SZ-Archiv: SZ Vom 15.Juli 2014 Seite 12 München (GSID=2257202)
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12 HBG FEUILLETON Dienstag, 15. Juli 2014, Nr. 160 DEFGH RETROKOLUMNE von laura weissmüller Schnitzeljagd rst wenn der Bewohner gar nichts Es lebt CSNY mehr anhat, wenn er sogar dasHand- mit Smartphone E tuch bereits aufgehängt hat, erst Das Experiment geht weiter: In der Stuttgarter Weißenhofsiedlung Die gemeinsame Stadion-Welttour von dann soll er sein Smartphone ablegen. Die Ein fieser Hacker-Horrorfilm: David Crosby, Stephen Stills, Graham nötige Nische dafür ist gleich in der weißen wurde das von Werner Sobek entworfene „Aktivhaus“ eröffnet „The Signal“ von William Eubank Nash und Neil Young im Jahr 1974 war Duschkabine eingelassen. Nur unterm das damals größte und kommerziell Wasserstrahl ist der Mensch also noch Woran erkennt man , dass jemand ganz be- erfolgreichste Ereignis seiner Art. Die nackt, sozusagen porentief technikfrei, stimmt für die Regierung arbeitet? An Sät- Fotos im 188-seitigen Booklet des gro- doch der Griff zum Handy, das in diesem zen wie: „Aufgrund der Umstände kann ich ßen 4-CD-Box-Sets „CSNY 1974“ (Rhi- Haus so viel mehr ist als ein Telefon, ist Ihnen nur eingeschränkte Informationen no) zeigen das sehr eindrucksvoll. Vor auch hier nie weit. zukommen lassen.“So klingen die Antwor- allem aber gilt die Tournee der Folk- Das Gebäude B10, in dem diese Dusche ten, die Nic (Brenton Thwaites) bekommt, Rock-Supergroup der Siebziger bis mit integrierter Smartphone-Nische zu fin- als er verletzt im Krankenzimmer einer un- heute als eine der berüchtigsten Kokain- den ist, steht seit ein paar Tagen mitten in terirdischen Forschungsstation aufwacht. Klassenfahrten des Rock-Olymps. Neil der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, in den „The Signal“ beginnt harmlos, Nic will Young nannte sie später die „Doom Zwanzigerjahren so etwas wie die Pionier- seine Freundin Haley zu ihrem College in Tour“, die Katastrophen-Tour, Graham plattform für zukünftiges Wohnen. 1927 Kalifornien bringen, sein bester Freund Jo- Nash erklärte sie zum letzten Dreck und zeigten hier die damals besten Architekten nahfährt auch mit. Die Jungs spielen an ih- vom Abschluss-Konzert im Londoner der Welt, unter ihnen Mies van der Rohe, ren Notebooks, sie liefern sich eine virtuel- Wembley-Stadion berichtete Joni Mit- Le Corbusier, Peter Behrens, Walter Gropi- le Schlacht mit einem unbekannten Ha- chell, dass hinter der Bühne sämtliche us, Hans Scharoun und Mart Stam, in wei- cker. Dieser hat es vorher schon fast ge- Beteiligten mit blutigen Nasen herumge- ßen Modellhäusern, wie sie sich das Leben schafft, ihnen das Studium zu versauen, laufen seien, weil so unendlich viel der modernen Großstädter in den vier Wän- und sie würden ihm gern, mit welpenhaf- minderwertiges Kokain konsumiert den vorstellten. Nichts war verboten, kein tem Enthusiasmus, das Handwerk legen – worden sei. Kein Wunder, dass die nun Material zu neu und kein Konstruktions- und dann liegt Nic von einem Moment auf veröffentlichte Zusammenstellung verfahren zu verwegen, um hier nicht aus- den anderen in jenem Krankenbett. Ein ge- mehrere Jahre gedauert hat. Es hätte, probiert zu werden. Das Ergebnis war ein