Abfahrer Miller (in Beaver Creek, )

BRIAN BAHR / GETTY IMAGES

SKI ALPIN Ein Ami gegen Austria Seit Saisonstart führt Bode Miller den Weltcup an, bei der WM zählt der Amerikaner in allen Wettbewerben zu den Favoriten. Doch mit jedem Erfolg zerstört der Spaßskifahrer sein eigenes Idyll. Als Herausforderer der österreichischen Skimacht ist er zum Star wider Willen geworden.

ür einen Moment dreht sich das gro- Spektakel. Rahlves kommt mit Prellungen Er guckt noch einmal den Hang hinauf, ße Karussell ohne Bode Miller wei- davon. Das Publikum bejubelt den glückli- und plötzlich verbeugt er sich, als wollte er Fter. Beim Weltcup-Riesenslalom im chen Havaristen, Reporter belagern ihn. sich für etwas bedanken. Dann geht er ein- schweizerischen steht der bes- Miller, 27, nimmt den Helm ab. Auch er fach nach Hause. te Skifahrer der Welt unbeachtet im Ziel- hat auf dem schwierigsten Riesenslalom- Miller genießt Momente, in denen er raum. Alle Kameras und Mikrofone sind hang des Weltcups eine gute Show gebo- nicht im Blickpunkt steht. Vielleicht weil auf seinen Teamkollegen , ten. Im ersten Durchgang verlor er unter- sie so selten geworden sind. Der Ameri- 31, gerichtet, der im Zielhang spektakulär wegs einen Stock. Doch niemand stellt ihm kaner aus dem Bundesstaat New Hamp- gestürzt war. Er überschlug sich mehrfach Fragen, niemand will wissen, wie er trotz- shire ist derzeit der Star des alpinen Renn- in der Luft, ehe er wie ein Geschoss in die dem noch Zweiter werden konnte. Es ist sports. Er führt den Gesamtweltcup an, Sicherheitspolster einschlug. Was für ein ein perfekter Tag für Bode Miller. und wenn alles normal läuft, dann wird er

136 der spiegel 4/2005 Sport

apparaten der Branche. Das Teenie-Idol mag Techno, verbringt weniger Zeit im Kraftraum als seine Kollegen, legt dafür aber Wert auf Amusement. Einer Repor- terin der Schweizer „Weltwoche“ beschrieb Miller seine Feierlaune einmal mit ent- waffnender Offenheit: „Es ist ja nicht so, dass ich mich betrinke, wenn ich ausgehe. Jedenfalls nicht oft.“ Dem Naturburschen wurde früh ver- mittelt, dass Glück und Zufriedenheit nicht nur durch Ruhm, Erfolg und Geld zu er- reichen sind. Seine Eltern Woody und Jo waren Anhänger einer Hippie-Bewegung, die einer besonders anstrengenden Art der Konsumverweigerung frönten. Die Familie lebte mit ihren vier Kindern mitten in den Wäldern von New Hampshire. Das Haus war nur zu Fuß zu erreichen. Strom, fließendes Wasser und eine Heizung gab es nicht. Die Rigorosität, mit der seine Eltern ihre Idee vom Daseinsideal verfolgten, hat der Spross übernommen. Außerhalb der Renn- saison bewohnt Miller eine einsame, klei-

