2016-06-21 13-37-59 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0365432901726620|(S. 1- 2) VOR3301.p 432901726628 Aus:

Anne Grüne Formatierte Weltkultur? Zur Theorie und Praxis globalen Unterhaltungsfernsehens

Juli 2016, 480 Seiten, kart., zahlr. Abb., 49,99 €, ISBN 978-3-8376-3301-6

Welche kulturelle Prägekraft hat der weltweite Transfer von Fernsehshows? Anne Grüne bietet einen umfangreichen Vergleich deutscher und arabischer Varianten glo- baler Unterhaltungsshows, einschließlich ihrer Produktion und Rezeption. Die syste- matische Analyse bietet neue Perspektiven auf das Theorem der »Glokalisierung«, indem gezeigt werden kann, dass zwar die globale Beachtung gleicher medialer Kon- zepte zur synchronen Modernisierung von Sehgewohnheiten führt, dabei jedoch die lokalen Diskursmuster erhalten bleiben. Unterhaltung ist also nur auf den ersten Blick global. Obwohl die »formatierte Weltkultur« kulturelle Anschlussfähigkeit erzeugt, verharrt die Weltgesellschaft in lokalen Selbstgesprächen. Der globale Dialog bleibt Utopie!

Anne Grüne (Dr. phil.), geb. 1983, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Habilitan- din am Seminar für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Er- furt.

Weitere Informationen und Bestellung unter: www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3301-6

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2016-06-21 13-37-59 --- Projekt: transcript.anzeigen / Dokument: FAX ID 0365432901726620|(S. 1- 2) VOR3301.p 432901726628 Inhalt

Danksagung | 9

1. Einleitung: Unterhaltungskommunikation und Fernsehen in globaler Perspektive | 11 1.1 Formatiertes Fernsehen im 21. Jahrhundert | 21 1.2 Unterhaltungskommunikation und Fernsehformate in der Kultur- und Kommunikationswissenschaft | 37 1.3 Forschungsleitende Fragen | 48 1.4 Aufbau der Arbeit | 52

2. Theoretische Rahmung | 55 2.1 Medien- und kommunikationswissenschaftliche Theorieangebote | 56 2.1.1 »Re-Kodierung« und Bedeutungstransfer: Theoretische Reflexionen zum Kommunikationsmodell von Stuart Hall | 57 2.1.2 Produzenten als »kulturelle Gatekeeper« grenzüberschreitender Medienkommunikation | 77 2.1.3 Rezipienten als »kulturelle Agenten« grenzüberschreitender Medienkommunikation | 85 2.2 Kulturwissenschaftliche Theorieangebote | 102 2.2.1 Die zentrale Bedeutung von »Kultur« | 103 2.2.2 Populäre Kultur, Unterhaltungskommunikation und »kulturelle Öffentlichkeit«: Die gesellschaftliche Relevanz von Unterhaltung | 113 2.2.3 Transkulturalität als Kennzeichen heutiger Gesellschaften | 120 2.2.4 Hybridisierungstheorien kultureller und medialer Globalisierung | 129 2.2.5 »Kulturelle Nähe« im Text-Rezipienten-Verhältnis | 137 2.3 Globalisierungstheoretische Grundlagen | 147 2.3.1 Theorieansätze globaler Medienkommunikation | 151 2.3.2 Revisionistische Debatten globaler Medienkommunikation | 154 2.3.3 Alternative Theorieangebote kultureller Globalisierung: »Glokalisierung«, kulturanthropologische Ansätze und Perspektiven der transkulturellen Medienkulturanalyse | 159 2.4 Theoriematrix: Grenzüberschreitende Unterhaltungs- kommunikation am Beispiel von Fernsehformaten | 168

3. Analysedesign | 175 3.1 Methodische Grundlagen, Vorgehen und Feldzugang | 178 3.1.1 Inhaltsanalyse | 180 3.1.2 Gruppendiskussionsverfahren | 187 3.1.3 Experteninterviews | 199 3.2 Auswahl der Fallbeispiele | 203 3.2.1 Formate: WHO WANTS TO BE A MILLIONAIRE und | 203 3.2.2 Regionen: Deutschland und Ägypten | 209

4. Kreislauf der Unterhaltungskommunikation: Fernsehformate in Deutschland und Ägypten | 213 4.1 »Glokale Texte«: Die Formatversionen im Vergleich | 214 4.1.1 Die Quizshows WER WIRD MILLIONÄR und MAN SAYARBAH AL-MALYOON im Vergleich | 214 4.1.1.1 (Trans-)Kulturelles (Un-)Wissen?: Analyse der Inhaltsdimension | 217 4.1.1.2 Lehrer, Schüler und Statisten: Analyse der Figuren | 232 4.1.1.3 Hollywood im Spielformat: Analyse der televisuellen Gestaltung | 247 4.1.1.4 »Quizshow« oder »Bildungsquiz«? Der feine Unterschied in Narrations- und Deutungsangeboten | 251 4.1.1.5 Gesellschaftliche Nachwirkungen zwischen Bildungsauftrag und Identitätsbildung: Kontextanalyse der MILLIONÄR-Versionen | 258 4.1.2 Die Castingshows DAS und GOT TALENT im Vergleich | 264 4.1.2.1 (Trans-)Kulturelles (Anti-)Talent? Analyse der Inhaltsdimension | 266 4.1.2.2 »Der Superstar im Zeitalter seiner medialen Reproduzierbarkeit«: Analyse der Figuren | 276 4.1.2.3 Inszenierung der Superlative: Analyse der televisuellen Gestaltung | 293 4.1.2.4 Zwischen »Können« und »Sein«: Narrations- und Deutungsangebote | 296 4.1.2.5 Fernsehen zwischen »Qualität« und »Trash«: Kontextanalyse der GOT TALENT-Versionen | 300 4.1.3 Zwischenfazit: »Globale Spiele, lokale Siege«? Multidimensionale Glokalisierung in Fernsehformaten | 302 4.2 »Lokale Interpreten«: Die Rezeption von Unterhaltungsformaten im Vergleich | 310 4.2.1 (Trans-)Kulturelle Anschlussdiskurse | 312 4.2.1.1 Authentizitätsdiskurs | 324 4.2.1.2 Normativer Diskurs | 334 4.2.1.3 Identitätsdiskurs | 341 4.2.1.4 Wissensdiskurs | 352 4.2.2 (Trans-)Kulturelle Rezeptionshaltungen: »Skeptische« Rezipienten glokaler Fernsehunterhaltung | 353 4.2.3 (Trans-)Kulturelle Referenzen: Wissensrahmen der Rezipienten | 360 4.2.3.1 Intertextuelle Referenzen | 360 4.2.3.2 Intermediale Referenzen | 363 4.2.3.3 Alltagsweltliche Referenzen | 364 4.2.4 Exkurs: Fernsehgespräche und Anschlussdiskurse im Vergleich | 367 4.2.5 Exkurs: Zur Konstruktion der »Authentizität des Fremden« | 371 4.2.6 Zwischenfazit: (Trans-)Kulturelle Interpretationssynchronisation? | 375 4.3 »Globale Gatekeeper«: Innenperspektiven der Produktion im Vergleich | 381 4.3.1 Strukturelle und institutionelle Rahmenbedingungen des Formattransfers in Deutschland und der arabischen Welt | 383 4.3.2 Individuelle Lesarten der Unterhaltungsproduzenten | 402 4.3.2.1 Produzenten-Lesarten von MILLIONÄR: Unterhaltung versus Bildung im Quizformat | 407 4.3.2.2 Produzenten-Lesarten von GOT TALENT: Emotionalisierung versus Emanzipation im Castingformat | 413 4.3.3 Zwischenfazit: (Trans-)Kulturelle Produktionsgemeinschaften | 418

5. Zusammenführung und Fazit | 421 5.1 Muster grenzüberschreitender Unterhaltungskommunikation am Beispiel des Formattransfers in Deutschland und Ägypten | 421 5.2 Die Antinomie von Glokalisierung und Globalisierung: Ein theoretischer Ausblick zum Verhältnis von Globalisierung und transkultureller Unterhaltungskommunikation | 429 5.2.1 Unterhaltungskommunikation als Wegbereiter einer diskursiven Weltkultur? | 433 5.2.2 Unterhaltungskommunikation als Wegbereiter eines »kulturellen Kosmopolitismus«? | 442

Literaturverzeichnis | 445 Anhang | 471 Abkürzungsverzeichnis | 471 Abbildungsverzeichnis | 472 Tabellenverzeichnis | 473 Hinweise zur Transkription und Schreibweise des Datenmaterials | 474 Leitfaden der Gruppendiskussionen | 475 Leitfragen der Experteninterviews | 477

1. Einleitung: Unterhaltungskommunikation und Fernsehen in globaler Perspektive

Unterhaltungsangebote definieren die Grenzen unserer Kommunikationsräume neu, da sie nationale und kulturelle Demarkationen durch ihren weltweiten Erfolg scheinbar auflösen. Diese Feststellung ist unentbehrlich, um eine Arbeit über Glo- balisierung, Kultur und Fernsehen zu beginnen. Die Produkte der Unterhaltungs- und Kulturindustrie, die heute weltweit zirkulieren, sind zu einem beliebten Be- zugspunkt in den internationalen Debatten um die kulturelle Dimension der Globa- lisierung geworden. In diesem Zusammenhang spricht Stuart Hall sogar von einer neuen Medien- und Informationsrevolution, durch die »Kultur zunehmend produ- ziert, verbreitet und ausgetauscht werden« könne, was wiederum die »Struktur spät- moderner Gesellschaften«, die Verteilung materieller und menschlicher Ressour- cen, die Konstruktion kultureller Identitäten und die Entwicklung der globalen Ord- nung stärker denn je beeinflusse.1 Ähnlich sehen Andreas Hepp oder Friedrich Krotz heutige Kulturen bereits soweit transformiert, dass sie ohne die Bedeutungs- ressourcen der Medien kaum mehr vorstellbar seien.2 Ob Annahmen einer engen Verzahnung oder gar Konvergenz von Medien- und Kulturentwicklung allerdings am Beispiel vielschichtiger gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Entwicklun- gen bestätigt werden können, bleibt zu untersuchen.

1 Hall, Stuart (2002): Die Zentralität von Kultur. Anmerkungen über die kulturelle Revo- lution unserer Zeit. In: Hepp, Andreas; Löffelholz, Martin (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation. Konstanz: UVK, S. 95ff. 2 Hepp, Andreas (2013): Medienkultur. Die Kultur mediatisierter Welten. 2. Aufl. Wies- baden: VS Verlag für Sozialwissenschaften; Krotz, Friedrich (2011): Die Mediatisie- rung kommunikativen Handelns. Der Wandel von Alltag und sozialen Beziehungen, Kultur und Gesellschaft durch Medien. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf- ten, S. 33ff.; Ders. (2007): Mediatisierung. Fallstudien zum Wandel von Kommunika- tion. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 30ff.

12 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

Zweifel sind vor allem angebracht, wenn es um die Konstitution eines globalen kulturellen Gleichklangs geht, der durch die weltweite Verbreitung von Unterhal- tung entstehen könnte. Denn die Frage, in welchem Ausmaß globale Unterhaltung tatsächlich alltägliche lokale Lebenswelten prägt, welche konkreten gesellschaftli- chen Implikationen den zirkulierenden alltagskulturellen Ressourcen innewohnen, blieb von denen, die durch westliche Medien geprägte Homogenisierungstendenzen befürchteten, in den meisten Fällen unbeantwortet. Stattdessen haben inzwischen revisionistische Arbeiten auf die Grenzen und Schwächen der kulturellen und medi- alen Globalisierungsthesen hingewiesen. Die Globalisierung der Medien ist, wie Kai Hafez zu bedenken gibt, in den meisten Fällen eher Mythos geblieben denn Re- alität geworden.3 Beispielsweise ist eine wirklich universale Qualität wohl nach wie vor eher wenigen grenzüberschreitenden Medien- und Kulturangeboten vorbehal- ten. Dabei sind selbst die offensichtlichsten Beispiele wie Hollywoodfilme oder Popmusik bei genauerem Hinsehen von hybriden kreativen Bezügen durchdrungen und lassen damit eine Bilanz westlich geprägter Standardisierung weitaus kom- plexer erscheinen, als es etwa Thesen einer sogenannten »Amerikanisierung« häu- fig vorgeben. Natürlich haben Technik und Ökonomie in den letzten Jahrzehnten Strukturen der weltweiten Integration geschaffen – gleichzeitig aber haben sie auch Ausgrenzungen und Differenzen verstärkt. Nicht jeder4 hat Zugang zu den schein- bar globalen Ressourcen, nicht jedes Produkt kann beliebig zirkulieren, und globale Partizipation bleibt häufig eine Utopie. Vor allem aber haben inzwischen zahlreiche Studien auf die Bedeutung der lokalen Nutzung und Aneignung hingewiesen. Ein- zelne global verfügbare Medienangebote lassen demnach theoretisch diverse lokale Deutungsmuster und Umgangsweisen zu. Welche Form und welche Bedeutung hat also eigentlich die »kulturelle Begegnung« in der Verpackung medialer Unterhal- tung? Selbst Revisionisten wie Hafez erkennen an, dass Unterhaltung vielleicht die eigentliche und wirksamste Domäne einer kulturellen Globalisierung ist.5 Kulturelle Begegnungen in Form von Unterhaltungskommunikation zielen dabei nicht allein auf einen Austausch, in dem die Kreativität des einen zur Unterhaltung des anderen wird. Gerade in den scheinbar leichten Genres wie der Populärmusik oder den populärkulturellen Angeboten in Film und Fernsehen kommt es immer häufiger zu Mischungen von kreativen Ausdrucksformen. Lady Gaga etwa verarbeitet Anspie- lungen auf arabische Oud-Klänge in ihren Songs, die ursprünglich afro-amerika- nische Ghetto-Subkultur Hip-Hop findet Adaptionen im Rap der arabischen Rebel-

3 Hafez, Kai (2005): Mythos Globalisierung. Warum die Medien nicht grenzenlos sind. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 4 Mit der Nennung der männlichen Bezeichnung ist in diesem Buch, sofern nicht anders gekennzeichnet, immer auch die weibliche Form mitgemeint. 5 Ebd., S. 115ff.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 13 lion und von Bollywood inspirierte Szenen haben inzwischen auch Eingang in die Bilderwelten Hollywoods gefunden. Kulturelle Globalisierung erscheint dann vor allem als Hybridisierung und nicht als bloße Standardisierung von Kreativität. Inso- fern ist die mediale öffentliche Alltagskommunikation im 21. Jahrhundert vor allem von Prozessen des Vermischens, des Transzendierens und des Wechselwirkens ge- kennzeichnet. Viele Phänomene gehen »durch Kulturen hindurch«,6 wie das Bei- spiel von internationalen Fankulturen illustriert oder die internationale Rezeption von globalen Medienevents wie einer Fußball-WM. Diese Überlegungen zum Zu- sammenhang von Globalisierungsdynamiken, Medienkommunikation und Kultur sind bei weitem nicht neu. Homogenisierung, Heterogenisierung und Hybridisie- rung bilden die etablierte Trias der »kulturellen Szenarien« unter dem Einfluss der Globalisierung von Medienkommunikation. Die Frage nach der Art kultureller Wandlungsprozesse wird die theoretische Hintergrundfolie der Arbeit sein, die mit dem Fernsehen ein klassisches Unterhaltungsmedium in den Mittelpunkt der Dis- kussion um globale Medienkommunikation rückt. Durch seine – zumindest theoretische – globale Reichweite galt das Fernsehen mit seinen international zirkulierenden Nachrichten- und Unterhaltungsangeboten wie CNN oder DALLAS lange als Dreh- und Angelpunkt für Diskussionen um die kulturellen Folgen der Globalisierung. Durch Digitalisierung, immer neue mobile Kommunikationsmöglichkeiten, durch Tendenzen der Medienkonvergenz und der Popularität von Sozialen Medien im Internet eröffnen sich allerdings längst völlig neue Möglichkeiten und Untersuchungsgegenstände medienvermittelter kultureller Begegnungen. Gerade aufgrund der hohen Entwicklungsdynamik und der Vernet- zung von Medienumgebungen mag es daher nicht verwundern, wenn heute die Re- levanz und Aktualität von Einzelmedienforschung in Frage gestellt wird. Allerdings muss die Betrachtung spezifischer Entwicklungen eines klassischen Massenmedi- ums wie dem Fernsehen nicht bedeuten, dass generelle Entwicklungen der Medien ignoriert werden. Häufig sind gerade partielle Entwicklungen von Einzelmedien als Reaktion oder Symptom umfassender gesellschaftlicher, technischer und medialer Veränderungen zu bewerten und somit kaum als isolierte Phänomene zu verstehen. Die vorliegende Arbeit wird mit international gehandelten Fernsehformaten eine solche spezifische Entwicklung der Unterhaltungsproduktion im Fernsehen zum Gegenstand haben. Der Transfer von Fernsehformaten ist seit den 1990er Jahren zu einem interna- tional sichtbaren Modus der Unterhaltungsproduktion geworden. Lizenzierte, also formal konventionalisierte Konzepte, Ästhetiken und Rahmenerzählungen werden weltweit vertrieben und in unterschiedlichsten Fernsehmärkten mit mehr oder we- niger offensichtlichen Eingriffen als adaptierte Versionen reproduziert. So werden

6 Hepp, Andreas; Löffelholz, Martin (2002): Transkulturelle Kommunikation. In: Dies. (Hg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation. Konstanz: UVK, S. 14.

