Ich Lass' Mir Die DDR Nicht Nehmen, Das Erbe Muss Bewahrt Werden«
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Sonnabend/Sonntag, faulheit & arbeit 17./18. März 2018, Nr. 65 n Drucksachen n Schwarzer Kanal n Reportage n ABC-Waffen Nach Beginn der Märzrevolution 1848 Staatsdoktrin: Wieder einmal gilt der Der Hype um Leipzig ist in aller Munde. Zunächst hat mir Janinas Verschwinden formulierten Marx und Engels für den Bund Kampf gegen Russland deutschen Aber die Schwächsten der Gesellschaft keine Ruhe gelassen. Wahrscheinlich hatte der Kommunisten politische Forderungen Kommentatoren als antifaschistisch haben nicht viel von der Entwicklung ich ein schlechtes Gewissen. Von David Blum ARNO BURGI/DPA »Ich lass’ mir die DDR nicht nehmen, das Erbe muss bewahrt werden« Gespräch mit Peter Sodann Über das Leben im sozialistischen deutschen Staat, den Westen – und vor allem über Bücher err Sodann, Sie sind Bananen und Orangen für die westlichen dann zwei Jahre und zehn Monate, was Peter Sodann in der nach 1961 festgenommen Peter Sodann Messegäste zur Verfügung standen, denn in vier Jahre Bewährung umgewandelt ihm benannten Biblio- worden. Welche Bü- auf so was wollten die Wessis ja nicht ver- wurde. thek in Staucha cher kann man in (Jg. 1936) ist Schauspieler. Er war lan- zichten. Der Leipziger Bananenkeller war Als Sie festgenommen wurden, einer DDR-Gefäng- ge Zeit Intendant des »Neuen Thea- aber nicht der beste, die Bananen wurden waren Sie mitten im Schauspielstu- Mehr Informationen zur Hnisbibliothek ausleihen? ters« in Halle. Seit er 1989 mitansehen schlecht. Also hat er die schlechten aus- dium. Bibliothek unter: Ich erinnere mich an »Die Geburt auf dem musste, wie die Literatur der DDR im sortiert. Und als er dann mit einem LKW Ja. Ich war als Arbeiterkind zunächst auf www.psb-staucha.de Gurkenland« von Boris Gorbatow. Das großen Stil entsorgt wird, ist er Bü- voll mit braunen Bananen durch Leipzig der Arbeiter-und-Bauern-Fakultät. Dann ist eine Insel in der Sowjetunion kurz vor chersammler. Die 2012 aus der Taufe gefahren ist, da wurde er von der Bevölke- wollte ich Schauspiel studieren. Aber sie Alaska. Das Buch war gut. Ich habe auch gehobene Peter-Sodann-Bibliothek ist rung angezeigt. haben mich nicht genommen. Ich habe über Walfang gelesen und kannte dann eine einzigartige Sammlung des ge- Warum saßen Sie? vorgesprochen. Man hielt mich für völlig den Unterschied zwischen einem Barten- druckten Schriftguts des untergegan- Wegen staatsgefährdender Hetze und untauglich. Ich bin dann in dem Kabarett wal und einem Zahnwahl. Aber viel habe genen sozialistischen Staates. Vorbereitung der Konterrevolution. Das aufgetreten und habe statt Schauspiel Jura ich nicht gelesen. Es gab jede Woche war kurz nach dem Mauerbau und ist na- studiert. Aber das war nichts für mich. nur ein Buch. Und da war natürlich auch türlich eigentlich ein Witz. Ich war Lei- Ich wollte nicht Richter werden oder ir- jede Menge Mist dabei. Zum Beispiel ein in Leipzig. Das war schon hart. Ich teilte ter eines Kabaretts geworden, dem »Rat gendwie so was. Ich wollte Bürgermeister Buch von Paula Busch, der berühmten mir die Zelle mit dem Direktor einer städ- der Spötter«. Wir hatten ein Programm werden, Bürgermeister in einem richtigen Direktorin des Zirkus Busch: »Wasser- tischen Schweinemästerei und dem stell- gemacht, das