Corona vs. Kultur: Weitere Auswirkungen auf Kultur und Zivilgesellschaft. Seiten 3 bis 11 , € Mai 5 

Zeitung des Deutschen Kulturrates www.politikundkultur.net In dieser Ausgabe: Anne Katrin Bohle Maria Böhmer Beethoven DDR-Architektur Namibia Medien Oliver Scheytt Jubiläumsjahr : Deutsch- Verschmäht, abgerissen – und Rückgabe der Gebeine: Der Profi teure der Corona-Krise: Olaf Scholz land feiert den . Geburtstag nun endlich gewürdigt: Die Streit zwischen namibischer Klassische Medien gewinnen des Komponisten – vor allem Denkmalpfl ege der Architektur- Regierung und Herero und aktuell an Vertrauen, Nutzern Christian Stäblein mit digitalen Ausstellungen zeugnisse der DDR geht voran Nama dauert weiter an und Aufmerksamkeit und viele andere Seiten  bis  Seiten  bis  Seite  Seite  Angst Wir werden unser altes Leben lange nicht leben können, sagte Armin La- schet und rechnet mit Einschrän- kungen wegen Corona bis ins Jahr . Wann wird unser normales Leben wiederkommen, wirklich erst im nächsten Jahr oder noch später? Normal, so wie früher, nein, so wird es wohl nie mehr werden. Das Virus hat alles verändert. Wie eine Seifenblase ist das Sicherheitsgefühl der Menschen kollektiv zerplatzt. Na- türlich gab es diese Sicherheit nie wirklich, aber sie war ein fast durch- gängiges Gefühl in unserer Gesell- schaft seit vielen Jahren. Eine Aus- nahme bildeten die Terroranschläge am . September  in den USA und die dann folgende Weltkriegs- angst. Industriekultur Individuelle Krisen, wie Krank- heit, Verlust von Angehörigen oder Zwischen Vergangenheit und Zukunft: Arbeitslosigkeit, waren natürlich immer präsent, aber Deutschland, Das Erbe der Industrialisierung. Seiten  bis  in der Mitte von Europa, war trotz Eurokrise und Klimawandel gefühlt einer der sichersten Orte der Welt. »Angst essen Seele auf«, der Titel des Films von Rainer Werner Fass-

binder aus der Mitte der er Jahre ZOLLVEREIN STIFTUNG / TACK JOCHEN FOTO: des vergangenen Jahrhunderts, be- schreibt die Situation heute sehr gut. Die Angst in der Bevölkerung hat in- nerhalb weniger Wochen unser Land grundlegend verändert. Wir haben uns an eine, bis vor Kurzem vollstän- dig undenkbare staatliche Allmacht Nächster sein gewöhnt, die uns die Regeln mitgibt, Im Wartezimmer der Corona-Pandemie wie wir uns in der Krise zu verhalten haben. Ja, sie sind einleuchtend, ja, CHRISTIAN STÄBLEIN stellt, die fast rund um die Uhr debattiert werden: in ren zu Wort kommen, gibt es eine faire Chance auf ein starker Staat kann die Pandemie Talkshows, in Sonderausgaben, in Themensendungen, einen solidarischen Zusammenhalt der Gesellschaft. besser in Schach halten, ja, unsere ächster sein. In Ernst Jandls aus dem in Gottesdiensten. Fast könnte man frei nach Jandl Die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger Angst macht uns gehorsam. Jahr  stammenden Gedicht »fünfter über die ins Mark treff enden Identitäts- und Sinndis- erlebe ich in diesem Zusammenhang sehr verantwor- Die in der Bundesrepublik Deutsch - sein« wird die prototypische Situation im kurse dieser Wochen sagen: Tür auf, eine raus, eine tungsbewusst, gerade weil keine politische Entschei- land noch nie dagewesenen Frei- N Wartezimmer beim Arzt ebenso knapp rein. Ich nenne fünf Fragen, die unsere Gesellschaft dung zu irgendeinem Zeitpunkt »alternativlos« ist. heitsbeschränkungen wurden fast wie elementar aufgegriff en. Fünfter, vierter, dritter, in ihren Grundfesten betriff t. Und dann, wenn Sie so selbstverständlich ohne Beteiligung zweiter, »nächster sein« – gemeint ist die schlichte wollen, sind wir dran – oder Nächste bzw. Nächster. des Deutschen Bundestages von den Reihenfolge der Wartenden, die nacheinander auf- Derzeit befi nden wir uns mit der Regierungen, Bund und Ländern, gerufen werden und ins Behandlungszimmer gehen.  – Die Schmerzen der anderen Krise auch in einer Art kollek- kurzerhand beschlossen. Die Ver- Auf einer zweiten Ebene thematisieren die Worte waltungen haben die Macht im Land »nächster sein« en passant, worum es in der Antwort Zum Klassiker in der Wartezimmersituation gehört es, tivem Wartezimmer, ein andau- übernommen. auf Krankheit stets auch geht: zum Nächsten werden, einander die Krankheiten und Gebrechen zu zeigen. ernder Ausnahmezustand, der Und der Kulturbereich kämpft, und zwar in diesem übertragenen Sinn: solidarischer, Man will sich nicht anstecken, aber doch durchaus uns vor zentrale Fragen stellt wie viele andere Bereiche auch, ums fürsorgender, zuhörender Mitmensch werden, ja sein. erfahren, was der andere hat. Die eigene Betroff enheit nackte Überleben. Die größte Her- Das Wartezimmer ist ein mit ambivalenten Gefüh- kann so artikuliert und zugleich für die Leiden des ausforderung werden die mittel- und len und Gedanken gefüllter Zwischenort. Hier wird anderen Empathie entwickelt werden. Die Einsicht, Die Stunde der Exekutive darf unter diesen Prämissen langfristigen Auswirkungen sein. Die geschwiegen, manchmal aber auch lange geredet. Hier meinen Nächsten geht es ähnlich, genauso oder gar niemals ein autoritärer Alleingang sein. Schmerzen öff entlichen Kassen werden leer sein, wird gebangt und erzählt. Hier wird gehustet und – noch schlechter, führt dazu, dass sich die eigene Be- sind im Leben oft sehr ungleich verteilt. Eine Krise die sogenannte freiwillige Aufgabe wenn möglich – seit jeher auf Abstand gesessen. Das troff enheit relativiert. führt das vor Augen und macht uns, wenn es gut geht, Kultur wird, trotz aller Schwüre der Wartezimmer ist der Ort, an dem sich die Fragen nach In der Corona-Krise ist dieser Eff ekt im kollektiven sensibler für den Schmerz der anderen. Politiker, eines der ersten Opfer der Integrität, nach Identität, vor allem auch die Frage gesellschaftlichen Wartezimmer gerade besonders Krise werden. Deshalb brauchen wir nach einem Sinn der Krankheit und nicht selten die wichtig. Allzu schnell werden die vielen anderen  – Die Behandlung: Die Vielfalt der Hypothe- jetzt schon einen mächtigen Kultur- nach einem Sinn des Lebens aufdrängen. Zeit genug Betroff enen aus dem Blick verloren. Dazu gehören sen und ihr Rahmen infrastrukturfonds, um gegensteuern nicht nur die, die schlicht an anderen Krankheiten als zu können. Covid- erkrankt sind, von Krebs- über Herz- bis zu Im Wartezimmer unterliege ich meist einem doppel- Die Künstler, die Kultureinrich- Infl uenza-Patienten. Dazu gehören erst recht die vie- ten Gedanken im Blick auf die medizinische Expertise. tungen, die kleinen und großen Ak- Sinnfragen bedürfen der len mittelbaren Corona-Betroff enen: von der Schule Ich wünsche mir eine Anweisung, die hilft und gesund teure aus der Kulturwirtschaft wer- Kommunikation, ja, möglicher- – Stichwort: Bildungsnot – über die Familien – Stich- macht. Und ich weiß, dass medizinische Kunst, von den dringend gebraucht, um die weise stellt der Sinn sich wort: häusliche Gewalt – bis zum Sport – Stichwort: der Diagnostik bis zum Therapieansatz, eine her- Angst in unserer Gesellschaft in neu- Insolvenzen im Profi sport jenseits des Fußballs, von meneutische Wissenschaft ist. Es gibt mehr als eine en Aufbruch zu verwandeln. Der Kul- überhaupt erst so ein der Geschäftswelt – Stichwort: Rezession – bis zum Meinung, ja, es gibt meist ziemlich viele. Neben der turbereich muss auch darum kämpfen, für unsere Gesellschaft essenziellen Kulturbereich: klaren Ansage lockt deshalb die zweite Meinung. dass wir uns nicht daran gewöhnen, Theater, Konzerte, Großevents, Museen, Galerien, Zu den für die Mündigkeit unserer Gesellschaft wie Kinder von der Regierung und der ist ja in der Regel. Und – mit Ausnahme vielleicht Opern. Viele, ja, fast alle sind mittelbar von der Krise aussagekräftigen Momenten in der Ausnahmesitu- Verwaltung erzogen zu werden. gerade jetzt, wo auch die Wartezimmer aus dem Ge- betroff en. Auf die Zukunft hin gerechnet verstärkt ation gehört die Auseinandersetzung zwischen den Viele im Kulturbereich befi nden bot der Eindämmung des Virus heraus eher leer sind sich dieses Bild noch: Eine Rezession und eine mit ihr Expertinnen und Experten. Wenn der Bonner Virologe sich noch in Angst- – sind genug andere da, Nächste, mit denen das alles verbundene Zunahme von Armut verschlechtert kon- einen anderen Ansatz, eine andere Infektionshypo- starre, ich hoff e aber besprochen sein mag. Sinnfragen bedürfen der Kom- kret die Gesundheitssituation eines Teils der Gesell- these und auch andere Maßnahmen vorschlägt als der nicht mehr lange. munikation, ja, möglicherweise stellt der Sinn sich schaft. Armut ist das größte Gesundheitsrisiko. Inso- Fortsetzung auf Seite  überhaupt erst so ein. Nicht zuletzt in dieser Hinsicht fern sind die Debatten um die Verhältnismäßigkeit der Olaf Zimmermann sind wir, so mein Eindruck, derzeit mit der Krise auch Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus von Nr. / ist Herausgeber von in einer Art kollektivem Wartezimmer, ein andauern- elementarer Bedeutung. Sie müssen sein. Nur wenn ISSN - Politik & Kultur der Ausnahmezustand, der uns vor zentrale Fragen im Zwischenraum Wartezimmer auch die Schwäche- B   02 SEITE  www.politikundkultur.net

EDITORIAL Corona-Krise und Museen: Claussens Kulturkanzel: UNESCO-Industrieerbestätten: Kamsdorf: Hier hat der Bergbau Es geht um die Zukunft Die Kultur des Sterbens Kathedralen der Industrialisierung Tradition Angst Eckart Köhne 09 Johann Hinrich Claussen 17 Maria Böhmer 25 Werner Groll im Gespräch 33 Olaf Zimmermann 01 Corona-Krise und Zivilgesellschaft: Augsburger Wassermanagement- Städtetransformation: Erhaltung, Mitgestalten! EUROPA System: Der Schlüssel zum Aufstieg Entwicklung, Erinnerung LEITARTIKEL Rupert Graf Strachwitz 10 Kurt Gribl 25 Heike Oevermann 33 Möller meint: Die Schlagbäume Corona-Krise: Nächster sein Corona-Krise und Live-Events: Der schließen wieder Fagus-Werk: Ein lebendes Denkmal TICCIH: International vernetzt Christian Stäblein 01 künstlerische Wert des Analogen Johann Michael Möller 18 Karl-Heinz Duwe 26 Norbert Tempel 34 Martin Hufner 10 AKBP: Gemeinsam gegen die Neue Rammelsberg: Versteckter Genius AKTUELLES Corona-Krise und Veranstalter: Die Rechte Gerhard Lenz 26 OSTWEST Vielfalt unseres Kulturangebots Ronald Grätz 18 PERSPEKTIVEN Corona-Krise: The show must steht auf dem Spiel Hamburg: Das größte historische go on Jens Michow 11 Speicherensemble Denkmalschutz: Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz 03 KULTURELLES Bernd Paulowitz 27 Bewusstseinsbildung Beethoven-Haus Bonn: LEBEN Steff en Skudelny 34 Kulturmensch Igor Levit 03 Der schwarze Schwan Montanregion Erzgebirge: Zwi- Malte Boecker 12 Kunst im Zeichen von Kooperation schen Deutschland und Tschechien Kein Nachteil ohne Vorteil und Solidarität Frank Vogel 27 Kirsten Angermann 35 INLAND Beethoven-Sammlung der Sabine Schormann im Porträt – Andreas Kolb 19 Staatsbibliothek : Völklinger Hütte: Vom Fluch der DDR-Denkmäler: Schwieriges Corona-Krise: »Seriös kann die »Diesen Kuß der ganzen Welt« Keuchels Kontexte: Nicht von der Schließung zum Industriedenkmal Erbe fi nanziellen Folgen für Kultur und Barbara Schneider-Kempf 13 Angst regieren lassen Hubert Kesternich 28 David Johst 36 Medien niemand abschätzen« Susanne Keuchel 19 Drei Fragen an Olaf Scholz 04 Ausstellung: Roll over Beethoven Zeche Zollverein: Der Gestaltungs- Ost & West: Nachkriegserbe Thorsten Smidt 13 Personen & Rezensionen 20 wille des Industriezeitalters Simone Meyder 36 Corona-Krise: Wie unterstützen Heinrich Theodor Grütter & Hans-Peter Noll 29 die Bundesländer jetzt die Kultur? Ausstellung: »… Beethoven gibt’s Fortsetzung aus P&K 4/20 04-05 nur einen« INDUSTRIEKULTUR RAG-Stiftung: Industriekultur 4.0 INTERNATIONALES Agnieszka Lulińska 14 Bernd Tönjes 29 Corona-Krise: Eingefrorene Zeit: Industrie- Der Konfl ikt geht in Namibia Schadensbegrenzung oder Beethoven: Inspiration für die kultur Industriearchitektur: Lebendige weiter Investition in die Zukunft? Fragen unserer Zeit Olaf Zimmermann 21 Kultur- und Wirtschaftsstand- Johann Hinrich Claussen 37 Susanne Keuchel 06 Christian Höppner 14 orte Die Bundesförderung des Riccarda Cappeller 30 Villa Sul: Freiraum für Kultur Corona-Krise: Grevens Einwurf: Kulturelle Teilhabe durch industriekulturellen Welterbes Manfred Stoffl im Gespräch 38 Nähe durch Distanz innovative Preiskonzepte steigern Oliver Scheytt und Julia Ackerschott 22 Gasometer: 80 Meter über Berlin Ludwig Greven 06 Beate Flath 15 Reinhard Müller im Gespräch 31 Die alten und neuen MEDIEN Corona-Krise und Freie Künstler: 5 Minuten Urheberrecht: Arbeiterklassen Industriekultur Mitteldeutschland: Wir müssen reden! Hochladen, verlinken, einbetten Robert Misik 23 Die über 500-jährige Geschichte In der Krise haben sich die Stephan Behrmann 07 Robert Staats 15 stärker bewusst machen Medien neu organisiert Städtebauförderung: Fünf Fragen an Jörn-Heinrich Tobaben 31 Helmut Hartung 39 Corona-Krise und Orchester: Zwi- Samsami fragt: Jüdische Veränderungen erfolgreich schen Lockdown und Lockerung Kulturarbeit auf Tour meistern Kollektiv Industrie.Kultur.Ost: Das Letzte, P&K Trump-Fakes, Gerald Mertens 07 Jo Frank im Gespräch 16 Anne Katrin Bohle 24 Was andere nicht sehen Theo Geiẞler 40 Riccarda Cappeller 32 Corona-Krise und Verwertungs- Soziokulturelle Zentren: Kultur ist Voraussetzung für Karikatur 40 gesellschaften: In der Jetzt in Zukunft? Strukturentwicklungsprozesse Ferropolis Verantwortung 08 Wolfgang Schneider 17 Drei Fragen an Kathrin Hahne 24 Thies Schröder 32 Impressum 40

Fortsetzung von Seite 

Hamburger oder der Berliner Kollege, Krankheiten als Prinzip – Stichwort: der Verzichtssituation individuell so  – Nächster sein: Gott und die ist das eine wichtige Grundlage dafür, Impfung – hat Dauer, Zahl und Qua- vertraut wie kollektiv – ist die Vorfreude Krise dass sich die Gesellschaft verantwort- lität menschlichen Lebens deutlich während des Ausnahmezustands groß, lich, weil innerhalb einer prinzipiellen erhöht. Allerdings hat es nicht den hinterher zumindest manches nachho- In angemessener Kürze soll die Gottes- Pluralität überaus bewusst, mit der Kri- Sinn für die eigene Endlichkeit ge- len zu können, was nun versäumt wurde. frage in der Krise angesprochen werden. sensituation auseinandersetzt. Gerade stärkt. Dieser drängt sich durch die Der ausgefallene Theaterbesuch, die Sie verbirgt sich, ja, sie grundiert die die Krise ist der Bewährungstest für die Wahrnehmung der Krise mit Macht abgesagte Geburtstagsfeier – all das Frage nach dem Sinn. Will Gott uns, mir Akzeptanz von Vernunft und Argumen- wieder nach vorne. werde ich mir doch von einer Krankheit mit einer Krise etwas zeigen? Das pä- tationsregeln innerhalb eines Gemein- Es macht wenig Sinn, die Strategien nicht vorschreiben lassen. »Gebt uns dagogisierende Gottesbild hinter dieser wesens. Hierbei sind die Bereiche Kunst Integration und Exklusion im Umgang unser Leben zurück«, diese Formulie- Frage lässt mich zurückschrecken. An- und Religion besonders gefragt. Denn mit Krankheit gegeneinander auszu- rung war für mich bisher der stärkste dererseits: Der Gott, der ausschließlich sie bürgen für die Weite und den Frei- spielen. Hilfreich ist aber das Gespräch, Protest gegen die Krise und dabei bis als durch die Krise Mitgehender gedacht heitsraum der Argumentation und ihrer das vor Augen führt, dass beide Stra- in die Wortwahl hinein vom »Zurück« wird, wirkt erschreckend ohnmächtig. zugrunde liegenden Wirklichkeitsmo- tegien ihren guten Grund haben. Und: geprägt. Der Protest gegen die Krise fi n- Auch das Gottesbild selbst verdient delle. Kunst und Religion sind auch für Ob Integration oder Überwindung, det die Stärkung des Lebenssinns im Beachtung in der Krise, weil es als Bild den Austausch der hermeneutischen wenig ist so schön, wie im Wartezim- Gewohnten, die Krankheit, die mir vor- zerbrechen muss. Eine existenzielle Modelle zum Verständnis und zur Be- mer von der Krise zu erzählen, die ich führt, was mein Leben ausmacht, und Krisenerfahrung: Der lebendige Gott kämpfung einer Krankheit wesentli- KAUFFMANN FOTOSTUDIO FOTO: hinter mir habe. Gehabte Schmerzen, es wieder schätzen lehrt. Das Prinzip trägt und befreit, fordert und erlöst – che Ressourcen. Im Bild gesprochen: Es Christian Stäblein die hab ich gern, das wusste schon Veränderung fi ndet den Sinn der Krise als der ganz und gar Liebende. Wenn gibt nur wenige Wartezimmer, in denen Wilhelm Busch. hingegen im Entdecken, was im bis- Krisen etwas mit Gottesbildern machen, nicht Exponate bildender Kunst aufge- unkontrollierte Beherrschtwerden herigen Leben off enkundig falsch war. dann das: Sie verlebendigen. Aus der hängt sind. durch das Virus. Bei der Exklusion Nun ist die Chance da, das zu ändern. Vorstellung eines Gottes wird das le-  – Der Sinn der Krise: Protest oder bleibt – neben dem dauernden Zwei- »Wer sie jetzt nicht ergreift, hat nichts bendige Gegenüber, das anspricht und Veränderung fel an der erfolgreichen Umsetzung – begriff en« – auch diesen Satz hört man – Gott sei Dank – ständig angesprochen  – Das Ziel im Umgang: Integrati- die stete Bedrohung: Das Virus kann Womit wir bei einem Hauptfokus der öfter im Wartezimmer. werden kann. on oder Exklusion ständig zurückkehren. Die Integration gegenwärtigen Krisenbewältigung sind. Ähnlich wie bei der Frage nach In- Mit Jandl haben wir nun im Warte- Zwei Pole werden in der Wartezone der basiert letztlich auf dem Prinzip des Wie geht es danach weiter? Schon seit tegration oder Exklusion sind die Pole zimmer gesessen. So ist unsere gesell- Corona-Krise im Blick auf ihre Bear- Annehmens der Krankheit. Sie ist in der den ersten Pandemiewochen begleiten dieser Bewältigungsstrategien nur die schaftliche Situation natürlich nicht. beitung immer wieder diskutiert: Her- Welt, sie muss mit bestmöglicher Hilfe uns spannende Szenarien, welche guten, Leitplanken. Wir bewegen uns in der Wir sind eine liberale Gesellschaft im denimmunität oder Eindämmen und durchgestanden werden. Die Exklusion stärkenden Impulse für eine bessere Regel dazwischen. Dabei sind die Kom- vorübergehenden Ausnahmezustand, Stoppen der Virusverbreitung. Es sind basiert auf dem Prinzip des Ablehnens, Gesellschaft in der Krise verborgen lä- munikationsräume Kunst und Religion dabei, wie wir jetzt erleben, sehr stabil die zwei klassischen Pole im Umgang des Kampfes gegen die Krankheit. Sie gen. Der Verzicht werde einen neuen von besonderer Bedeutung. In der Kunst und wenig bis gar nicht darauf gepolt, mit Krisen: Integration oder Exklusi- ist zwar in der Welt, aber sie soll wieder Sinn für Entschleunigung, einen klare- lässt sich die ambivalente Konvulsion bloß untätig zu warten. Es gibt genug on. Beide Strategien bergen ihre Ge- aus der Welt. ren Blick auf das Wesentliche, eine grö- von Protest und Veränderung besonders zu tun: als Erstes in der Begleitung der fahren. Bei der Integration droht das Beide Strategien gehören zum ßere Achtsamkeit für den Nächsten, ein gut zum Ausdruck bringen. Harmonie Kranken und Sterbenden. Sie verdie- Menschsein – und beide Strategien Mehr an Aufmerksamkeit und Kommu- und Dissonanz bedingen einander, nen unsere Aufmerksamkeit, unsere haben auf dem Weg der menschlichen nikation und nicht zuletzt einen Schub Katharsis und Unterhaltung bilden Liebe. In ihnen begegnet uns Gott. Sie DER AUSBLICK Entwicklung viele Erfolge vorzuwei- in der Digitalisierung mit sich bringen. oft ein Zwillingspaar, das da zur Dar- sind dran und dann wir. Weil wir ihre 6  sen. Die Integration als Prinzip macht Die Krise bekomme so ihren Sinn. In der stellung kommt, wo Freiheit eröff net Nächsten sind. Und ja: Hinter dem Sinn den Menschen grundsätzlich entwick- Tat: Nach der Krankheit, das nehme ich und Verstörung zugelassen wird. Und: wartet Segen. Die nächste Politik & Kultur lungsfähig. Zugleich bleibt er auf die- mir bei jedem Arztbesuch neu vor, wer- Kein Psalm, der nicht die Ambivalenz erscheint am . Juni . sem Weg endlichkeitsbewusst. Erst der de ich weniger Süßes essen, mehr Sport der Welterfahrung in sich trägt: Die Christian Stäblein ist Bischof der Evan- Im Fokus steht das Thema Mensch, der sein Sterben annehmen treiben, öfter Pausen machen und mehr Anfechtung der Situation und die Zu- gelischen Kirche Berlin-Brandenburg- »Grünes Band«. kann, kann leben. Die Exklusion von zuhören. Umgekehrt – auch das ist aus wendung Gottes. schlesische Oberlausitz (EKBO) Politik & Kultur | Nr. / | Mai  AKTUELLES 03

