Kultur

PROTESTE Der Aufstand hinter der Maske Sie zelten gegen den Kapitalismus. Zuerst besetzten sie einen Park in New York, dann eroberten sie den weltweiten Diskurs. Die -Bewegung zeigt, wie Revolution im 21. Jahrhundert geht. Von Georg Diez

s ist ein Wort wie ein Virus. Es setzt ersten Occupy-Besetzung in New York sich fest im Kopf, verändert, wie verboten waren, nutzen die Demonstran - Eman sich durchs Leben bewegt, er - ten eine Art Stille-Post-Me thode. öffnet einen neuen Blick auf die Welt. „Mike check“, ruft noch jemand. Und jetzt alle: Oooooccuuuupppyyyy! „Mike check“, ruft David Graeber, 50, David Graeber lächelt. Er ist klitsch - mit der Menge. nass, das Wasser tropft aus seinen Haa - „Unsere Häuser werden angegriffen“, ren und läuft ihm über die Stirn. Er hat ruft der Erste. eine graue Trekkingjacke an, über der „Unsere Häuser werden angegriffen“, Schulter hängt eine Tasche. Er schaut auf ruft der Zweite. die Menge, 500 sind es wohl, er schaut „Unsere Häuser werden angegriffen“, auf die Schilder, „Housing is a Human ruft David Graeber mit der Menge. Right“ steht da, schaut in diesen vom „Was machen wir“, ruft der Erste. Regen weggewischten Brooklyner Tag „Was machen wir“, ruft der Zweite. hinein und sagt: „This is nice. This is so „Was machen wir“, ruft David Graeber nice.“ mit der Menge. David Graeber ist als Theoretiker ein „Stand up, fight back“, ruft der Erste. Star. Er ist hier, um Häuser zu besetzen. „Stand up, fight back“, ruft der Zweite. „Wir haben“, sagt er, „auf abstrakte Art „Stand up, fight back“, ruft David Grae - klargemacht, was wir wollen. Jetzt müs - ber mit der Menge. sen wir uns um die konkreten Probleme Es ist diese Gemeinschaft, die sie su - der Menschen kümmern.“ Occupy Wall chen, es sind Aktionen wie „Occupy Our Street goes Main Street. Homes“, die zeigen, wie die Occupy-Be - Diese Bewegung hat Geschichte ge - wegung funktioniert und wohin sie gehen macht, jetzt sucht sie eine Gegenwart, es könnte. Für manche ist es ein Versuch, geschieht in New York, überall in Ameri - den Kapitalismus zu verändern. Für man - ka und in Teilen der Welt. Es entscheidet che ist es eine Vision, wie das Leben völ - sich in diesen kalten Monaten bis zum lig anders sein könnte. Frühling, ob Occupy eine Zukunft hat. Im Revolutionsjahr 2011 stand Occupy Auf den Stufen vor dem schmalen Rei - für die hellere, heiterere Seite des Auf - henhaus im armen, schwarzen Teil von stands gegen die Verhältnisse – und das Brooklyn steht ein Vater und strahlt, steht geheime Hacker-Kollektiv eine Mutter und strahlt, steht der Sohn, für die dunklere, aggressivere Seite. Die er ist neun oder zehn, und weiß nicht einen sind viele, die anderen eine Elite, recht, ob er lachen oder weinen soll. Die die einen suchen die Öffentlichkeit, die Menge ist gekommen, damit die Familie anderen arbeiten im Verborgenen, die ei - wieder ein Zuhause hat. Sie wollen ihr nen bauen Zelte, die anderen attackieren das Haus zurückgeben, das sich die Bank Großrechner. Sie sind wie Kreise, die sich genommen hat, weil die Familie ihren überlappen, und sie teilen ein Symbol: Kredit nicht bezahlen konnte. die Maske des Guy Fawkes. Neben der Familie steht der große, wür - Die Hacker von Anonymous wählten devolle Stadtrat und strahlt. Die 40, 50 sich diese Maske, die auch im Zuccotti- Polizisten sind entspannt und schauen zu. Park und überall später zu sehen war: ein „Mike check“, ruft jemand. Mikrofon - widersprüchliches Symbol, das auf einen probe heißt das. Es ist das Zeichen, dass katholischen Verschwörer zurückgeht, der es jetzt losgeht. Weil Lautsprecher bei der 1605 das englische Parlament sprengen Guy-Fawkes-Protestmaske: Aus dem Lächeln einer

