Eine amerikanische Erfolgsgeschichte: Als Kind lernte die Schauspielerin, dass Sex böse AB 30.9. ist. Nun wird sie als Sexsymbol gefeiert. ABSOLUTE GIGANTEN Drei Jungs im Wirbel der Großstadt – Mädchen erzogen wird. Die oberste Floyd, Ricco und Walter leben im selben Hochhausviertel, begeistern sich für Regel: Sex ist böse. „Sie haben mir Tischfußball, Autos und was sonst gute beigebracht, dass allein der Gedanke Laune macht. Aber irgendwann heißt es daran dich in die Hölle bringt“, sagt aufbrechen in die Welt und Abschied sie und berichtet von einer Kindheit, nehmen: Der Film von Sebastian Schip- in der ihr sogar die harmlose Fern- per über die letzte Nacht der Kindheit sehserie „Love Boat“ verboten wur- ist eine Liebeserklärung an Hamburg und ein Loblied auf die Jungs-Freund- de, weil dort nach Meinung ihrer El- schaft. Nur ganz selten wird er ein wenig tern vorehelicher Sex propagiert zu sentimental. wurde. Das Mädchen mit dem Engelsgesicht DIE BRAUT, DIE SICH NICHT TRAUT versuchte zunächst, den Ansprüchen Wer die banalen Kalauer des letzten Ju- ihrer Eltern gerecht zu werden: Sie lia-Roberts-Vehikels „Notting Hill“ gou- spielte die Musterschülerin und das tieren konnte, wird über dieses Retor- tenprodukt vom „Pretty Woman“-Team brave katholische Mädchen, aber im wohl die Nase rümpfen. Dabei macht Re- Innern war sie zutiefst verstört und gie-Konfektionär Garry Marshall optima- verunsichert. len Gebrauch von den Macken und be- Später flüchtete sie – zuerst auf die schränkten Talenten seines Traumpaars Bühne des Schultheaters, dann mit Roberts/Gere und liefert immerhin bra- 18 in die eigene Wohnung und ve Romantik von der Stange. schließlich nach Hollywood. „Auf DETROIT ROCK CITY „Kann sein, dass unsere Musik Scheiße ist, aber in Sachen Vermarktung macht uns keiner was vor“, gab Gene Sim- mons, Chef der legendären Monster- Heather Graham Rocker Kiss, kürzlich zu Protokoll. Jetzt

itunter ist öffentliches Aus- der Bühne konnte ich all das sein, PROJEKTOR ziehen auch heute noch ein was mir sonst verboten war.“ GENT: FILMFESTIVAL FLANDERN MAkt der Befreiung. Die In dem Drogen-Drama „Drugstore Bei diesem kleinen, aber feinen Fes- Schauspielerin Heather Graham, 29, Cowboy“ von Regisseur Gus Van tival stehen in diesem Jahr u.a. das tat es 1997 für den Film „Boogie Sant spielte sie 1989 ein Junkie- schwedische Kino, eine Peter-Green- Nights“, eine Hommage des Regis- Mädchen und in „“ ei- away-Ausstellung und das Thema seurs Paul Thomas Anderson an die ne Porno-Darstellerin. Leicht fiel Musik und Film im Vordergrund. 5.–16.10., Tel. 0032/9/242 80 60. Porno-Industrie der siebziger Jahre. ihr das nicht. „Man muss die eige- MANNHEIM-HEIDELBERG: INTERNA- Dort spielte sie das Starlet Rollergirl, ne Angst besiegen lernen“, sagt TIONALES FILMFESTIVAL das am liebsten nackt auf Roller- Graham, die schon längst jeden Das Festival für Sammler und Jäger: Skates durchs Studio rollt. Kontakt zu ihren Eltern abgebro- Hier werden nur die Werke von New- Der Auftritt als charmant-selbstbe- chen hat. comern gezeigt, die noch auf keinem wusste Porno-Prinzessin hat sich für Aus der Flucht nach Hollywood ist der großen Festivals zu sehen waren, Graham gleich doppelt ausgezahlt. inzwischen eine Eroberung gewor- und Erstlingswerke von bewährten Kräften wie Thomas Vinterberg, Jim Erstens, weil sie plötzlich die Rollen den. Seit dem US-Erfolg von „Austin Jarmusch oder Bryan Singer. bekam, die sie schon immer wollte – Powers“, neben „Star Wars“ einer 8.–16.10., Tel. 0621/10 29 43. in Filmen wie der durchgeknallten der erfolgreichsten Filme dieses WIEN: VIENNALE Agenten-Parodie „ – Sommers, und „“ gilt sie Qualität auch jenseits von Holly- Spion in geheimer Missionarsstel- als neues Sexsymbol und Star. In woods Mainstream-Kino: Neues von lung“ (Start: 14.10.) an der Seite von dem einem Film spielt sie eine ge- Regie-Exzentrikern wie Lynch und Cronenberg oder Großmeister Alt- Schauspieler oder in fährlich-verführerische Agentin, in man sowie das Kino-Ereignis „Blair Steve Martins Hollywood-Satire „Bo- dem anderen ein naives, aber unmo- Witch Projekt“ stehen auf dem Pro- wfingers große Nummer“ (Start: ralisches Mädchen, das mit jedem ins gramm. Als Ehrengast geladen ist 28.10.). Und zweitens, weil sie sich Bett geht, wenn es der Karriere Ausnahme-Kameramann Haskell endlich von den Zwängen ihrer Her- dient. Sex ist böse, sagen ihre Eltern. Wexler, die Retrospektive widmet kunft befreien konnte. Sex sells, sagen ihre Produzenten in sich dem Werk des indischen Regis- seurs Satyajit Ray. Denn in Grahams erzkatholischem Hollywood. „Sex“, sagt Graham, „ist 15.–27.10., Tel. 0043/1/71 32 00. Elternhaus gab es noch strenge eben immer noch eine wirkungsvolle (Tel. ab 2.10.) FOTOS: FOTEX, KINOWELT, PR KINOWELT, FOTEX, FOTOS:

