Anne Grüne Formatierte Weltkultur?

Edition Medienwissenschaft

Anne Grüne (Dr. phil.), geb. 1983, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habili- tandin am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universi- tät Erfurt. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich Alltagskultur und Lebensweltkommunikation, Wissensgesellschaft, Medien und Globalisierung. Anne Grüne Formatierte Weltkultur? Zur Theorie und Praxis globalen Unterhaltungsfernsehens

Bei der vorliegenden Schrift handelt es sich um eine Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt.

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Danksagung | 9

1. Einleitung: Unterhaltungskommunikation und Fernsehen in globaler Perspektive | 11 1.1 Formatiertes Fernsehen im 21. Jahrhundert | 21 1.2 Unterhaltungskommunikation und Fernsehformate in der Kultur- und Kommunikationswissenschaft | 37 1.3 Forschungsleitende Fragen | 48 1.4 Aufbau der Arbeit | 52

2. Theoretische Rahmung | 55 2.1 Medien- und kommunikationswissenschaftliche Theorieangebote | 56 2.1.1 »Re-Kodierung« und Bedeutungstransfer: Theoretische Reflexionen zum Kommunikationsmodell von Stuart Hall | 57 2.1.2 Produzenten als »kulturelle Gatekeeper« grenzüberschreitender Medienkommunikation | 77 2.1.3 Rezipienten als »kulturelle Agenten« grenzüberschreitender Medienkommunikation | 85 2.2 Kulturwissenschaftliche Theorieangebote | 102 2.2.1 Die zentrale Bedeutung von »Kultur« | 103 2.2.2 Populäre Kultur, Unterhaltungskommunikation und »kulturelle Öffentlichkeit«: Die gesellschaftliche Relevanz von Unterhaltung | 113 2.2.3 Transkulturalität als Kennzeichen heutiger Gesellschaften | 120 2.2.4 Hybridisierungstheorien kultureller und medialer Globalisierung | 129 2.2.5 »Kulturelle Nähe« im Text-Rezipienten-Verhältnis | 137 2.3 Globalisierungstheoretische Grundlagen | 147 2.3.1 Theorieansätze globaler Medienkommunikation | 151 2.3.2 Revisionistische Debatten globaler Medienkommunikation | 154 2.3.3 Alternative Theorieangebote kultureller Globalisierung: »Glokalisierung«, kulturanthropologische Ansätze und Perspektiven der transkulturellen Medienkulturanalyse | 159 2.4 Theoriematrix: Grenzüberschreitende Unterhaltungs- kommunikation am Beispiel von Fernsehformaten | 168

3. Analysedesign | 175 3.1 Methodische Grundlagen, Vorgehen und Feldzugang | 178 3.1.1 Inhaltsanalyse | 180 3.1.2 Gruppendiskussionsverfahren | 187 3.1.3 Experteninterviews | 199 3.2 Auswahl der Fallbeispiele | 203 3.2.1 Formate: WHO WANTS TO BE A MILLIONAIRE und | 203 3.2.2 Regionen: Deutschland und Ägypten | 209