14 | FORMATIERTE WELTKULTUR? in zahlreichen Regionen der Welt neben Millionären auch Superstars und Tänzer im Spielformat gesucht, es werden Modelkarrieren geebnet und selbst private Lebens- bereiche von der Erziehung bis hin zur Ehetauglichkeit werden öffentlich auf ihre jeweilige gesellschaftliche (Moral)Konformität geprüft.7 Die weltweiten Program- me ähneln sich dabei frappierend, ohne jedoch identisch zu sein; ihr Verkauf zielt strategisch auf die lokale Adaption. Diese äußert sich aber nicht nur auf der Ebene stilistischer Modifikationen. Auch Moderatoren und Publika verleihen den Versio- nen einen eigenen Charakter und unterschiedliche öffentliche Anschlussdiskurse zeugen von der Standortgebundenheit der Produktion und Rezeption von Formatva- rianten. Fernsehunterhaltung kann dann mitunter Anstoß kollektiver Diskussionen über Sexualmoral sein oder zum Anlass einer Bestandsaufnahme nationaler Identi- tät werden. Beispielsweise hat Marwan Kraidy in seinen Auseinandersetzungen um Castingshows wie STAR ACADEMY die gespaltenen öffentlichen Diskurse um Re- präsentationen von Wertvorstellungen und Lebensstilorientierungen durch die Sen- dung innerhalb der arabischen Welt dargestellt.8 Auch wenn damit nicht per se ein Zusammenhang zwischen gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozessen und Un- terhaltungsfernsehen konstatiert werden soll und kann, so illustriert allein dieses Beispiel die nachhaltige Relevanz des Fernsehens für die Untersuchung kultureller Globalisierungsprozesse. Denn in Formaten spiegelt sich die zuvor genannte Trias von Homogenisierung, Heterogenisierung und Hybridisierung auf multidimensio- nale Weise: Die Produkte sind glokale Formen der Fernsehunterhaltung. Obwohl die Konzepte (Formate) global standardisiert sind, bleiben die Produkte (Sendungs- varianten) lokal gebunden und als solche schwer exportierbar. Als Form der globa- len Kommunikation stimulieren Formate also vielmehr die lokale Produktion:

»Global television formats, more than any other model of media globalization, contain the core paradox of globalization’s relation to intense ›localization‹ and the tension between ho- mogenization and difference involved in economic and cultural globalization processes – first identified in key writings by Roland Robertson and Stuart Hall among others.«9

7 Vgl. Formate wie WHO WANTS TO BE A MILLIONAIRE, POP IDOL, SO YOU THINK YOU CAN DANCE, PROJECT RUNAWAY, SUPER NANNY, WIFE SWAP oder BIG BROTHER. 8 Kraidy, Marwan (2010): Reality Television and Arab Politics. Contention in Public Life. Cambridge: Cambridge University Press; Ders. (2007): Idioms of Contention: Star Academy in and Kuwait. In: Sakr, Naomi (Hg.): Arab Media and Political Renewal. Community, Legitimacy and Public Life. London: Tauris, S. 44-55; Ders. (2006): Popular Culture as a Political Barometer: Lebanese-Syrian Relations and Superstar. Transnational Broadcasting Studies 16. 9 Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (2012): Introduction: Television Formats – a Global Framework for TV Studies. In: Dies. (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 3.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 15

Der Rückgriff auf bereits vorhandene kulturelle Ressourcen in der kreativen Pro- duktion ist indes kein neues Phänomen des 21. Jahrhunderts. Der Austausch kultu- reller Formen ist eng verknüpft mit der Kulturgeschichte des Menschen – angefan- gen von der Entdeckung fremder Welten, religiöser Missionierungsversuche und Synkretismen, frühen Handelsbeziehungen über zahlreiche Adaptionsstrategien in der Malerei und Literatur bis hin zur populären Musikgeschichte, die ohne stilisti- sche Mixturen kaum denkbar wäre. Dennoch, die Sichtbarkeit und Möglichkeit kul- turellen Austauschs hat durch virtuelle Kontaktmöglichkeiten zugenommen. Inter- net-Plattformen wie YOUTUBE oder FACEBOOK können heute schnell zur Intensivie- rung der gesellschaftlichen Präsenz von Fernsehangeboten beitragen und möglich- erweise deren grenzüberschreitendes Potenzial noch steigern. Doch welche gesell- schaftlichen Wirkungen gehen von grenzüberschreitenden Prozessen und sogenann- ten glokalen Produkten aus? Die gesellschaftlichen Prägkräften des Fernsehens wiederum bestimmen die wissenschaftlichen Diskurse seit das Medium einen zentralen Stellenwert in moder- nen Gesellschaften eingenommen hat.10 Das »Fernsehzeitalter« hat durchaus tiefen- strukturelle Spuren sowohl in gesellschaftlichen Systemen als auch individuellen Lebenswelten hinterlassen. Beispielsweise sind die Fernsehnachrichten lange die entscheidende Instanz eines nationalen Informationsabgleichs gewesen und das Fernsehprogramm strukturierte die alltäglichen Routinen der Menschen. Auch wenn sich der Fernsehbildschirm inzwischen funktional durch seine Verknüpfbar- keit mit Internet-, Spiel- und Musikangeboten gewandelt hat, gehört er nach wie vor zur Einrichtung und prägt nicht selten auch die gesamte Wohnraumästhetik vieler Haushalte. Das Fernsehen liefert darüber hinaus mit seinen Werbeangeboten Impul- se für das individuelle und kollektive Konsumverhalten und nicht zuletzt sind die Programmangebote nach wie vor Gegenstand und Aufhänger vieler Alltagsunter- haltungen, wobei sowohl die Themenagenden der Nachrichten als auch die Gewin- ner der letzten Castingsendung gemeint sind. Gerade durch diese alltägliche Prä- senz bleiben die Inhalte des Fernsehens eine gesellschaftlich relevante Ressource für Deutungsangebote der sozialen Welt. Das Fernsehen ist damit ein kaum wegzu- denkendes Medium unserer Alltagswirklichkeit, auch wenn seine Bedeutung in heutigen Medienumgebungen vor dem Hintergrund struktureller und technischer Veränderungen neu definiert werden muss. Denn De- und Re-Regulierungen des Fernsehens sorgen zweifelsohne für neue Rahmenbedingungen. Die neuen (Unter- haltungs-)Medien haben den Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Nutzer er- höht. Die Digitalisierung hilft, den Konsum zu individualisieren und diesen vom li-

10 Vgl. nachfolgend insbesondere die Ausführungen in Engell, Lorenz (2012): Fernseh- theorie zur Einführung. Hamburg: Junius sowie in Plake, Klaus (2004): Handbuch Fern- sehforschung. Befunde und Perspektiven. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissen- schaften.

16 | FORMATIERTE WELTKULTUR? nearen Fernsehprogramm zu entkoppeln und nicht zuletzt stellen technologische Neuerungen wie etwa mobile Endgeräte die Fernsehforschung vor neue Herausfor- derungen, da sie die Angebote des Fernsehens auch in vorher fernsehfreien Räumen zugänglich machen und damit Rezeptionssituationen, Nutzungsformen und Formate des Fernsehens möglicherweise grundlegend verändern. Diese Entwicklungen las- sen einige Fernsehforscher längst von einer »Post-Broadcast-Ära« sprechen.11 Aber obwohl sich das Medium in einer Transformationsphase befindet, in der viel über seine zukünftige Rolle spekuliert wird, lässt sich dennoch mit einiger Sicherheit sa- gen, dass das Fernsehen auch im frühen 21. Jahrhundert das meistgenutzte Unter- haltungsmedium für einen Großteil der Weltbevölkerung ist.12 Die Rolle, die die Angebote des Fernsehens für gesellschaftliche Entwicklungen oder den gesellschaftlichen Zusammenhalt spielen, die Beziehung zwischen Fern- sehen und Gesellschaft also, wurde innerhalb fernseh- und medienwissenschaftli- cher Auseinandersetzungen von jeher intensiv diskutiert. Auch wenn, wie manche Kritiker anmerken, die Theoretisierung des Fernsehens vor allem durch Inkonsis- tenz und das Fehlen einer Gesamttheorie gekennzeichnet sei,13 so lassen sich doch grobe Richtungen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung formulieren. In den frühen Jahren der Fernsehforschung etwa wurde die Bedeutung des Mediums für die nationale Gemeinschaftsbildung hervorgehoben. Während hier noch die poten- zielle homogenisierende Wirkung für nationale Rezeptionsgemeinschaften im Vor- dergrund stand, gelangte später auch der Zusammenhang zwischen Fernsehen und Identitätsbildung heterogener gesellschaftlicher Gruppen in den Blick. Hall bei- spielsweise verwies in seinen Vorlesungen auf die Macht televisueller Repräsenta-

11 Fiske, John; Hartley, John (2003): Reading Television. 2. Aufl. London, New York: Routledge, S. XIV; Turner, Graeme; Tay, Jinna (Hg.) (2009): Television Studies After TV. Understanding Television in the Post-Broadcast Era. London, New York: Rout- ledge. 12 Die weltweite Sehdauer liegt bei durchschnittlich zwei bis vier Stunden pro Tag. Vgl. bspw. Straubhaar, Joseph (2007): World Television. From Global to Local. Los Ange- les: Sage; Hasebrink, Uwe (2007): Medienrezeption. In: Thomass, Barbara (Hg.): Me- diensysteme im internationalen Vergleich. Konstanz: UVK, S. 145-162. Im Zeitraum der Entstehung dieser Arbeit ist der Fernsehkonsum in Europa nach Angaben der RTL Group, des IP Networks und Eurodata TV sogar von durchschnittlich 3,76 (226 Min.) auf knapp 4 Stunden (235 Min.) täglich gestiegen. IP Network; RTL Group (2013): Te- levision International Key Facts 2013, S. 16. 13 Für Engell liegen die Gründe für die Theoriearmut in der Schnelllebigkeit des Mediums und der dementsprechenden »historischen Halbwertszeit fernsehtheoretischer Ansätze«. Ein weiterer Grund ist für ihn aber auch eine akademische Attitüde, die Fernsehen lange als Trivialität betrachtet und ihm eine Interessenlosigkeit entgegengebracht habe. Ders. (2012): Fernsehtheorie zur Einführung, S. 23.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 17 tion in Hinblick auf die Stereotypisierung gesellschaftlich marginalisierter Gruppen und Marie Gillespie hat die Bedeutung von Fernsehangeboten für die Aushandlung kultureller Identität in Diaspora-Gemeinschaften nachgezeichnet.14 Die individuel- len Nutzungsmöglichkeiten der Fernsehangebote verschieben heute die Perspekti- ven auf wieder kleinere Publikumssegmente. Neben den eher identitätsbezogenen Funktionen weist die Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Fernsehen auch eine kritische Tradition auf, die gerade die Unterhaltungsan- gebote des Fernsehens problematisiert, da dort manipulative Wirkungsweisen ver- mutet werden.15 Doch ganz gleich, ob das Fernsehen in theoretischen Perspektivie- rungen als konstitutiv für utopische oder dystopische Gesellschaftsentwicklungen betrachtet wurde, Einigkeit besteht weitestgehend darüber, dass das Fernsehen als Massenmedium mit seinen Unterhaltungs- und Informationsangeboten eine ernst- zunehmende Ressource kollektiver Erfahrung, Deutung und Orientierung und somit eine Instanz der kulturellen Realität von Gruppen, Gemeinschaften und Gesell- schaften darstellt. Umso bedeutender werden diese Debatten, wenn die Inhalte, Produktionsorte und Rezeptionskontexte des Fernsehens nicht mehr auf einen begrenzten nationalen Raum beschränkt sind, sondern verschiedene Mediensysteme, territoriale und kultu- relle Grenzen überwinden. Die mediensystemische Überlagerung der aktuellen Pro- duktions- und Organisationsstrukturen im Unterhaltungsbereich wie auch die Zirku- lation von unterhaltenden Inhalten lässt vielschichtige transnationale und transkul- turelle Medienräume entstehen, die aufgrund der globalen, transnationalen, nationa- len und lokalen Bezüge nicht leicht zu entschlüsseln sind. Die Akzeleration des Formathandels in den letzten drei Jahrzehnten hat hier zu einer sichtbaren Ver- schmelzung der internationalen Produktionskultur im Fernsehsektor und zu einer Synchronisierung weltweiter Unterhaltungserfolge geführt. Einige Autoren sehen in der Ausbreitung globaler Formate gar eine der größten Wenden der Fernsehent- wicklung, die zudem geeignet sei, die traditionelle Fernsehforschung nachhaltig zu erschüttern.16 Zumindest macht das Phänomen des globalen Formattransfers deut- lich, dass die Suche nach neuen und differenzierten Modellen der Fernsehforschung erforderlich ist. Hier werden Theorieansätze nötig, die den gesellschaftlichen Zu- sammenhang des Fernsehens im Kontext von grenzüberschreitenden Prozessen ver- orten können und die die vielschichtigen Dimensionen der kulturellen Ressourcen,

14 Hall, Stuart; Jhully, Sut (1997): Representation and the Media. Northampton: Media Education Foundation; Gillespie, Marie (1995): Television, Ethnicity, and Cultural Change. London [u.a.]: Routledge. 15 Vgl. hierzu bspw. die Polemiken von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, Pierre Bourdieu oder Neil Postman. 16 Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.) (2012): Global Television Formats. Circulating Cul- ture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge.

18 | FORMATIERTE WELTKULTUR? die in Fernsehinhalten ebenso wie in deren Nutzung und Produktion aktiviert wer- den, angemessen reflektieren. Denn mit der teilweisen Übernahme und Adaption von Sendungsvorlagen wird die Frage des möglichen Einflusses der Fernsehrezep- tion auf die Alltagswelt von Menschen komplexer, indem sie die übergeordnete Frage des Einflusses »fremder« kultureller Ressourcen oder Handlungspraktiken auf die Fernsehproduktion und -aneignung aufwirft. Insofern stellen unterhaltende Fernsehformate ein geeignetes Untersuchungsobjekt dar, um die vielschichtigen Globalisierungs- und Lokalisierungsdynamiken des Fernsehens genauer zu analy- sieren. Auf medienökonomischer Ebene lässt sich am Beispiel des Formatfernsehens die Herausbildung transnationaler Konzerne, die internationale Integration von Pro- duktionsketten und die globale Vermarktung von Unterhaltungs-»Marken« nach- vollziehen. In diesem Sinne veranschaulichen Fernsehformate zentrale Dynamiken der ökonomischen Globalisierung. Eine indische oder arabische Version der briti- schen Quizsendung WHO WANTS TO BE A MILLIONAIRE kann hier schnell zum Bei- spiel für »Glokalisierung« herangezogen werden, was aber zunächst lediglich eine marktwirtschaftliche Strategie bezeichnet. Der Slogan »Think globally, act locally«, der beispielsweise durch das transnationale Unternehmen SONY bekannt wurde, bezeichnet das Marketingprinzip hinter globalen populären Marken, nämlich die zunehmende Orientierung globaler Unternehmen an lokaler Expertise. Erst später hat der Begriff als zentrales Theorem in der Globalisierungsliteratur eine Bedeu- tungserweiterung erfahren, die in der Arbeit noch ausführlich diskutiert wird. Denn an Fernsehformaten lässt sich nicht nur die ökonomische Dimension der Ver- schmelzung des »Globalen« und »Lokalen« nachvollziehen, sondern in ihnen mi- schen sich eben auch diverse kulturelle Bestandteile durch Adaptionsstrategien. Die kulturelle Dimension medialer Globalisierung, die in dieser Arbeit im Zent- rum stehen wird, hat dann nach den Bedeutungen des vermeintlich »Globalen« und »Lokalen« zu fragen. Wenn Fernsehformate als Modell medialer Globalisierung be- trachtet werden und wenn angenommen wird, dass sie das Kernparadox des Zu- sammenhangs von »Globalisierung« und »Lokalisierung« und die Spannung zwi- schen »Homogenisierung« und »Differenz« illustrieren, wie es in einem jüngeren Sammelband zum Thema auf den Punkt gebracht ist,17 dann müssen diese Zusam- menhänge offengelegt werden. Wie genau gestalten sich die lokalen Reformulie- rungen der Sendungskonzepte, die zumeist westlicher Provenienz sind? Welche Formen nimmt der kulturelle Austausch in populären Unterhaltungsangeboten an? Lässt sich von inhaltlichen und ästhetischen Unterschieden bereits auf kulturelle Grenzen und damit Grenzen der Globalisierung schließen? Zu klären sind somit die kulturellen Implikationen synchronisierter Marktstrategien. Der weltweite Konsum von Unterhaltungskonzepten lässt dabei noch keine Rückschlüsse auf synchrone

17 Ebd, S. 3 ff.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 19

Rezeptionsbedingungen, Interpretationen und kulturelle Wirkungen zu. Möglicher- weise liegen sogar Unterhaltungsformen zugrunde, die per se archetypisch sind und nur jeweils nuanciert mit lokalen Traditionen re-kombiniert werden. Im konkreten Fall ist daher zu klären, in welchem Verhältnis die Formatierung beziehungsweise Adaption von Fernsehunterhaltung Prozesse der kulturellen Homogenisierung, Hybridisierung oder Heterogenisierung hervorbringt. Das heißt, dass untersucht werden muss, wo es zur Übernahme von Unterhaltungspraktiken kommt und wann Umdeutungen im lokalen Kontext wirksam werden. Mitunter liegt die kulturelle Bedeutung der globalen Zirkulation auch gar nicht im eigentlichen Produkt und sei- ner kollektiven Rezeption, sondern in Impulsen für lokale Kreativität, die sich in ei- ner Veränderung der lokalen Produktions- beziehungsweise Fernsehlandschaft spie- gelt. Insofern erscheint es sinnvoll zu fragen, auf welchen gesellschaftlichen Ebe- nen die Logik des Formathandels verortet werden kann und in welchen gesell- schaftlichen Zonen sie eine mögliche Wirkung entfalten. Das zentrale Anliegen der Arbeit ist es, am Beispiel formatierter Fernsehunter- haltung konkrete Formen transkultureller Medienkommunikation herauszuarbeiten und die lokalen Bedeutungen von grenzüberschreitender Medienkommunikation theoretisch zu reflektieren. Damit sind auch Fragen nach Bedingungen und Mög- lichkeiten von »Weltkultur« aufzugreifen und klassische Theoreme der kulturellen Globalisierungsdiskussion einer kritischen Revision zu unterziehen, so dass am En- de ein Beitrag zur theoretischen Systematisierung der komplexen Zusammenhänge, Wirkungsebenen und -weisen grenzüberschreitender Medienkommunikation geleis- tet werden kann. Die Arbeit wird in einem ersten Schritt die Entwicklung des Formathandels und in einem weiteren Schritt die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Unterhaltungsformaten nachzeichnen und den Gegenstand formatierter Fernsehun- terhaltung theoretisch verorten. Wie bereits angedeutet wurde, lässt sich eine theo- retische Grundlage für die Untersuchung von Formaten aus drei wissenschaftlichen Diskursen herleiten: Erstens liegt hier im engeren Sinne ein kommunikations- und medientheoretischer Zugang zugrunde, der helfen wird, die Akteure und Prozesse der Medienkommunikation zu konzeptualisieren. Zweitens wählt die Arbeit einen kulturtheoretischen Zugang, der die alltagsrelevante Dimension von Unterhaltung reflektiert. Die grenzüberschreitende Dimension von Fernsehformaten wird drittens vor dem Hintergrund globalisierungstheoretischer Meta-Diskurse eingeordnet. Es wird davon ausgegangen, dass Dynamiken der Grenzüberschreitung im For- mattransfer sowohl auf der Inhaltsebene der Formate als auch auf der Ebene ihrer (Re-)Produktion und Rezeption wirksam werden. Daher ist es nötig, den gesamten Produkttransfer von der (Re-)Produktion bis hin zur Rezeption zu rekonstruieren, um Aussagen darüber treffen zu können, ob die weltweit zirkulierende Fernsehun- terhaltung eher globalen Gleichklang herstellt oder die Wirksamkeit lokaler kultu- reller Residuen untermauert. Als konkrete Anwendungsbeispiele werden zwei der

