OBERES GERICHT

VON BIS

KALTENBRUNN ALTFINSTERMÜNZ

ASM EXKURSION OBERES GERICHT 2017 Mag. Anton Prock (www.antonprock.at) © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 1

OBERES GERICHT – STUBEN-PFUNDS – FESTUNGSBAUTEN IN NAUDERS UND UMGEBUNG

OBERES GERICHT

OBERES GERICHT Ehemaliger historischer Verwal- tungsbereich im obersten Inntal zwischen Reschenpass, Schweizer Grenze und Landeck. Bis zum Ersten Weltkrieg bestanden drei Gerichts- bezirke: Nauders (mit Pfunds, und in Südtirol Langtaufers, St. Va- lentin, Graun und Reschen), Ried und Landeck . 1919 wurde das Ge- richt Nauders aufgehoben und dem Bezirksgericht Ried zugeschlagen. Dieses wiederum wurde 1975 auf- gehoben und in das Bezirksgericht Landeck einbezogen. Der Gerichtssitz befand sich ur- sprünglich auf Burg Laudeck ober- halb von und ab 1550 auf Burg Sigmundsried in .

Geografisch gesehen beginnt bei Nauders der .

Erste Besiedlungen auf den sonnigen Talhängen in der Bronzezeit . Es wird vermutet, dass hier die Handels- und Me- tallexportrouten über den Malojapass in der Schweiz nach Oberitalien führten. Die Römer nutzten das Inntal mit der mit regem Transitverkehr und dazugehörigen Versorgungssta- tionen. Da die Einwanderung der Bajuwaren nur zögerlich erfolgte, hielt sich in manchen Gegenden, vor allem in Nauders, das Rätoromanische bis in das 17. Jh.

Die charakteristische Bauform sind die oft bis zum Dach aus Bruchsteinen aufgemauerten, wuchti- gen, durch Erker gegliederten und manchmal reich bemalten Bauernhäuser. Diese Bauform wird Engadiner Haus genannt. Typische Beispiele sind etwa in Fließ, , Ladis, , Pfunds und zu finden. Viele der rätoromanisch geprägten Ortskerne fielen Bränden zum Opfer, weil die Dörfer aus sehr eng zueinanderstehenden Häusern bestanden. Der noch am besten erhaltene rätoromani- sche Dorfkern ist jener von Fiss. © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 2

STADT LANDECK

GESCHICHTE - GEOGRAFIE

Landeck verdankt seine Entstehung der Lage in einem Becken am Zusammentreffen der Reschen-, - und Fernpassstraße . Hier fließt die von Westen kommende (Vereinigung der Rosanna aus dem Stanzertal und der Trisanna aus dem Paznaun) in den . Von besonderer Bedeutung war die Römerstraße Via Claudia Augusta von Süden über den Reschenpass nach .

1254 wird Landeck erstmals im Zusammenhang mit einer Burg auf einem Felsvorsprung ge- nannt, von der aus der Verkehr gut überwacht werden konnte. In den Mittelpunkt der Tiroler Geschichte gelangte Landeck auch im Zuge der Kämpfe 1703 und 1809 , als an der rund 12 km innaufwärts gelegenen Pontlatz Brücke die Feinde besiegt werden konnten. Seine heutige Form erhielt Landeck erst im 19. Jh . Das heutige Erscheinungsbild geht groß- teils auf die Industrialisierung um 1900 zurück. Damals entstanden die Textil AG und das Karbid-Werk der Donauchemie und brachten einen gewissen Wohlstand. Im Jahre 1900 entstand der Ort aus vier Gemeinden: östlich des Inn Angedair mit Öd (jetziger Stadtkern), westlich des Inn Perfuchs und nördlich im Talbett Perjen und Bruggen . 1904 wurde Landeck Marktgemeinde , 1923 Stadt .

Kern des Stadtzentrums ist die parallel zum Inn verlaufende Malserstraße . Zahlreiche Landecker Häuser weisen Wandmalereien auf, so etwa das Richterhaus mit Dekorations- und Wappendarstel- lungen aus dem 16. Jh.

Im Ortsteil Perfuchs steht die Burschlkirche (Pestkapelle „Auf dem Burschl“) aus 1656 mit einer prächtigen Renaissancekassettendecke und drei Altären. Den Hochaltar (1651) mit den Figuren der Pestheiligen Sebastian, Pirmin und Rochus sowie der Muttergottes schnitzte Adam Payr.

Neben dem Hotel Schwarzer Adler befindet sich das Walchhaus , ein ehemaliges Rathaus (1559). Das einstige Richterhaus in Angedair aus dem 16. Jh. weist schöne Fassadenmalereien auf. Sehenswerte Häuser aus dem 16.-18. Jahrhundert sind in der Herzog-Friedrich-Straße, der Hauptstraße in Perjen, zu finden.

PFARRKIRCHE ZU UNSERER LIEBEN FRAU MARIÄ HIM- ENTSTEHUNGSLEGENDE Zwei kleine Kinder wurden von ei- MELFAHRT nem Bären und einem Wolf geraubt. Die entsetzten Eltern baten die Mut- 1266 erste Erwähnung einer Kapelle . tergottes um Hilfe und die beiden 1471-1521 Bau einer Kirche auf Veranlassung Oswalds Tiere brachten die Kinder zu einem von Schrofenstein mit Hilfe von Erzherzog Sigmund dem Muttergottesbild, das an einer Fichte Münzreichen unter der Leitung von Hans Schedler, Chris- hing. So entstand im 13. Jh. die Wall- tan Frey und Meister Balthasar. Landeck zählt neben fahrt zu „Unserer lieben Frau im Seefeld und Schwaz zu den bedeutendsten spätgoti- Walde“. Ein Bild an der nördlichen schen Pfarrkirchen Tirols. Chorwand erzählt diese Begeben- heit.

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Basilika mit erhöhtem Mittelschiff und niedrigeren Seiten- schiffen, beide mit Sternrippengewölben gedeckt.

Tympanon beim Westportal: Reliefdarstellung der Maria mit dem Kind, musizierende Engeln, zwei Wappen (links Stifter Anton von Ifan und rechts seine Gattin Appolonia von Win- den), Jahreszahl 1506, unterer Abschluss zwei Löwenkonso- len mit den Wappen Tirols und Österreichs.

Schrofensteiner-Altar im Chor: Spätgotischer Flügelaltar (vermutlich vom Innsbrucker Sebald Bocksdor- fer), im Mittelschrein Anbetung des Kindes durch die Heiligen Drei Köni-

ge, darunter in der Predella thronender hl. Oswald, verehrt von den knienden Stiftergestal- ten Oswald von Schrofenstein (links) und seiner Gattin Pra- xedis von Wolkenstein (rechts), Flügel um 1860, links mit der Anbetung der Hirten (Ferdi- nand Maaß) und rechts mit der Darbringung Jesu im Tempel (Hans Kapferer).

Totenschild des Oswald von Wolkenstein (gest. 1497) und Leonhard Gi- enger (1588) im Chor Zwei Schrofensteiner Grabplatten (1497) rechts unter der Empore.