4. Kreislauf der Unterhaltungskommunikation: Fernsehformate in Deutschland und Ägypten | 213 4.1 »Glokale Texte«: Die Formatversionen im Vergleich | 214 4.1.1 Die Quizshows WER WIRD MILLIONÄR und MAN SAYARBAH AL-MALYOON im Vergleich | 214 4.1.1.1 (Trans-)Kulturelles (Un-)Wissen?: Analyse der Inhaltsdimension | 217 4.1.1.2 Lehrer, Schüler und Statisten: Analyse der Figuren | 232 4.1.1.3 Hollywood im Spielformat: Analyse der televisuellen Gestaltung | 247 4.1.1.4 »Quizshow« oder »Bildungsquiz«? Der feine Unterschied in Narrations- und Deutungsangeboten | 251 4.1.1.5 Gesellschaftliche Nachwirkungen zwischen Bildungsauftrag und Identitätsbildung: Kontextanalyse der MILLIONÄR-Versionen | 258 4.1.2 Die Castingshows DAS und GOT TALENT im Vergleich | 264 4.1.2.1 (Trans-)Kulturelles (Anti-)Talent? Analyse der Inhaltsdimension | 266 4.1.2.2 »Der Superstar im Zeitalter seiner medialen Reproduzierbarkeit«: Analyse der Figuren | 276 4.1.2.3 Inszenierung der Superlative: Analyse der televisuellen Gestaltung | 293 4.1.2.4 Zwischen »Können« und »Sein«: Narrations- und Deutungsangebote | 296 4.1.2.5 Fernsehen zwischen »Qualität« und »Trash«: Kontextanalyse der GOT TALENT-Versionen | 300 4.1.3 Zwischenfazit: »Globale Spiele, lokale Siege«? Multidimensionale Glokalisierung in Fernsehformaten | 302 4.2 »Lokale Interpreten«: Die Rezeption von Unterhaltungsformaten im Vergleich | 310 4.2.1 (Trans-)Kulturelle Anschlussdiskurse | 312 4.2.1.1 Authentizitätsdiskurs | 324 4.2.1.2 Normativer Diskurs | 334 4.2.1.3 Identitätsdiskurs | 341 4.2.1.4 Wissensdiskurs | 352 4.2.2 (Trans-)Kulturelle Rezeptionshaltungen: »Skeptische« Rezipienten glokaler Fernsehunterhaltung | 353 4.2.3 (Trans-)Kulturelle Referenzen: Wissensrahmen der Rezipienten | 360 4.2.3.1 Intertextuelle Referenzen | 360 4.2.3.2 Intermediale Referenzen | 363 4.2.3.3 Alltagsweltliche Referenzen | 364 4.2.4 Exkurs: Fernsehgespräche und Anschlussdiskurse im Vergleich | 367 4.2.5 Exkurs: Zur Konstruktion der »Authentizität des Fremden« | 371 4.2.6 Zwischenfazit: (Trans-)Kulturelle Interpretationssynchronisation? | 375 4.3 »Globale Gatekeeper«: Innenperspektiven der Produktion im Vergleich | 381 4.3.1 Strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen des Formattransfers in Deutschland und der arabischen Welt | 383 4.3.2 Individuelle Lesarten der Unterhaltungsproduzenten | 402 4.3.2.1 Produzenten-Lesarten von MILLIONÄR: Unterhaltung versus Bildung im Quizformat | 407 4.3.2.2 Produzenten-Lesarten von GOT TALENT: Emotionalisierung versus Emanzipation im Castingformat | 413 4.3.3 Zwischenfazit: (Trans-)Kulturelle Produktionsgemeinschaften | 418

5. Zusammenführung und Fazit | 421 5.1 Muster grenzüberschreitender Unterhaltungskommunikation am Beispiel des Formattransfers in Deutschland und Ägypten | 421 5.2 Die Antinomie von Glokalisierung und Globalisierung: Ein theoretischer Ausblick zum Verhältnis von Globalisierung und transkultureller Unterhaltungskommunikation | 429 5.2.1 Unterhaltungskommunikation als Wegbereiter einer diskursiven Weltkultur? | 433 5.2.2 Unterhaltungskommunikation als Wegbereiter eines »kulturellen Kosmopolitismus«? | 442

Literaturverzeichnis | 445 Anhang | 471 Abkürzungsverzeichnis | 471 Abbildungsverzeichnis | 472 Tabellenverzeichnis | 473 Hinweise zur Transkription und Schreibweise des Datenmaterials | 474 Leitfaden der Gruppendiskussionen | 475 Leitfragen der Experteninterviews | 477

