Für die Holocaust-Überlebende Schoschana Rabinovici wurde zur neuen Heimat. Dabei fühlte sie sich anfangs fremd, ein Opfer der Nazis im Land der Helden. „Schau gut hin, vergiss das nicht“

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Von ANKE DÜRR oft das Verb im Satz vor. Jüdisch sein ten 1905 gegründet. Das Geld für die hat für Rabinovici nichts zu tun mit Re - Schule und den Lebensunterhalt ver - el Aviv, Flughafen Ben Gu - ligion. „Ein Jude kann glauben, was er dient die Mutter bei Schoschanas Onkel rion, Passkontrolle vor dem will, oder auch ohne Bekenntnis sein. Wolodja. Er ist bereits seit 1948 in Israel, Rückflug. Die junge Grenz - Ich bin eine Jüdin ohne Bekenntnis.“ hat sich eine Wäschemangel gekauft und beamtin stellt ihre Fragen Auch ihr Mann David ist Jude. Er fährt in ganz mit seinem Fahr - Tauf Englisch, routiniert, stammt aus einer Mittelstandsfamilie in rad die Wäsche aus. sachlich: Was man in Tel Aviv gemacht Moldau und wanderte 1944 als 17-Jähri - habe. „Ich bin Journalistin, ich habe ein ger ganz allein von Rumänien nach Pa - Schoschana, die nach dem Krieg in Interview mit einer Holocaust-Über - lästina ein; vier Jahre später kämpfte er Polen sehr schnell die verlorenen lebenden geführt.“ Woher man die Dame für Israel im Unabhängigkeitskrieg. Die Schuljahre aufgeholt hat, aber kein Heb - kenne. „Ich habe sie im Theater in Wien beiden sprechen Hebräisch miteinander. räisch kann und auch die Tora nicht gesehen, sie hat dort von ihrem Über - Wenn sie über Politik reden, werden ihre kennt, fühlt sich in Herzlia völlig fehl leben erzählt, zusammen mit anderen Stimmen laut und aufgeregt. Sie sind ve - am Platz. „Es war eine Elite-Schule Nazi-Opfern.“ Ob ich Hebräisch könne. hemente Verfechter einer Zwei-Staaten- mit verwöhnten Kindern. Kinder, die „Nein.“ Wie man sich dann unterhalten Lösung, „seit 60 Jahren sind wir für die schon länger hier gelebt hatten oder habe. „Auf Deutsch.“ Ein kurzer kriti - Teilung“, für einen scher Blick: Wieso die Dame deutsch gleichberechtigten spreche? „Sie hat es im KZ gelernt.“ Staat Palästina ne - Beim Abschied eine Stunde zuvor hat - ben Israel. Und sie te die Dame, um die es geht, gesagt: „Hof - sind empört über fentlich dauert es nicht so lange für Sie das, was ihre Regie - bei der Kontrolle am Flughafen.“ Scho - rung in den besetz - schana Rabinovici, 82, stand an der Tür ten Gebieten tut. ihrer großzügigen, elegant sandfarben Aber sobald ein Au - eingerichteten Wohnung im 21. Stock ei - ßenstehender die nes Hochhauses im Zentrum von Tel Politik Israels kriti - Aviv mit Panoramablick aufs Meer, siert, verteidigen wünschte eine gute Reise und fügte hin - sie ihr Land leiden - zu: „Ich bin froh, dass so gründlich kon - schaftlich. trolliert wird. Es ist nötig, leider.“ Drei Das Land hat es Stockwerke über ihr, auf dem Dach des Schoschana Rabi - Hochhauses, waren im Sommer Solda - novici nicht leicht ten stationiert. Sie sollten die Flugrich - gemacht am An - tung der aus Gaza abgeschossenen Ra - fang. Sie kam 1950 keten bestimmen. als 17-Jährige mit ihrer Mutter von Israel ist die Heimat von Schoscha - Polen über Italien na Rabinovici, seit mehr als 60 Jahren. mit dem Schiff Früher war es , Litauen, wo Ra - nach Haifa. Seit - binovici, geboren im November 1932 in dem hat sie ihren , als Tochter einer großbürgerli - hebräischen Na - chen jüdischen Familie aufwuchs. Die men: Schoschana. Stadt gehörte damals zu Polen und hieß Die Eltern hatten Wilna, Ende Juni 1941 wurde sie von den sie Slate oder Lea Deutschen besetzt. Schoschanas Vater nennen wollen. wurde sofort verhaftet. Das Mädchen Aber in dem Pari - und seine Mutter wurden ins Wilnaer ser Krankenhaus, Getto gesperrt. Zwei Jahre überlebten in dem sie geboren sie dort. Dann 17 Monate in den Kon - wurde, weil ihre Rabinovici mit ihren Eltern in Wilna, um 1937 zentrationslagern Kaiserwald und Stutt - Eltern damals in F I A

