Samstag, 17. August 2019 7 Stadtkultur

Die Beschreibung der Welt in Karten

Stadtbibliothek Atlanten sind wie andere Bücher Spiegel ihrer Zeit und laden zu Kopfreisen ein.

Angelika Maass International Atlas» aus dem Jahr 1942. Doch sie alle wirken gera- Ich gebs gleich zu: Diesmal habe dezu nüchtern im Vergleich mit ich mich nur von meiner Neugier den zwei- und dreihundert Jah- und der Schönheit der Objekte re älteren Prachtbänden. leiten lassen und bin darum auch beim zweiten Besuch oben in der Renommierobjekte Stadtbibliothek wieder bei den- Diese Werke wurden auch nicht selben Atlanten hängen geblie- für die Schule geschaffen, son- ben. Bei den alten, kostbaren mit dern für den kleinen Kreis derer, ihren handkolorierten Stichen. die es sich leisten konnten, Ade- Bei den Atlanten, in denen die lige, reiche Bürger. Sie sind nicht Welt oft nur zum Teil so er- nur ausgesprochen wertvoll, scheint, wie sie ist, und die Dar- sondern eigentliche Renommier- stellung ferner Länder, anderer objekte, bis weit ins 18. Jahrhun- Kontinente nicht selten von dert.Wer in ihnen blättert – denn abenteuerlicher Ungenauigkeit das ist mit der nötigen Vorsicht ist; dass Kalifornien eine Insel auch bei diesen Werken möglich sei, ist nur eine unter vielen. –, kann das angesichts des at- «Die grosse Welt in Winter- traktiven Druckbildes und der thur: Atlanten aus vier Jahrhun- vielen auf Kupferplatten gesto- derten» ist das aktuelle «Origi- chenen, ebenso sorgfältig wie at- nal des Monats» überschrieben, traktiv von Hand kolorierten Kar- und Winterthur spielt da eine be- ten, verziert mit Vignetten und sondere Rolle. Denn die Stadt be- Kartuschen, noch heute gut sitzt eine lange kartografische nachvollziehen. Ihren wahren Tradition, die mit der Lithogra- Wert wissen wohl nur Spezialis- phischen Anstalt Wurster & Cie ten einzuschätzen. so richtig begann, welche Jakob Schwer und gross sind die bei- Melchior Ziegler, selbst Autor von den besonders attraktiven alten Karten und Atlanten, 1842 zu- Atlanten: der «Newe Atlas oder sammen mit Johann Ulrich Weltbeschreibung» des nieder- Wurster gründete. ländischen Verlegers und Karto- Zieglers Unternehmung «ent- grafen Johannes Janssonius, 1638 wickelte sich später zum gröss- in zwei Bänden in Amsterdam ten und bedeutendsten privaten erschienen, erlesen in helles, mit Kartenverlag der Schweiz und er- Gold verziertes Pergament ge- langte als Kartographia Winter- bunden, und der «Grosse Atlas Aus dem «Grossen Atlas» von Johann Baptist Homann, Nürnberg 1737, mit der Dauphiné im Südosten Frankreichs, handkoloriert und thur Weltruf» (so zu lesen im über die Gantze Welt» von Jo- aufwendig verziert. Foto: Angelika Maass Aufsatz «Geschichte der schwei- hann Baptist Homann, 1737 von zerischen Kartographie» von seinem Nachfolger in Nürnberg Hans-Peter Höhener und Tho- verlegt. und seinen Kolonien, allen vor- man über die jeweiligen Länder, eine hydrografische Karte Schlachten und Genreszenen mas Klöti). Natürlich sind diese Werke an den beiden Amerika; im Titel Herzogtümer, Diözesen oder Deutschlands, eine Karte mit den zeigen. Neben einem frühen Beispiel europazentriert und die fernen des «Newen Atlas» heisst es ja Provinzen wusste; ausserdem Benediktinerklöstern in Deutsch- Als weitere Besonderheit kann mit zwei Dutzend farbig litho- Länder mitunter recht summa- auch: «… Sampt Ost- und West- vieles,was über die Geografie hi- land und den benachbarten Pro- Homanns Atlas – ein bisschen grafierten Karten aus Zieglers risch dargestellt, vor allem weil Indien, darvon gnugsam und vol- nausgeht (Mathematik, Physik, vinzen oder eine «Post-Charte Spass muss sein – eine Karte des Hand gehören zu den Exponaten sie erst in Teilen erforscht waren kommener bericht zufinden». Geschichte, Astronomie…). durch gantz Teutschland», in der Schlaraffenlandes bieten. Da lo- zwei Atlanten der 1920er-Jahre und man grundsätzlich weniger Das gilt auch für meinen Lieb- die Postrouten verzeichnet sind. cken denn Gegenden wie Rot- aus Winterthur, das während über sie wusste, zum andern aber Fast alles und mehr ling unter den zehn Original-At- Auch eine wunderschön far- nasonia und Gurgulia und Orte Jahrzehnten die Atlanten für auch, weil die fernen Länder Zum «vollkommenen Bericht» lanten, Homanns «Grossen At- bige Darstellung der «Flaggen al- wie Bechersgmund, Kotzing, Schweizer Sekundar- und Mit- meist erst dann interessant wur- gehören nicht nur die vielen Kar- las» (gross auch im Format: gut ler Seefahrenden Potenzen und Schlafsau, bevor man in Hunds- telschulen produzierte. Die bei- den, wenn man Nutzen aus ih- ten (bei denen man auch auf äl- 60 × 30 cm), den der Kartograf, Nationen in der gantzen Weldt» rausch und Schickihnheim landet. den Farbdruckwerke kommen nen ziehen konnte und sie Pers- tere Karten zurückgriff), sondern Verleger und Kupferstecher dem enthält der Atlas, Plan und Be- uns in ihrer Erscheinung schon pektiven der Macht spiegelten. zum Teil ausführliche Texte, in «unüberwindlichsten» Kaiser stückung eines Kriegsschiffes Original des Monats: Stadtbiblio- ganz vertraut vor, ebenso wie das Das merkt man im «Newen At- denen das Wichtigste oder über- und König Karl VI. gewidmet hat. oder detailreiche Stadtansichten, thek, Sammlung Winterthur, jüngste, der Londoner «Philips’ las» zum Beispiel bei Spanien haupt alles zu erfahren ist, was Himmelskarten finden sich da, dazu Bildvignetten, die ganze 4. Stock, bis Ende August. Hymnen zum Schwelgen Musikfestwochen Madrugada und Emilie Zoé tauchen heute die Steinberggasse in ein melancholisches Klangbad. Dazwischen kann man sich vom ästhetischen Gitarrenrock von Nothing But Thieves wegtragen lassen.