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BURG LANDECK

Burg Landeck 1296 erste urkundliche Erwähnung 1300 als Gerichtssitz fixiert Anf. 16. Jh. Bau einer Halle im Hof 1797 Gerichtssitz ins Tal – Verfall (Kaserne, Depot, Armenhaus) 1942 Stadt, 1973 Museum

Teile Burgkapelle (Hl. Stephan) Bezirksm useum Vorburg Netzgratgewölbe Moderne Kunst Zwinger Malereien um 1520 Landeck als Ausgangspunkt Eingangshalle Schrofensteineraltärchen Leben in den Alpen Eigentliche Burg (Kreuzigung Christi, hll. Religiöses Leben Bergfried Stephanus, Christophorus) Gerichtswesen Wappen Aberglaube – Hexenwahn Armut und Not (Karner, Jenische, Schwabenkinder, Pozuzo) Auswanderer - Händler, Künstler – etwa J. Prandtauer) Realteilung 1703 – Spanischer Erbfolgekrieg 1809 – Freiheitskämpfe Arlbergbahn

BEZIRKSMUSEUM IN DER BURG LANDECK

Das Museum erzählt die Geschichte eines Raumes und seiner Bewohner , die allerdings untrennbar mit jener der Nachbarräume verbunden ist – dem Vinschgau und dem . Allerdings gehören auch noch weit entfernte Räume dazu – die Gebiete der ehemaligen Donaumonarchie, Süddeutsch- land und die Schweiz. Denkt man an die zahlreichen Auswanderer, so sind sogar Gebiete in Amerika (v. a. Südamerika) zu nennen. Das Leben „in der Heimat“ und „in der Fremde“ ist das Thema der Aus- stellung.

Ausgang und erster Teil des Museums ist Landeck selbst. Die folgenden Räume berichten vom Leben „in der Heimat“ . Der zweite Teil der Ausstellung handelt von jenen, die ihre Heimat verlassen und ihr Glück „in der Fremde“ versucht haben. Nicht wenige haben die Heimat verlassen, bis nach Peru. Die Gründe zum Weggehen waren für die meisten dieselben: Not und Elend.

THEMA 1: GERICHTSBARKEIT Der Richter kümmerte sich um Verwaltung, Ge- richtsbarkeit, Steuer und Abgaben sowie um die Die Anfänge des Gerichts in Landeck gehen auf Verteidigung. Der Richter war damit der verlän- Graf Meinhard II. von Tirol-Görz (1259-95) zu- gerte Arm des Fürsten und das Bindeglied zu den rück. Er betrieb eine ebenso geschickte wie er- Untertanen. Sein Amt war nicht erblich und konnte jederzeit wieder entzogen werden . © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 5

folgreiche Wirtschafts- und Finanzpolitik, 1499 erhielt die Grafschaft Tirol im Rahmen einer neuen förderte den Salzbergbau in Hall und ließ Landesordnung ein kodifiziertes Strafrecht, für das sich die in Meran Münzen mit überregionaler Bezeichnung „Malefiz- oder Halsgerichtsordnung“ ein- Geltung prägen. Weiter schuf er eine bürgerte. Darin war die Todesstrafe durch Köpfen, Erhän- zukunftsweisende Verwaltung und rich- gen, Ertränken, Vierteilen, Pfählen, Rädern und Verbren- tete im Land Gerichte ein. Bis in die Zeit nen festgelegt. Sonstige Strafen waren der Pranger das Maria Theresias waren Gerichtsbarkeit Abschneiden der Zunge, das Abschlagen der Schwurfinger, und Verwaltung in Österreich nicht von- das Schleifen und die Prügelstrafe. einander getrennt. Unter ihrer Herr- schaft wurde die Gewaltenteilung in der oberen Instanz durchgeführt. Im Staatsgrundgesetz von 1867 erfolgte dann auch die Trennung auf den unteren Ebenen. Dadurch entstanden die Bezirksge- richte mit ihren heutigen Kompetenzen.

THEMA 2: UNHEIMLICHE HEIMAT – MAGISCHES DENKEN , HEXENWESEN

Magisches Denken und Wissen waren bis in die Neuzeit weit verbreitet und anerkannt. Die „Hexen“ waren darin nur besonders spezialisiert. Sie beherrschten Segenssprüche, Zeremonien, Beschwö- rungsformeln, die zur Abwehr von Unheil, Krankheiten und böse gesinnten Personen dienten. Die Heilkunst durch Salben, Amulette, die Deutung von bösen Zeichen und Wahrsagerei gehörten eben- falls zu ihren besonderen Fähigkeiten. Erst als man die Zauberei als böses Teufelswerk zu sehen begann, wurden sie als Bedrohung emp- funden. Von offizieller Seite befürchtete man, Hexen könnten die Bildung von Sekten bewirken. Frauenhass oder einfach Gier und Neid waren häufig der Grund für Verleumdung und Verfolgung. Erst die Aufklärung und die Wissenschaften entzogen dem Hexenwahn allmählich die Grundlage. Insgesamt ist das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Opfern des Hexenwahns fast aus- geglichen. Auch Jugendliche und sogar Kinder konnten in das Räderwerk der Inquisition gelangen. Dass das Hexenbild trotzdem stark weiblich geprägt ist, hängt mit der herrschenden Sicht der Män- ner zusammen. Alles was mit Sexualität, Geburt und Schwangerschaft oder mit Liebe und Tod zu- sammenhing, war dem männlichen Wissen weitgehend entzogen. Den Frauen wurde daher von vornherein eine größere Nähe zu den dunklen Mächten zugeschrieben. Männer wurden häufiger wegen Wetter-, Ernte- und Krankheitszauber verfolgt.

SITUATION IN TIROL Kurz nach 1500 setzte auch in Tirol die Verfolgung von angeblichen Hexen und Zauberern ein und dauerte fast zwei Jahrhunderte. Es lassen sich gewisse Höhepunkte feststellen. Der folgende Über- blick erhebt keineswegs den Anspruch auf Vollständigkeit. Die Hexenverfolgung forderte auch in Tirol viele Todesopfer, wobei kaum ein Unterschied zwischen Frauen (Hexen) und Männern (Zauberern) gemacht wurde. Nicht einmal Kinder blieben vor Todesurteilen verschont.

Der erste begann mit dem Verbrennen bzw. Ertränken zahlreicher Hexen im Fleimstal 1501- 1505, fand seine Fortsetzung mit der Verbrennung von sechs Frauen in Völs am Schlern und endete 1540 mit dem Todesurteil gegen die berühmte „Sarntaler Hexe“ Barbara Pachler. Eine zweite Welle von Hexenverfolgungen ist zwischen 1590 und 1640 zu erkennen. 1594 verbrannte man eine Hexe in Kitzbühel, 1605 und 1615 wurde jeweils ein Zauberer in Hein- fels bzw. Lienz gerädert und verbrannt, 1623 fand diese Welle mit der Verbrennung zweier Frauen bei lebendigem Leib in Landeck ihre Fortsetzung und erlebte 1627 mit der Hinrich- tung etlicher Frauen in Brixen ihren Höhepunkt. Auch zur Zeit der Regierung von Claudia de‘ Medici wurden noch zahlreiche Todesurteile verhängt, wie beispielsweise 1637 (ein Ehepaar in Heinfels verbrannt, 2 Frauen in Landeck enthauptet und verbrannt), 1638 (ein Mann in Karneid, ein Mann in Kastelruth hingerichtet) oder 1639 (zwei Frauen in Karneid hingerich- tet). © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 6

Eine dritte Welle der Hexenverfolgung ist in den Jahren 1679-1685 nachweisbar, bei der un- ter anderem 13 Personen in Meran den Tod fanden. Den grausamen Schlusspunkt setzte 1680 die Hinrichtung einer Frau und ihrer beiden Kinder in Lienz wegen Hexerei.