The show must go on Kultur- und Kreativwirtschaft in Not

OLAF ZIMMERMANN UND Betriebsmittelzuschüssen für Solo- Da dies in den Unternehmen der Kul- wann weitere Lockerungen geplant Ein bundesweites Zuschussprogramm GABRIELE SCHULZ selbständige und Unternehmen bis zu tur- und Kreativwirtschaft bekannt sind, wichtig, damit die betreff enden für Unternehmen mit mehr als zehn zehn Mitarbeitern. Solo-Selbständige ist, wird das Instrument teilweise Institutionen und -unternehmen ent- und weniger als  Mitarbeitern wäre er gesamte Kultur- und und Unternehmen mit bis zu fünf Mit- sehr vorsichtig angewandt. Das hängt sprechend planen können. Einige Kul- wichtig, um vielen Betrieben, insbe- Medienbereich, von arbeitern können Betriebskostenzu- auch damit zusammen, dass es sich tureinrichtungen und -unternehmen sondere aus dem Markt für darstel- den Künstlerinnen und schüsse für drei Monate bis zu . überwiegend um kleine und mittel- werden im ersten Halbjahr ihre Arbeit lende Kunst und der Musikwirtschaft, D Künstlern, den Kultur- Euro beantragen, Unternehmen mit bis ständische, oft inhabergeführte Be- nicht wieder aufnehmen können. So zu helfen. Ein temporärer Entlastungs- einrichtungen und Einrichtungen zu  Mitarbeitern Betriebsmittelzu- triebe mit einem engen persönlichen hat z. B. Hamburg entschieden, dass zuschuss des Bundes zur Künstlersozi- der kulturellen Bildung, den Un- schüsse bis zu . Euro. Kontakt zwischen Mitarbeitern und die Spielzeit / für Theater und alkasse und eine damit einhergehende ternehmen der Kultur- und Krea- Die Betriebskostenzuschüsse wer- Geschäftsleitung handelt. Orchester beendet ist. Es wäre wichtig, Senkung des Abgabesatzes, im Idealfall tivwirtschaft bis hin zu den Kulturver- den über die Länder, in der Regel die Die Einführung einer Gutschein- dass auch andere Länder hier Klarheit auf null Prozent, für dieses Jahr, würde einen, ist von den Auswirkungen der Investitionsbanken, auf Antrag aus- lösung für Kulturveranstaltungen ist schaff en, damit entsprechende Unter- alle abgabepfl ichtigen Unternehmen Corona-Pandemie betroff en. Veran- gereicht. In fast allen Ländern gab es ein wichtiges Instrument, um die Li- stützungs- und Hilfsmaßnahmen ge- entlasten und damit zur Liquiditäts- staltungen, Auff ührungen und Messen in der Anfangsphase technische Pro- quidität von Veranstaltern sowie von plant werden können. sicherung beitragen. wurden abgesagt, Kultureinrichtun- bleme mit der Vielzahl von Anträgen. Kultureinrichtungen zu gewährleisten. D. h. auch über die Soforthilfen, die Trotz Corona-Pandemie gilt es wei- gen und Einrichtungen der kulturellen Wirksam sind die Zuschüsse bei jenen Es ist daher eine richtige und wichtige für einen Zeitraum von drei Monaten terhin, die Rahmenbedingungen für den Bildung sind geschlossen, Kulturorte Unternehmen der Kultur- und Kreativ- Maßnahme. Allerdings wird sie auch vorgesehen sind, hinaus, besteht er- Kultur- und Medienbereich zu gestalten. wie Buchhandlungen, Galerien, Kinos, wirtschaft, die Betriebskosten wie z. zu einer Nachfrageminderung nach heblicher Handlungsbedarf, um das Die begonnene Urheberrechtsreform Theater oder Clubs mussten schließen B. Mieten und Ähnliches haben. Hier Eintrittskarten führen, wenn wieder kulturelle Leben in Deutschland in gilt es weiter zu verfolgen und die The- und vieles andere mehr. Dies hat zur waren und sind die Zuschüsse eine Veranstaltungen stattfi nden, da dann seiner ganzen Breite und seinen Aus- men, zu denen bereits Diskussionsent- Folge, dass sich viele Künstlerinnen wichtige Erleichterung bei der Über- zuerst die Gutscheine eingelöst und prägungen zu sichern. würfe vorliegen, zeitnah abschließend und Künstler, Kultureinrichtungen, brückung von Liquiditätsengpässen. keine neuen Karten gekauft werden. Ein zentrales Instrument wäre ein gesetzgeberisch zu behandeln. Unternehmen der Kultur- und Kre- Soloselbständige, die aus ihrer Pri- Es wird also vor allem wichtige Zeit Kulturinfrastrukturfonds, der bis Ende In der Corona-Pandemie wird deut- ativwirtschaft sowie Kulturvereine vatwohnung heraus arbeiten, haben gekauft.  angelegt ist, um der gesamten lich, unter welch prekären Bedingungen in existenzieller Not befi nden. Viele, zumeist keine Betriebskosten oder Wichtige weitere erste Maßnahmen kulturellen Infrastruktur – Künstler, viele Künstlerinnen und Künstler, aber insbesondere freiberufl ich arbeiten- wenn in nur sehr geringer Höhe. An ih- sind Stundungen von Steuern, Sozi- Kultureinrichtungen, Kulturvereine, auch andere Unternehmerinnen und de Künstlerinnen und Künstler, waren nen geht diese Hilfe des Bundes vorbei. alversicherungsbeiträgen oder auch Kultur- und Kreativwirtschaftsunter- Unternehmer im Kultur- und Medien- und sind unmittelbar und sofort be- Einige Länder haben mit eigenen Zu- von Mieten. nehmen – Möglichkeiten zur Fortset- bereich arbeiten. Die Gesetzgebung zur troff en, bei anderen werden die Folgen schussprogrammen reagiert. Manche Die Kreditprogramme entfalten zung der Arbeit unter den Bedingun- Grundrente sowie zur Einbeziehung erst später spürbar sein und voraus- davon sind aufgrund von Überzeich- wenig Wirkung in der Kultur- und gen der Corona-Pandemie zu ermögli- von Selbständigen in die gesetzliche sichtlich auf längere Sicht anhalten. nung inzwischen eingestellt. Insge- Kreativwirtschaft, da die Aussichten, chen. Die Vergabe der Mittel sollte über Rentenversicherung muss zügig vor- Besonders schmerzlich ist, dass samt entsteht aufgrund der fehlenden künftig höhere Umsätze zu erzielen Bundeskulturverbände erfolgen, die angetrieben werden, damit sie noch der öff entliche Diskurs, das direkte Wirksamkeit der Betriebskostenzu- und Kredite zurückzahlen zu können, die Bedarfe des jeweiligen Bereiches in diesem Jahr abgeschlossen werden Gespräch, der Austausch und die Be- schüsse bei Solo-Selbständigen teil- als gering eingeschätzt werden. kennen und adäquat und zielgerichtet kann. arbeitung der Corona-Pandemie mit weise der Eindruck, die Maßnahmen Es fehlen Zuschussprogramme für auf Antrag Mittel ausreichen können. Die EU-Ratspräsidentschaft sollte künstlerischen Mitteln nur sehr einge- würden gar nicht greifen. Das ist, wie Unternehmen mit mehr als zehn Mit- Adressaten des Programms sollten so- genutzt werden, um steuerpolitische schränkt möglich sind. Die Bedeutung oben gesagt, allerdings nur teilweise arbeitern, wie z. B. Privattheater. Für wohl Künstlerinnen und Künstler, Kul- Maßnahmen auf der europäischen von Kulturorten, wie Theater, Museen, der Fall. sie sind Kredite nicht kompatibel. Hier tureinrichtungen und Einrichtungen Ebene voranzubringen. Dazu gehört Konzerthäuser, Konzerte und andere, Der Sozialpakt, also der erleichterte droht eine Insolvenzwelle. der kulturellen Bildung, Unternehmen die rechtssichere Einführung eines als Orte der unmittelbaren künstleri- Zugang zum Arbeitslosengeld II, ist Eine ständig aktualisierte Übersicht aus der Kultur- und Kreativwirtschaft ermäßigten Umsatzsteuersatzes für schen Auseinandersetzung in der Ge- vom Bund als Ausweg für diejenigen zu den Hilfsmaßnahmen des Bundes sowie Kulturvereine sein. Was die Grö- die Bildende Kunst. Die öff entlichen sellschaft wird gerade jetzt, wo sie fast gewiesen, die keine oder unzureichen- fi nden Sie hier: kulturrat.de/corona/ ßenordnung dieses Hilfsfonds angeht, Hände sind gefordert, für eine stabile gänzlich geschlossen sind, besonders de Betriebskostenzuschüsse erhalten massnahmen-des-bundes/ sollte das erfolgreiche Programm »Kul- Kulturförderung einzustehen. Bund, spürbar. Obwohl es zahlreiche neue und derzeit kein oder ein unzureichen- tur macht stark« als Beispiel genom- Länder und Gemeinden müssen bei der digitale Angebote gibt und in digita- des Einkommen haben. Die Bedingun- men werden. Bislang wurden für dieses Aufstellung der Haushalte für  und Hilfsmaßnahmen der Länder le Verbreitungsformen investiert wird, gen zum Zugang zum Arbeitslosengeld Programm vom Bund  Millionen darüber hinaus die öff entliche Kultur- können sie das gemeinschaftliche und II wurden verbessert – keine Vermö- Die Länder haben teilweise eigene Euro zur Verfügung gestellt. fi nanzierung stabil halten, um ein mit- unmittelbare Live-Erlebnis oder das Er- gensprüfung, Übernahme der Mietkos- Förderprogramme aufgelegt. Eini- Die Kulturministerkonferenz hat am telfristiges Ausdörren des kulturellen spüren der Materialität von Kunst nicht ten in tatsächlicher Höhe. Dennoch ge Förderprogramme, z. B. in Berlin, .. in einem Schreiben Kultur- Lebens in Deutschland zu verhindern. ersetzen. Dieses wird jetzt besonders stößt die Regelung innerhalb des Kul- wurden bereits wieder eingestellt, da staatsministerin Grütters aufgefordert, Packen wir es an, the show must go on. deutlich. Das Internet ist keine Alterna- turbereiches auf sehr große Vorbehalte sie überzeichnet waren. Diese För- einen Nothilfefonds einzurichten und tive für das künstlerische Liveerlebnis, bis brüske Ablehnung. Das rührt zum derprogramme nehmen teilweise ex- in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe Olaf Zimmermann ist Geschäfts- es ist ein wichtiger Verbreitungsweg, einen daher, dass das Arbeitslosengeld plizit Künstlerinnen und Künstler in die Verwendung der Mittel zu beraten, führer des Deutschen Kulturrates. auch in der Notlage das Publikum zu- II ohnehin ein schlechtes Image hat, den Blick. Hier werden unter anderem damit einen Abstimmung mit den be- Gabriele Schulz ist Stellvertretende mindest eingeschränkt zu erreichen. und zum anderen, dass der Eindruck Stipendien, Umsatzausfälle, Zuschüsse stehenden Länderprogrammen erfolgen Geschäftsführerin des Deutschen Die Kultur- und Kreativwirtschaft besteht, die eigene Arbeit und Selb- zum Lebensunterhalt auf Antrag ge- kann. Kulturrates ist durch viele kleine und mittelständi- ständigkeit würden nicht gewürdigt. währt. sche Unternehmen gekennzeichnet. Am Nach wie vor besteht das Missver- Es ist generell positiv, dass einige Anfang der Wertschöpfungskette in der ständnis jemand müsse sich arbeits- Bundesländer aus Landesmitteln eige- Kultur- und Kreativwirtschaft stehen suchend melden, um Grundsicherung ne Programme zur Verfügung stellen. die Künstlerinnen und Künstler, die zu erhalten. Das ist selbstverständlich Aber es ist schon sehr gewöhnungs- unmittelbar und sofort die Wirkungen nicht der Fall. Im Gegenteil, es ist das bedürftig, dass fast jedes Bundesland Kulturmensch Igor Levit der Corona-Pandemie spürten. Aber ausdrückliche Ziel, dass die Selbstän- sein eigenes Kulturförderprogramm auch die anderen Marktteilnehmer bzw. digkeit fortgeführt wird. Dennoch gestrickt hat, und es macht für Künst- Viele Musikerinnen und Musiker erste Gesamteinspielung der Kla- Glieder der Wertschöpfungskette sind triff t es wahrscheinlich auf mehr Ak- lerinnen und Künstler, für Kulturein- machen in den schwierigen Zeiten viersonaten Beethovens. Im großen betroff en. Bei einigen wie z. B. der De- zeptanz, wenn alle Soloselbständigen richtungen und kulturwirtschaftliche der Corona-Pandemie Hoff nung und Jubiläumsjahr begeistert Levit damit signwirtschaft treten die Auswirkungen ein Drittel der Soforthilfe als fi ktiven Betriebe einen spürbaren Unterschied, Mut mithilfe von Musik: Einer von nun auch seine Zuschauerinnen erst mit etwas Verzögerung ein, da be- Unternehmerlohn beantragen könnten. in welchem Bundesland sie ihren Sitz ihnen ist der russisch-deutsche Pia- und Zuschauer regelmäßig im stehende Aufträge bearbeitet und erst Das wären bei einer Höchstsumme von haben und damit ein gutes, ein weni- nist Igor Levit. Seit Beginn der Krise Livestream anstatt in ausverkauf- sukzessive Aufträge storniert werden. . Euro, die beantragt werden kön- ger gutes oder überhaupt kein Notpro- gibt der Starpianist um  Uhr auf ten Hallen. Doch zumindest seinen Um die Auswirkungen der Coro- nen, . Euro. Würde diese Regelung gramm des Sitzlandes nutzen können. Twitter Hauskonzerte aus seinem Geburtstag feierte der am . März na-Pandemie auf die Kultur- und zwischen Bund und Ländern vereinbart Für diesen Förderfl ickenteppich gibt Wohnzimmer – mittlerweile schon in Nischni Nowgorod geborene Kreativwirtschaft längerfristig zu werden, wäre eine wichtige Forderung es keinen nachvollziehbaren Grund! über -mal. Da die Konzertsäle Musiker noch auf der Bühne der aus- verfolgen und die Wirksamkeit von von freiberufl ichen Künstlerinnen und Er ist einfach nur zutiefst ungerecht. auch weiterhin leer bleiben, schaff t verkauften Elbphilharmonie. Vielen Maßnahmen zu eruieren, führt der Künstlern erfüllt. Es würde dann jedem Eine ständig aktualisierte Übersicht Levit so eine Möglichkeit, seine Mu- Dank an Igor Levit und alle anderen Deutsche Kulturrat zusammen mit einzelnen obliegen, diese Regelung in zu den Hilfsmaßnahmen der Länder sik mit seinem Publikum zu teilen, Musikerinnen und Musiker für die- dem Kompetenzzentrum Kultur- und Anspruch zu nehmen oder aber doch fi nden Sie hier: kulturrat.de/corona/ und ist damit unser Kulturmensch sen besonderen Einsatz! Kreativwirtschaft eine Befragung der Grundsicherung zu beantragen. Insbe- massnahmen-der-laender/ in Politik & Kultur /. Bundesverbände der Kultur- und Kre- sondere diejenigen, die in Großstäd- Der »Instrumentalist des Jahres ativwirtschaft durch. Die Befragung ten leben und eine hohe Miete zahlen, « der Royal Philharmonic Soci- Weiterer Handlungsbedarf ist als Panel-Befragung angelegt und müssten dann ökonomisch abwägen, ety wurde in Russland geboren und wird über ein Jahr – Start .. bei welchem Modell sie besser fahren: Nach aktuellem Sachstand wird die siedelte im Alter von acht Jahren mit – alle zwei Monate durchgeführt. Wir . Euro pro Monat als Soforthilfe Corona-Pandemie, bis entsprechen- seiner Familie nach Deutschland erhoff en uns hieraus kontinuierliche oder  Euro plus reale Miet- und de Medikamente bzw. ein Impfstoff um. In Hannover absolvierte er sein Erkenntnisse zum jeweiligen Ist-Zu- Mietnebenkosten plus Kinderzuschlag, vorliegen, das Leben in Deutschland Klavierstudium mit der höchsten stand, zu den Veränderungen und zur sofern jemand Kinder hat. prägen. Die Herausforderung wird Punktzahl in der Geschichte des Wirksamkeit der unterschiedlichen Die verbesserten Bedingungen für sein, mit dem Virus zu leben und seine Instituts. Die Saison / steht Hilfsinstrumente. Kurzarbeitergeld können von Unter- Verbreitung so gering wie möglich zu für den Künstlerischen Leiter der nehmen mit Angestellten genutzt halten. Dies bedingt eine Ungewissheit, Kammermusikakademie und des werden. Da viele abhängig Beschäf- wann mit Lockerungen und Erleichte- Standpunkte Festivals des Heidel- Hilfsmaßnahmen des Bundes tigte im Kultur- und Medienbereich rungen zu rechnen ist, was wiederum berger Frühlings ganz im Zeichen Für den Kultur- und Medienbereich geringe Einkommen erzielen, bedeutet die Planung für die Kultureinrich- der Klaviersonaten Ludwig van sind von besonderer Relevanz die So- das, dass Kurzarbeiter mit deutlichen tungen und -institutionen erschwert. Beethovens. Zu Beginn der Saison MEISEL PETER FOTO: forthilfemaßnahmen auf der Basis von Einkommenseinbußen leben müssen. Hier wären verbindliche Zeitfenster, veröff entlichte Sony Classical Levits 04 INLAND www.politikundkultur.net

»Seriös kann die finanziellen Folgen für Kultur und Medien niemand abschätzen« Drei Fragen an Olaf Scholz