L hof. Und schließlich den mehr als hun - Paris Medizin studierten, fand die Kran - hier geboren waren, deren Eltern Ärzte,

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C dert Kilometer langen Todesmarsch kenschwester auf der Geburtsstation die Lehrer oder Geschäftsleute waren.“ Al - U A

R nach Tauentzien. Sie waren, zusammen von der Mutter genannten Vornamen les Sieger. N E B nicht in ihrem Verzeichnis. Sie machte U mit Schoschanas Onkel Wolodja, die Niemand will ihre Geschichte hören, T S

O Einzigen aus ihrer gesamten Großfami - daraus Suzanne-Lucienne. Suzanne-Lu - sagt sie, die Geschichte der Opfer. „Es N U

R lie, die das KZ überlebten. cienne Weksler, so steht es in der Ge - war die Zeit nach dem Unabhängigkeits - B

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S Schoschana Rabinovici, die Jüdin und burtsurkunde. Zu Hause war sie Slatele, krieg, eine Zeit für Helden. Es war keine I O R Israelin, sagt: „Ich bin jüdisch, so wie Susinka oder Suzie. Zeit für uns. Alle Leute waren Helden, N Y L

E Sie deutsch sind.“ Ihr kehliger Akzent In Tel Aviv schickt die Mutter Scho - nur wir waren die Schafe, die sich zur V E

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S ist vom Polnischen und Jiddischen ge - schana auf das traditionsreiche und vor - Schlachtbank hatten führen lassen.“ O T O

F prägt, und wie im Jiddischen zieht sie nehme Gymnasium Herzlia, von Zionis - Aber war nicht auch das Überleben ein

SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2015 31 NEUANFANG IM HEILIGEN LAND

Schlafpritschen im ehemaligen KZ Stutthof bei Danzig

Akt des Widerstandes, eine Heldentat? Erst 1988, da ist die Mutter schon 14 Hartmann und Schoschanas Sohn Do - Wie ihre Mutter sie durch alle Kontrol - Jahre tot, fährt Schoschana Rabinovici ron Rabinovici, Schriftsteller und Histo - len geschmuggelt, sie als Erwachsene zum ersten Mal wieder nach Vilnius und riker, sechs Shoa-Überlebende auf die ausgegeben hat, damit sie eine Chance erkennt an vielen Stellen ihr altes Wilna Bühne geholt haben. hat, eineinhalb Jahre lang? „Nein, das wieder. Sie recherchiert weiter, nach Zwei Szenen aus dem Leben von hat man nicht verstanden.“ und nach erinnert sie sich an immer Schoschana Rabinovici, die im Theater Auch zu Hause wird nicht über die mehr Details. Schließlich schreibt sie geschildert werden, brennen sich beson - Zeit in den Lagern gesprochen. Nur On - ihre Geschichte auf, auf Hebräisch, und ders ins Gedächtnis. Da ist die Geschich - kel Wolodja erwähnt einmal im Jahr, an löst damit ein Versprechen ein, das die te von der „Maline“, einem Versteck un - einem bestimmten Tag im Frühjahr, seine Frauen sich in den Lagern gegenseitig ter einer Gemeinschaftstoilette im Getto. Tochter, die nach der Liquidierung des gaben: Wer von uns überlebt, muss er - Wie sie gebaut wird, unter größtmögli - Gettos mit ihrer Mutter ins Gas geschickt zählen, was gewesen ist. „Schau gut hin, cher Geheimhaltung. Und dann doch wurde. „Heute wäre sie viel zu viele Menschen 13 Jahre alt geworden.“ davorstehen, als es ernst Und im Jahr darauf: Ihr Versteck liegt unter einer wird und das Getto ge - „Heute wäre sie 14 ge- räumt werden soll. Wie worden.“ Aber selbst On - Toilette, es ist stockdunkel. sie durch ein stillgeleg - kel Wolodja schaut lieber tes Abwasserrohr hinun - nach vorn, noch in Polen hat er eine neue vergiss das nicht“, habe man ihr immer tersteigen. Wie sie da unten zusammen - Familie gegründet. wieder gesagt. gepfercht hocken, 180 Menschen, „wie Als sie von der Roten Armee befreit Ihr Buch kommt 1991 heraus, 1994 er - in einem Massengrab“. Wie die Luft wurden, erzählt Schoschana, habe ihre scheint es auf Deutsch. Schonungslos dünn wird. Wie sie das Zeitgefühl ver - Mutter gesagt: „Wir schließen das Tor zur und sachlich erzählt sie ihre Geschichte. lieren. Wie sie draußen Schreie und Vergangenheit. Wir haben unsere Kno - Rabinovici überlebte dank unglaubli - Schüsse hören. Wie der Strom abgestellt chen gerettet, jetzt müssen wir unsere cher Zufälle – und weil ihre Mutter Raja und es stockdunkel wird. Und dann, wie Seele retten.“ Aber wie rettet man seine in den entscheidenden Situationen das ein Baby zu schreien beginnt und die El - Seele?, fragt Schoschana. „Man vergisst Richtige tat. „Dank meiner Mutter“ tern es zu beruhigen versuchen. Wie der alles, man schiebt alles weg.“ Die Tochter heißt das Buch deshalb. Ihre Geschichte Vater ihm schließlich ein Kissen vors Ge - gehorcht, schweigt und schiebt weg, fast wird auch in „Die letzten Zeugen“ er - sicht hält, damit das Baby sie nicht ver - E N I