THEMA 3: KRIEGE IM OBERLAND

DER SPANISCHE ERBFOLGEKRIEG – 1703 Im Jahre 1700 starb der letzte spanische Habsburger König Aus der ersten Ehe Kaiser Maximilians I. Karl II. kinderlos. Im folgenden Spanischen Erbfolgekrieg mit Maria von Burgund stammten die ging es um die Nachfolge in Spanien. Ansprüche stellten Kinder Philipp („der Schöne“) und Mar- garethe. Durch die Hochzeit Philipps mit eine Nebenlinie des französischen Königshauses und Kai- der spanischen Prinzessin Johanna („die ser Karl VI., der Vater Maria Theresias. Bayern war einer Wahnsinnige“) kam Spanien an die der wichtigsten Verbündeten Frankreichs. Mit einem Heer Habsburger – spanische und österreichi- von 12.000 Mann wollte Kurfürst Max II. Emanuel im sche Linie der Habsburger. Sommer 1703 Tirol durchqueren, sich in Oberitalien mit der französischen Armee vereinigen und gemeinsam ge- gen Wien ziehen. Im Zuge dieser Aktion sollte auch eine bayerisch-französische Abteilung von ca. 300 Mann über den Reschenpass in den Vinschgau vorstoßen. Der Kurfürst konnte von Rosenheim kom- mend ohne großen Widerstand bis gelangen. Später jedoch formierte sich im Süden Tirols der Widerstand. Im Etschtal versperrten Schützenverbände den Weg und die Bayern mussten nach Innsbruck zurückkehren. Am 3. Juli 1703 geriet die bayerisch-französische Truppe an der Pontlatz Brücke in einen vernichtenden Hinterhalt. Am 17. Juli wurden die Bayern am Brenner empfindlich geschlagen und zogen am 26. August (Annatag – Annasäule in Innsbruck) aus Tirol ab.

DIE FREIHEITSKÄMPFE VON 1809 Im Zuge der Eroberungen konnte der mit Bayern verbündete Kaiser Napoleon Bonaparte auch Öster- reich bezwingen. Tirol war von 1805-1814 bayerisch. Am Bergisel bei Innsbruck fanden die vier be- rühmten Schlachten statt. Im August 1809 sollte eine französische Expedition im Vinschgau und im oberen Etschtal in Südtirol Aufstände verhindern. Sie erreichte am 5. und am 7. August Landeck. Am 8. August verließen 1800 Mann den Ort in Richtung Reschenpass. Nicht zufällig kam es wieder an der Pontlatz Brücke zu den ersten Kämpfen. Bei der Festung Laudegg in Ladis konnten die feindlichen Truppen gestoppt werden. Nachdem sie auch die Innbrücke vor abgebaut fanden, entschieden sich die französisch-bayerischen Truppen zur Umkehr. Der Teil, der in der Tullenau am Inn lagerte, wurde im Morgengrauen von den Tirolern eingeschlossen und gefangen genommen. Der Rest wurde auf dem Rückweg nach Innsbruck bei , Imst und auf dem Mieminger Plateau in verlustreiche Kämpfe verwickelt.

THEMA 4: LEBEN IM TIROLER OBERLAND – NOT UND ELEND

REALTEILUNG Die Bauern waren zwar frei, aber die Höfe waren ihnen lediglich auf Zeit zur Bewirtschaftung überlas- sen. Schon früh zeigte sich jedoch, dass längere Leihezeiten für beide Seiten Vorteile brachten: Die Erbleihe setzte sich durch. Üblicherweise übernahm der älteste Sohn den Hof, während die übrigen Nachkommen „ausgesteuert“ wurden. Im Oberland bestand jedoch die „Realteilung“, die Höfe wurden unter allen Erben geteilt. Ursprüng- lich war das ganz im Sinn der Grundherrschaft, weil mit der Anzahl der Haushalte auch die Zinsein- nahmen anstiegen. Mit einem unverhältnismäßig großen Wachstum der Bevölkerung stieß das Sys- tem jedoch an seine Grenzen. Schließlich wurden nicht nur die Grundstücke, sondern auch die Häu- ser geteilt. Am Ende hieß es für viele, ihre Sachen zu packen und mit dem Karren herumzuziehen.

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HUNGER UND ELEND In der gesamten vorindustriellen Geschichte Tirols herrschte immer wieder Hunger und Mangel an Nahrungsmitteln. Was für ganz Tirol galt, traf besonders auf Westtirol zu: Es gab zu wenig Anbauflä- chen, als dass sich die Bevölkerung selbst hätte ernähren können. Das Land war immer vom Import von Nahrungsmitteln abhängig. In Dürre- oder Kälteperioden entfielen nicht nur die Ernten auf den eigenen Feldern, auf den Märkten stiegen auch die Preise für Getreide.

DIE KARNER Ende des 17. Jh. erreichte die Not einen Höhepunkt. Als hätten Missernten, Wetterschäden, Krieg und Teuerungen nicht schon genügt, kam es auch noch zu einer längeren Kälteperiode, die als „Klei- ne Eiszeit“ in die Geschichte eingegangen ist. Nachdem es nichts mehr zu teilen gab, tauschten viele ihr Elend mit dem Leben auf der Straße. Die Ärmsten der Armen waren aus der sozialen Ordnung herausgefallen. Als Nichtsesshafte lebten sie das Jahr über vom Hausieren und ambulanten Hand- werksberufen. Im Winter hielten sie sich an den Rändern ihrer Heimatgemeinden auf. Vom Karren als „Wohnraum“ und Transportmittel bürgerte sich ab der M. d. 18. Jh. die Bezeichnung „Karner“ ein. In Telfs hießen sie auch die „Laninger“ oder „Laniger“ („Lahnen“ sind Lawinen, der Name bezieht sich auf die lawinengefährdeten Lagerstätten außerhalb der Orte).

DIE JENISCHEN Im Tiroler Oberland, dem Obervinschgau und in Graubünden bezeichneten sich die Landfahrer als „Jenische“. Das heißt so viel wie die – in die eigene Sprache – „Eingeweihten“. Andere Erklärungen führen den Namen auf die „Jenseitigen“ – außerhalb der Gesellschaft – zurück. Das Jenisch ist eine besondere Form der Sondersprachen von Nichtsesshaften, abwertend auch „Rotwelsch“ genannt. Durch die Entlehnung aus anderen Randsprachen wie Jiddisch oder Romanes und aus romanischen Sprachen entwickelte sich allmählich eine eigene, schwer verständliche Sprache. Von dort sind nicht wenige Ausdrücke wieder in die „normalen“ Dialekte zurückgewandert. Wörter wie „Kohldampf“ für Hunger, „Hegel“ für Mann, „butten“ für essen, „blosen“ für trinken oder „verboschen“ für verkaufen sind geläufig. Für die Randgruppe war die Sprache das wichtigste Mittel zur Entwicklung und Behaup- tung der eigenen Identität.

DIE SCHWABENKINDER „Schwabenkinder“ waren jene Kinder aus Tirol und , die sich in Oberschwaben als Ar- beitskräfte verdingen mussten. Alljährlich wanderten hunderte, zeitweise sogar mehrere tausend Kinder und Jugendliche dorthin. Im Bodenseegebiet herrschte vom Frühjahr bis in den Herbst „Leu- temangel“, daheim gab es zu viele Esser. Die Kinder aus den verarmten Gebieten in den Alpen bilde- ten die Reservearmee. Die Arbeit bestand aus nur scheinbar harmlosem Viehhüten und schwerer Landarbeit. Der Arbeitstag begann zwischen vier und sechs Uhr morgens, in der Erntezeit sogar noch früher, und dauerte bis in die Abendstunden. Die Kinder waren zweifach Außenseiter, Fremde hier wie dort. Der Lohn bestand zumeist in nichts anderem als Bekleidung und Essen. Fast zwei Jahrhun- derte war es so. Die letzten Kinder sind noch nach dem Ersten Weltkrieg ausgewandert.

