12 HBG FEUILLETON Dienstag, 15. Juli 2014, Nr. 160 DEFGH

RETROKOLUMNE von laura weissmüller Schnitzeljagd rst wenn der Bewohner gar nichts Es lebt CSNY mehr anhat, wenn er sogar dasHand- mit Smartphone E tuch bereits aufgehängt hat, erst Das Experiment geht weiter: In der Stuttgarter Weißenhofsiedlung Die gemeinsame Stadion-Welttour von dann soll er sein Smartphone ablegen. Die Ein fieser Hacker-Horrorfilm: David Crosby, Stephen Stills, Graham nötige Nische dafür ist gleich in der weißen wurde das von Werner Sobek entworfene „Aktivhaus“ eröffnet „The Signal“ von Nash und Neil Young im Jahr 1974 war Duschkabine eingelassen. Nur unterm das damals größte und kommerziell Wasserstrahl ist der Mensch also noch Woran erkennt man , dass jemand ganz be- erfolgreichste Ereignis seiner Art. Die nackt, sozusagen porentief technikfrei, stimmt für die Regierung arbeitet? An Sät- Fotos im 188-seitigen Booklet des gro- doch der Griff zum Handy, das in diesem zen wie: „Aufgrund der Umstände kann ich ßen 4-CD-Box-Sets „CSNY 1974“ (Rhi- Haus so viel mehr ist als ein Telefon, ist Ihnen nur eingeschränkte Informationen no) zeigen das sehr eindrucksvoll. Vor auch hier nie weit. zukommen lassen.“So klingen die Antwor- allem aber gilt die Tournee der Folk- Das Gebäude B10, in dem diese Dusche ten, die Nic () bekommt, Rock-Supergroup der Siebziger bis mit integrierter Smartphone-Nische zu fin- als er verletzt im Krankenzimmer einer un- heute als eine der berüchtigsten Kokain- den ist, steht seit ein paar Tagen mitten in terirdischen Forschungsstation aufwacht. Klassenfahrten des Rock-Olymps. Neil der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, in den „The Signal“ beginnt harmlos, Nic will Young nannte sie später die „Doom Zwanzigerjahren so etwas wie die Pionier- seine Freundin Haley zu ihrem College in Tour“, die Katastrophen-Tour, Graham plattform für zukünftiges Wohnen. 1927 Kalifornien bringen, sein bester Freund Jo- Nash erklärte sie zum letzten Dreck und zeigten hier die damals besten Architekten nahfährt auch mit. Die Jungs spielen an ih- vom Abschluss-Konzert im Londoner der Welt, unter ihnen Mies van der Rohe, ren Notebooks, sie liefern sich eine virtuel- Wembley-Stadion berichtete Joni Mit- Le Corbusier, Peter Behrens, Walter Gropi- le Schlacht mit einem unbekannten Ha- chell, dass hinter der Bühne sämtliche us, Hans Scharoun und Mart Stam, in wei- cker. Dieser hat es vorher schon fast ge- Beteiligten mit blutigen Nasen herumge- ßen Modellhäusern, wie sie sich das Leben schafft, ihnen das Studium zu versauen, laufen seien, weil so unendlich viel der modernen Großstädter in den vier Wän- und sie würden ihm gern, mit welpenhaf- minderwertiges Kokain konsumiert den vorstellten. Nichts war verboten, kein tem Enthusiasmus, das Handwerk legen – worden sei. Kein Wunder, dass die nun Material zu neu und kein Konstruktions- und dann liegt Nic von einem Moment auf veröffentlichte Zusammenstellung verfahren zu verwegen, um hier nicht aus- den anderen in jenem Krankenbett. Ein ge- mehrere Jahre gedauert hat. Es hätte, probiert zu werden. Das Ergebnis war ein heimnisvoller Mann im Outbreak-Kostüm so Graham Nash kürzlich gegenüber so kühnes wie elitäres Wohnquartier, des- (Laurence Fishburne) taucht gelegentlich dem amerikanischen Rolling Stone,vier sen Eleganz der exklusiven Hanglage mit auf und sagt Dinge, die so kryptisch sind, Menschen gleichzeitig recht gemacht Blick über ganz Stuttgart entsprach. dass er sich bald nicht sicher ist, ob er viel- werden müssen. Wie gut, dass das