Danksagung

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um meine Dissertation über die Globa- lisierung von Unterhaltungskommunikation, die ich an der Universität Erfurt einge- reicht und auf der Grundlage der beiden ausführlichen Gutachten von Prof. Dr. Kai Hafez und Prof. Dr. Joachim R. Höflich leicht bearbeitet habe. Dass ich die Herausforderung eines deutsch-ägyptischen Vergleichs von Unter- haltungskultur angenommen habe, geht auch auf wichtige Impulse meiner früheren Dozenten am Institut für Kulturwissenschaften der Universität Leipzig, insbesonde- re von Prof. Dr. Gunnar Otte, zurück. Mein außerordentlicher Dank geht aber an Prof. Dr. Kai Hafez, der das Projekt von Anfang an unterstützt und mich immer for- dernd, kritisch und zugleich mit großer akademischer Anerkennung beraten hat. Seine fachliche, strukturelle wie kollegiale Unterstützung im akademischen Alltag gab mir die nötige Bestärkung, die es in der Evolution aufwendiger Forschungspro- jekte neben der universitären Lehre und Administration von Zeit zu Zeit braucht. Ich danke ihm für den wertvollen intellektuellen Austausch und die wissenschaftli- che wie persönliche Sensibilisierung für Fragen nach einem verantwortungsvollen und anerkennenden grenzüberschreitenden Dialog sowie einem kosmopolitischen Bewusstsein in einer Zeit, in der die öffentliche Wahrnehmung der arabischen be- ziehungsweise islamisch geprägten Welt nach wie vor von negativen Stereotypen und Ressentiments geprägt ist. Dass diese arabische Welt natürlich komplexer, lebendiger und mitunter der ei- genen Lebenswelt viel ähnlicher ist, als es die politische Auslandsberichterstattung oft glauben macht, konnte ich selbst während meines Forschungsaufenthalts in Kai- ro erleben. Dank der finanziellen Unterstützung der Universität Erfurt und der ide- ellen Bereitschaft vieler Ägypterinnen und Ägypter, mir zu helfen, konnte ich wich- tige Untersuchungen für meine Rezeptionsstudie durchführen und meinen eigenen Wissenshorizont in interessanten Gesprächen und Beobachtungen erweitern. Ganz besonders danke ich in diesem Zusammenhang Dr. Hanan Badr und ihrer Familie, die mich vor und während meines Forschungsaufenthalts in Ägypten mit zahlrei- chen Ratschlägen versorgt hat. Dem English Department der Cairo University, vor

10 | FORMATIERTE WELTKULTUR? allem Prof. Randa Aboubakr, Walid El-Hamamsy und Prof. Loubna Youssef, ge- bührt mein Dank für eine herzliche und unbürokratische Unterstützung meiner For- schung ebenso wie Tarik Bary und Omar, die mich mit ägyptischen Schülerinnen und Schülern in Kontakt bringen konnten. Auch in Deutschland war der Feldzugang eine Herausforderung und ich danke den Schülerinnen und Schülern, Studentinnen und Studenten, die sich bereit erklärt haben, mit mir über Unterhaltungssendungen zu diskutieren. Frau Prof. Dr. Carola Richter und Frau Prof. Dr. Stefanie Averbeck-Lietz haben mich dankenswerterwei- se bei der Suche nach Teilnehmern und der Durchführung der Studie unterstützt und ich danke auch den kooperierenden Lehrerinnen und Lehrern, Schulleiterinnen und Schulleitern, die an dieser Stelle aus Gründen der Anonymität nicht namentlich genannt werden. Darüber hinaus ist auch den vielen Akteuren der Fernsehbranche sowie den Kandidatinnen und Kandidaten der Sendungen zu danken, die sich die Zeit für meine Fragen genommen haben. Marco Schein und Franziska Galek haben mich über viele Wochen bei der digitalen Aufnahme der Sendungen unterstützt. Rachid Chouhaj, Vicky Feghali, Wael Zayed, Haki Iman und Afifa el-Bayed haben mir darüber hinaus durch ihre Übersetzungshilfe ermöglicht, die arabischen Format- adaptionen zu verstehen. Neben der konkreten Hilfe in den unterschiedlichen Untersuchungsabschnitten, möchte ich auch denen danken, die mich inhaltlich und emotional durch dieses Pro- jekt begleitet haben. In diesem Zusammenhang gilt allen Doktorandinnen und Dok- toranden von Prof. Dr. Kai Hafez ein Dankeschön für den angenehmen Erfahrungs- austausch und das produktive Mitdenken. Ganz besonders danke ich meiner Kolle- gin Sabrina Schmidt für den loyalen, inspirierenden und beruhigenden Austausch im Forschungs- und Universitätsalltag. Alexandra Bendixen und Anke Hofmann waren nicht nur meine ersten kritischen Leserinnen, sondern ebenso wie Tabea Ma- ger, Julie Janković und Anke Engel auch Freunde, die die Promotionsphase gedul- dig mit mir geteilt haben. Dies gilt ebenso für meine Familie, auf deren vielfältige Unterstützung ich zählen konnte. Ein großes Danke vor allem an meine Eltern Ka- ren und Gerald Kretzschmar für all den Einsatz und uneingeschränkten Rückhalt, Danke auch an Sabine und Wolfgang Grüne. Ein besonderer Dank gilt Matthias Grüne, der das aufbauende und bereichernde Back-up in dieser Zeit lieferte. Und Anton, Dir danke ich für Deine Neugier am reichen Leben jenseits der globalen Un- terhaltungskultur, das ich mit Dir entdecken konnte und die mir die Lust am »erklä- renden Verstehen« der Welt neu perspektiviert hat.