40 Jahre lang. Sie verdrängt auch, wie real zählt, einer Produktion des Wiener Burg - rät. Wie die Mutter schreit, als sie merkt, L N O 1

ihre nächtlichen Albträume sind. theaters, für die der Regisseur Matthias dass der Vater das Kind erstickt hat. Drei F

32 SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2015 Rabinovicis-Gedicht aus dem KZ, Todesmarsch von Dachau-Häftlingen durch Starnberg, 1945

Tage und vier Nächte ist Schoschana Ra - daten, damit er sie mit seinem Gewehr - im Sommer probten die Jugendlichen in binovici mit ihrer Familie in der Maline kolben nach rechts stößt, möglichst hart Ferienkolonien ein Leben im Kibbuz. gefangen. Aber sie überleben. und brutal, damit es nicht auffällt. Die jüdische Gemeinde in Bialystok, Sie gehören jetzt zu den Letzten, die Diese Geschichten will man im neu die gerade erst wieder entstand, rekru - noch im Getto sind. Im September 1943 gegründeten Israel nicht hören, sagt tierte sich aus Überlebenden, Ver - zerstören es die Nazis endgültig. Die Be - Schoschana Rabinovici. Ihre Vergangen - schleppten, Versteckten aus ganz Osteu - wohner werden auf einen nahen Fried - heit ist nicht von Bedeutung, auch nicht, ropa. Niemand musste hier über seine hof getrieben, zur Selektion. Ein paar jun - als sie 1952 zum Militär einberufen wird. Vergangenheit schweigen. Eine der Leh - ge Leute rufen den Menschen von einer Die erste Zeit ist für sie eine Katastro - rerinnen von Gordonia kannte Schoscha - Mauer herunter zu, dass sie unbedingt phe. „Plötzlich bin ich wieder in einem na schon aus Kaiserwald und Stutthof. auf die rechte Seite gelangen müssen. Sie Lager, alle sind in großen Baracken und Dort hatte die junge Frau das Mädchen haben herausgefunden, was die Tausen - schlafen zusammen in einem Raum.“ Sie immer wieder ermutigt, ihre Erlebnisse den auf dem Friedhof noch nicht wissen: verweigert sich, wird mehrmals versetzt und Gefühle in Gedichte zu fassen, auf ) . R ( Links bedeutet den sofortigen Tod. Für und landet schließlich in einem Büro, Jiddisch. Schoschana schrieb sie auf klei - S E G

