplexes, sich ständig ausdehnendes Erzäh- luniversum ist alleine schon aus rein wirtschaftlichen Aspekten auf ein Publikum angewiesen, das fortlaufend nach neuen Geschichten verlangt. Darüber hinaus geben Fans dem Universum durch die Kommunikation untereinander Relevanz, arbeiten es auf verschiedene Arten auf, geben den Produzenten direkt oder indirekt Feedback und gestalten je nach Angebot das Universum sogar mit. Nur durch die Etablierung einer Fan-Kultur kann ein Medieninhalt überhaupt zum Kult-Objekt werden. Laut Matt Hills gibt es demzufolge drei Faktoren, die die Generierung von Fan-Kulturen maßgeblich unterstützen: Erstens, ein über die die einzelne Geschichte weit hinaus- gehendes Erzähluniversum, die „Hyperdiegese (hyperdiegesis)“, ein „großer und detailreicher narrativer Raum […] mit eigener interner Logik“45. Zweitens, eine „endlos hinausgeschobene Erzählung (endless deferred narrative)“46, die sich um ein bestimmtes Geheimnis oder Thema dreht, das in seiner Gänze nie ganz aufgeklärt wird und so als Katalysator für die gesamte Handlung funktioniert. Drittens, das Vorhandensein eines „auteur“47, eines kreativen Steuermannes hinter den Kulissen der Produktion, der alle inhaltlichen und ästhetischen Aspekte lenkt und Herr über das jeweilige Universum ist.

2.3.5 Henry Jenkins 2011: Begriffs- und Definitionsklärung

Jenkins ursprüngliches Konzept des transmedialen Erzählens hat in den Folgejahren nach der Veröffentlichung von Convergence Culture zu allerlei Debatten und Diskus- sionen rund um die Definition des Begriffes, seiner Abgrenzung zum klassischen Franchising und der ihm innewohnenden beschriebenen Erzählqualitäten geführt. Jenkins nahm 2011 in Form eines längeren Eintrags auf seinem Internet-Blog Stel- lung zu dem inzwischen umfangreichen Diskurs über den vom ihm beschriebenen Medientrend. Seine Überlegungen sieht er dabei allerdings nicht als eine neue Defi- nition des Begriffes, sondern sollen vor allem zur Reflexion und Klärung einiger

45 Hills, Matt (2002), S. S.137f 46 Ebd., S. 134f 47 Ebd., S. 132f

20 entstandener Unklarheiten beitragen.48 Seine nur leicht abgewandelte Definition lautet wie folgt:

„Transmedia storytelling represents a process where integral elements of a fiction get dispersed systematically across multiple delivery channels for the purpose of creating a unified and coordinated entertainment expe- rience. Ideally, each medium makes it own unique contribution to the unfolding of the story.“49

Problematisch sieht Jenkins allerdings die Entwicklung, dass der Begriff häufig je nach Kontext und Publikum unterschiedlich ausgelegt wird, zum Teil sogar zum reinen Selbstzweck bzw. Werbemittel verkommt, da die eigentliche Bedeutung ausgehölt und mit der Beschreibung von gänzlich anderen Phänomenen verschmol- zen wird.50 Eine Gefahr sieht er zudem in der Verwendung des Begriffs als Synonym für klassische, rein wirtschaftlich motivierte Entwicklungen der populären Unterhal- tung wie Branding und Franchising:

„Franchising is a corporate structure for media production which has a long history and throughout much of that history, there has been an attempt to move icons and brands across media channels, but not necessarily an attempt to extend the story in ways which expanded its scope and meaning. Most previous media franchises were based on reproduction and redundancy, but transmedia represents a structure based on the further development of the storyworld through each new medium.“51

Während Franchising vor allem auf der Idee der Vergabe von Lizenzen basiert, sieht Jenkins neue Strukturen von Ko-Kreation und Zusammenarbeit verschiedener

48 Vgl. Jenkins, Henry (2011): Transmedia 202: Further Reflections. http://henryjenkins.org/2011/08/defining_transmedia_further_re.html [Stand: 18.06.2013] 49 Ebd. 50 Vgl. ebd. 51 Ebd.

21 Medienmacher als Fundament von transmedialen Phänomenen.52 Was die transme- diale Erweiterung außerdem von der klassischen Adaption eines Stoffes unterschei- det sei die „additive comprehension“53, ein ursprünglich von Videospiel-Designer Neil Young eingeführter Begriff, der die Erweiterung des Wissens über eine fiktive Welt durch jeden neuen (Teil-)Text dieser Erzählwelt beschreibt. Als Schlüsselfakto- ren dieses Konzepts des „world-building process“54 sieht Jenkins die folgenden Funktionen von transmedialen Inhalten: Die Darbietung zusätzlicher Hintergrundge- schichten, die Verortung/Kartografierung der erzählten Welt, alternative Perspektiven anderer Figuren auf das Geschehen und eine Vertiefung der Auseinandersetzung mit dem Stoff durch den Rezipienten.55 Im Kern versteht Jenkins transmediales Erzählen als eine Verbindung von diversen Erzählformen und Texteigenschaften, die sich im Laufe der letzten zwei Jahrhunderte entwickelt haben. Sowohl das Konzept der „seriality“56, das Erzählen von Fortset- zungsgeschichten über die einzelne (mediale) Veröffentlichung hinweg, als auch die von Jenkins als „radical intertextuality“57 beschriebene Eigenschaft von diversen Titeln der Comic-Verlage DC und Marvel, deren Geschichten allesamt untereinander erzählerisch verknüpft sind (z.B. durch das Auftauchen der selben Figuren in verschiedenen Geschichten), stellen zwei grundlegende Aspekte intertext- bzw. inter- medialer Erzählstoffe dar. Um der Idee des Transmedialen gerecht zu werden, ist allerdings eine weitere Eigenschaft zu beachten, nämlich die der „multimodality“58. Ein erstmalig von Christy Dena im Zusammenhang mit transmedialer Narration verwendeter Begriff, der den Umstand beschreiben soll, dass transmediale Inhalte nicht nur über verschiedene Medien präsentiert werden, sondern auch je mit den speziellen Charakteristika des jeweiligen Mediums dargestellt werden. Transmediale Geschichten verändern dementsprechend Modalitäten der Narration und Darstellung in Bezug auf das jeweilig gewählte Medium, das dem transmedialen Fragment als Träger dient. In diesem Sinne definiert sich eine transmediale Geschichte laut

52 Vgl. ebd. 53 Ebd. 54 Ebd. 55 Vgl. ebd. 56 Ebd. 57 Ebd. 58 Ebd.

22 Jenkins weder durch die Anzahl noch die Art der Medien, durch die sie erzählt wird, sondern durch die Kombination der eben erläuterten Eigenschaften:

„A franchise can be multimodal without being transmedia — most of those which repeat the same basic story elements in every media fall into this category. For me, a work needs to combine radical intertextuality and multimodality for the purposes of additive comprehension to be a trans- media story. That’s why shortening transmedia to 'a story across multiple media”' distorts the discussion.“59

Diese Überlegungen von Jenkins beweisen einerseits, dass sich die Kategorisierung transmedialer Inhalte immer noch in einer Pionier- und Experimentierphase befindet, anderseits machen sie auch deutlich, wie weit das Phänomen in den historischen Ursprüngen der Populärkultur verankert ist. Deshalb beschäftigt sich das folgende Kapitel nicht nur mit dem Erscheinen von Fortsetzungliteratur im 19. Jahrhundert, sondern auch mit der daraus resultierenden „radikalen Intertextualität“ populärer Superhelden-Comics, um das Verständnis für die narrativen Wurzeln des Marvel Cinematic Universe zu vertiefen und dessen grundlegende Verflochtenheit mit den Ideen des transmedialen Erzählens und der Hyperdiegese besser zu veranschauli- chen.

59 Ebd.

23 3. Kapitel 2 – The Revolution is Serialized

3.1 Die Genesis der Fortsetzungsliteratur zu Zeiten der industriellen Revolution

Der wissenschaftliche und gesellschaftliche Diskurs über Inhalte und Produkte der populären Unterhaltung ist gewöhnlich auch mit der oft in der Kritik stehenden Massenproduktion dieser Güter verknüpft. Besonders im deutschsprachigen Raum treibt die Fachwelt gerne einen Keil zwischen die Produkte der auf den internationalen Markt ausgerichteten Kulturindustrien und den (hoch-)kulturellen Werken individueller Künstler. Die Idee der "Kulturindustrie" an sich wird dabei oft bis zum heutigen Tage mit Argwohn betrachtet, verbindet sie doch den klassischen Gedanken der Erschaffung eines einzigartigen Gutes bzw. Kunstwerks mit den festgeschriebenen Normen und eindeutigen Funktionalitäten industriell gefertigter Massenprodukte. Doch Massenkultur und Industrialisierung haben eine weit tiefer gehende Beziehung zueinander als die Produktion ersterer durch die Mittel letzterer. Die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung veränderte nicht nur die Produktionsbedingungen wirtschaftlicher Güter, sondern auch das Leben von großen Teilen der Bevölkerung. "England in the 1830s was being transformed by technology as profoundly as the entire planet is today."60 Die Arbeit in den neu errichteten Fabriken zog die Menschen vom Land in die Städte, als Konsequenz daraus stand mehr und mehr Bürgern der untereren und mittleren Schichten immer weniger Raum zum Leben und zur Gestaltung der (wenigen) Freizeit zur Verfügung. Die eingehende Urbanisierung des 19. Jahrhunderts hatte so nicht nur das Wachstum der Städte zur Folge, sie veränderte auch den Alltag und die Lebensläufe der Menschen. Die harten Arbeitsbedingungen und der Umstand, dass es in der wenigen Freizeit für die Bürger der Arbeiterklassen kaum Unterhaltungsangebote gab – bzw. kaum Angebote, die sie sich leisten konnten – führten dazu, dass viele dieser Menschen Lesen lernten, woraus ein rasant steigender Bedarf an Lesestoff resultierte.

60 Rose, Frank (2012), S. 89

24 Gleichzeitig beschleunigte die Industrialisierung die Produktion von Büchern und begünstigte Qualitätssprünge in Papierherstellung, Bücherdruck und Logistik.61 Das Ergebnis war die Geburtsstunde der "serialized novel"62 und damit einer neuen Art Geschichten zu erzählen, wie es Frank Rose beschreibt:

"Book publishers saw a market for serial fiction – books released a few chapters at the time in flimsy paperback editons that sold for a shilling or so each (12 pence). Writers were lucky to stay one or two installments ahead of the deadline, so readers who wanted to share their thoughts could influence the plot as the books were being written – could participate, in other words."63

Die serialisierte Erzählform war so in erster Linie ein Zugeständnis an die limitierten finanziellen Ressourcen der Leserschaft. Aus diesem Umstand heraus entwickelte sich über die Jahre hinweg ein eigener Literaturtrend, der nicht nur für immer die Struktur von Geschichten veränderte, sondern auch das Publikum bzw. dessen Reaktionen auf die Fortführung der Geschichten mit einbezog. Untrennbar mit dem Aufstieg der Fortsetzungsliteratur verknüpft ist Charles Dickens mit Werken wie Oliver Twist und The Old Curiossity Shop. Der in Portsmouth geborene Autor wurde im Laufe der 1830er und -40er schnell zu Englands erfolgreichstem Autor, dem "master of the serial"64. Die einzelnen Bände seiner Geschichten endeten oft an den spannendsten Stellen, um die Leser zum Kauf der nächsten Ausgabe zu animieren (heute umgangssprachlich als "cliff-hanger ending" bekannt, wurde dieser Begriff allerdings erst Jahrzehnte später durch Autor Thomas Hardy geprägt, der seinen Helden in einem Band von A Pair of Blue Eyes am Ende von einer Klippe hängen ließ65). Außerdem arbeitete Dickens das Feedback der Leser oft direkt in seine Geschichten ein, sowohl was das Schicksal von Figuren als auch Ortswechsel der Handlung betraf.66 Die Genesis des Erzählens von fragmentierten Geschichten, wie

61 Vgl. ebd., S.89 62 Ebd., S.89 63 Ebd., S.89 64 Ebd., S.90 65 Vgl. ebd., S.90f 66 Vgl. ebd., S.91

25 sie uns heute durch die Medien hinweg überall begegnen, ist somit unweigerlich mit dem Grundstein unserer modernen (post-)industrialisierten und technisierten Gesellschaften verbunden, der industriellen Revolution des frühen 19. Jahrhunderts. Es ist der Beginn von Handlungsbögen, die die jeweilige Einzelveröffentlichung übergreifen und von der indirekten Kommunikation des Rezipienten mit dem Autor. Daraus resultiert eine neue Art von Erzählung, die sich unter ständiger Aufrechterhaltung ihrer Grundcharakteristika gleichzeitig auch immer wieder neu erfinden muss, um mit dieser Mixtur aus Konvention und Abweichung ihr Publikum anzusprechen als auch potentiell zu erweitern. Wie Frank Kelleter und Daniel Stein in der Auseinandersetzung mit der damit unmittelbar verbundenen Entstehung des Comic-Mediums festhalten, kann „die Spannung zwischen Reproduktion und Fortsetzung, Invarianz und Innovation […] als das zentrale Strukturprinzip der Ästhetik populärer Serialität, ja vielleicht des historischen Systems der amerikanischen Populärkultur insgesamt identifiziert werden.“67 Natürlich wurde diese Entwicklung von Advokaten klassischer Literatur und den oberen (Kultur-)Eliten des 19. Jahrhunderts äußerst kritisch gesehen. Literarische Fiktion und Romane waren sowieso erst seit kürzerer Zeit in den höheren Kreisen der Gesellschaft als legitimer Zeitvertreib akzeptiert und für die lautstarken Kulturkritiker der Oberschicht waren Fortsetzungsgeschichten einmal mehr der Untergang der westlichen Zivilisation, wie es so viele weitere Formen von neuen Medien in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten auch noch sein sollten. Dickens war weit davon entfernt als der einflussreiche englische Autor zu gelten, als der er heute wahrgenommen wird; vielmehr war er Unterstützer einer neuen Form von Unterhaltung, die die Allmachtstellung der klassischen Kulturgüter der Elite gefährdete: Unterhaltung für die Masse, für das große Publikum. Auch die Angst davor, dass sich der Leser nun komplett in den fiktiven Welten verlieren und die Aufregung der ständig fortgesetzten Geschichten den Banalitäten des Alltags vorziehen würde, war zu diesem Zeitpunkt ein kontrovers diskutiertes Thema. Die Faszination von immersiven Erzählwelten und die Angst vor dieser Faszination waren dementsprechend schon damals Bestandteil des kritischen Diskurses über neue

67 Kelleter, Frank; Stein, Daniel (2009): Great, Mad, New. Populärkultur, serielle Ästhetik und der frühe amerikanische Zeitungscomic. In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 57

26 Medien.68 Zum Ende des 19. Jahrhunderts sanken die Kosten der Bücherproduktion immer mehr und die monatliche Veröffentlichung von Roman-Stoffen verringerte sich stetig. Stattdessen dominierten nun Magazine mit Kurzgeschichten den monatlichen Markt. Um die Jahrhundertwende herum begann sich vor allem in den USA eine Szene rund um die Genre-Stoffe von Amateur- als auch erfahrenen Autoren zu etablieren, die ihre gewöhnlich in sich geschlossenen Horror, Abenteuer- oder Science-Fiction-Geschichten in den monatlichen Ausgaben der Groschen- Magazine veröffentlichten, die die ursprünglichen Fortsetzungsromane als populäres Lesemedium ablösten.69 Serielles Erzählen verschob sich derweil zunächst in andere, neuere Medien wie das Radio (The Shadow) oder später in Form von Movie-Serials auch in das junge Kino. Aber in den literarischen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts, hervorgehend aus Fortsetzungsroman und Genre-Groschenheft, sollte auch der Samen für eine neue Form der gedruckten Unterhaltung liegen. Mit bunten Bildern und runden Sprechblasen.