PATRICK GRIPE / PRESSE SPORTS / SPORTIMAGE / SPORTIMAGE GRIPE / PRESSE SPORTS PATRICK ne Farm nahe seinem Geburtsort Franco- Einsiedler Miller (auf seiner Farm in New Hampshire): Lange als Kauz belächelt nia. Das Bewegungstalent hätte auch Fuß- ball- oder Eishockeyprofi werden können, in diesem Winter die Krone der Skifahrer kommerzialisierten alpinen Renngewerbe doch der Eigenbrötler erkannte zeitig, dass auch gewinnen. Überdies gehört der am- zuletzt nicht mehr erlebte. er sich in einem Mannschaftsgefüge nicht tierende Weltmeister in der Kombination Seit der vorigen Saison bereist Miller die unterordnen kann. Auch eine Karriere als und im Riesenslalom bei den am Samstag Veranstaltungsorte im Wohnmobil. Er mag Tennisspieler kam für den einstigen Ju- im italienischen beginnenden Titel- kein Hotelessen und keine Hotelbetten. Er gendmeister der Bundesstaaten und kämpfen in allen Wettbewerben zu den ließ sich von seinem Manager ein Haus auf New Hampshire nie in Betracht. Die Sze- Medaillenfavoriten. Rädern mit Trimmrad, Musikanlage und ne ist ihm zu schrill. Es könnte die große Saison von Bode Satellitenfernsehen besorgen. Begleitet von Skilauf erschien Miller als ideales Bio- Miller werden. Aber auch seine letzte. seinem Kumpel Jake, einem Jugendfreund, top. Der Wintersport ist in den USA zwar Am Tag nach dem Rennen in Adelboden kurvt er nun wie ein Campingtourist durch populär, die Rennszene wird jedoch kaum ist Miller nach Wengen weitergereist. Die den Winter und lagert bevorzugt gleich ne- beachtet. Erst mit 17 Jahren gewann er sei- gute Laune vom Vortag ist verflogen. Im ben der Piste. ne ersten Trophäen, 1997 stieg er in den Schweizer Skiort kursieren Gerüchte über Bis vor kurzem wurde Miller wegen sei- Weltcup ein. Vergangenen Winter verpass- eine bevorstehende Zeitungskampagne ge- ner Extratouren von den Mächtigen im Ski- te Miller den Sieg in der Gesamtwertung, gen ihn, wonach er sich von den Fans geschäft noch als Kauz belächelt. Mittler- weil er zu unbeständig fuhr. belästigt fühle. Außerdem muss Miller weile gilt er als Heilsbringer der Branche. Nun ist er an der Spitze angekommen – nachher noch zu einer großen Pressekon- Denn mit seinen Erfolgen hat er den Welt- und hat damit unverhofft die Skimacht ferenz. Er sitzt wieder im Karussell. cup von der gähnenden Langeweile erlöst, schlechthin herausgefordert. Miller gegen Miller gehört schon seit drei Jahren zu die sich zuletzt wegen der Seriensiege der Austria, das ist das Stück, das die Öster- den Topläufern des alpinen Zirkus. Doch Läufer aus Österreich breit gemacht hatte. reicher mit einer Mischung aus Lust und so groß wie in diesem Winter war der Rum- Außerdem findet das jugendliche Publi- Frust bestaunen. Erst unterschrieb Miller mel um ihn noch nie. Beim Weltcup im kum, das sich in der Vergangenheit lieber vor der Saison bei Atomic, demselben Ski- Grödnertal in Italien belagerten Fans Lift- der hippen Disziplin Snowboard zuwandte, hersteller, der auch die Rennlatten für die stationen, um mit Miller den Berg hinauf- dank Miller wieder zum Skisport zurück. Stars aus Österreich baut. Dann wurde ihm zufahren. In gab er, bereits im Der Amerikaner wird verehrt als eine von der Firma noch der Servicemann Tho- Starthaus stehend, noch Autogramme an Symbolfigur, eine Art Freak, der sich ab- mas Bürgler, ein Salzburger, der zuletzt Vorläufer. In Flachau wurde er von den hebt von den vielen konturlosen Renn- Olympiasieger betreut österreichischen Skifans nicht minder ekstatisch gefeiert wie der Stand: Lokalmatador und Pistenheld Alleskönner 20. Januar 2005 schlechthin, . Siege bei Weltcup-Rennen Riesen- Dabei ist Miller genau der Ge- in den vier Disziplinen Super G genentwurf zum bulligen „Hermi- Abfahrt slalom Slalom nator“. Maier treibt der Wille, ein- Luxemburg 1983 – 1994 39716 zigartig zu sein. Er braucht Siege und Rekorde für sein Ego, Miller Schweiz 1982 – 1990 10 10 7 2 macht sich nichts aus Titeln und Bode Miller USA 2001 – 2004 2185 Pokalen. „Ich will nur meinen Kjetil Andre Aamodt Norwegen 1992 – 2000 Spaß haben.“ Diese Grundhaltung RAUCHENSTEINER 1561 zeigt sich in einem Maß an Unan- Weltcup-Star Girardelli (1989) Günther Mader Österreich 1986 – 1996 1621 gepasstheit, wie man sie im hoch- Mit dem Druck klarkommen