ge- Rein optisch möchte man dem Neuzu- leicht zu spinnen anfängt. klappt hat. Denn was auch immer jeder gang, der in nur 24 Stunden von der Firma Es ist bald klar, was der junge Regisseur einzelne der Hauptdarsteller damals Schwörer-Haus hier errichtet wurde, nicht William Eubank im Sinn hatte: eine Ha- Bewusstseinstrübendes erlebt haben unbedingt den gleichen Rang zubilligen, cker-Horror-Science-Fiction, einen Genre- mag, zusammen auf der Bühne klangen dafür erinnert das 85 Quadratmeter große Film, der die totale Überwachungswut ins sie großartig, feinster Siebziger-Rock, Fertighaus einfach zu stark an einen lang- Übersinnliche treibt. Das ist zunächst ein- hinreissender Harmonie-Gesang, wun- gezogenen Schuhkarton. Interessant ist an mal eine großartige Idee. Er mischt vertrau- derbarste Patsch-Drums und jaulende der Holzbaukonstruktion mit geschossho- te Szenarien, die klaustrophobische Hilflo- Gniedel-Gitarren-Soli, die anderswo her Vakuumverglasung eher das, was man sigkeit aus „The Cube“ etwa, und digitali- unerträglich wären, nicht sieht. Denn mit dem, was B10 kann, siert sie sozusagen – es gibt eine Schnitzel- aber hier doch ge- ist es seinen Nachbarn mindestens eben- jagd mit Smartphones, ein geheimnisvol- nau richtig sind . bürtig, wenn nicht sogar überlegen: Das ler Ort in der Wüste, der sich als eine Art Und je länger man Haus produziert zweimal so viel Energie, Roswell-Variante der Matrix entpuppt. sich durch die Auf- wie es selbst braucht. Es ist zu 100 Prozent Aussehen tut das, obwohl „The Signal“ nahmen gräbt, recycelbar, was deswegen so wichtig ist, ein kleiner Indie-Film ist, spektakulärer desto besser wird weil das Bauwesen – nicht zuletzt dank all als mancher Blockbuster – William Eu- es. Peace! der ach so nachhaltigen Wärmeverbund- bank hat beim diesjährigen Sundance-Fes- systeme – für 60 Prozent des Sondermülls tival dafür viel Lob bekommen. Es ist erst verantwortlich ist. Und schließlich: Das sein zweiter Film, und man wird von die- Haus setzt die neueste Technik ein, um sem Filmemacher garantiert noch hören. Roxy Music den zukünftigen Bewohnern ein passge- Zu seinen faszinierendsten Effekten ge- Wir bleiben im Stadion, in den Siebziger- naues Zuhause zu bieten. hört die gruselige Entdeckung, die Nic an jahren und sogar in Amerika – und sich selbst macht: Seine Beine, die er für landen mit dem Mitschnitt von Roxy Das Haus lernt den Bewohner verletzt gehalten hat, sind unter den Ver- Musics Auftritt in der Oakland Arena im und seine Vorlieben kennen. bänden gar nicht mehr da – statt dessen be- Jahr 1979, „Showing Out“ (Easy Action) steht er nun zum Teil aus filigranen Stahl- doch in einer ganz anderen Welt: dem Besser, als ihm lieb ist Gebilden. Nur verliert Eubank hier leider grandios prätentiösen, seine Künstlich- gleichzeitigdie Kontrolle über seine Ge- keit glitzernd-dekadent ausstellenden, Was Werner Sobek, der Architekt von schichte: Nic findet heraus, dass ihm die herausfordernd androgynen Glam B10, visionärer Bauingenieur und Querden- Stahlhaxn Superkräfte verleihen – und Rock. Im Stadion, wo ja zwangsläufig ker seiner Branche, „das erste Aktivhaus das ist dann doch etwas viel Genre-Mix. Eu- auch noch die subtilsten Nuancen und der Welt“ nennt, lässt sich daher in zweifa- bank wollte die Computer-Logik aus Ein- Anspielungen so lange verstärkt wer- cher Hinsicht interpretieren. Zum einen ist sen und Nullen einer nebulösen Welt aus den, bis sie in der letzten Reihe vollkom- B10 aktiv, weil es dank ausgeklügelten Übersinnlichkeit gegenüberstellen – und men fertig in die Sitzschale fallen, hat Energiekonzepts – die Photovoltaikanlage hat sich damit schließlich doch etwas über- diese Musik eigentlich überhaupt auf dem Dach ist noch das simpelste Ele- nommen. susan vahabzadeh nichts verloren. Wobei die Band um den ment davon – so viel Strom aus nachhalti- ewigen Ober-Hipster Bryan Ferry eben gen Energiequellen produziert, dass es dieser Widerspruch gerade herausgefor- nicht nur zwei Elektroautos und zwei Elek- The Signal, USA 2014 – Regie: William Eubank. dert haben dürfte. Was passiert also mit trofahrräder, sondern auch noch das be- Drehbuch: , David Frigerio, William der ganzen düsteren Ironie und der nachbarte Weißenhofmuseum im Le-Cor- Eubank. Kamera: David Lanzenberg. Mit: Laurence wahnwitzigen Klugheit dieser Band im busier-Haus mit Strom versorgen kann. Fishburne, Brenton Thwaites, . Cape- Stadion? Sie halten sich erstaunlich gut Zum anderen verdient das Fertighaus aber light/Wild Bunch/Central, 95 Minuten. im irren Crooner-Tremolo von Ferry: „In auch deshalb seinen Namen, weil es selbst every dream home a so viel leistet: Das Haus lernt fortwährend Fertighaus der Zukunft: Innerhalb von nur 24 Stunden war der von der Firma Schwör-Haus realisierte Bau an Ort und heartache“. Nur den Bewohner und seine Bedürfnisse ken- Stelle. 85 Quadratmeter Wohnfläche werden nun von einem selbstlernenden Gebäudesystem gemanagt. FOTO: ZOOEY BRAUN drumherum wird nen, um sich dann anzupassen. Es merkt NACHRICHTEN doch etwas zu sich zum Beispiel, welche Lichtstimmung schmerzfrei auf er mag, wenn er nach Hause kommt, wel- Bis 2018, so eine Studie des Informati- wir aufstehen und wie wir duschen. Sobald dass jeder Einzelne seinen Verbrauch dras- Der international gefeierte türkische Pia- Keyboards, Drums che Temperatur im Wohnzimmer und wel- onsunternehmens IHS, sollen 45 Millio- der Name Google in Zusammenhang mit tisch senken muss, wenn die Menschheit nist Fazil Say, 44, ist als Leiter des von und Gitarren zuge- che in der Dusche. B10 verwandelt sich da- nen Smart Home-Dienste in Häusern ein- persönlichen Daten fällt – und intimere als auf der Erde noch halbwegs eine Zukunft ihm gegründeten Musikfestivals in An- griffen. mit in gewisser Weise zum persönlichen gebaut werden, das Geschäftsvolumen für die Lebensgewohnheiten in den eigenen haben will. Dass wir das nicht allein mit talya zurückgetreten. Der neue Bürger- Fingerabdruck seines Benutzers. Smart-Home-Produkte wird in den nächs- vier Wänden kann man sich kaum vorstel- Wärmedämmplatten – die, ganz nebenbei, meister, AKP-Mitglied Mederes Türel, Was im Stuttgarter Bruckmannweg 10 – ten fünf Jahren auf zwölf Milliarden Dollar len – , sind die Bedenken groß. Tatsächlich aus Erdöl bestehen – schaffen, müsste ir- hatte schon im April Says Abberufung an- daher der Name B10 – für nun drei Jahre ge- geschätzt. Kein Wunder, dass das Begehr- sollten wir aber zunächst einmal beim Na- gendwann auch der letzte Dämmfetischist gedeutet. In einer aktuellen Stellungnah- Captain Beefheart testet werden soll, erst als Büro, danach als lichkeiten weckt: Google kaufte Anfang heliegenden bleiben: Die Apps sorgen da- verstanden haben. Dass keiner Lust hat, me sagte Say der Süddeutschgen Zeitung, Womit wir in der heutigen Reihe der Wohnhaus, ist ein Beispiel für Smart desJahres für sage und schreibe 3,2 Milliar- für, dass Häuser nicht unnötig heizen, von nun an nur noch so zu leben, wie es ver- Türel habe die Leitung einem befreunde- Pop-Giganten bei Don Van Vliet alias Home, Häuser so