THEMA 5: KÜNSTLER UND HÄNDLER IM AUSLAND

Zeitweise auszuwandern, hatte im Oberland Tradition. Schon im 17. Jh. gingen die Männer nach Bay- ern oder in die Schweiz, um dort als Holzfäller, Zimmerleute, Maurer und Hilfsarbeiter zu arbeiten. Um die Mitte des 18. Jh. erreichte die Zeitwanderung ihren ersten Höhepunkt. Trotz der Einschrän- kungen durch Krieg und Besatzung zählte man im Jahr 1811 im Gericht Landeck 800 Zeitwanderer, im Gericht Ried 400. In ganz Tirol ging die Zahl in die Tausende und in der 1. H. d. 19. Jh. überstieg sie allein im Oberland 6000 im Jahr. © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 8

Die Menge an herausragenden Talenten der Baukunst war Jakob Prandtauer , 1660 als Sohn kein Zufall. Sie war das Ergebnis einer hoch entwickelten und eines Bergbauern in Stanz bei Lan- gut organisierten Handwerkskultur. Die Oberländer Bau- deck geboren, starb 1726 in St. Pöl- handwerker waren nicht nur im unmittelbar benachbarten ten. Nachdem er in Schnann das Ausland sehr gefragt. Ihre Ziele lagen in ganz Süd- und Mit- Maurerhandwerk erlernt hatte, war teldeutschland, später auch in der Schweiz und in Frank- er fast 10 Jahre auf Wanderschaft. reich. Im März wanderten die Gruppen los und kehrten erst 1692 heiratete er und ließ sich in St. im November wieder zurück. Pölten nieder. Nach kleineren Arbei- Nach dem Dreißigjährigen Krieg kam es in Mitteleuropa zu ten erhielt er 1702 den Auftrag zum einem regelrechten Bauboom, von dem auch die Oberinnta- Bau von Stift Melk , dessen Vollen- dung er allerdings selbst nicht mehr ler Handwerker profitierten. Fürsten und Bischöfe ließen erlebte. Mit Johann Bernhard Fischer Residenzen, Kirchen und Klöster im zeitgemäßen Barockstil von Erlach und Lukas von Hilde- bauen. Auf den Baustellen begegneten sich Könner und brandt gehört Prandtauer, der sich Fachleute aus halb Europa. Sie teilten ihr Wissen und brach- selbst als „Maurermeister“ bezeich- ten neue Kenntnisse mit nach Hause. nete, zu den größten österreichi- Die Handwerker waren vielseitig und mobil. Oberinntaler schen Barockbaumeistern. Zimmerleute sollen bis Holland gekommen und dort im Schiffsbau tätig gewesen sein.

(Texte großteils von den Beschreibungstexten im Museum übernommen.)

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STUBEN -PFUNDS

Der Doppelort besteht aus Pfunds (rechts vom Fluss) und Stuben (links davon), verbunden durch eine Brücke. Die frühere Bedeutung durch die Lage an der Handelsstraße Augsburg-Venedig, als Zollstation und durch besondere lan- desfürstliche Privilegien zeigt sich heute noch an den stattli- chen Mittelflurhäusern mit großen Durchfahrten, wuchtigen Steinportalen, Erkern, Fresken und Holzgiebeln entlang der einstigen Durchzugsstraße.

Im Turmhaus an der Innbrücke soll Kaiser Maximilian I. 1499 im Zuge der Engadiner Kriege genächtigt haben. Erhalten sind noch die gewölbte spätgotische Durch- fahrt und barocke Fassadenmalereien (um 1770) vom einheimischen Künstler Philipp Jakob Greil. Im ehemaligen Richterhof (Stuben-Pfunds Nr. 1) aus dem 16. Jh. befinden sich im Ganggewölbe im ers- ten Stock frei zugängliche interessante 50 Wappenma- lereien sowie Sinnsprüche aus der Renaissance und dem Barock. Diese erinnern an ehemalige Richter, Verwaltungsbeamte, Pfarrherren und andere Persön- lichkeiten. In diesem Haus wurde 1795 der Dichter Johann Chrysostomus Senn geboren, der in Wien in den politischen Wirren der Zeit vor 1948 als Revoluti- onär betrachtet und eingesperrt wurde. Zurückgekehrt nach Tirol, lebte er in bitterer Armut.

Als besonderes Kunstwerk gilt die Liebfrauenkirche in

Stuben , eine Stiftung von 1470. Spätgotische Fresken von Martin Enzelsberger aus der Entstehungszeit schmücken das Innere, darunter die Beweinung und die Kreuztragung Christi, Christus als Weltenrichter, die Heimsuchung Mariens, die hll. Katharina, Barbara und Margarethe (sie werden in Tirol als die „heiligen drei Madl“ bezeichnet). Im barocken Hochaltar von 1680 sind die kompletten Teile eines spätgotischen Flügelaltars (1513) vom Allgäuer Bildschnitzer Jörg Lederer eingebaut: im Schrein die Statuen der Muttergottes (Mitte) und der hll. Katharina (links) und Barbara (rechts), auf der Vorderseite der Flügel Reliefs mit der Verkündigung an Maria (oben links), der Geburt Christi (oben rechts), der Anbetung der Könige (unten links) und der Beschneidung Christi (unten rechts), auf der Flügelrückseite Malereien mit der Geißelung Christi, der Dornenkrönung, der Kreuztragung sowie der Kreuzigung und einem Weltge- richt, schließlich auf den Predellenflügeln unterhalb des Schreins die Bilder der hll. Petrus (links) und Paulus (rechts).

Südwestlich von Pfunds teilt sich bei der Kajetansbrücke die Bundesstraße. Einerseits gelangt man über Nauders und den Reschenpass nach Italien, andererseits in die Schweiz. Vor der Kajetansbrücke führt eine gute ausgebaute Bergstraße in vielen Kehren hinauf nach Spiss und zum Schweizer Zollaus- schlussgebiet Samnaun . Dort bieten sich inmitten eines herrlichen Schigebietes zahlreiche Möglich- keiten zum Wintersport und zum Einkauf zollfreier Waren.

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KAUNERTAL

Das bei Prutz mündende ist rund 28 km lang, wird vom Faggenbach durchflossen und führt gegen Süden in die Gletscherwelt des Gepatschferners. Am Eingang liegt der Ort . Hauptort ist die Gemeinde Kaunertal mit Feichten und Kaltenbrunn. Die Straße zum Gepatschspeicher (1767 m) ist mautpflichtig. Gespeist wird der Stausee vom Gepatschferner. Ein zweiter Zugang ins Tal besteht vom Pitztal her über den Piller Sattel (1559 m).

SCHLOSSHÄUSER IN KAUNS

Auf einer 1050 m hoch gelegenen Sonnenterrasse liegt nur drei km von Prutz entfernt das früher häufig von Bränden heimge- suchte Kauns. Erhalten sind noch die zwei „Schlosshäuser“ (Haus Nr. 49 und 50) am südöstlichen Ortsrand, die einst zur Burg Berneck gehörten und im 17. Jh. mit Malereien geschmückt wurden. Die Abbildungen zeigen Szenen mit Kaiser Maximilian I., der das Kaunertal als Jagdgebiet sehr schätzte. Eine Szene weist auf den berüchtigten Wilderer Wiesenjaggl hin, der um 1500 das Tal unsicher machte.

SCHRANZKAPELLE IN KAUNS

Am Ortsein- gang erinnert die gotische Schranzkapel- le zum hl. Kreuz , gestiftet von Michel Schranz, an die Pestzeit von 1634. Das große „Kauner Kreuz“ im Hochaltar (16. Jh.) ist mit einer Legende verbun- den. Ein Jäger, der kaum etwas traf, rief den Teufel um Hilfe an. Dieser riet ihm, während der Wand- lung in der Wallfahrtskirche Kaltenbrunn einem weit entfernt dargestellten Christus in die Seiten- wunde zu schießen, dann würde er ein unfehlbarer Schütze werden. Doch der Jäger zitterte und traf ein Stück unter der Seitenwunde. Im selben Au- genblick begann das Haus des Jägers zu brennen und wurde zur Gänze zerstört. Unter der Seiten- wunde sind noch die Kugelspur und drei Blutstrop- fen zu erkennen. Dargestellt ist die Legende auf einem Gemälde in der Kapelle.