Corona bedroht Existenzen – vor allem Wie kann eine längerfristige Welche fi nanziellen Folgen für auch in Kunst, Kultur und Medien. Po- Unterstützung aussehen, wenn Kultur und Medien werden mittel- litik & Kultur erkundigt sich bei Bun- bestimmte Bereiche aus Kultur fristig aus der Corona-Pandemie desfi nanzminister Olaf Scholz nach den und Medien, wie z. B. Theater resultieren? möglichen fi nanziellen Folgen. oder Konzerte, auf längere Sicht Seriös kann das noch niemand keine Arbeitsmöglichkeiten endgültig abschätzen. Klar ist, dass Das sogenannte Corona-Schutz- haben, weil die Einrichtungen aus Kunst und Kultur elementar für un- schild ist das größte Hilfspaket in gesundheitlichen Gründen ge- ser Zusammenleben sind. Wir haben der Geschichte Deutschlands – und schlossen bleiben müssen bzw. natürlich im Blick, dass die Corona- doch werden gerade im Kultur- keine Veranstaltungen stattfi nden Krise jetzt auch Kulturschaff ende und Kreativbereich die Stimmen können? und Kreative vor immense Heraus- immer lauter, dass jetzt dringend Leider müssen wir uns für einige Zeit forderungen stellt. nachgebessert werden muss, um auf ein Leben mit dem Virus ein- Viel hängt jetzt damit zusammen, gezielter und umfangreicher zu stellen. Es wird also eine neue Nor- wie gut es uns gemeinsam gelingt, helfen. Was gilt es jetzt zu un- malität geben. Daher kann derzeit Neuinfektionen im Griff zu halten, ternehmen, um Soloselbständige, niemand sagen, wie lange Theater um die einschneidenden Maßnah- Freiberufl er & Co aus Kultur und oder andere Kultureinrichtungen men vorsichtig und Stück für Stück Medien deutlicher zu unterstüt- geschlossen bleiben werden. Für die zu lockern. zen? Beschäftigten hilft jetzt oft die Kurz- Das hilft dann allen Betroff enen, Zunächst ist es wichtig, dass die arbeit, die einen Lohnersatz bietet – auch der Kultur. Klar ist, dass wir die bestehenden Hilfen genutzt werden. das hilft auch den Einrichtungen, da Corona-Krise nur bewältigen, wenn Gerade für den Kultur- und Kreativ- die Personalkosten zu großen Teilen wir zusammenstehen, wenn wir bereich ist die Kombination aus So- von der Bundesagentur für Arbeit solidarisch sind. Das gilt übrigens forthilfen für die Mieten des Ateliers, übernommen werden. auch für die Vermieter von Kultur- Studios oder Büros und andere dau- Die Kredite der KfW sollen ebenfalls einrichtungen. Ich höre, dass sich erhafte Ausgaben einerseits und die unterstützen, durch die Krise zu viele anständig verhalten und helfen. erleichterte Grundsicherung für den kommen. Und wir haben eine Gut- Ich hoff e, dass das Schule macht. Für Lebensunterhalt und die Wohnungs- scheinlösung beschlossen, damit die großen fi nanziellen Hilfspakete miete andererseits wichtig. Manche Künstlerinnen und Künstler sowie brauchen wir aber auch einen Staat, Länder ergänzen das Soforthilfe- Veranstalter jetzt nicht im großen der stark genug ist, denen zu helfen, programm des Bundes mit eigenen Stil sofort alle verkauften Karten für die unsere Hilfe brauchen. Dafür sor- Programmen für Künstlerinnen und einen Termin, der leider nicht statt- gen wir. Ich bin zuversichtlich, dass Künstler. Neben diesen wichtigen Un- fi nden kann, erstatten müssen. unser Land, unsere Wirtschaft und terstützungsmaßnahmen werden wir Die ausgefallenen Konzerte und unsere Gesellschaft die Herausforde- auch sehr genau sehen, wie wir den Auff ührungen können also später rung, die diese Pandemie ist, meis- besonders betroff enen Kultursparten nachgeholt werden. Über mögliche tern wird. mit spezifi schen Angeboten helfen weitere Schritte sind wir mit der

können, trotzdem zu produzieren und Kulturszene und den Verbänden im Olaf Scholz ist Vizekanzler und ABACA / ALLIANCE PICTURE FOTO: durch diese schwere Zeit zu kommen. Gespräch. Bundesfi nanzminister Auch die Street-Art in Paris setzt sich mit dem Coronavirus auseinander

Wie unterstützen die Bundesländer jetzt die Kultur? Fortsetzung aus Politik & Kultur /

II war ein gewährter Zuschuss in Höhe mittlere Medien- und Kulturbetriebe unserem bisher gewohnten Leben sind. zumindest einen kleinen Ersatz für Berlin von . Euro für Künstler und andere nicht oder nicht ausreichend. In keinem anderen Bundesland gibt es abgesagte Veranstaltungen erhalten. KLAUS LEDERER Freiberufl er. Anders als die Soforthilfen Jenseits von dem, was wir getan fl ächendeckend eine solche Dichte an Diese Mittel waren allerdings bereits des Bundes und anderer Bundesländer haben, muss die Initiative der Berliner Kultureinrichtungen und -initiativen Anfang April ausgeschöpft – über . erlin vor Corona: Fünf von sie- durfte das Geld auch für die Sicherung Kulturszene gelobt werden: Diverse aller Sparten. Umso auff allender ist Anträge gingen bei uns ein, immerhin ben Berlin-Besuchenden aus der persönlichen – und nicht nur der Ideen, Angebote, Soli-Aktionen haben ihr Fehlen. Und umso schmerzhafter . Anträge wurden geprüft und an B aller Welt kommen wegen der wirtschaftlichen – Existenz genutzt Kultur weiter erlebbar gemacht. Dafür, wird die Kulturlandschaft aufgrund ih- über . Berechtigte konnte das Geld kulturellen Angebote in die Stadt, Ber- werden. Rückmeldungen sagen uns, danke! rer Viel- und Kleinteiligkeit getroff en. zeitnah ausgezahlt werden. linerinnen und Berliner nutzen ihre dass dies vielen geholfen hat, ihre Miete Nun wird es darum gehen, verant- Insbesondere den kleinen Häusern, den Über die Soforthilfe hinaus haben Kulturlandschaft ausgiebig: Museen, und Lebensnotwendiges zu bezahlen. wortungsvoll den Weg in die Normalität Vereinen und privat getragenen Initi- wir die bestehenden Förderstrukturen Theater, Clubs und eine riesige Freie Binnen fünf Tagen wurden so  Mil- zu fi nden. ativen, den freien Ensembles und den genutzt, um umgehend Entlastung und Szene. Probleme gibt es, an Lösungen lionen Euro ausgezahlt. Berlin nach Corona: Es wird anders vielen freischaff enden Künstlerinnen Sicherheit für Kultureinrichtungen und arbeiten wir – aber sonst pulsiert das Wir haben uns in der Verwaltung bleiben. Eine Blitzrückkehr ins Altbe- und Künstlern fehlen Rücklagen, die -akteure zu schaff en. So werden bewillig- kulturelle Leben. recht schnell darauf geeinigt, auch kannte des Berliner Kulturbetriebes sie durch diese Krise retten könnten. te und in Prüfung befi ndliche Förderun- Berlin mit Corona: Die Stadt steht Verfahrensvereinfachungen im Zuwen- wird es nicht geben. Wie genau es aus- Es geht nun um die Anerkennung gen in Höhe von mehr als  Millionen still, zumindest, was die unmittelbare dungsrecht auf den Weg zu bringen. Mit sieht, vermag ich nicht zu sagen, aber … der Lebens- und Arbeitsrealität der Kul- Euro ausgezahlt – auch dann, wenn die Wahrnahme auf Straßen und Plätzen öff entlichen Geldern geförderte Kunst und es ist ein großes ABER: Es gibt viel, turschaff enden. Die Überzeugung, dass Projekte abgesagt werden müssen. Zu- angeht. Das gilt genauso für die Kultur. und Kultur unterliegt für die Geför- was mich in der Krise überrascht hat Kultur kein Luxus ist, sondern Funda- sätzliche Ausnahmeregelungen sollen Sehr früh hat Berlin Bühnen, Museen derten strengen Richtlinien über die und mich glauben lässt, dass wir auch ment und Medium einer freiheitlichen, Veranstalter und Einrichtungen fi nanzi- und Gedenkstätten für den Besucher- Verwendung. Diesen Maßstab kann Positives mitnehmen werden. Kreati- demokratischen Gesellschaft, gilt es ell wie zeitlich entlasten. Im Mittelpunkt verkehr komplett geschlossen – stets in man kaum noch anlegen, wenn Ein- vität lässt sich von einem Virus nicht gerade jetzt zu verteidigen. In enger unserer Aktivitäten in dieser ersten, aku- Abstimmung mit Intendantinnen und richtungen geschlossen sind, Formate besiegen, Solidarität und Zusammen- Abstimmung mit den anderen Bundes- ten Phase standen die Künstlerinnen Leitern der öff entlichen Einrichtungen. wegbrechen oder abgesagt werden. Und halten werden gelebt, um gemeinsam ländern und der Bundesregierung setz- und Künstler in NRW. Dies war nur fol- Und auch im Bewusstsein, was das die Betroff enen befreit es von Unsicher- zu überleben, und digitale kulturelle ten wir alles daran, den Schaden durch gerichtig, denn unser Land wird gerade für viele kleine, private Kulturorte, heit und Sorge. Ausdrucksformen boomen – zwangsläu- gezielte, unbürokratische und wirksame durch die freie Kulturszene geprägt. Clubs und die überwiegend soloselb- Und Berlin hat zudem eine Sofort- fi g, und könnten auch nach Corona die Maßnahmen so gut und so schnell wie Mit dem Anlaufen der großen staat- ständigen Künstlerinnen und Künst- hilfe beschlossen, die dem traditionell Berliner Kulturlandschaft beeinfl ussen. möglich zu begrenzen. In dieser Situa- lichen Hilfsprogramme stehen freibe- ler bedeutet: den kompletten Verlust besonders bedeutsamen und kleintei- tion hat sich die Abstimmung innerhalb rufl ichen Künstlerinnen und Künstlern von Einnahmen und damit verbunden ligen privaten Kultursektor der Stadt Klaus Lederer ist Senator für Kultur der neuen Kulturministerkonferenz und in NRW inzwischen verschiedene Un- existenzielle Nöte. Nahezu parallel zum Rechnung trägt. Diese Einrichtungen und Europa in Berlin auf der Arbeitsebene des Kulturaus- terstützungsmöglichkeiten zur Verfü- »Runterfahren« haben wir begonnen, sind zwar als Wirtschaftsbetriebe orga- schusses der KMK sehr bewährt. gung, vor allem die Corona-Soforthilfe Maßnahmen zur Soforthilfe für die Be- nisiert, arbeiten aber regelmäßig nicht Bereits am . März hat das Ministe- für Soloselbständige und kleine Unter- troff enen zu planen – und umzusetzen. renditeorientiert. Dieser Sektor ist ohne rium für Kultur und Wissenschaft eine nehmen der Bundesregierung. Solo- Klar war, die Hilfe muss schnell und un- Publikum wirtschaftlich existenziell NRW existenzsichernde Soforthilfe in Höhe selbständige erhalten eine Einmal- bürokratisch zu denen, die sie brauchen. getroff en und wird wohl am längsten ISABEL PFEIFFERPOENSGEN von fünf Millionen Euro für Künstle- zahlung von bis zu . Euro, Klein- Und, sie muss den Spezifi ka der Berli- betroff en sein. Das Soforthilfepaket rinnen und Künstler eingerichtet, um unternehmen von bis zu . Euro ner Kulturszene gerecht werden: Kaum IV in Höhe von  Millionen Euro hilft berdeutlich zeigt sich in die- die Zeit bis zum Anlaufen der großen für einen Zeitraum von drei Monaten. einer ist hier in der Lage, Hilfskredite kleinen und mittleren Unternehmen im sen Wochen die Verfasstheit Rettungsschirme in Land und Bund Beide Zuschüsse müssen nicht zurück- abzuzahlen. Das Liquiditätsproblem in Medien- und Kulturbereich, die nicht Ü der Kultur in NRW. Das un- zu überbrücken. Künstlerinnen und gezahlt werden. Gegenwärtig rückt die der Corona-Krise darf kein Verschul- regelmäßig oder nicht überwiegend öf- umgängliche Aussetzen aller Kultur- Künstler konnten bei den Bezirksre- Soforthilfe die betrieblichen Kosten in dungsproblem für die Ewigkeit werden. fentlich gefördert werden. Die bisheri- veranstaltungen macht spürbar, wie gierungen eine Einmalzahlung von den Mittelpunkt, NRW setzt sich aber Das Berliner Soforthilfeprogramm gen Maßnahmen erreichen kleine und allgegenwärtig Kunst und Kultur in bis zu . Euro beantragen und so dafür ein, zusätzlich die Einkommens- Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 05

verluste der Solo-Künstlerinnen und digitale Zugang eröff net oft einen ganz unseres kulturellen Reichtums eine grund von Geschäftsaufgaben müs- -Künstler zu berücksichtigen. Auch der neuen Blick auf Kultur, Einrichtungen nationale Aufgabe, bei der der Bund Thüringen sen Künstlerinnen und Künstler bzw. vereinfachte Zugang zur Grundsiche- und Akteure, ermöglicht Formate, die eine tragende Rolle spielen muss. Der BENJAMINIMMANUEL HOFF Kulturinitiativen entgeltfrei oder zu rung ist nicht als Almosen zu verstehen, wir so noch nicht kannten. Das kann Freistaat Sachsen leistet bereits seinen UND TINA BEER einer symbolischen Kulturmiete zur sondern als Rechtsanspruch und Mittel nicht zuletzt dabei helfen, neue Ziel- Beitrag: Ein erster wichtiger Schritt ist Zwischennutzung übertragen werden. zur unbürokratischen Überbrückung gruppen zu erschließen. unser Rettungsschirm für sächsische ufgrund der hohen Verbreitung Die Stadtwerke sollten die Energieko- einer Notsituation, bis der reguläre Mit der Arbeitskammer haben wir Kulturschaff ende in Höhe von knapp des Coronavirus wurde der kul- sten für diese Objekte übernehmen. In Kulturbetrieb wieder anläuft. etwa die Initiative »Support your local  Millionen Euro. Dieser beruht auf A turelle Betrieb in der gewohnten Kombination mit einem Stipendienpro- Wir haben uns bewusst für Zuschüs- act, don’t forget your favourite loca- einer wichtigen Grundidee: Wir wol- Form nahezu vollständig zum Erliegen gramm sollten so Leerstand in Dörfern, se und gegen Kredite entschieden. Kul- tion« gegründet. Freiberufl iche saar- len nicht nur Geld, sondern auch Sinn gebracht. Dies hat die kulturellen In- kleinen Gemeinden und Kleinstädten turangebote können nur sehr bedingt ländische Musikerinnen und Musiker für die betroff enen Künstlerinnen und stitutionen und ihre Träger, die Be- vermieden und Kultur gefördert und »auf Vorrat« produziert werden, was im geben an bekannten Veranstaltungs- Künstler im Freistaat stiften. schäftigten in der Kulturwirtschaft angesiedelt werden. In ähnlicher Weise Umkehrschluss bedeutet, dass die ak- orten Konzerte und zeichnen Filmmit- So schaff en wir kurzfristig das Sti- – darunter eine große Zahl an Solo- müssen kleine Kinos unterstützt so- tuellen Ausfälle Komplettausfälle sind. schnitte auf, die online veröff entlicht pendienprogramm »Denkzeit«, bei dem selbständigen bzw. prekär Beschäftigte, wie Verlage und Buchläden abgesichert Theaterstücke, Konzerte, Tanzinsze- werden. Künstlerinnen und Betreiber Künstlerinnen und Künstler eine För- aber auch Vereine und Ehrenamtliche werden. nierungen oder Ausstellungen können der Veranstaltungsorte erhalten eine derung von . Euro erhalten: Wir vor Herausforderungen bis hin zu exis- Die Corona-Krise hat die Verletzlich- allein aus logistischen Gründen nicht Gage oder ein Nutzungsentgelt. wollen Konzepte, Ansätze und Forma- tenziellen Nöten gestellt. keit unserer Kultur- und Kreativwirt- einfach parallel zum Folgeprogramm Gleichzeitig müssen sich Kultur- te fördern, die sich mit künstlerischen Obwohl unpolitische Politik das Bild schaft deutlich gemacht. Nach dieser nachgeholt werden – abgesehen davon, schaff ende selbst in die Lage verset- Mitteln theoretisch und praktisch mit der vermeintlich alternativlosen Ent- Krise dürfte niemand mehr leichtfertig dass selbst die Proben aktuell gegen die zen, ihren Beruf weiterhin auszuüben. den Bedarfen und Herausforderungen scheidungen zu oft strapazierte, gerade die Existenz der Künstlersozialkasse unverzichtbare Regel sozialen Abstands Dazu brauchen sie Schulungsmöglich- des gegenwärtigen gesellschaftlichen um fi nanzielle Einschränkungen des (KSK) infrage stellen – es sei denn, um verstoßen würden. keiten, Plattformen für Austausch und Ausnahmezustands auseinandersetzen. Kultursektors zu legitimieren, waren sie in eine allgemeine Bürgerversiche- Kunst hat nicht die Aufgabe, die Vernetzung und natürlich technisches Über die Kampagne des Freistaats »So die drastischen Maßnahmen nötig, da- rung für alle aufgehen zu lassen. Antworten zu geben, um die wir an- Equipment. geht sächsisch.« wird Künstlerinnen und mit die Bürgerinnen und Bürger vor der Gleichzeitig müssen ihre Aufnah- gesichts dieser schwindelerregenden Gemeinsam mit dem Institut K Künstlern bereits eine digitale Bühne Infektion geschützt werden und eine mebedingungen modernisiert und den Situation gerade ringen. Aber sie schaff t haben wir deshalb das Projekt »Soli- geboten. Wir werden das Format unter- Überforderung des Gesundheitssystems veränderten Bedingungen der Kreativ- gedankliche Spiel- und Freiräume, das darisches Handeln in der Krise: Struk- stützen und neben Künstlerhonoraren vermieden wird. wirtschaft angepasst werden. Kreative zu denken, was nicht Konsens ist, das turinitiative für Kulturakteure im Saar- auch Ausgaben für Technik ermöglichen. Bund und Länder haben ein umfas- im Kultur und Medienbereich sollten zu erfahren, was nicht vertraut ist. Es ist land!« ins Leben gerufen. Es geht darum, Für die musisch-kulturelle Bildung sendes Bündel sich ergänzender Maß- angesichts der Krise den Wert gewerk- eine Stärke der Kunst, jenseits der eta- individuelle und institutionelle Bedarfe in der Fläche sollen in einem ersten nahmen auf den Weg gebracht, um die schaftlicher Organisierung erkennen. blierten Systeme zu agieren und »dem miteinander zu verbinden, um neben Schritt die freien Träger eine fi nanzielle Akteurinnen und Akteure, Unterneh- Die Gewerkschaft ver.di wiederum muss Weltlauf zu widerstehen«, wie es Theo- Solidarleistungen konkrete Beiträge Unterstützung erhalten. Parallel dazu men sowie Institutionen von Kunst, sich endlich wieder ihres verdienstvol- dor W. Adorno einmal formuliert hat. für den digitalen Strukturwandel zu arbeitet die Staatsregierung an einem Kultur und Medien zu stabilisieren. len Erbes der IG Medien erinnern und Heute, da viele bisherige Gewissheiten entwickeln. Unser Ziel ist ein genos- Schutzschirm für Kommunen. Wer die Maßnahmen des Bundes zum Sprachrohr von Angestellten, aber infrage stehen, ist die Kunst eine unver- senschaftliches Modell eines koopera- Von der Corona-Pandemie sind betrachtet, stellt sich die Frage, wo auch Selbständigen der Kultur- und Me- zichtbare Stimme im gesellschaftlichen tiven Solidarsystems »smart.saarland« natürlich auch unsere staatlichen eigentlich die Kulturstaatsministerin dienszene werden. Sowohl in Arbeits- Miteinander. Wir werden alles dafür tun, für das Saarland. Kulturbetriebe betroffen, wie etwa verblieben ist. Aus dem Hause Grütters kämpfen gegenüber – nicht zuletzt öf- dass diese Stimme auch weiterhin laut Chancen sehe ich auch bei der kul- die Semperoper und die Staatlichen ist kein Vorschlag bekannt geworden, fentlich fi nanzierten – Kulturbetrieben gehört werden kann. turellen Bildung. Wollen wir Chancen- gleichheit und soziale Teilhabe für alle Isabel Pfeiff er-Poensgen ist Ministe- in unserer Gesellschaft, so muss der rin für Kultur und Wissenschaft in Zugang zur kulturellen Bildung jedem Nordrhein-Westfalen Menschen möglich sein. Digitalisie- rung hilft dabei. Aus unserer heutigen Gesellschaft sind die digitalen Medien nicht mehr wegzudenken. Sie helfen uns, Saarland soziale, räumliche und zeitliche Grenzen CHRISTINE – und eben auch die Begrenzungen der STREICHERT CLIVOT Corona-Krise – zu überwinden. Davon können wir auch nach Corona profi tie- useen, Theater, Konzertsäle, ren. Kneipen und Clubs sind ge- M schlossen, um die Ausbrei- Christine Streichert-Clivot ist tung des Coronavirus einzudämmen. Ministerin für Bildung und Kultur im Darunter leiden alle Kultureinrichtun- Saarland gen. Insbesondere für viele freiberufl i- che Kulturschaff ende, für Künstlerin- nen, für Soloselbständige und Betreiber kleinerer Veranstaltungsorte bedeutet Sachsen das existenzielle Sorgen. BARBARA KLEPSCH Aber gerade in der Krise gilt: Kultur ist der Kitt unserer Gesellschaft. Ich ie Folgen der Corona-Pandemie beobachte eine Welle der Kreativität werden die Kultur weit länger und der Solidarität. Digitale Formate D belasten als die meisten ande- werden entwickelt, es entstehen neue ren Bereiche des Lebens. Wann Theater, Kooperationen, oft über bisher beste- Opernhäusern und Konzertsäle wieder hende Grenzen hinweg. Und natürlich bis auf den letzten Platz besetzt sein kommt es gerade jetzt auf politische dürfen, wissen wir heute nicht. Es wird Unterstützung an. vermutlich später als früher sein, weil