A ihre Warnung werden die mutigen jun - in dem sie als technische Zeichnerin ne Zettel und abgerissene Fetzen von Pa - M I -

G gen Leute sofort erschossen. Es beginnt arbeiten darf, der Beruf, den sie inzwi - piersäcken und trug sie in der Unterhose K A

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ein furchtbares Gedränge, wer fällt, über schen gelernt hat. Übernachten darf versteckt durch alle Stationen ihrer Ver - R E

N den steigen die anderen drüber. Scho - sie zu Hause; so kann sie abends auch folgung. Ein paar wenige hat sie so tat - T N A

G schana und ihre Mutter versuchen, nicht David treffen, der damals schon ihr sächlich bis heute erhalten können.

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N auf die fallengelassenen Bündel zu treten, Freund ist. Der Zionismus war kein großes The - N E B

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) in die Babys eingewickelt sind. Die wer - ma in Rabinovicis Familie vor dem Krieg. . L (

F den sie verfolgen, diese lebendigen Bün - Rabino - Schoschanas Großvater, der in Wilna I Nichts bringt Schoschana A L

/ del vor ihren Füßen. vici von ihrem Willen ab, in Israel hei - eine Fabrik für Zuckerwaren und Scho -

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U Sie werden immer wieder abgedrängt, misch zu werden. In Polen, wo sie mit kolade besaß, hatte zwar schon in den A R

N bis Schoschanas Mutter Raja ihrer ihrer Mutter die ersten Jahre nach dem Dreißigerjahren Land in Palästina ge - E B U

T knapp zehnjährigen Tochter befiehlt, in Krieg gelebt hat, wurde sie Mitglied der kauft. „Aber nur, um den zionistischen S

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N ihren Segeltuchsack zu steigen. Sie linken Jugendbewegung Gordonia, be - Gedanken zu unterstützen, nicht, um U R B schnürt ihn zu und kämpft sich mit dem geisterte sich für die zionistische Idee. selbst dort zu leben“, sagt Rabinovici. &

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O Kind auf dem Rücken, mehr als 20 Kilo - Gordonia bereitete die Jugendlichen auf Erst 1941 wollte ihr Vater, damals bereits R

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Y gramm schwer, auf die richtige Seite. Mit ein Leben in Israel vor. Man sang hebräi - geschieden von Schoschanas Mutter, tat - L E V

E Schmuckstücken besticht sie einen Sol - sche Lieder, lernte jüdische Tänze, und sächlich nach Palästina auswandern,

SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2015 33 NEUANFANG IM HEILIGEN LAND zwei seiner Schwestern waren bereits krankt, lässt sich Schoschana Rabinovici im Rückblick. „Ich war nach Israel ge - in Tel Aviv. zur Physiotherapeutin ausbilden. 1961 kommen, weil ich hier leben wollte. Und Aber er brachte es nicht fertig, ohne wird der zweite Sohn geboren, Doron. auf keinen Fall in Deutschland.“ Deutsch - seine Tochter zu fahren, und die Mutter Bald können sie sich eine größere Woh - land und Österreich, das ist für sie da - wollte Schoschana nicht gehen lassen. nung leisten, in einer besseren Gegend. mals das Gleiche. Sie hatte sich geschwo - Isaak Weksler, Schoschanas Vater, starb Schoschana Rabinovici ist eine Frau ren, nie wieder deutsch zu sprechen, die wenige Tage nach dem Einmarsch der mit starkem Willen, manchmal stur. Und Sprache, in der sie in den KZ angeschrien Deutschen in Wilna. Er wurde mit 5000 sie kann sich durchsetzen. Man sieht ihr wurde und die sie von den Mitgefange - anderen polnischen Juden im Wald von das nicht an, sie ist sehr schmal gewor - nen in Kaiserwald gelernt hat, mit denen Ponar außerhalb Wilnas umgebracht. den, seit ihr 2009 große Teile des Darms sie gemeinsam zur Zwangsarbeit in einer Wie er gestorben ist, hat seine Tochter entfernt werden mussten, eine Spätfolge Anodenfabrik eingeteilt war. erst 2011 erfahren. der Torturen im Lager. Fast zerbrechlich Aber es ging nicht anders, sagt sie. Ihr sieht sie aus. Aber ihr Blick ist resolut. Mann, der beruflich häufig in Osteuropa Es ist Schoschana, die unterwegs war, kam zu die - ihre Mutter überredet, nach ser Zeit nur noch alle paar Israel zu gehen. „Ich war eine Monate nach Tel Aviv. Doron, Gordonistin, ich war eine Zio - der Dreijährige, suchte in je - nistin. Und ich habe gesagt: dem Mann auf der Straße sei - Ich bleibe nicht in Europa.“ nen Vater. Und Schoschana 1950 erleichtert Polen für Ju - Rabinovici wusste, wie es ist, den die Auswanderung nach den Vater zu vermissen. Sie Israel. Zentrale Bedingung: war erleichtert, als sie fest - Sie müssen innerhalb eines stellte, dass das Deutsch in Monats ausreisen und die pol - Österreich ganz anders klang. nische Staatsbürgerschaft ab - David Rabinovici handelte legen. „Es war eine leichte mit Zitrusfrüchten. Nach der Entscheidung. Unsere ganze Staatsgründung musste Israel jüdische Umgebung ist gefah - noch Früchte importieren, ren“, sagt Schoschana Rabi - auf Eseln kamen sie aus Sy - novici, „es war ein Sog.“ Die rien und dem Libanon ins Mutter hat Angst vor Israel, Land. Erst ab 1952 wurden vor einem weiteren Neu - die Lebensmittelrationierun - anfang, aber die Tochter lässt gen nach und nach aufgeho - ihr keine Wahl. Es scheint ben. Aber schon Anfang der eine unausgesprochene Ab - Sechziger war der Obst - machung zwischen den bei - export ein bedeutender Wirt - den gegeben zu haben, dass schaftszweig. Begeistert und man sich nach dem gemein - stolz erklärt David Rabinovici sam Durchgestandenen nie die fortschrittlichen Anbau- wieder trennt. und Bewässerungsmethoden, Schritt für Schritt arbeiten die in Israel entwickelt wur - sie sich hoch in Israel. Scho - den, die rasante Entwicklung schana Rabinovici, damals der Landwirtschaft damals noch Schoschana Weksler, nennt er „ein Wunder“. macht ihr Abitur auf der Rabinovici und ihre Mutter in Polen, um 1948 In Wien bezieht die Fami - Abendschule nach, nachdem lie eine Fünf-Zimmer-Alt - sie das Gymnasium abgebro - bauwohnung in der Taub - chen hat, und lässt sich zur technischen Wenn sie spricht, und ihr Mann will et - stummengasse, David Rabinovici ver - Zeichnerin ausbilden. 1953 heiratet sie was ergänzen und wird ihrer Meinung dient gut, sie haben eine Haushälterin. ihren Freund David. Sie haben sehr we - nach zu ausführlich, unterbricht sie ihn. Sie habe sich gefühlt „wie eine Prinzes - nig Geld, aber sie sind sich einig, dass sie „Bumi, das gehört nicht hierher.“ Bumi sin“, sagt Schoschana Rabinovici. Der schnell eine Familie gründen wollen. Sie nennt sie ihn, weil er immer sein Einver - ältere Sohn geht in die Schule, der Klei -

beziehen eine winzige Wohnung im al - ständnis gibt mit einem gebrummten ne ist mit der Oma oft im Park, sie selbst F I A L

ten Jaffa, im Süden von Tel Aviv, einer „Bum“. Er scheint es sich zur Lebensauf - verbringt viel Zeit in Museen und /

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Gegend, in der sich das alte Ehepaar gabe gemacht zu haben, seine Frau für schaut sich die prächtigen Kirchen an. U A R

heute nicht mehr wohlfühlt. Die vielen alle schlimmen Erfahrungen in ihrem „Ich hab immer wieder die Schulklassen N E B U

Flüchtlinge aus Afrika, die hier leben, Leben zu entschädigen. abgewartet und mich den Führungen T S

O verunsichern sie . Aber einmal, in einem entscheidenden angeschlossen. So habe ich österrei - N U R B Der erste Sohn Jaron wird 1956 gebo - Moment ihres Lebens, gibt sie ihm nach: chische Geschichte gelernt.“ Abends &