3.1.1 Der Aufstieg der Comics in den USA

Für das Medium Comic gibt es viele unterschiedlich gewichtete Definitionen, allgemein beschreibt der Ausdruck aber eine sequentielle Folge von Bildern, die durch das so genannte „gutter“ (das meistens weiß gehaltene Gitternetz zwischen den Bildern) gerahmt wird und die darüber hinaus auch Textelemente aufweisen.70 Comics existierten vor Beginn des 20. Jahrhunderts zunächst nicht als eigenständiges Medium, sondern fungierten in Form von wenigen Bildern umfassenden Kurzgeschichten vor allem als Mittel zur Auflockerung in Tageszeitungen. Als erstes (amerikanisches) Comic-Strip gilt The Yellow Kid, auch wenn es weltweit weitaus frühere Vorläufer-Varianten von Bilder-Kurzgeschichten gab. Die ersten eigenständig in den USA produzierten Comichefte waren dementsprechend auch nur Sammlungen zuvor bereits in Zeitungen publizierter Arbeiten. Erst als in den Nachwehen der

68 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.92f 69 Vgl. ebd., S. 26 70 Vgl. Etter, Lukas; Hoppeler, Stephanie; Rippl, Gabriele (2009): Intermedialität in Comics. Neil Gaimans . In: Ditschke, Stephan; Kroucheva, Katerina; Stein, Daniel (Hg.) (2009): Comics. Zur Geschichte und Theorie eines populärkulturellen Mediums. Bielefeld: transcript, S. 57

27 Weltwirtschaftskrise 1929 ein stetig wachsender Bedarf an den eskapistischen Bildergeschichten die Verleger der Comic-Sammelbände dazu brachte, neue Stoffe für die monatliche Veröffentlichung von ihren Heften zu produzieren, machte das junge Medium den ersten entscheidenden inhaltlichen Schritt in die Richtung, die die strahlenden Anfangsjahre der Comic-Kunst, das Golden Age, definieren sollte: Die Geburt der Superhelden.7172 Tyler Weaver beschreibt die Erfindung des Superhelden euphorisch, wie man es ihm als aktiver Comic-Autor wohl kaum verübeln kann, als „the greatest contribution to storytelling of the past hundred years“ und als ein „cocktail of the archetypes of mythology and the power fantasies of male teenagers emerging from the Great Depression.“73 Die ersten Comic-Helden mit Superkräften waren Symptome ihrer Zeit. Erdacht von junge Männern, die sich in den Jahren der Weltwirtschaftskrise mit der Ohnmacht, die Dinge um sich zu ändern, konfrontiert sahen und sich stattdessen lieber in eskapistische Machtfantasien flüchteten, kämpften die Helden des Golden Age ohne Zweifel für das Gute und triumphierten Mal um Mal. Dieser Idealismus gepaart mit der inzwischen wirtschaftlichen Erfahrung und Aufmerksamkeit der Verleger von populären Lesestoffen sorgte für den ersten großen Comic-Boom in den USA, der nicht vor Ende der 1940er wieder abebben sollte. Schließlich sah sich Amerikas junge Generation mit einer mehr und mehr düsteren Realität durch den Aufstieg des Faschismus in Europa und Asien und der immer größer werdenden Wahrscheinlichkeit eines erneuten Weltkrieges konfrontiert.74 Eine dieser Allmachtsphantasien war der von Jerry Siegel und Joe Shuster erdachte letzte Sohn Kryptons Kal-El, besser bekannt unter seiner Heldenidentität Superman. Aufgezogen von dem irdischen Ehepaar Martha und Jonathan Kent, ist Superman auch deshalb ein uramerikanisches Symbol, weil er genau wie die meisten Vorfahren der heutigen US-Bevölkerung (sowie die Eltern seiner jüdischen Erfinder) ein Einwanderer ist, der nach dem Untergang seiner Welt in den USA eine neue Heimat gefunden hat. Shuster und Siegel verkauften die Rechte an der Figur später für gerade einmal 130 Dollar an die Verleger Malcolm Wheeler-Nicholson und Harry Donnerfeld, deren Detective Comics auch die Initialen für ihren neu geformten

71 Vgl. Etter, Lukas; Hoppeler, Stephanie; Rippi, Gabrielle (2009), S. 55ff 72 Vgl. Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009), S. 166 73 Weaver, Tyler (2013), S.63 74 Vgl. ebd., S.63

28 Verlag bereitstellen sollten. Siegels und Shusters zuvor von Zeitungen abgelehnte Superman-Comic-Strips debütierten schließlich 1938 als Gesamtausgabe in Form von DC Comics Action Comics #1. Ein Jahr später publizierte Martin Goodmann, ehemaliger Pulp-Verleger, wie auch die Konkurrenten von DC, über seinen in den 1930er-Jahren gegründeten Verlag Timely den Band Marvel Comics #1 und initiierte damit den Urknall des heutigen Marvel-Universums.75

3.1.2 Marvel-Comics – Ursprünge, Kontinuität und Intertextualität

Der erste große Erfolg der Marvel-Comics ist eng mit der Geschichte des Zweiten Weltkrieges verknüpft. Wie kaum eine anderes Unterhaltungsmedium zu dieser Zeit thematisierten die monatlichen Marvel-Geschichten regelmäßig die Schreckensherrschaft der Nazis in Europa und schickten frühe Helden wie The und Sub-Mariner in den Kampf gegen Hitlers Schergen. Gallionsfigur dieser idealisierten, proamerikanischen Phase war der 1941 eingeführte schwächelnde Patriot Steve Rogers, der sich nach der Injektion eines Supersoldatenserums in den übermächtigen Captain America verwandelte und sich gleich mit der ersten Ausgabe in die Köpfe der amerikanischen Comic-Leser brannte, da das Cover-Motiv einen durch Captain Americas rechten Haken zu Boden gehenden Adolf Hitler zeigte.7677 Sowieso unterscheidet sich Marvel seit Beginn an durch einen "realistischeren Ansatz" (sofern man im Superhelden-Genre überhaupt von Realismus sprechen kann) von anderen Comic-Universen. Nicht nur finden die Geschichten an realen Orten wie New York City statt (DC-Helden dagegen bevölkern gewöhnlich fiktive Städte wie Metropolis oder Gotham), auch ihre Helden menscheln in Bezug auf ihre Schwächen, Probleme und Beziehungen mehr, als die eher an mythische Archetypen angelehnten DC-Charaktere.78 Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg und die "Mobilmachung" der Marvel-Helden war diesem Ansatz ebenfalls zuträglich: "While Timely took the fight to Hitler and stirred up the patriotic passions of

75 Vgl. ebd., S.64ff u. S.72 76 Vgl. ebd., S.75ff 77 Marvel Comics (1941): Captain America Comics #1 78 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.73

29 American children and adults, DC, for the most part, sought to be an escape." 79 Diese Nähe zum jeweiligen Zeitgeist zeichnet bis heute eine Qualität der Marvel- Veröffentlichungen aus, wie z.B. die Einführung der X-Men, die in den Zeiten der aufkommenden amerikanischen Bürgerrechtsbewegungen mit ihren seit Geburt an vorhandenen Superkräften das Recht auf Gleichstellung für alle gesellschaftlichen Minderheiten symbolisierten80 oder die in der Post-11/9-Ära veröffentlichte Civil War-Reihe, in der ein an den Patriot Act angelehntes, von der Regierung verabschiedetes Gesetz alle Helden dazu zwingt, ihre geheimen Identitäten aufzugeben und die Heldengemeinde darauf in zwei verfeindete Lager spaltet, jeweils angeführt durch die einstigen Waffenbrüder Captain America und Iron Man.81 Nach dem wirtschaftlichen Höhenflug des Golden Age (Ende 1942 wurden monatlich eine Million Exemplare von Comics wie Superman oder Captain America abgesetzt, derweil waren über 30 Prozent des gesamten gedruckten Materials, das an US- Militär-Basen geschickt wurde, Comichefte82) mussten sich Comics in den Nachkriegsjahren zunächst neu erfinden. Erstens wirkte sich der anhaltende Krieg so negativ auf Amerikas Ressourcen aus, dass Papier praktisch zum Luxusgut wurde, wodurch viele kleinere Verlage pleite gingen, zweitens sank die Qualität der Hefte erheblich, da im Laufe des Krieges viele der ursprünglichen Zeichner und Autoren selber eingezogen wurden.83 Mit dem Krieg endete auch die Schwarz-Weiß-Moralität der Comichelden und die sich zu einem relevanten Wirtschaftszweig entwickelte Comic-Industrie musste sich auf die Suche nach neuen Gegenspielern für ihre Helden machen, wie auch die USA selbst.84 Die 1950er waren das Jahrzehnt, das das junge Comic-Medium beinahe zerstörte. Pädagogen und Psychologen machten Comics für die Verrohung der Jugend und die steigende Kriminalität verantwortlich, was zur Einführung der Comics Code Authority führte, einem Auflagenkatalog nach dem sich die Artisten inhaltlich und ästhetisch fortan streng nach zu richten hatten. Zudem wirkten viele der ursprünglichen Helden wie Relikte aus einer anderen Zeit und hatten ihre

79 Ebd., S.77 80 Vgl. ebd., S.177 81 Vgl. Watkins, Liz (2012): Marvel's Civil War. Media Research. http://distortedeight.files.wordpress.com/2013/02/reseach-paper.pdf [Stand: 09.06.2013] 82 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S. 76 83 Vgl. ebd., S. 77f 84 Vgl. ebd., S.81

30 gesellschaftliche Relevanz verloren. Marvel-Verleger Timely – jetzt unter dem Namen Atlas geführt – standen kurz vor dem finanziellen Ruin.85 Verlagsinhaber Goodman strich die Belegschaft auf eine kleine Gruppe von Autoren und Zeichner zusammen, u.a. die Brüder Stan und Larry Lee. Inspiriert durch den jüngsten Erfolg des DC Verlages, die Erneuerung ihrer Helden durch den Team-Band Justice League of America86, schuf Stan Lee unter der Anweisung Goodmanns die Fantastic Four87, die den Beginn des neuen Marvel-Universums einleiten sollten. Ihnen folgten zahlreiche neue (Spider-Man, Hulk, X-Men usw.) und revitalisierte Versionen älterer Helden, wie der aus dem Kälteschlaf wiedererweckte Captain America, der fortan Marvels neues Superhelden Team (The Avengers) anführen sollte. Lee rettete so nicht nur den angeschlagenen Verlag, sondern schuf viele der bis heute beliebtesten Helden der Marvel-Comics und errichtete das Grundgerüst für ein Erzähluniversum, das sich einerseits ständig neu erfinden sollte, ohne dabei aber das Vorhergekommene zu ignorieren.88 Stattdessen arbeiteten die Artisten unter Lee das Erbe des Golden Age in ihre neuen Geschichten mit ein und sorgten für eine fließende Kontinuität der Geschichten durch das Silver Age und alle folgenden Comic-Zeitalter hinweg.

3.1.3 "The Marvel Method" und die fünf Säulen des Marvel-Universums

Stan Lee und sein Team entwickelten in den 1960ern eine neue Methode zur Produktion der eigenen Comic-Reihen. Dank des kleinen, überschaubaren Teams war Lee sowohl der hauptverantwortliche Autor sämtlicher Superhelden-Abenteuer als auch Editor und Art Director. Mit mehr und mehr monatlich erscheinenden Veröffentlichungen musste er eine Arbeitsmethode entwickeln, um die Geschwindigkeit der Produktion zu erhöhen, ohne dabei Einbuße bei der Qualität zu verursachen. Lee erstellte deshalb für neue Geschichten nur noch ein narratives Grundgerüst, das den groben Verlauf der jeweiligen Geschichte darstellen sollte. Die Umsetzung und der visuelle Charakter lag anschließend in der Hand der jeweiligen

85 Vgl. ebd., S.93ff 86 DC Comics (1960): Justice League of America #1 87 Marvel Comics (1961): The #1 88 Vgl. Weaver, Tyler (2013), S.110f

31 Zeichner. Durch die geringen Limitierungen entwickelten die Comics von Marvel so schnell eine stetig komplexer werdende visuelle Sprache und Gestaltung. Erst im Nachhinein versorgte Lee die Bilder schließlich mit Titeln und Dialogen. Das Ergebnis war ein vielfältiges, sich ausbreitendes Erzähluniversum, das trotz seiner verschiedenen Erzählungen und Helden durch eine Autor-Autorität gesteuert wurde, die dessen Kohärenz sicherstellte.89 Tyler Weaver beschreibt fünf grundlegende Säulen als die entscheidenden Qualitäten, auf denen Marvel sein Erzähl-Fundament errichtete:

"From the first Marvel Comics in1939, a focus on character and other key traits have defined the Marvel stable of heroes and titles. With the Fantastic Four, Lee brought those defining principles of story development to a new generation with a dash of the national obsession with space and the fears of the atomic bomb that pervaded the 1950s and 1960s. The was both of its time and timeless."90

Diese fünf "key traits" benennt Weaver wie folgt: "The Flawed Protagonist91", Helden, die trotz ihrer Superkräfte sich auch mit alltäglichen Problemen und den inneren Dämonen auseinander setzen müssen und deswegen gerade für die jüngere Leserschaft oft mehr Identifikationspotential bereit halten. "The Core Concept92", jeder Heldengeschichte liegt ein universelles Thema zu Grunde, das durch die verschiedenen Abenteuer der Helden erforscht wird (Spider-Man = Verantwortung, Fantasitc Four = Familie, Hulk = Wut). "In Your Backyard93", die Marvel- Geschichten finden an stilisierten Versionen realer Lokalitäten statt, wodurch die Realität überzeichnet wird, anstatt komplett negiert. "The Shared Universe94", die Geschichten und Mythologien der verschiedenen Helden werden in einem Erzähluniversum miteinander verschmolzen und zu einer Hyperdiegese geformt. Alles, was irgendwo in einem der Comics passiert, hat dadurch potentiell Relevanz

89 Vgl. ebd., S.111f 90 Ebd., S.113 91 Ebd., S.112 92 Ebd., S.112f 93 Ebd., S.115 94 Ebd., S.115f

32 für die Ereignisse zukünftiger Geschichten. "Plot Versus Charachter95", die Geschichten der einzelnen Helden sind stets eng an ihre Persönlichkeit gebunden. Im Gegensatz zu anderen Comics sind die Plots der verschiedenen Heldenfiguren nicht beliebig austauschbar, sondern auf die Lebensumstände und Erlebnisse der jeweiligen Figur zugeschnitten.

3.1.4 Intertextualität, Metaebene und Partizipation

Anjin Anhut und Stephan Ditschke thematisieren mit Bezug auf Peter Coogans Dissertation Superhero die Zunahme an Selbstreferentialität in Superheldencomics im Laufe der Genre-Geschichte. „Erstens wird […] sowohl quantitativ als auch qualitativ in zunehmendem Maße transformatorisch Bezug auf die Genre-Regeln genommen […]. Zweitens wird in zunehmendem Maße genrereflexiv erzählt.“96 Bereits seit frühen Tages des Superheldencomics sind intertextuelle Verweise und Handlungselemente Teil der Comic-Geschichte. Das Aufeinandertreffen verschiedener Helden ("crossover") war eine gewöhnlich durch die Verleger geförderte Innovation, die sich durch die inhaltliche Erweiterung vor allem finanzielle Vorteile erhofften.97 Eine logische Konsequenz aus den Crossover-Bänden waren die Teambücher, die ebenfalls in Form von DCs Justice Society of America98 bereits in den 1940ern ihren Einzug hielten. Anstatt allerdings gemeinsame Abenteuer zu bestehen, erzählten sich die Helden der Justice Society ihre einzelnen Abenteuer in Sitzungen, die den eigentlichen Geschichten als Rahmenhandlung dienten. Teambücher dienten außerdem dazu, die Tauglichkeit neuer Helden beim Publikum zu testen, beliebte Charaktere erhielten nach positivem Feedback anschließend oft eigene Veröffentlichungen.99 DCs Justice League und Marvels The Avengers wurden in den 1960ern zu monatlichen Bestsellern, wobei letztere Veröffentlichungen durch die Jahre 1971/ 72 geprägt wurden, in denen der unter Stan Lee (inzwischen Geschäftsführer von

95 Ebd., S.116 96 Anhut, Anjin; Ditschke, Stephan (2009):,S. 162 97 Vgl. Waver, Tyler (2013), S.76 98 DC Comics (1940): All Star Comics #3 99 Vgl. Waver, Tyler (2013), S. 77

33 Marvel) arbeitende Editor-in-Chief einen fortlaufenden Konflikt der Avengers-Helden mit außerirdischen Invasoren inszenierte, der die Kontinuität aller bis dahin erschienenen Marvel-Veröffentlichungen zusammenzog und damit dem Marvel-Universum die Relevanz einer seit den 1930ern fortlaufenden Erzählung überstülpte.100 Darüber hinaus enden die Möglichkeiten im Superhelden-Comic nicht an den Grenzen eines Erzähluniversums, in manchen Fällen werden komplett neue Paralleluniversen eröffnet, in denen Figuren alternative Schicksale erwarten oder wichtige Ereignisse anderes verlaufen. In diesem "multiverse"101 existieren also mehrere Hyperdiegesen nebeneinander und in einigen Fällen werden die Grenzen zwischen den Universen geöffnet, um Interaktion zwischen den verschiedenen Figurenversionen möglich zu machen. Auch Marvel führte im neuen Jahrtausend, auf die Comic-Krise der 1990er reagierend, ein alternatives Erzähluniversum ein (Marvel Ultimate). In diesem neuen, vom klassischen Marvel-Universum komplett separiertem Erzählkosmos, wurden viele der bekannten Figuren in Bezug auf ihre Erscheinung und Charakteristika erneuert und die Kausalität der einzelnen Geschichten noch enger zusammengebunden. Insbesondere wurden Figuren auch in Bezug auf ihre Ethnie überarbeitet; so ist Nick Fury neuerdings ein Afroamerikaner (wie auch in Marvels Kino-Universum) und der ursprüngliche Spider-Man Peter Parker wird nach seinem dramatischen Tod durch einen jungen Nachfolger mit afro- und lateinamerikanischen Wurzeln ersetzt.102 Verknüpft mit der Idee eines „Multiversums“ ist der Einsatz einer selbstreferenziellen Metaebene in den Comics. So führte DC in den 1960ern eine neue Variante des klassischen Helden The Flash ein, der selber Comic-Leser war und die Geschichten der ursprünglichen Figur aus dem Golden Age kannte. Die Figur namens Barry Allen mochte den klassischen Helden so sehr, dass sie seine Identität annahm und so zur Reinkarnation des klassischen Helden wurde.103 In einer der späteren Ausgaben besuchte er dann sogar schließlich eine alternative Realität, in der die Helden des Golden Age noch existierten und der neue Flash auf den ursprünglichen Helden traf.104 Bei Marvel hingegen wurde u.a. die Figur Sub-