Die Soforthilfeprogramme des Lan- der Infektionsschutz es nicht erlaubt BELGA / ALLIANCE PICTURE FOTO: des und des Bundes helfen allen, die oder auch weil einige Kulturfreunde In Belgien wird mittels eines Graffi tis den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Gesundheitssektors gedankt unverschuldet in Existenznot geraten zunächst vorsichtiger bleiben. Auch sind. In der Landesregierung habe ich die Festivalsaison, in der viele Kul- Kunstsammlungen, die gerade erst die mit der die kulturelle Infrastruktur, ins- als auch in der Interessenvertretung der erreicht, dass bereits zugesagte Projekt- turschaff ende und nahe Dienstleis- Galerie Alte Meister wiedereröff net ha- besondere in den sensiblen Bereichen Soloselbständigen gegenüber öff entli- fördermittel weiter ausgezahlt werden ter ihren Jahresverdienst erarbeiten, ben. Nicht nur zum . Todestag von der Freien Szene, Soziokultur, Literatur chen und privaten Auftraggeberinnen – auch wenn sie etwa an eine bestimmte fällt dieses Jahr weitestgehend aus. Raff ael hing die Sixtinische Madonna und Musik, kleine Verlage und Buchlä- und -gebern. Veranstaltung geknüpft waren, die nun Und ob in Zeiten einer angespannten mutterseelenallein in den schönen neu den, unterstützt werden soll. Auch die So gesehen stellen sich in der Co- nicht stattfi nden kann. Außerdem wer- wirtschaftlichen Lage Investitionen, gestalteten Sälen. Bundeskulturstiftung ist unerwartet ru- rona-Krise alte Fragen progressiver de ich mich für eine Aufstockung des Sponsoring und Spenden für Kultur Unabhängig davon, wann unsere hig, statt zumindest auf die Forderung Kulturpolitik neu und wie in einem Kulturetats einsetzen. und ihre Einrichtungen, ihre Mache- Einrichtungen wiedereröff net werden, des Deutschen Kulturrates nach einem Brennglas verstärkt. Neben der Unterstützung für Künst- rinnen und Macher im gleichen Um- rechne ich damit, dass dies stufenweise Nothilfefonds für die Kultur einzuge- lerinnen und Künstler sowie für Kultur- fang wie bisher geleistet werden, muss erfolgt. Und dabei werden sicher Maß- hen und einen praktikablen Vorschlag Benjamin-Immanuel Hoff ist Minister schaff ende und Kultureinrichtungen bezweifelt werden. nahmen des Infektionsschutzes eine zu unterbreiten. für Kultur und Chef der Staatskanzlei geht es aber auch darum, neue und kre- Der Kultur droht, auf Dauer die Rolle spielen. Unsere Kultureinrichtun- In der Corona-Krise scheint der »ko- in Thüringen. Tina Beer ist Staats- ative Zugänge zu Kultur zu eröff nen. Existenzgrundlage zu verlieren. In den gen wollen wieder aufmachen, wollen operative Kulturföderalismus« einseiti- sekretärin für Kultur in Thüringen Was brauchen Kulturschaff ende, um vergangenen Wochen wurden wichti- spielen: Sie werden sich vieles einfallen ge Aufgabe der Länder und Kommunen ihre Werke in den öff entlichen Raum ge Förderprogramme und Hilfspakete lassen, um wieder Leben in die Museen, zu sein. zu bringen? auf den Weg gebracht. Der Bund hat Theater und Kulturvereine zu bekom- Um die Kulturszene weiter zu stabili- Viele Antworten fi nden wir in der mit seinem Sofortzuschuss für Klein- men, da bin ich ganz sicher. sieren, darf jetzt – und gerade in der zu INFO Digitalisierung. Natürlich kann die di- unternehmer und Soloselbständige Aktuell spüre ich, dass vielen Men- erwartenden Rezession – nicht an der gitale Welt die analoge nicht ersetzen. wichtige Weichen gestellt, von denen schen hier die Kultur im alltäglichen Kultur gespart werden. Welche kraft- Für den Schwerpunkt »Corona versus Ein Konzert live zu erleben, ein Bild im auch der Kulturbereich profi tiert. Um Leben fehlt. Auch das treibt uns an, spendende und sinnstiftende Aufgabe Kultur« in der Ausgabe / von Raum auf sich wirken zu lassen, sich die breite kulturelle Infrastruktur und Kulturschaff ende und Einrichtungen die Kulturszene gerade in Krisenzeiten Politik & Kultur wurden alle Kultur- mit anderen über ein gerade gesehenes Vielfalt jedoch zu erhalten, muss der in dieser schweren Zeit zu unterstüt- übernimmt, zeigen uns zahlreiche Bei- ministerinnen und Kulturminister der Theaterstück oder eine Lesung auszu- Staat auf absehbare Zeit Theater- und zen – damit möglichst schnell auch ein spiele. Notwendig ist eine Finanzgaran-  Bundesländer für Beiträge ange- tauschen, bleibt etwas Einzigartiges, Konzertbesucher sowie Kunstförderer Stück Lebensqualität für unsere Bürger tie für die Kultur. Verbunden mit dem fragt. In der letzten Ausgabe wurden das nicht zu ersetzen ist. ein Stück weit ersetzen, indem er Ein- zurückkehrt. Bekenntnis zu Flächentarifverträgen, die ersten Beiträge abgedruckt, in Aber die digitalen Möglichkeiten nahmeausfälle ausgleicht. Das können Entfristungen von Arbeitsverträgen, wo dieser Ausgabe erfolgt die Fortset- sind ein Zugewinn, der nicht nur hel- Kommunen und Länder nicht allein Barbara Klepsch ist Staatsministerin es nicht künstlerisch anders geboten zung. Lesen Sie alle Artikel hier: fen kann, Krisen zu überwinden. Der bewältigen. Deshalb ist die Rettung für Kultur und Tourismus in Sachsen ist. Leer stehende Ladenfl ächen auf- bit.ly/eLdvza 06 INLAND www.politikundkultur.net

Schadensbegrenzung oder Investition in die Zukunft?

Umgang mit den Folgen der im Kultur- und vor allem im kulturellen de geförderte Infrastruktur zu integrie- träge benötigten Fachstrukturen wie haltige und gemeinwohlorientierte Corona-Krise Bildungsbereich – für Existenznöte ge- ren. Zivilgesellschaft sollte sich dabei Designer oder Kulturwissenschaftler als Stabilisierung des Kulturbereichs ge- sorgt und zu einem Ruf nach Hilfefonds mit dafür verantwortlich zeigen, dass Unterverdienende an sich binden, zu nutzt werden. Einiges ließe sich dabei zur Kompensierung dieser Eigenmittel sich bestehende zivilgesellschaftliche unterlaufen. über eine Änderung der öff entlichen SUSANNE KEUCHEL geführt. Unter der Prämisse, dass Kultur Strukturen im Kulturbereich permanent Förderpraxis erreichen: Teil der Allgemeinbildung ist, könnte weiterentwickeln. Ein weiterer Grund . Infrastrukturförderung für grund- Aufbau analog-digitaler Struktu- er Schrei nach Hilfsprogram- diese individuelle Mitfi nanzierung pro- für das Ausweichen auf Projektförde- legende Aufgaben des öffentlich ren nicht nur für Krisenzeiten men ist laut. Aber reicht eine vokativ infrage gestellt werden. Wäre rung liegt darin, kulturelle Infrastruk- geförderten Kultur-, Medien- und D Eindämmung der fi nanziellen ein Verzicht auf Eintrittsgelder nicht turförderung klar zu benennen und In der Corona-Krise wurde die Vernach- Bildungsbereichs Verluste? Hat die Corona-Krise indirekt gerechter im Sinne kultureller Teilha- abzugrenzen. In der Vergangenheit lässigung eines systematischen Aufbaus . Nutzung von Projektförderung und nicht auch dazu beigetragen, bestehen- be? Einzelne europäische Länder sind wurden hier immer wieder Versuche analog-digitaler öff entlich geförderter Eigen-/Drittmitteln für Innovation, de gesellschaftliche und kulturelle In- dazu übergegangen, den Zugang zu Mu- unternommen im Rahmen von Ansät- Angebotsstrukturen deutlich, auch Experimente und Transformation stabilitäten in Deutschland sichtbarer seen oder zum Nahverkehr kostenfrei zen, wie die kulturelle Grundversorgung wenn der erzwungene Stillstand dazu . Individuelle Bürgermitfi nanzierung zu machen? zu gestalten, da sie die Nutzung dieser oder die Daseinsvorsorge. Im Diskurs führte, dass Künstler, Kultur- und Bil- von öff entlich geförderten Bildungs- Seit längerer Zeit hadert ganz Europa Angebote als gesamtgesellschaftlichen zur Festlegung kultureller Infrastruktur dungseinrichtungen, trotz mangelnder und Kulturangeboten auf den Prüf- mit gesellschaftlichen Folgen der Glo- Profi t werten. sollten neben Aufgaben wie Bewahrung digitaler Infrastruktur, Ausstattung und stand stellen balisierung und Ökonomisierung. Ge- des kulturellen Erbes oder Kunstfreiheit, Fortbildung, erste digitale künstlerische . Nachhaltige und sozialverträglich sellschaftliche Spaltung, ein politischer Kriterien der Gemeinwohlorientierung und kulturelle Bildungsangebote für Be- gestaltete, öff entliche Vergabepra- Projektförderung als Rechtsruck, Folgen des Klimawandels und Nachhaltigkeit entscheidend sein. völkerungsgruppen kostenfrei ermög- xis, hier auch entsprechende Etat- Innovationsförderung begreifen oder begrenzte Rohstoff ressourcen füh- lichten. ausstattung öff entlich geförderter ren in der Politik zu einer zunehmenden Ein weiterer Aspekt der Ökonomisie- Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist Einrichtungen für Aufträge an Dritte Öff entliche Vergabepraxis Infragestellung ökonomischer Steue- rung beinhaltete den Wechsel weg von in der Regel analog-digital aufgestellt. . Stärkung regionaler, nationaler und nachhaltiger gestalten rungsprinzipien einzelner gesellschaft- einer Infrastrukturförderung hin zu ei- Herausforderungen stellen sich hier europäischer Einzelbranchen der licher Bereiche. Stattdessen gewinnen ner projektspezifi schen Förderung unter Die Notwendigkeit gesellschaftlichen in der digitalen Sichtbarkeit und wirt- Kreativwirtschaft bei der öff entlichen Prinzipien der Gemeinwohlorientierung wettbewerbstechnischen Bedingungen, Wandels stetig im Blick zu behalten, schaftlichen Verwertung. So ist die digi- Vergabepraxis gegenüber Monopol- und Nachhaltigkeit an Bedeutung. Welt- sogenannte Förderprogramme, die mitt- ergibt sich selbstverständlich auch im tale Sichtbarkeit abhängig von Suchma- stellungen internationaler marktfüh- weit wurde in der Krise beispielsweise lerweile für einen Großteil der Kultur-, Rahmen von Konjunkturprogrammen schinen und Onlineportalen, die vor al- render Unternehmen das stabilere, im Vergleich zu anderen Medien- und Bildungseinrichtungen für die private Kultur-, Medien- und lem von den großen US-amerikanischen Andere Aspekte der Reorganisation und Ländern weniger ökonomisierte Gesund- sowie freiberufl ich Tätige existenziell Kreativwirtschaft, so beispielsweise Medienkonzernen zur Verfügung gestellt Transformation von Strukturen könn- heitssystem in Deutschland hervorgeho- geworden sind, da sie die zunehmend die Förderung von nachhaltigen Inno- werden, die ihre eigene Logik und Algo- ten über einen Kulturinfrastrukturfonds ben. Wie stabil ist der deutsche Kultur- fehlende Infrastrukturförderung kom- vationen im Bereich Architektur, Design rithmen mit Blick auf Werbekunden und fi nanziert und angestoßen werden: bereich vor der Krise gewesen? Und wie pensieren müssen. Dies führt in der oder Modedesign, um international neue eigenen Interessen verfolgen. . Einbettung neuer gesellschaftlicher müsste er verändert werden, um künftig Corona-Krise, im Gegensatz beispiels- Standards zu setzen. Bei einem systematischen Ausbau Aufgaben in die bestehende öff ent- krisenfester aufgestellt zu sein? Warum weise zu den festen Strukturen und Dabei sollte die öffentliche Ver- analog-digitaler Strukturen im Kultur-, lich geförderte Infrastruktur nicht aus der Not eine Tugend machen Einkommen von Schulen und Lehrern, gabepraxis des Staats, aber auch die Medien- und Bildungsbereich wäre es . Stärkung neuer Kreativwirtschafts- und die Krise zum Anlass nehmen, eini- zur Existenzgefährdung kultureller Ein- öff entlich geförderten Einrichtungen daher wünschenswert, dass in Analo- zweige durch Konjunkturprogramme ge bestehende Prinzipien grundsätzlich richtungen. Neben dieser Instabilität in wie Kultureinrichtungen oder Rund- gie zu analogen gesetzlichen Rahmen- . Systematischer Aufbau analog-digi- infrage zu stellen? Krisen hat Projektförderung auch weite- funkanstalten, sozialverträglich und bedingungen auch im digitalen Raum taler Strukturen im Kultur-, Medien- re Nachteile: Neben der Förderung pre- nachhaltig gestaltet werden. Oft werden Verwertungsvergütung – unter ande- und Bildungsbereich unter Wahrung kärer, da befristeter Arbeitsverhältnisse, Künstler, Kulturpädagogen oder kleine- rem EU-Urheberrechtsrichtlinie – und rechtlicher Grundlagen innerhalb Ökonomisierung öff entlicher gehen fachliche Personalressourcen für re Unternehmen der Kreativwirtschaft Sichtbarkeit, hier auch ein unabhängiger digitaler Strukturen Aufgaben zurückfahren künstlerische und kulturpädagogische nicht angemessen honoriert, was in der Zugang zu Wissen und Kultur, gewähr- Die Investitionen für eine solche Ökonomische Steuerungsprinzipien Arbeit zugunsten anfallender bürokrati- Corona-Krise zu der Notwendigkeit von leistet werden, beispielsweise durch öf- Stabilisierung der Kulturlandschaft wurden in Deutschland in den letzten scher Projektabwicklung verloren. Soforthilfen führte, da hier keine Rück- fentlich geförderte Suchmaschinen und erscheinen auf den ersten Blick im- Jahrzehnten zunehmend konsequent Ein Grund für die Verlagerung von lagen existierten. Dies liegt in Teilen Plattformen, organisiert von europäi- mens, kompensieren sich aber in Tei- auf öff entlich geförderte Gesellschafts- Infrastrukturförderung in Projektförde- auch daran, dass öff entlich geförderte schen Rundfunkanstalten, die im Sinne len durch Umverteilung der Ressourcen, bereiche wie Kultur, Gesundheitswesen, rung liegt in den kontinuierlich sich neu Einrichtungen ebenfalls wirtschaftli- des Gemeinwohls von Rundfunkräten beispielsweise der Umwidmung von öff entliche Verwaltung oder Bildung eröff nenden kulturellen Aufgabenfel- chen Zwängen unterliegen. kontrolliert werden könnten. Projekt- in Infrastrukturmitteln. Dies übertragen. dern, die sich durch gesellschaftlichen Bei der öff entlichen Vergabepraxis führt zu weniger prekärer Arbeit, we- Ein Aspekt liegt dabei auf der fi nan- Wandel ergeben, sei es Gendergerech- sollte zudem im Sinne der Nachhaltig- niger Bürokratie, damit einhergehend Wie könnte eine System- ziellen Mitbeteiligung von Bürgern bei tigkeit, den Anforderungen einer Mig- keit auf Regionalität und Vielfältigkeit zu mehr personellen Ressourcen, ei- modernisierung gelingen? Inanspruchnahme von Kultur- und rationsgesellschaft gerecht zu werden von Bewerbern gesetzt werden, um ner höheren Bürgerakzeptanz, Teilhabe Bildungsangeboten oder spezifi schen oder Strukturen für neue künstlerische Monopolstellungen großer globaler Der anstehende Kraftakt notwendiger sowie Krisensicherheit in Zeiten von Gesundheitsleistungen. Öff entlich ge- Ausdrucksformen zu schaff en. Alterna- Medienkonzerne oder Unternehmens- Hilfsmaßnahmen sollte nicht nur aus Corona und Co. förderte Einrichtungen sollen einen Teil tiv könnte es sinnvoller sein, statt auf beratungen, die zunehmend ein breites einer Perspektive der Schadensbe- ihres Haushaltes selbst erwirtschaften. Projektförderung auszuweichen, neue Spektrum an Angebotsstrukturen be- grenzung heraus entwickelt, sondern Susanne Keuchel ist Präsidentin des In der Corona-Krise hat dieser Aspekt Aufgabenfelder in die schon bestehen- dienen, indem sie die jeweils für Auf- zugleich als Investition in eine nach- Deutschen Kulturrates