FILM Regeln, nach denen ein junges Waffe.“ Jörg Böckem

50 kultur SPIEGEL 10/1999 PREMIEREN also Kiss auf der Leinwand – der Film aus der Autowerbung kennt, Corinna erzählt von ein paar Jungs, die in den Harfouch macht dazu Migränen-Miene. siebziger Jahren allen Widerständen (Mütter und Internatspfarrer) zum Trotz SONNENALLEE ein Konzert ihrer Lieblingsgruppe Kiss Da lachen sich die Wessis schlapp: Was besuchen wollen. Wer über „Eis am Stil“ Theater-Ossi Leander Haußmann in Sa- und „Dazed and Confused“ lachen chen Siebziger-Jahre-DDR-Teenie-Selbst- konnte, wird auch diesmal seinen Spaß findung und Rock’n’Roll-Ekstase zu bie- haben – zumindest solange keine Kiss- ten hat, sieht aus, als hätten sich Stefan Songs gespielt werden. Raab und Nina Hagen mit einer Modell- bau-VEB zusammengetan, um am anti- PLUNKETT & MACLEANE faschistischen Schutzwall Jake Scott, Sohn von Ridley Dieter-Thomas-Kuhn-mäßig („Blade Runner“) und Nef- die Sau rauszulassen. fe von Tony („True Ro- mance“), macht in seinem AB 14.10. Regiedebüt der Familie kei- ne Schande: Sein Film über AUSTIN POWERS – SPION ein paar Gentlemen-Gau- IN GEHEIMER MISSIO- ner im 18. Jahrhundert ist NARSSTELLUNG mit Robert Carlyle, Jonny Der zweite Teil der über- Lee Miller und Liv Tyler drehten Bond-Parodie führt hervorragend besetzt, die Powers zurück ins London Bilder sind ordentlich, und der Sechziger, wo er sich die Geschichte hat den mit durchgeknallten Schur- Schmiss und Charme eines ken und rattenscharfen Romans von Alexandre Agentinnen herumschlagen Dumas. Es gibt schlechtere GRAHAM, MYERS SWINGEN muss. Der bonbonbunte Irr- Referenzen. IN „AUSTIN POWERS II“ sinn gilt als Hit, auch wegen Mike Myers neuer Kollegin VERHANDLUNGSSACHE Felicity Shagwell alias Heather Graham Ein Action-Thriller, dessen Helden (siehe Porträt). hauptberufliche Schwätzer sind – klingt wenig aufregend. Aber Kevin Spacey und TOKYO EYES Samuel L. Jackson in der Rolle von zwei Der französische Film trifft auf den japa- Verhandlungsspezialisten der Polizei, die nischen – und das Ergebnis entspricht in einem Fall voller Intrigen und Kor- den Erwartungen: Die stimmungsvolle ruption verbal um Leben und Wahrheit Liebesgeschichte lebt von dem Charme ringen, beweisen eindrucksvoll ihre der japanischen Hauptdarsteller und der Klasse: Die Wortgefechte der beiden Exotik des Drehortes Tokio. Ansonsten sind spannender als manche Schießerei. passiert eher wenig.

AB 7.10. MEIN LIEBSTER FEIND – KLAUS KINSKI Kinski tobt, Kinski schreit: Fünf Kinofil- me hat der Regisseur Werner Herzog in den siebziger und achtziger Jahren mit dem genialischen Egomanen gedreht, in Urwäldern und Wüsten, oft unter Le- bensgefahr. Sieben Jahre nach Kinskis Tod ist Herzog an diese Schauplätze zurückgekehrt. Dabei ist ihm eine über- TRIFFT IN „TOKYO EYES“ NIE: SHINJI TAKEDA raschend humorvolle Hommage an einen schwierigen Star gelungen. Und AB 21.10. eine Liebeserklärung an das Kino. 10 DINGE, DIE ICH AN DIR HASSE DER GROSSE BAGAROZY Wieder High School, wie immer mit un- Der Teufel sucht, Jahre nachdem er den bekannten, aber nett anzusehenden Dar- Aufstieg und Fall von Maria Callas ver- stellern, die sogar Talent beweisen. Die brochen hat, wieder Anschluss – bei ei- moderne Variante (Regie: Gil Junger) ner sexuell frustrierten Psychoanalytike- von Shakespeares „Der Widerspenstigen rin. Diese übergeschnappte Erlösungsge- Zähmung“ setzt auf Tugenden, die schichte hat der Großproduzent und schon die Filme von Altmeister John spätberufene Regisseur Bernd Eichinger Hughes unwiderstehlich machten: große großväterlich augenzwinkernd umge- Gefühle und hässliche Intrigen, Partys setzt. Til Schweiger spielt den Beelzebub und ein versöhnliches Happy End. Ge- mit dem diabolischen Charme, den man nug für 97 vergnügliche Minuten.

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