100 Vgl. ebd., S.149 101 Ebd., S.106 102 Vgl. ebd., S.198ff 103 Vgl. ebd., S.101f 104 Vgl. ebd., S.106

34 Mariner wieder eingeführt, in dem ein Mitglied der Fantastic Four den ehemaligen Helden als Obdachlosen auf der Straße erkannte (und zwar durch die Abbildung auf einem Comic aus dem 1940ern).105 Das Medium entwickelte so schon in den 1960ern ein großes Maß an Selbstreflexivität und spielte mit den eigenen Konventionen sowie mit dem Wissen des Rezipienten. Dieses Spiel mit der vierten Wand zwischen Fiktion und Realität förderte bei aufmerksamen Lesern so zusätzlich das Rezeptionsengagement. Die Interaktion mit den Fans war neben der Produktionsweise auch ein Feld, das der damalige Editor Stan Lee in den 1960ern stark ausbaute und kultivierte. Er führte nicht nur personalisierte Vorwörter ein, die interessierten Lesern die Menschen hinter dem Medium näher brachten, sondern motivierte sie auch dazu, dem Verlag beim Entdecken möglicher Kontinuitätsfehler oder anderen Lücken in der Handlung zu schreiben, worauf jeder Hinweis scherzhaft mit der Rücksendung eines leeren Briefumschlags belohnt wurde (dem Marvel-No-Prize), der den Lesern aber immerhin bestätigte, dass ihre Einsendungen wahrgenommen wurden und die erfolgreiche Kommunikation mit den Machern bestätigte. Da Lee alle wichtigen Stränge des Marvel-Universums in seinen Händen hielt, entwickelte sich über die Jahre ein immer individuellerer Ton in den Erzählungen. Lee gab den Lesern das Gefühl, Teil der Geschichte zu sein und Einfluss auf die Ereignisse zu haben, anstatt passiv einfach nur neue Geschichten erzählt zu bekommen.106 Nachdem die US-Comic-Industrie in den 1990ern u.a. auch durch die Spekulationen auf den Sammlerwert von Heften fast kollabiert war und Marvel sich in seiner damaligen Form für Bankrott erklären musste, haben sich Comics im letzten Jahrzehnt darauf zurückbesonnen, dem Leser vor allem gesetzte Geschichten mit Event-Charakter zu erzählen. Ähnlich wie jüngst im Bereich der TV-Serien lösen dabei Einzelausgaben übergreifende Handlungsbogen die klassische episodische, in sich abgeschlossene Erzählweise ab:

105 Vgl. ebd., S.110f 106 Vgl. Ebd., S.128f

35 "Storylines cross over. Characters from wildly divergent backgrounds meet at random moments. An overarching mystery beguiles the characters in the serio-episodic stories. An event brings a group of heroes together; their might is the only thing that can stop the evil plaguing the world. No, this isn't an episode of Heroes or Lost. It's the state of comic books in the 21st century, inspired as much by shows like Lost and Dexter as the comics that came before [...]."107

Doch der Beginn des 21. Jahrhunderts stellt nicht nur eine Phase dar, in dem sich die klassische Comic-Industrie zu revitalisieren versucht; es ist auch eine Ära, in der ihre Helden vollends ein anderes Medium erobern sollten: das Kino.

107 Ebd., S.195

36 4. Kapitel 3 – Marvel on the Big Screen

4.1 Die Evolution der Marvel Studios

Die Adaption der hauseigenen Franchises und Charaktere für Film und Fernsehen ist ein Ziel, das Marvel schon seit geraumer Zeit verfolgte, allerdings lange mit ausbleibendem Erfolg. Abgesehen von einigen Ausnahmen wie der TV-Adaption des Hulk (ab 1977), die über ein Jahrzehnt hinweg zuerst erfolgreich als Serie und später in Form von TV-Filmen im amerikanischen Fernsehen zu sehen war108, erfüllten viele andere Umsetzungen weder die Erwartungen der Fans noch die des Lizenzgebers.109 Erst in den späten 1990ern wendete sich zunächst mit der Umsetzung des Vampirjägers (USA 1998) und schließlich mit X-MEN (USA 2000) und SPIDER-MAN (USA 2003) das Blatt. Insbesondere die letzten zwei Adaptionen sollten den Startpunkt für zwei bis zum heutigen Tag mehr als rentable, international erfolgreiche Hollywood-Franchises darstellen. Das 1993 als Unterarm von gegründete Film- und Fernsehproduktionshaus Marvel Films, 1996 unbenannt in Marvel Studios, fungierte bei diesen ersten Produktionen nur in der Rolle des Lizenzgebers – die Rechte an beiden Kino-Franchises halten bis heute die Filmstudios 20th Century Fox (X-MEN) und Sony Pictures (SPIDER-MAN).110 Inspiriert durch den bis heute erheblichen Erfolg dieser Produktionen entschieden sich Marvel Studios 2004 in Form der MVL Productions LLC dazu, direkt in die Produktion ihrer Hausmarken einzusteigen und die Filme fortan selber zu finanzieren. Ziel war es dabei von Beginn an, angelehnt an die ursprünglichen Comics ein über die jeweiligen Einzelfilme hinausreichendes Erzähluniversum zu kreieren, das Stück für Stück, zunächst nur mit einigen Querverweisen, die sich später zu kompletten Subplots entwickeln sollten (mehr dazu im folgenden Kapitel), in den einzelnen Filmen etabliert werden sollte.111 Als Finanzierungsgrundlage diente Marvel eine Geldanleihe von über einer halben Milliarde Dollar, die auf einem Pitch für zehn Verfilmungen basierte, die in den Folgejahren mit regelmäßigen Abständen

108 Vgl., Eba. S. 155f 109 Vgl., Eba. S. 192f 110 Vgl., Eba. S. 193 111 Vgl., Eba. S. 194

37 veröffentlicht werden sollten. Als Filmverleiher konnte Paramount Pictures gewonnen werden, angedacht war der Kino-Release von je zwei Marvel- Verfilmungen jährlich ab 2008.112 Die ursprünglich geplanten zehn Verfilmungen sollten sich einmal abgesehen von Captain America eher um unbekannte Figuren aus dem Verlag wie u.a. Black Panther oder Dr. Strange drehen, da Marvel in den Vorjahren beinahe die Rechte an allen bekannteren Figuren an externe Partner verkauft hatte.113 Doch Marvel gelang es in den Folgejahren die Rechte an Iron Man, Black Widow, Hulk und Thor von jeweils verschiedenen Filmstudios oder Produktionsfirmen zurückzukaufen. Schließlich löste 2007 David Meisel, vorheriger COO der Marvel Studios, Avi Arad als Chairmann des Unternehmens ab und Filmproduzent Kevin Feige, der bereits bei zahlreichen externen Marvel- Kinoadaptionen in der Rolle des Produzenten fungiert hatte, wurde mit dem Beginn der Dreharbeiten zu IRON MAN zum President of Production ernannt.114 Feige ist dabei für mehr verantwortlich als die bloße in sich abgeschlossene Produktion der einzelnen Marvel-Filme, sondern plant und überwacht die einzelnen Franchises auch als Teil des größeren Erzähluniversums, dem Marvel Cinematic Universe. Damit erfüllt er in produktionstechnischer Hinsicht eine ähnliche Rolle wie Stan Lee seinerzeit als Editor-in-Chief der Marvel-Comics, wie auch die New York Times 2011 in einem Artikel über Feige und seinen speziellen Ansatz zur Produktion eines Multi-Fanchise-Universums anmerkt:

"In the 1960s, when Stan Lee was editing and writing nonstop for Marvel, he broke fresh ground in comics by intertwining the roster of characters and stories into a shared universe. Now Mr. Feige is doing the same thing with the movies, first introducing characters like Captain America and Iron Man to multiplex audiences and then, as Mr. Lee did in the comics, weaving them together as a team called the Avengers that

112 Vgl. Vincent, Roger (2005): Marvel to Make Movies Based on Comic Books. http://articles.latimes.com/2005/sep/06/business/fi-marvel6 [Stand: 15.06.2013] 113 Vgl. SuperHeroHype (2005): Marvel Launches Independent Film Slate. http://web.archive.org/web/20071111020052/http://www.superherohype.com/news.php ? id=3456 [Stand: 15.06.2013] 114 Vgl. Leonard, Devin (2007): Marvel goes Hollywood (cont.). http://money.cnn.com/magazines/fortune/fortune_archive/2007/05/28/100034246/index2.htm [Stand: 15.06.2013]

38 will have its own series of films."115

Im Weiteren sieht der Artikel Feiges Erfolg in einer fruchtbaren Mischung aus Konservatismus und Risikobereitschaft. Konservatismus in Bezug auf den Umgang mit den Geschichten und Figuren des Marvel-Universums, da Feige im Gegensatz zu vielen anderen aktuellen Comic-Verfilmungen die Ursprünge und wesentlichen Charakterzüge der Figuren respektiere und dafür sorgen würde, dass ihre Kinoinkarnationen sowohl den ursprünglichen Fans aber auch einem breiten Multiplex-Publikum gefallen würden, dank leichten zeitgenössischen Überarbeitungen und einem Hang zur Selbstironie. Die Risikobereitschaft hingegen zeige sich vor allem bei den teilweise ungewöhnlichen Talenten, die Feige für die Umsetzung der Stoffe engagiere. Angefangen bei der Verpflichtung des durch die Rolle des Tony Starks / Iron Man zum Superstar avancierten Robert Downey Jr., der vor seinem Einstand als Superheld vor allem durch Rauschmittel-Exzesse und Ärger mit der Justiz für Aufsehen sorgte, bis hin zu der ungewöhnlichen Entscheidung, den englischen, Shakespear-erprobten Charakter-Darsteller und Regisseur Kenneth Branagh die Verfilmung von Thor anzuvertrauen, der die Geschichte rund um den hammerschwingenden Hünen erfolgreich in einen Balanceakt zwischen kosmischer Hamlet-Aufführung und selbstironischer Fish-out-of-Water-Geschichte adaptierte.116 Dieser Trend setzt sich fort bis hin zu jüngsten Deals, wie z.B. Shane Black, einem der in den 1980ern bestbezahlten (und in den 1990er aufgrund mehrerer Flops abgestürzten) Drehbuchautoren Hollywoods, für Drehbuch und Regie von (USA 2013) zu verpflichten (eine Entscheidung, die sich mit knapp 1,2 Milliarden Dollar Einspielergebnis auf dem internationalen Markt117 deutlich ausgezahlt hat) oder die Wahl von James Gunn, vor allem bekannt als Kult-Regisseur der unabhängigen Horror- und Genre-Produktionsfirma Troika, der für Marvel das Weltraumabenteuer GUARDIANS OF

115 Barnes, Brooks (2011): With Fan at the Helm, Marvel Safely Steers Its Heroes to the Screen. http://www.nytimes.com/2011/07/25/business/media/marvel-with-a-fan-at-the-helm-steers-its- heroes-to-the-screen.html?pagewanted=all&_r=1& [Stand: 15.06.2013] 116 Vgl. ebd. 117 Vgl. http://www.boxofficemojo.com/movies/?id=ironman3.htm [Stand 15.06.2013]

39 THE GALAXY 2014118 in die Kinos bringen wird. Feiges größter Coupe mag aber die enge Zusammenarbeit mit dem zuvor vor allem durch TV-Serien wie Buffy und Angel bekannten Autor und Regisseur darstellen, der ursprünglich mit dem Drehbuch und der Regie des ersten großen Aufeinandertreffens der Marvel- Helden THE AVENGERS (USA 2012) beauftragt wurde, inzwischen allerdings als kreative Autorität über die erzählerischen Aspekte aller Marvel-Verfilmungen wacht, an diversen Drehbüchern mitarbeitet und den Verlauf der Ereignisse über die einzelnen Filme hinweg plant. Außerdem zeichnet sich Whedon auch mitverantwortlich für die im Herbst auf ABC startende TV-Serie Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D.119, die die Welt der Kinofilme aus der bodenständigen Perspektive der unter Nick Fury arbeiteten Geheimagenten zeigt, die immer wieder in die Konflikte der Superhelden mit hinein gezogen werden. Whedon schrieb u.a. das Drehbuch für den TV-Piloten und übernahm auch hier die Rolle des Regisseurs120121. In diesem Sinne ist er einer der wenigen Filmschaffenden, die wirklich transmedial an einem Stoff arbeiten und auch direkt für deren Umsetzung in dem jeweiligen Medium (hier Kino und TV) zuständig sind. Whedon stellt in dieser Hinsicht das symbiotische Gegenstück zu Produzent Kevin Feige dar, da beide zusammen in sich die Tätigkeiten eines inter- bzw. transmedialen Produzenten und Autors vereinen, ähnlich wie es Stan Lee früher bei Marvel tat, und so besonders innerhalb der Fan- Community eine Art Auteur-Rolle übernehmen, ähnlich wie bereits zuvor von Matt Hills beschrieben (siehe Seite 20). Marvel Entertainment Inc. wurde derweil Ende 2009 komplett von der Walt Disney Company für 4 Milliarden Dollar aufgekauft, die bei zukünftigen Projekten als Filmverleiher fungieren wird.122

118 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2015381/ [Stand 15.06.2013] 119 Vgl. http://www.agentsofshield.com/ [Stand 15.06.2013] 120 Vgl. http://marvel.com/news/story/19196/joss_whedon_to_write_direct_avengers_2 [Stand: 15.06.2013] 121 Vgl. Anders, Charlie Jane (2012): Why Joss Whedon's Exclusive Marvel Contract Could Actually Be a Big Deal. http://io9.com/5933460/why-joss-whedons-exclusive-marvel-contract-could-be-a-big-deal [Stand: 15.06.2013] 122 Vgl. Fixmer, Andy; Rabil, Sarah (2009): Disney’s Marvel Buy Traps Hollywood in Spider-Man Web (Update2). http://www.bloomberg.com/apps/news?pid=newsarchive&sid=aU_kuPju0Ngo [Stand: 15.06.2013]

40 4.2 Marvel Cinematic Universe – Phase One

In einem Interview mit movieweb.com spricht Marvel Studios President of Production Kevin Feige über die Herausforderungen, ein Erzähluniversum in Anbetracht zukünftiger Filme zu konstruieren:

"If the fans want to look further and find connections than they're there. There are a few big ones obviously, that hopefully the mainstream audience will be able to follow as well. But the most important thing and I think the reason that all the filmmakers are on board is that their movies need to stand on their own. They need to have a fresh , a unique tone and the fact that they can interconnect if you want to follow those breadcrumbs is a bonus."123

Die erste Reihe von sechs Filmen, die die einzelnen Helden einführen und sie schließlich als die Avengers zusammen führen sollte, wird von Marvel selbst als Phase One bezeichnet.124 Neben den titelgebenden Helden aus IRON MAN, THE INCREDIBLE HULK, IRON MAN 2, THOR und CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER wurden im Laufe der Filme außerdem die Charaktere Nick Fury, Black Widow, und S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson als Nebenfiguren eingeführt, die im Plot von THE AVENGERS wichtigere Rollen übernehmen. Insbesondere der speziell für das Kino-Universum entworfene Phil Coulson spielt eine Schlüsselrolle als verbindendes, handlungsübergreifendes Element der erzählten Welt der Filme als auch ihrer diversen transmedialen Erweiterungen (dazu mehr in der auf dieses Kapitel folgenden Analyse). Laut einer Liste der wirtschaftlich erfolgreichsten Kino-Franchises aller Zeiten125, basierend auf den internationalen Einspielergebnissen der jeweiligen Einzelfilme (nicht inflationsbereinigt), hat Marvels Phase One über 3,8 Milliarden Dollar an den

123 Philbrick, Jami (2010): EXCLUSIVE: Kevin Fiege Talks Iron Man 2, The Avengers and More. http://www.movieweb.com/news/exclusive-kevin-fiege-talks-iron-man-2-the-avengers-and-more [Stand: 15.06.2013] 124 Vgl. http://marvel.com/news/story/20359/get_the_marvel_cinematic_universe_phase_1_box_set_toda y [Stand: 15.06.2013] 125 Vgl. http://www.the-numbers.com/movies/franchises/sort/World [17.07.2013]

41 weltweiten Kinokassen eingenommen, weitere 1,2 Milliarden folgen dieses Jahr allein durch den Release von IRON MAN 3, was zu einem momentan Umsatzergebnis von rund 5 Milliarden Dollar führt. Diese Entwicklung macht das Marvel Cinematic Universe zur aktuell dritterfolgreichsten Kino-Franchise aller Zeiten, nur übertroffen durch die 25 Filme umfassende James Bond-Reihe und die Kino-Adaptionen der Harry Potter-Romane. 2013 begann mit IRON MAN 3 Marvels Phase Two, die sich bis Sommer 2015 außerdem aus den Fortsetzungen THOR: THE DARK WORLD126, CAPTAIN AMERICA: THE WINTER SOLDIER127, GUARDIANS OF THE GALAXY und abschließend das erneute Helden Team-Up THE AVENGERS 2128 zusammensetzen wird. Über die Pläne zu Phase Three hält sich Marvel derzeitig noch relativ bedeckt, offiziell angekündigt ist bereits eine Umsetzung von Ant-Man durch den britischen Filmemacher Edgar Wright (SHAUN OF THE DEAD, HOT FUZZ); Kevin Feige bestätigte zudem Pläne und Überlegungen zu Adaptionen von Dr. Strange und einem erneuten Auftritts des Hulk mit Darsteller Mark Ruffalo.129 In dem oben bereits zitierten Interview äußert sich Feige außerdem auch zu der Strategie hinter den in Phasen stattfindenden Veröffentlichungen und verdeutlichte, dass die einzelnen Franchises (z.B. IRON MAN) auch jeweils als individuelle Filmreihen funktionieren sollen, auch wenn sie gleichzeitig Teil der Mutli-Franchise- Reihe sind. Eine Person, die also ausschließlich die drei Teile der IRON MAN- Filmereihe sieht, soll ebenso eine abgeschlossene Erfahrung haben, wie die Zuschauer sämtlicher Filme des Marvel-Universums. Diese individuelle Serialität adaptiert Marvel direkt aus den Comics:

"If you look at the comics, there would be ten, twelve or fifteen issues and then there would be a crossover event. Then the characters would go back into their own books and then come over for another crossover event. And those crossover events always ... if you look at them, you look

126 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt1981115/?ref_=sr_1 [Stand: 15.06.2013] 127 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt1843866/?ref_=sr_1 [Stand: 15.06.2013] 128 Vgl. http://www.imdb.com/title/tt2395427/?ref_=sr_2 [Stand:15.06.2013] 129 Vgl. O'Sullivan, Erin (2013): Hulk, Ant-Man & Focus Of Marvel’s Phase Three. http://www.accesshollywood.com/hulk-ant-man-and-doctor-strange-focus-of-marvels-phase- three_article_79657 [Stand: 15.06.2013]

42 at "Secret Invasion" or "Civil War," you know you could just read the seven issues of "Civil War" and get it. With "Civil War" it starts with that explosion in the town and it's a self-contained story. You don't have to have read all the comics of all the other heroes for it to match up. If you have you'll see more and you will experience more but if you haven't it still works."130

Die im nächsten Kapitel folgende Analyse widmet sich entsprechend der praktischen Umsetzung dieser narrativen Erzählstrategien sowie der damit in Verbindung stehenden intertextuellen und transmedialen Erweiterungen der Filmwelt(en).