statt die neuesten, aber fast immer nach Hamburg zog, die meist größere gleichen Meldungen zur Krise aller persönliche Distanz im Norden an- Nähe durch Distanz Krisen als Erstes diese Mails zu lesen fangs befremdlich, wo es zumindest und zu beantworten. Und mit Nach- für Ältere schon ein Höchstmaß an Die Corona-Krise schärft Menschen. Und Gelegenheit zu neu- Die von der Pandemie und den ver- barn einen Schwatz über den Garten- Vertraulichkeit ist, jemanden mit den Blick dafür, was en Erkenntnissen und Erfahrungen antwortlich handelnden Politikern zaun oder auf der Straße zu halten, Vornamen und Sie anzusprechen, und boten und bieten uns der erzwungene verlangten Beschränkungen haben um mitzubekommen, wie es ihnen wo es zum guten Ton gehört, anderen wichtig ist Rückzug und das Leiden Unzähliger ja zur Konzentration der unmittelbaren geht. Auch dabei entstehen manch- nicht gleich die privatesten Geheim- zur Genüge. Kontakte geführt. Millionen waren mal tiefere Gespräche und Kontakte. nisse anzuvertrauen. Aber bald habe LUDWIG GREVEN Sicher werden viele danach trachten, und sind mit einmal auf ihr engstes Wenn ich mit meinen erwachsenen ich gelernt, dass eine solche Halbdis- in ihr altes Leben zurückzukehren. Umfeld, ihre Partnerin, ihren Partner, Kindern nun mit Abstand spazieren tanz oft beste Voraussetzung für wirk- Was wird von diesem abgrundtiefen Daran ist nichts Verwerfl iches. Der ihre Familie oder auf sich selbst ge- gehe, würde ich sie gerne wie sonst liche Nähe ist. Weil sie die Chance Einschnitt im gesellschaftlichen Mensch ist ein Gewohnheitstier. Aber worfen. Nicht jede, jeder kommt da- in den Arm nehmen. Aber nimmt es bietet, sich auch mal zurückzuziehen. Leben und in dem jedes Einzelnen er kann sich auch auf neue Gege- mit klar. Gewalttaten in Beziehungen etwas von unserer Nähe, dass das Und nicht Nähe vortäuscht, wo keine bleiben, wenn die Krise irgendwann, benheiten einstellen. Und Gutes be- und Familien haben zugenommen, vorerst nicht angebracht ist? So geht ist. vielleicht Ende  oder später, wahren, wenn sich die Bedingungen ebenso Verzweifl ung und Einsamkeit. es mir auch mit anderen Menschen, Zur notwendigen Distanz gehört für wenn ein Impfstoff gefunden ist, wieder ändern. Eine der wichtigsten Auch die Zahl der Suizide wird stei- die ich im Moment gar nicht treff e. mich Abstand zu sich selbst. Auch vorbeigeht und der Alltag mit allen Lehren für mich ist, wie wichtig Kon- gen, gerade bei Älteren. Nicht wenige kommen mir sogar dafür bot und bietet die Krise gute Freiheiten zurückkehrt? In meiner zentration ist. »Minimal Music« mag Auf der Habenseite dieser Zeit der umso näher, gerade weil wir nicht in Gelegenheit zu üben. Sich selbst Kolumne in Politik & Kultur / für viele anstrengend und monoton Prüfungen und Selbstprüfung steht einem Café, einem Restaurant, bei nicht immerzu in den Vordergrund zu habe ich versucht, eine optimistische auch bei mir das Erleben, dass man einer berufl ichen Begegnung oder stellen, auf andere zu achten, eigene Vision zu entwerfen für die Zeit und Nähe auch in Distanz zeigen und daheim zusammenhocken. Denn Interessen und Wünsche zurückzu- die Welt danach, die weniger an ma- empfi nden kann. Selten habe ich zu viel körperliche Nähe, zu häufi ge nehmen, damit es allen möglichst gut teriellen Dingen und Profi tstreben, GREVENS so viele Briefe – meist in digitaler Kontakte, etwa bei der Arbeit, verstel- geht; sich selbst nicht immer zu ernst mehr an den Menschen ausgerichtet Form – bekommen und geschrieben len manchmal den Blick. Natürlich zu nehmen, auch in ernsten Zeiten ist, die global und zugleich lokal und EINWURF und lange tiefe Telefonate geführt. Zu fehlt der Blickkontakt, den keine zu lächeln und zu lachen, wenn es regional handelt, mit weniger Stress einigen, zu denen ich lange keinen Videokonferenz, kein Skypegespräch eigentlich nicht viel zu lachen gibt, und Hektik, weniger technologiehörig, oder kaum Kontakt hatte, sind neue ersetzen kann, und die Körpersprache. auch über sich selbst: Das kann heil- weniger vereinzelt. Ob das eintreten wirken, wie ein monochromes Bild Brieff reundschaften entstanden, zu Aber Briefe und Mails oder Telefonate sam sein. Denn damit fi ndet man zu wird, weiß ich natürlich nicht. Das oder ein Film, in dem so gut wie einer Jugendfreundin und einem fast ohne direktes Gegenüber schaff en sich selbst. Wenn davon etwas bleibt, wird davon abhängen, ob sich Men- nichts passiert. Jeder braucht auch -jährigen Vetter in den USA, der häufi g mehr Konzentration, den Aus- genauso wie die angenehmen Ab- schen dafür einsetzen, so wie sie mal Zerstreuung, die ganze Buntheit sich große Sorgen macht – nicht nur tausch wirklich wichtiger Gedanken, standsregeln in den Geschäften und jetzt füreinander einstehen. Aber ich des Lebens. Aber die Reduktion auf um seine angeschlagene Gesundheit, Erkenntnisse und Erlebnisse. So geht an den Kassen, wäre für mich schon hoff e darauf, dass sich zumindest die das Wesentliche, auf die Wahrheit sondern noch mehr wegen Trump. So es mir jedenfalls. einiges gewonnen. Richtung ein wenig ändert. Denn ich hinter der Oberfl äche, tut Kopf und ist es bei mir zu einem schönen Ri- Als kontaktfreudiger Rheinländer setze auf die Einsichtsfähigkeit des Seele gut. Und macht sie frei. tual geworden, morgens und abends empfand ich, als ich vor  Jahren Ludwig Greven ist freier Publizist Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 07

der auf emotionalen Vorbehalten ge- Leistungen beziehen, gilt das Zufl uss- gen zwischen Bund und Ländern hin genüber dem SGB II, noch geht es um prinzip, wonach die Einkünfte mit der und her gespielt werden. Wir müssen reden! eine Sonderrolle der Künste. Das von Grundsicherung zu verrechnen sind. Darüber hinaus gibt es eine Reihe uns ausdrücklich empfohlene Modell Hinzu kommt eine große Rechts- weiterer dringender Forderungen. Bei Wie kann der Freien Szene jetzt geholfen werden? in Baden-Württemberg ist keine Son- unsicherheit in den Jobcentern. Hier vom Bund geförderten Kulturprojekten derlösung für die Kunstschaff enden, gibt es in der Praxis eine regional sehr braucht es eine zusätzliche krisenbe- STEPHAN BEHRMANN den Hilfsmaßnahmen selbst zu tun, mit sondern gilt für alle Freiberufl erinnen, unterschiedliche Auslegung der Verwal- dingte Anpassung der Förderrichtlinien, ihrer Umsetzung und mit zahlreichen Freiberufl er und Soloselbständigen. tungsvorschriften. Diese ungeklärten z. B. eine Aussetzung der Premieren- ie zurückliegenden Wochen Regelungslücken. Dass die vereinfachte Grundsiche- Detailfragen und die uneinheitliche pfl icht, die Möglichkeit, in bereits ge- sind geprägt von dramati- In der Diskussion, die im Ausschuss rung für einzelne Akteurinnen und Handhabung sorgen für eine große förderten Projekten Ausfallhonorare schen Entwicklungen, die für Kultur und Medien des Deutschen Akteure eine hilfreiche Überbrückung Unsicherheit bei den Künstlerinnen zu zahlen, zusätzliche Kosten von Pro- D Europa und die Welt so in Bundestages am . April  geführt darstellen kann, lässt sich nicht be- und Künstlern, das hat nachhaltige jektverschiebungen geltend zu machen, den letzten Jahrzehnten nicht zu be- worden ist, gibt es durchaus positive Si- streiten. Aber für die Mehrheit der Auswirkungen auf ihre unternehme- Projekte in das kommende Wirtschafts- wältigen hatte. Die fast vollständige gnale. Es deutet sich die Bereitschaft an, freiberufl ichen und soloselbständigen rische Praxis. jahr zu verschieben etc. Stilllegung des öff entlichen Lebens in Soloselbständigen, Freiberufl erinnen Kunstschaff enden ist die Grundsiche- Ein weiterer Punkt ist der bürokra- Klar ist, dass die Krise bis weit in Deutschland und weiten Teilen Europas und Freiberufl ern zu ermöglichen, im rung nicht das passende Instrument tische Aufwand. Es macht wenig Sinn, das kommende Jahr reichen wird. Im bedeutet eine gewaltige Zäsur für die Rahmen der Soforthilfe von Bund und zur Existenzsicherung. Dafür gibt es in eine längere Diskussion über die Hinblick auf die bereits jetzt drohenden gesamte Gesellschaft. Die Künste sind Ländern persönliche Lebenshaltungs- handfeste Gründe. Frage zu verfallen, wie viele Seiten ein fi nanziellen Engpässe bei der kommu- ein unverzichtbarer Teil dieser Gesell- kosten geltend zu machen – nach dem In der Grundsicherung wird die Antrag auf Grundsicherung umfasst. Al- nalen Versorgung braucht es darüber schaft. In allen Sparten – unabhängig Modell Baden-Württembergs. Das ist wirtschaftliche Handlungsfähigkeit lerdings sind es deutlich mehr als fünf, hinaus eine konzertierte Aktion von davon, ob institutionell oder frei – ist eine zentrale Forderung der Allianz der und Eigenständigkeit der freiberuf- und es kommen eine Reihe von Anlagen Bund, Ländern und Kommunen zur der Shutdown eine unmittelbar spür- Freien Künste mit ihren  Mitglieds- lichen Kunstschaffenden stark ein- hinzu sowie eine nach wie vor umfas- langfristigen Sicherung der kulturel- bare Bedrohung der Existenz. Die Freie verbänden aus dem Bereich der Freien geschränkt und reglementiert, denn sende Off enlegungspfl icht zu Konten len Infrastruktur, beispielsweise durch Szene ist besonders hart getroff en, weil Szene. Darüber hinaus wichtig war die trotz der durch Corona bedingten Ver- und Vermögensverhältnissen – auch einen Kulturinfrastrukturfonds, wie ihn die Akteurinnen und Akteure nicht Feststellung im Ausschuss, dass die einfachungen sind die umfassenden Re- des Partners oder der Partnerin in der der Deutsche Kulturrat in die Diskus- durch eine Institution aufgefangen Mitgliedschaft in der Künstlersozial- chenschaftspfl ichten über persönliche sogenannten Bedarfsgemeinschaft. sion bringt. werden und es ihnen auch im »norma- kasse (KSK) bei der Gewährung von und betriebliche Vorgänge keineswegs An dieser Stelle wird die Kompensati- In Zeiten sich häufender Positions- len Betrieb« nur eingeschränkt möglich individuellen Hilfen für Kunstschaf- außer Kraft gesetzt. Ja, die Vermögens- on unverschuldeter, krisenbedingter papiere, Petitionen und off ener Briefe ist, nennenswerte Rücklagen zu bilden. fende – wie sie der Freistaat Bayern prüfung ist ausgesetzt, und es gibt auf Honorareinbußen aus künstlerischer empfehlen wir dringend einen großen Die Bundes- und Landespolitik hat jüngst auf den Weg gebracht hat – nur den ersten Blick großzügige Freigren- Tätigkeit quasi privatisiert. All diese Runden Tisch der Kultur für einen off e- in den ersten Tagen der Krise beein- ein Kriterium unter mehreren sein zen beim Vermögen. Aber große Unsi- Einwände, die sich im Detail auch wei- nen und direkten Austausch der Politik druckend schnell reagiert. Jetzt, einige kann, da dadurch viele soloselbständi- cherheit besteht nach wie vor darüber, ter konkretisieren und belegen lassen, mit allen wichtigen Interessenvertre- Wochen später, ergibt sich ein diff eren- ge Kunstschaff ende leer ausgehen, die was als Vermögen anzurechnen ist. machen deutlich, dass es sich bei der tungen, Netzwerken und Stakeholdern zierteres Lagebild und die anfängliche nicht Mitglied in der KSK sein können. Problematisch ist auch die Verrechnung Grundsicherung keinesfalls um ein ein- und natürlich der Vertretungen von Zuversicht vieler Kunstschaff ender ist Gleichzeitig off enbarten sich in der von Einkommen. Kunstschaff ende ha- faches, schnelles und unbürokratisches Bund, Ländern und Kommunen – auch einer großen Verunsicherung gewichen. Ausschuss-Diskussion nach wie vor gra- ben häufi g eine stark schwankende Verfahren handelt. zu der Frage, wie eine schrittweise Öff - Das hat einerseits mit einer grundsätz- vierende Missverständnisse über die Einkommenssituation. Honorare wer- Mit Blick auf die aktuelle Situation nung des Kulturbetriebs organisiert lichen Sorge zu tun, dass die in den Position der Freien Szene sowie die den oft erst Wochen nach erbrachter bleibt der Ruf nach einer bundesweit werden kann. Wir müssen reden! Künsten gewachsenen Strukturen im Konsequenzen, die sich bei der prakti- Leistung bezahlt, Tantiemen in unre- einheitlichen Anpassung der Sofort- Zuge einer neuen gesellschaftlichen schen Umsetzung der Hilfsmaßnahmen gelmäßigen Abständen, Stipendien und hilfe des Bundes – orientiert am Baden- Stephan Behrmann ist Sprecher der Al- Prioritätensetzung perspektivisch un- für die Kunstschaff enden ergeben. Preisgelder nach schwer planbaren Ju- Württemberg-Modell – auf der Agenda. lianz der Freien Künste und Geschäfts- wiederbringlich verloren gehen. Die Die Rückmeldungen der Freien Sze- ryentscheidungen. Bei allen Zahlungs- Hier darf der Ball nicht zulasten der führer des Bundesverbandes Freie Verunsicherung hat andererseits mit ne zum Sozialschutzpaket gründen we- eingängen, die sich auf früher erbrachte Freischaff enden und Soloselbständi- Darstellende Künste (BFDK) Zwischen Lockdown und Lockerung Wie die Corona-Krise den sind, teilweise auch über befristete professionellen Orchester- Kurzarbeit, ist der Einschnitt für die über . in der Künstlersozialkasse und Konzertbetrieb triff t registrierten freiberufl ichen Musikerin- nen und Musiker umso dramatischer. GERALD MERTENS Von heute auf morgen brachen ihnen alle Einnahmequellen gleichzeitig und eit Mitte März  ist bun- für mehrere Monate weg: keine öff entli- desweit der Musikbetrieb zum chen Auftritte mehr, keine Unterrichts- S Erliegen gekommen. Der durch tätigkeit mehr an Musikschulen und das Coronavirus bedingte Auff ührungs- Musikhochschulen oder im privaten stopp betriff t alle gleichermaßen: Kon- Bereich, keine Aushilfstätigkeiten bei zert- und Opernhäuser, öff entliche und Berufsorchestern, Absagen aller Kir- private Veranstalter, Kirchen und Clubs, chenkonzerte und sonstigen Auftrit- Klassik ebenso wie Rock und Pop. Der te. Bund und Länder haben zwar mit brutale, maximale Einschnitt in eine verschiedenen Programmen versucht, äußerst lebendige und vielfältige Szene Freiberufl ern und Soloselbständigen ist der größte seit Einstellung des Spiel- zu helfen. Doch entweder waren die betriebs von Orchestern und Theatern Töpfe bald leer oder gingen an den be- im zu Ende gehenden Zweiten Welt- sonderen Bedingungen freischaff ender krieg im September . Musikerinnen und Musiker vorbei. Hier Der Bundesverband der Veranstal- ist zu hoff en, dass das angekündigte tungswirtschaft schätzt den Schaden Nachsteuern der Kulturminister der für  auf , Milliarden Euro. Eine Länder und der Kulturstaatsministerin Summe, die nicht unrealistisch ist, denn noch zu Verbesserungen führt. inzwischen sehen sich alle öff entlichen Während es in bestimmten Berei- und privaten Konzertveranstalter mit chen von Gesellschaft und Wirtschaft

dem abrupten, vorzeitigen Ende der Sai- nach mehrwöchigem Lockdown seit PHOTO AP / ALLIANCE PICTURE FOTO: son / konfrontiert. Auch immer Ende April erste Lockerungen gibt, Auf die »echten Helden« macht das Graffi ti des Künstlers Uzey auf einer Wand in Hamm, Nordrhein-Westfalen, aufmerksam mehr Festspiele und Festivals haben wartet der gesamte Musikbereich die Hoff nung für einen regulären Som- hierauf noch sehnsüchtig. Mutig und renden. Während man für das Publi- Wenn man den zahlreichen Heraus- als Chance zu nutzen, ist eine große, merbetrieb aufgegeben, allen voran die zuversichtlich – was bleibt auch an- kum bestimmte Hygiene-Vorkehrungen, forderungen der Corona-Krise etwas aber auch schöne Herausforderung. Bayreuther Festspiele und das Schles- deres übrig? – verkünden Orchester, Einlass- und Abstandsregeln umsetzen Positives abgewinnen will, dann das: . Erstmals scheint einer breiteren Öf- wig-Holstein Musikfestival. Mehrere Konzert- und Opernhäuser ihre Pläne kann, ist das auf der Bühne ungleich . In der großen Solidaraktion #Musi- fentlichkeit bewusst geworden zu Hundert Musikfestivals in Deutschland für die Spielzeit /. Kein Veran- schwieriger. Orchester und Chor auf der kerNothilfe der Deutschen Orches- sein, auf wie viel Selbstausbeutung bieten jedes Jahr zahlreiche Auftritts- stalter kann jedoch Anfang Mai sicher Bühne, aber mit Mundschutz? Vor allem ter-Stiftung unter Schirmherrschaft und Prekariat freischaff ender Musi- möglichkeiten für Orchester, Kammer- prognostizieren, wie es ab September für Bläser und Sänger kaum vorstellbar. von Kulturstaatsministerin Monika kerinnen und Musiker ein lebendiges musik und sonstige Gruppen. Auf einen wirklich weitergeht. Können interna- Orchestermitglieder im engen Graben Grütters und Dirigent Kirill Petren- Musikleben in Deutschland eigent- Schlag alles weg. Ebenso triff t es große, tionale Dirigenten und Solisten bis da- des Opernhauses? Ballett und Chor- ko wurden von Orchestern, Solisten lich beruht. Auch diese Erkenntnis beliebte Open-Air-Veranstaltungen aller hin wieder reisen? Sind Konzertreisen sänger in Aktion auf der Bühne? Diese aus Klassik, Pop und Jazz, Dirigenten, gilt es, nach der Krise in konkretes Stilrichtungen von den Berliner Phil- und Tourneen wieder möglich? Haben Unsicherheiten und Fragen bereiten Publikum und Musikliebhabern in- politisches Handeln zur besseren harmonikern in der Waldbühne über wir einen Plan B? Eine große Heraus- allen Beteiligten gegenwärtig große nerhalb von nur fünf Wochen über sozialen Absicherung und für intel- Klassik Open-Air in Nürnberg, Leipzig, forderung für die künstlerisch Verant- Sorgen. Denn eines ist klar: Für ein , Millionen Euro gesammelt und an ligentere Förderprogramme in der München oder Berlin bis zum längst wortlichen, für Marketing und Karten- paar Monate lässt sich der Lockdown besonders betroff ene freischaff ende freien Szene umzusetzen. Hierfür ausverkauften Rockfestival in Wacken. vorverkauf. Solange es kein wirksames irgendwie überbrücken, für eine ganze Musikerinnen und Musiker aller Stil- bedarf es eines konstruktiveren Di- Während die rund . fest an- Medikament und keine Impfung gegen Spielzeit eben nicht. Die gleichen Fra- richtungen ausgezahlt. Diesen Zu- alogs zwischen Bund und Ländern als gestellten Mitglieder der Konzert- und das Coronavirus gibt, ist weiter mit Be- gen und Probleme betreff en auch alle sammenhalt, diese Solidarität, dieses in der Vergangenheit. Theaterorchester und Klangkörper schränkungen zu rechnen. Diese betref- Akteure der freien Szene, den Profi - wie Bewusstsein innerhalb der professio- des öff entlich-rechtlichen Rundfunks fen sowohl den präventiven Schutz des den Laienbereich, unabhängig von der nellen Musikszene und ihren Wert für Gerald Mertens ist Geschäftsführer der zunächst sozial halbwegs abgesichert Publikums, aber auch den der Ausfüh- jeweiligen musikalischen Stilrichtung. die Gesellschaft auch nach der Krise Deutschen Orchestervereinigung 08 INLAND www.politikundkultur.net