112 ! "  52/2011 wollte. 1982 dann prägte es der Comic- Schreiber Alan Moore für seinen charis - matischen Widerständler, der gegen ein zukünftiges faschistisches Regime bombt, mit dem das Thatcher-England gemeint war. 2006 schließlich wurde die Maske durch den Film „V wie Vendetta“ weltweit bekannt – und heute verkauft sich das Re - bellionssymbol millionenfach und bringt dem Weltkonzern Time Warner, der die Rechte besitzt, gutes Geld. Occupy wollte die Menschen in die La - ge versetzen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Occupy wollte ihnen Kraft geben. „Occupy Our Homes“ markierte An - fang Dezember eine neue Phase dieser Bewegung, die so schnell so bekannt wur - de und doch noch ein Rätsel ist. Immer noch überlagern die Bilder des Zuccotti- Parks den Blick auf die Realität dieser Be - wegung, immer noch ist unklar, ob es eine Laune der Geschichte war oder doch ein neues 1968, immer noch liegt der Schatten eines möglichen Scheiterns über Occupy. Ja, aber gibt es die denn noch, nach - dem der Zuccotti-Park in New York im November geräumt wurde?, fragen die, die gewohnt sind, dass nur die Dinge exis - tieren, über die die Medien berichten. Wir sind hier, sagt die Menge im Regen von Brooklyn, wir gehen nicht einfach wieder weg, wir sind hier, um das Leben und das Land zu verändern. Da ist die Rhetorik, klar und moralisch und entschieden, verstärkt durch das „People’s mike“, das Menschenmikrofon – die Wirkung ist hypnotisch und stimulie - rend, erzeugt einen Sound und einen Sog. „This is what democracy looks like“, ruft der Erste. „This is what democracy looks like“, ruft der Zweite. „This is what democracy looks like“, ruft David Graeber mit der Menge, es klingt jetzt fast, als würden sie singen. Da ist die Idee, die Demokratie neu zu bauen, gerecht und von unten und ohne Hierarchien, horizontal, so nennen sie das – das ist manchmal anstrengend und manchmal erhebend, das kann frustrie - rend sein, aber auch sehr schön. Da ist das Happening, diese Mischung aus Demonstration und Party, aus Politik und Spaß, diese aufgekratzte Heiterkeit, die auf die künstlerischen und politischen Ideen der Situationisten zurückgeht, die in den sechziger Jahren die Freiheit auf der Straße suchten – es gibt an diesem Nachmittag in Brooklyn warmes Essen, Makkaroni und Käse und Brokkoli, wie magisch hergezaubert, es gibt auf einmal eine Blaskapelle, es gibt gute Laune. So stehen sie da und schauen und essen H C

A und tanzen und reden. Der Architekt P U A

R Evan Wagner, der obdachlos ist und noch

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M sie ben Dollar in der Tasche hat. Der O H

T Schrift steller Keith Gessen, der neulich an Comic-Figur wurde das Symbol eines weltweiten Widerstands der Wall Street festgenommen wurde. Die