hieß »Wo der Hund be- sozialistischen Dorf. Aber das ging natür- minna«. Grauslich. vertretenden Direktor der Großmarkthal- graben liegt«. Und das Ministerium für lich nicht. Einer meiner Professoren hat Wie waren denn die Haftbedingun- le. Der eine saß, weil er 200 Tonnen Ge- Staatssicherheit wollte gerne wissen, wo das auch bald herausgehabt, dass das für gen? treide verschoben hatte. Bei dem anderen, der Hund denn nun begraben liegt. Wir mich nicht das richtige war. Und er hat Am Anfang war ich mit zwei Menschen in der dann nach vier Wochen wieder her- konnten es ihnen aber nicht sagen (lacht). mir geholfen. Ich bin dann zur Schau- einer Zelle. Ich war ja in Untersuchungs- ausgekommen ist, war es ein Unglück. Er Gut, es war nicht einfach. Es hieß, ich haft bei der Stasi in der »Wächterburg« war verantwortlich dafür, dass genügend bekomme zehn Jahre. Daraus wurden n Fortsetzung auf Seite zwei 2 INTERVIEW Sonnabend/Sonntag, 17./18. März 2018, Nr. 65 n Fortsetzung von Seite eins Stadt, nach Magdeburg und schließlich ben. Und ich hatte ja das »Neue Theater« verändert hat, ein Exemplar zu stehen. nach Halle. und damit Platz, um die Bücher unterzu- Das ist eigentlich der internationale Stan- spielschule in Leipzig gegangen und habe Aber das ging auch nicht gut. bringen. Das waren dann schnell 20.000, dard. Und neben Büchern sammle ich dort mit meinem Kabarett vorgesprochen, Doch, doch, eine ganze Zeitlang sogar. 30.000 Bücher. Und als ich rausflog, habe auch Zeitschriften, also alle DDR-Zeit- und daraufhin hat man mich genommen. Ich war fast 25 Jahre Intendant in Halle ich die Bücher mitgenommen. Zunächst schriften, die stehen hier komplett: von Das war gar nicht so leicht damals, weil und habe dort das ehemalige Kino der wusste ich nicht, wohin damit. Aber in der Weltbühne bis zum Magazin. man das Studienfach eigentlich nicht Deutsch-Sowjetischen Freundschaft zu Merseburg gab es einen Bürgermeister, Wer nutzt die Bibliothek? wechseln konnte. Man konnte ja, und das einem Theater umgebaut, das ist das der hatte schon dem in Halle nicht geach- Im engeren Sinn noch keiner. Es kommen ist nachvollziehbar, die Arbeitergroschen »Neue Theater«, das ist heute Teil der teten Maler Willi Sitte mit einer Galerie Leute, die Bücher kaufen, und für die nicht einfach verschleudern, der Staat be- »Kulturinsel«. Da haben wir ganz wun- ein Denkmal gesetzt. Und den interes- mache ich dann meistens eine Führung. sierte das. Ich bin dann mit den Büchern Und klar, wenn einer will, da geht das in Merseburg in die Orangerie gezogen. schon. Wo wir hier sitzen, das ist eigent- Ich sammle die Bücher für die, die sonst keine Chance Aber als die CDU das Bürgermeisteramt lich ein Leseraum. Langfristig will ich übernommen hat, nachdem man bei dem irgendwann eine Leihbücherei aus alle- mehr hätten, sie zu lesen, weil sie nicht mehr gedruckt alten Bürgermeister Kinderpornographie dem machen. Der Onlinekatalog ist im auf seinem Computer gefunden hatte und Aufbau. Aber das geht natürlich alles nur werden. der abgesetzt worden war, war es für mich langsam voran, Schritt für Schritt. Das in Merseburg vorbei. Denn die CDU woll- Beste ist, wenn die Leute hier zu Besuch te mich da nicht. Ich landete mit meinen kommen, dann erkläre ich ihnen das. Was zahlte ja die ganze Ausbildung. Also, man derbare Sachen gemacht. Also, das ging Büchern in