20 | FORMATIERTE WELTKULTUR? weltweit erfolgreichsten Unterhaltungsformate der vergangenen Jahre – MILLIONÄR sowie GOT TALENT18 – gewählt. Die Arbeit rekonstruiert den Import der beiden Formate in die deutsche und arabische Fernsehlandschaft, um so die Integration gleicher Unterhaltungskonzepte in möglichst entfernte lokale Kontexte vergleichen zu können. Die jeweiligen Adaptionen WER WIRD MILLIONÄR und MAN SAYARBAH AL-MALYOON sowie und ARABS GOT TALENT wurden in ähnli- chen Zeiträumen zwischen 2010 und 2011 ausgestrahlt und haben vergleichbare Er- folge als »Leuchtturm«-Produktionen ihrer ausstrahlenden Sender RTL und MBC1 beziehungsweise MBC 4 erzielt. Die Sendungen liefern damit ein Beispiel für die Wiederholung populärkultureller Muster in unterschiedlichen Fernseh- bezie- hungsweise Medienkulturen, wobei deren konkrete lokale Ausgestaltung zu unter- suchen ist. Auf Basis eines konstruktivistischen Kulturverständnisses, das einen akteurs- zentrierten Zusammenhang der Bedeutungs- und Praxisdimension von Kultur re- flektiert, versucht die Arbeit zugleich, essenzialistische Pauschalisierungen über die Verfasstheit deutscher und arabischer Produktions- und Rezeptionskulturen zu ver- meiden. Ein Mehrebenenmodell der Untersuchung wird die individuellen Perzepti- onen von Produzenten und Rezipienten (mikroanalytische Ebene), die institutionel- len Strukturen organisierter Akteure wie der Sender und Produktionsunternehmen (mesoanalytische Ebene) als auch tiefenstrukturelle Aspekte der politischen, histo- rischen, sozio-kulturellen und ökonomischen Rahmenbedingungen der betreffenden Fernsehkulturen (makroanalytische Ebene) verbinden. Konkret wurden für den transkulturellen Vergleich insgesamt 65 Stunden (52 Episoden) der betreffenden lokalen Adaptionen der beiden Unterhaltungsshows als Datenmaterial ausgewählt, gesichtet und im Rahmen einer qualitativen Inhaltsana- lyse ausgewertet und interpretiert. Darüber hinaus wurden 19 beteiligte Akteure (Produzenten, Medienexperten, Kandidaten, Moderatoren) beider Fernsehland- schaften für die Rekonstruktion und Kontextualisierung der Produktionskontexte in- terviewt. 24 Gruppendiskussionen mit insgesamt 101 Teilnehmern (vorwiegend Schüler und Studenten), die in Deutschland und Ägypten zum Zweck dieser Arbeit durchgeführt wurden, bildeten daneben die Datengrundlage für eine qualitative

18 Im Folgenden bezeichnen die Kurzformen MILLIONÄR und GOT TALENT die jeweiligen Formate. Für eine klare Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Format und den konkreten Formatadaption werden die deutschen und arabischen Versionen der beiden untersuchten Formate mit den jeweils vollständigen adaptierten Sendungstiteln genannt, d.h. WER WIRD MILLIONÄR und MAN SAYARBAH AL-MALYOON sowie DAS SUPERTA- LENT und ARABS GOT TALENT. Bezüglich des letzten Sendungstitels wird sich für eine Schreibweise ohne Apostroph entschieden. Die öffentliche Verwendung des Titels ist hier nicht einheitlich, sondern variiert hinsichtlich der Apostroph-Setzung bei ARABS bzw. ARAB’S GOT TALENT.

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Analyse der lokalen Rezeptionsmuster und Deutungen global verfügbarer Formate. Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, den theoretischen Debatten um die weltweite Zirkulation populärkultureller Medienangebote und insbesondere der Frage nach der konkreten Artikulation transkultureller Unterhaltungskommunikation Erkennt- nisse aus umfangreichen und in diesem Maße bisher nicht triangulierten empiri- schen Daten zuzuführen. Diese sind geeignet, die globalisierungstheoretischen Dis- kurse um die vielgestaltigen Spannungen zwischen globalen und lokalen Dynami- ken zu stimulieren.

1.1 FORMATIERTES FERNSEHEN IM 21. JAHRHUNDERT

In einem der jüngsten Sammelbände zum Thema misst Tasha Oren dem »globalen Fernsehformat« einen symptomatischen Status für Fernsehen im 21. Jahrhundert bei und argumentiert, dass Formate die grundlegende Logik des Fernsehens inkorpo- riert hätten: »[I]t has come to typify what television is in our contemporary mo- ment.«19 Die Autorin zielt damit vor allem auf zwei zentrale Eigenschaften des Fernsehens. Zum einen sei ein dichotomes Charakteristikum des Fernsehens, dass es gleichzeitig »Kreativität« und »formelhafte Regularität« erzeuge. Textuelle In- novation spiele sich also immer im Rahmen ritualisierter und vorhersehbarer televi- sueller Konventionen ab. Die Qualität des Fernsehformats, kreative Reproduktionen zuzulassen und gleichzeitig ein Regelsystem für eine wiedererkennbare Produktion zu liefern, illustriere genau diese essenzielle modulare Produktionslogik. Das zwei- te Charakteristikum betrifft die Vorstellung, dass Fernsehen einen kulturellen Refe- renzrahmen schafft, der sich durch Globalisierungsdynamiken der Kulturproduktion längst von territorialen Einheiten gelöst habe. In diesem Zusammenhang sei, so die Autorin, die Bedeutung des Fernsehens gerade für Prozesse der Identitätskonstruk- tion neu zu bestimmen: »In terms of its functionality and the dynamic feedback loop it generates between convention and innovation, locality and the (mediated) world, the global tv format is now television in its purest form.«20 Formatierung und Adaption sind demnach die beiden zentralen Kulturtechni- ken, die Fernsehformaten zugrunde liegen. Durch die Formatierung werden festge- legte Prinzipien der Darstellung standardisiert. Durch einen Prozess der Adaption wird die Programmvorlage ihrer Umwelt angepasst. Die Kombination dieser Tech- niken erlaubt es, dass nicht nur bereits fertiggestellte Programme international ver- kauft werden, sondern auch Sendungskonzepte zum Gegenstand des Handels wer-

19 Oren, Tasha (2012): Reiterational Texts and Global Imagination: Television Strikes Back. In: Dies.; Shahaf, Sharon (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 366. 20 Ebd., S. 379.

22 | FORMATIERTE WELTKULTUR? den können. Mögliche Eingriffe, um ein Programm weiter verwerten zu können, be- schränken sich beim Formathandel nicht auf die Ebene der sprachlichen Zeichen wie im Fall von Untertitelungen oder Synchronisation, sondern sie schließen auch visuelle, konzeptuelle oder narrative Veränderungen mit ein, solange sie die Wie- dererkennbarkeit gemäß einer Vertragsgrundlage gewährleisten. Theoretisch kann damit jedes Sendungskonzept, egal, ob es fiktionalen oder nicht-fiktionalen Genres zuzuordnen ist, zum Format werden – von Nachrichtenformen über Comedy- und Spielshows bis hin zur Fernsehserie.21 Insbesondere Angebote des sogenannten »Reality-Fernsehens« werden mitunter mit Fernsehformaten gleichgesetzt.22 Zwar existiert ein Zusammenhang zwischen dem Aufkommen des »Reality-TV« und der Verbreitung von Fernsehformaten, da gerade das Format BIG BROTHER in den 1990er Jahren nicht nur international zirkulierte, sondern auch einen Boom neuer Realityshows einleitete. Aber nicht jede »Reality-TV«-Show ist ein Format und vice versa. Oren schlägt indes eine geeignete Klassifizierung von Formaten anhand der jeweils transferierten Kernbestandteile vor. Sind Narrationen und Charaktere zentrales Charakteristikum des Formats, spricht sie von »narrative-based formats«, Spielshows bezeichnet sie als »procedure-based formats« und nicht-fiktionale For- mate, die die Berichterstattung zu realweltlichen Ereignissen zum Gegenstand ha- ben, nennt sie »indexical formats«.23 Allerdings schließt die letztgenannte Form je- de Art der Übernahme von televisuellen Konventionen mit ein und beschränkt sich nicht auf ein einzelnes verkauftes Produkt.24 Dies hieße dann, dass beispielsweise auch die gesamte Nachrichtenaufbereitung von AL-JAZEERA als Adaption internati- onaler Nachrichtenkonventionen gefasst werden könnte ebenso wie Formen der

21 Die Unterscheidung zwischen »Format« und »Genre« bleibt in der Fernsehwissenschaft nicht trennscharf, wobei die Begriffsverwendung des Formats in dieser Arbeit das »For- mat« dem »Genre« unterordnet, da unterschiedlichste Formate dem gleichen Genre an- gehören können. 22 Bspw. bei Hill, Annette (2005): Reality TV. Audiences and Popular Factual Television. London [u.a.]: Routledge; Dies. (2007): Restyling Factual TV. Audiences and News, Documentary and Reality Genres. London [u.a.]: Routledge oder Hetsroni, Amir (Hg.) (2010): Reality Television. Merging the Global and the Local. New York: Nova Sci- ence Publishers. 23 Oren, Tasha (2012): Reiterational Texts and Global Imagination, S. 368. Ähnlich wird auch im deutschen Fernsehen zwischen Serien-, Nachrichten- und Showformaten sowie fiktionalen Sendungen, Informations- und Unterhaltungssendungen unterschieden. Etwa in Heinkelein, Marc (2004): Der Schutz der Urheber von Fernsehshows und Fernsehs- howformaten. Baden-Baden: Nomos, S. 17; Faulstich, Werner (2008): Grundkurs Fern- sehanalyse. Paderborn: Fink oder Hickethier, Knut (2007): Film- und Fernsehanalyse. 4 Aufl. Stuttgart: Metzler. 24 Oren, Tasha (2012): Reiterational Texts and Global Imagination, S. 368.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 23 weltweiten Sportberichterstattung. Eine Differenzierung zwischen der Adaptionen auf Programm- und Sendungsebene ist dann nur schwer möglich, wobei eine solche Unterscheidung sinnvoll erscheint. Denn eine Koorientierung an globalen Standards auf der Programmebene muss nicht zwangsläufig auch Ähnlichkeiten auf Sen- dungs- und Inhaltsebene beinhalten. Die Globalisierungsforschung hat im Bereich der politischen Kommunikation bereits gezeigt, dass Themen, Agenden und Frames der Nachrichtenberichterstattung trotz einer Angleichung journalistischer Professi- onsstile stark domestiziert bleiben.25 Dies trifft ebenso für Spielshows zu, die zwar überall auf der Welt zu finden sind, sich aber in Länge, Inhalt und Ausführung im internationalen Vergleich stark unterscheiden können.26 Die Aufrechterhaltung ei- ner Unterscheidung zwischen Produktionsstilen der Programmgestaltung und kon- kreter Sendungskonzepte erscheint daher sinnvoll. Die Frage nach der globalen Wirksamkeit von Form und Inhalt – von Medium oder Message – bleibt analytisch jedoch sowohl bei der Adaption ganzer Programmstile als auch der Adaption ein- zelner Sendungen bestehen. Die Verwendung des Begriffs »Format« in dieser Arbeit folgt einer engen Defi- nition, die sich auf die lokale Reproduktion konkreter Sendungen und nicht auf die Übernahme allgemeiner Konventionen ganzer Sendungsgattungen bezieht. Dabei stehen Spielshows im Vordergrund, die heute neben Serienkonzepten den Großteil der gehandelten Fernsehformate darstellen.27 Ein eindeutiger wissenschaftlicher Konsens über die Definition des Begriffs »Format« in Bezug auf international gehandelte Sendungskonzepte besteht indes nicht. Das mag an den verschiedenen Verwendungen des Terminus liegen, der im Kontext der Medienproduktion für unterschiedlichste Klassifikationen genutzt wird: von genormten Formaten in der Druckindustrie über die sogenannten »Formatra- dios« bis hin zum Fernsehen, wo Formate auf Programm-, Sender-, wie auch auf Sendungsebene eine bestimmte thematische, reichweitenorientierte oder wirtschaft- liche Profilgebung beschreiben können.28 Formatierung als Produktionsstrategie

25 Hafez, Kai (2005): Mythos Globalisierung; Ders. (2002b): Die politische Dimension der Auslandsberichterstattung. Bd. 2. Baden-Baden: Nomos. 26 Cooper-Chen, Anne (1994): Games in the Global Village. A 50-Nation Study of Enter- tainment Television. Bowling Green: Bowling Green State University Popular Press. 27 Jäger, Elfi; Behrens, Sonja (Hg.) (2009): FRAPA Report 2009. TV Formats to the World: FRAPA – Format Recognition and Protection Association e.V. 28 Unter Formatradios sind die in den 1950er Jahren im US-amerikanischen Rundfunk ent- standenen musikalischen oder inhaltlichen Profile wie »Contemporary Hit Radio« oder »Klassik« zu verstehen, die konkrete Zielgruppen ansprechen sollen. Hans-Bredow- Institut (2006): Medien von A bis Z. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 144ff.; vgl. zu unterschiedlichen Verwendungen des Formats-Begriffs auch Türsch-

24 | FORMATIERTE WELTKULTUR? kann sich mithin auch auf die Etablierung eines Star-Systems beziehen, auf die Verwendung von Genres und auf serielle Produktionen, die allesamt wiedererkenn- bare Muster für die Rezipienten schaffen.29 Erste konkrete Definitionsvorschläge für Fernsehformate zielten vor allem auf deren »modulare Bauweise«, also auf die Kombination aus veränderlichen und un- veränderlichen Elementen einer Sendung.30 In der deutschen Rechtsprechung bei- spielsweise gilt als Format »die Gesamtheit der verwendeten Gestaltungselemente« in einer Fernsehshow31, und Albert Moran, einer der ersten, der sich mit Fern- sehformaten wissenschaftlich beschäftigte, definiert diese als »that set of invariable elements in a program out of which the variable elements of an individual episode are produced.«32 Doch auch serielle Programmangebote, die nur in einem Fernseh- markt ausgestrahlt werden, besitzen eine wiedererkennbare Grundstruktur und je- weils veränderliche Episoden. Ein Definitionsproblem entsteht hier durch die Un- klarheit darüber, in welchem Stadium der Produktion ein Sendungskonzept zum Format wird. Schließt also das Format obligatorisch das umgesetzte Erscheinungs- bild einer Sendung ein oder genügt bereits die papierne Konzeptidee? Definitionen, die das Format mit einem Sprachwerk gleichsetzen, favorisieren letztere Version.33 Medienrechtlich hingegen ist das bereits umgesetzte Erscheinungsbild als Erken- nung der schöpferischen Qualität des Produkts von zentraler Bedeutung.34 Da das

mann, Jörg; Wagner, Birgit (2011): TV global. Erfolgreiche Fernseh-Formate im inter- nationalen Vergleich. Bielefeld: Transcript. 29 Hesmondhalgh, David (2007): The Cultural Industries. 2. Aufl. Los Angeles [u.a.]: Sa- ge, S. 23; vgl. auch Ryan, Bill (1992): Making Capital from Culture. The Corporate Form of Capitalist Cultural Production. Berlin, New York: Walter de Gruyter. 30 Litten, Rüdiger (1997): Der Schutz von Fernsehshow- und Fernsehserienformaten. Eine Untersuchung anhand des deutschen, englischen und US-amerikanischen Rechts. Mün- chen: Beck, S. 3. Vgl. auch Holzporz’ juristische Definition des Spielformats, in der das »formlose[s] Leitbild« und die »wechselnden Besonderheiten der Einzelsendungen« ei- ne Synthese eingehen. Holzporz, Stefan (2002): Der rechtliche Schutz des Fernsehs- howkonzepts. Münster: Lit, S. 14. 31 Ebd., S. 11. 32 Moran, Albert (1998): Copycat Television. Globalisation, Program Formats and Cultur- al Identity. Luton: University of Luton Press, S. 13. 33 Die Definition des »International Dictionary of Broadcasting and Film« betont bspw. die in Schriftform vorliegende Idee. Formate sind demnach: »(1) scripted elements of program concept, an established pattern of presentation«. Bognár, Desi K. (1995): Inter- national Dictionary of Broadcasting and Film. Boston [u.a.]: Focal Press, S. 89. 34 Hallenberger schlägt, diese Definitionen integrierend, vor, dass Fernsehformat »[...] ers- tens allgemein bereits in Sendungsform vorliegende serielle Fernsehproduktionen be- zeichnet, konkret bezieht sich der Begriff zweitens auf die unveränderlichen Elemente

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 25

»format package« und das damit verbundene Know-how ebenso ein Vertragsbe- standteil beim Lizenzkauf eines Formats ist wie das »paper format«, ist es sinnvoll, von einem Format erst nach Vorlage einer produzierten Sendung zu sprechen.35 Gemäß dieser definitorischen Unterscheidung lassen sich die einzelnen Formatbe- standteile entlang ihrer Entstehungskette wie folgt veranschaulichen:

Abbildung 1: Kernbestandteile des Fernsehformats

Paper Format TV Programme Format TV Programme Format Package

Formatkonzept Realisierung des Konzepts Lizenzbestandteile

• Grundidee • Televisuelle Umsetzung • Formatkonzept (formale unterschiedlicher Regelung durch Format-Bibel) • Drehbuch Programmkomponenten (Figuren, Story, Setting, • Hintergrundwissen (Wissen Licht, Kamera, Schnitt etc.) aus Realisierung des Formats, etwa Castingplan, Produktionsplan, Budgetplan, Sendungshistorie)

• Beratung

Weiterentwicklung Akkumulation von Produktionswissen Pilotfilm Format-Bibel Formatlizenz

Quelle: Eigene Darstellung nach Schmitt, Bison und Fey (2005, S. 48)

Entscheidender aber als die Frage nach der Form ist die Frage nach dem Inhalt der Vertragsbestandteile des Formathandels. Denn hier interessiert, in welcher Weise lokale Produktionen und Reproduktionen einander beeinflussen. In diesem Zusam- menhang ist bemerkenswert, dass viele Definitionsangebote das Fernsehformat un- abhängig von seinem grenzüberschreitenden Potenzial erfassen. Dabei ist gerade die Reproduktion und Adaption von Formaten in unterschiedlichen Mediensyste- men von Relevanz. Da Formatierungen und Adaptionen theoretisch auch innerhalb von nationalen Mediensystemen möglich sind, ist es notwendig, auf die grenzüber- schreitende Dimension in einer Arbeitsdefinition des Fernsehformats zu verweisen.

serieller Produktion – also auf alles, was einzelne Folgen als Episoden der Gesamtpro- duktion erkennbar macht.« Hallenberger, Gerd (2005): Vergleichende Fernsehprodukt- und Programmforschung. In: Hepp, Andreas (Hg.): Globalisierung der Medienkommu- nikation. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 169. 35 Heinkelein, Marc (2004): Der Schutz der Urheber von Fernsehshows, S. 15; Schmitt, Daniel; Bisson, Guy; Fey, Alexander (Hg.) (2005): The Global Trade in Television For- mats. Market Research Report. London; Moran, Albert; Malbon, Justin (2006): Under- standing the Global TV Format. Bristol [u.a.]: Intellect, S. 23f.