der spiegel 4/2005 137 Aufgabe darin, Miller bei Laune zu halten und irgendwie durch den Winter zu brin- gen. Das ist schwer genug. Um 16 Uhr beginnt die Pressekonferenz im dritten Stock der Grundschule in Wen- gen. Es sind noch zwei Tage bis zum ersten Rennen. Miller sitzt auf dem Podium neben McNichol und hört einen langen Vortrag seines Trainers über die Fortschritte im US- Skiteam. Niemand interessiert sich dafür. Dann kommt Miller an die Reihe. Die Ku- gelschreiber der Reporter klicken. Die Medien mögen Miller. Er ist nett, klug und immer gut für bunte Geschichten.

RUBEN SPRICH / REUTERS Es kommt aber immer häufiger vor, dass Sturzpilot Rahlves (beim Weltcup in Adelboden): Wie ein Geschoss in die Luftpolster die Geschichten, die über ihn veröffent- licht werden, nicht ganz stimmen. Deshalb hatte, zugeteilt. Als Miller Anfang der zwei Millionen Dollar im Jahr verdient, ist Miller neuerdings seltsam bockig. Saison das Kunststück gelang, in allen vier klingt das reichlich kokett. Ist es tatsächlich „Wie bereiten Sie sich auf das Rennen Disziplinen – Slalom, Riesenslalom, Super- so, dass der Einsiedler mit jedem weiteren vor?“, will eine Journalistin wissen. G und Abfahrt – ein Weltcup-Rennen zu Erfolg sein eigenes Idyll zerstört? Miller versteht die Frage als Anspielung gewinnen, lag die rot-weiß-rote Skination Miller betont, nie des Starwerdens we- auf Gerüchte, wonach er bisweilen auch in Trümmern. gen den Leistungssport angestrebt zu ha- vor Rennen bis Mitternacht mit Freunden Schließlich war der eigenwillige Ami lan- ben. Und in der Tat fehlt ihm dazu die gezecht haben soll. Miller beugt sich vor ge als unverbesserlicher Bruchpilot ver- Eitelkeit. Er ist kein Showtalent wie Al- und sagt: „Ich trinke eine Menge Bier.“ schrien. Wenn Miller, das Gesäß fast bis berto Tomba. Er hat nicht den Geltungs- Alle lachen. Er nicht. auf die Ski gesenkt, durch die Kurven bret- drang eines Hermann Maier. Unter Öffentlichkeitsarbeit versteht Mil- tert, wirkt er noch heute wie ein aus der Der Grund, warum er Ski fahre, liege in ler, dass ihn in dieser Saison ein Fernseh- Kontrolle geratener Pistenrowdy. In Wahr- den ein, zwei Minuten, „die ich vom Start team des US-Senders Outdoor Life Net- heit ist er seiner Zeit voraus. Für den fünf- bis ins Ziel benötige. Das ist meine Welt“. work begleitet; dass er Kolumnen verfasst; maligen Weltcup-Champion Marc Girar- Was danach komme, die Siegerehrung, die dass er Talkshows besucht. Was er darun- delli verkörpert Miller bereits „eine neue Empfänge, die Interviews, empfinde er „als ter nicht versteht, ist, unwichtige Trai- Generation des Rennläufers“. Zum Mar- Belastung“. ningsläufe kommentieren zu sollen. Oder kenzeichen des US-Fahrers ist sein Start Auf Verständnis für diese etwas selbst- Auskunft zu geben über seine Freundin. geworden. Während die Kollegen mit gefällige Haltung, das weiß er, braucht er Er will kein Gemeineigentum sein. mächtigen Stockschüben und Schlittschuh- nicht zu hoffen. „Wer der Champion sein Am Donnerstag, vor der Lauberhorn- schritten beschleunigen, schubst Miller will, muss mit dem Druck auf und abseits Abfahrt, ist der Name Miller in