als  Euro gebracht. Eine Auszahlung ob sie in der VG WORT sind oder zu der Reserven unter bestimmten För- Hause am Laptop sitzen. Denn allen In der Verantwortung derbedingungen hätten wir kurzfristig ist bewusst, dass es gerade in diesem nicht verwalten können. Das Sozial- »Krisenjahr« auf die Hauptausschüt- Wie können die Verwertungsgesellschaften jetzt helfen? werk beschäftigt eine Mitarbeiterin und tung besonders ankommt. lebt im Übrigen vom Engagement einer Die sozialen Unterstützungseinrich- Handvoll gewählter Vergabebeiräte. tungen der Verwertungsgesellschaften wir derzeit mit erheblichen Einnahme- rants im Land erklingen vorerst keine An dieser Stelle sei erwähnt, dass wurden in der Vergangenheit gelegent- GVL rückgängen, insbesondere im Bereich Melodien mehr. die Bild-Kunst eine mitgliederstarke lich kritisiert, weil sie einen Anteil der GUIDO EVERS UND TILO der Öff entlichen Wiedergabe und bei Wenn aber öff entlich keine Musik Verwertungsgesellschaft mit einem Einnahmen nicht unmittelbar an die GERLACH den werbefi nanzierten Privatsendern, genutzt wird, fl ießen auch keine Ein- sehr kleinen Verwaltungsapparat ist. Berechtigten ausschütten, sondern die im schlimmsten Fall bis zu  Pro- nahmen dafür an die Schöpfer und Nur etwas mehr als  Personen zählt sie – unter bestimmten Voraussetzun- n den vergangenen Wochen ist das zent unserer Jahreserlöse im laufenden Verleger der Werke. Mit dem kulturel- die Belegschaft. Sie kümmert sich um gen – bedürftigen Urheberinnen und kulturelle Leben vielerorts zum Jahr  ausmachen könnten – Geld, len geht folglich ein erheblicher ma- die Belange von . Mitgliedern. Urhebern zukommen lassen. Gerade I Stillstand gekommen –und damit das unseren Berechtigten bei der Ver- terieller Schaden einher, den wir zum Die niedrige Mitarbeiterzahl steht na- in der Corona-Krise zeigt sich, wie sind auch die Einnahmen der Kultur- teilung  fehlen wird. jetzigen Zeitpunkt noch nicht beziff ern türlich in Korrelation zu den niedrigen wichtig diese solidarischen Einrich- schaff enden schlagartig versiegt. Kon- Wir sind uns bewusst, dass unsere können. Die GEMA hat deshalb eine Einnahmen, die die VG Bild-Kunst er- tungen sind. Der Sozialfonds der VG zerte wurden abgesagt, Filmaufnahmen Eilmaßnahmen die fi nanziellen Einbu- Art Schutzschirm aufgespannt, der die zielt: Jährlich sind es etwa  Millionen WORT hat als Soforthilfe aufgrund der gestrichen, Plattenläden geschlossen. ßen von ausübenden Künstlern und La- staatlichen Programme für Künstler Euro. Und diese Einnahmen sind nicht Corona-Krise ein beschleunigtes Ver- Für viele Künstler, die oftmals »von der bels natürlich nicht nachhaltig abfedern fl ankiert. Bis zu  Millionen Euro stel- in Stein gemeißelt: Wo Galerien keine fahren eingeführt, bei dem bedürftige Hand in den Mund leben«, ist dies eine können. Insbesondere Vorauszahlun- len wir unseren besonders betroff enen Kunstwerke verkaufen, fällt keine Fol- Wahrnehmungsberechtigte ein zinslo- existenzielle Situation. gen, die mit zukünftigen Verteilungen Mitgliedern zur Existenzsicherung zur gerechtsvergütung an. Wo die Industrie ses Darlehen bis zu . Euro erhalten Als Verwertungsgesellschaft für verrechnet werden, helfen zwar sofort, Verfügung – eine Akuthilfe, die inmit- keine Smartphones verkauft, fällt keine können. Noch viel wichtiger aber wer- ausübende Künstler, Labels und Ver- reichen aber nicht dauerhaft zum Leben. ten einer Saison der Konzertabsagen Privatkopievergütung an. den die Unterstützungseinrichtungen anstalter haben wir als eine der ersten Vor diesem Hintergrund beteiligen wir gern angenommen wird. Welchen Beitrag kann die VG Bild- sein, wenn es um die Bewältigung der Organisationen fi nanzielle Überbrü- uns aktiv an gemeinsamen Initiativen Viele wertschätzende Reaktionen Kunst in der Krise leisten? Einerseits wirtschaftlichen Folgen der Krise in ckungshilfen für in Not geratene Be- der Kultur- und Kreativwirtschaft, um zeigen uns, dass die GEMA ihrem Auf- haben wir unsere Priorität ganz auf den nächsten Jahren geht. Hier wird rechtigte bereitgestellt. die Politik bei der Entwicklung und Um- trag als Solidargemeinschaft auch in die Ausschüttungen gelegt. Momentan mit einem deutlichen Anstieg der An- Noch bevor es zum Shutdown in setzung geeigneter staatlicher Hilfs- dieser Krisenzeit vollauf gerecht wird. überweisen wir jede Woche reguläres träge zu rechnen sein. Deutschland kam, hatten insbesondere maßnahmen zu unterstützen, die direkt Dies wird im kommenden Jahr weiter- Geld auf die Konten unserer Mitglie- Derzeit wird gelegentlich die Frage Musiker und Schauspieler mit ersten, bei den Kulturschaff enden ankommen hin der Fall sein, wenn Musikautoren der – in den letzten vier Wochen waren an die VG WORT herangetragen, ob sie teils gravierenden Umsatzeinbußen zu und auch nachhaltig die kreative Viel- die Einbrüche im Veranstaltungsmarkt es mit Kraftanstrengung allein  Mil- aufgrund des Shutdown Onlinenutzun- kämpfen. Wir wollten von Anfang an falt in Deutschland sichern. und sicher auch bei Auftragsarbeiten lionen Euro. Andererseits richten wir gen von Sprachwerken erlauben kann; unsere Solidarität mit den Künstlern deutlich zu spüren bekommen dürf- unseren Blick schon auf die Zukunft: teilweise wird dies von der Annahme zeigen und haben daher binnen weni- Guido Evers und Tilo Gerlach sind ten. Doch nicht nur unter Musikschaf- Denn die Corona-Pandemie wird den begleitet, dass derartige Nutzungen gen Tagen eine Corona-Nothilfe auf die Geschäftsführer der Gesellschaft zur fenden, sondern ebenso bei jenen, Kulturbetrieb nicht nur kurzfristig vergütungsfrei möglich sein sollten. Beine gestellt:  Euro, die im Rah- Verwertung von Leistungsschutzrech- die Musik nutzen, ist die fi nanzielle beeinträchtigen. So stärken wir unser Grundsätzlich ist bei der VG WORT men einer sozialen Zuwendung sofort ten (GVL) Bedrängnis groß. Als Lizenzgeberin Kultur- und unser Sozialwerk fi nanziell – anders als bei anderen Verwertungs- an freiberufl iche und befristet beschäf- übernimmt die GEMA in der Corona- und administrativ, um die erwartbare gesellschaften – die Lizenzierung von tigte Berechtigte mit Produktions- und Krise auch gegenüber ihren Kunden Steigerung an Anträgen gut bewältigen Onlinenutzungen nur eingeschränkt Veranstaltungsausfällen überwiesen Verantwortung. Wer sein Geschäft oder zu können. möglich, weil ihr die erforderlichen werden – über . Berechtigte haben GEMA Lokal nicht betreiben darf, dem erlas- Die VG Bild-Kunst trägt natürlich Rechte im Wahrnehmungsvertrag nicht bereits davon profi tiert. Als ein weite- HARALD HEKER sen wir daher derzeit pragmatisch die auch Verantwortung gegenüber ihren eingeräumt werden. Die Vergabe von res Zeichen der Solidarität erfolgt die Lizenzgebühren. Geschäftspartnern. So haben sich vie- Nutzungsrechten ohne vertragliche Finanzierung paritätisch aus Mitteln nter dem Dirigat der Pandemie Die Pandemie ist ein Stück ohne le Museen dazu entschlossen, die Zeit Grundlage ginge aber von vornherein der Hersteller und Künstler. lernen wir derzeit im Staccato- Partitur. Für diese Situation gibt es kei- der Schließungen ihrer Häuser mit ins Leere und wäre für die Nutzer ohne Wir wollten jedoch noch mehr Hilfe U Takt, unser Leben neu zu orga- ne Noten. Wir müssen uns dem Rhyth- digitalen Formaten zu überbrücken, Wert. Die VG WORT wird gleichwohl die leisten und haben uns kurzfristig ent- nisieren. Von den strikten Maßnahmen mus beugen, den das Virus vorgibt, und also z. B. mit virtuellen Ausstellungs- Corona-Krise zum Anlass nehmen, in- schieden, ergänzend zur Soforthilfe zum Gesundheitsschutz werden Gesell- als Gesellschaft gemeinsam improvi- rundgängen. In Absprache mit dem tern mit ihren Berechtigten zu prüfen, und den regulären Verteilungen der schaft und Wirtschaft mit Wucht ge- sieren. Was Hoff nung macht: Überall Deutschen Museumsbund bieten wir ob die Wahrnehmung von zusätzlichen Gesellschaft zur Verwertung von Leis- troff en. Das gilt in besonderem Maße im Netz blüht nun die digitale Musik- einfache Lizenzen für die notwendigen Nutzungsrechten sinnvoll sein kann. tungsschutzrechten (GVL), Vorauszah- für die Welt der Musik, wo mit dem kultur auf, ob Wohnzimmerkonzerte Onlinerechte an. Onlinenutzungen sind teilwei- lungen für Hersteller und Künstler in Stillstand ein beträchtlicher Teil der auf Instagram oder ganze Festivals in Wie geht es weiter? Wir hoffen, se auch aufgrund von gesetzlichen die Wege zu leiten. Das alles geschah kreativen Wertschöpfung zum Erliegen der virtuellen Sphäre. Diese Zeit nimmt den Vereinsbetrieb im Herbst wieder Schrankenregelungen erlaubt, wie es gleichzeitig mit der Umstellung unserer gekommen ist. uns Liebgewonnenes, aber sie gebiert hochfahren zu können. Die Mitglie- insbesondere im Bildungs- und Wis-  GVL-Mitarbeiterinnen und -Mit- Als Treuhänderin, die im Auftrag auch neue Chancen für Urheber. Ihre derversammlung wurde vom Juli auf senschaftsbereich der Fall ist. Soweit arbeiter auf mobiles Arbeiten. Bereits von Komponisten und Textdichtern Musik wird in der Zurückgezogenheit den Dezember verschoben. Außerdem hier rechtliche Spielräume bestehen, im März  überwiesen wir unseren deren Rechte wahrnimmt, ist die GEMA zum starken Band zwischen Menschen gilt es, die Chancen der Umsetzung der ist die VG WORT gerne bereit, kurz- Herstellern die ersten Vorauszahlun- verlässliche Begleiterin selbstverständ- – zu einem Gut von in jeder Hinsicht neuen EU-Urheberrechtsrichtlinie vom fristig pragmatische Lösungen zu fi n- gen, um dem akuten wirtschaftlichen lich auch in der Krise. Frühzeitig ha- essenziellem Wert. letzten Jahr nicht aus den Augen zu den. So konnten der Gesamtvertrag Druck auf die unabhängigen Labels ent- ben wir alle Kräfte darauf ausgerich- verlieren. Insbesondere die neue ur- mit der Kultusministerkonferenz zum gegenzuwirken. Im Mai erhalten auch tet, unser Kerngeschäft am Laufen Harald Heker ist Vorsitzender des Vor- heberrechtliche Verantwortlichkeit innerbibliothekarischen Leihverkehr unsere selbstständigen Künstler, die zu halten. Dass wir die planmäßigen stands der GEMA von Plattformbetreibern könnte dem sowie Einzelverträge mit Dokumen- besonders hart von der Corona-Krise Ausschüttungen an unsere Mitglieder Kulturbetrieb in Deutschland perspek- tenlieferdiensten dahingehend erwei- getroff en sind, Vorschusszahlungen. in der ersten Jahreshälfte vollständig tivisch dringend benötigte neue Mittel tert werden, dass die von Bibliothek zu Dabei handelt es sich insgesamt um sicherstellen konnten, war ein wichti- verschaff en. Bibliothek versandten Dokumente für hohe zweistellige Millionenbeträge. ger Schritt. Doch das allein wird viele VG Bild-Kunst einen befristeten Zeitraum bis zum . Auch wenn wir unser Möglichstes Musikschaff ende nicht über die schwe- URBAN PAPPI Urban Pappi ist Geschäftsführender Mai  per E-Mail an die Endnutzer tun, um unseren Berechtigten kurzfris- re Zeit des Lockdowns tragen. Noch bis Vorstand der VG Bild-Kunst weitergeleitet werden dürfen. tig zu helfen, dürfen wir nicht verges- mindestens Ende des Sommers bleiben ie in der Verwertungsgesell- Eine vergütungsfreie Nutzung kann sen: Die aktuellen Entwicklungen im Deutschlands Musikbühnen verwaist. schaft (VG) Bild-Kunst ver- die VG WORT weder bei einer Lizen- deutschen Kulturbereich werden auch Sportereignisse und Volksfeste müs- D einten Urheberinnen und zierung noch bei der Wahrnehmung nicht spurlos an der GVL vorbeigehen. sen ausfallen. Auch in den zahllosen Urheber schaff en visuelle Werke. Alle VG WORT von Vergütungsansprüchen im Zusam- Je nach Dauer des Lockdown rechnen geschlossenen Clubs, Bars und Restau- sind mehr oder minder stark von der ROBERT STAATS menhang mit Schrankenregelungen Corona-Pandemie betroff en. Während erlauben. Dagegen spricht zunächst eine Minderheit die Zeit der Abgeschie- ie VG WORT ist von den Auswir- die Stellung der VG WORT als Treu- denheit nutzt, um neue Werke zu kon- kungen der Corona-Pandemie händerin der Urheber und Verlage. Es zipieren oder zu schaff en, brach einer D – wie kann es anders sein – in wäre aber auch rechtspolitisch ein Mehrheit schlicht ihr wirtschaftliches vielerlei Hinsicht betroff en. Natürlich falsches Signal, auf angemessene Ver- Tätigkeitsfeld weg. Man denke nur an sind, wie bei fast allen Einrichtungen, gütungen zu verzichten. Autorinnen die Filmdrehs, die fl ächendeckend ab- eine Vielzahl von organisatorischen und Autoren sowie ihre Verlage erlei- gesagt wurden. Maßnahmen erforderlich, um den den in diesen Zeiten ganz erhebliche Natürlich haben wir im ersten Au- täglichen Betrieb so gut wie möglich wirtschaftliche Verluste. Gerade sie genblick überlegt, wie die VG Bild- aufrechterhalten zu können. Dass dies sind auf Vergütungen – nicht zuletzt Kunst schnell helfen kann. Vorschüsse bisher gelungen ist, liegt vor allem an über Verwertungsgesellschaften – drin- auszuzahlen kam nicht in Betracht. Das dem engagierten Einsatz aller Mitar- gend angewiesen. Es ist deshalb in ho- sieht unser Verteilungsplan mit gutem beitenden. Daneben hat die Krise aber hem Maße problematisch, wenn die Grund nicht vor, da die Zahlungen an auch zu weiteren Herausforderungen Corona-Krise dafür ausgenutzt werden die Mitglieder von Jahr zu Jahr stark geführt, auf die kurz eingegangen wer- sollte, rechtspolitische Ziele durchzu- schwanken und nicht voraussehbar den soll. setzen, die auf einen vergütungsfreien sind. Auch verfügt die Bild-Kunst als Die Hauptausschüttung der VG Zugang zu urheberrechtlich geschütz- Treuhänderin nicht über eigenes Ver- WORT soll – wie üblich – im Sommer ten Werken hinauslaufen. Dem steht mögen, über das sie hätte frei verfügen  durchgeführt werden. Das ist im- es selbstverständlich nicht entgegen, können. mer ein Kraftakt, in diesem Jahr aber mit Vergütungsschuldnern, die sich in Das Sozialwerk der Bild-Kunst wie- in besonderer Weise. Denn vieles ist einer wirtschaftlich schwierigen Situa- derum verfügte nur über geringe fi nan- nicht so wie sonst. Dennoch ist es ein tion befi nden, kulante Stundungs- und zielle Reserven – die Zuwendungen erklärtes Ziel, die Ausschüttungen an Abzahlungsregelungen zu vereinbaren. speisen sich aus Abgaben der Mitglieder alle Berechtigten rechtzeitig vorneh-

FOTO: PICTURE ALLIANCE PICTURE FOTO: selbst. Eine Auszahlung der Reserven men zu können. Und hieran arbeiten Robert Staats ist Geschäftsführendes Ein Graffi ti des Künstlers Lacuna schmückt eine Häuserwand in Berlin an alle hätte dem Einzelnen weniger alle Mitarbeitenden, völlig unabhängig, Vorstandsmitglied der VG WORT Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 09

Es geht um die Zukunft Der Weg zurück zur Normalität in Museen ist noch weit

ECKART KÖHNE

um ersten Mal seit Jahrzehn- ten mussten die Museen über mehrere Wochen hinweg Z schließen, Veranstaltungen absagen und den Publikumsbetrieb einstellen. Im Gegenzug ist eine höchst kreative digitale Museumslandschaft entstanden, die den Kontakt in die Ge- sellschaft aufrechterhält. Mit zahlrei- chen digitalen Angeboten, wie virtuel- len Ausstellungsrundgängen, digitalen Sammlungen, Podcasts, Online-Spie- len und vielem mehr haben sie der Öf- fentlichkeit den Zugang zu musealen Inhalten bewahrt. Dabei haben Häuser aller Größen und Sparten mitgewirkt, darunter viele, die auf diesem Gebiet bisher am Anfang standen. Die Krise zeigt deutlich, welche Chancen sich für die Zukunft ergeben, aber auch, welche Herausforderungen gemeistert werden müssen. Mehr und mehr wird sichtbar, welche Folgen die Corona-Pandemie hat. Oft viel zu knapp kalkulierte Budgets lassen sich bei wegbrechenden Einnahmen nicht halten. Das angestellte Perso- nal ist tarifl ich abgesichert, nicht aber die freien Mitarbeitenden, die in ihrer Existenz bedroht sind. Gespart werden muss an den freien Mitteln, gerade die Kreativität und die aktuellen Projekte werden also besonders leiden. Die Bundesregierung sowie die Bun- desländer haben die Dringlichkeit der Situation erkannt und bereits umfas-

sende Hilfen realisiert. Es muss das /POPEYE ALLIANCE PICTURE FOTO: gemeinsame Ziel aller Akteure sein, Eme Freethinker sprühte im Berliner Mauerpark ein Graffi ti zur Corona-Krise langfristig negative Folgen für die Mu- semslandschaft in Deutschland zu ver- Covid- werden uns alle noch Monate kommerzielle »Third Places« und ur- um Objekte aus kolonialen Kontexten auch das globale Zusammenleben des meiden. Die Existenz der Institutionen oder Jahre begleiten. Zudem zeigen bane Kristallisationspunkte gehören hat gezeigt, welch hoher moralischer . Jahrhunderts auf den Prüfstand zu muss über die Krise hinaus gesichert uns vorangegangene Epidemien wie Museen zu jeder zukunftsorientierten Anspruch an die Museen gestellt wird, stellen, denn heutige Krisen lassen werden wie auch die Existenzgrundla- SARS, dass Pandemien auch in Zukunft Stadtentwicklungsplanung. Wir sehen Ungerechtigkeiten kolonialer Zeiten sich nur meistern, wenn Gerechtigkeit ge aller extern für die Museen arbei- immer wieder auftreten können. Hier- in der Krise, wie die Bevölkerung nach aufzudecken und wo möglich zu hei- und Solidarität das weltweite Handeln tenden Personen und Firmen. für sind neue, mittel- und langfristi- Orten der Begegnung sucht. Ange- len. Wir akzeptieren dies, erwarten im bestimmen. Museen leisten ihren Bei- In diesem Zusammenhang begrüßt ge Strategien notwendig. Angesichts sichts dieser Funktion von Museen Gegenzug aber auch, dass diese An- trag zu dieser Diskussion, wie die De- der Deutsche Museumsbund die So- dieser Perspektiven fordern wir die sollte ihre rasche Wiedereröff nung sprüche für alles öff entliche Handeln batte um die Weiterentwicklung ihrer fortmaßnahmen der Beauftragten gesellschaftlichen Akteure, die Mu- höchste Priorität haben. gelten. Wir fordern eine europäische ICOM-Defi nition gezeigt hat. der Bundesregierung für Kultur und seumsträger und damit die politischen Museen sind Teil einer globalen und internationale Solidarität, um die Medien, die Hilfsangebote und För- Entscheider dazu auf, bereits heute mit Welt. Sie sind mit Partnerinstitutio- Folgen von Covid- zu meistern. Wir Eckart Köhne ist Präsident des dermaßnahmen der Bundesregierung einer tiefgreifenden Debatte über die nen weltweit vernetzt. Die Debatte sehen die aktuelle Situation als Anlass, Deutschen Museumsbundes sowie Soforthilfeprogramme für Solo- zukünftige Rolle der Museen zu be- selbständige und Kleinunternehmen ginnen. der Bundesländer. Mit Sorge betrach- Museen sind Orte der Bildung. Viel ten wir jedoch die in den einzelnen zu oft werden sie auf eine unterhalten- Bundesländern sehr unterschiedli- de Funktion reduziert, auf Ausstellun- chen Hilfsprogramme. Aktuell besteht gen und Events. Museen sind auch viel Ausgerechnet! für Kultureinrichtungen und kultur- mehr als nur Kunst. Hier erleben die wirtschaftliche Betriebe bei der je- Bürgerinnen und Bürger aller Alters- Wie viele Frauen und Männer absolvieren eine duale Ausbildung im Mehr Informationen unter: weiligen Unterstützung ein spürbarer klassen an der Schnittstelle zu Uni- Kulturbereich? Wie viele ein Studium? Wie viele Menschen sind im kulturrat.de/publikationen/studien Unterschied zwischen den Bundes- versitäten und zur Forschung Wissen- Arbeitsmarkt Kultur beschäftigt? Wie ist es um ihr Einkommen bestellt? ländern. schaft aus erster Hand. Wer über die Wie viele Frauen und Männer sind im Kulturbereich freiberufl ich tätig? Was verdienen sie? Diese Fragen und mehr untersucht die neue Studie. Bund und Länder haben sich über Öff nung der Schulen diskutiert, kann Im Mai erste Lockerungen des Shutdowns dies nicht tun, ohne auch die Öff nung im Handel! im Zusammenhang mit dem Coro- der Museen mitzudenken. Ziel muss navirus verständigt. Der Deutsche es sein, Bildungs- und Kulturpolitik Museumsbund erwartet, dass in den endlich sinnvoll zu verknüpfen und die Frauen und Männer kommenden Wochen Schritt für Schritt Museen zu einem Ort zu machen, an Frauen und Männer im Kulturmarkt Museen wieder geöff net werden dür- dem ein generationenübergreifender im Kulturmarkt fen. Museen können auf langjährige Bildungsdiskurs stattfi ndet. »Lifelong Bericht zur wirtschaftlichen Bericht zur wirtschaftlichen und sozialen Lage Erfahrungen beim Besuchermanage- Learning« und »Citizen Science« dür- und sozialen Lage ment zurückgreifen und mithilfe ver- fen keine bloßen Schlagwörter mehr schiedener Maßnahmen eine Öff nung sein. unter Einhaltung von Abstands- und Museen leisten diese Bildungsarbeit Hygieneregeln gewährleisten. oft nur unter großen Schwierigkeiten. Die Umsetzung all dieser Maßnah- Gerade in der Bildungs- und Vermitt- men bedeutet für die Museen eine lungsarbeit sind viele Mitarbeiten- zusätzliche finanzielle Belastung. de nicht fest angestellt, sondern als Einem erhöhten Personalbedarf, um sogenannte »freie Mitarbeiter« tätig. Abstands- und Hygieneregeln umset- Die Covid--Krise hat gezeigt: Dies zen zu können, geringeren Einnahmen kann so nicht bleiben. Kontinuierli- bei reduzierten Besucherzahlen sowie che Bildungsarbeit verlangt sichere dem Ausfall von Veranstaltungen muss Arbeitsplätze. Hierfür bedarf es einer Rechnung getragen werden. Wir for- Bewusstseinsbildung in der Öff ent- dern die Politik sowie die Träger daher lichkeit, damit auch die notwendigen auf, die Museen bei der Umsetzung der politischen Weichen gestellt werden notwendigen Maßnahmen fi nanziell können. zu unterstützen. Museen sind wichtige Orte im öf- abriele Schulz, Olaf Zimmermann Befi nden wir uns damit auf dem fentlichen Raum. Hier begegnen sich Gabriele Schulz, Olaf Zimmermann Weg zurück zur musealen Normali- Bürgerinnen und Bürger vor dem Hin- tät? Sicherlich nicht. Die Einschrän- tergrund von Kunst, Kultur, Geschich- ISBN: ---- kungen durch die Maßnahmen gegen te, Naturkunde und Technik. Als nicht 10 INLAND www.politikundkultur.net

Mitgestalten! Was kann und muss die Zivilgesellschaft tun?