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WALLFAHRTSKIRCHE KALTENBRUNN

GESCHICHTE

ENTSTEHUNGSLEGENDE 12. Jh. erste Wallfahrt Inmitten einer Geröllhalde fanden Um 1285 Errichtung einer Hirten auf einem Stein eine Mut- Steinkapelle und einer Ein- tergottesstatue, um die Roggen siedelei durch einen Ritter und Weizen wuchsen, die vom von Schenkenberg (bei ei- weidenden Vieh jedoch nicht nem Turnier in Mailand töte- berührt wurden. Zudem sprudelte te er einen Gegner, wurde an dem Ort, an dem heute der ins Gefängnis geworfen und Altar der Gnadenkapelle steht, soll durch sein Flehen zur eine frische Quelle aus dem Berg Muttergottes von seinen Ket- – Name Kaltenbrunn. Die Hirten ten befreit worden sein, Ma- beteten vor der Muttergottessta- tue und bald kamen zahlreiche ria soll ihm den Weg nach Menschen aus der Umgebung. Es Kaltenbrunn gewiesen ha- entstand eine hölzerne Kapelle ben) und eine Einsiedlerklause. 1438 Zerstörung der Gna- denkapelle durch Brand, Gewährung verschiedener Ablässe Neubau, 1502 Weihe des Chorraumes, 1592 Weihe der Kirche (Unterstützung durch Kaiser Friedrich III. und Erzherzog Sigmund d. Münzreichen) Innenausstattung 1720-30 , Maler Franz Laukas aus Prutz Um 1835 Erneuerungsarbeiten außen und innen

OVALE GNADENKAPELLE

Im Inneren der Wallfahrtskirche steht die von Gallus Gratl aus Inzing erbaute ovale Gnadenkapelle an der Stelle, wo die Hirten auf dem Stein die kleine Muttergottesstatue verehrten. Über dem Eingang sieht man die Wappen der Wittelsbacher, der Habsburger und der Diözese Brixen. Außen sind die 15 Geheimnisse des Rosenkranzes angebracht (geschnitzt von Andreas Kölle aus Fendels). Die Gnadenfi- gur der Maria mit dem Jesukind (um 1400) ist prunkvoll mit einem Brokatmantel bekleidet, beide tragen Kronen. Der Altaraufbau stammt von der alten Wallfahrtskirche von (1650).

DECKENFRESKEN UND ALTÄRE IN DER WALLFAHRTSKIRCHE

Die Malereien mit Darstellungen des Marienlebens stammen von Franz Laukas aus Prutz (1720-30), zarter Laub- Bandlwerkstuck von den ansässigen Wessobrunner Künstlern Anton und Augustin Gigl. Das Hochaltarbild zeigt die Himmelfahrt Mariens (Franz Lau- kas), das Bild des linken Seitenaltars das Weltgericht , jenes des rechten Seitenaltars die Verkündigung Mariens .

THAMASCHKREUZ (P ESTKREUZ , WUNDMALCHRISTUS )

Letztes Werk und eines der Hauptwerke von Andreas Thamasch (geb. in See im Paznaun, Lehre bei Thomas Schwanthaler in Ried im Innkreis, tätig im Tiroler Oberland, vor allem in Stift Stams). © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 12

VOTIVBILDER

Zwei große barocke Bilder an der Kirchenrückwand seitlich des Eingangs, viele kleine links vom Ein- gang.

SONNENTERRASSE VON LADIS , FISS , SERFAUS

Zwischen Prutz und Tösens wird das Inntal auf der westlichen Seite von einer Terrasse mit den Ort- schaften Ladis, Fiss und Serfaus begleitet. Erreicht werden kann diese nur über Prutz. Früher war die Viehzucht eine der Haupteinnahmequellen der Bevölkerung. Die hier übliche Besitzteilung (Realtei- lung) bedingte, dass im 19. Jh. zahlreiche Familien in Armut verfielen und auswandern mussten, viele nach Amerika. Wirtschaftliche Besserung brachte erst der ab dem Beginn des 20. Jh. stark zuneh- mende Fremdenverkehr. Heute führt eine Seilbahn in das Schigebiet Komperdell, wo früher Silber und Kupfer abgebaut wurden. Die Region zählt zu den beliebtesten Wintersportgebieten Tirols und die drei Orte sind Hochburgen des Fremdenverkehrs.

LADIS

Als Gerichtssitz mit der Burg Laudegg, dessen Einzugsbereich von Landeck bis zum Reschenpass („Oberes Gericht“) reichte, erlang- te Ladis überregionale Bedeutung, was sich heute noch in üppi- gen Fassadenmalereien aus der Renaissance und dem Barock an verschiedenen Häusern erkennen lässt. Zu den ältesten noch erhaltenen Fresken zählen jene am Rechelerhaus (Nr. 3). Neben den gemalten Fensterumrahmungen finden sich hier die Anbe- tung der Hirten mit einem Mann in spanischer Tracht darüber, eine höfische Szene mit Rittern und Adeligen vor einer Stadt, ein einzelner Reiter und eine Frau. Ebenfalls Malereien weisen das Gasthaus Rose , das anschließende Gemeindehaus (Nr. 27) sowie das Haus Nr. 22 (1684) auf. Das Stockerhaus (Nr. 6, 1664, s. Abb. im Skriptum) gehört zu den künstlerisch bedeutendsten ländlichen Baudenkmälern des Oberen Gerichts. Über dem Eingang befindet sich ein origineller Erker. Zu den figürlichen Malereien zählen Adam und Eva, die Opferung Isaaks, die Ermordung Abels durch seinen Bruder Kain, die vier Evangelisten, der Tod und das Leben, Christus am Ölberg, der Kreuzestod Christi und seine Beweinung, ein Mann und eine Frau im Streit, Wegelagerer, die einen Reiter vom Esel zerren u. a.

Ein einmaliger Blickfang ist die erstmals 1239 erwähnte Burg Lau- deck bzw. Laudegg auf der höchsten Stelle eines mächtigen Felsrü- ckens, der vom Inntal bis nach Ladis heraufzieht. Zu Füßen der Burg dehnt sich ein malerisch angelegter Weiher aus. An den wuchtigen quadratischen Bergfried mit romanischen Doppelbogenfenstern schließen Kapelle und Palas an. 1259 überschrieb Graf Meinhard II. seiner Gattin Elisabeth die Burg als Witwensitz. 1263 wurde hier das Landgericht untergebracht. Mit der Verlegung des Gerichtssitzes nach Sigmundsried im Inntal im 16. Jh. begann der Verfall. Heute ist die Burg in Privatbesitz und kann zu bestimmten Zeiten besichtigt werden.

In einer Seehöhe von 1386 m liegt oberhalb von Ladis Bad Obladis , das auf Grund seiner Sauerquelle Bekanntheit erlangte. Die gute Höhenluft wirkt sich vor allem bei Asthmaerkrankungen.