26 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

Wenn Fernsehformate wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich diskutiert werden, dann sind zumeist diejenigen Formate gemeint, die in andere Fernsehland- schaften diffundiert sind. Jean Chalabys Definition des Formats als »a show that can generate a distinctive narrative and is licensed outside its country of origin in order to be adapted to local audiences«36, integriert die Möglichkeit der grenzüber- schreitenden Adaption. Wesentlich ist hier, dass Formate »inhärent transnational«37 sind. Die Terminologie »transnational« allerdings ist nur eingeschränkt zutreffend, da zwar die meisten Formate in nationalen Medienlandschaften adaptiert werden, es aber inzwischen auch eine Reihe von regionalen Adaptionen gibt. Hierzu zählen Formate, die beispielsweise für ein breites arabisches Publikum von transnationalen Satellitensendern reproduziert wurden, Format-Varianten für ausgewählte Regionen wie die maghrebinische Version von MILLIONÄR oder Formate, die für bestimmte Sprachgemeinschaften innerhalb von Nationen adaptiert wurden. Als Arbeitsdefinition für den Untersuchungsgegenstand in dieser Arbeit soll da- her gelten, dass unter Fernsehformaten jene unterhaltungsbetonten Programman- gebote verstanden werden, die für die Reproduktion in weiteren regionalen, natio- nalen oder lokalen Fernsehlandschaften lizenziert wurden. Die Reproduktion des Formats erlaubt im Rahmen vorgegebener Freiräume die audiovisuelle, narrative und konzeptuelle Adaption der Vorlage. Die gestalterischen Freiräume, die im Lizenzhandel vorgesehen sind, deuten an, dass Formate nicht allein als ökonomische Waren betrachtet werden können. Sie sind zugleich kulturelle Artefakte. Dieses dichotome Charakteristikum des Fern- sehformats als Kulturware schlägt sich auch nieder, wenn es unter juristischen Ge- sichtspunkten betrachtet wird. Denn rechtlich ist der Formathandel ein Lizenzge- schäft, das die Weiterveräußerung von Formaten regelt, also die spezifischen Nut- zungsrechte einer zeitlich und inhaltlich begrenzten Verwendung eines urheber- rechtlich geschützten Werkes.38 Allerdings bereitet gerade die Bestimmung dessen, was urheberrechtlich zu schützen ist, Probleme. Eine zugrundeliegende Idee kann allein nicht Gegenstand eines Schutzrechtes sein, ebenso wenig eine Methode des

36 Chalaby, Jean K. (2011): The Making of an Entertainment Revolution: How the TV Format Trade Became a Global Industry. In: European Journal of Communication 26 (4), S. 296; vgl. auch Ders. (2012): At the Origin of a Global Industry: The TV For- mat Trade as an Anglo-American Invention. In: Media, Culture and Society 34 (1), S. 37. 37 Ebd., S. 295. 38 Koch-Gombert, Dominik (2005): Fernsehformate und Formatfernsehen. TV-Angebots- entwicklung in Deutschland zwischen Programmgeschichte und Marketingstrategie. München: Meidenbauer, S. 177.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 27

Schaffens beziehungsweise eine Technik der Darstellung.39 Ein Urheberrecht kann nur bei einem Werk mit individueller geistiger Schöpfung wirksam werden.40 In der juristischen Anerkennung einer schöpferischen Individualität des Formats wird so- mit auch implizit seine kulturelle Bedeutung konstatiert. In einer solchen juristi- schen Lesart wäre die Formatadaption dementsprechend als kreative Wiederholung und Abwandlung einer kulturellen Ausdrucksform zu verstehen. Dem entspricht ebenso, dass gerade das Wissen um die Produktionsmuster und deren Umwelten (Zielgruppen, Merchandising-Möglichkeiten etc.) durch eine Lizenz erkauft wird. Es handelt sich also nicht allein um den Kauf einer veränderbaren Ware, sondern ebenso um einen Transfer von Wissen über kreative Darstellungsmöglichkeiten. Eine rein medienökonomische Definition von Fernsehformaten würde hingegen zentrale Erklärungsdimensionen ausschließen. Moran behandelt das Format bei- spielsweise als eine eher ökonomische Technik. Auch wenn er anmerkt, dass For- mate zwar keine »handfesten Produkte« seien, orientiert sich deren Kontextualisie- rung dennoch stark am Franchising-Geschäft.41 Auch Knut Hickethiers Definitions- vorschlag reduziert das Format auf ein wirtschaftliches Prinzip, bei dem die Form der Funktion folgt:

»Gegenüber dem tradierten Formverständnis geht das Verständnis des ›Formats‹ von einem radikalen Marktbegriff aus. Es kennt im Gegensatz zum Genre keine historischen Formentra- ditionen, sondern sieht alle Elemente nur unter dem Aspekt ihrer aktuellen Verwertbarkeit.

39 Lausen, Matthias (1998): Der Rechtsschutz von Sendeformaten. Baden-Baden: Nomos, S. 28. Lausens Darlegung bezieht sich auf den deutschen Rechtsdiskurs, da es trotz Be- strebungen zur Vereinheitlichung der Gesetzeslage keine international vergleichende Darstellung zur juristischen Behandlung von Formaten gibt. Grundsätzlich muss es um den juristischen Schutz des Ideengebers gehen, da dieser ein Format nicht ohne Produ- zenten realisieren kann, der sich dann wiederum die Idee des Formats selbst zu Eigen machen könnte. Ebenso erlaubt die Veröffentlichung einer Sendung als quasi-öffent- liches Gut die ungehinderte Nachahmung durch Dritte. Nachahmungsfreiheit ist jedoch Bestandteil der Wirtschaftsfreiheit des Grundgesetzes. Demgegenüber würde ein abso- lutes Verwertungsmonopol auf Seiten des Ideengebers zu einer Monopolstellung führen und Innovationen erschweren. Das Urheber- und Geschmacksmusterrecht kann nur greifen, wenn die kreative Idee eines Formats als besondere Leistung gilt und damit durch ein Schutzrecht gegenüber Nachahmung zu bewahren ist. Vgl. auch Litten, Rüdi- ger (1997): Der Schutz von Fernsehshow- und Fernsehserienformaten, S. 8f. 40 Lausen argumentiert weiter: »Die erforderliche Individualität [für das Inkrafttreten des Schutzrechtes] ergibt sich dabei aus der Gesamtschau aller formatbildenden Elemente.« Ebd., S. 55; vgl. auch Holzporz, Stefan (2002): Der rechtliche Schutz des Fernsehshow- konzepts, S. 48ff. 41 Moran, Albert; Malbon, Justin (2006): Understanding The Global TV Format, S. 15.

28 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

[...] Es zielt auf eine kontinuierliche und damit serielle Produktion und eine ständige Anpas- sung an erkennbare Veränderungen des Publikumsgeschmacks. Formatierung bedeutet vor al- lem auch die Schaffung gleichbleibender Standards in der seriellen oder sequentiellen Pro- duktion.«42

Als Eigenschaft von Kulturgütern wird vor allem die Unsicherheit über den Erfolg und die Aufnahme von eingeführten kreativen Produkten benannt.43 Diese Unsi- cherheit wird zum Problem, wenn Kulturgüter im Kreislauf unternehmerischer Pro- duktion bestehen müssen. Formatierung wird dann zum Imperativ einer Kulturpro- duktion, die marktfähige Waren für einen schwer voraussagbaren Kulturmarkt pro- duzieren will,44 da Formatierung im Sinne einer Standardisierung im oben zitierten Sinn ein Mittel zur Verringerung der Gefahr eines Misserfolgs ist. Was schon er- probt und bekannt ist, kann besser finanziell kalkuliert werden als eine Innovation. Eine Eigenentwicklung hingegen ist häufig weitaus teurer als die Produktionskosten eines Formats, das zumindest theoretisch durch seinen Erfolg im Ursprungskontext auf vergleichbare Einschaltquoten und Werbeeinnahmen im Reproduktionskontext hoffen lässt. Da Formate hauptsächlich serielle Produktionen sind, ist auch eine schnelle Amortisierung der Kosten wahrscheinlich. Die Show- und Realityformate haben darüber hinaus häufig den Vorteil, dass die Kosten für Schauspieler und Stars reduziert werden können und dass sich durch die Partizipationsmöglichkeiten von Zuschauern in Casting-basierten Formaten zusätzliche Einnahmequellen durch Te- levoting und cross-mediale Anschlussproduktionen und Merchandising erzielen las- sen. Gewissermaßen folgt der Formathandel also einem kapitalistischen Prinzip der Kulturproduktion und versucht, Sendungsangebote zu optimieren.45 Diese Vorteile des Formathandels werden insbesondere in heutigen Medienumgebungen attraktiv, in denen sich das Fernsehen mit zunehmenden ökonomischen Problemen konfron- tiert sieht. Als Faktoren einer solchen Krise werden insbesondere der Einbruch von Werbeeinnahmen durch die »Internetblase«, gestiegene Produktionskosten, ein grö- ßerer Wettbewerb und der damit gestiegene Bedarf an einer lokalen Programmpro- duktion bei gleichzeitig sinkender Nachfrage und sinkenden Einnahmen aus Impor- ten angeführt – mit Andrea Esser ausgedrückt: als »die alten Geschäftsmodelle un-

42 Hickethier, Knut (2007): Film- und Fernsehanalyse, S. 205f. 43 Caves, Richard E. (2002): Creative Industries. Contracts Between Art and Commerce. Cambridge [u.a.]: Harvard University Press, S. 3; Hesmondhalgh, David (2007): The Cultural Industries, S. 17ff. 44 Ryan, Bill (1992): Making Capital from Culture, S. 154. 45 Mikos, Lothar (2008): Film- und Fernsehanalyse. 2. Aufl. Konstanz: UVK, S. 269.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 29 zureichend geworden« waren, wurde der Formathandel attraktiv.46 Die Grundlogik des Formathandel, so ließe sich demnach argumentieren, liegt zunächst in der Ka- pitalisierung erfolgreicher Marken und weniger in kreativen Impulsen für die Un- terhaltungsindustrien. Die plausiblen medienökonomischen Vorteile legen nahe, dass sich Formate, wollen sie international erfolgreich weiterverwertet werden, vor allem an ihrer An- passungsfähigkeit an lokale Fernsehlandschaften messen lassen müssen. An dieser Stelle wird nun aber die Eindimensionalität ökonomischer Erklärungsperspektiven deutlich. Denn wie John Fiske bezüglich allgemeiner Medienproduktion konstatiert: »What is exchanged and circulated here is not wealth but meanings, pleasures, and social identities.«47 Formatierung im Fernsehen standardisiert demnach nicht nur er- folgreiche Produktionsweisen und -muster, sondern auch kreative Ideen und Sym- bole. Sie objektiviert Kultur und unterwirft sie dabei Gesetzen der Wiederholung, auch wenn das Ausmaß und die Wirkungsweisen dieser Formatierung weitestge- hend ungeklärt sind. Theoretisch aber scheint Formatierung in diesem Sinne eine geeignete Voraussetzung für die Tradierung bestimmter kultureller Darstellungs- muster zu sein. Genau darin besteht nun ein zentraler Anknüpfungspunkt für Fragen der kulturellen Globalisierungsdynamiken. Dabei sind Fernsehformate keine marginalen Beispiele globaler Medienkom- munikation, bedenkt man sowohl die Beschleunigung des Formathandels in den letzten Jahren als auch die Erfolgsquoten verschiedener Sendungen. Der Handel mit erfolgreichen Programmkonzepten ist im weltweiten Maßstab vor allem in den letz- ten drei Jahrzehnten sichtbar geworden, in denen Formate wie BIG BROTHER oder MILLIONÄR zu weit verbreiteten Fernsehphänomenen wurden. BIG BROTHER zählt bislang weltweit 740 Millionen Zuschauer.48 Manche Autoren sprechen sogar von einer »Formatrevolution«, die seit den 1990er Jahren eingesetzt habe.49 Einzelne Clips von Castingsendungen haben überdies millionenfache Klicks auf YOUTUBE generieren können. Auch wenn es keine Gesamterhebung des Formathandels gibt, so lassen sich aus vorhandenen empirischen Zusammenstellungen zumindest einige Anhaltspunkte für die Dynamik und das Wachstum des Formathandels ableiten. Demnach ist der Anteil an vertriebenen Formaten innerhalb von vier Jahren etwa um das Doppelte gestiegen, von insgesamt 259 im Jahr 2005 auf 445 Formate im

46 Esser, Andrea (2010): Formatiertes Fernsehen. In: Media Perspektiven 11, S. 506; vgl. auch Dies. (2010): Television Formats: Primetime Staple, Global Market. In: Popular Communication 8 (4), S. 273-292. 47 Fiske, John (2007): Television Culture. London: Routledge, S. 311. 48 Moran, Albert; Aveyard, Karina (2014): The Place of Television Programme Formats. In: Continuum 28 (1), S. 18-27. 49 Chalaby, Jean K. (2012): At the Origin of a Global Industry.

30 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

Jahr 2009.50 Der Umsatz betrug 2009 damit immerhin 9,3 Milliarden Euro. Einige ausschnitthafte Studien lassen darüber hinaus vermuten, dass Formate zumindest aus Produktionsperspektive inzwischen eine gewachsene Rolle in der Primetime- Produktion einiger ausgewählter Fernsehlandschaften spielen.51 Einen sicheren em- pirischen Beleg für die Bedeutung von Fernsehformaten in Deutschland liefern et- wa die jährlichen »International Key Facts«, die von der RTL Group und dem IP Network zusammengestellt werden. Demnach waren 2013 unter den 20 meistgese- henen Programmen der werberelevanten Zielgruppe neben Sportveranstaltungen und Filmen mit DEUTSCHLAND SUCHT DEN SUPERSTAR und ICH BIN EIN STAR, HOLT MICH HIER RAUS auch zwei erfolgreiche RTL-Formate vertreten. Adaptierte Formate

50 Jäger, Elfi; Behrens, Sonja (Hg.) (2009): FRAPA Report 2009. 51 Esser, Andrea (2010): Formatiertes Fernsehen; Dies. (2010): Television Formats. Esser hat den Anteil formatierter Programme in der Primetime der fünf größten US-amerika- nischen und deutschen Sender erhoben. In den USA ließen sich demnach zwischen Sep- tember 2007 und Juni 2008 insgesamt 47 ausgestrahlte Formate finden, die wiederum 33 Prozent der gesamten Sendezeit in der Primetime (3,365 Sendestunden) füllten. Da jedoch Nutzerreichweiten oder Anteile am Zuschauermarkt nicht mit in die Studie ein- flossen, liefern die Daten nur einen quantitativen Eindruck aus Produktionsperspektive. Interessant ist dennoch, dass auf den fünf US-amerikanischen Sendern 47 der 218 be- rücksichtigten Sendungen internationale Formattitel waren. Das entspricht immerhin 21,6 Prozent aller ausgestrahlten Sendungen in der US-Primetime, wobei die USA me- dienhistorisch nicht vom Programmimport abhängig waren. Allerdings werden auch originäre US-Formate wie AMERICA’S NEXT TOPMODEL aufgelistet, die eigentlich lo- kale Eigenentwicklung sind. Eine Bilanzierung der Bedeutung der Formatierung ist da- her auf dieser Grundlage noch nicht zu leisten. Dies muss auch zu Teilen für eine ver- gleichende Datensammlung der deutschen Primetime gelten, in der in den Jahren 2008 und 2009 insgesamt 70 unterschiedliche Formate während der Primetime auf den fünf größten deutschen Sendern liefen, was einem ähnlichen Durchschnitt von 33 Prozent der Sendezeit entspricht. Dabei war ein großer Unterschied zwischen öffentlich-rechtli- chen und privatwirtschaftlichen Sendern zu beobachten. Esser liefert hier Angaben zur Sehbeteiligung mit, die insgesamt eine starke Resonanz bei den Zuschauern verdeutli- chen. An Aussagekraft büßt die Darstellung aber dadurch ein, dass sie nicht zwischen unterhaltenden und informativen Genres unterscheidet. So ist bspw. anzunehmen, dass die hohe Sehbeteiligung bei Nicht-Formaten in den öffentlich-rechtlichen Sendern auf die Nachrichtenangebote in der Primetime zurückzuführen ist und damit kaum ein Ver- gleich mit der Sehbeteiligung von Formaten möglich ist, die zumeist unterhaltende An- gebote sind. Insgesamt aber lässt sich trotz Unsicherheiten der Datenlage die große Be- deutung der Formatierung im Fernsehen hier erkennen.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 31 zählen außerdem zu den reichweitenstärksten Programmen der Zuschauer von RTL, SAT.1 und PRO7.52 Indes sind Kopien und Adaptionen schon immer gängige Formen der Produkt- beschaffung in den Medien gewesen. Die Filmindustrie beispielsweise lebt seit je- her von der Adaption narrativer und dramatischer Textvorlagen. Das Fernsehen selbst bediente sich in den ersten Jahren vielfach an Spielshows aus dem Hörfunk, die dann in das neue Medium überführt wurden. Folgt man Jérôme Bourdon, dann reicht der erste systematische internationale Formattransfer sogar bis ins 19. Jahr- hundert zurück. Damals ließen sich die europäischen Herausgeber der neu entstan- denen Massenpresse in Paris und London bereits von US-amerikanischen Vorlagen inspirieren.53 Als formative Phase des internationalen Fernsehformathandels allerdings lässt sich der Zeitraum zwischen den 1920er und 1970er Jahren bezeichnen. Kopiert wurden in dieser Zeit vor allem Quiz- und Spielshow-Ideen aus dem US-amerikani- schen Fernsehen in Großbritannien, Deutschland, den Niederlanden, seit den 1950er Jahren auch in Australien und Südamerika.54 In Europa importierte zunächst vor al- lem Großbritannien aufgrund der sprachlichen Nähe und einem gut entwickelten Fernsehsektor Formate aus den USA. Als eines der ersten Formate gilt die einmalig ausgestrahlte BBC-Show IGNORANCE IS BLISS, die auf eine US-amerikanische Sen- dung zurückgeht, die sich IT PAYS TO BE IGNORANT nannte und 1942 im New Yor- ker Fernsehen lief und für deren Übernahme die BBC auch einen finanziellen Aus- gleich zahlte.55 WHAT’S MY LINE hingegen gilt als erstes importiertes Format, das auch regelmäßig auf Sendung ging. Die Sendung war seit 1950 auf CBS TV in den USA zu sehen und wurde im Juli 1951 von der BBC ausgestrahlt. Mit frühen Repro- duktionen in Deutschland, Brasilien, Kanada, Australien, Südkorea, Spanien, Vene- zuela und weiteren Neuauflagen in Tschechien oder Indonesien ist das Rateformat ein erster weltweiter Erfolg. Allerdings folgte der Handel mit Ideen in dieser Zeit noch keinen standardisierten Regeln und justiziablen Lizenzen. Vielmehr regelten bilaterale Absprachen über finanzielle Entschädigungen die Weiterverwendung, wenngleich der Vertrag zwischen der BBC und dem Erfinder von WHAT’S MY LINE

52 IP Network; RTL Group (2013): Television International Key Facts 2013. 53 Bourdon, Jérôme (2012): From Discrete Adaptations to Hard Copies. The Rise of For- mats in European Television. In: Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 113. 54 Moran, Albert (1998): Copycat Television, S. 18; vgl. auch Bourdon, Jérôme (2012): From Discrete Adaptations to Hard Copies; Waisbord, Silvio (2004): McTV. Under- standing the Global Popularity of TV Formats. In: Television and New Media 2004 (5), S. 359-363; Koch-Gombert, Dominik (2005): Fernsehformate und Formatfernsehen; Chalaby, Jean K. (2012): At the Origin of a Global Industry. 55 Chalaby, Jean K. (2012): At the Origin of a Global Industry.