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Künstlerin Marisa Holmes, die von ihrer Der Slogan von den „99 Prozent“ hat die Familie eine Art Aktivisten-Gen mitbe - Frage nach der Gerechtigkeit klarer ge - kommen hat. Der Anthropologe David fasst als 100 Gewerkschaftskongresse. Graeber, der zwei Jahre lang in Madagas - Eine „mind bomb“, so nennt Kalle kar gelebt hat und dessen Buch „Debt. Lasn den Effekt dieses Slogans – es ist The First 5000 Years“ auch eine historische die Art von Anarchismus, mit der er sich und theoretische Begründung für das ist, auskennt. Lasn ist so etwas wie der Pate was Occupy will. von Occupy, er ist der Erfinder dieses Rastas sind dabei, Milchbärte und ei ne Wortes, dieses „claims“, so hätte man das hübsche Chinesin, mehr Weiße als Schwar - in der Werbeindustrie gesagt, für die Lasn ze, mehr Junge als Alte, eine Mischung früher gearbeitet hat und die er heute von Menschen, die beim Wort Moral nicht hasst. Wer verstehen gleich mit den Mundwinkeln zucken. Das will, der muss zu ihm nach Vancouver ist nicht die alte amerikanische Linke, die fahren, in ein Wohnviertel nahe dem Was - sich in Ideologie und Grabenkämpfen ser, eine Holztreppe hinabsteigen ins Kel - erschöpfte, das ist eine neue globalisierte lerbüro der Zeitschrift „Adbusters“ und Linke, die gar nicht unbedingt links ist, diesem Donnergott ins Gesicht schauen, weil das eine Einteilung ist aus einer Zeit, der irgendwann ruft: „I am fight!“ als die Gesellschaft noch in der Mitte ge - Bei diesem Besuch hat er von Estland spalten war. Und das ist endgültig vorbei. ge sprochen, wo er geboren wurde, von Lü - „You are the 99 percent“, ruft der Erste, beck, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg und dann rufen es alle, „you are the 99 einige Jahre in einem Flüchtlingslager leb - percent“, rufen sie, als sie durch Brooklyn te, von Australien, wo er dann aufwuchs. marschieren, sie rufen es den Schulkin - Er hat von Japan erzählt, wo er sich in ei- dern zu, die aus den Fenstern der Thomas ne Frau verliebte und viel Geld in der Wer - Jefferson Highschool winken. bung verdiente, von 1968 in San Francisco David Graeber hat den Slogan geprägt, und seinen Reisen als Dokumentarfilmer „We are the 99 percent!“, der alles auf den und davon, wie er nach Vancouver kam, Punkt bringt, was die Occupy-Bewegung wo Greenpeace gegründet wurde, und sich kritisiert: Ungleichheit, Ungerechtigkeit, entschied, „dass das der beste Ort ist, um von hier aus die Welt zu verändern“. Lasn hat zornige kleine Augen und wi - Occupy ist keine radikale derborstige Augenbrauen, er ist 69, sagt Bewegung, denn sie sagt, häufig „fuck“ und schwingt oft die Fäuste durch die Luft, als wollte er einen Kapi - was viele denken: Dieser talisten erschlagen. Er ist immer noch so aufgeregt, weil er es nicht fassen kann, Kapitalismus ist ungerecht. dass es tatsächlich passiert ist: „Als ich die Bilder vom Zuccotti-Park sah, dachte Armut, den Abstieg der Mittelschicht, die ich: Hallelujah, here we go again!“ Schulden der Studenten, die Schulden der Lasn ist kein Denker, er ist ein Quirl. Armen, den Reichtum der Reichen, den Er ist der Motor, der Occupy in Gang Einfluss der Wirtschaft auf die Politik, auf brachte. Er hatte die Idee, dass sich am das Denken, das Leben, den Alltag. Weil 17. September, zufällig der Geburtstag das keine radikalen Gedanken sind, ist seiner Mutter, möglichst viele Menschen Occupy auch keine radikale Bewegung, in New York versammeln sollten, um den sondern eine Revolte der vielen. symbolischen Ort des Kapitalismus, die Die Frage sei doch, sagt Graeber, „ob Wall Street, zu besetzen. Er schrieb mit wir eine wirklich demokratische Kultur dem 29-jährigen „Adbusters“-Kollegen schaffen können? Ob wir unsere Vorstel - Micah White eine E-Mail, die er am 13. lung davon verändern können, wie Poli - Juli an einen Verteiler von 90 000 Leuten tik auszusehen hat? Diese Männer mitt - schickte: Einen „Tahrir-Moment“ in New leren Alters in Anzügen, die sich in Den - York wolle er, schrieb er, man solle bitte ver oder Minneapolis hinsetzen und sich ein Zelt mitbringen. Sein Ziel ist ein von Hohepriesterinnen des Anarchismus „sanfter Regimewechsel in Amerika“. erklären lassen, wie der Konsens-Prozess Die Zeitschrift „Adbusters“, die Lasn funktioniert – das ist für mich das spekta - 1989 gründete, war immer ein Werkzeug kulärste Bild der Occupy-Bewegung“. für diesen Kampf: gegen die Macht der Und tatsächlich gibt es auf diesen re- Konzerne, gegen die Macht der Marken - gel mäßigen Treffen, die sie Generalver - welt, gegen den Kapitalismus in den Köp - sammlung nennen, eine Ernsthaftigkeit, fen. „Culture Jamming“, so nannte Lasn die ansteckt. Es gibt eine Energie, die be - seine Strategie, was nichts anderes bedeu - geistert. Und es gibt schon ein Ergebnis, tet als: den Kapitalismus mit seinen eige - das sich in den Köpfen der Menschen fest - nen Mitteln schlagen. „Es geht um Bilder, gesetzt hat, das von New York bis zu den um Slogans, um ,mind bombs‘“, sagt Lasn. Abendessen in Berlin-Mitte oder Ham - „Denn Fakten“, und da schaut er, als hätte burg-Eppendorf reicht und ein weltweites er in einen Nike-Schuh gebissen, „Fakten Gespräch darüber in Gang gesetzt hat, sind unwichtig. Wichtig sind der Stil, der wie wir leben und wie wir leben wollen: Ton, das Ambiente. Zuccotti-Park hatte „Adbusters“ -Man n Lasn , Protestiere r Graeber,