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EINSTIGE GRENZFESTE ALTFINSTERMÜNZ

Früher verliefen Grenzen meist nicht über Pässe, sondern entlang von Engstellen. Hier, an einer schluchtartigen Talenge des Inn, befin- den sich noch die Reste einer der bedeutendsten Grenz- und Zollsta- tionen Tirols. Hier war der strategisch und wirtschaftlich wichtige Weg zwischen dem Inntal, dem Vinschgau und dem Engadin sehr gut geschützt. Schon zur Römerzeit gab es einen Flussübergang. Altfins- termünz besteht aus einer Brücke mit einem Pfeiler und dem Brü- ckenturm, der Zollstätte Sigmundseck auf der Anhöhe über eine Höh- lenburg, einem fünfgeschossigen Klausenturm als Straßensperre sowie einer Kapelle. Über der Tordurchfahrt des Brückenturms lagen eine Wachstube und eine offene Herdstelle für die Mannschaft. An- lage und Straße waren durch eine Sperrmauer mit Fenstern und Schießscharten entlang des Berghangs gesichert. Die Vorbauten sind großteils nicht mehr vorhanden. Heute kümmert sich der Verein Altfinstermünz um die Renovierung, Erhaltung und Belebung dieses wertvollen Kulturobjekts.

Die Römerstraße Via Claudia Augusta (ca. 45 n. Chr.) überquerte im Bereich von Altfinstermünz den Inn. 1159 taucht die erste urkundliche Erwähnung als „vine- stana silva“ (Wald von Finstermünz) auf, 1263 die ur- kundliche Erwähnung einer Höhlenburg. Die Einhebung der Maut lässt sich ab 1300 nachweisen. Die um 1470 von Erzherzog Sigmund dem Münzreichen ausgebaute Anlage stellte im Engadinerkrieg von 1499 ein wichtiges Bollwerk dar. In die Zeit Kaiser Maximilians fällt der Bau des Klausenturms (1502). Auf 1604 geht die Kapelle zurück. Mit der Verlegung des Zollamtes nach Martins- bruck verlor die Zollstätte an Bedeutung, endgültig jedoch mit dem Bau der neuen Reschenstraße 1854.

Die einstige Zollstätte ist mit dem Auto nicht direkt erreichbar, es gibt jedoch verschiedene Wanderwege: Vom Parkplatz Gasthof Kajetansbrücke (Bundesstraße 180 bzw. 184, südlichwestlich von Pfunds) über das Zollamt Kajetansbrücke unterhalb der Engadinerstraße (Schweiz) entlang des Inn, vom Parkplatz in Vinadi (Schweiz) direkter Abstieg, vom Gasthaus Hochfins- termünz an der Reschenbundesstraße (Österreich) und von Nauders (Österreich) ebenso direkter Abstieg. Feste Schuhe sind empfohlen.

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SPERRFORT NAUDERS UND BURG NAUDERSBERG

Etwas südlich der Ortschaft Nauders steht auf einem sanft abfallenden Hügel in strategisch günstiger Lage Schloss Naudersberg. Durch einen von einer Mauer umgebenen Zwinger führt der Weg zum Burgtor und weiter in den von einer Ringmauer umschlossenen Burghof. Noch deutlich ist der eigentliche Burgkomplex mit Bergfried, Kapelle, Palas, Bastei, Zisterne etc. zu erkennen. Bei Nauders beginnt der Vinschgau und die Burg war vom 13. Jahrhundert bis 1919 ein bedeuten-

der Gerichtssitz. Der Richter musste ein Tiroler sein und bis ins 17. Jahrhundert die rätoromanische Sprache beherrschen, da im Raum von Nauders zahl- reiche Rätoromanen wohnten und mit Sonderrechten ausgestattet waren. Die Bezeichnung Oberes Gericht bezieht sich auf das Gebiet zwischen Landeck und dem Reschenpass. Heute besitzt die Burg ein sehenswertes Museum mit Kunstwerken der einheimischen Künstler Karl Blaas, Anton Stecher und Josef Barthlmä Kleinhans. Weiters sind Erinnerungsstücke an das Gerichtswesen, das Handwerk, den Verkehr u. a. ausgestellt.

Vermutlich bestand schon in vorgeschichtlicher Zeit hier eine Siedlung. Zur Römerzeit führte die Via Claudia Augusta vorbei. Eine erste Burg wird 1239 als Sitz der Herren von Nauders erwähnt. Im Zuge der Kämpfe mit den Engadinern wurde Naudersberg 1499 großteils zerstört, jedoch rasch wieder aufgebaut. Im 16. Jahrhundert erfolgte die Umgestaltung der Wehrbauten zu Wohnzwecken. Als nach dem Ersten Weltkrieg Südtirol an Italien kam, verlor Naudersberg seine Funktion als Gerichts- sitz. In den letzten Jahrzehnten wurde die Burg von der Familie Köllemann renoviert und ist mit Res- taurant und Museum eine sehenswerte Attraktion.

Da Burg Naudersberg direkt neben der Reschenbun- desstraße (B 180) liegt, ist sie mit dem Auto erreich- bar. Unterhalb der Burg befindet sich ein Parkplatz. Auch die Sperrfestung Nauders liegt gleich neben der Bundesstraße (B 180).

Neben der Burg steht an der alten Passstraße die kleine romanische Leonhardskapelle aus dem 12. Jahrhundert. Die Malereien in der Apsis und am Chorbogen aus der Zeit um 1150 zählen zu den ältes- ten Fresken Nordtirols. Darstellt sind Christus in der Mandorla und Apostelköpfe.

Ab der Kajetansbrücke südlich von Pfunds im Inntal (Reschenbundesstraße B 180) steigt die Straße in Kur- ven in Richtung Nauders steil an. Rund 2,5 km nördlich des Dorfes Nauders wurde um 1840 zur Sicherung des Landes von Süden her direkt in den Felsen die Sperr- festung Nauders gebaut. Sie besteht aus 55 Räumen in mehreren Stockwerken, darunter Geschützräume sowie Bereitschafts- und Lagerräume für Munition und Proviant. Ungefähr zu dieser Zeit entstand nörd- lich von Brixen die Festung von Franzensfeste zur Si- cherung des Eisacktals.

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VERKEHR ÜBER DEN RESCHENPASS

WIE VERLIEF DER OBERE WEG ?

Oberer Weg (Bezeichnung aus Augsburger Sicht, weiter innaufwärts): Folgte weitgehend dem Verlauf der alten Via Claudia Augusta (Augsburg – Füssen – Zwischentoren – Fernpass – Imst – Landeck – Reschenpass – Vinschgau – Etschtal – Trient – Valsugana – Venedig) Unterer Weg (trennte sich bei Schongau von der „Oberen Straße“ und verlief über Oberam- mergau – Mittenwald – Seefeld – Innsbruck – Brennerpass – Pustertal – Cadore – Venedig)

Oberer und Unterer Weg konnten kombiniert werde: „Gemischte“ Variante über Etschtal bis Bozen (Möglichkeit des Wasserwegs), dann über Brenner und Fernpass (via Mieminger Plateau, Holzleiten- sattel/Nassereith) nach Augsburg.

WARUM FUHR MAN IM MITTELALTER AM OBEREN WEG ?

Beim Brenner ist nur ein Pass zu überwinden bei anderen Brennerpass 1370 m, Reschenpass Übergängen oft mehrere. Auch beim Reschenpass muss 1504 m, Rottenmanner Tauern (Stei- der Fernpass (1216 m) dazugezählt werden. ermark) 1274 m Höhe, die Pässe der

Schweiz viel höher (Septimer 2310, St. Die Einzugsgebiete für Brenner und Reschen (Poebene, Gotthard 2109 m, Großer St. Bernhard Donauraum) haben eine gute Anbindung an die Wasser- 2469 m). wege und Täler von Etsch, Inn und Donau. Beide Pässe waren wegen ihrer geringen Höhe und der geringen Niederschlagsmengen auch im Winter meist begeh- und befahrbar. Bei Pässen über 2000 m war keine jahresdurchgängige Benutzung möglich: große Schneehöhen und drohende Lawinen.