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ren. Bis Mitte der Fünfziger herrscht in 1964 folgt sie ihrem Mann mit den beiden geht sie in die Oper, mehrmals die Wo - O R

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Israel eine Polio-Epidemie. Als es kurze Söhnen und der Mutter nach Wien. „Ei - che. Was Schoschana Rabinovici aus die - Y L E V

Zeit so aussieht, als sei auch Jaron er - gentlich ein unmöglicher Schritt“, sagt sie ser Zeit erzählt, hört sich fast wie das E

34 SPIEGEL GESCHICHTE 2 | 2015 großbürgerliche Leben ihrer Eltern in er den Mut findet, seinen Eltern zu sa - Die Bilder aus dem Getto und den La - Wilna an, vor dem Krieg. gen, dass er eigentlich immer nur eins gern hat Schoschana Rabinovici nicht Zwei Jahre will die Familie in Wien wollte: Geschichte studieren. Er wech - besiegt. Sie verfolgen sie nachts. Sie bleiben, es werden immer mehr. In Isra - selt die Fakultät und hat bald sein The - träumt, dass sie ihre zehnjährige Enkelin el verändert der Sechstagekrieg die ma gefunden: der Antisemitismus und auf dem Rücken tragen muss, um sie zu Grenzen und den Charakter des Landes. der Holocaust in Österreich. retten, und nicht weiß, wie sie ihr die Die Rabinovicis sind nur noch in den So erfüllt der erste Sohn den Traum Gefahr erklären soll. Ihre Schreie seien Sommerferien da und dazu meist einmal der Mutter (und macht ihn zu seinem aber seltener geworden, sagt David Ra - im Winter. Aber auf Charity-Veranstal - eigenen), der zweite erforscht ihr Trau - binovici. Schlimm sind die Nächte nach tungen, die sie in Wien organisiert, sam - ma (und verarbeitet dabei auch sein ei - ihren Auftritten in dem Theaterprojekt melt Schoschana Rabinovici Spenden - genes). „Die Ereignisse während der Ver - „Die letzten Zeugen“, mit dem sie auch gelder für die Universität in Tel Aviv und nichtung prägten nicht bloß das Leben schon in Berlin, Hamburg, Dresden und ein Krankenhaus in Tel Haschomer. meiner Mutter, sondern das Dasein un - Frankfurt war.