114 ! "  52/2011 Stil. Zuccotti-Park war sexy. Das war nicht mehr die alte, wimmernde Linke. Auf ein - mal war es cool, links zu sein.“ Für Lasn ist Occupy nicht weniger als eine Metamorphose der Menschheit. „Es geht darum, dass wir aufhören, mit toter Zeit zu leben. Zeit, die wir nicht selbst bestimmen, Zeit, die wir mit Jobs ver - schwenden, die uns nicht interessieren, Zeit, die von Wünschen verpestet ist, die nicht unsere sind. Es geht darum, dass wir überhaup t mal anfangen zu leben. Es geht um das wirkliche, echte, erbar - mungslose Leben“, ruft er und jagt seine Hände wie wilde Pferde durch die Luft. Lasn verschickte den August über seine „taktischen Memoranden“, während sich in New York regelmäßig Aktivisten wie Marisa Holmes trafen, um die Wall-Street- Besetzung zu planen. Die Proteste in Nordafrika, Madrid, Athen, die Budget - krise in den USA, der Schuldendruck auf die Mittelschicht, die Radikalisierung der politischen Lager, die Tea Party, die Schwäche Barack Obamas. Alles kam in diesem Sommer zusammen. Es war, so nennt Lasn das, „der perfekte Sturm“. Lasn reiste nie nach New York, nicht während der Vorbereitungen, nicht wäh - rend der Besetzung des Zuccotti-Parks. „Das war doch genau die Chance“, sagt

L er über die immer noch entschieden füh - E G E I

P rungslose, symbolfigurfreie Bewegung. S

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T bestimmten Punkt planen. Dann musst C E L

E du loslassen und sehen, was passiert.“ S

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U Kalle Lasn baute die „mind bomb“, und V O N Leute wie David Graeber, der Professor, /

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T und Marisa Holmes, die Künstlerin, sorg - Y A H ten dafür, dass sie richtig explodierte. N O M