Leipzig, im März 2016

1. Einleitung: Unterhaltungskommunikation und Fernsehen in globaler Perspektive

Unterhaltungsangebote definieren die Grenzen unserer Kommunikationsräume neu, da sie nationale und kulturelle Demarkationen durch ihren weltweiten Erfolg scheinbar auflösen. Diese Feststellung ist unentbehrlich, um eine Arbeit über Glo- balisierung, Kultur und Fernsehen zu beginnen. Die Produkte der Unterhaltungs- und Kulturindustrie, die heute weltweit zirkulieren, sind zu einem beliebten Be- zugspunkt in den internationalen Debatten um die kulturelle Dimension der Globa- lisierung geworden. In diesem Zusammenhang spricht Stuart Hall sogar von einer neuen Medien- und Informationsrevolution, durch die »Kultur zunehmend produ- ziert, verbreitet und ausgetauscht werden« könne, was wiederum die »Struktur spät- moderner Gesellschaften«, die Verteilung materieller und menschlicher Ressour- cen, die Konstruktion kultureller Identitäten und die Entwicklung der globalen Ord- nung stärker denn je beeinflusse.1 Ähnlich sehen Andreas Hepp oder Friedrich Krotz heutige Kulturen bereits soweit transformiert, dass sie ohne die Bedeutungs- ressourcen der Medien kaum mehr vorstellbar seien.2 Ob Annahmen einer engen Verzahnung oder gar Konvergenz von Medien- und Kulturentwicklung allerdings am Beispiel vielschichtiger gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklun- gen bestätigt werden können, bleibt zu untersuchen.

1 Hall, Stuart (2002): Die Zentralität von Kultur. Anmerkungen über die kulturelle Revo- lution unserer Zeit. In: Hepp, Andreas; Löffelholz, Martin (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation. Konstanz: UVK, S. 95ff. 2 Hepp, Andreas (2013): Medienkultur. Die Kultur mediatisierter Welten. 2. Aufl. Wies- baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; Krotz, Friedrich (2011): Die Mediatisie- rung kommunikativen Handelns. Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch Medien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf- ten, S. 33ff.; Ders. (2007): Mediatisierung. Fallstudien zum Wandel von Kommunika- tion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 30ff.