aller Mun- sich, so Girardelli, „zart wie eine Haus- der Piste klarkommen“, sagt Girardelli, der de. Die Kampagne ist angekommen. „Bode frau“ in den Hang. Was danach kommt, 17 Jahre lang im Rampenlicht stand. liebt Österreich nicht“, schreibt eine Zei- nennt der erfolgreichste Allrounder aller Doch will Miller überhaupt der Cham- tung, weil sich Miller über den Stress bei Zeiten „schlicht eine Demonstration in pion sein? Sein Coach McNichol ist sich da Rennen in Austria beklagt hat. Empörend Sachen moderner Carvingtechnik“. manchmal nicht so sicher. sei dies, zumal der Amerikaner ein Apart- Miller gelingt es, bei der Kurvenfahrt Der US-Trainer arbeitet seit bald drei ment bei Innsbruck bewohne und Geld mit seine stark taillierten Ski extrem durchzu- Jahren mit Miller zusammen, aber mitun- dem Verkauf von Fanartikeln verdiene. Die biegen. Dadurch werden seine Schwünge ter ist ihm sein bester Mann immer noch österreichische „Kronen-Zeitung“ kom- kürzer. Die daraus resultierenden extre- ein Rätsel. „Bode hat seine eigene Philo- mentiert: „Auf dem Boden bleiben: Das men Fliehkräfte setzt er in Geschwindigkeit sophie. Er fährt nur für sich. Manchmal ist leider bei erfolgreichen Sportlern alles um, die ihn schneller als alle anderen durch genügt ihm ein einziger gelungener andere als selbstverständlich.“ Kurven rasen lässt. Schwung, und er ist zufrieden mit einem Miller steht jetzt da wie ein arroganter Noch schafft es der Ausnahmekönner, Rennen.“ Im Grunde besteht McNichols Sack, der den Hals nicht voll kriegt. Natür- die Lockerheit, mit der er sein Leben führt, lich ist das alles Blödsinn. Er verkauft kei- auch im Wettkampf zu bewahren. Noch ne Fanartikel in Österreich. Kaum ein Läu- bedankt er sich, wenn er Fans ein Auto- fer nimmt sich so viel Zeit für seine Fans gramm gegeben hat. Doch allmählich fühlt wie er. Er könnte die Sache aufklären. sich Miller bedrängt. Dass sein Trainer Phil Aber er ist zu wütend. McNichol hofft, durch ihn auch europäi- Als er nach seinem Trainingslauf vor die sche Sponsoren für das amerikanische Kameras tritt, setzt er demonstrativ seine Team zu gewinnen, und er deshalb viele große Skibrille auf. Seht her, soll das PR-Termine erfüllen soll, kann er ja ver- heißen, jetzt hat euer Star nicht mal mehr stehen. Immerhin macht auch Miller in ein Gesicht. Europa gutes Geld, ein Sponsor ist der ita- Unlängst schrieb Miller in einer Kolum- lienische Nudelhersteller Barilla. ne, dass er sich vorstellen könne, dem- Doch jetzt stellt er fest, dass sogar nächst mit dem Rennsport aufzuhören, Chronisten aus seiner Heimat herbeieilen. weil ihm das Bohei zu viel wird. „Meine Wo soll das enden? „Komme ich dem- innere Waage senkt sich immer mehr in nächst nach Hause“, so fragt er sich, „und Richtung Rücktritt.“ Viele nahmen ihm das

werde auf der Straße und in der Kneipe an- / PIXUNITED JOHANNES KERNMAYER nicht ab. Sein Trainer McNichol jedoch gesprochen, weil ich Bode, der große Ski- Miller-Fans (beim Weltcup in Flachau) warnt: „Unterschätzt nicht den Dickkopf fahrer, bin?“ Für einen, der mit seinem Job Liebt Bode Österreich nicht? Bode Miller.“ Gerhard Pfeil

138 der spiegel 4/2005