I Marisa Holmes sitzt im Atrium der S Deutschen Bank, Wall Street 60 ist die Adresse, der Raum ist öffentlich, das ist eine Bestimmung in New York, so kam es, dass die Besetzer der Wall Street ihre Versammlungen in diesem Bankgebäude abhalten konnten, das aussieht wie eine Mischung aus dem Flughafen von Dubai, einer Spielzeugkathedrale und einem Er - lebnisbad in Bad Tölz. Eine vietnamesi - sche Blumenhändlerin sortiert ihre Ware, zwei Schwarze spielen Schach, ein Mann und eine Frau mit zerrissenen Jeans und einem Rucksack, auf dem „Occupy De - troit“ steht, schlafen am Nebentisch, den Kopf auf die Platte gelegt, Marisa Holmes erledigt Mails an ihrem Apple-Notebook. Sie ist 25. „I am in this for life“, sagt sie, es ist der Kampf ihres Lebens. Schon der Vater, die Mutter, der Groß - vater waren Aktivisten, sie selbst hat für ihr Alter nicht nur viel gelesen, sondern L L E E G G E E auch viel protestiert. In Detroit hat sie I I P P S S

R R gerade ein Haus gekauft von dem Geld, E E D D

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das ihr die Versicherung bezahlte, weil S S I I M M sie einen Radunfall hatte. Sie hat es ei - O O O O L L

nem Künstlerkollektiv geschenkt. Sie hat N N H H O O J J glatte, dunkle Haare, ein blasses Gesicht Aktivis t Wagner: „Das wirkliche, echte, erbarmungslose Leben“ und schaut etwas müde aus. Eigentlich