heimnisvoller Mann im Outbreak-Kostüm so Graham Nash kürzlich gegenüber so kühnes wie elitäres Wohnquartier, des- (Laurence Fishburne) taucht gelegentlich dem amerikanischen Rolling Stone,vier sen Eleganz der exklusiven Hanglage mit auf und sagt Dinge, die so kryptisch sind, Menschen gleichzeitig recht gemacht Blick über ganz Stuttgart entsprach. dass er sich bald nicht sicher ist, ob er viel- werden müssen. Wie gut, dass das ge- Rein optisch möchte man dem Neuzu- leicht zu spinnen anfängt. klappt hat. Denn was auch immer jeder gang, der in nur 24 Stunden von der Firma Es ist bald klar, was der junge Regisseur einzelne der Hauptdarsteller damals Schwörer-Haus hier errichtet wurde, nicht William Eubank im Sinn hatte: eine Ha- Bewusstseinstrübendes erlebt haben unbedingt den gleichen Rang zubilligen, cker-Horror-Science-Fiction, einen Genre- mag, zusammen auf der Bühne klangen dafür erinnert das 85 Quadratmeter große Film, der die totale Überwachungswut ins sie großartig, feinster Siebziger-Rock, Fertighaus einfach zu stark an einen lang- Übersinnliche treibt. Das ist zunächst ein- hinreissender Harmonie-Gesang, wun- gezogenen Schuhkarton. Interessant ist an mal eine großartige Idee. Er mischt vertrau- derbarste Patsch-Drums und jaulende der Holzbaukonstruktion mit geschossho- te Szenarien, die klaustrophobische Hilflo- Gniedel-Gitarren-Soli, die anderswo her Vakuumverglasung eher das, was man sigkeit aus „The Cube“ etwa, und digitali- unerträglich wären, nicht sieht. Denn mit dem, was B10 kann, siert sie sozusagen – es gibt eine Schnitzel- aber hier doch ge- ist es seinen Nachbarn mindestens eben- jagd mit Smartphones, ein geheimnisvol- nau richtig sind . bürtig, wenn nicht sogar überlegen: Das ler Ort in der Wüste, der sich als eine Art Und je länger man Haus produziert zweimal so viel Energie, Roswell-Variante der Matrix entpuppt. sich durch die Auf- wie es selbst braucht. Es ist zu 100 Prozent Aussehen tut das, obwohl „The Signal“ nahmen gräbt, recycelbar, was deswegen so wichtig ist, ein kleiner Indie-Film ist, spektakulärer desto besser wird weil das Bauwesen – nicht zuletzt dank all als mancher Blockbuster – William Eu- es. Peace! der ach so nachhaltigen Wärmeverbund- bank hat beim diesjährigen Sundance-Fes- systeme – für 60 Prozent des Sondermülls tival dafür viel Lob bekommen. Es ist erst verantwortlich ist. Und schließlich: Das sein zweiter Film, und man wird von die- Haus setzt die neueste Technik ein, um sem Filmemacher garantiert noch hören. Roxy Music den zukünftigen Bewohnern ein passge- Zu seinen faszinierendsten Effekten ge- Wir bleiben im Stadion, in den Siebziger- naues Zuhause zu bieten. hört die gruselige Entdeckung, die Nic an jahren und sogar in Amerika – und sich selbst macht: Seine Beine, die er für landen mit dem Mitschnitt von Roxy Das Haus lernt den Bewohner verletzt gehalten hat, sind unter den Ver- Musics Auftritt in der Oakland Arena im und seine Vorlieben kennen. bänden gar nicht mehr da – statt dessen be- Jahr 1979, „Showing Out“ (Easy Action) steht er nun zum Teil aus filigranen Stahl- doch in einer ganz anderen Welt: dem Besser, als ihm lieb ist Gebilden. Nur verliert Eubank hier leider grandios prätentiösen, seine Künstlich- gleichzeitigdie Kontrolle über seine