32 | FORMATIERTE WELTKULTUR? als Urdokument des Formathandels gelten kann.56 Der Formathandel kann im Rück- blick insofern wohl als angloamerikanische Erfindung betrachtet werden, insofern die ersten Deals zwischen den USA und Großbritannien abgeschlossen wurden und sich die meisten etablierenden europäischen Sender zunächst von den dortigen An- geboten inspirieren ließen.57 Andererseits muss auch berücksichtigt werden, dass der Austausch kreativer Ideen in anderen Regionen der Welt im englischsprachigen Diskurs kaum beachtet wurde. Beispielsweise ist durchaus vorstellbar, dass auch innerhalb der arabischen und iberoamerikanischen Fernsehlandschaft lokale Pro- grammideen bereits vor dem formalisierten Formathandel auf Basis bilateraler Be- ziehungen weiterveräußert wurden. Die umfassenden Deregulierungs- und Kommerzialisierungsdynamiken in eu- ropäischen und später auch außereuropäischen Fernsehlandschaften bedingten je- doch den enormen Anstieg des Imports US-amerikanischer Spielfilme, Serien und Sendungen seit den 1970er Jahren. Viele der neu entstandenen privaten Rundfunk- sender hatten Programmplätze zu füllen und bedienten sich am Bestand des US- amerikanischen Fernsehrepertoires.58 Die Einflussnahme der USA auf die kommer- zielle Umgestaltung europäischer Rundfunksysteme in der Nachkriegszeit hatte die Herausbildung von Strukturen für die Übernahme von unterhaltenden Inhalten be- günstigt. Die Kommerzialisierung und die damit verbundene Nachfrage nach güns- tigen Angeboten beeinflusste insbesondere die Formalisierungstendenzen des For- mathandels, der seit den 1980er Jahren zunehmend zur systematischen Produktions- politik wurde.59 Die Erfolgsformate WHEEL OF FORTUNE, das 1975 in den USA konzipiert worden war, und THE PRICE IS RIGHT, das bereits seit 1956 in den USA ausgestrahlt wurde, wurden erstmals mit Lizenzvorgaben international verkauft. Auch SALE OF THE CENTURY wurde 1969 auf NBC in den USA ausgestrahlt und in den 1980er Jahren nach Australien, Hong Kong, Großbritannien, Neuseeland und in den 1990er Jahren nach Deutschland, Griechenland, Paraguay und nach Indonesien verkauft.60 Neben den US-amerikanischen Spielshows begannen in den 1970er Jah- ren auch zunehmend fiktionale Serien grenzüberschreitend zu zirkulieren. Latein- amerikanische Telenovelas wurden zu dieser Zeit bereits in etwa 50 Ländern ausge- strahlt und später dann auch weltweit adaptiert. Die australische Firma GRUNDY

56 Ebd. 57 Ebd.; Bourdon, Jérôme (2012): From Discrete Adaptations to Hard Copies; Moran, Al- bert (2013): Global Television Formats: Genesis and Growth. In: Critical Studies in Television: The International Journal of Television Studies 8 (2), S. 1-19. 58 Koch-Gombert, Dominik (2005): Fernsehformate und Formatfernsehen, S. 186; Bour- don, Jérôme (2012): From Discrete Adaptations to Hard Copies. 59 Ebd.; Moran, Albert (1998): Copycat Television, S. 18. 60 Ebd., S. 80.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 33 vermarktete in den 1970er Jahren ebenfalls die erfolgreichen Serien THE RESTLESS YEARS, EASTENDERS und SONS AND DAUGHTERS in internationalen Adaptionen. Die Firma GRUNDY in Australien wie auch die Firma FREMANTLE CORPORATI- ON, die in den USA als erstes Unternehmen zur internationalen Distribution von Se- rien- und Formatangeboten gegründet worden war, waren mit den oben genannten Erfolgsformaten die Akteure der ersten Stunde des Formathandels in den späten 1970er und 1980er Jahren. Auf dem sich zunehmend etablierenden Formatmarkt kam es seit den 1980er Jahren allerdings zu mehrfachen Verschiebungen hinsicht- lich der Akteurskonstellationen. Während in den formativen Jahren des Fernsehens Formatvorlagen vor allem aus den USA kamen, entstanden seit den 1990er Jahren auch im nördlichen Europa neue, marktkräftige Produktionsunternehmen und in der Folge etablierte sich Europa zu einem ernst zu nehmenden Markt für Unterhal- tungsformate. Der Trend ging so weit, dass Europa schließlich zum Zentrum des Formathandels wurde.61 Besonders das transnationale Produktionsunternehmen ENDEMOL aus den Nie- derlanden verzeichnete große Erfolge, nicht zuletzt durch das Format BIG BROTHER, das einen weltweiten Reality-Boom auslöste. Aber auch die britische Firma ACTION TIME und die BBC in Großbritannien erkannten die Vorteile der Lizenzierung von Sendungsformaten früh. Großbritannien ist bis heute einer der führenden Formatex- porteure. Transnational agierende Produktionsunternehmen wie FREMANTLE ME- DIA,62 ENDEMOL oder BANIJAI spezialisierten sich auf die Formatentwicklung und richteten internationale Workshops sowie »Think Tanks« zur Formatproduktion ein. Es kamen sukzessive auch Unternehmen auf den Markt, die sich nur auf die Formatdistribution spezialisierten. Darüber hinaus sind mit TV GLOBO und TELEVI- SA auch die lateinamerikanischen Unternehmen mit dem Verkauf von Telenovelas zu wichtigen Akteuren des Formatmarktes avanciert. Es lässt sich zusammenfassend sagen, dass der Formatmarkt deutliche Tenden- zen der Institutionalisierung und Ausdifferenzierung aufweist und sich dessen Re- gulierungssystem konsolidiert hat. Mit den Worten von Moran: »Formats are regis- tered for copyright purposes, format libraries are bought and sold, licence fees are paid, legal threats are continually made and court actions launched.«63 Ferner reflektiert sich die Formatbranche innerhalb des Unterhaltungsfernse- hens zunehmend selbst und es ist zur Gründung von Institutionen der Selbstkontrol- le gekommen. Dazu zählt die gestiegene Aufmerksamkeit für Fernsehformate auf

61 Moran, Albert (2013): Global Television Formats: Genesis and Growth. 62 Die FREMANTLE CORPORATION wurde in mehreren Fusionierungs- und Verkaufspro- zessen Teil der UFA und im Jahr 2000 Teil der RTL Group und benannte sich dann in FREMANTLE MEDIA um. 63 Moran, Albert (1998): Copycat Television, S. 17.

34 | FORMATIERTE WELTKULTUR? den internationalen Fernsehmessen und in damit verbundenen Fachpublikationen.64 Neben den Messeveranstaltungen wurde 2003 auch ein internationales Verständi- gungsforum für die Branche eingerichtet, die sogenannte FRAPA (Format Registra- tion And Protection Association). Es handelt sich dabei um eine Art inoffizielles Patentamt, das mithin als Mediator in urheberrechtlichen Disputen um Formate auf- tritt und die internationale Anerkennung von Formaten als einzigartiges intellektu- elles Eigentum vorantreibt.65 Die Vereinheitlichungsbestrebungen auf juristischer Ebene gründen letztlich aber nicht in Bestrebungen nach einer kulturellen Verein- heitlichung, sondern in der Sicherstellung des finanziellen Gewinns, der sich durch eine Weiternutzung ergibt. Vielfach hingewiesen wird in der Literatur diesbezüg- lich auf die Produktionskultur in China, wo unlizenzierte Kopien von Formaten auf- grund eines anderen Umgangs mit intellektuellem Eigentum üblich seien.66 Neben einer deutlichen Institutionalisierung lassen die Entwicklungen der For- matbranche auch eine zunehmende Professionalisierung erkennen. Hierzu zählt die Einrichtung von Preisverleihungen67 und Akademien. Beispielsweise wurde 2007 eine »Entertainment Master Class« eingerichtet, deren verschiedene Module Nach- wuchsproduzenten einladen, institutionelle Kontakte aufzubauen und Erfahrungen des Formathandels auszutauschen. Eine solche Plattform für die internationale Aus- bildung befördert auch die zunehmende internationale Integration und Expansion des Formathandels. Wenngleich Großbritannien, die USA, die Niederlande und Ar- gentinien nach wie vor die größten Formatexporteure sind, spricht vieles dafür, dass die internationale Diffusion von Formaten disperser geworden ist und die beteilig- ten Akteure inzwischen so dynamisch agieren, dass die Bestimmung von deutlichen Zentren und Peripherien der Formatproduktion beziehungsweise die Unterschei- dung zwischen Formatexporteuren und -importeuren nicht mehr einfach vorzuneh- men ist. Beispielsweise galten Deutschland, Italien und Spanien in einer ersten Un-

64 2004 fand das erste »Formats Forum« in Monte Carlo statt, mehrtägige Fachprogramme wie die »MIPFormats« finden sich regelmäßig auf den internationalen Fachmessen. 65 Moran, Albert; Malbon, Justin (2006): Understanding The Global TV Format; The For- mat Recognition And Protection Association (2014). http://www.frapa.org/. 66 Cooper-Chen, Anne (1994): Games in the Global Village, S. 145; vgl. auch Moran, Al- bert; Keane, Michael (2004): Television Across Asia. Television Industries, Programme Formats and Globalization. London: RoutledgeCurzon; Dies. (2006): Copycat TV and New Trade Routes in Asia and the Pacific. In: Harvey, Sylvia (Hg.): Trading Culture. Global Traffic and Local Cultures in Film and Television. Eastleigh: John Libbey, S. 105-117. 67 Bspw. wurden die »FRAPA Format Awards« 2003 auf dem Monte Carlo TV Festival und 2005 beim »Television Rose d’Or« Festival in Luzern verliehen. Gemeinsam mit C21MEDIA wird der Preis seit 2007 auf der »MIPCOM« in Frankreich verliehen. http://www.frapa.org/.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 35 tersuchung des Formathandels noch als Formatimporteure.68 In einer Erhebung, die nur vier Jahre später vorgenommen wurde, verzeichnen diese Länder bereits nen- nenswerte Erfolge als Formatexporteure.69 Japan, Israel und auch Produktionsun- ternehmen aus der arabischen Welt sind neue Akteure auf dem Formatmarkt.70 Die Zunahme an Heterogenität des Formatmarktes lässt sich dementsprechend ebenso an den beteiligten Produktionsunternehmen ablesen. Neben zentralen »global play- ers«, wie der britischen Firma FREMANTLE MEDIA oder dem niederländischen EN- DEMOL, nehmen auch zunehmend kleinere und neuere Firmen am internationalen Wettbewerb teil, wie etwa die transnationalen Unternehmen EYEWORKS und ALL3- MEDIA.71 Doch nicht nur endogene strukturelle Entwicklungen des Formathandels verän- dern die Produktionslandschaft, auch exogene Globalisierungsdynamiken im Be- reich der Informationstechnologien haben einen maßgeblichen Einfluss auf die He- terogenisierung der Strukturen, da sie Mittel zur Verfügung stellen, durch die sich die Dynamik des Transfers erhöht. Während die Spielshows vor den 1990er Jahren meist mehrere Jahre für ihre internationale Verbreitung brauchten, werden die Li- zenzen heute innerhalb kürzester Zeit nach Ausstrahlungsdatum verkauft und For- mate reproduziert. Als 1999 beispielsweise BIG BROTHER erfolgreich auf Sendung gegangen war, sollen nur wenige Wochen später viele Sender anderer Länder an den Rechten interessiert gewesen sein.72 Gerade die Digitalisierung erlaubt heute den ungehinderten und synchronen Zugriff auf Formatausstrahlungen, so dass sich die Zeit zwischen Ursprungs- und Nachfolgeproduktionen enorm verkürzt hat.73 Diese Beschleunigung des Formathandels und die damit einhergehende Synchroni- tät der Formatproduktion und ihres Konsums zeichnen die aktuelle Entwicklung des Formatmarkts aus. Eine Ausdifferenzierung ist auch auf der Ebene der Genres zu erkennen. Denn während sich der Formathandel zunächst hauptsächlich auf Spielshows beschränk- te, wurden sukzessive auch fiktionale Serien zum Format, ebenso »Telenovelas« und seit den 1990ern »non-scripted Reality-TV« bis hin zu »Lifestyle-« und

68 Schmitt, Daniel; Bisson, Guy; Fey, Alexander (Hg.): The Global Trade in Television Formats. 69 Jäger, Elfi; Behrens, Sonja (Hg.) (2009): FRAPA Report 2009. 70 Ebd.; vgl. auch Esser, Andrea (2010): Television Formats. 71 Moran, Albert (2013): Global Television Formats: Genesis and Growth, S. 12. 72 Kirsch, Thomas (2001): Und die Welt schaut zu. Der internationale Siegeszug von ›Big Brother‹. In: Böhme-Dürr, Karin (Hg.): Hundert Tage Aufmerksamkeit. Das Zusam- menspiel von Medien, Menschen und Märkten bei ›Big Brother‹. Konstanz: UVK, S. 279-312. 73 Dies wurde auch in Interviews von Experten der Formatbranche, die im Rahmen dieser Arbeit durchgeführt wurden, bestätigt.

36 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

»Makeover-Formaten« im Bereich des »scripted Reality-TV«. Die Formatierung hat insofern inzwischen nahezu alle Gattungen der fiktionalen und nicht-fiktionalen televisuellen Darstellung erreicht.74 Darüber hinaus ist zu beobachten, dass in man- chen Fernsehmärkten Formate sowohl in Originalversion als auch in einer lokal adaptierten Version gesendet werden.75 NEXT TOP MODEL, AMERICA’S GOT TALENT und AMERICAN IDOL beispielsweise haben inzwischen auch ein Publikum außerhalb ihres ursprünglichen Ausstrahlungsgebietes gefunden. Auch wenn die tatsächliche Reichweite beim internationalen Publikum fraglich bleibt, so ist diese jüngere Ent- wicklung zumindest ein Zeichen für die Komplexität der Verbreitungswege von Formaten und auch dafür, dass selbst »Reality-TV« ein Export-Potenzial hat. Hin- sichtlich der Sichtbarkeit der internationalen Verbreitung von Formaten auf der Re- präsentationsebene ist festzustellen, dass eine Verwandtschaft mit den Ursprungs- formaten oder anderen Versionen nicht mehr grundsätzlich vertuscht wird, wie es bisher üblich war.76 Ein Beispiel ist hier die Bewerbung zu ARABS GOT TALENT, die ganz gezielt auf den internationalen Anschluss an die Erfolgsformate AMERICA’S GOT TALENT und BRITAIN’S GOT TALENT aufmerksam machte. Ähnlich argumen- tiert Oren auch am Beispiel der israelischen Version von SO YOU THINK YOU CAN DANCE, die sich ebenso als Teil eines internationalen Booms des Formats präsen- tiert habe.77 Der stark verdichtete historische Abriss der Entwicklung des Formathandels und die vorhandenen empirischen Daten müssen sich die Kritik gefallen lassen, dass sie vor allem eine Branchengeschichte aus euro-amerikanischer Perspektive schreiben. Ganze Regionen wie die arabische Welt werden aus den Studien ausge- schlossen und spezifische regionale Entwicklungen des Formattauschs beispiels- weise in Asien werden nicht erfasst. Ein detaillierter Rückblick auf die jeweilige Entwicklung des Formatfernsehens in den untersuchten nationalen und transnatio- nalen Fernsehlandschaften (Deutschland und arabische Welt) werden im weiteren Verlauf der Studie die Überblicksdarstellung ergänzen. Hier sollte zunächst gezeigt werden, dass Formatfernsehen zu einem ernst zu nehmenden Phänomen der interna- tionalen Fernsehproduktion avanciert ist. In seinem Ausmaß ist der Formathandel damit durchaus als ein grenzüberschreitendes globales Phänomen zu werten. Das Produktionsmuster der Formatierung ist dementsprechend längst zu einer universa- len Produktionspraxis geworden. Die Beantwortung der Frage, ob dies allerdings auch zu einer Standardisierung von Kreativität und Kultur geführt hat, ist Aufgabe

74 Hallenberger, Gerd (2002): Fernsehformate und internationaler Formathandel. In: Hans- Bredow-Institut (Hg.): Internationales Handbuch Medien 2002-2003. 26. Aufl. Baden- Baden: Nomos, S. 130-137. 75 Moran, Albert; Aveyard, Karina (2014): The Place of Television Programme. 76 Moran, Albert (2013): Global Television Formats: Genesis and Growth. 77 Oren, Tasha (2012): Reiterational Texts and Global Imagination.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 37 wissenschaftlicher Beobachtung. Das nachfolgende Kapitel beschäftigt sich daher weiterführend mit der wissenschaftlichen Auseinandersetzung des Phänomens der Fernsehformate.