! "  52/2011 115 L E G E I P S

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: S O T O F Aktivisten Gessen, Holmes: „Es fiel aus dem Himmel, genau vor unsere Füße“ will sie nicht mit den „Mainstream-Me - sagt Gessen, „unser Leben lang auf so et - Es gibt Essen umsonst, Tee kostet zwei dien“ reden, das ist ein Misstrauen, das was gewartet.“ Dollar. Zu Beginn wird geschwiegen und sie mit vielen von Occupy teilt. Dieser Idealismus trägt die Bewegung geatmet, oooommmmm, dann beschwert „Die Menschen sind gerade dabei, sich einstweilen, über alle Zweifel und Rück - sich eine Frau mit kurzen Haaren, dass das zurückzuholen, was ihnen gehört“, schläge hinweg. Weil sich hier das Bild sie sich unterdrückt gefühlt habe. Das sagt sie. „Ihre Häuser, ihr Geld, das große, einer sozialen, politischen, letztlich auch wird dann erst einmal ausdiskutiert. gemeinsame Gespräch, das von Medien kulturellen Bewegung formte, die eine Das klingt nun nach Klischee-’68, und gelenkt wird, die eigene Interessen ver - umfassende Kraft ausstrahlt. doch ist es anders. Vielleicht weil diese folgen.“ Sie klappt den Laptop zu. Viel „Zuccotti-Park war wie ein soziales Gruppe so gemischt ist. Da ist etwa Shen Zeit hat sie nicht, sie muss noch die Ver - Labor“, sagt der Architekt Evan Wagner, Tong, Internet-Millionär und einer der An - sammlung am Abend vorbereiten. der viele Nächte dort verbracht hat, was führer der Studentenproteste vom Platz „Die Menschen gehen nicht wieder ihm den Rang eines Veteranen gibt. „Je - des Himmlischen Friedens in Peking 1989. weg, wenn sie gemerkt haben, was ihr der hat alles mit dem anderen geteilt. Je - Da ist das gebildete Rentnerehepaar im Platz in der Welt ist“, sagt sie. Darum der konnte jeden finden. Aber am En de V-Ausschnitt-Pullover, das sich früh ent - ging es im Zuccotti-Park, um den Platz war es Wahnsinn dort. Am Ende wollte schuldigt, weil es noch zurückmuss nach in der Welt, um die Sichtbarkeit jener, ich nur noch weg.“ Connecticut, viereinhalb Stunden sind die sich so lange im Schatten fühlten. Michael Bloomberg, der Bürgermeister das, einfache Fahrt, aber die beiden wol - Was genau damals im Zuccotti-Park von New York, hat der Bewegung in ge - len ja morgen wiederkommen. Da sind passiert ist, in diesen Wochen, in denen wisser Weise geholfen, als er den Zuccot - die schick angezogenen jungen Frauen, Popstars da waren und Politiker, in denen ti-Park am 15. November um ein Uhr früh da ist die transsexuelle Punkerin, der or - ein Sturm über sie hereinbrach und sie ziemlich überraschend und unnötig ge - thodoxe Rabbi, der Polizist im Ruhestand, sich aus Anarchismus und amerikani - da ist die etwas verlorene Schwarze mit schem Pragmatismus ihre eigene Form den roten Haaren, da ist ein Mann, den von Demokratie bauten, Wochen, in de - 2012 wird für Amerika ein man als Häftling besetzen könnte, so groß nen sie ständig live in die Welt sendeten, entscheidendes Jahr. Ein und gefährlich sieht er aus – und tatsäch - was sich gerade tat, und sie ihren Idealis - lich ruft er irgendwann, als ihm etwas mus ungehemmt ausleben konnten, all Jahr der Wahlen für Obama, nicht passt: „Komm, komm, wir gehen das summt ihnen noch im Kopf herum, raus, da machen wir es aus wie Männer.“ als Frage und als Fata Morgana. ein Jahr der Wut für Occupy. „Mike check“, ruft da einer. „Das war rational nicht zu erklären“, „Mike check“, ruft ein anderer. sagt Holmes. „Es fiel aus dem Himmel, walttätig räumen ließ, meint Evan Wag - „Mike check“, rufen alle. genau vor unsere Füße. Ich weiß wirklich ner. Jetzt haben sie ein Büro am Broad - Die meisten heben ihre Hände in die nicht, wie das alles geschehen konnte.“ way, das ihnen ein anonymer Spender Höhe und wackeln mit ihren Fingern. Das Sie ist ein Teil jener Generation, die zur Verfügung gestellt hat, sie treffen sich heißt Zustimmung. Wenn sie die Arme die Bush-Jahre wie einen Fluch, wie eine abends zu Arbeitsgruppen im Atrium der vor der Brust überkreuzen, dann heißt Schmach durchlebte. Das Internet hat sie Deutschen Bank oder in einem Studio in das Ablehnung. Wenn sie die Hände zu anders denken und kommunizieren ge - Chinatown, das ihnen der Besitzer für einem Dreieck über den Kopf heben, lehrt. Als Obama gewählt wurde, waren eine symbolische Miete überlässt. Hier dann heißt das, dass sie einen Vorschlag die Hoffnungen so hoch, dass die Enttäu - arbeiten sie an den nächsten Aktionen, machen wollen zum weiteren Vorgehen. schung rasch umso tiefer war. vor allem aber an der direkten Demokra - Sie haben diese Zeichen, damit alles neu „Wir haben alle nicht mehr damit ge - tie und am herrschaftsfreien Diskurs. ist, damit alle gleich sind. Ab und zu gibt rechnet, dass so etwas passieren würde“, Das wirkt manchmal lächerlich, es ist es auch Zeichen, die niemand kennt. sagt etwa Keith Gessen, der 36 ist und aber genau das, was sie wollen: ein Ge - Dann werden die Regeln des Gesprächs mit seinen Kollegen von der Zeitschrift spräch herstellen, bei dem jeder Teil sein vorgelesen, Zuhören, Respekt, solche Sa - „n+1“ die „Occupy!“-Gazette herausbrach - kann. An diesem Abend sind das etwa chen. „Wie fühlt ihr euch damit?“, fragt te, die jetzt auch teilweise als Buch auf 250 Leute, die sich auf dem Boden und eine Frau, die das Treffen leitet, ohne es Deutsch erschienen ist*. „Wir haben“, den wenigen Stühl en drängen. Sie haben leiten zu wollen, weil es ja keine Leiter Schilder, auf denen steht, welche Arbeits - geben darf. Deshalb heißt sie „facilitator“, „Occupy! Die ersten Wochen in New York“. Suhrkamp gruppe sie vertreten, „Direct Action“, also Ermöglicher. Die meisten heben die Verlag, Berlin; 96 Seiten; 5,99 Euro. „Housing“, „Organization“, „Wellness“ . Hände und wackeln mit den Fingern.