Die Songs von Emilie Zoé leben ne überlagert wird. Mit dem fol- Innovativ ist dieser Sound dem zwanzigjährigen von einer intensiven Stimmung, kigen «Sailor» kehrt das Album also nicht, aber er ist immerhin «Industrial Silence», mit dem die produziert durch konsequente am Ende zum vielversprechen- gut gemacht. Und das Spektrum Band 1999 bekannt wurde. An- Reduktion, darüber legt sich ihre den Anfang zurück. ist breit, es reicht von opulenten fang März spielte sie in Zürich, bewegliche, klangvolle Stimme. Stadionwalzen bis zu süffigen heute ist sie die Hauptband des Letztes Jahr war sie bereits drei- Verwandte von Muse Balladen, wobei auch in Ersteren Abends in der Steinberggasse. mal in Winterthur zu hören, zu- Zur jungen englischen Gitarren- das Gitarrengewitter gerne von «Industrial Silence» ist ein ab- letzt im Dezember im Kraftfeld. rockband Nothing But Thieves luftig-melodiösen Klangwolken wechslungsreiches Album mit ei- Heute eröffnet Zoé den Abend ist den Schweizer Medien noch gebrochen wird. Stets im Vorder- nigen sehr guten Songs, hinreis- auf der Steinberggasse. nicht viel eingefallen.Auf der Su- grund bleibt Masons hohe, meist send etwa das dunkel-verführe- Die Neuenburger Rockmusi- che nach Fakten stösst man unter inbrünstige Stimme, sie hält die rische «Electric» mit Elementen kerin war drei Jahre mit Anna anderem auf Trump, der dazu musikalischen Einfälle zusam- aus dem Country. Aaron auf Tour, ihr erstes Album rät, den Brand von Notre-Dame men. Zu den besten Madrugada- «Dead-End Tape» erschien 2016. in Paris mit Wasserflugzeugen Songs zählt ferner «The Kids Are Die dominierende Gefühlslage zu löschen. Vielleicht ist es das Tiefgründige Norweger on High Street» vom 2005 er- auf dem im November 2018 er- Wort «Thieves» (Diebe), das hier Weit dringlicher und tiefgründi- schienenen Album «The Deep schienenen zweiten Album «The die Verbindung zum amerikani- ger als bei Mason wirkt der so- End»; der Drive und die Melodie- Very Start» ist dunkel und me- schen Präsidenten herstellt. Es nore Gesang von Sivert Høyem, bögen erinnern hier an die kali- lancholisch und kommt in Song- passt tatsächlich auch zu dieser dem Frontmann der wieder auf- fornische Band R.E.M. Bekannt titeln wie «A Fish in a Net» und Band: Im Gesang von Conor Ma- erstandenen norwegischen Band ist auch das runde «Majesty», «Loner» zum Ausdruck. son sind Ähnlichkeiten zu Muse Madrugada. 2008, ein Jahr nach eine ruhige, sehnsüchtig-melan- In «6 O’Clock» allerdings, dem und zum bombastischen Rock dem Tod des Gitarristen Robert cholische Ballade vom Album eingängigen ersten Song, erin- der 1980er-Jahre feststellbar. Der Burås, hatte sich die Band auf- «Grit» von 2002. (dwo) nert das Material an die frühen Comeback nach über zehn Jahren Pause: Madrugada. Foto: PD englische «Guardian» bezeich- gelöst – im selben Jahr waren sie Coldplay, der Gesang ist warm nete das letzte, im November noch an den Musikfestwochen Samstag, Musikfestwochen, Stein- und eindringlich: Musik, die so- 2017 erschienene Album «Bro- aufgetreten. Danach widmete berggasse: Emilie Zoé: 18.45 Uhr. fort für sich einnimmt. Melodiös «The Barren Land», wo auf ein erliches Lied folgt, das am Ende ken Machine» sogar als «Fusion» sich Høyem seiner Solokarriere. Nothing But Thieves: 20.30 Uhr. ist auch das hübsche «Dead Birds längeres, choralartiges Intro ein von schmerzhaften Störgeräu- aus Muse und (den frühen) Ra- Jetzt ist er mit Madrugada auf Madrugada: 22.25 Uhr. Es sind Fly». Eine Überraschung bietet zügig vorgetragenes, etwas fei- schen wie von einer Bohrmaschi- diohead. Comeback-Tour, und zwar mit noch Tickets erhältlich.