Der Feldherr Von Zentropa Der Dänische Quälgeist Und Regie-Monomane Lars Von Trier Zeigt in „Dogville“ Ein finsteres Amerika
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Kultur REGISSEURE Der Feldherr von Zentropa Der dänische Quälgeist und Regie-Monomane Lars von Trier zeigt in „Dogville“ ein finsteres Amerika. Demnächst soll er Wagners Bayreuther Götter das Fürchten lehren. Von Urs Jenny itten in Hvidovre, einem Vorort Lars von Trier hat zwei Filme gemacht, von Kopenhagen, gibt es einen die in Amerika spielen, und mindestens Mkleinen Platz, der wie das Zen- zwei weitere sollen folgen. Ihn selbst trum eines amerikanischen Provinzkaffs stört es nicht, dass sein Amerika eine in aussieht, wo vor drei oder vier Jahrzehn- Hvidovre erfundene, aus vielerlei Filmen ten die Zeit stehen geblieben ist. Ein paar und aus Büchern von Mark Twain oder verdreckte Oldtimer mit Nummernschil- Steinbeck oder Faulkner zusammenphan- dern aus Virginia stehen herum, darüber tasierte Kunstwelt ist. Doch schon sein der blanke dänische Himmel: eine rundum erster Amerika-Film, das überwältigende geschlossene Filmkulisse. Hier dreht der Melodram „Dancer in the Dark“ (2000) Regisseur Thomas Vinterberg („Das Fest“) mit der Popsängerin Björk in der Rolle ei- den Film „Dear Wendy“, den er zusammen ner aus Osteuropa stammenden Fabrikar- mit Lars von Trier geschrieben hat. Und beiterin, die einem Justizmord zum Opfer welcher Star spielt Wendy? „Wendy is the fällt, erregte Unmut: Manche amerikani- name of a gun“, sagt Trier. Aber man sieht: sche Kritiker fanden, empfindlich wie sonst Da entsteht, made in Denmark, einmal nur Kleinstaatler, Trier habe ihr Justizsys- mehr ein ungemein amerikanischer Film. tem in ein schmählich schiefes Licht ge- Von Amerika kommt er nicht los. Lars rückt. Dabei hatte er den Knoten des Gal- von Trier, wie wohl fast jedermann, hasst genstricks, mit dem die Heldin exekutiert Amerika und liebt Amerika – beides sehr wird (eine Spezialität des Bundesstaats heftig. Das Besondere an seinem Fall ist, Washington), akkurat nachknüpfen lassen. dass das Amerika seiner Filme ausgedacht Auch Triers neuer, im Mai beim Festival ist. Er war noch nie dort und wird „ziem- in Cannes uraufgeführter Amerika-Film lich sicher“ (Trier) auch nie dorthin kom- „Dogville“, der nun, drei Stunden lang, in men: Dem steht seine Flugangst entgegen, die deutschen Kinos kommt, hat im Mut- seine Reiseangst überhaupt, seine legen- terland der Demokratie Missfallen erregt: däre Klaustrophobie und die ganze Horde Vom Prinzip der Demokratie gebe, so heißt weiterer Phobien, die hinter seiner kom- es, „Dogville“ eine ganz erbärmliche Vor- „Dogville“-Star Kidman, Regisseur Trier: Ganz plizierten Seele her sind. stellung. Und wenn schon. Trier macht es Wie lächerlich! Er ist, neben Pedro Al- sich und seinem Publikum nicht leicht: Am verlassen, doch ohne Seelsorger, seit sich modóvar, der berühmteste, wirkungsmäch- Anfang scheint alles so schön und gut zu der letzte Pfarrer davongemacht und das tigste europäische Filmemacher seiner Ge- sein, dass man seinen Augen kaum traut, Feld für einen hochmütigen jungen Spinner neration, und da steht er nun – kurz, kom- und am Ende ist es so ganz und gar böse, geräumt hat, der nun im Bethaus Moral- pakt und