1.2 UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHFORMATE IN DER KULTUR- UND KOMMUNIKATIONSWISSENSCHAFT

Fernsehformate werden in wissenschaftlichen Zusammenhängen gern als geeigne- tes Anschauungsbeispiel für die Komplexität grenzüberschreitender Medienkom- munikation angeführt. Die dargestellte Entwicklung des Phänomens macht dies schnell plausibel: Die weltweite Verbreitung gleicher Konzepte ist enorm angestie- gen und gemessen an ihrem Erfolg sind es heute vor allem adaptierte Formate, die die meisten Zuschauer vor den Fernsehern versammeln können. Formate über- schreiten Grenzen und reproduzieren selbige zugleich, da in den Adaptionen scheinbar nationale und lokale symbolische Repertoires integriert werden. Selten kommen wissenschaftliche Diskussionen über Formate daher ohne den Verweis auf die Theoreme der Glokalisierung oder Hybridisierung aus. Erstaunlicherweise aber ist eine kohärente Theoriearbeit zu Fernsehformaten bisher nur in Ansätzen geleis- tet worden. Dabei hat das akademische Interesse am Gegenstand innerhalb der letz- ten zehn Jahre durchaus zugenommen. Das lässt sich etwa an der gewachsenen Zahl von Publikationen ablesen, ebenso an der Präsenz des Themas auf wissenschaftli- chen Tagungen.78 Auch gibt es erste Autoren, die »Fernsehformat-Forschung« in- zwischen als einen eigenen Teilbereich der Medien- und Kommunikationsfor- schung ansehen.79 Aufgrund der geringen Konsolidierung der Formatforschung muss aber wohl eher von einem kommunikationswissenschaftlichen Diskursfeld als von einem institutionalisierten Disziplinbereich ausgegangen werden. In der inhaltlichen Ausrichtung der Forschung ist dabei in jüngerer Zeit eine Verschiebung von eher praxisorientierten Darstellungen hin zu kulturtheoretisch orientierten Analysen von Fernsehformaten zu erkennen. Während in den ersten Pu-

78 Zu interdisziplinären Tagungen, auf denen Beiträge zu Fernsehformaten vertreten wa- ren, zählen beispielhaft die internationalen Konferenzen des Netzwerks »Media Across Borders«, die von der Universität Roehampton London ausgerichtet wurden, die IAMCR (International Association for Media and Communication Research) 2013 mit einem eigens für Formate ausgerichteten Panel, ein Online-Workshop von Albert Mo- ran und Pia Jensen sowie der WOCMES (World Congress of Studies) 2014 in Ankara. 79 Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (2012): Introduction: Television Formats.

38 | FORMATIERTE WELTKULTUR? blikationen des Medienwissenschaftlers Moran Formate vor allem vor dem Hinter- grund ihrer Programmgeschichte und ihrer Institutionalisierung dargestellt wur- den,80 diskutieren aktuellere Fallstudien eher ausgewählte theoretische Teilaspekte wie inhaltliche Unterschiede, Repräsentationsstragien und Identifikationsangebote. Systematische und vor allem integrative Arbeiten, die über anwendungsbezogene Aufarbeitungen des Formathandels oder über entwurfartige theoriegeleitete kompa- rative Fallstudien hinausgehen, sind jedoch weiterhin rar. Allein der jüngste Sam- melband ist Zeugnis für die zwar wachsende, aber zugleich hochgradig fragmentier- te Forschung zum Thema.81 Im Folgenden wird der Forschungsbereich zu Fernseh- formaten daher grob systematisiert, indem unterschiedliche Perspektiven und theo- retische Grundlagen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung geordnet werden. Mit der Arbeit von Katja Lantzsch liegt eine thematisch einschlägige Monogra- phie im deutschsprachigen Raum vor, die den Formathandel aus organisationssozio- logischer Perspektive aufarbeitet. Durch den Fokus auf die institutionellen Struktu- ren werden jedoch kaum kulturtheoretische Überlegungen zum Inhalt oder zur Be- deutung der Formate angestellt.82 Ein weiterer Sammelband zur Unterhaltungspro- duktion von Lantzsch und Altmeppen verfolgt ebenso eine stark branchenorientierte Darstellung, die sich in die bereits angesprochenen Aufarbeitungen des Formathan- dels aus Institutionenperspektive bei Moran einreiht.83 Timothy Havens sowie De- nise Bielby und Lee Harrington wählen in ihren Untersuchungen des globalen Fern- sehmarkts ebenso einen marktorientierten Zugang, arbeiten aber bereits stärker die Gatekeeper-Funktion der Unterhaltungsproduzenten zwischen globalen und lokalen Marktanforderungen sowie Einflussfaktoren, Wirkungsweisen und Dynamiken der Produzentenpraktiken heraus. Hier gerät dann verstärkt die soziale und kulturelle

80 Moran, Albert (2009): New Flows in Global TV. Bristol [u.a.]: Intellect; vgl. auch Ders.; Malbon, Justin (2006): Understanding The Global TV Format. Letztgenannte Publikation richtet sich bspw. explizit an ein breites, nicht allein akademisches Pub- likum: »It can be read by the general public and by the TV industry alike for insight and detail as to just how this particular kind of television works.« Ebd., S. 12. 81 Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.) (2012): Global Television Formats; vgl. auch Grüne, Anne (2013): Review: Global Television Formats. Understanding Television Across Borders. In: Global Media Journal (German Edition) 3 (2). 82 Lantzsch, Katja (2008): Der internationale Fernsehformathandel. Akteure, Strategien, Strukturen, Organisationsformen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. 83 Lantzsch, Katja; Altmeppen, Klaus-Dieter; Will, Andreas (Hg.) (2010): Handbuch Un- terhaltungsproduktion. Beschaffung und Produktion von Fernsehunterhaltung. Wiesba- den: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 39

Dimension des Handels mit kreativen Produkten in den Blick.84 Der Formathandel spielt jedoch in beiden Monographien nur eine untergeordnete Rolle, da auch die Zirkulation unveränderter Film- und Fernsehangebote untersucht wird, was aber letztlich eine andere Form der Unterhaltungsproduktion darstellt. Ein weiterer Bereich sind Kontextanalysen, die die Entwicklung des Formathan- dels, die Entwicklung von »Formatgeschichten« oder die Entwicklung von Genres und Formaten in unterschiedlichen Regionen der Welt herausgearbeitet haben und dabei insbesondere lokale Dynamiken der Ausbildung narrativer Darstellungskon- ventionen untersucht haben. Hierzu können Arbeiten zur Entwicklung der latein- amerikanischen »Telenovela« gezählt werden,85 ebenso zum Einfluss des Format- fernsehens auf asiatische Fernsehlandschaften86 oder zu gesellschaftlichen Implika- tionen des Formatfernsehens in der arabischen Welt.87 In diesen Beispielen stehen weniger einzelne Formate und deren Inhalte im Vordergrund als vielmehr die öffentlichen Anschlussdiskurse über Formate. Neben den produktions- und marktorientierten Analysen sowie den Darstellun- gen von Entwicklungsdynamiken in unterschiedlichen Regionen lässt sich dann ein weiteres Feld definieren, das sich aus diversen inhaltsanalytischen Untersuchungen

84 Havens, Timothy (2006): Global Television Marketplace. London: BFI; Bielby, Denise; Harrington, Lee (2008): Global TV. Exporting Television and Culture in the World Market. New York: New York University Press. 85 Straubhaar, Joseph; La Pastina, Antonio (2005): Multiple Proximities Between Televi- sion Genres and Audiences. The Schism Between Telenovelas’ Global Distribution and Local Consumption. In: Gazette: The International Journal for Communication Stud- ies 67 (3), S. 271-288; Biltereyst, Daniel; Meers, Phillip (2000): The International Tele- novela Debate and the Contra-Flow Arguments: a Reappraisal. In: Media, Culture and Society 22 (4), S. 339-413. 86 Moran, Albert; Keane, Michael (2004): Television Across Asia; Keane, Mi- chael (2002): As a Hundred Television Formats Bloom, a Thousand Television Stations Contend. In: Journal of Contemporary China 11 (30), S. 5-16; Ders.; Fung, Anthony; Moran, Albert (2007): New Television, Globalisation, and the East Asian Cultural Im- agination. Hong Kong: Hong Kong University Press. 87 Kraidy, Marwan (2010): Reality Television and Arab Politics; Ders. (2008): Reality TV and Multiple Arab Modernities: A Theoretical Exploration. In: Middle East Journal of Culture and Communication 1 (1), S. 49-59; Ders. (2006): Die Politisierung des Unter- haltungsfernsehens in der arabischen Welt. Der Fall Superstar. In: Televizion 19 (2); Kraidy, Marwan; Khalil, Joe (2009): Arab Television Industries. Basingstoke: Palgrave Macmillan; Khalil, Joe (2005): Inside Arab Reality Television: Development, Defini- tion and Demystification. In: Transnational Broadcasting Studies 1 (2), S. 51-68; Lynch, Mark (2005): ›Reality is Not Enough‹: The Politics of Arab Reality TV. In: Transnational Broadcasting Studies 1 (2), S. 29-45.

40 | FORMATIERTE WELTKULTUR? von Formaten zusammensetzt, in denen vor allem die Textebene im Fokus steht. Die größte wissenschaftliche Aufmerksamkeit wurde hier den erfolgreichsten For- maten, darunter POP IDOL, WHO WANTS TO BE A MILLIONAIRE, BIG BROTHER, LET’S DANCE, THE OFFICE und UGLY BETTY zuteil. In den inhaltlichen Analysen werden sowohl einzelne nationale Formate88 als auch mehrere nationale Formatversionen verglichen.89 Das »Lokale« der Adaptionen wird dabei in vielen Fällen im »Natio- nalen« gesucht – etwa in nationalen Repräsentationen und nationalen Identifi- kationsangeboten. Dabei mag die Repräsentation von nationalen Musikbeständen in Castingshows oder die Verwendung der nationalen Farben noch plausibel erschei- nen, wenn aber Narrationen, Werte und kollektive Orientierungen vermeintlicher Nationalkulturen verglichen werden, laufen Studien Gefahr, die Prämisse tatsäch- lich kollektiv wirksamer Nationalkulturen überzubewerten. Der Fokus auf die Aktu- alisierung nationaler Identitäten im Fernsehformat etwa90 setzt immer schon voraus,

88 Baltruschat, Doris (2009): Reality TV Formats: The Case of Canadian Idol. In: Canadi- an Journal of Communication 34 (1), S. 41-59; Coutas, Penelope (2006): Fame, For- tune, Fantasi: Indonesian Idol and the New Celebrity. In: Asian Journal of Communica- tion 16 (4), S. 371-392. 89 Vgl. etwa die zahlreichen Fallstudien in Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.) (2012): Global Television Formats; Moran, Albert (Hg.) (2009): TV Formats Worldwide. Lo- calizing Global Programs. Bristol: Intellect; Zwaan, Koos; Bruin, Joost de (Hg.) (2012): Adapting Idols. Authenticity, Identity and Performance in a Global Television Format. Farnham [u.a.]: Ashgat; vgl. auch Beeden, Alexandra; Bruin Joost de (2010): The Of- fice. Articulations of National Identity in Television Format Adaptation. In: Television and New Media 11 (1), S. 3-19; Frau-Meigs, Divina (2006): Big Brother and Reality TV in Europe. Towards a Theory of Situated Acculturation by the Media. In: European Journal of Communication 21 (1), S. 33-56; Jacobs, Sean (2007): Big Brother, Africa is Watching. In: Media, Culture and Society 29 (6), S. 851-868; Jensen, Pia (2007): Tele- vision Format Adaptation in Transnational Perspective – an Australian and Danish Case Study. Aarhus University. http://imv.au.dk/~piamj/TV_Format_Adaptation.pdf; Mikos, Lothar; Perrotta, Marta (2012): Traveling Style: Aesthetic Differences and Similarities in National Adaptations of Yo Soy Betty, la Fea. In: International Journal of Cultural Studies 15 (1), S. 81-97; Rulyova, Natalia (2007): Domesticating the Western Format on Russian TV: Subversive Glocalisation in the Game Show Pole Chudes (The Field of Miracles). In: Europe-Asia Studies 59 (8), S. 1367-1386; Mathijs, Ernest; Jones, Janet (Hg.) (2004): Big Brother International. Formats, Critics and Publics. London: Wall- flower Press. 90 Vgl. etwa in Beeden, Alexandra; Bruin Joost de (2010): The Office; Bruin Joost de (2012): NZ Idol. Nation Building through Format Adaptation. In: Oren, Tasha; Sha- haf, Sharon (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 223-242; Sharp, Sharon (2012): Global Franchising,

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 41 dass es klare nationale Codes, Narrationen, Symboliken und Spezifika gibt, die von einem imaginierten nationalen Publikum kollektiv abrufbar sind. Es ist aber viel eher zu vermuten, dass die Produktionen zwar national ausgestrahlt werden, aber vor allem auf bestimmte Publikumssegmente zielen und eine nationale Identität nicht intentional ansprechen. Wie Pia Jensen richtig bemerkt, können beispielswei- se mediensystemische Variablen weit mehr Einfluss auf die Erscheinung der For- mate haben.91 Formate können insofern zwar bestimmte Dimensionen nationaler Kultur widerspiegeln, es ist aber zu vermuten, dass das Format eher das Image ei- nes bestimmten Senders abbildet und sich der kollektive Erfahrungshintergrund der Rezipienten nicht primär aus der nationalen Gesellschaft, sondern viel eher aus spe- zifischen Rezeptionsgemeinschaften ableitet. Inhaltsanalytisch orientierte Studien sehen sich darüber hinaus auch mit dem Problem konfrontiert, dass sie letztlich nur reduktionistische Erklärungsangebote für die Wirkungs- und Aneignungsweisen von Fernsehformaten zu liefern im Stan- de sind. Vor allem wenn Unterschiede der Formatversionen auf allgemeine kultu- relle Unterschiede zurückgeführt werden, wird Kultur oder Nationalkultur schnell zur undefinierten »Kübelvariable«92, was mitunter scheinkorrelative Erklärungen begünstigt. Wenn beispielsweise die Abwesenheit eines Studiopublikums in der dä- nischen Version von GLÜCKSRAD als nationalkulturelles Spezifikum gewertet wird, dann wird ausgeblendet, dass sich dieser Unterschied auch allein durch die Tatsache erklären kann, dass die Firma NORDISK FILM keine ausreichende Studiogröße für

Gender, and Genre. The Case of Domestic Reality Television. In: Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 346-365; Livio, Oren (2010): Performing the Nation: A Cross-Cultural Comparison of Idol Shows in Four Countries. In: Hetsroni, Amir (Hg.): Reality Television. Merging the Global and the Local. New York: Nova Science Pub- lishers, S. 163-187; Volcic, Zala; Andrejevic, Mark (2010): Slovene Reality Television: The Commercial Re-Inscription of the National. In: Hetsroni, Amir (Hg.): Reality Tele- vision. Merging the Global and the Local. New York: Nova Science Publishers, S. 79- 94. Auch Moran spricht davon, dass die nationalen Adaptionen von Serien auch die Na- tion wiederspiegeln: »The Australian-ness, Dutch-ness and German-ness of these arte- facts are always both obvious and banal, and also subtle and elusive, conservative and petrified yet progressive and challenging.« Moran, Albert (1998): Copycat Television, S. 140. 91 Jensen, Pia (2009): How National Media Systems Shape the Localization of Formats: A Transnational Case Study of The Block and Nerds FC in Australia and Denmark. In: Moran, Albert (Hg.): TV Formats Worldwide. Localizing Global Programs. Bristol: In- tellect, S. 165-186. 92 Rippl, Susanne; Seipel, Christian (2008): Methoden kulturvergleichender Sozialfor- schung. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 153.

42 | FORMATIERTE WELTKULTUR? ein Studiopublikum zur Verfügung stellen konnte.93 Wenn weiterhin typische nati- onale Stereotype konstatiert werden94 oder kulturelle Werte (etwa ein amerikani- sches Wettbewerbsethos) als Erklärung für den Erfolg nationaler oder lokaler Vari- anten von Formaten dienen,95 werden mithin kulturalistische Stereotype manifes- tiert. Ähnlich kritisch müssen auch Interpretationen reflektiert werden, die wiede- rum von Ähnlichkeiten der Sendungsvarianten auf kulturelle Standardisierungsef- fekte schließen. Amir Hetsroni beispielsweise untersucht die Wertschätzung von Wissenskategorien in sieben Versionen von MILLIONÄR und sieht hierin eine Ten- denz zur Verwestlichung bestätigt:

»[T]he cultural differences detected this time seem minimal. For instance, in all the seven countries academic knowledge yields higher prices than everyday knowledge. Worldwide ac- ceptance of Western standards for knowledge hierarchy is another indication of increasing globalization.«96

Dabei werden jedoch drei grundsätzliche Fragen nicht beantwortet: Erstens, warum die hier postulierte Wissenshierarchie »westlich« zu nennen ist. Zweitens, ob die Wissensklassifikation nach Fiske, auf die Hetsroni Bezug nimmt (Allgemeinwissen und akademisches Wissen), auch den jeweiligen lokalen Zuschreibungen entspricht,

93 Skovmand, Michael (1992): Barbarous TV International: Syndicated Wheels of For- tune. In: Ders.; Schrøder, Kim (Hg.): Media Cultures. Reappraising Transnational Me- dia. London, New York: Routledge, S. 84-103. 94 Bspw. finden sich bei Skovmand nationale Stereotype in der Beschreibung des Sets von GLÜCKSRAD-Versionen. Das US-amerikanische Set sei überbordend bunt, »[it] spells gaudy, glittery vulgarity«, das deutsche sei hingegen nüchtern und praktisch, mit stahl- grauem Hintergrund. Die skandinavische Version präsentiere sich in blauen und pink- farbenen Pastelltönen, das dänische Set mit kindlich bunten Kreisen und Treppen. Ebd., S. 97. 95 Ein Beispiel ist eine Studie zu »Makeover-Formaten«, in der von einer »Germanic cul- ture group« gesprochen wird, deren Adaptionen vor diesem Hintergrund mit der »ande- ren« US-amerikanischern Version verglichen wird. Franco, Judith (2008): Extreme Makeover. The Politics of Gender, Class and Cultural Identity. In: Television and New Media 9 (6), S. 471-486. Ähnlich zieht Hetsroni einen amerikanischen Wettbewerbs- ethos oder das islamische Recht zur Erklärung der Adaptionen von Sendungstiteln her- an. Da diese Zusammenhänge aber nicht genauer expliziert werden, bleiben sie letztlich nur die Interpretation des Autors. Hetsroni, Amir (2004): The Millionaire Project: A Cross-Cultural Analysis of Quiz Shows from the United States, Russia, Poland, Nor- way, Finland, Israel, and Saudi Arabia. In: Mass Communication and Society 7 (2), S. 133-156. 96 Ebd., S. 153.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 43 und drittens, ob dieses akademische Wissen nicht auch bereits vor Ausstrahlung und damit unabhängig von der Sendung in den untersuchten Kontexten als wertvoll erachtet wurde. Hier wird also ein Wandlungseffekt allein aus Ähnlichkeiten abge- leitet, der aber bereits aus vorgelagerten Prozessen der Universalisierung oder Stan- dardisierung hervorgegangen sein könnte, etwa durch Prüfungs- und Schulsysteme im Zuge des Kolonialismus oder auch durch autochthone Deutungsprozesse. Gera- de strukturelle und historische Bedingungen finden nicht immer die nötige Berück- sichtigung. Dazu zählen erneut auch ganz greifbare Rahmenbedingungen wie Ein- flussfaktoren der ausstrahlenden Sender oder die Berücksichtigung möglicher Ziel- gruppenspezifika, die die Ausgestaltung und Form der Reproduktion mitunter mehr als allgemeine nationalkulturelle Unterschiede zu beeinflussen vermögen. Wenn- gleich die Arbeiten aus dem aktuellen Korpus der inhaltsanalytischen Untersuchun- gen von Fernsehformaten wertvolle fernsehanalytische Erkenntnisse zur Beschaf- fenheit von Sendungsversionen liefern, bleibt deren Erklärungskraft für die Theore- tisierung von Globalisierungsprozessen populärer Kultur oft hinter den deskriptiven Erkenntnissen zurück. Dies liegt vor allem wohl daran, dass bisher viel zu selten geklärt wurde, ob und wie nationale oder kulturelle Symboliken in den Formatver- sionen tatsächlich auch von Rezipienten erkannt und angeeignet werden. Als Desiderat der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Fernsehformaten muss daher der Mangel an Rezeptions- beziehungsweise Publikumsstudien gelten. Denn wie die Angebote von unterschiedlichen Rezipienten konkret wahrgenom- men, genutzt, interpretiert und weiterverarbeitet werden, ist bislang kaum unter- sucht. Vereinzelte Studien haben zwar die Rezeption von einzelnen nationalen For- maten im Kontext der Untersuchung von Medienwirkungen oder der adoleszenten Mediensozialisation vorgenommen,97 vergleichend sind bislang allerdings allein zwei kurze Fachzeitschriftenbeiträge bekannt. In diesen wird aus Studien zur Re- zeption von Castingshows durch irische und österreichische Jugendliche98 als auch zu US-amerikanischen und deutschen weiblichen Fans von TOP MODEL99 zitiert, die