Die alte Dame hat den Hass gegen ihre Nachts, in ihren Träumen, verfolgen Peiniger überwunden. Sie versteht nicht, warum das anderen Menschen nicht sie die Bilder aus dem Getto. auch möglich sein sollte. Warum etwa die Palästinenser in den jordanischen Flücht - Sie kaufen eine Jugendstilvilla im vor - serer ganzen Familie“, schreibt Doron lingslagern noch immer auf die Rückgabe nehmen 19. Bezirk und lassen extra ei - Rabinovici in einem Essay. Dass sie nicht der von Israel eroberten Gebiete warten. nen Lift für Schoschana Rabinovicis darüber redete, machte es nicht besser. „Will ich etwa zurück nach Wilna in das Mutter Raja einbauen. Sie hat seit der Seine Großmutter dagegen, so erinnert Haus meines Großvaters?“ Zeit in den Lagern ein schwaches Herz. er sich, habe durchaus vom Getto und Aber ebenso wenig Verständnis hat Doch kurz vor dem Umzug in das neue vom Lager erzählt. sie für die eigene Regierung und Neta - Haus 1974 stirbt die Mutter. Sie wird in nyahus Politik, die arabischen Israelis als Tel Aviv begraben. „Es war furchtbar für In seinem Roman „Andernorts“ lässt Bürger zweiter Klasse zu behandeln. Sie mich. Sie war die Letzte, die ich von mei - Doron Rabinovici, der bis heute in Wien befürchtet, dass Israel auf eine „Apart - ner Familie gehabt habe“, sagt Rabino - lebt, sein Alter Ego sagen: „Ja, Tel Aviv heid“ zusteuert. „Ich bin Demokratin“, vici. Auch mit ihren Erinnerungen ist sie ist wunderbar, aber nur für Besucher. sagt sie und setzt sich noch ein wenig jetzt endgültig allein. Die Sonne, das Meer. Aber das Leben? aufrechter hin, „ich habe genug gelitten, Es ist ihr ältester Sohn Jaron, der als Ich frage dich: Gibt es nicht billigere, dass ich demokratisch sein muss. Und Erster nach Israel zurückzieht. Er hat friedlichere, sicherere Orte?“ ich kann nicht einen anderen so behan - Medizin studiert und bewirbt sich nun Seit Anfang der Neunziger ist Tel Aviv deln, wie man mich behandelt hat. Aber in Jerusalem. Mit der Berufswahl hat er wieder der Lebensmittelpunkt von Scho - dieser Meinung ist leider nicht jeder.“ einen Traum seiner Mutter erfüllt, ei - schana und David Rabinovici. „Aber wir Sie war immer gegen Wiedergutma - gentlich schon seiner Großmutter, die haben Israel nie verlassen“, sagt sie. So, chungszahlungen aus Deutschland, wie ihr Studium in Paris nie beenden konnte. wie sie vorher immer ihre Wohnung in viele Shoa-Überlebende hat sie schon In den Augen von Schoschana Rabino - Israel behalten haben, haben sie jetzt mit dem Wort Schwierigkeiten. „Was vici ist Medizin die einzig richtige Wahl. nach wie vor eine Zweitwohnung in man uns angetan hat, kann man nicht Ärzte wurden im Lager gebraucht. Ge - Wien, vis à vis der Oper. Sie besitzen bei - mit Geld gutmachen.“ Aber vor wenigen braucht werden heißt, seine Überlebens - de Pässe und pendeln zwischen Öster - Monaten bekam sie Post aus Deutsch - chance zu erhöhen. reich und Israel. Aber wenn das einmal land, mit der Nachricht, ihr stehe eine Sie drängte beide Söhne, Medizin zu nicht mehr geht, werden sie in Tel Aviv Rente zu, rückwirkend seit ihrem 65. Le - studieren, und wenn sie voller Stolz von bleiben, das steht fest, sagt Schoschana bensjahr. Für die im Deutschen Reich Jarons Karriere erzählt, ist es schwer, Rabinovici. „Ich bin hier sehr zu Hause, geleistete Arbeit von 1943 bis 45. nicht an das Klischee der jiddischen kulturmäßig, sprachmäßig, hier habe ich Rabinovici wundert sich. Ob die deut - Mamme zu denken, die mit ihrer Über - meine Freunde.“ schen Behörden absichtlich so lange ge - vorsorge auch das Leben ihrer erwach - Sechs Enkelkinder haben Schoschana wartet haben, bis möglichst wenige übrig senen Kinder beherrscht. und David Rabinovici in Israel, eines in sind, denen noch eine Rente zusteht? 123 Der Anfang für Jaron in Jerusalem ist Wien. Die Fotos der Familie stehen dicht Euro überweist man ihr jetzt monatlich. nicht leicht, man versteht nicht, warum gedrängt auf einem Sideboard im Wohn - Die alte Dame steht in ihrem licht - er nicht in Österreich geblieben ist. Aber zimmer, und auf einem halbhohen durchfluteten Wohnzimmer im 21. Stock als seine Mutter ihn nach einem Jahr Schrank gegenüber steht ein silberner und blickt hinaus. Solange es das Meer fragt, ob er glücklich sei, da antwortet Baum mit kleinen Porträtfotos, angeord - und den Flughafen gebe, sagt sie, fühle er: „Mutti, ich schimpfe auf Israel in ei - net wie bei einem Stammbaum. Stolz er - sie sich in diesem von arabischen Staa - ner furchtbaren Art, ich bin so böse, aber zählt der 87-jährige David Rabinovici ten umgebenen Land nicht eingesperrt. ich spüre, dass ich aus dem Herzen von den Talenten seiner Enkel. „Hitler Sie träumt von einem Balkon, hier im schimpfe. Das ging in Wien nicht.“ Er ist wollte uns ausrotten, und wir haben ge - 21. Stock über Tel Aviv, wo sie das Meer heute ein anerkannter Gynäkologe. siegt“, sagt er. „Wir haben überlebt, und sieht und in die Welt schauen kann . Auch sein jüngerer Bruder Doron stu - wir haben Kinder und Enkelkinder. Wir Bald will die Hausgemeinschaft dar - diert mehrere Semester Medizin, bevor haben ihn besiegt.“ über abstimmen. ■

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