stoppelbärtig – unter dem hellen dass es einem den Atem verschlägt. predigten hält. Gott schaut (in der ersten Himmel von Hvidovre und lacht über die Man muss sich Dogville als ein Kaff am Einstellung des Films) aus sehr großer Höhe eigene Lächerlichkeit wie ein Faun. Arsch der Welt vorstellen. Nicht total gott- auf dieses Dogville und seine Einwohner Es gelinge ihm ja, sagt er, seinen Phobien ein Schnipp- chen zu schlagen, indem er im eigenen Wohnmobil auf Rei- sen gehe – etwa nach Cannes zu den Filmfestspielen oder neuerdings nach Bayreuth –, doch in Deutschland werde ihm schon kurz hinter der Grenze der Hamburger Elb- tunnel zum unpassierbaren Hindernis. Was für eine Posse! Er lässt sich die Glückstädter CINETEXT CINETEXT Elbfähre empfehlen. „Europa“, 1991, mit Barbara Sukowa „Breaking the Waves“, 1996 172 der spiegel 43/2003 tains. Sie scheint „die verfolgte Verletzlichkeit rührt mancher Schmerz- Unschuld“ in ihrer ganzen Blü- moment ans Unerträgliche. tenreinheit zu sein, wie sie aus In Hvidovre, Dänemark, liegen, rundum den empfindsamen Romanen hinter der potemkinschen Amerika-Kulisse des 18. Jahrhunderts (und de- von „Dear Wendy“ verborgen, die Büro- ren Gegenstücken aus der Feder und Lagergebäude des dänischen Produk- des Marquis de Sade) bekannt tionszentrums Filmbyen, zu dessen Grün- ist, auch aus Opern des 19. und dern und Hauptträgern Lars von Triers Stummfilmen des frühen 20. Firma Zentropa gehört. Was Filmbyen Jahrhunderts: Sie heißt Grace, fehlt, ist eine große Atelierhalle, deshalb und schon dieser Name gibt ihr ist Trier für die Produktion von „Dancer in über die Schönheit hinaus eine the Dark“ und dann auch für „Dogville“ messianische Aura. nach Schweden gegangen. Er überschaut Natürlich nimmt der junge das Filmbyen-Gelände, als wäre es sein Spinner und Möchtegern-Dich- Reich, doch paradoxerweise hat er dort ter namens Tom sie in seine noch nie gedreht. Für ihn ist es der Ort, wo Obhut. Er bewirkt, dass die an- er seine Filmwelten ausheckt. fangs misstrauische Gemeinde In der abgelegensten Ecke, hinter einem der Fremden ein Eckchen ein- Erdwall versteckt wie das Zwergenheim räumt – um den Preis, dass hinter den sieben Bergen, hat sich Lars von Grace sich im Turnus bei allen Trier in einem Schuppen eine geräumige rundum als Hilfskraft in Haus Schreibklause eingerichtet: Computer und oder Garten oder auf dem Video-Elektronik, durchgesessene Polster- Acker gefällig macht. Grace in garnituren und ein Ruder-Trimmgerät, eine ihrer unendlichen Sanftmut und Kaffeemaschine und vielerlei Souvenir- unerschöpflichen Güte scheint Krimskrams bis hinab zu einem post- Wunder zu wirken, das dürre kartenkleinen Bild von Ludwig II. Dem Dorf scheint zu erblühen. Märchenkönig zuliebe hat er einen seiner Doch dann, Schrittchen um Söhne Ludwig genannt, und bei der nächs- Schrittchen, wendet das Wetter ten Deutschland-Reise, wenn sie denn sein sich: Das Gute, das Grace ver- muss, soll Neuschwanstein auf dem Pro- körpert, weckt in ihren Nach- gramm nicht fehlen. barn das Böse; sie lehnen sich Wenn Trier über „Dogville“ spricht, auf und schlagen zurück, als spricht er über sich selbst. „Ganz unbe- hätte sich Grace’ allerchristlichs- dingt ist das der persönlichste Film, den ich te Nächstenliebe, von Tag zu je gemacht habe.