clever wie Hochleistungs- den Dollar den Thermostat- und Rauch- wenn gar keiner zu Hause ist, dass Räume, nünftig wäre, beweist der weltweit steigen- ten Dirigenten übertragen. Dies sei eine Captain Beefheart wären. Der 2010 computer, aber trotzdem möglichst ein- melderhersteller Nest – dessen System üb- wo sich keiner aufhält, auch keine Wohl- de Energieverbrauch. Werner Sobek zeigt rein politische Entscheidung gewesen. verstorbene Meister gehört in die kleine fach in ihrer Benutzung. Nicht mehr als rigens Tony Fadell, der Schöpfer des iPods, fühltemperaturen bieten, sondern kalt mit seinem Prototyp in Stuttgart, wiees an- Say hat sich immer wieder kritisch über Gruppe der großen Einflussreichen der zwei Klicks, heißt es in Stuttgart, bräuchte entwickelte. Apple will diesen Herbst mit bleiben, dass die Waschmaschine läuft, ders gehen könnte. Wie ein Haus tatsäch- die AKP-gestützte türkische Regierung jüngeren Kulturgeschichte, deren kano- man, um per App das Smart Home System Home-Kit an den Markt gehen. In Deutsch- wenn es für den Stromverbrauch am bes- lich so konstruiert sein kann, dass es „mit geäußert. Voriges Jahr wurde er wegen nische Werke leidenschaftlicher verehrt von Alpha-EOS zu steuern. Das baden- land sind es vor allem junge Unternehmen ten ist und auch das Elektroauto erst dann Anstand wieder von der Welt verschwin- Gotteslästerung zu zehn Monaten auf Be- als tatsächlich gehört oder gelesen wer- württembergische Unternehmen, das den wie Alpha-EOS oder Tado vom Ammersee, aufgeladen wird, wenn es am günstigsten den kann“, wie der 61-jährige Stuttgarter währung verurteilt. mau den. Was also in der Literatur Bücher zum Patent angemeldeten Algorithmus die mit einer Heizungs-App versuchen, ist. Das ist nicht nur ziemlich smart, das ist Architekt, der weltweit baut, das formu- wie Joyce’ „Ulysses“ oder Musils „Mann für das Programm entwickelt hat, weist die den Energieverbrauch von Häusern zu opti- vor allem energiesparend und zwar ohne liert. Wie der Heizungsenergiebedarf um Katharina Wagner, 36, bleibt Leiterin ohne Eigenschaften“ sind, das ist in der klassische Besetzung eines Start-ups auf: mieren und dem tatsächlichen Bedarf der jeglichen Verzicht auf Komfort und Lebens- bis zu 40 Prozent gesenkt werden kann, oh- der Bayreuther Festspiele. Ihr Vertrag Popmusik „Trout Mask Replica“, das Das Team aus jungen Informatikern, Bau- Bewohner anzupassen. standard. Das ist in diesem Fall entschei- ne dass man dafür auf eine warme Dusche wurde über 2015 hinaus um fünf Jahre 1969 veröffentlichte dritte Album von physikern, Energiefachleuten und Archi- Jetzt lautet nur noch die Frage: Wollen dend. verzichten muss. Ob dabei das Smart- verlängert. Darauf einigten sich laut Captain Beefheart & His Magic Band. tekten arbeitet erst seit einem Jahr zusam- wir das? Intelligente Wohnungen, die uns Denn bei all den – zunehmend schlep- phone tatsächlich immer griffbereit zu Festspiel-Geschäftsführung die Gesell- Beefhearts ewiger Ruhm als einer der men – und expandiert kräftig. Parallel besser kennen als unsere Eltern. Die wis- pender verlaufenden – Diskussionen über sein hat, darüber kann man ja noch mal re- schafter Bund, Land, Stadt und Gesell- Ersten, der den Rock an seine Grenzen zum weltweiten Markt für Smart Homes. sen, wann wir nach Hause kommen. Wann die Energiewende, wird fast vergessen, den. schaft der Freunde Bayreuths. dpa führte, fußt auf den Lärm-, Gesangs- und Text-Experimenten dieser Platte, produziert von Frank Zappa, dem be- rühmtesten aller