RUPERT GRAF STRACHWITZ Organisationen vorgehaltene, vom Etwas viel Gravierenderes kommt hin- aufgehängt ist: Beim Auszug, zehn wird nachher nichts mehr so sein wie Bund fi nanzierte zivile Bevölkerungs- zu: Schon seit einiger Zeit muss die Jahre später, hängt sie immer noch, vorher! Es wird Elend und Not geben, nsere Regierungen haben wir schutz gegen deren massive Einwen- Zivilgesellschaft aufpassen, dass der man hat sich an sie gewöhnt. Schon bei Künstlern ebenso wie bei Unter- beauftragt und bezahlen wir dungen auf null gefahren; es folgten die bürgerschaftliche Raum nicht auf al- eine Diskussion um die Lockerung der nehmern, bei Selbständigen ebenso U dafür, für Notfälle vorzusorgen Überantwortung der Krankenhäuser an lerlei Weise – von der Verniedlichung Bewegungsbeschränkungen, immerhin wie bei Arbeitnehmern – in Deutsch- und Entscheidungen zu treff en. Was das den Markt und vieles mehr. Im Ergeb- über das Zuckerbrot-und-Peitsche- auch dies die Wiederherstellung eines land ebenso wie weltweit, übrigens Letztere anbelangt, haben wir ihnen nis war Deutschland schuldhaft auf die Spiel, Diff amierung und Regulierung in der Zivilgesellschaft genauso oder in der Krise vordergründig nicht viel Pandemie mangelhaft vorbereitet. Dass bis zum Hinausdrängen – verkleinert mehr noch als in der Wirtschaft. Nur vorzuwerfen – selbst dann nicht, wenn es in anderen Ländern nicht besser aus- und beschränkt wird. Zurzeit ist die Bürgerrechte, die der Staat kann seinen Mitarbeitern sich im Rückblick herausstellt, dass sah, ist keine Entschuldigung. Die tägli- Güterabwägung in aller Munde: Bür- die Zivilgesellschaft Arbeitsplatz und Gehalt garantieren. diese falsch waren. Koordinierungsauf- chen Auftritte der zahlreichen Politiker gerrechte, die die Zivilgesellschaft empfi ndlich berühren, Es wird aber auch anderes anders wand und gelegentlich abweichende in den Medien, die die Bürgerinnen und empfi ndlich berühren, etwa die Ver- sein – ob besser oder schlechter, liegt Entscheidungen einzelner Länder sind Bürger zurzeit ertragen müssen, wirken sammlungsfreiheit, werden gegen etwa die Versamm- an uns. Wir stehen jetzt vor der He- letztlich auch nicht zu beanstanden. grotesk und peinlich. Ansteckungsgefahr – oder müsste lungsfreiheit, werden rausforderung, haben aber auch die Unsere Verfassungsordnung weist das Das heißt: Wir müssen der Regie- man sagen, die von den Regierungen gegen Ansteckungs- Chance, unsere Gesellschaft neu zu Mandat für solche Entscheidungen pri- rung viel genauer auf die Finger sehen, verschuldete Überlastung des Gesund- gefahr abgewogen ordnen. Wir können mehr Bürgerrech- mär den Landesregierungen zu. sie viel intensiver an ihre Pfl ichten er- heitswesens – abgewogen. Das kann te haben, mehr Gendergerechtigkeit, Anders sieht es mit der Vorsorge innern, als dies Parlamente und Medi- im Extremfall eine Notwendigkeit mehr Gemeinschaft, mehr Zivilität, aus. Exponenten der Zivilgesellschaft en getan haben. Die Analyse, wonach darstellen. Aber schon jetzt keimt das Grundrechts, wird von der Chefi n der weniger Wettbewerb, weniger Natio- haben ebenso wie staatliche Experten die Zivilgesellschaft die Rolle des Misstrauen! Immer mehr Bürgerinnen Bundes-Exekutive, öff entlich als »Öff - nalismus, weniger Selbstsüchtigkeit, über viele Jahre eindringlich und öf- Wächters übernehmen muss, weil die und Bürger hegen den Verdacht, mit nungsdiskussionsorgie« diff amiert. So weniger Unterschiede zwischen arm fentlich davor gewarnt, dass eine Pan- Parlamente diese ungenügend wahr- diesen Beschränkungen könnte es so klaglos, wie sie den Beschränkungen und reich – wenn wir nur wollen. demie kommen kann und Vorsorge für nehmen, erweist sich auf tragische gehen wie mit der berühmten Glüh- gefolgt sind, sollen die Bürgerinnen Hier, vor allem hier, kommt die Zi- diesen Notfall eingefordert. Geschehen Weise als richtig. Eine warnende Studie lampe, die in der neuen Wohnung auf- und Bürger jetzt auch alle weiteren vilgesellschaft ins Spiel. Ja, sie braucht ist nichts. Schon in den er Jahren des Bundesinnenministeriums blieb gehängt wird, damit es Licht gibt, bis Maßnahmen im Gehorsam gegenüber auch Geld, und ihre Verbände müssen wurde der bei zivilgesellschaftlichen schon  im unbeachtet. die schöne neue Lampe gekauft und der Obrigkeit hinnehmen. für ihre Mitglieder darum kämpfen. Das aber ist nicht Demokratie! Aber es kann ihr nicht nur darum ge- Diese besteht nicht in gelegentlichen hen, aus dem Füllhorn des Geldes der Wahlübungen, sondern in der aktiven Bürger bedient zu werden. Sie muss Mitgestaltung der öff entlichen Ange- mitgestalten! Sie ist nur glaubhaft, legenheiten, auch durch Kritik und wenn ihre zahllosen, höchst hetero- Diskurs. Im Lichte der Debatte um genen Akteure den Auftrag annehmen, die politische Betätigung zivilgesell- jetzt – unverzüglich, wie jemand be- schaftlicher Organisationen, die bis kanntermaßen und mit durchschla- zum Ausbruch der Covid--Pandemie gendem Erfolg am . November  geführt wurde, ist deshalb äußerste formuliert hat – mit dem Nachdenken Vorsicht geboten. Was wäre denn, darüber zu beginnen und den Kampf wenn sich das ganze Konzept der dafür aufzunehmen, die richtigen Leh- Pandemie-Bekämpfung als fehlerhaft ren aus der Krise zu ziehen. Es geht herausstellen würde? Dürften dann die darum, Versäumnisse und Resilienz Bürger immer noch nicht die Stimme des Staates nicht hinzunehmen, son- erheben? Müssten sie die weiteren Ver- dern dessen Vertreter vor sich herzu- tuschungs- und Verdrängungsversuche treiben, um eine off ene, pluralistische, klaglos akzeptieren? kosmopolitische und demokratische Dies ist deswegen ein solches Hor- Weltordnung entstehen zu lassen, in rorszenario, weil immer mehr erkenn- der Zivilgesellschaft, Markt und Staat bar wird, dass die Pandemie nicht mehr kooperativ zusammenarbeiten. Dafür ist als der Tropfen, der ein Fass zum gibt es jetzt ein Zeitfenster. Wenn die Überlaufen gebracht hat. Wir steckten Zivilgesellschaft zulässt, dass es sich doch schon vorher in einer tiefen Kri- wieder schließt, ohne dass dieses Ziel se der Demokratie, des Kapitalismus, erreicht wurde, hat sie ihren Anspruch des Nationalstaates. Die Pandemie auf Teilhabe an der deliberativen De- hat insofern sogar etwas Gutes: Sie mokratie verwirkt. zwingt uns, ernsthaft darüber nach-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / AP PHOTO AP / ALLIANCE PICTURE FOTO: zudenken, was nachher kommt! Die Rupert Graf Strachwitz ist Vorstand Der Künstler Brian Musasia Wanyande ruft in Nairobi dazu auf, zu Hause zu bleiben Spatzen pfeifen es von den Dächern: Es der Maecenata Stiftung Der künstlerische Wert des Analogen Ästhetische Probleme der Lichtanlagen einer Musik ihre ganze Tosca und Eternity. Und selbst hustende, das Kunsterleben zu einer Geste und gemeinsam Konzerte zu erleben. Die digitalen Transformation seelenlose Maschinenwirklichkeit ent- den Blick verstellende Lebewesen feh- die Kunst zu ästhetischen Krümeln. Der virtuelle Version eines Konzertes werde gegenstellten. So absurd wie aus einem len einem plötzlich ebenso wie im glei- Eindruck, es handle sich musikalisch für sie niemals die spirituelle Erfahrung von Kunst Zukunftsroman wirkte es, gerade so, als chen Geist kontemplativ sich der Kunst wie ästhetisch »nur« um eine Proben- eines gemeinsamen Konzerts mit Pub- spielten hier menschliche Klangskla- Hergebende, die mit geschlossenen Au- situation, ist off ensichtlich. Die Art und likum ersetzen können. MARTIN HUFNER ven zur Ergötzung von Robotern. Und gen im Konzertsaalsitz versinken. Weise, wie die Musizierenden vor den Das Publikum macht die Musik! Es irgendwo an irgendwelchen Endgeräten Die Musik ist schon noch einmal Kameras »Aufregung« empfi nden, ist schadet natürlich nicht, wenn man neue hne Publikum scheint alle – Computer, Smartphone, Smart-TVs – mehr betroffen, weil sie eine Live- eine jeweils sehr andere. Für die Künst- Wege sucht, neue Konzertsituationen Kunst verloren. Das lässt saßen dann noch irgendwelche beinahe Kunstform ist. In Zeiten von Abstand- zu gestalten, aber für eine angemessene sich in der aktuellen Ext- überfl üssig wirkende Kunstverbraucher. halten und Kontaktvermeidung zeich- Rezeption von Musik ist das off enbar remsituation der globalen In Erinnerung an einen italienischen net sich ab, dass eine Transformation gar nicht so hoch zu bewerten. Inter- O Das Publikum Corona-Pandemie wie unter Laborbe- Fussballtrainer eines großen deutschen des analogen Konzertes in die digitalen essant wird es bei neuen Mischformen dingungen, bei dem dem Publikum der Vereins könnte man schlicht sagen: Medien gar nicht so einfach zu vollzie- ist ein zwingend wie sie bei der Auff ührung der redu- Zugang zu Konzerten, Theatern, Muse- Halle leer, Kunst tot. Kunst ohne Pu- hen ist. nötiger Resonanzraum zierten Bach’schen »Johannes-Passion« en, Opernhäusern oder Clubs verwehrt blikum scheitert. Es handelt sich dabei um ein Phäno- zur Konstitution von am Karfreitag in der Thomaskirche in ist, beobachten. Dies machten eklatant Das Publikum ist off ensichtlich eben men, das off enbar mit gemeinschaftli- Leipzig entstanden, bei dem man not- die sogenannten Geisterkonzerte deut- nicht nur da, für den Kunstgenuss zu cher Wahrnehmungstätigkeit vor allem Kunstwerken gedrungen auch Streams von fremden lich, bei denen die musikalischen Ak- bezahlen und die Akustik von Räumen bei Live-Situationen zu tun hat, denn Orten einband, und das alles zeitgleich teure so tun, als spielten sie ein ganz zu verbessern, das Publikum ist ein beim Radio- oder CD-Hören tritt dieses über Internet und öff entlich-rechtliche normales Konzert – nur eben ohne zwingend nötiger Resonanzraum zur Phänomen nicht in Erscheinung, genau lerinnen und Künstler wie für das Publi- Rundfunkstationen übertragen wurde nennenswertes Publikum – wie sie zu Konstitution von Kunstwerken – so wie so wenig wie bei komplex produzierten kum. Die ganze Welle von gestreamten – mit Chorälen zum Mitsingen in der Beginn der Corona-Krise noch – in der die Architektur in Museen für die dort Videoclips und Studioaufnahmen, die Wohnzimmerkonzerten hat regelmä- eigenen Stube. Das hat eine durchschla- vagen Vermutung, dass Musiker gegen jeweils präsentierte Kunst ja auch (oder ja explizit für die Solo-Wahrnehmung ßig den Charme eines musikalischen gende Kollektivsituation erzeugt, der das Virus immun sein könnten – zu die Gestaltung von Kunsträumen an hergestellt werden. In einer Zeit wie der Homeoffi ce bei reduzierter Selbstpfl ege sich wahrscheinlich niemand entziehen sehen waren. Das Konzert von James sich). Hinzu treten bisweilen als lästig jetzigen fällt dieser Umstand besonders und -achtung. konnte, der dieses Ereignis miterlebt Blunt in der – bis auf die anwesenden empfundene zusätzlich ausgelöste Sin- auf, weil Konzerte im herkömmlichen Die in Berlin arbeitende Harfenistin hat. Eine einmalige und in dieser Form Musikerinnen und Musiker – leeren nesempfi ndungen, die durch olfaktori- Sinne aktuell nicht mehr stattfi nden Kathrin Pechlof benennt das Problem in unwiederholbare und unwiederbringli- Elbphilharmonie im März strahlte so sche Dunstglocken erzeugt werden. Im können. Das Konzert in den digita- einem Instagram-Posting präzise, wenn che Erfahrung. eine vollkommen aseptische und zu- engen Club müff elt das Vergnügungs- len Raum zu verlegen, mit einzelnen sie sagt, dass sie es in den letzten vier gleich bedrückende Glätte aus, bei der volk tratschend, im Kammermusiksaal Menschen vor Bildschirmen, bereitet Wochen sehr vermisst habe, für ein Martin Hufner ist Musikwissenschaftler, die von Computertechnik gesteuerten raschelt es zum Grundrauschen bei , dagegen wenig Freude, es verkleinert Publikum zu spielen und mit diesem Journalist und Lektor Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 11

Viele Hallen lassen sich für die kom- menden Monate gar nicht mieten, weil die Betreiber zunächst Klarheit haben wollen, wie es weitergeht. Der Bund hat ein beeindruckendes millionenschweres Soforthilfepro- gramm aufgelegt. Aber die Maßnahmen helfen in der Notsituation, in der sich die Veranstaltungswirtschaft derzeit befi ndet, leider nur in Ausnahmefällen. Der Gewinn von Veranstaltern beträgt gemäß einer Erhebung der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) aus dem Jahre  durchschnittlich sieben bis acht Prozent ihrer Einkünfte. Die Rückzahlungsverpfl ichtung von Kredi- ten in aktuell benötigter Höhe können daher – vor allem angesichts der ent- stehenden Schäden – nur wenige Un- ternehmen seriös eingehen. Von . Euro Soforthilfe lässt sich allenfalls die Büromiete für die kommenden Monate zahlen. Laufende Betriebskosten und vor allem die Verbindlichkeiten, die für die Vorkosten jedes ausgefallenen Kon- zertes entstanden sind, können damit nicht kompensiert werden. Oft reichen die Soforthilfen nicht einmal für die Zahlung der Mitarbeitergehälter, die zumeist nicht in Kurzarbeit geschickt werden können. Denn die Veranstalter brauchen aktuell für die Rückabwick- lung der ausfallenden Konzerte sogar mehr Personal. Daher unterscheidet