130 Philbrick, Jami (2010): EXCLUSIVE: Kevin Fiege Talks Iron Man 2, The Avengers and More. http://www.movieweb.com/news/exclusive-kevin-fiege-talks-iron-man-2-the-avengers-and-more [Stand: 15.06.2013]

43 5. Kapitel 4 – Analyse des Marvel Cinematic Universe

5.1 Die Kinofilme – Handlung, Filmwelt, Intertextualität

Im Folgenden werden die sechs Kinofilme von Marvels Phase One anhand kurzer Synopsen inhaltlich zusammengefasst und weitergehend auf die Darstellung der Filmwelt (bzw. den jeweiligen Ausschnitten der größeren, filmübergreifenden Welt), der Verortung der Handlung in jener Welt und in einem ersten Schritt auch bereits auf verbindende (intertextuelle) Elemente zwischen den Filmen eingegangen. Die Filme werden dabei in der Reihenfolge ihrer Veröffentlichung besprochen. Entscheidende Sequenzen, Szenen oder Einstellungen sind zudem per Timecode markiert, der sich nach der Spielfilmlaufzeit der PAL-Blu-ray Veröffentlichungen der Filme richtet. Im zweiten Teil folgt eine Bestandsaufnahme der transmedialen Erweiterungen und den damit verbundenen narrativen Phänomenen.

5.1.1 IRON MAN

Synopsis Der milliardenschwere Großindustrielle und Erbe eines amerikanischen Rüstungsimperiums Tony Stark befindet sich gerade auf dem Rückweg von einer erfolgreichen Präsentation seiner neuesten Raketentechnologie in Afghanistan, als sein Militär-Konvoi angegriffen und Stark selbst von einer seiner eigenen Waffen schwer verwundet wird. Die Angreifer, eine paramilitärische Organisation namens Ten Rings, entführen den Verletzten und wollen ihn fortan dazu zwingen, zusammen mit dem ebenfalls unfreiwillig festgehaltenen Dokor und Ingenieur Ho Yinsen, das neu entwickelte Stark-Raketensystem Jericho für ihre eigenen Zwecke nachzubauen. Yinsen, ein afghanischer Pazifist, hatte dem eigentlich tödlich verletzten Tony Stark zuvor das Leben gerettet, in dem er dem Amerikaner einen Elektromagneten in die Brust pflanzte, um einen nicht operativ entfernbaren Schrapnellsplitter darin zu hindern, in Starks Herz einzudringen.

44 Um auf Dauer am Leben zu bleiben, entwickelt Stark zusammen mit Yinsen in Gefangenschaft eine Miniatur-Version des Arc Reactors, einer unerschöpflichen Energiequelle, die ursprünglich auf einer von Tonys Vater entwickelten Technologie basiert und fortan den Elektromagneten in Tonys Brust antreiben soll. Diese Energiequelle soll aber insgeheim den beiden auch bei ihrer Flucht helfen. Ihren Wärtern suggerierend, dass sie mit dem Bau des geforderten Raketensystems beschäftigt sind, entwickelt Stark eine metallische Kampfrüstung ausgestattet mit diversen Waffensystemen und der Fähigkeit (für zu Beginn nur kurze Dauer) zu fliegen – angetrieben durch die Energie des Arc Reactors in seiner Brust. Tatsächlich gelingt Stark die Flucht aus den Fängen der Terroristen, Yinsen wird jedoch tödlich verwundet und stirbt im Beisein seines neugewonnenen Freundes. Wieder zurück in den USA, wird Stark von seiner persönlichen Assistentin Pepper Pots empfangen, die für ihren Chef weitaus mehr zu empfinden scheint, als sie normalerweise preisgibt; Gefühle die Tony selbst ebenfalls schweigend zu erwidern scheint. Beide machen sich zusammen auf den Weg zu einer Pressekonferenz, auf der Tony zur Überraschung der anwesenden Pressevertreter und zum Entsetzten seines Mentors Obediah Stane bekannt gibt, dass Stark Industries Waffenproduktion und -handel fortan einstellen wird. Während die Öffentlichkeit und Tonys Geschäftspartner mehr und mehr an dessen Verstand zweifeln und auch das Militär, insbesondere verkörpert durch Tonys alten Freund Jim "Rhodey" Rhodes, bezüglich Starks Schweigen zu den Bedingungen seiner Flucht inklusiver den Gerüchten einer neu entwickelten Stark-Superwaffe immer ungeduldiger wird, zieht sich der exzentrische Erfinder in den Keller seines Malibu-Anwesens zurück und perfektioniert die Arc-Reactor- sowie die Kampfanzugstechnik. Zur gleichen Zeit versucht ein unscheinbarer Anzugträger namens Phil Coulson, der nach eigenen Angaben für die Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics Division arbeitet, mehrfach über Pepper an Tony heranzutreten, um ihn über die Ereignisse in Afghanistan zu befragen. Nach einer weiteren Intervention von Tony in Gestalt des Iron Man in Afghanistan, kommt es beinahe zum Zerwürfnis zwischen ihm und Pepper, da sie ihn nicht dabei unterstützen möchte, sich selbst um sein eigenes Leben zu bringen. Doch Tony sieht in der Pflicht, die Menschen zu beschützen, die durch seine Waffen gefährdet

45 werden, seine neue Lebensaufgabe. Schließlich deckt Pepper die wahren Pläne von Stane auf, der den Stark-Konzern in den Jahren zwischen dem Tod von Howard Stark und der Volljährigkeit Tonys leitete. Stane ist nicht nur für illegale Waffenlieferungen in Krisenregionen verantwortlich, sondern plante auch den Überfall auf Tonys Konvoi in Afghanistan, der in dessen Tod resultieren sollte. Inspiriert durch die neue Arc-Reactor-Technologie und Tonys Kampfanzug plant Stane die Konstruktion einer kompletten Armee von Kampfanzügen. Um seinen Plan zu verwirklichen, reißt er Tony den Reaktor aus der Brust und übernimmt selbst die Kontrolle über eine der neu entwickelten Kampfmaschinen, als ihn Pepper zusammen mit Agent Coulson stellen will. Tony kann sich mit Hilfe seines ursprünglichen Reaktor-Prototypen allerdings das Leben retten und besiegt Stane schließlich als Iron Man im Zweikampf mit Hilfe von Pepper auf dem Stark-Firmengelände. Im Vorfeld einer Pressekonferenz, die die wahren Geschehnisse und Starks Zweiidentität als Iron Man vertuschen soll, bemerkt Coulson gegenüber Tony und Pepper, dass sein Arbeitgeber, die Strategic Homeland Intervention, Enforcement and Logistics Division fortan unter dem Namen S.H.I.E.L.D. auftreten werde und man sich sicher wieder begegnen würde. Tony, der kein weiteres Interesse an Unwahrheiten zu haben und das Rampenlicht sowieso mehr als zu genießen scheint, gibt schließlich vor der Presse spontan seine Heldenidentität preis. Nach dem Filmabspann folgt eine weitere Szene in Starks Anwesen, in dem dieser auf den Direktor von S.H.I.E.L.D., Nick Fury, trifft, der mit dem gerade frisch getauften Held über die Avengers-Initiative sprechen will.

Intertextualität / "World-Building" Die Welt, die dem Zuschauer in IRON MAN präsentiert wird, scheint sich zunächst eng an unserer aktuellen Realität inklusive des politischen Zeitgeschehens zu orientieren. Orte, wie die staubigen Tal- und Berglandschaften Afghanistans inklusiver westlicher Militärs und einheimischer Kämpfer wirken aus aktuellen Kriegsfilmen oder aus Nachrichten- und Fernseh-Bildern vertraut, die USA hingegen wird anhand kalifornischer Metropolen als sonniger Ort des Fortschritts und der Technologie inszeniert. Jedoch wird im Laufe des Films deutlich, dass hinter den glamourösen Fassaden zwielichtige Geschäfte stattfinden und es wird zumindest

46 suggeriert, dass der Wohlstand dieser Gesellschaft an den Krieg im mittleren Osten gekoppelt ist. In diesem Sinne etabliert IRON MAN allen voran eine verhältnismäßig glaubhafte, da nah an der Realität des Zuschauers orientierte Filmwelt. Dieser vermeintliche Realismus wird allerdings immer wieder mit typischen Science- Fiction-Elementen gebrochen, wie dreidimensionale, holografische Computergrafiken, mit denen Stark durch Bewegungssteuerung seine technischen Errungenschaften designet (z.B. 00:54, 00:57 und 01:01). Andere Elemente wie hochtechnologisierte, fliegende Kampfausrüstungen oder eine kommunikationsfähige künstliche Intelligenz in Form von Tonys „Butler“-Roboter Jarvis (00:10), sind dagegen natürlich noch offensichtlicher dem Science-Fiction- Genre zuzuordnen. In diesem Sinne konfrontiert IRON MAN den Zuschauer mit einer Filmwelt, die sich gesellschaftlich und politisch zwar auf dem gleichen Stand wie die unsere befindet, in der aber ganz klar enorme Sprünge in der Entwicklung von Technologie und Wissenschaft möglich sind (durch individuelle Genies wie Stark selbst). IRON MANs Handlung mag auf den ersten Blick zunächst sehr geschlossen und kohärent wirken, trotzdem gibt es bei genauerer Betrachtung diverse Anknüpfungspunkte für spätere inhaltlichen Erweiterungen. Das offensichtlichste Element ist sicherlich die Figur des Agent Coulson und seine Verbindung zu der Organisation S.H.I.E.L.D. (00:43, 01:08; 01:34, 01:42 und 01:53), die in einigen der Folgefilme noch eine wichtigere Rolle spielen wird und unter deren Dach sich die verschiedenen Helden schließlich in THE AVENGERS vereinigen werden, was auch die Bonusszene nach dem Abspann verdeutlicht. Eine andere wesentlich subtilere Querverbindung existiert in einigen Hinweisen auf die Figur des Howard Starks, Tonys Vater, der im zwei Jahre später erschienenen CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER als Nebenfigur auftritt. Diese Verbindung wird hier nur in wenigen Dialogen impliziert. So wird u.a. thematisiert, dass Stark Senior dabei geholfen hat, die Nazis zu besiegen (00:08) und die eigentlichen Ursprünge der Arc Reactor-Technologie von ihm stammen (00:47). Ein weiteres Element ist das Vorhandensein eines scheinbar nicht fertig gestellten Prototyps von Captain Americas ikonischem Schild, das nur kurz im Hintergrund einer Einstellung zu sehen ist (01:25). Diese intertextuellen Querverweise werden allerdings erst nach der

47 Rezeption von CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER oder dem Wissen um diese Verbindungen aus den Marvel-Comics deutlich. Für die alleinige Rezeption und das Verständnis von IRON MAN spielen sie schlicht keine Rolle und treten bei Unwissen nicht einmal als bedeutend hervor.

5.1.2 THE INCREDIBLE HULK

Synopsis Der Wissenschaftler Dr. Bruce Banner befindet sich seit einem fehlgeschlagenen Experiment an der Culver Universität in Virginia, bei dem er einer vermeintlich tödlichen Dosis Gamma-Strahlung ausgesetzt wurde, auf der Flucht. Initiiert wurde das Experiment durch den US-Army General Thaddeus "Thunderbolt" Ross, der insgeheim das Ziel verfolgte, eine neue Methode zur Erschaffung eines Supersoldaten zu entwickeln und seitdem Banner aus dem vorgeschobenen Grund der nationalen Sicherheit hinterherjagt. Untergetaucht in den Favelas von Rio de Janeiro sucht Banner verzweifelt nach einem Mittel gegen die Nebenwirkung der Strahlungsaussetzung: Überschreitet sein Puls eine bestimmte Frequenz, mutiert sein Zellengewebe und er verwandelt sich in ein gewissenloses, grünes Monster, das alles, was sich ihm entgegenstellt, zerstört. Banner verbringt seine Tage damit, mit Hilfe von Meditationstechniken seine Gefühle unter Kontrolle zu halten und forscht mit der Hilfe eines amerikanischen Wissenschaftlers, der mit Banner unter dem Alias "Mr. Blue" über das Internet in Kontakt steht, nach einem Heilmittel. Mr. Blue besteht auf eine Blutprobe Banners, die dieser ihm widerwillig schickt, worauf ihm Heilung versprochen wird, sofern Banner ihm mehr Daten über den Verlauf des Experiments zukommen lassen kann. Nach einem Zwischenfall in einer Getränkefabrik, in der Banner arbeitet, schickt General Ross ein Einsatzteam nach Brasilien, um Banner in Gewahrsam zu nehmen. Das Team, angeführt durch den Kriegsveteranen Emil Blonsky, wird allerdings von Banner in Form seines bestialischen Alter Egos aufgerieben. Während sich Banner widerwillig auf den Weg zurück in die USA macht, um in Besitz der benötigten Daten an der Culver Universität zu gelangen, lässt sich Blonsky von Ross' Wissenschaftlern eine kleine Dosis eines Supersoldaten-Serums injizieren, dessen

48 Ursprünge auf ein Experiment im Zweiten Weltkrieg zurückgehen. In Virginia angekommen, trifft Banner auf seine ehemalige Freundin , die Tochter seines Verfolgers, die ihm dabei hilft, in Besitz der benötigten Daten zu gelangen. Bruce gerät an der Universität in einen Hinterhalt der US-Army und liefert sich in Form des Hulk ein Scharmützel mit Ross' Truppen, bei der nicht nur der gestärkte Blonsky schwer verletzt wird, sondern auch Betty beinahe ums Leben kommt. Doch auch als Hulk scheint sich Banner an seine Gefühle für Ross' Tochter zu erinnern und zieht sich mit der bewusstlosen Betty aus dem Kriegsgebiet zurück. Das Liebespaar macht sich mit den Daten des ursprünglichen Experiments auf den Weg nach New York zu Banners vermeintlichem Erlöser Mr. Blue. Der mit wirklichem Namen Dr. Samuel Stern heißende Biologe hat tatsächlich ein Mittel entwickelt, das die Verwandlung Banners in das grüne Monster verhindern kann, hat aber zu Bruces Entsetzen große Mengen von dessen Blut für weitere Forschungszwecke synthetisiert. Zeitgleich wird das Gebäude von Ross' Soldaten gestürmt, die Bruce und Betty in Gewahrsam nehmen. Derweil zwingt Blonsky, der die vorige Konfrontation mit dem Hulk nur dank des Serums in seinen Venen überlebt hat, Dr. Stern dazu, ihm Banners Blut zu injizieren, um zu einer unbesiegbaren Kampfmaschine zu werden. Durch die Mischung der verschiedenen Stoffe in Blonskys Körper mutiert dieser allerdings zu einem tobenden Monster, der , und droht im Folgenden, New York in Schutt und Asche zu legen. Widerwillig lässt Ross darauf Banner wieder frei, der sich aus einem fliegenden Hubschrauber fallen lässt, sich so kurz vor dem tödlichen Aufprall wieder in den Hulk verwandelt und darauf in einem Kampf, der mehrere Straßenzüge demoliert, den mutierten Blonsky außer Gefecht setzt. Trotz seiner Heldentat flieht Banner darauf aus der Stadt und taucht in den Wäldern Britsh Columbias unter, wo er weiter an seinen Meditationstechniken arbeitet. Allerdings nicht, um die Verwandlung in den Hulk gänzlich zu unterdrücken, sondern kontrolliert geschehen zu lassen, wie die letzte Szene mit ihm impliziert. In der darauf folgenden Bonusszene (hier nicht wie bei den anderen Filmen nach, sondern noch vor dem Abspann) wird General Ross, der versucht, seine Niederlage in einer Bar zu ertränken, von Iron Man/Tony Stark aufgesucht, der diesen über die Pläne zur Formatierung eines besonderes Team unterrichten will.