Pop-Avantgardisten. Und damit wäre man anlässlich der Krise des Gedenkens eben veröffentlichten, leider qualitativ nicht allzu guten Aufnahme eines schön Mit seinem neuen Projekt für die Synagoge in Stommeln geht Gregor Schneider, der Meister der Klaustrophobie, nach draußen rumpeligen, rohen Beefheart-Auftritts in Detroit 1980, „Harpo’s Detroit“ (Gon- Die kleine Landsynagoge aus dem 19. Jahr- tüncht. Die spießbürgerlichen Blümchen- die Synagoge aufgegeben und später für Mönchengladbach-Rheydt mit seiner Ar- Trompe-l’œil in Stommeln greift Schnei- zo), beim unglücklichen Teil dieser hundert stand nie in der ersten Reihe. Jetzt vorhänge lassen die Fenster erblinden, ein Mietwohnungen genutzt wurde. In Kerpen beit in Stommeln hervorruft, erzielt er der die Geschichte der Synagogen im Erft- Geschichte. Denn der Rock hatte natür- ist sie ganz verschwunden. Ein Einfamilien- Garagenrolltor kommentiert sarkastisch grenzte die Synagoge direkt an eine Schrei- sonst in geschlossenen Räumen, so auch in kreis auf. Das Fassadengelb strahlt aggres- lich gar nicht darum gebeten, an seine haus ist an ihre Stelle getreten. Nichts erin- den Standard bürgerlichen Wohnens. An nerei und ein Holzlager, weshalb sie den einem Labyrinth in der Halle Kalk, einem sive Ignoranz aus, ziemlich erbarmungslos Grenzen geführt zu werden, weshalb nert mehr an das ehemalige Bethaus, so- der Türklingel steht der Allerweltsname Flammen entging. Heute wird sie als Wohn- Ableger des Schauspiels Köln. Hier führt konterkariert es das schöne Ziegelrot in das Publikum die Sache nicht wirklich gar die Hinweisschilder im Ort wurden ab- „Schneider“, doch öffnet während dieser haus genutzt. ein dunkler Korridor in ein fensterloses, der Nachbarschaft. Das Diktum der „Bana- zu würdigen wusste, und wieder einmal montiert. Dafür hat die neue Wohnstätte Ausstellung niemand. Wer jetzt zum ers- Damit schließt sich der Kreis zur aktuel- schäbiges Badezimmer, und kaum hat lität des Bösen“ (Hannah Arendt) kommt ei- ein Genie nicht steinreich und weltbe- nun, was der Synagoge in Stommeln bei ten Mal zur Hauptstraße 85 a kommt, wird len Ausstellung von Gregor Schneider. Je- man es verlassen, findet man sich nach kur- nem in den Sinn, zitiert doch das Gelb der rühmt wurde. Das allerdings wäre hin- Köln nie zugestanden worden war – eine ei- kaum glauben, dass sich hinter der Fassa- ne Befremdlichkeit, die der Bildhauer aus zer finsterer Wegstrecke abermals in dem Fassade auch die Farbe der Diskriminie- nehmbar. Das Album ist ja zweifellos gene Adresse, Hauptstraße 85 a. de eine Synagoge verbirgt. vermeintlich selben Badezimmer wieder – rung im „Dritten Reich“. Das renovierte anstrengend und eher pophistorisch Von den Pogromen im November 1938 Als Richard Serra 1992 hier seine Skulp- eine Wiederholung, die sich schier endlos Haus und seine ätzende Durchschnittlich- interessant. Nicht hinnehmbar ist, dass war die Synagoge nur deshalb verschont tur „The Drowned and the Saved“ installier- fortsetzt und alsbald ein klammes Gefühl, der Genie-Ruhm bis heute zur Folge geblieben, weil die jüdische Gemeinde sie te, widmete er den kleinen Ausstellungska- wenn nicht gar eine gewisse Bangigkeit vor Die neue Stommelner Adresse hat, dass Alben wie „Safe As Milk“, schon im Jahr zuvor an einen Landwirt ver- talog nicht der zweiteiligen Stahlskulptur, dem nächsten Badezimmer hervorruft. „Hauptstraße 85 a“ konfrontiert „Clear Spot“ oder „Ice Cream For Crow“, kauft hatte. Der nutzte sie als Schweine- die sich heute im Erzbischöflichen Diöze- Am Ende des