“ Er selbst, sagt er, sei im Tag unzumutbarer, in einen höl- Grunde wie Tom, dieser besserwisserische lischen Tugend-Terror verwan- Moralist, der sich, wenn es wirklich darauf delt. Ist Reinheit etwas so Un- ankommt, als Scheißkerl erweist. Doch er erträgliches, dass sie nach Be- sehne sich mit allen Fasern danach, wie sudelung schreit? Grace zu sein: durch und durch menschen- Die schöne Fremde – durch freundlich und hilfreich und gut. Irgend- die Frauen immer fieser gede- wie ist er noch immer der Junge, den die mütigt, durch die Männer im- Vorstellung verwirrt, seine Mutter habe sich mer brutaler missbraucht – ver- eigentlich ein Mädchen gewünscht. „Dass ROLF KONOW / ZENTROPA KONOW ROLF sucht vergeblich zu fliehen, und ich sein will wie Grace – bedeutet das, dass und gar menschenfreundlich und hilfreich und gut dann scheint ihr Leidensweg ich eine Frau sein möchte? Als ich klein schnurgerade vom Schlimmen war, habe ich mich immer ein bisschen ge- herab: Wie kleine Figürchen auf einem zum Schlimmeren und Allerschlimmsten schämt, ein Junge zu sein. Vielleicht schä- Spielbrett wirken sie da. zu führen. In der unsentimentalen Gerad- me ich mich noch immer. Schauen Sie sich Es sind die dreißiger Jahre der Armut linigkeit und Genauigkeit dieser Passions- doch um: Alle Bösewichter sind Männer. und Dürre und Depression. Eine schöne erzählung erweist sich Lars von Trier, mehr, Gibt es irgendwas Gutes auf der Welt, was junge Frau tritt auf, gehetzt, außer Atem, als man ihm zugetraut hätte, als großer die Männer gemacht haben? Nur die Frau- und hofft auf eine Bleibe, ein Asyl in dem Dramatiker, und durch das Spiel von Ni- en sind gut. Mein Leben ist von meinen weltvergessenen Nest in den Rocky Moun- cole Kidman in der hellsten Glorie ihrer Ängsten bestimmt. Vielleicht möchte ich mich wie die Heldinnen mei- ner Filme aufopfern, um die Welt zu erlösen.“ Ängste, wenn man dafür anfällig ist, lauern in jeder Si- tuation, die man nicht unter Kontrolle hat, und weil es im realen Leben bekanntlich von Fallen wimmelt, ist für den DPA Phobiker der Beruf des Regis- Trier-Filme Immer noch eine Passion der DEFD „Idioten“, 1998 „Dancer in the Dark“, 2000, mit Björk und Catherine Deneuve verfolgten Unschuld der spiegel 43/2003 173 DPA MIKKEL OSTERGAARD MIKKEL OSTERGAARD Bayreuther „Ring“-Inszenierung (2000), künftiger Bayreuther „Ring“-Regisseur Trier: „Alle Bösewichter sind Männer“ seurs so verlockend und so gefährlich und schwerlich ertragen. Es geht um schöne Der Vater, offenbar stiller und eher dem so optimal: immer alles im Griff, immer al- Kunstfiguren, um eine Form, um eine Sozialdemokratischen zugeneigt, hatte jü- les auf Kommando! Dass er ein gnadenlos ästhetische Idee von Erlösung.“ dische Vorfahren, und der junge Lars lief, perfektionistischer Kontrollfreak sei, ist Trier besteigt ein tarnfarbig geschecktes um sich auf seine jüdische Identität zu tes- nicht das Schlimmste, was man Lars von Elektromobil, um durch Filmbyen zu gur- ten, gelegentlich mit einer Kipa auf dem Trier nachsagt. Doch er gibt zu: Es ist ken, ziemlich feldherrenmäßig. Vor einem Kopf herum. Auch die weitaus bedeutends- schlimm, und bei der Dreharbeit muss er Jahrhundert war das Gelände eine friedli- te Rolle, die er je in einem eigenen