12 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

Zweifel sind vor allem angebracht, wenn es um die Konstitution eines globalen kulturellen Gleichklangs geht, der durch die weltweite Verbreitung von Unterhal- tung entstehen könnte. Denn die Frage, in welchem Ausmaß globale Unterhaltung tatsächlich alltägliche lokale Lebenswelten prägt, welche konkreten gesellschaftli- chen Implikationen den zirkulierenden alltagskulturellen Ressourcen innewohnen, blieb von denen, die durch westliche Medien geprägte Homogenisierungstendenzen befürchteten, in den meisten Fällen unbeantwortet. Stattdessen haben inzwischen revisionistische Arbeiten auf die Grenzen und Schwächen der kulturellen und medi- alen Globalisierungsthesen hingewiesen. Die Globalisierung der Medien ist, wie Kai Hafez zu bedenken gibt, in den meisten Fällen eher Mythos geblieben denn Re- alität geworden.3 Beispielsweise ist eine wirklich universale Qualität wohl nach wie vor eher wenigen grenzüberschreitenden Medien- und Kulturangeboten vorbehal- ten. Dabei sind selbst die offensichtlichsten Beispiele wie Hollywoodfilme oder Popmusik bei genauerem Hinsehen von hybriden kreativen Bezügen durchdrungen und lassen damit eine Bilanz westlich geprägter Standardisierung weitaus kom- plexer erscheinen, als es etwa Thesen einer sogenannten »Amerikanisierung« häu- fig vorgeben. Natürlich haben Technik und Ökonomie in den letzten Jahrzehnten Strukturen der weltweiten Integration geschaffen – gleichzeitig aber haben sie auch Ausgrenzungen und Differenzen verstärkt. Nicht jeder4 hat Zugang zu den schein- bar globalen Ressourcen, nicht jedes Produkt kann beliebig zirkulieren, und globale Partizipation bleibt häufig eine Utopie. Vor allem aber haben inzwischen zahlreiche Studien auf die Bedeutung der lokalen Nutzung und Aneignung hingewiesen. Ein- zelne global verfügbare Medienangebote lassen demnach theoretisch diverse lokale Deutungsmuster und Umgangsweisen zu. Welche Form und welche Bedeutung hat also eigentlich die »kulturelle Begegnung« in der Verpackung medialer Unterhal- tung? Selbst Revisionisten wie Hafez erkennen an, dass Unterhaltung vielleicht die eigentliche und wirksamste Domäne einer kulturellen Globalisierung ist.5 Kulturelle Begegnungen in Form von Unterhaltungskommunikation zielen dabei nicht allein auf einen Austausch, in dem die Kreativität des einen zur Unterhaltung des anderen wird. Gerade in den scheinbar leichten Genres wie der Populärmusik oder den populärkulturellen Angeboten in Film und Fernsehen kommt es immer häufiger zu Mischungen von kreativen Ausdrucksformen. Lady Gaga etwa verarbeitet Anspie- lungen auf arabische Oud-Klänge in ihren Songs, die ursprünglich afro-amerika- nische Ghetto-Subkultur Hip-Hop findet Adaptionen im Rap der arabischen Rebel-

3 Hafez, Kai (2005): Mythos Globalisierung. Warum die Medien nicht grenzenlos sind. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 4 Mit der Nennung der männlichen Bezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint. 5 Ebd., S. 115ff.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 13 lion und von Bollywood inspirierte Szenen haben inzwischen auch Eingang in die Bilderwelten Hollywoods gefunden. Kulturelle Globalisierung erscheint dann vor allem als Hybridisierung und nicht als bloße Standardisierung von Kreativität. Inso- fern ist die mediale öffentliche Alltagskommunikation im 21. Jahrhundert vor allem von Prozessen des Vermischens, des Transzendierens und des Wechselwirkens ge- kennzeichnet. Viele Phänomene gehen »durch Kulturen hindurch«,6 wie das Bei- spiel von internationalen Fankulturen illustriert oder die internationale Rezeption von globalen Medienevents wie einer Fußball-WM. Diese Überlegungen zum Zu- sammenhang von Globalisierungsdynamiken, Medienkommunikation und Kultur sind bei weitem nicht neu. Homogenisierung, Heterogenisierung und Hybridisie- rung bilden die etablierte Trias der »kulturellen Szenarien« unter dem Einfluss der Globalisierung von Medienkommunikation. Die Frage nach der Art kultureller Wandlungsprozesse wird die theoretische Hintergrundfolie der Arbeit sein, die mit dem Fernsehen ein klassisches Unterhaltungsmedium in den Mittelpunkt der Dis- kussion um globale Medienkommunikation rückt. Durch seine – zumindest theoretische – globale Reichweite galt das Fernsehen mit seinen international zirkulierenden Nachrichten- und Unterhaltungsangeboten wie CNN oder DALLAS lange als Dreh- und Angelpunkt für Diskussionen um die kulturellen Folgen der Globalisierung. Durch Digitalisierung, immer neue mobile Kommunikationsmöglichkeiten, durch Tendenzen der Medienkonvergenz und der Popularität von Sozialen Medien im Internet eröffnen sich allerdings längst völlig neue Möglichkeiten und Untersuchungsgegenstände medienvermittelter kultureller Begegnungen. Gerade aufgrund der hohen Entwicklungsdynamik und der Vernet- zung von Medienumgebungen mag es daher nicht verwundern, wenn heute die Re- levanz und Aktualität von Einzelmedienforschung in Frage gestellt wird. Allerdings muss die Betrachtung spezifischer Entwicklungen eines klassischen Massenmedi- ums wie dem Fernsehen nicht bedeuten, dass generelle Entwicklungen der Medien ignoriert werden. Häufig sind gerade partielle Entwicklungen von Einzelmedien als Reaktion oder Symptom umfassender gesellschaftlicher, technischer und medialer Veränderungen zu bewerten und somit kaum als isolierte Phänomene zu verstehen. Die vorliegende Arbeit wird mit international gehandelten Fernsehformaten eine solche spezifische Entwicklung der Unterhaltungsproduktion im Fernsehen zum Gegenstand haben. Der Transfer von Fernsehformaten ist seit den 1990er Jahren zu einem interna- tional sichtbaren Modus der Unterhaltungsproduktion geworden. Lizenzierte, also formal konventionalisierte Konzepte, Ästhetiken und Rahmenerzählungen werden weltweit vertrieben und in unterschiedlichsten Fernsehmärkten mit mehr oder we- niger offensichtlichen Eingriffen als adaptierte Versionen reproduziert. So werden