49 Intertextualität / "World-Building" Ähnlich wie schon in IRON MAN wird der Zuschauer bei THE INCREDIBLE HULK zunächst mit einer durchaus vertrauten Inszenierung der Realität zwischen den Gegensätzen der Darstellung von US-amerikanischen Universitäten und urbanen Metropolen sowie den Armenvierteln und Märkten südamerikanischer Länder konfrontiert. Typische Elemente aus dem Horror-Genre (Monster und Mutationen) werden hier, wie die technischen Errungenschaften von Stark in IRON MAN, mit den Mitteln der Science-Fiction erklärt (Wissenschaft und Forschung als Grundlage und Auslöser diverser „Superkräfte“). Die Organisation S.H.I.E.L.D. tritt hier zunächst wieder komplett in den Hintergrund, wird aber beiläufig in einer Szene erwähnt und ist somit Teil der erzählten Welt (01:09). Dagegen überwiegen dieses Mal intertextuelle Querverweise auf andere Filme, sowohl auf IRON MAN [eine Einstellung am Anfang gibt preis, dass General Ross auf Waffen-Technologie von Tony Stark zurückgreift, um den Hulk zu jagen (00:02)] als auch besonders auf den erst drei Jahre später veröffentlichten CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER. So wird in diversen Szenen impliziert, dass General Ross' Bemühungen, einen neuen Supersoldaten zu erschaffen, auf das ursprüngliche Supersoldaten-Experiment zurückgehen, das Steve Rogers zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs zum patriotischen Vorzeigehelden machte (00:32, 00:44). Die Anspielungen auf die beiden Filme kulminieren in der Barszene zwischen Ross und Stark, in der nicht nur der Protagonist aus IRON MAN unerwartet die Filmwelt des betritt und damit beide Erzählungen definitiv in der selben Welt verortet; ein ironischer Kommentar von Stark bezüglich des Supersoldaten-Programms [Ross hätte es lieber auf "Eis liegen lassen" sollen (01:44)] spielt auf die Gleichzeitigkeit multipler Handlungsstränge im größeren Erzähluniversum der Filme an. Denn in der Tat liegt der ursprüngliche Supersoldat Captain America zu diesem Zeitpunkt im Kälteschlaf unter der Eisschicht Grönlands, was zum Zeitpunkt des Kino-Releases von THE INCREDIBLE HULK (2008) allerdings nur informierte Kenner der Comics wissen können – auf der Leinwand werden diese Ereignisse erst drei Jahre später thematisiert werden. Ein neue Dynamik entwickeln die Filme untereinander dann natürlich durch die

50 Veröffentlichung auf DVD und Blu-ray, da sie in beliebiger Reihenfolge und Häufigkeit rezipiert werden können und solche Querverweise auf die zeitliche Dimension des Erzähluniversums vom Rezipienten besser eingeordnet werden können.

5.1.3 IRON MAN 2

Synopsis Ivan Vanko, Sohn des russischen Wissenschaftlers Anton Vanko, schwört am Totenbett seines Vaters Rache für die Missstände, in denen er aufwachsen musste und für die er die Stark-Familie verantwortlich macht. Sein Vater arbeitete als russischer Überläufer einst zusammen mit Howard Stark an der Entwicklung des ursprünglichen Arc Reactors und wurde schließlich wieder nach Russland deportiert, nachdem Stark erfahren hatte, dass sein Kollege sich mit der neu entwickelten Technologie selbst bereichern wollte. Derweil lässt sich Lebemann Tony Stark dank seiner Errungenschaften als Iron Man wie die Rockstar-Version eines Superhelden feiern, während er amerikanischen Regierungsvertretern und dem US-Militär die kalte Schulter zeigt, wenn es um die Übergabe seiner fortschrittlichen Technologie an die Staatsmacht geht. Allerdings wird er im doppelten Sinne von inneren Dämonen geplagt, denn die Energiequelle in seiner Brust, die ihn eigentlich am Leben hält, droht ihn umzubringen, da das Element, das den Miniatur-Reaktor antreibt, langsam seinen Körper vergiftet. Anstatt die Menschen in seinem Umfeld mit seiner Erkrankung zu konfrontieren, stürzt sich Stark lieber in lebensgefährliche Situationen und entschließt sich so z.B. auch spontan als Fahrer in einem F1-Rennen im Monaco einzuspringen. Wie sich herausstellt, eine fatale Entscheidung, denn der rachsüchtige Ivan Vanko erscheint auf der Bildfläche und verursacht mit seinen ebenfalls auf der Arc-Reactor- Technologie basierenden, selbst konstruierten Energie-Peitschen eine Massenkarambolage, bei der Tony fast ums Leben kommt. Dieser kann Vanko nur mit größter Mühe und mit Hilfe seines Iron-Man-Anzugs stoppen. Iron Mans Image ist darauf nicht nur in Bezug auf seine selbst erklärte Unbesiegbarkeit angekratzt, das US-Militär sieht sich noch drastischer dazu genötigt, in Besitz von Starks

51 Technologie zu gelangen. So kommt es dazu, dass Tonys Freund Colonel Rhodey einen der Prototyp-Anzüge stiehlt, nachdem dieser entsetzt feststellen musste, dass der selbsternannte Superheld scheinbar gewissenlos und betrunken in voller Kampfmontur auf seiner eigenen Geburtstagsparty für die Belustigung seiner Gäste sorgt. Es kommt zur Konfrontation zwischen den beiden Freunden, nach der Rhodey mit dem entwendeten Anzug zu einer Basis der US Air Force flüchtet. Währenddessen hat der Waffenproduzent und größte Konkurrent des Stark- Imperiums Justin Hammer dem inhaftierten Vanko zur Flucht verholfen, unter der Voraussetzung, dass dieser seine Technologie mit ihm teilt und fortan für ihn arbeitet. Vanko willigt ein, verfolgt aber insgeheim weiter seine Rachepläne bezüglich der Stark-Familie. Hammer wird derweil vom US-Militär mit der Aufgabe betraut, den entwendeten Iron-Man-Prototypen mit seinen Waffensystemen auszurüsten. Vanko arbeitet unterdessen an der Produktion einer ferngesteuerten Drohnenarmee, die Hammer auf der in New York stattfindenden Stark Expo als Schlappe gegen den pazifistischen Ex-Waffenproduzenten präsentieren will. Stark, der inzwischen auch seine ehemalige Assistentin und inzwischen von ihm zum CEO von Stark Industries ernannte mit seinem Verhalten mehr und mehr irritiert, wird schließlich von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury aufgesucht. Dieser weiß nicht nur von seiner lebensgefährlichen Blutvergiftung, sondern lässt ihn von seiner Agentin Natasha Ramanov a.k.a. Black Widow mit einem vorübergehenden Impfstoff injizieren. Fury betont allerdings, dass dies nur eine temporäre Lösung sei und Stark den Schlüssel zu seinem Problem in den Aufzeichnungen seines Vaters finden werde – der, wie Fury preisgibt, selber eines der Gründungsmitglieder von S.H.I.E.L.D. gewesen ist. Tony arbeitet sich deshalb, von Fury unter Hausarrest gesetzt und überwacht von Agent Phil Coulson, durch die Hinterlassenschaft seines Vaters und entdeckt nicht nur eine versteckte, an ihn gerichtete Botschaft, sondern auch die theoretische Grundlage zur Generierung eines neuen Elements, das den Reaktor in seiner Brust fortan ohne gefährliche Nebenwirkungen antreiben könnte. Während Agent Coulson nach New Mexico reist, wo er nach eigenen Angaben gebraucht wird, erschafft Tony mit Hilfe eines selbstgebauten Teilchenbeschleunigers das benötigte Element. Gerade rechtzeitig, denn die Waffenpräsentation von Hammer auf der Stark Expo gerät außer Kontrolle

52 bzw. wird durch Vanko sabotiert, der fortan nicht nur die unbemannten Drohnen fernsteuert und durch sie das Publikum attackiert, sondern auch Rhodeys von Hammer modifizierten Kampfanzug kontrolliert. Erst nachdem Black Widow in Hammers Firmensitz eindringt und Vankos Software deaktivieren kann, erhält Rhodey wieder die Kontrolle über den Anzug zurück und kann zusammen mit Iron Man die restlichen Drohnen und schließlich Vanko selber ausschalten. Bei einem weiteren Treffen zwischen Stark und S.H.I.E.L.D.-Direktor Fury teilt letzterer seine Entscheidung mit, Stark (aufgrund seiner narzisstischen Persönlichkeit) nicht für die Avengers-Initiative in Erwägung zu ziehen, sondern vorerst lieber als externen Berater zu beschäftigen. Nach dem Abspann folgt eine weitere Szene, in der Agent Coulson am Rande eines großen Kraters in der Wüste New Mexicos erscheint, welcher bereits das Interesse der lokalen Bevölkerung auf sich gezogen hat. Im Zentrum des Krater ragt ein massiver Hammer zum Himmel empor.

Intertextualität / "World-Building" IRON MAN 2 hebt sich in seiner Art der intertextuellen Verweise auf das Marvel- Universum in zwei Bereichen von seinen Vorgängern ab: Erstens werden der Geheimdienst S.H.I.E.L.D. und seine Agenten als wesentlicher Teil in die Ereignisse des Plots mit eingewoben, denn Tony Stark ist auf die Hilfe und das Wissen von Nick Fury angewiesen, um sein eigenes Leben zu retten (01:02). In der Szene, in der Stark auf Fury trifft, wird auf geradezu selbstreferenzielle Weise der Umstand thematisiert, dass die Ereignisse rund um Held Iron Man nur einen kleinen Teil eines viel größeren Geschehens darstellen, dessen Gänze sich zu diesem Zeitpunkt nur Fury bewusst ist und für den Starks existentielle Krise nur eines von vielen Problemen darstellt, mit denen sich der S.H.I.E.L.D.-Direktor auseinandersetzen muss ("You are not the center of my universe."). Der Film führt zudem auch die Figur Black Widow ein (00:23), die in IRON MAN 2 zwar eher als Randfigur vorkommt, in THE AVENGERS aber eines der zentralen Mitglieder des von Fury geformten Superheldenteams wird. Neben der dominanteren Rolle von S.H.I.E.L.D wird in IRON MAN 2 zudem an verschiedenen Stellen mehr Bewusstsein für die zeitliche Dimension des Erzähluniversums geschaffen: Agent Coulsons Reise nach New

53 Mexico und Ankunft in der Szene nach dem Filmabspann (01:25 und 02:03, ein Vorgriff auf die Handlung von THOR) sowie eine im Hintergrund laufende Nachrichtensendung über die Verwüstungen an der Westküste durch den Hulk am Ende des Films (01:54), weisen auf die zeitliche Parallelität der verschiedenen Filmhandlungen hin und bieten in diesem Sinne dem Zuschauer auch Hinweise, in welcher chronologischen Reihenfolge die Ereignisse der Filme zueinander stehen. Neben diesen Zeit-Raum-Beziehungen der Gleichzeitigkeit wird eine weitere zeitliche Dimension in Bezug auf die Vergangenheit des Erzähluniversums in Form der Informationen über Tonys Vater Howard aufgemacht (00:09, 01.07 und 01:13), die indirekt bereits auf den Zeit- und Handlungsraum von CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER hinweisen, der zu großen Teilen im Zweiten Weltkrieg (bzw. in der "Marvel-Version" dieses Krieges) spielt. Auch das bereits im ersten IRON MAN gesichtete, dort nur als Teil des Szenenbilds vorkommende Schild von Captain America, wird hier bereits zu einem Objekt mit dem der Protagonist kurz in einer Szene direkt interagiert (und mit dessen Bedeutung hier wiederum selbstreferentiell wie augenzwinkernd gespielt wird [01:25]).

5.1.4 THOR

Synopsis Die Welt der Menschen ist nur eines von neun kosmischen Reichen, die durch den Baum Yggdrasil (unsere Milchstraße) miteinander in Verbindung stehen. Odin Allvater ist König des Reiches Asgard und hinderte mit seinen Kriegern einst die Frostriesen aus Jotunheim daran, die Erde zu unterwerfen. Seitdem wurden die Asgardier von den Menschen des Mittelalters als Götter verehrt. Odin vereinbarte mit Laufey, dem König der Frostriesen, einen Waffenstillstand und entwendete darauf die "Urne", die die Quelle der Macht Jotunheims darstellte. Jahrhunderte später soll Odins erstgeborener Sohn Thor zum neuen König von Asgard gekrönt werden, doch bevor Odin die Zeremonie beenden kann, dringt eine Gruppe Frostriesen in Odins Waffenkammer ein und wird bei dem Versuch, die Jotunheim-Urne zu stehlen, getötet. Thor macht sich gegen den Willen seines Vaters und unter der Einflussnahme seines jüngeren Bruders zusammen mit seinen treu

54 ergebenen Gefährten Volstagg, Fandral, Hogun und Sif auf nach Jotunheim, um dessen König zu stellen und sich für den Angriff zu rächen. Nach einem Kampf mit den Eisriesen erscheint Odin, um seinen Sohn und seine Gefolgschaft vor Loufey zu retten, der Odin darauf erneut den Krieg erklärt. Zurück in Asgard beraubt ein wütender und enttäuschter Odin seinem Sohn die Kräfte und die Fähigkeit den Hammer zu führen. Er verbannt Thor via der Regenbogenbrücke Bifröst ins Exil auf die Erde, belegt Mjolnir mit einem Zauber und schickt ihm seinen Sohn in das Reich der Menschen hinterher. Auf der Erde in der Wüste von New Mexico wird der entkräftete Thor von der Astrophysikerin gefunden, die mit ihrer Assistentin Darcy Lewis und ihrem Mentor Dr. merkwürdige Wetterphänomene untersucht. Die drei bringen den verwirrt wirkenden jungen Mann in das Krankenhaus der Kleinstadt Puente Antiguo, in dem der nun menschliche Thor feststellen muss, dass er nicht mehr über seine asgardischen Kräfte verfügt. Jane wird inzwischen bewusst, dass Erscheinen mit den Wetterphänomenen und ihren Forschungen zu kosmischen Wurmlöchern zusammenhängen und macht sich einmal mehr auf zum Krankenhaus, um ihn zu befragen. Zur gleichen Zeit lässt Agent Phil Coulson von S.H.I.E.L.D. die Absturzstelle von Thors Hammer Mjolnir in der Wüste von New Mexico absichern. In Asgard erfährt Loki in einem Streitgespräch mit seinem Vater über seine wahre Herkunft. Er ist ein Kind der Frostriesen, das Odin aus Mitleid nach dem Ende des Krieges bei sich aufnahm und in der Hoffnung, dass Loki einst als verbindendes Element beiden Reichen immerwährenden Frieden schenken könnte, als seinen eigenen Sohn aufzog. Doch Loki fühlt sich als politisches Instrument missbraucht und wirft seinem Vater vor, ihn nie wirklich geliebt zu haben, worauf Odin zusammenbricht und in einen tiefen Schlaf fällt. Loki wird folgend zum neuen König von Asgard gekrönt und weigert sich trotz der Bitte von Thors Gefährten, die Verbannung seines Bruders aufzuheben. Thor versucht derweil zusammen mit Jane Foster, deren gesamte Arbeitsmaterialien inzwischen von S.H.I.E.L.D. beschlagnahmt wurden, wieder in Besitz seines Hammers und somit seiner Kräfte zu gelangen. Er dringt in das um den Hammer errichtete Forschungslager ein und kämpft sich zur Absturzstelle durch, doch kann er

55 zu seiner eigenen Überraschung den Hammer nicht aus dem Stein ziehen. Enttäuscht und gebrochen lässt sich der Sohn Odins von Agent Coulson gefangen nehmen und verhören. Loki erscheint seinem Bruder und lässt ihn die Lüge glauben, dass Odin gestorben sei und seine Mutter Frigga ihn auf Lebenszeit die Rückkehr nach Asgard verbieten würde. Danach macht sich Loki auf nach Jotunheim, um dessen König (und seinen eigentlichen Vater) dazu zu überreden, Odin in seinem Schlaf zu ermorden, wofür Loki ihm im Gegenzug die Rückgabe der Urne verspricht. In New Mexico gelingt es Janes Mentor Dr. Selvig, Thor aus der Gefangenschaft von S.H.I.E.L.D. zu befreien, Agent Coulson befiehlt aber insgeheim deren Überwachung. Nach einem Trinkgelage trägt Thor seinen Retter zu Janes mobilem Zuhause, deren Interesse an dem mysteriösen Hünen inzwischen weit über dessen ominöse Herkunft hinaus zu scheinen geht. Thor klärt Jane auf über die neun Reiche von Yggdrasil sowie über den Bifröst, den die Asgardier benutzen, um zwischen den Welten zu reisen. Thors Gefährten reisen aus Asgard schließlich mit Hilfe von Heimdal, der über den Bifröst wacht und sich gegen Loki auflehnt, zur Erde und berichten Thor über die Lügen und das doppelte Spiel seines Bruders. Loki schickt darauf hin den Wächter von Odins Schatzkammer, den Destroyer, zur Erde, um Thor auszulöschen. Da Loki droht, eine komplette amerikanische Kleinstadt zu verwüsten, bietet Thor seinem Bruder sein Leben an, sofern er weitere Opfer unter den Menschen vermeidet. Durch seinen selbstlosen Tod erweist sich Thor als würdig, wieder in Besitz seiner Kräfte zu gelangen, wodurch sich der Hammer selbst aus dem Stein befreit und Thor darauf wieder zum Leben erweckt. Der wieder erstarkte Donnergott vernichtet den Destroyer mit Leichtigkeit und macht sich dazu auf, seinem Bruder das Handwerk zu legen. Loki tötet derweil seinen Erzeuger Laufey bei dem Versuch, Odin im Schlaf zu ermorden. Dies gibt ihm einen Vorwand, um das Reich der Frostriesen und das Geheimnis seiner Herkunft vernichten zu können. Mit Hilfe der Energie des Bifröst will Loki Jotunheim zerschmettern, doch Thor schreitet ein und zerschlägt mit seinem Hammer die weltenverbindende Regenbogenbrücke, die Loki als Waffe missbrauchen wollte. Beide Brüder drohen in die Tiefe des Alls zu fallen, doch der wieder erwachte Odin rettet seine beiden Sohne. Loki jedoch lässt sich fallen und verschwindet mit den Überresten des Bifröst in der Schwärze des Weltraums. Der

56 Frieden der neun Reiche ist vorerst wieder hergestellt, doch Thor ist durch die Zerstörung der Regenbogenbrücke die Möglichkeit genommen worden, zu Jane auf die Erde zurückzukehren. Diese forscht unterdessen weiter nach einer Möglichkeit die Verbindungen zwischen den Welten wieder herzustellen. In der Szene nach dem Abspann wird Dr. Erik Selvig in einer Bunkeranlage von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury empfangen, um an einem streng geheimen Energieprojekt zu arbeiten, das mit einem ominösen würfel-artigen Artefakt zu tun haben soll. Am Ende der Szene wird enthüllt, dass Selvig insgeheim von dem immer noch lebenden Loki kontrolliert wird.