97 Sylvester, Anna-Laura; Trepte, Sabine; Scherer, Helmut (2004): Erfolgsfaktoren von Quiz-Shows am Beispiel von Wer wird Millionär? und Das Quiz mit Jörg Pilawa. In: Rössler, Patrick; Scherer, Helmut; Schlütz, Daniela (Hg.): Nutzung von Medienspielen – Spiele der Mediennutzer. München: Fischer, S. 107-133; Mikos, Lothar (2010): Real Life Formate. In: Schicha, Christian; Brosda, Carsten (Hg.): Handbuch Medienethik. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 431-441. 98 Klaus, Elisabeth; O’Connor, Barbara (2010): Aushandlungsprozesse im Alltag: Jugend- liche Fans von Castingshows. In: Röser, Jutta (Hg.): Alltag in den Medien – Medien im Alltag. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 48-72. 99 Stehling, Miriam (2013): From Localisation to Translocalisation: Audience Readings of the Television Format Top Model. In: Critical Studies in Television: The International Journal of Television Studies 8 (2), S. 36-53.

44 | FORMATIERTE WELTKULTUR? erste Annäherungen in diesem Bereich aufzeigen. Gleichwohl handelt es sich in beiden Fällen um Rezipienten, die alle in westlichen Kontexten verortet sind. Dies entspricht dem Eindruck, dass das »globale Fernsehformat« in den meisten Studien doch eher ein »westliches« Phänomen bleibt. Denn in der Mehrzahl sind es originär westliche Formate, die untersucht werden und viele der vergleichenden Studien setzen Formatversion aus westlichen Kontexten in den Vergleich. Hinsichtlich der theoretischen Rückbezüge, die den wissenschaftlichen Ausei- nandersetzungen mit Fernsehformaten zugrunde liegen, lässt sich feststellen, dass vor allem auf zwei übergeordnete wissenschaftliche Diskurse verwiesen wird. Zum einen werden Fernsehformate zumeist im Zusammenhang mit kulturellen Globali- sierungsphänomenen kontextualisiert, zum anderen zielt die Untersuchung von For- maten auch auf einen Diskurszusammenhang über die gesellschaftliche und kultu- relle Relevanz von Unterhaltungsangeboten der Medien im Allgemeinen. Dass For- mate bereits inhärent eine grenzüberschreitende Qualität besitzen, macht sie zu ei- nem geeigneten Gegenstand für die Analyse der Globalisierung von Unterhaltung. Unterhaltungskommunikation diente bisher in besonderer Weise zur Beweisführun- gen einer kulturellen Logik der Globalisierung. Denn Unterhaltung scheint dabei leichter als Information kulturelle und nationale Grenzen zu überqueren.100 Ge- messen am hohen Umsatz und der Sichtbarkeit von Hollywoodfilmen, Fernseh- und Spielangeboten scheint die Unterhaltungsindustrie die Konsumwünsche weiter Teile der Weltbevölkerung zu harmonisieren. Die Ableitung von einer Kausalität des Konsums und seiner kulturellen Wirksamkeit liegt zumindest nahe und macht plausibel, warum gerade populärkulturelle Produkte zu Anknüpfungspunkten für Fragen umfassender kultureller Wandlungsprozesse im Zuge der Globalisierung geworden sind. Die Zusammenhänge bei formatierter Kreativität sind indes weitaus komplexer. Einerseits können Lokalisierungsprozesse im internationalen Austausch von Sendungsangeboten als Beispiel für die Grenzen einer kulturell homogenisie- renden Globalisierung gelesen werden, andererseits setzen Formate Standardisie- rungen der Produktionsbedingungen voraus und die Dominanz westlicher Formate ist wohl nach wie vor kaum zu bestreiten. Dennoch erscheint die nationale bezie- hungsweise lokale Dimension der Formate essenziell, wodurch Formate einen nicht leicht zu fassenden Modus der internationalen Zirkulation von Inhalten darstellen, der analytisch zwischen den herkömmlichen »one-way« oder »contra-flows«101 globaler Medienkommunikation anzusiedeln ist. Während die einen eher die kultu-

100 Hafez, Kai (2005): Mythos Globalisierung, S. 115ff.; vgl. auch Hasebrink, Uwe; Her- zog, Anja (2004): Mediennutzung im internationalen Vergleich. In: Hans-Bredow-Insti- tut (Hg.): Medien. Internationales Handbuch. 27. Aufl. Baden-Baden: Nomos, S. 152. 101 Thussu, Daya Kishan (2010): Mapping Global Media Flow and Contra-Flow. In: Ders. (Hg.): International Communication. A Reader. London, New York: Routledge, S. 221-238.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 45 relle Ökonomie des Formathandels betonen und darauf hinweisen, dass letztlich auch die hergestellte kulturelle Differenz in Formatversionen in erster Linie eine ökonomische Strategie und kein politisches Projekt sei,102 sehen andere Formate als kulturelle Arenen, »where tensions among local, regional, national and global iden- tities are articulated and experienced in new, inter-mediated ways.«103 Damit ist be- reits auf den zweiten Diskursbereich verwiesen, die Frage nämlich, welche Bedeu- tung Unterhaltung überhaupt zukommt. Die Kategorie der Medienunterhaltung ist allerdings in der deutschen Kultur-, Kommunikations- und Medienwissenschaft lange nur am Rande behandelt und erst seit jüngerer Zeit als relevanter Gegenstand erkannt worden. Auch wenn Unterhaltung durchaus zum häufigeren Gegenstand in der Kommunikationswissenschaft geworden ist, gibt es beispielsweise bis heute keinen konsolidierten Bereich der Unterhaltungskommunikation innerhalb der DGPuK (Deutsche Gesellschaft für Kommunikationswissenschaft).104 Die aktuelle Unterhaltungsforschung ist darüber hinaus im deutschsprachigen Raum von Partikulartheorien geprägt, die vor allem die Erlebnis- und Wirkungsdi- mension von Unterhaltungsangeboten in den Blick nehmen wie Gratifikationen, Re- zeptionsqualitäten und Rezeptionserlebnisse.105 Während im deutschen Wissen- schaftskontext der Fokus auf die Erlebnisdimension von Unterhaltung gelegt wird, leitet sich die angloamerikanische Unterhaltungsforschung stärker aus einer Tradi- tion der Orientierung auf Unterhaltungskultur ab.106 Es ist hier insbesondere den Arbeiten aus dem Umfeld der Cultural Studies zu verdanken, dass mit einem grund- legenden Bedeutungswandel des Kulturbegriffs das Gegensatzpaar »Hochkultur«

102 Waisbord, Silvio (2004): McTV. 103 Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.) (2012): Global Television Formats, S. 4. 104 Die Verzögerung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Unterhaltung wird mitunter auch mit der Tradition eines elitären Kultur- und Wissenschaftsverständnisses erklärt, das seit der Polemik der Frankfurter Schule an Unterhaltung noch nachwirkt. Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W. (2003): Dialektik der Aufklärung. Philosophi- sche Fragmente. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 105 Vgl. zusammenfassende Überblicke in Bosshart, Louis (2006): Theorien der Medienun- terhaltung. Aus dem Nichts zur Fülle. In: Frizzoni, Brigitte; Tomkowiak, Ingrid (Hg.): Unterhaltung. Konzepte – Formen – Wirkungen. Zürich: Chronos, S. 17-30; Faulstich, Werner (2006): ›Unterhaltung‹ als Schlüsselkategorie von Kulturwissenschaft: Begriffe, Probleme, Stand der Forschung, Positionsbestimmung. In: Faulstich, Werner; Knop, Karin (Hg.): Unterhaltungskultur. München: Fink, S. 7-20; Wünsch, Carsten (2002): Unterhaltungstheorien. Ein systematischer Überblick. In: Früh, Werner; Schulze, Anne- Katrin; Ders. (Hg.): Unterhaltung durch das Fernsehen. Eine molare Theorie. Konstanz: UVK, S. 15-48. 106 Fiske, John (1989): Understanding Popular Culture. Boston: Unwin Hyman; Ders. (2007): Television Culture.

46 | FORMATIERTE WELTKULTUR? und »Populärkultur« aufgelöst wurde. Damit gerieten früher als in Deutschland all- tagskulturelle Unterhaltungsangebote und vor allem ihre soziale Relevanz in den wissenschaftlichen Fokus. Unterhaltung erhält in diesen Zugangsweisen immer eine soziale Bedeutung, die entgegen der Annahmen manipulativer Qualitäten in der Produktion vor allem die subversiven und damit immer politischen Qualitäten der Aneignung für die Rezipienten von Unterhaltungsangeboten berücksichtigt. Die perzeptiven und sozialpsychologischen Prozesse treten in dieser Tradition hinter die Erforschung der Zusammenhänge zwischen der Produktion, den Inhalten und Re- präsentationen sowie den Aneignungsweisen zurück. Es ist diese Konzeptualisie- rung von Unterhaltung als sinngebende und gesellschaftsrelevante Alltagskultur, die auch für die folgende vergleichende Analyse von Fernsehformaten präferiert wird. Gerade im Spiel – folgt man philosophischen Spieltheoretikern, die Urform aller Kultur107 – werden Deutungsmöglichkeiten der Welt aufgegriffen und konsti- tuiert sich Gemeinschaft. Deutungsprozesse hingegen drängen wiederum Fragen nach der Entstehung und Verteilung von Deutungsmacht im Kommunikationspro- zess auf. Die Verknüpfung der beiden Diskurse um Globalisierung und Unterhal- tung als gesellschaftlich relevanter Medienkommunikation ergibt sich dann genau an der Stelle, an der nach Deutungen, Deutungsverschiebungen und Deutungshoheit gefragt wird. Denn wie »global« oder »lokal« sich formatierte Fernsehunterhaltung gestaltet, hängt nicht allein davon ab, wie ähnlich möglicherweise die inhaltlichen Angebote sind, sondern ebenso von den Produktions- und Aneignungspraktiken. Der weltweite Erfolg einiger Fernsehformate spricht bereits für ein universales Un- terhaltungserleben; ob der internationale Formathandel aber tatsächlich auch zum »giant cultural vacuum cleaner« wird, der ständig Ideen aus der gesamten Welt in sich versammelt, wie es Silvio Waisbord zuspitzt,108 bleibt zu untersuchen. Dabei ist zu klären, welche Formatbestandteile eigentlich Träger kultureller Bedeutung sind, die standardisiert, hybrid oder different erscheinen mögen. Hat also die Stan- dardisierung televisueller Konventionen und Darstellungsmuster auch eine Standar- disierung der televisuellen Texte und ihrer Bedeutung zur Folge? Ist das Format au- tonom gegenüber dem Inhalt? Folgt der Inhalt der Funktion oder umgekehrt? Kurz- um: ist das Medium hier bereits die Message?109

107 Huizinga, Johan (1991): Homo Ludens. Vom Ursprung der Kultur im Spiel. 22. Aufl. Reinbek: Rowohlt. 108 Waisbord, Silvio (2004): McTV, S. 378. 109 Dies soll durchaus als Rekurs auf McLuhans Aussage »the medium is the message« verstanden werden. Auch wenn Formate keine völlig neuen Medien im Sinne techni- scher Kommunikationsmittel darstellen, so liefern sie doch mehr als nur den Inhalt. Das Format ist die Verpackung des Inhalts, die aber sowohl Produktionspraktiken als auch Sehgewohnheiten verändern kann und ebenso selbst Träger von Bedeutung ist. McLu-

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 47

Ein entscheidender Punkt in der theoretischen Auseinandersetzung mit Fernseh- formaten liegt dann auch in dem Verhältnis zwischen Ursprungs- und Nachfolge- versionen von formatierten Sendungen. Denn das Verhältnis zwischen Formatie- rung und Adaption entscheidet letztlich über die Konsequenzen kulturellen Aus- tauschs. In älteren Auseinandersetzungen lässt sich eine Tendenz feststellen, die das Ursprungsformat privilegiert. Die Erstversion wird dabei häufig als die globale Re- ferenz angesehen und Reproduktionen als deren lokale Ausprägungen. Gerade in der Zuschreibung globaler und lokaler Bestandteile wird dabei häufig vergessen, dass zwar die erste Produktion eines Formats eine Vorlage schafft und ihr damit zweifelsohne eine internationale Orientierungsfunktion zukommt, dass diese Vorla- ge aber ebenso eine lokale Produktion und nicht sui generis global ist. Es ist somit eine vereinfachte Dichotomie, den Standardisierungen globalen Status und den Va- riationen einen lokalen zuzurechnen. Die spezifische Mixtur einer jeden Formatre- produktion verlangt nach einer eigenen Analyse. Ähnlich hat Vincius Navarro kriti- siert, dass in theoretischen Auseinandersetzungen um Fernsehformate vor allem de- ren Anpassungsfähigkeit an lokale Kontexte diskutiert und damit von einer Auto- nomie der Ursprungsversion ausgegangen werde.110 Auch er verlangt, dass jede Adaption als eigenständige Produktion verstanden werden müsse, in der kulturelle Symbolik nicht lediglich hinzugefügt oder ausgetauscht, sondern das gesamte be- stehende Programm re-interpretiert, aktualisiert und damit im lokalen Kontext völ- lig neu definiert werde. Eine entsprechende Kritik findet sich auch bei Kraidy und Murphy, die argumentieren, dass gerade die polyzentrischen Eigenschaften des Formathandels und damit die »Translokalität« des Formattransfers bisher zu selten berücksichtigt wurden.111 Tatsächlich zeigt der Werdegang einiger international er- folgreicher Formate, dass sich die lokalen Reproduktionen auch wechselseitig be- einflussen und regionale Eigengesetzlichkeiten der Zirkulation entstehen lassen können. Die Telenovela YO SOY BETTY, LA FEA beispielsweise hat eine Reproduk- tion in mehreren Zyklen durchlaufen.112 Nach einer ersten Phase der internationalen

han, Marshall; Fiore, Quentin; Agel, Jerome (2001): The Medium is the Message. An Inventory of Effects. Corte Madera: Gingko Press. 110 Navarro, Vinicius (2012): More than Copycat Television. Format Adaptation as Perfor- mance. In: Oren, Tasha; Shahaf, Sharon (Hg.): Global Television Formats. Circulating Culture, Producing Identity. New York [u.a.]: Routledge, S. 23-38. 111 Kraidy, Marwan; Murphy, Patrick (2008): Shifting Geertz: Toward a Theory of Trans- localism in Global Communication Studies. In: Communication Theory 18 (3), S. 335- 355. 112 Moran, Albert (2009): New Flows in Global TV; vgl. auch Mikos, Lothar; Perrotta, Marta (2012): Traveling Style; Miller, Jade (2010): Ugly Betty Goes Global: Global Networks of Localized Content in the Telenovela Industry. In: Global Media and Com-

48 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

Reproduktion wurden in einer weiteren wiederum diese Reproduktionen weiter li- zenziert. So orientieren sich einige europäische Versionen nicht an dem kolumbia- nischen Original, sondern an der deutschen Adaption VERLIEBT IN BERLIN. Der formale Status der Reproduktion änderte sich in diesem Beispiel in den der Vorla- ge. Die globale Verbreitung eines Sendungskonzepts schließt also eine Ausdiffe- renzierung entlang regionaler Fernsehregionen nicht aus und verkompliziert schnell die Gegenüberstellung globaler Vorlagen und lokaler Adaptionen. Darüber hinaus wird auch die beispielhafte Analyse der Formate MILLIONÄR und GOT TALENT zei- gen, dass unterschiedliche Versionen der Shows als relevante Vorlagen für Repro- duktionen Pate stehen können. Erst die Summe und, mehr noch, die synchrone Be- deutung der Reproduktionen entscheidet also letztlich über die globale Bedeutung des Formats. Ob sich hierin allerdings in erster Linie Globalität ausdrückt oder ob und inwieweit die Zirkulation eines Konzepts auch zu einer Globalisierung auf der Bewusstseinsebene und zu kulturellem Wandel führt, bleibt zu untersuchen. Denn wie in der theoretischen Auseinandersetzung noch zu zeigen sein wird, sind syn- chrone kulturelle Wandlungsprozesse noch nicht gleichzusetzen mit einer kulturel- len Globalisierung.