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So geht das eine Weile, friedlich und Im Auftrag des SPIEGEL ermittelt vom Fachmagazin „buchreport“; nähere konzentriert und simultan in Gebärden - Jahresbestseller 2011 Informationen und Auswahl kriterien finden Sie sprache übersetzt. Eine Frau berichtet online unter: www.spiegel.de/bestseller von einem Teach-in, ein Mann erzählt, Belletristik Sachbücher dass eine Auktion von Sotheby’s gestört werden soll, weil die Leute entlassen ha - C Jussi Adler-Olsen C Walter Isaacson Erlösung Steve Jobs ben und teure Kunst verkaufen, ein an - dtv; 14,90 Euro C. Bertelsmann; 24,99 Euro derer Mann erklärt die Blockade der Hä - fen an der Westküste durch Occupy. Evan Wagner ist da, er hat sich auf dem Boden ausgestreckt und die Augen ge - Der dritte Fall des däni - Genie mit Schwächen: schlossen und lächelt unrasiert vor sich schen Kommissars Die autorisierte Biografie hin. Auch Marisa Holmes ist da, sie sitzt Mørck – er suchte einen des kürzlich verstor- Kindermörder – schlug benen „iGod“ stürmte im hinteren Teil des Raums, bei den ande - die Konkurrenz um Län gen an die Spitze ren „Ermöglichern“. Denn natürlich gibt es eine Elite in diesem elitefreien Raum. D Christopher Paolini D Dieter Nuhr Und natürlich provoziert das den Konflikt, Eragon – Das Erbe der Macht Der ultimative Ratgeber für alles an dem das Treffen an diesem Abend cbj; 24,99 Euro Bastei Lübbe; 12,99 Euro schließlich fast scheitert. E Charlotte Roche E Heribert Schwan Die Frau an Die schwarze Frau mit den roten Haa - Schoßgebete seiner Seite – Leben und Leiden ren steht auf und erklärt ihre Petition, die Piper; 16,99 Euro der Hannelore Kohl Heyne; 19,99 Euro die „Ermöglicher“ entmachten soll. Ein F Jussi Adler-Olsen F Walter Kohl Leben oder gelebt werden anderer Schwarzer steht auf und ruft: Schändung dtv; 14,90 Euro Integral; 18,99 Euro „Wer hat euch denn in eure Position ge - G Gaby Köster m it Till Hoheneder bracht? Und wo wart ihr, als ich im Park G Simon Beckett Verwesung Ein Schnupfen hätte auch gereicht geschlafen habe? Wo wart ihr, als ich mir Wunderlich; 22,95 Euro Scherz; 18,95 Euro meine Lungenentzündung geholt habe?“ H Dora Heldt H Joachim Fuchsberger Jetzt geht es ziemlich laut und ziemlich Bei Hitze ist es wenigstens Altwerden ist nichts für Feiglinge genau entlang der Grenze der Hautfarbe nicht kalt dtv; 14,90 Euro Gütersloher Verlagshaus; 19,99 Euro hin und her. „Mike check“, ruft einer. I Eugen Ruge I Richard David Precht „G. A.“, ruft ein anderer, „G. A.“, rufen In Zeiten des abnehmenden Lichts Wer bin ich – und wenn ja, viele, General Assembly, meinen sie, sie Rowohlt; 19,95 Euro wie viele? G oldmann; 14,95 Euro suchen nach den Wurzeln der Bewegung. J Jonas Jonasson J Margot Käßmann „Gehen wir zum Park und bringen die Der Hundertjährige, der aus dem Sehnsucht nach Leben a deo; 17,99 Euro Sache da zu Ende“, ruft der große schwar - Fenster stieg und verschwand K Philipp Lahm m it Christian Seiler ze Mann, der