Intertextualität / "World-Building" THOR stellt im Hinblick auf die Darstellung und Erweiterung der Marvel- Hyperdiegese einen entscheidenden Schritt dar: Waren die Handlungen der vorigen Filme immer auf fiktionalisierte Versionen realer Ortschaften in verschiedenen Teilen der Erde beschränkt, stößt dieser Film die Tür zu einem kompletten Universum an verschiedenen Welten auf. Der Prolog zu Beginn des Films und das spätere Gespräch zwischen Thor und Jane über die nicht vorhandene Dichotomie von Magie und Wissenschaft [ersteres ist nur ein Vorwand, um Phänomene von letzterem zu erklären (01:14)] verortet die komplette Welt der Menschen, die dem Zuschauer bisher in den Marvel-Filmen gezeigt wurde, in einer größeren, all umspannenden Mythologie. Die Asgardier sind in diesem Verständnis weniger ein übermenschliches Götter- Geschlecht, sondern eine hochtechnologisierte Alienrasse, an deren Errungenschaften und Entwicklung einzelne Individuen unter den Menschen, wie etwa Tony Stark (Iron Man) und Bruce Banner (Hulk), gerade erst angefangen haben zu kratzen. Die direkten Verbindungen zwischen den Erfindungen der Stark-Familie und dem Reich der Asgardier wird in den Folgefilmen CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER und THE AVENGERS sogar noch in mehrfacher Hinsicht angedeutet. Ein erster Hinweis ist hier die Bonusszene nach dem Abspann (01:53), denn das Würfel-Artefakt (der Tesseract) stellt ein fast alle Filme übergreifendes Handlungselement der Filme dar, das allerdings erst in den letzten beiden Filmen der Phase One auch zu einem zentralen Element der jeweiligen Plots wird. Auch S.H.I.E.L.D. spielt in THOR, wie auch schon in IRON MAN 2, eine

57 prominentere Rolle als zuvor und tritt in Form von Agent Coulson als eine weitere verbindende Entität zwischen den einzelnen Filmen auf. Zudem wird mit Hawkeye, ähnlich wie zuvor in IRON MAN 2 mit Black Widow, ein zukünftiges Mitglied des Avengers-Team eingeführt (00:56), ohne das dessen Auftreten hier von wirklicher Relevanz für den Plot des Films wäre. Darüber hinaus werden an verschiedenen Stellen wieder weitere Verbindungen zwischen den Figuren und Ereignissen der einzelnen Filme gesponnen: Agent Coulsons Reise nach New Mexico wurde bereits in IRON MAN 2 thematisiert und seine Ankunft am Krater von Thors Hammer dort sogar schon gezeigt (00:36). Janes Mentor Dr. Selvig kennt Dr. Bruce "Hulk" Banner (00:47) und ist mit den Machenschaften von S.H.I.E.L.D. vertraut (00:45). Außerdem hält Coulson den von Loki auf die Erde geschickten Destroyer im ersten Moment für eine neue Geheimwaffe von Tony Stark (01:21). All diese Verweise werden meistens nur beiläufig in Zusammenhang mit den eigentlichen Geschehnissen des Films in Form von Dialogen zwischen verschiedenen Figuren präsentiert. Es handelt sich dabei normalerweise nicht um Informationen, von denen das Verständnis des eigentlichen Filmplots abhängt, sondern sie dienen vor allem als Hinweise auf den größeren Handlungsrahmen des Geschehens und auf andere Ereignisse in der Hyperdiegese.

5.1.5 CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER

Synopsis In der Jetztzeit entdeckt ein Forschungstrupp in der Arktis ein großes Objekt unter dem Eis und in dessen Innerem ein Schild mit den Farben der US-amerikanischen Nationalflagge. Im März 1942 marschiert Johann Schmidt, Kommandant der okkulten -Organisation, mit seinen Untergebenen im norwegischen Tønsberg ein, um in Besitz eines Artefakts zu gelangen, das laut seinen eigenen Aussagen einst "das Juwel von Odins Schatzkammer" war. Er findet den hell leuchtenden Würfel hinter einem Relief, das den Baum Yggdrasil aus der nordischen Mythologie zeigt. Zur gleichen Zeit wird der schmächtige Steve Rogers ein weiteres Mal bei der Musterung für die US-Armee abgelehnt. Der junge Mann aus Brooklyn würde gerne

58 wie sein Freund James "Bucky" Barnes in den Krieg gegen die Nazis ziehen, nicht aus dem Drang über den Feind siegen zu wollen, sondern weil es seiner Überzeugung entspricht, die Schwächeren vor der Tyrannei durch die Stärkeren zu beschützen. Der aus Deutschland geflohene Arzt Dr. Abraham Erskine erhört das Engagement des gutmütigen New Yorkers und rekrutiert ihn für ein streng geheimes Supersoldaten-Projekt der Armee. Colonel Philips, der mit für das Projekt verantwortlich ist, hält nicht viel von dem unscheinbaren Rogers im Gegensatz zu der britischen Agentin , die die Kandidaten für das Experiment ausbildet. Doch Dr. Erskine besteht auf Rogers als Testperson, da sein Supersoldaten- Serum den Menschen nicht einfach nur physisch stärkt, sondern alle Eigenschaften einer Person expandieren lässt – und nur jemand, der weiß, wie es sich anfühlt unter der Macht Stärkerer zu leiden, würde die ihm verliehene Macht nicht missbrauchen. Am Abend vor dem Experiment erzählt der Doktor Steve davon, dass er gezwungener Maßen die Supersoldaten-Formel schon einmal an einem Menschen erproben musste und zwar an HYDRA-Anführer Johann Schmidt selbst, für den das Experiment allerdings schreckliche Nebenwirkungen hatte. Schmidt und seinem Erfinder Dr. Arnim Zola gelingt es unterdessen, die scheinbar unendliche Energie, die in dem in Norwegen erbeuteten Tesseract schlummert, anzuzapfen und fortan als Antrieb für Zolas hochentwickelte Geheimwaffen zu missbrauchen. Nach der erfolgreichen Metamorphose Rogers zum Supersoldaten wird Dr. Erskine von einem HYDRA-Attentäter ermordet, der nach einer Verfolgungsjagd durch Brooklyn von Steve gestellt wird und Selbstmord begeht. Erskine nimmt das Geheimnis seines Serums mit ins Grab und Steve Rogers verkommt in den Folgemonaten zu einer Werbefigur der US-Armee, die bei öffentlichen Auftritten für den Kauf von Kriegsanleihen wirbt, oder als patriotische Wunschfantasie in Comics und Kino Hitler und seine Schergen den Garaus macht. Weniger Kilometer hinter der Frontlinie haben die Auftritte des Captain America bei den kriegsmüden Soldaten allerdings nicht den gewünschten Effekt. Steve wird von der Bühne gejagt und fühlt sich zur Karikatur verkommen. Hier trifft er allerdings wieder auf Peggy Cater und Colonel Philips, von denen er erfahren muss, dass sein alter Freund Bucky zusammen mit seiner ganzen Division von Schmidts HYDRA-Organisation gefangen genommen wurde. Mit der Hilfe von

59 Peggy und Rüstungsmagnaten Howard Stark macht sich der idealistische Captain allerdings alleine auf den Weg hinter die feindlichen Linien. Ihm gelingt es nicht nur, Bucky und seine Kameraden aus einer Waffenfabrik HYDRAs zu befreien, sondern der Cap erhascht auch einen Blick auf eine Karte mit allen geheimen Stützpunkten von Schmidts Faschisten-Kult, der inzwischen sogar Deutschland selbst den Krieg erklärt hat. Bei seiner Flucht zeigt Schmidt sein wahres Gesicht: Das fehlgeschlagene Supersoldaten-Experiment hat dem Deutschen zwar übermenschliche Fähigkeiten verliehen, aber das Gesicht zu einem roten Schädel entstellt. Sich selber als Übermensch sehend, will er die bestehende Weltordnung kippen und sich selber als neuer Herrscher über die Menschen installieren. Captain America jagt in den Folgemonaten zusammen mit Bucky und einer von ihm rekrutierten Gruppe unterschiedlichster Kämpfer, den Howling Commandos, HYDRAs Anhänger und deren Anführer, den "" Schmidt. Schließlich gelingt es ihnen, Schmidts Erfinder Dr. Zola gefangen zu nehmen, bei dem Überfall auf einen fahrenden Zug verliert Bucky allerdings sein Leben. Zola gibt HYDRAs geheime Alpenfestung preis, die darauf von Captain America flankiert von Peggy Cater sowie Colonel Philips und seinen Männern angegriffen wird. Schmidt gelingt die Flucht mit einem durch den Tesseract angetriebenen Langstreckenbomber, der mit mehreren Massenvernichtungswaffen bestückt, amerikanische Städte in Schutt und Asche legen soll. Nach einem Kampf zwischen dem Captain und Red Skull an Bord des Flugzeugs wird letzterer durch die freigesetzte Energie des Tesseract verschlungen. Der beschädigte Bomber droht durch den Autopiloten weiterhin das angepeilte Ziel New York zu erreichen, weswegen sich Steve dazu entschließt, das Flugzeug in der Eiswüste Grönlands bruchzulanden. Peggy ist über Funk bei ihm, während er auf die näher kommende Eisdecke zuhält und das Funksignal schließlich verstummt. Nach dem Ende des Krieges birgt Howard Stark bei einer Expedition nach dem verschollenen Bomber den Tesseract vom Grund des Meeres, kann aber das abgestürzte Flugzeug nicht finden. Steve öffnet in einem Zimmer in New York die Augen. Was auf den ersten Blick der Realität der 1940er entspricht, erschließt sich schnell als Fassade und der ehemalige Superheld flieht aus einer Regierungseinrichtung, nur um schließlich am modernen Time Square in New York

60 von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury gestellt zu werden, der ihm mitteilt, dass seit seinem Absturz in der Arktis 70 Jahre vergangen sind. Nach dem Abspann folgt eine Szene, die Steve beim Trainieren in der Neuzeit zeigt und in der er von Fury aufgesucht wird, der ihn mit einer neuen Mission beauftragen will. Es folgt ein kurzer Teaser-Trailer mit Ausschnitten aus THE AVENGERS.

Intertextualität / "World-Building" CAPTAIN AMERICA stellt den letzten Film vor dem Aufeinandertreffen der Helden in THE AVENGERS dar und ist in mehrfacher Hinsicht dessen direkter Vorgänger (worauf auch schon der Untertitel THE FIRST AVENGER deutlich hinweist). Der Film ist einerseits von seiner größtenteils in der Vergangenheit spielenden Handlung ein zeitlicher Vorgänger zu allen anderen Marvel-Filmen, zudem führt er auch mit dem Tesseract das zentrale Handlungsobjekt, um den sich mehr oder weniger auch die Ereignisse von THE AVENGERS drehen, als essentiellen Bestandteil des Filmplots ein (00:07). Antagonist Red Skull will die Energie des Würfels für seine Welteroberungspläne nutzen, ähnlich wie der zurückgekehrte Loki in THE AVENGERS. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER vertieft in diesem Sinne die Hintergrundgeschichte eines der Plotelemente von THE AVENGERS (der Tesseract), ohne das beide Filme in ihrer Konsequenz aber dabei direkt voneinander abhängig sind. Ebenfalls prominent im Film vertreten ist Tony Starks Vater Howard, der sowohl an der Genesis von Captain America beteiligt ist (00:33), als auch später dabei gezeigt wird, wie er u.a. die Kräfte des Tesseract erforscht (01:15) oder Caps Schild entwirft (01:18). Schmidt / Red Skulls Aussagen zur Herkunft des Tesseract (00:06) und sein Glaube an höhere Formen der Existenz (00:26) gehen zudem Hand in Hand mit denen im Vorgängerfilm THOR eingeführten „kosmischen“ Elementen des Erzähluniversums. Derweil wohnt CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER aber auch eine ganz eigene Genre-Ästhetik inne, die sich sowohl an Kriegsfilmen als auch an Abenteuerfilmen wie RAIDERS OF THE LOST ARK (1981 USA) orientiert. Das jede Einzel-Franchise des Marvel-Universums mehr oder weniger einer bestimmten Genre-Ästhetik oder wenigstens dem Vorhandsein spezifischer Genre-Elemente zuzuordnen ist, obwohl diese wiederum alle Bestandteil der selben Erzählwelt sind,

61 ist eine zusätzliche Eigenart der Filme. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER weist außerdem als bis dato einziger Film in einer Szene eine selbstreferentielle Metaebene (siehe S. 33ff) auf sein Ursprungsmedium und auch das Kino selbst auf, da in einer Montage, die den Helden als patriotische Werbefigur auf der Reise durch die USA zeigt, sowohl Ausschnitte vermeintlicher Filmauftritte des Helden in alten Schwarz-Weiß-Produktionen als auch der Verkauf von Captain America Comics gezeigt werden (00:50). Die Figur ist also auch innerhalb der Diegese eine fiktionalisierte Heldenfigur, die aber auf einem echten Menschen, einem echten „Helden“ basiert.

5.1.6 THE AVENGERS

Synopsis Thors totgeglaubter Adoptivbruder Loki schließt ein Bündnis mit der Armee der außerirdischen . Für die Beschaffung des sich auf der Erde befindenden Tesseracts stellt der Anführer der Aliens dem in Ungnade gefallenem Asgardier seine Armee zur Verfügung und verspricht ihm die Herrschaft über die Menschheit. Nick Fury und sein Leutnant Agentin treffen derweil bei einer geheimen Einrichtung von S.H.I.E.L.D. ein, in deren Gewölben der Wissenschaftler Dr. Erik Selvig die unerschöpfliche Energie des Tesseracts erforscht. Sie werden von Agent Phil Coulson darüber informiert, dass der Würfel damit begonnen hat, unkontrolliert Energie abzusondern. Während die Einrichtung bereits evakuiert wird, erscheint Loki durch ein sich plötzlich öffnendes Wurmloch, hypnotisiert mit Hilfe seines Zepters einige Mitglieder von S.H.I.E.L.D., darunter Dr. Selvig und Agent Clint "Hawkeye" Barton, und flieht mit dessen Hilfe und in Besitz des Tesseract aus der Einrichtung. Fury und seine verbleibenden Agenten nehmen erfolglos die Verfolgung auf, während in ihren Rücken die Forschungseinrichtung durch die freigesetzte Energie des Alien-Artefakts implodiert. Fury reagiert auf den Angriff mit der Reaktivierung der Avengers-Initiative. Mit Hilfe seiner Agenten überzeugt er die ursprünglich für die Initiative vorgesehenen Mitglieder Dr. Bruce Banner (Hulk), Tony Stark (Iron Man) und Steve Rogers (Captain America) bei der Suche nach Loki und dem Tesseract zu helfen. Derweil