6 Hepp, Andreas; Löffelholz, Martin (2002): Transkulturelle Kommunikation. In: Dies. (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation. Konstanz: UVK, S. 14.

14 | FORMATIERTE WELTKULTUR? in zahlreichen Regionen der Welt neben Millionären auch Superstars und Tänzer im Spielformat gesucht, es werden Modelkarrieren geebnet und selbst private Lebens- bereiche von der Erziehung bis hin zur Ehetauglichkeit werden öffentlich auf ihre jeweilige gesellschaftliche (Moral)Konformität geprüft.7 Die weltweiten Program- me ähneln sich dabei frappierend, ohne jedoch identisch zu sein; ihr Verkauf zielt strategisch auf die lokale Adaption. Diese äußert sich aber nicht nur auf der Ebene stilistischer Modifikationen. Auch Moderatoren und Publika verleihen den Versio- nen einen eigenen Charakter und unterschiedliche öffentliche Anschlussdiskurse zeugen von der Standortgebundenheit der Produktion und Rezeption von Formatva- rianten. Fernsehunterhaltung kann dann mitunter Anstoß kollektiver Diskussionen über Sexualmoral sein oder zum Anlass einer Bestandsaufnahme nationaler Identi- tät werden. Beispielsweise hat Marwan Kraidy in seinen Auseinandersetzungen um Castingshows wie STAR ACADEMY die gespaltenen öffentlichen Diskurse um Re- präsentationen von Wertvorstellungen und Lebensstilorientierungen durch die Sen- dung innerhalb der arabischen Welt dargestellt.8 Auch wenn damit nicht per se ein Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen und Un- terhaltungsfernsehen konstatiert werden soll und kann, so illustriert allein dieses Beispiel die nachhaltige Relevanz des Fernsehens für die Untersuchung kultureller Globalisierungsprozesse. Denn in Formaten spiegelt sich die zuvor genannte Trias von Homogenisierung, Heterogenisierung und Hybridisierung auf multidimensio- nale Weise: Die Produkte sind glokale Formen der Fernsehunterhaltung. Obwohl die Konzepte (Formate) global standardisiert sind, bleiben die Produkte (Sendungs- varianten) lokal gebunden und als solche schwer exportierbar. Als Form der globa- len Kommunikation stimulieren Formate also vielmehr die lokale Produktion:

»Global television formats, more than any other model of media globalization, contain the core paradox of globalization’s relation to intense ›localization‹ and the tension between ho- mogenization and difference involved in economic and cultural globalization processes – first identified in key writings by Roland Robertson and Stuart Hall among others.«9

7 Vgl. Formate wie WHO WANTS TO BE A MILLIONAIRE, POP IDOL, SO YOU THINK YOU CAN DANCE, PROJECT RUNAWAY, SUPER NANNY, WIFE SWAP oder BIG BROTHER. 8 Kraidy, Marwan (2010): Reality Television and Arab Politics. Contention in Public Life. Cambridge: Cambridge University Press; Ders. (2007): Idioms of Contention: Star Academy in and Kuwait. In: Sakr, Naomi (Hg.): Arab Media and Political Renewal. Community, Legitimacy and Public Life. London: Tauris, S. 44-55; Ders. (2006): Popular Culture as a Political Barometer: Lebanese-Syrian Relations and Superstar. Transnational Broadcasting Studies 16. 9 Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (2012): Introduction: Television Formats – a Global Framework for TV Studies. In: Dies. (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 3.