1.3 FORSCHUNGSLEITENDE FRAGEN

Geht man davon aus, dass die offensichtliche ökonomische Handlungslogik des Formathandels ebenso einer kulturellen Logik der Zirkulation von Bedeutung ent- spricht, dann stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen Unterhaltungskon- zepte grenzüberschreitende Erfolge haben können, welchen Mustern sie folgen und welche gesellschaftliche Bedeutung ihnen dabei zukommt. Was sind die Trieb- und was sind die Prägkräfte von Unterhaltungsangeboten, die nicht nur Fernsehsysteme und -märkte miteinander verbinden, sondern auch Fernsehkulturen? Diese Fragen wurden bereits im Zusammenhang mit dem Theorem der Glokalisierung eingeführt, das von zirkulierenden Fernsehformaten illustriert wird. Denn sie lassen Unterhal- tungskonzepte global diffundieren und scheinen dabei zugleich lokale symbolische Repertoires zu reproduzieren. Es handelt sich demnach um eine Grenzüberschrei- tung bei einer gleichzeitigen Aufrechterhaltung von Grenzen. Hier deutet sich be- reits eine Schwierigkeit der Forschung grenzüberschreitender Medienkommunikati- on an: Sie muss die Entitäten und Grenzen auch analytisch bestimmen, die durch den Transfer von Fernsehformaten transzendiert und/oder aufrechterhalten werden. Insofern müssen die Annahmen über den Zusammenhang zwischen Fernsehforma-

munication 6 (2), S. 198-217; McCabe, Janet; Akass, Kim (Hg.) (2013): TV’s Betty Goes Global. From Telenovela to International Brand. London, New York: I.B. Tauris.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 49 ten und Globalisierungsdynamiken analytisch wie empirisch qualifiziert werden. Das Forschungsvorhaben verfolgt dementsprechend zwei zentrale Anliegen. Erstens soll der Transfer von Fernsehformaten zwischen unterschiedlichen Fernsehlandschaften auf einer phänomenologischen Ebene umfassend rekonstruiert werden. Sowohl das Medienangebot als auch die Prozesse der (Re-)Produktion und Rezeption beziehungsweise Aneignung müssen untersucht werden, um Aussagen darüber treffen zu können, welche Bestandteile und Bedeutungen eigentlich trans- feriert werden. Mit dem Einbezug der gesamten Verwertungskette kultureller Güter – Produktion, Zirkulation, Rezeption – im Untersuchungsaufbau nimmt sich die Arbeit eines Forschungsdesiderats an, das von Kraidy auf den Punkt gebracht wur- de: »Rarely have studies analyzed the links between production, message and re- ception, an important endeavor.«113 Die zusätzliche vergleichende Perspektive eines solchen Transfers in unterschiedliche Kontexte begründet sich mit dem globalisie- rungstheoretischen Erkenntnisinteresse der Arbeit. Denn nur über einen Vergleich unterschiedlicher Formatversionen, beteiligter Akteure und rahmender Kontexte können auch Ableitungen über grenzüberschreitende Bedingungen und Muster des Formattransfers getroffen werden. Die umfangreiche empirische Rekonstruktion soll daher helfen, über das bloße Konstatieren von »Glokalisierung« hinauszugehen und die Dimensionen kultureller Globalisierung und Re-Lokalisierung in weltwei- ten Unterhaltungsangeboten auch zu »vermessen«.114 Auf Grundlage der empi- rischen Daten kann dann eine theoretische Einordnung des zeitgenössischen Trans- fers von Unterhaltungskultur vorgenommen werden. Das zweite Ziel der Arbeit ist es somit, am Beispiel der Formatierung und Zir- kulation von Kreativität in Fernsehangeboten einen Beitrag für ein theoretisches Er- klärungsmodell zu leisten, das geeignet ist, die Diskurse um die Relevanz medialer Unterhaltungskultur für kulturelle Globalisierungsdynamiken weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt für die theoretische Weiterentwicklung sind zwei Prämissen, die die Fernsehforschung in den letzten Jahren nachhaltig geprägt haben und die in der Ar- beit aktualisiert werden. Erstens wird angenommen, dass die grenzüberschreitende Zirkulation von Medienangeboten grundsätzlich einer interpretationsoffenen Dy- namik unterliegt, sodass nicht von der Produktion und Rezeption stabiler Botschaf- ten ausgegangen werden kann. Zweitens spielen kulturtheoretische Ansätze eine be- deutsame Rolle, die bipolare Konstruktionen gesellschaftlicher Entwicklungen (Stichwort: Globalisierung versus Lokalisierung, Homogenisierung versus Hetero- genisierung, Tradition versus Moderne) dekonstruieren und auf die Bedeutsamkeit von Dynamiken hinweisen, in denen Entwicklungen sich mitunter überlagern und

113 Kraidy, Marwan (2005): Hybridity, or the Cultural Logic of Globalization. Philadel- phia: Temple University Press, S. 5. 114 Dies entspricht der Forderung von Kai Hafez in Ders. (2005): Mythos Globalisierung, S. 26.

50 | FORMATIERTE WELTKULTUR? wechselseitig beeinflussen (Stichwort: Glokalisierung, Hybridisierung). Diese An- sätze haben sich bereits seit mehreren Jahrzehnten etablieren können. Allerdings unterliegen Theoretisierungen der lokalen Resistenz, der »glokalen« oder hybriden Mischung auch der Gefahr, ihr Erklärungspotenzial auf eine allgemeine Vielschich- tigkeit kultureller Entwicklungen zu beschränken und Diskurse so stagnieren zu las- sen. Dies darf nicht als Forderung nach einem Zurück zu essenzialistischen Be- trachtungen kultureller Dynamiken missverstanden werden, soll aber die Notwen- digkeit der nuancierten theoretischen Weiterentwicklung jener Mischkategorien des Hybriden, Kreolen und Transkulturellen deutlich machen, die inzwischen zu popu- lären Semantiken geworden sind. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen ergibt sich der folgende anwen- dungsorientierte Fragenkatalog, der die vorliegende Arbeit strukturiert. Die theore- tische Herleitung der Fragen wird in den folgenden Kapiteln an den geeigneten Stellen weiter differenziert.

1. Theoretische Kontextualisierung: Lässt der grenzüberschreitende Transfer von formatierten Unterhaltungskonzepten von einem gesellschaftlichen Referenzsys- tem in ein anderes Tendenzen kultureller Globalisierung, Hybridisierung oder Lokalisierung erkennen?

 Lässt die Formatierung von Unterhaltungskonzepten Raum für die Reprodukti- on lokaler kultureller Praktiken oder unterliegt der Formattransfer einer globa- len Synchronisationsdynamik von Hoch- und/oder Alltagskultur? In welcher Art und Weise stehen globale und lokale kulturelle Muster miteinander in Bezie- hung?  Auf welchen Ebenen der Produktion, Rezeption und des Inhalts der Formate lassen sich (trans-)kulturelle Muster erkennen, die eine Bilanzierung zur Globa- lisierung von Unterhaltungskommunikation zulassen?

2. Rekonstruktion der Inhaltsebene: Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede las- sen sich im Vergleich der televisuellen und inhaltlichen Gestaltung unterschied- licher Formatvarianten nachvollziehen und in welchem Zusammenhang stehen diese zu den jeweiligen gesellschaftlichen Referenzsystemen?

 Welche kreativen Freiräume werden in der Adaption der Formate genutzt und welche Elemente unterliegen einer Standardisierung oder Konventionalisierung der Unterhaltungsproduktion im Fernsehen?  In welchem Verhältnis stehen Prozesse globaler Standardisierung von Unterhal- tungskonzepten und televisuellen Konventionen und Prozesse der Reproduktion lokaler symbolischer Repertoires in den lokalen Formatvarianten?

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 51

 Besitzen die adaptiven Eingriffe der Reproduktion ein bedeutungsveränderndes Potenzial?  In welchem Verhältnis stehen kreative Umdeutungen und gesellschaftliche Re- ferenzsysteme, in denen die Formatvarianten ausgestrahlt werden?

3. Rekonstruktion und Exploration der Rezeptionsebene: Wie werden die Format- varianten von Zuschauern in unterschiedlichen Fernsehlandschaften rezipiert und interpretiert und in welchem Zusammenhang stehen diese Interpretationen zu den jeweiligen gesellschaftlichen Referenzsystemen?

 Welche inhaltlichen Diskurse und Deutungsmuster werden in der Anschluss- kommunikation von Rezipienten der Formatversionen entwickelt?  Welche Rezeptionshaltungen nehmen die Rezipienten ein und in welche Wissensrahmen sind die interpretativen Aushandlungen eingebettet?  Lassen sich durch die identifizierten Anschlussdiskurse Aussagen über die lokale oder grenzüberschreitende Konstitution individueller und kollektiver In- terpretationsmuster treffen?

4. Rekonstruktion und Exploration der Produktionsebene: Welchen Einfluss haben die kontextuellen Entstehungsbedingungen auf die Reproduktionsentscheidung und die spezifische Erscheinung der Formatvarianten?

 Welche Akteure haben Einfluss auf den Prozess der kreativen Aneignung von standardisierten Formatkonzepten?  Welchen institutionellen Produktionsstrukturen und -routinen folgt die Repro- duktion in unterschiedlichen Fernsehlandschaften?  Welche inhaltlichen Diskurse und Deutungsmuster und welche Wissensrahmen werden von individuellen Produzenten entwickelt?  Lassen sich durch die diskursiven Produktionspraktiken Aussagen über die lo- kale oder grenzüberschreitende Konstitution von Produktionskulturen treffen?

5. Empirische Kontextualisierung: Wie verhalten sich die Diskurse der Produktion und Rezeption zueinander sowie zu den symbolischen Angeboten der Format- versionen?

52 | FORMATIERTE WELTKULTUR?

1.4 AUFBAU DER ARBEIT

Die Arbeit verfolgt einen interdisziplinären Zugang an der Schnittstelle von Kultur- und Kommunikationswissenschaft und integriert drei Theoriekomplexe, die mit Globalisierungs-, Kultur- und Kommunikations- beziehungsweise Medientheorie grob umrissen sind. Eine kulturvergleichende Perspektive bestimmt dabei die for- schungsleitenden Fragen dieser Arbeit. Den theoretischen Kern bildet ein medien- und kommunikationswissenschaftlicher Theoriekomplex, der zum Ziel hat, die un- terschiedlichen Akteure, Strukturen und Handlungsabfolgen des Formattransfers innerhalb eines Kommunikationsmodells darzulegen (Kapitel 2.1). Als Ausgangs- punkt wird dafür auf einen klassischen Ansatz von Hall zurückgegriffen und dessen Modell des Kodierens/Dekodierens weiterentwickelt.115 In der theoretischen Refle- xion werden ergänzende Bausteine aus der Fernsehtheorie und der Rezeptionstheo- rie aufgenommen, ebenso wie Anregungen aus der internationalen politischen Kommunikation und der Organisationssoziologie der Medien. Mit der zentralen Re- ferenz auf Hall ist bereits die Grundlage für eine dezidiert kulturtheoretische Per- spektive auf Massenkommunikationsphänomene gelegt. Es wird darauf aufbauend die Nutzbarkeit weiterer Analysen und Theorieansätze diskutiert, die insbesondere aus den Cultural Studies hervorgegangen sind und inzwischen in die Kommunikati- ons- und Medienforschung eingegangen sind. Hierzu zählt etwa die Tatsache, dass sich Unterhaltungskommunikation im Rückgriff auf die Ansätze der Cultural Stu- dies besser in zirkulären Modellen, einem »Kreislauf der (Medien-)Kultur« etwa, denn in linearen Transmissionsmodellen konzeptualisieren lässt. Damit ist bei- spielsweise gemeint, dass die im Alltag entfaltete Bedeutung von Unterhaltungskul- tur eine dynamische Struktur und keine manifeste Form aufweist und deren Konsti- tution auf unterschiedliche gesellschaftliche Akteure verteilt ist. In diesem Zusam- menhang wird schließlich auch auf Theorien der Unterhaltung und der populären Kultur eingegangen, die für das Verständnis der Eigenlogik von Unterhaltungskul- tur notwendig sind (Kapitel 2.2). Der kommunikationswissenschaftliche Grundan- satz wird also durch einen kulturwissenschaftlichen Theoriekomplex informiert und durch einen globalisierungstheoretischen Wissenschaftsdiskurs erweitert, wobei de- ren Abgrenzung nicht ganz trennscharf ist. Denn es sind insbesondere die Theoreti- sierungen von kulturellen Grenzen und Differenzen, die in zunehmendem Maße auf den wissenschaftlichen Diskurs um Globalisierung und deren kulturelle Folgen Ein- fluss nehmen. Andreas Reckwitz hat beispielsweise darauf hingewiesen, dass jedem

115 Hall, Stuart (2004): Kodieren/Dekodieren. In: Ders.; Koivisto, Juha (Hg.): Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4. Hamburg: Argument-Verlag, S. 66- 80; Ders. (1980): Encoding/Decoding. In: Ders. et al. (Hg.): Culture, Media, Language. Working Papers in Cultural Studies, 1972-79. London [u.a.]: Centre for Contemporary Cultural Studies, University of Birmingham, S. 128-138.

UNTERHALTUNGSKOMMUNIKATION UND FERNSEHEN IN GLOBALER PERSPEKTIVE | 53 sogenannten Kulturvergleich stets eine bestimmte Vorstellung kultureller Differenz implizit sei, die sich geradezu zum »Brennpunkt« wissenschaftlicher Globalisie- rungsdiskurse entwickelt habe.116 Er macht deutlich, wie die spezifische Konstruk- tion von kulturellen Grenzen Antworten auf Fragen nach kulturellen Wandlungs- prozessen bereits vorzeichnet. Gerade wenn kulturelle Wandlungsprozesse im glo- balen Maßstab erklärt und bilanziert werden wollen, stoßen Annahmen der Annähe- rung oder Abgrenzung stabil gedachter Nationalkulturen schnell an ihre theoreti- schen Grenzen und offenbaren eine »Verallgemeinerungsfalle«, die dem Kulturbe- griff scheinbar innewohnt (vgl. hierzu insbesondere Kapitel 2.2.3 und 2.2.4). Abge- sehen von einem sensiblen Umgang mit der »kulturellen Problematik« versucht die Arbeit insbesondere revisionistische und kritische Stimmen der Globalisierungsde- batte zu berücksichtigen, die etwa auf die Ungleichzeitigkeit und Asymmetrie von Globalisierungsdynamiken im Bereich der Medienkommunikation hingewiesen und damit nicht weniger als die Existenz von »globaler Medienkommunikation« über- haupt in Frage gestellt haben (Kapitel 2.3). Differenzierungen zwischen lokalen, re- gionalen, nationalen, internationalen und globalen Phänomenen der Medienkom- munikation, Fragen nach unterschiedlich stark partizipierenden Akteuren und nach den historischen Bedingungen regionaler, geo-kultureller und lokaler Rahmenbe- dingungen sind in der Debatte um die Globalisierung von Medienkommunikation zwingend notwendig geworden. Im Zentrum der globalisierungstheoretischen und kulturtheoretischen Grundlagen der Arbeit steht die Auseinandersetzung mit den Theoremen der Hybridisierung (Kapitel 2.2.4) und Glokalisierung (Kapitel 2.3.3), die hier am Anwendungsbeispiel operationalisiert werden sollen. Nachdem die theoretischen Überlegungen in einer anwendungsorientierten Mat- rix zusammengeführt werden (Kapitel 2.4), wird das Analysedesign der Untersu- chung dargelegt (Kapitel 3). Hierzu zählen sowohl Angaben über die Auswahlme- chanismen der Untersuchungsbeispiele, methodische Vorüberlegungen zu den qua- litativen Teilstudien der Arbeit, Anmerkungen zu den Auswertungsverfahren wie auch eine kritische Reflexion der methodischen Probleme, mit denen die kulturver- gleichenden qualitativen Fallstudien in dieser Arbeit konfrontiert waren. Im vierten Kapitel werden schließlich die Ergebnisse der Untersuchungseinhei- ten entlang der Systematik der Fragestellungen vorgestellt und diskutiert. Die Dar- stellung orientiert sich damit auch an der Chronologie der Untersuchungsschritte, die dieser Arbeit zugrunde lagen. Der erste Schritt wird die Darstellung der Inhalts- analyse der beiden Formate und damit die Herausarbeitung lokaler kreativer Adap- tionen in den Formatvarianten sein (Kapitel 4.1). Hier wird sich zeigen, dass selbst

116 Reckwitz, Andreas (2005): Kulturelle Differenzen aus praxeologischer Perspektive. Kulturelle Globalisierung jenseits von Modernisierungstheorie und Kulturessentialis- mus. In: Srubar, Ilja (Hg.): Kulturen vergleichen. Sozial- und kulturwissenschaftliche Grundlagen und Kontroversen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 93.

54 | FORMATIERTE WELTKULTUR? scheinbar kleine Eingriffe in bestehende Formatkonzepte inhaltliche Veränderun- gen erzielen können und dass die Ausnutzung kreativer Freiräume variiert. Außer- dem wird die Diskussion der inhaltsanalytischen Vergleichsdimensionen zwar zu differenzierten Aussagen über Art und Umfang von Lokalisierungsstrategien füh- ren, sie wird aber zugleich auch die Grenzen einer theoretischen Erklärung und Ein- ordnung der lokalen und transkulturellen Muster der Unterhaltung auf Grundlage von Textanalysen aufzeigen. Als Weiterführung dient die Darstellung und Ergeb- nisanalyse der kulturvergleichenden Gruppendiskussionen im Kapitel 4.2, das die Deutungs- und Wissensrahmen ausgewählter lokaler Rezipienten offenlegt. Eine Systematisierung lokaler inhaltlicher Anschlussdiskurse einerseits, übergeordneter thematischer Diskurse und wissensabhängiger Referenzrahmen andererseits werden hier notwendige Erkenntnisse für eine Verortung lokaler und globaler Rezeptions- dimensionen von Unterhaltung liefern. Dem gegenübergestellt werden im Kapitel 4.3 die Lesarten der Produzenten der Formatvarianten. Durch die Aussagen der Ex- perten und die begleitenden externen und kontextuellen Validierungen lassen sich schließlich ergänzende Annahmen über die wirksamen Produktionsmechanismen grenzüberschreitender Unterhaltung ableiten. Das Abschlusskapitel (Kapitel 5) dient dann der Zusammenführung der mehrdimensionalen Vergleiche sowie der theoretischen Reflexion im Sinne einer weiterführenden wissenschaftlichen Diskus- sion.

Abbildung 2: Aufbau der Arbeit

Theoriekomplex: Kultur ,

Fernsehtheorie Theorien kultureller Identität Rezeptionstheorie

Theoriekomplex: Theoriekomplex: Medienkommunikation Globalisierung Kreislauf der (Medien-)Kultur Modell der Theoreme der Transkulturalität, Kodierung/Dekodierung Hybridisierung, und Glokalisierung Repräsentationstheorien TheoretischerRahmen Medien- Grenzüberschreitende Unterhaltungskommunikation respektive

Theorien Populärer Kultur Untersuchungsperspektive Unterhaltungstheorie Transkultureller Vergleich

Untersuchungsbereich 1: Text / Formatversionen

Untersuchungsbereich 3: Untersuchungsbereich 2: Produktion Rezeption Transnationale/ -kulturelle Fernsehformate -kulturelle Transnationale/ Untersuchungsgegenstand

Quelle: Eigene Darstellung