einer völlig ungeeigneten Turn- vor allem fehlt, sind die Mittel für den musste schon wissen, was man wollte. so lange gut, bis sie mich eben rausge- halle, wo es zugig war und die Tauben weiteren Ausbau und die langfristige Si- Ich habe dann ab 1958 Schauspiel stu- schmissen haben. Das war 2005. Statt nisteten. Das war unzumutbar, auch für die cherung der Bestände. Und natürlich die diert. Und 1961 war das natürlich erst dessen haben sie mich dann zum Ehren- Mitarbeiter, die ich ja damals schon hatte. Arbeitskräfte. Ich habe immer davon ge- mal vorbei. Dann begann eine Zeit, die bürger gemacht. Die harte Zeit begann Das waren ABMlerinnen, die mir geholfen träumt, dass jeder Ministerpräsident der war unangenehm. Aber das muss man im nach der »Wende«, als die Wessis ein- haben, die Bücher zu katalogisieren. Ich Länder mir eine Arbeitskraft zur Verfü- Zusammenhang begreifen. Ich kam raus geritten sind. Das waren ja auch nicht habe dann einen Hilferuf ins Internet ge- gung stellt. Eine meiner Lagerhallen, in aus der Untersuchungshaft und bekam unbedingt immer die Hellsten, die dann stellt. Daraufhin meldete sich der Bürger- denen ich die Bücher lagere – es kommen zunächst keine Arbeit; ich war ja von in den Osten gekommen sind. Aber viele meister von Stauchitz, Herr Geißler. Und ja ständig welche hinzu – muss ich jetzt Beruf ursprünglich Werkzeugmacher, das Ostler waren auch nicht besser. Teile der so bin ich hier gelandet in diesem ehema- beispielsweise verlassen. Da suche ich ist einer der edelsten Facharbeiterberufe Opposition waren ja einfach nur doof. ligen »Rittergut« und habe mich hier mit jetzt nach Ersatz. Wahrscheinlich werde überhaupt. Aber als solcher konnte ich Und dann die ganzen Opportunisten. Ich meiner Bibliothek festgesetzt. ich wieder einen Aufruf übers Internet nicht mehr arbeiten. Dann wurde mir eine trage immer meinen Lieblingsspruch von Fahren Sie heute noch über Land, starten. Es ist nicht leicht. Gerade bezüg- Arbeit in einem großen Betrieb als Dre- Heinrich Heine bei mir: »Die über Nacht oder schicken die Leute Ihnen Bü- lich einer weitergehenden Förderung ren- her zugeteilt. Der Parteisekretär sagte zu sich umgestellt, zu jedem Staate sich be- cher? ne ich überall gegen Wände. Keiner will mir: Machen wir es doch ganz einfach: kennen, das sind die Praktiker der Welt; Nein, über Land sind wir nur am An- mir helfen. Und ich bin jetzt 82 Jahre alt. Quatschste falsch, kriegste ein paar aufs man kann sie auch Halunken nennen.« fang gefahren. Das ist schon lange vorbei. Daher überlege ich jetzt, eine Genossen- Maul, einverstanden? Ja, einverstanden, sagte ich. So war das. Das war ein Mann, vor dem hatte ich große Achtung – poli- Der Parteisekretär sagte zu mir: Machen wir es doch ganz einfach: tisch, und nicht nur, weil er Hände wie Schraubstöcke hatte. Im Endeffekt, glau- Quatschste falsch, kriegste ein paar aufs Maul, einverstanden? Ja, be ich, war ich in der ganzen Brigade einverstanden, sagte ich. So war das. zusammen mit ihm der einzige Sozialist. Wie sind Sie Sozialist geworden? Das begann 1944. In dem Jahr wurde mein Vater eingezogen. Ich hab ihn bis Zwischendurch waren Sie auch in Das ist längst ein Selbstläufer. Aber das schaft zu gründen. Wen das interessiert, nach Glauchau begleitet. Ich war acht. der UdSSR? war schön. Ich kann mich erinnern, wir soll mir schreiben.