vorher leichte Boxbewe - Carl’s Books; 14,99 Euro Der feine Unterschied gungen gemacht hat. K Horst Evers Kunstmann; 19,90 Euro Und so stehen sie dann am Ende dieses Für Eile fehlt mir die Zeit CB Thilo Sarrazin Rowohlt Berlin; 14,95 Euro Deutschland schafft sich ab verregneten Abends wieder im Zuccotti- DVA; 22,99 Euro Park, wo alles begann. Die Bäume sind CB Volker Klüpfel /Michael Kobr Schutzpatron Piper; 19,95 Euro CC Martin Wehrle weihnachtlich beleuchtet, es sieht aus wie Ich arbeite in einem Irrenhaus ein Aquarium, aus dem jemand das Was - CC Arno Geiger Econ; 14,99 Euro ser gelassen hat. Der Park ist von zwei Der alte König in seinem Exil Hanser; 17,90 Euro CD Helmut Schmidt /Peer Steinbrück Rei hen Sicherheitszäunen umgeben, die Zug um Zug CD Rita Falk Hoffmann und Campe; 24,99 Euro innere, wacklige, alte Reihe gehört der Winterkartoffelknödel Stadt New York, die äußere, stabilere, dtv; 12,90 Euro CE Bud Spencer m it Lorenzo De Luca und David De Filippi Mein Leben, neuere Reihe gehört einer privaten Si - CE Tommy Jaud cherheitsfirma. 50 Polizisten stehen um meine Filme – Die Autobiografie Hummeldumm Schwarzkopf & Schwarzkopf; 19,95 Euro den Park herum und schauen, 50 Aktivis - Scherz; 13,95 Euro ten stehen im Park und reden. Die Ban - CF Axel Hacke /Giovanni di Lorenzo CF Dora Heldt Wofür stehst du? kentürme ragen riesig neben ihnen auf. Kein Wort zu Papa Kiepenheuer & Witsch; 18,95 Euro dtv; 12,90 Euro McDonald’s hat noch geöffnet. CG Andreas Kieling „2012 wird das Jahr von Occupy“, hat CG Umberto Eco Ein deutscher Wandersommer neulich der Wirtschaftswissenschaftler Der Friedhof in Prag Malik; 22,95 Euro Jeffrey Sachs gesagt, und es spricht vieles Hanser; 26 Euro CH Margot Käßmann dafür. Es ist für Obama das Jahr der Wah - CH S. J. Watson In der Mitte des Lebens len, es ist für Occupy ein Jahr der Wut. Ich. darf. nicht. schlafen. Herder; 16,95 Euro Also planen sie Occupy Charlotte, wo die Scherz; 14,95 Euro CI Karl-Theodor zu Guttenberg / Demokraten ihren Nominierungspartei - CI Carlos Ruiz Zafón Giovanni di Lorenzo tag abhalten werden, sie planen Occupy Marina S. Fischer; 19,95 Euro Vorerst gescheitert H erder; 19,99 Euro Tampa, wo sich die Republikaner treffen. CJ Suzanne Collins CJ Loriot Die 99 Prozent gehen nicht so einfach Die Tribute von Panem – Bitte sagen Sie jetzt nichts ... – Flammender Zorn Oetinger; 18,95 Euro Gespräche Diogenes; 21,90 Euro wieder weg. Evan Wagner ist mit zum Zuccotti-Park CK Ferdinand von Schirach CK Richard David Precht Der Fall Collini Warum gibt es alles und nicht gekommen. In seinem Rucksack trägt er Piper; 16,99 Euro nichts? G oldmann; 16,99 Euro alles, was er hat, in seinem Gesicht trägt DB Susan Elizabeth Phillips DB Helmut Schmidt er sein Lächeln. Der schönste Fehler meines Religion in der Verantwortung Es ist kurz nach Mitternacht, und sie Lebens Blanvalet; 14,99 Euro Propyläen; 19,99 Euro haben erst angefangen zu diskutieren.

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