62 stiehlt der von Loki umgedrehte Hawkeye in Stuttgart ein seltenes Metall, das der Asgardier dazu benötigt, die Energie des Tesseract zu stabilisieren und das Dimensionstor für die Armee der Chitauri zu öffnen. Bei einem Ablenkungsmanöver für den Diebstahl lässt sich Loki von Iron Man und Captain America ohne viel Gegenwehr gefangen nehmen, doch auf dem Weg zurück zu S.H.I.E.L.D. erscheint Thor aus heiterem Himmel, um seinen Bruder selber in Gewahrsam zu nehmen und zurück nach Asgard zu überführen. Doch nach einer Konfrontation mit Stark und Rogers willigt der Donnergott ein, die Gruppe zum , S.H.I.E.L.D.s fliegendem Flugzeugträger und Operationsbasis zu geleiten. Mit Loki in Gefangenschaft versuchen Dr. Banner und Stark den Tesseract mit Hilfe seiner Energiesignatur aufzuspüren, während das Team allgemein darüber streitet, wie man mit dem tückischen Loki weiter verfahren sollte. Die Spannungen in der Heldengruppe verschärfen sich, als ans Tageslicht kommt, dass S.H.I.E.L.D. im Geheimen daran arbeitet, die Energie des Tesseract für die Herstellung von übermächtigen Waffengerät zu missbrauchen – ähnlich wie einst Red Skulls HYRDA-Organisation zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs. S.H.I.E.L.D.-Agentin und Verhörexpertin Natasha "Black Widow" Romanoff gelingt es währenddessen hinter Lokis wahre Absichten zu kommen und realisiert, dass dieser Misstrauen zwischen den Superhelden streuen und Dr. Banners unkontrollierbares zweites Ich, den Hulk, gegen die Gruppe verwenden will. Zur selben Zeit landet ein Angriffskommando angeführt vom abtrünnigen Hawkeye auf dem Helicarrier, beschädigt die fliegende Festung schwer und verursacht durch das plötzliche Chaos die unfreiwillige Verwandlung Banners in den amoklaufenden Hulk. Loki gelingt bei dem Beinahe- Absturz des Helicarrier die Flucht, die Heldengruppe ist zunächst zerschlagen und Agent Coulson verliert durch Lokis Hand sein Leben. Den Avengers wird deutlich, dass Loki von Beginn an geplant hatte, sie gegeneinander aufzuhetzen und schließlich in aller Öffentlichkeit zu demütigen. Als Bühne für seine Erhebung zum Herrscher über die Menschheit hat er sich deshalb auch nicht ohne Grund Tony Starks Wolkenkratzer in New York ausgesucht, auf dessen Dach Loki das Eingangsportal für die Chitauri-Armee mit Hilfe des Tesseract öffnen will. Doch der Tod Agent Coulsons dient (instrumentalisiert von Nick Fury) den verschiedenen Helden dazu, ihre Differenzen zu überwinden und sich gegen

63 Loki zu vereinigen. Das Helden-Team, darunter auch der wieder zu Sinnen gekommene Hawkeye, stellt sich Loki und den Chitauri in den Straßen und auf den Dächern New Yorks zum finalen Kampf. Gemeinsam gelingt es ihnen, Loki zu besiegen und das Portal mit Hilfe seines Zepters wieder zu schließen. Im letzten Augenblick leitet Stark zudem eine vom World Security Council auf New York abgefeuerte Atombombe in das sich schließende Portal um und zerstört so das Mutterschiff der Aliens. Nach dem "Kampf um New York" kehren Thor und Loki mit Hilfe des Tesseracts nach Asgard zurück und auch die restlichen Avengers gehen vorerst wieder getrennte Wege. In einer weiteren Szene während des Filmabspanns muss der Anführer der Chitauri seinem Befehlshaber die Niederlage gegen die Menschen gestehen. Dieser entpuppt sich für Kenner der Marvel-Comics als Superschurke . Die erste Phase von Marvels Kinouniversum endet schließlich mit einer Einstellung nach dem Filmabspann, die das Heldengespann bei einer wohlverdienten Runde Schawarma in einem New Yorker Restaurant zeigt.

Intertextualität / "World-Building" THE AVENGERS zeichnet sich als finales Zusammentreffen vieler Handlungselemente und Figuren aus den Vorgängerfilmen aus. In der ersten Hälfte des Films werden die Protagonisten der vorigen Einzelfilme nach und nach in den Plot eingeführt, dessen Anstoß und im weiteren Verlauf treibende narrative Kraft Lokis Diebstahl des Tesseracts ist, wie bereits in der Eröffnungsszene verdeutlicht wird. Derweil wurde auf die Bedeutung des Tesseracts, wie weiter oben beschrieben, bereits in den Vorgängerfilmen angespielt, in CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER trat er sogar ebenfalls schon als ein entscheidendes Plotelement auf. Nick Fury und S.H.I.E.L.D. nehmen zudem in THE AVENGERS erstmalig eine zentrale Rolle ein und verbinden in dieser Funktion die individuellen Hintergründe der verschiedenen Helden, deren Beziehungen und Verbindungen zu dem Geheimdienst schon in den jeweiligen Einzelfilmen oder in anderen transmedialen Erweiterungen des Erzähluniversums angedeutet wurden. Fury tritt sogar gleich zu Beginn des Films quasi als Hauptfigur der Eröffnungsszene (der Zerstörung der geheimen Forschungsanlage [00:01]) in Erscheinung, im Gegensatz zu den

64 Randauftritten, die er in den Vorgängern hatte und die seine Funktion und Stellung in der Erzählung eher andeuteten als komplett ausführten. Ebenso werden seine Agenten Black Widow und Hawkeye von bloßen Randfiguren der Vorgängerfilme zu handelnden Akteuren erhoben, deren Aktionen primäre Auswirkungen auf den Plot haben. Die ehemaligen Protagonisten der Einzelfilme werden jeweils zunächst in ihrem vertrauten Habitat eingeführt, um dann vom Plot wortwörtlich (in Form der Agenten von S.H.I.E.L.D.) abgeholt zu werden. So arbeitet Stark gerade an der Fertigstellung seines Wolkenkratzers in Manhatten, als er von Agent Coulson aufgesucht wird (00:23), Black Widow erhält ihren Einsatzbefehl während des Verhörs eines Waffenhändlers (00:12) und konfrontiert später den dieses Mal in Indien untergetauchten Dr. Banner (00:15), Thor erscheint während eines plötzlichen Gewittersturms (00:43), und Steve Rogers durchlebt beim Sandsack-Boxen Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg, bevor er von Fury für die Mission rekrutiert wird. Durch den Umstand, dass sich die Figuren untereinander noch nicht kennen und deswegen einander vorgestellt werden müssen und außerhalb ihrer jeweiligen Handlungsräume praktisch „narratives Neuland“ betreten, funktioniert THE AVENGERS trotz seiner zahlreichen Querverweise aber grundsätzlich auch noch als alleinstehendes Werk ohne die Kenntnis der anderen Filme. Ungefähr zur Hälfte des Films vereinigen sich dann die Figuren sinnbildlich unter dem Dach von S.H.I.E.L.D. und müssen Lokis Plan zur Unterwerfung der Welt mit den in den Vorgängerfilmen erworbenen Fähigkeiten und deren Kombination untereinander abwenden. Dadurch, dass die Handlung des Films die Helden mit einer bis dato unvergleichbaren feindlichen Übermacht konfrontiert, werden außerdem die Grenzen ihrer jeweiligen Kräfte ausgelotet und ebenso, wie diese Kräfte untereinander in Relation stehen, z.B. bei einer Konfrontation zwischen Iron Man, Captain America und Thor nach der Gefangennahme von Loki (00:48). THE AVENGERS stößt die bereits in THOR geöffneten Türen zu einem größeren Kosmos auf und verbindet die Welten (bzw. Weltausschnitte) der einzelnen Helden mit ihren diversen Genre-Tropen aus Science-Fiction, Space-Fantasy, Monster- und Kriegsfilm zu einem großen Genre-Hybrid und stülpt sich als Gitternetz der intertextuellen Bezüge über die komplette (bis dahin bekannte) Hyperdiegese.

65 5.2 Transmediale Erweiterungen – Inhalte und Merkmale

5.2.1 Comics: Marvel Cinematic Universe Tie-Ins

Seit dem Kino-Release von IRON MAN in 2008 sind bis Mitte 2013 über ein Dutzend spezieller Comic-Veröffentlichungen von Marvel erschienen, die als Erweiterungen der in den Kinofilmen präsentierten Welt angelegt sind. Im Gegensatz zu den regulären Veröffentlichungen des Verlags liegen Gestaltung und Produktion mit in der Hand der verantwortlichen Filmemacher der Marvel Studios131, außerdem sind die Cover-Motive mit einem "Marvel Cinematic Universe Official Tie-In"-Logo versehen. Die einzelnen Veröffentlichungen stellen entweder direkte Adaptionen der einzelnen Filme dar oder thematisieren Ereignisse parallel zu deren Handlungsverläufen als auch Geschehnisse zwischen den unterschiedlichen Filmen. Erstere können nicht als transmediale Erweiterungen verstanden werden, da die direkte Adaption eines Stoffes von einem Medium in das andere nicht die Gesamterzählung bzw. fiktive Welt erweitert und in diesem Sinne nur als crossmediales Element zu betrachten ist. Direkte Adaptionen der Filme sind in der Form der Bücher Iron Man: I Am Iron Man (Marvel Comics, 2010)), Iron Man 2 (Marvel Comics, 2012) und Thor (Marvel Comics, 2013) erschienen. Bei den übrigen Veröffentlichungen handelt es sich um Geschichten, die die Eigenschaften transmedialer Story-Fragmente erfüllen, wie zuvor unter Punkt 2.3 festgehalten. Unter anderem werden in den Comics Hintergründe und/oder Jugend der Filmhelden erforscht wie etwa in Iron Man 2: Public Identity (Marvel Comics, 2010) oder Captain America: First Vengeance (Marvel Comics, 2011). Der Band Avengers prelude: Black Widow Strikes (Marvel Comics, 2012) rückt die im Film IRON MAN 2 als Nebenfigur eingeführte S.H.I.E.L.D.-Agentin Natasha Romanoff in den Mittelpunkt, liefert als Teil einer Spionagegeschichte Informationen zu ihrer Vergangenheit als Attentäterin und dient als Vorbereitung auf den größeren Auftritt der Figur in THE AVENGERS. Eine ähnliche verbindende Funktion hat Avengers

131 Vgl. Wigler, Josh (2010): Joe Quesada Outlines Plans For 'Marvel Cinematic Universe' Comics With Movie Creators. http://splashpage.mtv.com/2010/11/01/joe-quesada-marvel-movies-comics [Stand: 16.07.2013]

66 prelude: Fury's Big Week (Marvel Comics, 2012), der die einzelnen Handlungsstränge der Kinofilme aus der Sicht von S.H.I.E.L.D.-Direktor Nick Fury miteinander in Verbindung setzt, indem der Plot seinen Handlungen zwischen den diversen Auftritten in den jeweiligen Filmen folgt und so Fury bei seiner Geheimdienstarbeit hinter den Kulissen zeigt, während die Superhelden ihre individuellen Abenteuer aus den Filmen zu bestehen haben. Die Comics liegen bis heute nur in englischer Sprache vor. Weitere Veröffentlichungen sind begleitend zu der im Sommer 2013 mit IRON MAN 3 gestarteten Phase Two erschienen bzw. geplant.

5.2.2 Kurzfilme: Marvel One-Shots

Die Marvel One-Shots sind eine Reihe von Kurzfilmen, die direkt für die Veröffentlichung auf dem Heimvideomarkt produziert werden und als Bonusmaterial auf den DVD- und Blu-ray-Veröffentlichungen der Kinofilme zu finden sind. Die Kurzfilme sind je nur wenige Minuten lang und drehen sich gewöhnlich um die Agenten des Geheimdienstes S.H.I.E.L.D. Der erste Kurzfilm The Consultant (2011) zeigt die Agenten Coulson und Sitwell [letzterer tritt in den Filmen auch vereinzelt in einigen Szenen auf, so z.B. in THOR (00:54) und THE AVENGERS (00:37)] bei einer Diskussion über die Ausführung eines Befehls des World Security Councils. Dieser verlangt die Rekrutierung von Hulks Gegenspieler Blonsky / Abomination für die Avengers-Initiative, der sich zurzeit in Gewahrsam von General Ross befindet. Die Agenten lehnen dieses Vorhaben strikt ab und kommen deswegen auf die Idee, ihren neu ernannten Berater Tony Stark zu Ross zu schicken, in der Hoffnung, dass Stark durch sein ungehobeltes Verhalten den Deal sabotiert. Das Resultat dieses Coup war derweil bereits in der letzten Szene von THE INCREDIBLE HULK zu sehen. Der Kurzfilm schließt dementsprechend die Lücke, wie es zu der Begegnung von Stark und Ross am Ende des Films kam. A Funny Thing Happened On The Way To Thor's Hammer (2011) hingegen folgt Agent Coulson auf seiner Reise zum Städtchen Albuquerque in New Mexico. Dieser überwältigt bei einem nächtlichen Zwischenstopp zwei Verbrecher, die eine Tankstelle überfallen wollen. Der dagegen über 10 Minuten lange (2012)

67 schickt Agent Sitwell in den Nachwehen der Schlacht von New York aus THE AVENGERS auf die Jagd nach einem Ganovenpärchen, das mit Hilfe einer erbeuteten Alienwaffe Banken überfällt. Anstatt das Paar verhaften zu lassen, rekrutiert er die beiden schließlich als neue Agenten, da es niemanden bei S.H.I.E.L.D. selbst gelungen ist, die unbekannte Waffentechnologie zu aktivieren. Die One-Shots erweitern das Erzähluniversum zwischen den "großen" Ereignissen der Filme und präsentieren gleichzeitig das Geschehen aus der bodenständigen, menschlicheren Perspektive der Agenten von S.H.I.E.L.D. Gleichzeitig bieten sie Informationen, um Zusammenhänge im Geschehen rund um die Marvel-Helden richtig verknüpfen zu können (siehe The Consultant).

5.2.3 TV-Serie: Agents of S.H.I.E.L.D.

Im Herbst 2013 wird der US-amerikanische TV-Sender ABC den Pilotfilm der von Marvel Studios produzierten TV-Serie Marvel's Agents of Shield ausstrahlen. Für die Konzeption der Serie zeichnet sich unter anderem Joss Whedon verantwortlich, der für den Pilotfilm sogar die Funktion des Drehbuchautors und Regisseurs übernahm. Ähnlich wie die One-Shots wird die Serie die Welt des Marvel Cinematic Universe aus der Perspektive eines Teams von S.H.I.E.L.D.-Agenten zeigen, das von dem totgeglaubten Agent Coulson angeführt wird. Die Serie wird nach dem ersten Aufeinandertreffen der Helden in THE AVENGERS spielen und die Agenten voraussichtlich mit den alltäglichen Konflikten und Problemen konfrontieren, die eine Welt voller Superhelden und potentieller Superschurken mit sich bringt, wie ein bereits veröffentlichter Trailer zur Serie andeutet.132 Sie soll aber genauso auch als eigenständiges Werk funktionieren, weswegen das Protagonisten-Ensemble größtenteils aus neuen Figuren besteht, wie Whedon in einem Interview erklärt.133 Bereits im Vorfeld der Veröffentlichung versuchte Marvel zudem, mit der in der Serie von Schauspielern Chloe Bennet verkörperten Figur Skye auf die Premiere des Pilotfilms aufmerksam zu machen. Die Computerhackerin gehört in der Serienwelt

132 Siehe Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. - Trailer 1 (Official). http://www.youtube.com/watch?v=T3T-evQZiQo [Stand: 16.07.2013] 133 Vgl.coomingsoon.net (2013): Joss Whedon Talks Marvel's Agents of S.H.I.E.L.D. and Coulson's Return. http://www.comingsoon.net/news/tvnews.php?id=105002 [Stand16.07.2013]

68 der zivilen Organisation Rising Tide an, die auf ihrer Internetseite http://www.wearetherisingtide.com/blog/ diverse vermeintliche Amateuraufnahmen von verschiedenen Superhelden des Marvel-Univerums veröffentlichten und so die Öffentlichkeit auf die verdeckten Machenschaften von S.H.I.E.L.D hinweisen wollten. Ähnlich wie bei bereits bei anderen TV-Serien (z.B. bei Lost oder True Blood) wird hier versucht mit Hilfe von diegetischen Artefakten, die als reale Internetangebote getarnt sind, das potentielle Publikum im Vorfeld der Veröffentlichung mit Erzählwelt und Figuren der Serie vertraut zu machen.

5.2.4 Computer- und Videospiele

Im Laufe der Veröffentlichungen der Kinofilme sind diverse Umsetzungen für verschiedene klassische Videospielsysteme wie die PlayStation 3 und die Xbox 360 als auch für mobile Geräte wie Smartphones und Tablets erschienen. Inwieweit diese Angebote allerdings als transmediale Erweiterungen und damit als offizielle Bestandteile des Marvel Cinemtaic Universe fungieren, ist nirgendwo ersichtlich festgehalten bzw. existieren dazu keine Aussagen der Verantwortlichen bei Marvel Studios. Einige der von Sega publizierten Spiele folgen lose der Handlung der Filme, weichen im Verlauf aber davon ab oder erweitern diese durch zusätzliche Elemente (Iron Man und The Incredible Hulk). Die Ereignisse der Spiele Iron Man 2, Thor: God of Thunder sowie Captain America: Super Soldier finden derweil vor, nach oder während der Ereignisse der Kinofilme statt, ohne das allerdings in den Inhalten der anderen Medien diese Ereignisse je als Bestandteile der erzählten Welt bestätigt werden. Die ursprüngliche Umsetzung zu THE AVENGERS ist zudem durch die Insolvenz des Unternehmens THQ (bei dem sich der Titel in Produktion befand) nie erschienen, stattdessen veröffentlichte Marvel zusammen mit Ubisoft 2012 The Avengers: Battle for Earth, das allerdings nicht mehr auf dem Kinouniversum basierte, sondern sich direkt an einer Reihe von Comics mit den gleichnamigen Helden anlehnte. Dieser Umstand gepaart mit dem vorigen wirtschaftlichen Misserfolg der Sega-Titel legt nahe, dass Marvel aktuell keine transmedialen Strategien im Bereich der Computer- und Videospiele verfolgt. Zur Vollständigkeit

69 halber sollen die Titel hier trotzdem genannt sein, sie werden aber im weiteren Verlauf dieser Analyse aufgrund der Unklarheiten ihrer Einordnung in das größere Erzähluniversum nicht weiter thematisiert werden.