Ge- keit glitzernd-dekadent ausstellenden, Was Werner Sobek, der Architekt von schichte: Nic findet heraus, dass ihm die herausfordernd androgynen Glam B10, visionärer Bauingenieur und Querden- Stahlhaxn Superkräfte verleihen – und Rock. Im Stadion, wo ja zwangsläufig ker seiner Branche, „das erste Aktivhaus das ist dann doch etwas viel Genre-Mix. Eu- auch noch die subtilsten Nuancen und der Welt“ nennt, lässt sich daher in zweifa- bank wollte die Computer-Logik aus Ein- Anspielungen so lange verstärkt wer- cher Hinsicht interpretieren. Zum einen ist sen und Nullen einer nebulösen Welt aus den, bis sie in der letzten Reihe vollkom- B10 aktiv, weil es dank ausgeklügelten Übersinnlichkeit gegenüberstellen – und men fertig in die Sitzschale fallen, hat Energiekonzepts – die Photovoltaikanlage hat sich damit schließlich doch etwas über- diese Musik eigentlich überhaupt auf dem Dach ist noch das simpelste Ele- nommen. susan vahabzadeh nichts verloren. Wobei die Band um den ment davon – so viel Strom aus nachhalti- ewigen Ober-Hipster Bryan Ferry eben gen Energiequellen produziert, dass es dieser Widerspruch gerade herausgefor- nicht nur zwei Elektroautos und zwei Elek- The Signal, USA 2014 – Regie: William Eubank. dert haben dürfte. Was passiert also mit trofahrräder, sondern auch noch das be- Drehbuch: Carlyle Eubank, David Frigerio, William der ganzen düsteren Ironie und der nachbarte Weißenhofmuseum im Le-Cor- Eubank. Kamera: David Lanzenberg. Mit: Laurence wahnwitzigen Klugheit dieser Band im busier-Haus mit Strom versorgen kann. Fishburne, Brenton Thwaites, Olivia Cooke. Cape- Stadion? Sie halten sich erstaunlich gut Zum anderen verdient das Fertighaus aber light/Wild Bunch/Central, 95 Minuten. im irren Crooner-Tremolo von Ferry: „In auch deshalb seinen Namen, weil es selbst every dream home a so viel leistet: Das Haus lernt fortwährend Fertighaus der Zukunft: Innerhalb von nur 24 Stunden war der von der Firma Schwör-Haus realisierte Bau an Ort und heartache“. Nur den Bewohner und seine Bedürfnisse ken- Stelle. 85 Quadratmeter Wohnfläche werden nun von einem selbstlernenden Gebäudesystem gemanagt. FOTO: ZOOEY BRAUN drumherum wird nen, um sich dann anzupassen. Es merkt NACHRICHTEN doch etwas zu sich zum Beispiel, welche Lichtstimmung schmerzfrei auf er mag, wenn er nach Hause kommt, wel- Bis 2018, so eine Studie des Informati- wir aufstehen und wie wir duschen. Sobald dass jeder Einzelne seinen Verbrauch dras- Der international gefeierte türkische Pia- Keyboards, Drums che Temperatur im Wohnzimmer und wel- onsunternehmens IHS, sollen 45 Millio- der Name Google in Zusammenhang mit tisch senken muss, wenn die Menschheit nist Fazil Say, 44, ist als Leiter des von und Gitarren zuge- che in der Dusche. B10 verwandelt sich da- nen Smart Home-Dienste in Häusern ein- persönlichen Daten fällt – und intimere als auf der Erde noch halbwegs eine Zukunft ihm gegründeten Musikfestivals in An- griffen. mit in gewisser Weise zum persönlichen gebaut werden, das Geschäftsvolumen für die Lebensgewohnheiten in den eigenen haben will. Dass wir das nicht allein mit talya zurückgetreten. Der neue Bürger- Fingerabdruck seines Benutzers. Smart-Home-Produkte wird in den nächs- vier Wänden kann man sich kaum vorstel-