manischen Parcours hat man viel zu wenige kennen, obwohl sie gar stall, bevor sie nach 1945 brachlag und in sanmuseum Kolumba in Köln befindet. Er nicht weniger als 21 der geklonten Bade- mit unheimlicher Gegenwart nicht avantgardistisch-anstrengend Vergessenheit geriet. Erst 1991 wurde sie dokumentierte das Schicksal der weiteren zimmer durchmessen. Das Unheimliche – sind, sondern darauf einfach irrsinnig zum Ausstellungsort umgewidmet, um die jüdischen Synagogen in der Region. Fast al- Freud lässt grüßen – erscheint in Gestalt keit stimulieren nicht eigentlich die Einfüh- guter, heftiger, origineller, minimalisti- Erinnerung mit künstlerischen Interventi- le waren in der „Reichskristallnacht“ ver- des Gewöhnlichen, und da einem die Um- lung in historische Erinnerung, sie kon- scher Blues Rock zu hören ist mit tollen onenwachzuhalten. Jetzt wird die ambitio- wüstet worden. Manche blieben von den kehr unmöglich gemacht wird, sieht man frontieren stattdessen mit einer Krise des Dadagaga-Lyrics („My Head Is My Only nierte Reihe mit einem Beitrag von Gregor Brandanschlägen verschont, weil sie in sich einem veritablen Wiederholungs- Gedenkens und einer regelrecht unheimli- House Unless It Rains“), mit dem die Schneider fortgesetzt, dessen Ausstellung dicht bebauten Wohngebieten lagen, wur- zwang unterworfen: Wieder und wieder chen Gegenwart. Gerade darin überzeugt Jon Spencer Blues Explosion, Jack „totlast“ in Duisburg soeben, kurz vor der den aber im Zweiten Weltkrieg beschädigt. durchläuft man den gleichen Raum. die neue Stommelner Adresse „Hauptstra- White und die Black Keys heute Hallen Eröffnung, in einem zensorischen Allein- In mehreren Fälle wurden die Synago- Mit seinem Synagogen-Projekt geht ße 85 a“, die von nun an, über die Ausstel- füllen. Wo bleibt gang des Oberbürgermeisters, abgesagt gen oder deren Ruinen im Erftkreis erst in Schneider in den Außenraum und umbaut lung von Gregor Schneider hinaus, Be- eigentlich die gro- wurde (SZ vom 8. Juli). der Bundesrepublik abgerissen oder abge- ein Gebäude mit neuralgischer Erinne- stand haben wird. georg imdahl ße, endlich alles ins Schneiders Eingriff in Stommeln ist ver- tragen, wie 1955, im Zuge einer Neubebau- rung. Aus heutiger Sicht, gab Schneider in rechte Licht setzen- störend und brüskierend: Er ummantelt ung des Grundstücks, in Elsdorf, 1949 in Stommeln zu verstehen, hätte sich eine sol- de Beefheart-Werk- die Synagoge mit einer architektonischen Gymnich oder 1971 in Frechen. Auch in Le- che Lösung auch für den deutschen Pavil- Hauptstraße 85 a, Synagoge Stommeln, bis 26. Ok- ausgabe? Maske der Normalität. Nur der Ziergiebel chenich war die jüdische Gemeinde durch Eine Maske der Normalität für die Syn- lon in Venedig angeboten, für dessen Aus- tober. www.synagoge-stommeln.de. Halle Kalk, jens-christian erinnert noch an die Fassade des Fachwerk- Abwanderung und Emigration schon Mit- agoge in Stommeln: Gregor Schneider, stellung ihm 2001 der Goldene Löwe zuge- Schauspiel Köln, 23. August bis 7. September. rabe baus von 1882, der Davidstern ist über- te der 1930er Jahre so geschrumpft, dass Hauptstr. 85a. FOTO: VG BILD-KUNST, BONN 2014 sprochen wurde. Mit seinem aufwändigen www.schauspielkoeln.de DIZdigital: Alle Alle Rechte Rechte vorbehaltenvorbehalten – - SüddeutscheSüddeutsche ZeitungZeitung GmbH,GmbH, MünchenMünchen svra006 JeglicheJegliche VeröffentlichungVeröffentlichung und und nicht-private nicht-private Nutzung Nutzung exklusiv exklusiv über über www.sz-content.de www.sz-content.de SZ20140715S2257202