5.2.5 Radikale Intertextualität am Beispiel des Tesseract

Wie bereits zuvor festgehalten, sieht Henry Jenkins eine radikale Form von Intertextualität, die sich in multiplen Querverweisen und narrativen Verbindungen zwischen den einzelnen narrativen Texten auszeichnet, als eine der Grundvoraussetzungen für transmediale Erzählungen (siehe Seite 22). Am Beispiel des Tesseract (dem außerirdischen Würfel-Artefakt, das dazu fähig ist, unbegrenzte Mengen von potentieller Energie zu erzeugen) soll im Abbildung 1: Tony Stark (Robert Downey Jr.) mit einem Hologramm des folgenden veranschaulicht werden, wie die Filme Tesseract in THE AVENGERS des Marvel Cinematic Universe und ihre Ereignisse rückwirkend miteinander verbunden werden und wie durch die intertextuellen Verbindungen zwischen den Filmen dem Zuschauer zusätzliches Wissen über die Filmwelt vermittelt wird, was Jenkins unter dem Begriff des additiven Verstehens ("additive comprehension") definiert hat. Als Start einer intertextuellen Kette von diversen Szenen und Einstellungen mit narrativem Bedeutungszusammenhang soll hier eine zunächst eher unbedeutend wirkende Szene des Films THE AVENGERS genannt sein. Während einer Konfrontation zwischen Thor, Iron Man und Captain America attackiert der Donnergott den stählernen Tony Stark mit der elektrischen Energie seines Hammers. Stark wird aber nicht verletzt, im Gegenteil scheint sein Anzug die Energie zu absorbieren bzw. ihn sogar zu stärken (00:48). Explizit erklärt wird dieses Ereignis im weiteren Verlauf des Films nicht. Wer allerdings allen vorigen Filmen aufmerksam gefolgt ist, der weiß, dass Tony Stark den Energie-Reaktor in seiner Brust, der auch seinen Anzug antreibt, basierend auf einer von seinem Vater Howard

70 entwickelten Technologie entworfen hat (IRON MAN, 00:25). Die Geschehnisse von CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER wiederum implizieren, dass Howard Stark nicht nur die Energie des außerirdischen Tesseracts erforschte, sondern diesen auch als Grundlage für seinen später entwickelten Arc Reactor verwendete (01:15, 01:50, Abb. 2). Ein weiterer Hinweis darauf ist in einer Einstellung aus IRON MAN 2 zu finden, in der Tony ein Notizbuch seines Vaters durchblättert und kurz eine Abbildung des außerirdischen Würfels zu sehen ist (01:14, Abb. 3). Tony selbst scheint zudem in THE AVENGERS bewusst zu werden, dass er den Tesseract schon einmal zuvor gesehen hat (nämlich in dem eben genannten Notizbuch), in einem Moment, in dem er sich den Würfel in Form eines Computerhologramms das erste Mal genauer anschaut (00:27, Abb. 1). Diese Kette von intertextuellen Verweisen impliziert demnach, dass die Technologie hinter Starks Kampfanzug letztendlich außerirdische Wurzeln hat, denn wie ebenfalls in CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER von Red Skull bei seinem Fund des Würfels zu Filmbeginn angedeutet Abbildung 2: Howard Stark birgt den Tesseract vom Meeresgrund in CAPTAIN AMERICA: THE (00:06), stammt der Tesseract wie FIRST AVENGER natürlich auch Thors Hammer aus Odins Reich Asgard. Das würde erklären, warum es bei der Konfrontation zwischen Iron Man und Thor zu der oben beschriebenen Patt-Situation kommt. Eine weitere (oder alternative) Erklärung wäre, dass es sich bei dem ungenannten Element, das Tony Stark in IRON MAN 2 zum weiteren Betrieb seines Anzugs mit Hilfe der Aufzeichnungen seines Vaters generiert, um das gleiche Element handelt, das Howard Stark einst zur Konstruktion von Captain Americas unzerstörbarem Schild verwendete (CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER, 01:18). Denn wie ebenfalls in der hier zu Beginn beschriebenen Konfrontation zwischen den Helden zu sehen ist, ist das Schild ebenfalls gegen die Macht von Thors Hammer immun, was auch wiederum die Immunität von Iron Man erklären könnte.

71 Anhand dieser Bedeutungsketten von auf den ersten Blick nicht zusammenhängenden, filmüber- greifenden Szenen und Einstellungen werden durch die intertextuellen Verbindungen

Abbildung 3: Tony Stark blättert im Notizbuch seines zusätzliche Informationen über die Vaters in IRON MAN 2 Filmwelt und die Konsequenzen bestimmter ihr innewohnender Ereignisse vermittelt. Es handelt sich in diesem Sinne also wirklich um eine die kognitiven und assoziativen Fähigkeiten des Rezipienten fordernde, radikale Form der Intertextualität zwischen den verschiedenen Filmen. Die Zuschauer, die diesen zunächst unsichtbar scheinenden Referenzen folgen, können so allein aus den Primärtexten (den Kinofilmen) mehr über die erzählte Welt erfahren. Nämlich indem Sie auf narrative Lücken in einem Text achten und diese mit passenden Informationsteilen aus den anderen Filmtexten füllen.

5.2.6 Multimodalität am Beispiel der Figur Phil Coulson

Die oben beschriebene intertextuelle Verknüpfung von einzelnen Szenen und Bildinformationen findet nicht nur alleine zwischen Abbildung 4: Phil Coulson und Nick Fury in dem Comic den Kinofilmen, sondern „Fury's Big Week“ auch zwischen ihnen und den Inhalten der anderen Medien wie den Kurzfilmen und Comics statt. Die radikale Intertextualität existiert so auch zwischen den diversen Darstellungsformen und Erzähltechniken der verschiedenen Medien (Multimodalität) und eröffnet dem Rezipienten neue Informationen und Sichtweisen auf die erzählte Welt – was laut Jenkins den Kern einer transmedialen Erzählung ausmacht (siehe S. 22f). Als Träger dieser intertextuellen Verbindungen zwischen den Inhalten der verschiedenen Medienarten treten im Marvel Cinemtic Universe zumeist die Figuren rund um den

72 Geheimdienst S.H.I.E.L.D. auf. Als Beispiel soll hier ein transmedialer Nebenhandlungsstrang über die Figur des Agenten Phil Coulson angeführt werden. So zeigt das Comic Fury's Big Week (Abb. 4) den Agenten bei dem vergeblichen Versuch die Aufmerksamkeit seines Chefs auf ein merkwürdiges Wetterphänomen in der Wüste New Mexicos zu lenken, für das sich Nick Fury allerdings erst Abbildung 5: Coulson als Protagonist des Kurzfilms „A bei einem weiteren Gespräch Funny Thing Happened On The Way To Thor's Hammer“ am Haus von Tony Stark interessiert. Hier überschneidet sich das Geschehen mit dem Plot aus IRON MAN 2, in dem Coulsons Auftritt zunächst damit endet, dass er sich auf den Weg nach New Mexico macht (01:24). Der Kurzfilm A Funny Thing Happenend On The Way To Thor's Hammer thematisiert daran anknüpfend Coulsons Fahrt zu seinem Zielort (Abb 5.), den er schließlich in einer Szene in THOR erreicht (00:36), die wiederum auch bereits als Bonusszene nach dem Filmabspann in IRON MAN 2 zu sehen war. Diese zunächst eher nichtsequentiell wirkenden Elemente werden durch den größeren Bedeutungszusammenhang entlang an der Figur Phil Coulson zu einer intertextuellen Sequenz von Handlungen verknüpft. Solche transmedialen Erzählzweige bieten dem aufmerksamen Rezipienten zusätzliche Informationen über Bewegungen bestimmter Figuren zu bestimmten Zeitpunkten innerhalb des größeren Erzähluniverums und werfen zudem Licht auf konsequente Zusammenhänge von zunächst autonom erscheinenden Ereignissen. Die S.H.I.E.L.D.-Agenten funktionieren als Träger dieser intertextuellen Verknüpfungen, weil sie in den Kinofilmen (die ohne Zweifel die Rolle der Primärtexte des transmedialen Erzähluniversums einnehmen) zwar immer wieder auftauchen, aber grundsätzlich nie von entscheidender Bedeutung für den kompletten Verlauf des jeweiligen Plots sind. Sie treten viel mehr an bestimmten Stellen in die Handlung ein und dann ebenso wieder aus, weswegen diese Leerstellen, in denen sie nicht im Film zu sehen sind, leicht mit Inhalten aus den transmedialen Erweiterungen gefüllt werden können. Die Kurzfilme, Comics (und vermutlich auch die TV-Serie)

73 geben dem Rezipienten die Möglichkeit zu erfahren, was Phil Coulson gerade macht, wenn er nicht auf der Leinwand zu sehen ist. In ihrer Kombination konstruieren die einzelnen Medientexte so transmediale Handlungsstränge, die parallel zu den primären Handlungssträngen der Kinofilme verlaufen.

Abbildung 6: Thor (Chris Hemsworth), Jane Foster (Natalie Portman) und Dr. Erik Selvig (Stellan Skarsgård) treffen auf Agent Coulson in THOR

5.2.7 Hyperserialität

Wenn man im Sinne einer Erzählwelt, in der eine Vielzahl von möglichen Erzählungen stattfinden (können), von einer Hyperdiegese spricht, ist es nur konsequent den Fortsetzungscharakter des Marvel Cinematic Unvierse als Hyperserialität zu bezeichnen. "Hyper" deswegen, weil hier nicht einfach mehr eine Geschichte bzw. die einzelnen Teile einer Geschichte über mehrere individuelle Filme einer Franchise ausgebreitet werden, sondern eine Vielzahl von Geschichten präsentiert werden, die größtenteils in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden können, dabei aber trotzdem Teil einer großes Fiktion sind. So sind die drei Teile von IRON MAN sowohl als in sich geschlossene Trilogie zu sehen (Tony Starks Reise zum Superhelden, die darauf folgende Auseinandersetzung mit seiner Sterblichkeit und die Symbiose mit seiner Heldenidentität sowie abschließend das Ablegen dieser Identität und Bewältigung seiner Angstzustände) als

74 auch als der erste, dritte und siebte Teil des größeren Erzähluniversums, das sich alle Helden teilen. CAPTAIN AMERICA: THE FIRST AVENGER ist sowohl der sechste Teil des Erzähluniverums und beinhaltet in dieser Funktion bereits narrative Hinweise auf den direkten Nachfolger THE AVENGERS, er funktioniert aber gleichzeitig auch als Prequel zu allen anderen Filmen, da er Ereignisse in deren Vergangenheit thematisiert. Die Filme THE INCREDILBE HULK, IRON MAN 2 und THOR spielen mehr oder weniger parallel zueinander (in der erzählten Zeit) und können dementsprechend in beliebiger Reihenfolge rezipiert werden – das Marvel Cinematic Universe hebt die klassische, einseitig laufende Kontinuität des seriellen Erzählens auf und bietet überall Einstiegs- und Ausstiegspunkte, die individuell vom jeweiligen Rezipienten genutzt und verknüpft werden können. Jedem Rezipient steht es im Marvel Cinematic Universe potentiell frei, seine eigene mediale Erfahrung zu konstruieren, egal ob es sich dabei nur um die Rezeption einzelner Kinofilme, aller Filme mit dem Bewusstsein der intertextuellen Beziehungen oder dem Ausschöpfen der transmedialen Erweiterungen handelt – der Rezipient entscheidet selber, wie tief er in die erzählte Welt vordringen will, ohne dieses aber gezwungener Maßen tun zu müssen, da die einzelnen Inhalte in erster Konsequenz gewöhnlich nicht von einander abhängen. Sie sind ganze Teile als auch Teile eines Ganzen.

75 6. Fazit – Ein Universum der narrativen Möglichkeiten

Was unterscheidet die Filme des Marvel Cinematic Universe von anderen vergleichbaren Blockbuster-Filmen? In erster Konsequenz eigentlich nichts. Sie erzählen universelle Geschichten über den Kampf zwischen Gut und Böse, in denen ein auserkorener Held sich den inneren und äußeren Dämonen seiner Realität stellen muss, um an der Herausforderung zu wachsen und das Gleichgewicht in Form von Frieden und Ordnung wieder herzustellen. Begleitet werden diese existentiellen Abenteuer von spektakulären Schauwerten und den neuesten Entwicklungen der Visual-Effects-Industrie. In dieser Hinsicht orientieren sich die Marvel Studios an den seit Jahrzehnten klassischen, mythologisch verwurzelten Erzählstrukturen des populären Unterhaltungskinos. Eine neuartige Form der intertextuellen Vernetzung weisen sie dagegen erst in zweiter Konsequenz auf; durch das vernetzende, narrative Gewebe, das an den Rändern der jeweiligen Filmplots beginnt und sich dann kontinuierlich mit jeder neuen Kino-Geschichte ausbreitet und schließlich als tragende Kraft für ein cross- narratives Aufeinandertreffen wie in THE AVENGERS fungiert. Unterstützt wird dieses narrative Gewebe zusätzlich durch die Mittel des transmedialen Erzählens, durch die alternative Blickwinkel auf Figuren und Handlungen sowie zusätzliche Querverbindungen zwischen verschiedenen Punkten im Raum-Zeit-Geschehen der erzählten Welt eröffnet werden. So wird in letzter Konsequenz beim Zuschauer das Bewusstsein für ein fiktives Handlungsuniversum geschaffen, das weit über die Grenzen der einzelnen Erzählung hinaus geht, und das potentiell die Möglichkeit einer Vielzahl von weiteren möglichen Geschichten in sich trägt, die bereits davor stattgefunden haben, währenddessen stattfinden oder noch danach stattfinden werden. Demnach lässt sich Henry Jenkins Definition von transmedia storytelling als die Kunst, Geschichten mit einem hohen Maße von medienübergreifender Intertextualiät zu erzählen, durch die der Rezipient neues Wissen über die dargestellte Welt erlangt, und deren einzelne Geschichten sowohl separate Entitäten als auch Fragmente einer größeren Erzählung darstellen, tatsächlich am Marvel Cinemtic Universe

76 exemplifizieren. Eine nicht zu unterschätzende Dimension der transmedialen Geschichten stellt zudem die Rolle des Rezipienten dar. Diverse Autoren, die sich mit dem Thema auseinander gesetzt haben (wie etwa Frank Rose oder Tyler Weaver) betonen immer wieder die Bedeutsamkeit des aktiven Zuschauers/Hörers/Lesers, der selber entscheidet, wie tief er in ein transmediales Erzähluniversum vordringen möchte und dementsprechend seine Medienerfahrung mit den ihm präsentierten Texten und narrativen Puzzleteilen selber gestaltet. Im Sinne der modernen Fragmentierung des Publikums gibt es nicht mehr den einen, ununterbrochenen Medientext mit Anfang und Ende. Eine "Leserichtung" ist nicht länger vorgegeben ("Hyperserialität"), der Rezipient steigt da ein, wo er mit dem Stoff in Berührung kommt und dringt an den Stellen tiefer in die narrative Materie ein, die er für interessant hält. Der Kinogänger, der kurzfristig auf der Suche nach Unterhaltung für den Moment ist, findet seine Bedürfnisse in einem Kino-Blockbuster der Marvel Studios genauso wieder, wie der Zuschauer, der sich auf längere Sicht auch für die seriellen Aspekte und narrativen Verbindungen der Filme interessiert. Der Fan, der sein Hintergrundwissen über die dargestellte Welt zudem jenseits der Filme noch vertiefen will, wird sich früher oder später der transmedialen Erweiterungen und ihrer narrativen Stellenwerte bewusst werden. Fans der Kinofilme werden den Start der TV-Serie verfolgen, so wie die TV-Serie auch wieder rückwirkend Zuschauer zu den Kinofilmen führen kann. Die Marvel Studios haben mit ihrem Kino-Universum weniger die eigentliche Erzählstruktur oder die präsentierten Inhalte revolutioniert, sondern vielmehr eine neue Optionalität der Rezeption und Individualität der Auseinandersetzung von bzw. mit diesen Strukturen und Inhalten eingeführt, basierend auf den gleichen Gestaltungsprinzipien, die seit Jahrzehnten auch schon in der Welt der (Superhelden-)Comics Gang und Gebe sind. Wie viele Entwicklungen und Innovationen der populären Unterhaltung zuvor gehen diese Neuerungen vor allem auch auf ein sich veränderndes Publikum zurück und beweisen einmal mehr, dass wirtschaftliche Faktoren und kreative Impulse in der Populärkultur Hand in Hand gehen. Der Kreis schließt sich so wieder im Kinosaal, in dem ein modernes Publikum bestehend aus Menschen mit verschiedensten Erwartungen und Ansprüchen an ihre medialen Unterhaltungswelten darauf wartet, dass sich das Licht wieder dimmt.

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Abbildung 2: http://images1.wikia.nocookie.net/__cb20121007112520/marvelcinematicunivers e/images/e/ee/Cube_ocean.png [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 3: http://www.blastr.com/sites/blastr/files/images/assets_c/2012/05/Cosmic-Cube- Iron-Man-2-thumb-330x143-90329.jpeg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 4: http://i.annihil.us/u/prod/marvel/i/mg/a/20/4f2c59b388ec7.jpg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 5: http://www.ifc.com/wp-content/uploads/2011/10/101711-funny-thing-thors- hammer.jpg [Stand: 17.07.2013]

Abbildung 6: http://www.joblo.com/newsimages1/avengers-thor-coulson.jpg [Stand: 17.07.2013] Schriftliche Versicherung

Hiermit versichere ich, dass ich diese Masterarbeit selbstständig verfasst habe und keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel verwendet habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß aus Veröffentlichungen entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht.

Berlin, 26.07.2013

Unterschrift