Norditalien und Süddeutschland waren wirtschaftlich sehr bedeutend und kommunizierten mitei- nander, doch die Alpen stellten eine Barriere, die überwunden werden musste, dar. Durch den Auf- stieg Venedigs infolge der Kreuzzüge nahm der Verkehr zu. Über die Alpenpässe wurden vor allem teure Waren transportiert, nur wenige Massengüter. Vor dem Bau des Kuntersweges (1314) durch die Eisackschlucht, wodurch der mühevolle Aufstieg über den Ritten hinfällig wurde, war der Obere Weg bedeutender als die Brennerroute. Der Weg über den Reschen stellte die direkte Verbindung zu den wichtigen süddeutschen Handelszentren Augsburg und Ulm dar. Die Verlegung der Residenz von Meran nach Innsbruck (1420) und die Verlegung der Münze von Meran nach Hall (1477) verminder- ten die Bedeutung des Oberen Weges, ebenso wie der Verlust des Unterengadins (1499). Grundsätzlich jedoch war mit Ausnahme der Römerzeit der Brennerpass wichtiger.

WER FUHR AM OBEREN WEG ?

1027 erfolgte die Verleihung des Vinschgaus an die Bi- Vor 12. Jh.: Soldaten, Boten, Pilger, Händ- schöfe von Trient. ler, Könige und Kaiser mit Gefolge Ab Mitte 12. Jh.: Aufblühen von Handel Mitte des 12. Jh. kam es zu einer Blütezeit : günstige und Verkehr, Zunahme der Händler und klimatische Bedingungen, Bevölkerungswachstum, Bin- Kaufleute, zusätzlich Studenten und fah- nenkolonien, Gründung von Städten – das führte zum rendes Volk Aufblühen von Handel und Verkehr. Entscheidende Im- © Mag. A. Prock ASM -Exkursion Oberes Gericht – Landeck bis Reschenpass 16

pulse dazu gab es durch die Kreuzzüge , sie ließen einen überregionalen Warenaustausch entstehen. Jetzt wurde der Warenverkehr wichtig.

WIE FUHR MAN AM OBEREN WEG ?

Grundsätzlich ging man im Mittelalter zu Fuß , Nach dem Ende des Römischen Reiches verlor die der Mensch trug seine Lasten selbst. Für schwe- Wirtschaft an Bedeutung, die Straßen verfielen. rere Güter boten sich Esel , Maultiere und Pferde Notwendige Transporte erfolgten zu Fuß bzw. mit an. Der Transport mittels Saumtieren (eine Saumtieren. Mit dem Wirtschaftsaufschwung Mit- Saumlast betrug ca. 150 kg) hatte den Vorteil, te des 12. Jh. finden sich in den Quellen Erhal- dass schlechte und steile Wege benutzt werden tungs- und Ausbaumaßnahmen. Der Obere Weg konnten. Mit der durchgehenden Befahrbarkeit war gegen Ende des 14. Jh. schon durchgehend des Oberen Weges im späten 14. Jh. wurden die befahrbar und bot an weitreichende Saumtiere von den Wagen abgelöst, die von bis Flusssysteme (Etsch, Inn, Lech, Donau). zu sechs Pferden, manchmal auch Ochsen, gezo- gen wurden. Bei Schneelage wurde der Schlitten

verwendet. Im Frühmittelalter dürfte es keine Unterkünfte für Reisende entlang des Oberen Weges gegeben Die Beförderung von Menschen mit Wagen war haben. Allmählich entstanden an Pässen und an- damals nicht üblich, sie war extrem unbequem. deren exponierten Stellen Hospize als Unterkunft Die meisten Menschen gingen zu Fuß . Wer es für Pilger und anderer Reisende. Solche Hospize sich leisten konnte, benutzte ein Reitpferd . Ta- wurden von geistlichen Gemeinschaften, aber gesetappen betrugen rund 30-40 km , auf gebir- auch von privaten Stiftern unterhalten und stan- gigen Abschnitten weniger (unabhängig davon, den unentgeltlich zur Verfügung. Größere Gruppe, ob man mittels Wagen, Saumtieren oder zu Fuß etwa Soldaten, schliefen unter freiem Himmel. Es reiste). gab auch die Möglichkeit der Unterkunft bei Bauern . Mit dem im 12. Jh. einsetzenden Aufschwung von Handel und Verkehr nahm auch der Bedarf an Übernachtungsmöglichkeiten stark zu – Gasthöfe lösten die Hospize ab. Gerade in den neu entstandenen Städten und Märkten wurden Gasthäuser mit Ställen, Lagern und anderer benötigter Infrastruktur errichtet. Pilgerhäuser standen weiterhin mittel- losen Reisenden zur Verfügung. In Bozen sind im 16. Jh. rund 70 Gasthöfe nachweisbar.

WANN FUHR MAN AM OBEREN WEG ?

Überwiegend fuhr man, was eigentlich nicht erwartet wird, im Winter . Einerseits hatte die bäuerliche Bevölkerung, die für den Warentransport unverzichtbar war, im Winter mehr Zeit. Zudem standen im Winter die sonst in der Landwirtschaft benötigten Zug- und Tragtiere zur Verfügung. Andererseits konnten Schlitten eingesetzt werden, was einen großen Vorteil gegenüber den holprigen Straßen bedeutete. Zudem zogen Säumer und Saumtiere den gefrorenen Winterboden den tiefen Wegen im Frühjahr und Herbst vor. Beim Reschenpass stellten weder Schneehöhen noch Lawinen ein besonde- res Problem dar.

WER HIELT DEN OBEREN WEG INSTAND ?

Die Nutzung der Verkehrswege brachte ja auch Einnahmen in Form von Zöllen und Steuern . Diese ursprünglich den Königen zustehende Aufgabe wurde im Spätmittelalter auf die Landesfürsten über- tragen. Durch die Verleihung des Zollregals erhielten sie Einkünfte, mussten jedoch auch die Sicher- heit und Befahrbarkeit der Straßen garantieren. In Tirol mussten nach einer Aufstellung von 1560 ein Viertel bis zu einem Drittel der Zolleinnahmen für die Instandhaltung der Straßen verwendet werden.

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WAS WURDE AUF DEM OBEREN WEG TRANSPORTIERT ?

Hier muss zwischen dem Binnen- verkehr und dem überregionalen Warentransit unterschieden wer- den. Quellen dazu sind Raitbücher, Zollregister, Zolltarife, Zollverlei- hungen sowie Zollbefreiungen. Für das Mittelalter bestehen nur we- nige Quellen, für die frühe Neuzeit jedoch sehr zahlreiche. Nicht wenige Reisende benutzten im Zuge des innertirolischen Transits den Weg über den Jaufenpass , der die beiden Zentralräume Innsbruck und Meran wesentlich direkter und schneller verband als die Route über Bozen oder den Reschen.

Der BINNENVERKEHR spielte am Oberen Weg eine geringe Rolle, das Einzugsgebiet war klein, die meisten Menschen lebten autark. An Gütern, die innerhalb Tirols bzw. in die benachbar- ten Regionen transportiert wurden, ist vor allem Wein zu nennen. Abnehmer waren die vie- len Klöster in Bayern und Schwaben, die im Süden Tirols Weingüter besaßen. In der Gegen- richtung wurde vielfach Salz aus Hall (der Import fremden Salzes war verboten) transportiert. Mit Salz wurden das Obere Gericht, der obere Vinschgau und das Außerfern versorgt, der Ex- port erfolgte auch in das Engadin, das Veltlin und über den Fernpass nach Süddeutschland. Getreide aus Bayern und Lebendvieh spielten auch eine große Rolle. So wird etwa 1395 die Einfuhr von bayerischen Schweinen an die Etsch erwähnt. Eine Besonderheit im Vinschgau war der Laaser Marmor , der nach Bayern und Chur exportiert wurde. Für den FERNHANDEL spielen neben Wein und Salz vor allem Luxusgüter wie Stoffe , Schmuck, Gewürze, Südfrüchte und Öl eine wichtige Rolle. Für Massengüter war die relativ teure und langwierige Passage über die Alpen gegenüber dem Seetransport nicht konkukurrenzfähig.

Zolltarif zu Prutz bzw. zu Pfunds 1406: Salz, Wein, Schweine, Eisen, trockene Güter Zolltarif zu Finstermünz 1618/1653: Gold- und Silberprodukte, Seide, Wolltücher, Zucker, Safran, Pfeffer, Ingwer, Muskat und andere Gewürze, Quecksilber, Waffen, Rüstungen und zahlreiche weitere Luxusgüter, verschiedene Früchte und Wein

Auch die Post wurde über den Oberen Weg transportiert. Maximilian hat 1495 wegen der besonde- ren Beziehungen zu den Sforza einen Postkurs von Innsbruck über das Wormser Joch nach Mailand eingerichtet. Die wichtige Postverbindung in das Reich und in die Niederlande verlief für rund 300 Jahre über den Oberen Weg (Fernpass).

WER LEBTE AM OBEREN WEG BZW . PROFITIERTE VOM VERKEHR ?

Verkehr bedeutet Leben. Die Auswirkungen auf das Land und seine Menschen können nicht hoch genug eingeschätzt werden. Eigentlich profitierte jeder vom Verkehr.

In erster Linie verdanken die Städte und Märkte ihre Existenz dem Handel und Verkehr, Straßen bil- deten dazu die Voraussetzungen. Am Oberen Weg entstanden in jener Epoche vor allem an Kreu- zungspunkten mit anderen Routen zahlreiche Städte und Märkte: Meran (Gampen und Jaufen), Glurns (Wormserjoch), Landeck/Angedair (Arlberg), Imst (Inntalroute) und Reutte (Tannheimertal). Auch Bozen verdankt seine Gründung und seinen Aufstieg eigentlich der Lage an den beiden wichti- gen Nord-Süd-Routen.

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Der Landesfürst gab diesen Siedlungen Privilegien (Niederlags-, Feilhaltungs- und Gastungszwang) und konzentrierte damit das wirtschaftliche Leben, den Warenaustausch, innerhalb ihrer Mauern.

Den Menschen , die in den Städten und Bis Ende des 13. Jh. transportierten die Kaufleute ihre Märkten lebten, bot der Verkehr genügend Güter selbst, dann erließ der Landesfürst Vorschriften für Verdienstmöglichkeiten. Die Wirte stiegen den Transport, um die eigene Bevölkerung daran teilha- in den mittelalterlichen Städten Tirols zu ben zu lassen. Es entstand das RODFUHRWESEN , eine den mächtigsten und reichsten Bürgern auf. Kurzstreckenfrächterei, am Oberen Weg seit 1282 nach- weisbar. Der Warentransport war das Vorrecht einer Die Kaufleute dirigierten den lokalen Han- bestimmten Personengruppe, die nach einer festgelegten del. Der Fernhandel wurde von italienischen Ordnung (Rod) zur Beförderung herangezogen wurde. Die und oberdeutschen Kaufleuten beherrscht. Zahl der Rodfuhrleute blieb beschränkt, die Aufnahme in Verschiedene Handwerker (Schmiede, Satt- diese Gruppe erfolgte grundsätzlich durch den Landes- ler, Fassbinder etc.) profitierten ebenfalls fürsten, manchmal auch durch die Gerichtsgemeinde. davon. Hilfskräfte verdienten als Aufleger Somit wurden die fremden Kaufleute gezwungen, ihre und für ähnliche Dienste ihr Geld. Waren von einheimischen Fuhrleuten befördern zu las- sen. Allerdings waren die Rodfuhrleute zum Transport Aber auch die Menschen außerhalb der verpflichtet, was wiederum Sicherheit und Stetigkeit des Städte und Märkte profitierten vom Handel Transports gewährleistete. Gerade zur Erntezeit konnte es jedoch Probleme geben, da die Tiere für die Landwirt- und vom Verkehr. Einerseits boten sie Ab- schaft benötigt wurden. Speziell im Winter bot die Rod- satzmärkte , anderseits wurden ihre Tiere fuhr einen willkommenen Zusatzverdienst für die bäuerli- im Transport benötigt. che Bevölkerung. Dieses Rodfuhrwesen blieb nicht auf Tirol beschränkt, in der Schweiz gab es ähnliche Struktu- Durch die vermehrte Verwendung von Wa- ren. gen, die das tägliche Ab- und Aufladen der Der Warentransport am Oberen Weg war durch Rodord- Waren unnötig machten, wurde die Rod zu nungen genau festgelegt. Darin stand auch, an welchen langsam und zu teuer. Die Kaufleute dräng- Orten Rodstationen mit Ballhäusern (= Warenlagern) ten darauf, selbst und direkt fahren zu dür- einzurichten waren. Das Abladen der Waren, die Verkös- fen. Hier musste der Landesfürst Zuge- tigung, die Nächtigung, die Verpflegung der Tiere und die Einlagerung der Güter mussten bezahlt werden, wodurch ständnisse machen. Der endgültige Nieder- die Bevölkerung profitierte. gang der Rodfuhr im 18. Jh. ließ sich jedoch nicht aufhalten. Es gab am Oberen Weg folgende Rodfuhrstationen : Reut- te, Heiterwang, Lermoos, Nassereith, Imst, Neben den Städten und der im Transport- Zams/Landeck, Prutz, Nauders, Glurns, Latsch, Meran, wesen beschäftigten Landbevölkerung pro- Terlan, Bozen, Branzoll und Neumarkt. fitierte der Landesfürst wohl am meisten vom Verkehr. Er erzielte über Zölle und Mauten bzw. über die Stadtsteuern höhere Einnahmen.

1305 wurde in Tirol das Zollrecht (Zollregal), das eigentlich dem König zustand, an die Landesfürsten verliehen, wenn es auch schon vorher bestand. Der Landesfürst durfte für die Nutzung der Straßen in seinem Herrschaftsbereich Zölle und Mauten einheben. Bei den mittelalterlichen Zöllen handelte es sich nicht um Grenzzölle im heutigen Sinn, sondern um Binnenzölle, die eher als Mauten zu betrach- ten sind. Bei manchen von ihnen sprach man auch von Weggeldern oder Brückenmauten. Die Höhe der Zölle war sehr unterschiedlich. Die höchsten Abgaben waren für Luxusartikel wie Gewürze und Seidenstoffe zu bezahlen, einheimische Produkte wie Wein oder Salz wurde allerdings geringer be- steuert. So konnten die Zölle als wirtschaftliche Steuerungsmittel verwendet werden. Zollbefreiun- gen sollten die Lasten für die einheimische Bevölkerung und für geistliche Einrichtungen mildern. Durchschnittszoll für die Passage durch Tirol: Belastung der Fracht an den verschiedenen Zollstätten mit insgesamt rund 20 Prozent . Die Höhe der landesfürstlichen Zolleinnahmen betrug um 1300 rund ein Viertel der Gesamteinnahmen Tirols.

Rainer Loose (Hg.): Von der Via Claudia Augusta zum Oberen Weg, Schlern-Schriften 334, Innsbruck 2006. Zusammenfassung des Beitrags von Dr. Christoph Haidacher , S. 67 ff.