FOTO: PICTURE ALLIANCE / NURPHOTO / ALLIANCE PICTURE FOTO: sich die Problemlage im Veranstal- Für ein Corona-Graffi ti in Barcelona wurde das gleichnamige Bier als Inspiration genutzt tungsbereich erheblich von der Situa- tion vieler anderer Wirtschaftsbereiche. Das Überleben der meisten Unter- nehmen der Konzert- und Veranstal- tungswirtschaft wird nur durch beson- Die Vielfalt unseres Kulturangebots dere Hilfsmaßnahmen gesichert werden können. Dazu haben die Verbände der Musikwirtschaft ein Papier vorgelegt, steht auf dem Spiel mit dem der konkrete Bedarf des ge- samten Wirtschaftszweiges – und damit auch der Künstler – dargelegt wird. Es Die Corona-Pandemie induzierten Ausgaben in Städten und wig-Holstein hat bisher angekündigt, gibt es nicht, sondern es handelt sich bleibt zu hoff en, dass die Musikwirt- triff t die Veranstaltungs- Gemeinden auf rund  Milliarden Euro dass Veranstaltungen von bis . dabei um neue Veranstaltungsangebote, schaft im Allgemeinen und die Veran- wirtschaft besonders hart pro Jahr. Besuchern erlaubt seien, wobei aller- mit deren Durchführung alle Vorkos- staltungswirtschaft im Besonderen bei Infolge der Schutzmaßnahmen vor dings Hygiene- und Abstandsregeln ten erneut anfallen. Veranstalter bie- den vielen Forderungen aus allen Berei- der Infektionsgefahr durch das Corona- eingehalten werden müssen. Diese sind ten nicht, wie z.B. Autohersteller, ein chen der Wirtschaft nicht ein weiteres JENS MICHOW virus und die angeordneten Veranstal- aber weder in Schleswig-Holstein noch Produkt an, welches in einem halben Mal als ein Bereich behandelt wird, der tungsverbote ist nicht nur das Geschäft in anderen Bundesländern konkreti- Jahr noch genauso viel wert ist. Der »am ehesten verzichtbar« ist. Wer diese ein Konzert des New York der Konzert- und Festivalveranstalter siert worden. Dabei würden viele der Veranstalter hat für jede abgesagte Auff assung vertritt und nicht erkennt, Philharmonic, des Boston sowie Vermittlungsagenturen, sondern bereits angekündigten Veranstaltun- Veranstaltung bereits kostenintensive dass den Kulturschaff enden und da- Symphony Orchestras oder auch aller von ihnen wirtschaftlich ab- gen in Musikclubs, aber auch kleinere Leistungen erbracht, die nach Ablauf mit den Veranstaltern – ganz schnell K auch von Lady Gaga und El- hängigen Dienstleister ebenso wie der Comedy-Veranstaltungen und Schau- des Konzerttages nichts mehr wert sind. geholfen werden muss, muss wissen, ton John wäre denkbar ohne die Arbeit Spielstättenbetreiber vollständig zum spiel- oder Musicaltourneen stattfi n- Ein weiteres Sonderproblem besteht dass er zukünftig auf einen großen Teil der Konzertveranstalter und Vermittler. Erliegen gekommen. Seit dem . März den können, wenn sich die Länder zu ferner darin, dass der Vorverkauf für der bisher gewohnten Musikangebote Sie tragen das Risiko, dass ihre Künstler  gibt es in Deutschland ein Ver- den Voraussetzungen endlich geäußert Veranstaltungen inzwischen vollständig in Musikclubs, Festivals und Theatern selbst bei verlustreich laufenden Ver- anstaltungsverbot, welches vorläufi g hätten. Aber es besteht momentan völ- zum Erliegen gekommen ist. Und nie- verzichten muss. Er sollte sich darüber anstaltungen die vereinbarten Honora- mindestens bis Ende August  an- lige Unsicherheit darüber, zu welchen mand sollte erwarten, dass die Nachfra- im Klaren sein, welchen Schaden der re erhalten. Und sie tragen alle Kosten dauern wird. Allerdings wird man bei Konditionen dies möglich sein könnte. ge nach Konzerten ab September auch Kulturbetrieb damit nehmen wird. der Vorbereitung und Durchführung realistischer Betrachtung wohl davon Wir hören aus der Politik nur, dass Hy- nur annähernd den gewohnten Umfang von Veranstaltungen. Dazu zählen ausgehen müssen, dass bis Ende des gienevorschriften eingehalten werden erreichen wird. Derzeit ist es bereits Jens Michow ist Präsident des Bundes- Reise- und Hotelkosten, die Erfüllung Jahres Veranstaltungen mit geringfü- müssen. Wie die aussehen sollen, weiß ausgeschlossen, Veranstaltungen für verbandes der Konzert- und Veranstal- der immer umfangreicher werdenden gigen Ausnahmen nicht stattfi nden niemand. Natürlich muss klar sein, dass die Zeit nach dem Shutdown zu planen. tungswirtschaft (BDKV) technischen Anforderungen, die Wer- werden. wenn zwischen zwei Besuchern stets bungskosten und Anzeigen, die Kos- Vorweg: Veranstalter haben absolu- eineinhalb Meter Platz bleiben muss, ten der Anmietung der Spielstätten tes Verständnis dafür, dass Veranstal- nur jeder dritte Platz und jede zweite sowie Personalkosten und viele wei- tungen momentan in gewohnter Form Reihe besetzt werden kann. Man müsste tere. Veranstalter, aber auch die zur untersagt sind und dass der Schutz der für ein Konzert mit . Besuchern Veranstaltungswirtschaft zählenden Gesundheit der Bevölkerung uneinge- eine Halle mit einer Kapazität für . Künstleragenturen, die nicht nur für schränkten Vorrang haben muss. Den- bis . Personen mieten. Das rechnet den »Verkauf« von Künstlern an Ver- noch muss die Veranstaltungswirtschaft sich nicht und ist auch nicht durchführ- anstalter zuständig sind, sondern es als wesentlicher Teil des Kulturbetriebs bar. Solange es keine klaren Ansagen auch als ihre Aufgabe betrachten, die unseres Landes darauf hinweisen, dass vonseiten der Politik gibt, müssen Traditionen und Besonderheiten der ein Großteil ihrer Unternehmen be- Veranstaltungen im Vorverkauf ge- einmaligen deutschen Kulturszene zu fürchtet, die aktuelle Krise wirtschaft- halten werden, weil die Verträge mit schützen und zu pfl egen, sind Motor für lich nicht zu überstehen. Damit wird den Künstlern, dem Veranstaltungsort, den Aufbau neuer Talente und Garan- die Vielfalt des gewohnten Kulturange- den beteiligten Dienstleistern, vor al- ten der Vielfalt unseres Kulturangebots. bots auf deutschen Bühnen erheblichen lem aber dem Publikum gültig bleiben. Veranstalter und Vermittler sind aber Schaden nehmen, sofern entstandene Veranstalter können Veranstaltungen, auch Auftraggeber einer großen Zahl und noch entstehende Schäden nicht die voraussichtlich nicht stattfi nden von Dienstleistungsbetrieben, deren kompensiert werden. dürfen, nicht einfach absagen, da sie Jetzt Abo Inhaber und Arbeitnehmer von dem Zunächst besteht ein aktuelles, aber sonst von Künstlern und beauftragten 25%sichern! Stattfi nden von Veranstaltungen wirt- eigentlich lösbares Problem nicht nur Dienstleistern, nicht zuletzt aber auch schaftlich abhängig sind. Gemäß der der Veranstalter, sondern z. B. auch der von den Karteninhabern auf Vertrags- ersten im Jahr  veröff entlichten Theater, Filmtheater, Spielstättenbetrei- bruch in Anspruch genommen werden wissenschaftlichen Studie zur deut- ber, Messeveranstalter und zahlreicher könnten. schen Musikwirtschaft leben von der anderer Branchen der Kultur- und Kre- Die Veranstaltungswirtschaft ist Veranstaltungswirtschaft rund . ativwirtschaft darin, dass in der Pres- durch die Auswirkung der Krise im Erwerbstätige. Dabei handelt es sich sekonferenz der Bundeskanzlerin am Vergleich zu der produzierenden Wirt- um rund . abhängig bzw. gering- . April  zwar erklärt wurde, dass schaft besonders hart betroff en, da es Abonnieren Sie jetzt »Politik & Kultur« für  Euro fügig Beschäftigte. Auch die indirekten »Großveranstaltungen« weiter verboten sich bei Konzerten oder sonstigen Ver- im Jahr inkl. Versand unter www.kulturrat-shop.de Ausstrahlungen von Veranstaltungen bleiben. Bis heute ist allerdings nicht anstaltungen um »hochverderbliche sind, wie sich aus der Studie ergibt, ins- klar, wann es sich um eine »Großver- Ware« handelt. Veranstaltungen sind oder per Email an [email protected] und besondere im Bereich des Musiktou- anstaltung« handelt. Die Defi nition Fixgeschäfte, die vertragsgemäß aus- sparen Sie  % im Vergleich zu den Einzelheften. rismus erheblich: So summieren sich soll den einzelnen Bundesländern schließlich am angekündigten Termin z. B. die durch Musikveranstaltungen überlassen bleiben. Aber nur Schles- stattfi nden können. »Nachholkonzerte« 12 INLAND www.politikundkultur.net

FOKUS

zeitig zum Jubiläumsjahr einen bislang völlig unbekannten Beethoven-Brief von Der schwarze Schwan  erwerben konnte, der sich nicht nur wie eine programmatische Vorwegnah- Die Corona-Pandemie hat auch das Beethoven-Jubiläumsjahr fest im Griff me der . Sinfonie liest, sondern auch zeigt, wie sehr sich Beethoven als junger MALTE BOECKER in Zeiten der totalen Verfügbarkeit von in Anlehnung an das von unserem ersten In der Krise ist Mensch mit den Idealen der Aufklärung Musik so nicht vernommen haben. »What Ehrenpräsidenten Joseph Joachim  und Französischen Revolution identi- tell dir vor, es ist Beethoven Jubi- seemed impossible, is now inevitable« begründete Kammermusikfest einen Beethoven, sei- fi zierte: Beethoven bemitleidet in dem läum und keiner darf hin. Unter bringt es Robert Wilson in einem wun- zyklischen Ansatz und präsentierte die ne unbedingte Brief seinen Bonner Jugendfreund Hein- den Szenarien, die unser Denken derbaren Text auf den Punkt, den er in gesamte Kammermusik Beethovens in  Sehnsucht nach rich von Struve, der sich nach Russland S im Vorfeld des . Dezember , einem Hauskonzert ohne Publikum mit Konzerten. Was sich vordergründig wie einem Leben aufgemacht hatte, dass er »jezt in dem Beethovens . Geburtstag, bestimmt Daniel Hope über Arvo Pärt’s Musikstück ein einfaches »Beethoven Total«-Konzept Kalten Lande (sei), wo die Menscheit noch hatten, war dies, um ein Bild von Nas- »Spiegel im Spiegel« legt. Wann, wenn las, entpuppte sich als beispiellose und in und mit der so sehr unter ihrer Würde behandelt wird«. sim Nicholas Taleb zu verwenden, der nicht jetzt, ist es Zeit, Beethoven neu zu exemplarische Auff ührung von Beetho- Musik kein Aus der gemeinsamen Bonner Zeit weiß schwarze Schwan: das unvorstellbarste entdecken, wie es das Jubiläum #BTHVN- vens Kammermusik, die unvergessliche Überbleibsel Beethoven, dass diese Verhältnisse wider aller unwahrscheinlichen Ereignisse. Seit versprochen hat? Hörerfahrungen eröff nete. Von dem Ma- mehr aus einer Struves Denkungsart, wider sein Herz und Mitte März hat das Kontaktvermeidungs- Im Beethoven-Haus Bonn versuchen drider Musikwissenschaftler Luis Gago überhaupt wider sein ganzes Gefühl geht. gebot die im Dezember  mit viel Auf- wir das Beste aus der Situation zu machen. dramaturgisch unterstützt, spürte Tabea stets ferneren Beethoven fragt sich, wann der Zeitpunkt merksamkeit gestarteten Festivitäten im Dabei hilft die hervorgehobene Rolle, die Zimmermann den Querverbindungen und Welt, sondern kommt, »wo es nur Menschen geben wird«, eisernen Griff . Für das Beethoven-Haus wir als Geburtshaus des Jubilars von An- Beziehungen innerhalb der Kammermusik aktueller denn zweifelt aber daran, dass dieser glückliche gilt: Schließung des Museums, Absage fang an innehatten. Denn die meisten un- Beethovens nach. Dazu wurden die ein- Zeitpunkt in naher Zukunft an allen Orten der Konzerte und Kurzarbeit. Was für ein serer Vorhaben durften wir gleich zum zelnen Werkgattungen nicht wie im Kon- je. Plötzlich der Welt eintreten wird – »das werden wir Paradox: Beethovens taubheitsbedingte Auftakt des Jubiläums und damit noch vor zertbetrieb sonst üblich jeweils für sich bekommt jede nicht sehen, da werden wohl noch Jahr- Isolation »übersetzt« sich zu einer be- dem Shutdown und dem notgedrungenen präsentiert – pro Konzert entweder Duos, Form des Mit- hunderte vorübergehen«. stimmenden Erfahrung dieses Jubiläums. Rückzug in die Kurzarbeit realisieren. Streich- oder Klaviertrios etc.–, sondern einanders, die Dass die »Neunte«, die der Utopie ei- Künstler kämpfen damit, gehört zu wer- So konnten wir Mitte Dezember  innerhalb eines Konzertes in wechselnden ner brüderlich vereinten Menschheit eine den. Publikum erlebt das Verstummen von einen musealen Doppelschlag präsen- Besetzungen. uns bei Beetho- zeitlos gültige Form verliehen hat, im Ju- Kultur. Weder das befürchtete Überange- tieren: Zum einen wurde das räumlich Unmittelbar im Anschluss an das Kam- ven mit jeder biläumsjahr eine besondere Rolle spielt, bot eines ritualisierten Konzertbetriebs, erweiterte und von der Architektin Bar- mermusikfest versammelte unser Haus, Note anspringt, versteht sich von selbst. Wie kein anderes noch die Kannibalisierung des »more of bara Holzer grundlegend neu gestaltete das seit  im sogenannten Beethoven- wirkliche Werk lässt sich an ihr und an der Geschich- the same«, bestimmen mit einem Male Beethoven-Haus Museum, zum anderen Archiv systematisch Beethoven-For- te ihrer Rezeption ablesen, wie Beethovens dieses Jubiläum, sondern die Gefährdung die zentrale Sonderausstellung zum Jubi- schung betreibt, an die  der führenden Bedeutung Vermächtnis im politischen Kontext konti- von Beethovens Musik und seinen Vor- läumsjahr mit einer Vielzahl bedeutender Musikwissenschaftler aus aller Welt zu nuierlich fortwirkte. Die Instrumentalisie- stellungen von Freiheit, Fortschritt und Exponate in der Bundeskunsthalle eröff - einem fünftägigen Beethoven-Kongress. rung der »Ode an die Freude« im National- sozialismus oder im Unrechtsstaat Rhode- siens kommt einem ebenso in den Sinn wie die Verwendung als Protestsong gegen die Diktatur General Augusto Pinochets oder bei den Studentenunruhen  auf dem Tiananmen-Platz. Umso mehr freut es uns, dass das Beethoven-Haus nach langer und umfassender philologischer Grundlagen- forschung zum Jubiläumsjahr den Band der . Sinfonie in der neuen Gesamtausgabe veröff entlichen konnte. Der Band enthält neue überraschende Erkenntnisse zu der Sinfonie und ihrer Entstehungsgeschichte. Noch am . März  fand, als eines der letzten Konzerte vor dem Shutdown, die erste, leider nicht aufgezeichnete Auff üh- rung nach der neuen Ausgabe im belgi- schen Leuven mit »Le Concert Olympique« und dem »Octopus Symfonisch Koor« unter der Leitung von Jan Caeyers statt. Nicht ohne Symbolik ist die Tatsache, dass die vorerst letzten Kammermusikkon- zerte des Jubiläumsjahres im Beethoven- Haus am . und . März ausgerechnet von Daniel Hope bestritten wurden, der mit einem Mini-Festival unter dem Titel »My Beethoven« seinen Einstand als neuer Prä- sident des Beethoven-Hauses gab. Mit Daniel Hope an der Spitze, einem grundlegend neu gestalteten Museum und vielen neuen musikwissenschaftli- chen und konzertanten Impulsen sind die Weichen an sich gut dafür gestellt, dass das Beethoven-Haus gestärkt aus der Krise hervorgeht. Unabhängig von der Frage, wann es wieder möglich sein wird, Menschen an seinem Geburtsort oder sonst wo für Konzerte und musik- wissenschaftliche oder museale Angebote zu versammeln, stellt sich die Frage, wel- chen Beethoven wir in diesem Jahr noch entdecken können. Ich glaube, dass wir ihn als Schöpfer von Werken entdecken, die uns in dieser

FOTO: ADOBE STOCK PHOTO / ELBANCO / PHOTO STOCK ADOBE FOTO: Zeit schwerster Prüfungen Hoff nung und Nach dem Autor Nassim Nicholas Taleb bezeichnet ein »Schwarzer Schwan« ein Ereignis, das selten und höchst unwahrscheinlich ist Kraft gegeben haben. Ich glaube, dass wir den Musterbrecher und radikalen Künstler Mitmenschlichkeit. In der NZZ fragt sich net. Beide Ausstellungen haben sich zu Eines der Themen galt Beethoven als ei- entdecken, der jegliche Form von Routine Laurenz Lütteken, »(v)ielleicht ist nun einem großen kulturhistorischen Aufriss nem politischen Künstler. Die Kernfrage scheute und Musik in jedem Werk, in jeder der Augenblick gekommen, sich an diese über Beethoven als einen der wichtigsten lautete, inwieweit sich in Beethovens Bio- Gattung, von Grund auf neu dachte. Und schwierig zu fassende Macht der Musik Repräsentanten jener »Sattelzeit« ergänzt, grafi e und Werk die historischen Umwäl- den Beethoven, dessen Musik für jene Frei- zu erinnern, sie als Geschenk neu zu ent- die den Übergang des Feudalismus zur zungen seiner Zeit spiegeln: die Französi- heit und Mitmenschlichkeit steht, deren decken«. In der Krise ist Beethoven, seine bürgerlich-freiheitlichen Moderne mar- sche Revolution, die Schreckensherrschaft, Bedeutung wir aus der Isolation heraus unbedingte Sehnsucht nach einem Leben kiert. Wenn auch nur für wenige Wochen, Aufstieg und Fall Napoleon Bonapartes, umso mehr erkennen. Am Ende des Jubi- in und mit der Musik kein Überbleibsel wurde Bonn mit seinen Museen zum Mek- die Schlachten bei Wagram und Leipzig, läums werden, davon bin ich überzeugt, mehr aus einer stets ferneren Welt, son- ka unzähliger Beethoven-Liebhaber und der Wiener Kongress und die von ihm so keine beziehungslose Verehrung eines dern aktueller denn je. Plötzlich bekommt konnte aus den historischen Rückblicken verhasste Ära politischer Repression. Wie Klassikers, sondern berührende Gemein- jede Form des Miteinanders, die uns bei heraus jeweils die Modernität Beethovens beurteilen wir Beethovens Verhältnis zu schaftserlebnisse bei Live-Konzerten und Beethoven mit jeder Note anspringt, besonders gut vermitteln. wechselnden politischen Umständen? War die Entdeckung einer unbekannten Aktu- wirkliche Bedeutung. Plötzlich wird der Im Januar  schloss sich mit der er vom Selbstverständnis her Hofmusiker, alität Beethovens stehen. Behauptungswille seiner Musik greifbar, »BTHVN WOCHE« ein von Tabea Zim- Revolutionär oder politischer Opportunist, etwa wenn die Menschen aus der Isolation mermann künstlerisch gestaltetes Kam- oder alles zu verschiedenen Zeiten? Hin- Malte Boecker ist Direktor des heraus in ihren Balkonkonzerten die Freu- mermusikfestival an. Tabea Zimmer- weise, Anekdoten und widersprüchliche Beethoven-Hauses Bonn und Künstle- denmelodie anstimmen. Und plötzlich ist mann, die designierte Ernst von Siemens Überlieferungen gibt es zuhauf. Umso rischer Geschäftsführer der Beethoven ein Wille zur Innovation spürbar, den wir Musikpreis-Trägerin in , verfolgte schöner, dass das Beethoven-Haus recht- Jubiläums GmbH Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 13

FOKUS

»Diesen Kuß der ganzen Welt« Die größte handschriftliche Beethoven-Sammlung liegt in der Staatsbibliothek zu Berlin

BARBARA SCHNEIDERKEMPF

weihundertfünfzig Jahre Beet- hoven! Und immer wieder erle- Z be ich, dass meine Gesprächs- partnerinnen und Gesprächspartner verblüfft sind: »Ach sieh an, die be- deutendste handschriftliche Beetho- ven-Sammlung liegt in Berlin, in der Staatsbibliothek? Ich dachte immer, in Bonn?!«Nein: nicht in Bonn und auch nirgends sonst, sondern in Berlin. So bestechend und bedeutend auch die Exponate hinsichtlich Leben und Werk Beethovens im Bonner Beethoven-Haus sind, es führt kein Weg an der in Sachen Handschriften weltweit führenden Stel- lung der Berliner Staatsbibliothek vor- bei. Und heute, , wollen wir diese Einzigartigkeit unter Beweis stellen: In einer großen, Beethoven gewidmeten Ausstellung in unserem jüngst aufwen-

dig generalsanierten Haus Unter den IMMEL HAGEN / SBBPK FOTO: Linden. Ein kleiner Einblick in die Beethoven-Sammlung der Staatsbibliothek zu Berlin Dem ersten Anlauf zur sicherlich größten Beethoven-Ausstellung jemals läutert werden. Und beim Interesse für Ausstellung. Die Ausstellung »Diesen mentiert, allein das Quellenmaterial gedacht wird. Wenige hundert Meter war leider wenig Erfolg beschieden. Die die Inaugenscheinnahme der Original- Kuß der ganzen Welt« ist die klassi- bereitgestellt werden: und dies in einer entfernt vom Brandenburger Tor als feierliche Eröff nung am Abend des . quellen reichen sich beide Zielgruppen, sche kuratierte Präsentation, die die Qualität, die Staunen macht. Es ist eine dem architektonischen Symbol deut- März in Anwesenheit der Staatsminis- die Musikwissenschaft und das breitere inszenierte Auswahl zum Prinzip hat: wunderbare Erfahrung, zunächst hier in scher Trennung wird hoff entlich alsbald terin kurzfristig abzusagen, war bedau- musikkulturelle interessierte Publikum, Weniges wird in den Fokus genommen, der Bibliothek das so fragile papierne wieder die eigenhändige Niederschrift erlich, aber aus bekannten Gründen in schöner Eintracht die Hand: Beide aber in Verbindung zueinander gesetzt Original im Schutz der Glasvitrine zu der Europahymne, des musikalischen notwendig und richtig. wünschen sich einen einfachen und und auf wissenschaftlichem Niveau er- betrachten und anschließend in das Symbols deutschen und europäischen So fand die Eröff nung eher »still«, schnellen, einen kostenfreien und zeit- läutert. Digitalisat immer tiefer hineinzuzoo- Zusammenwachsens, präsentiert. »Alle wenngleich weiterhin mit Staatsmi- gemäßen Zugang zu den Quellen, die in Im vergangenen Jahr aber hat die men und die Schreibweise Beethovens Menschen werden Brüder« – von Schil- nisterin Monika Grütters statt, die ihrer Einzigartigkeit nun einmal welt- Staatsbibliothek, auch dank der För- nachzuvollziehen. ler gedichtet, von Beethoven kompo- nunmehr gemeinsam mit Journalis- weit nur ein einziges Mal verfügbar sind derung der BKM, ihre Beethoven-Hand- Beethoven also für alle – für jene, bei niert, in der Staatsbibliothek bewahrt. tinnen und Journalisten die Ausstel- und vor diesem Hintergrund eines ganz schriften komplett digitalisiert. Diese denen sich die Aura, der Zauber allein lung besichtigte – dafür allerdings war besonderen Schutzes bedürfen. Eine bestechenden Images stehen seither im Augenschein des Originals mitteilt, Barbara Schneider-Kempf ist General- unter den gegebenen Umständen sehr Beethoven-Handschrift ist nichts, was weltweit kostenfrei zur Verfügung. Es und ebenso für jene, denen die digitale direktorin der Staatsbibliothek zu viel Zeit, die von der Staatsministe- man tagtäglich hervorholen darf, denn geht um fast . Seiten Musik- Kopie ebenso viel oder sogar noch mehr Berlin – Preußischer Kulturbesitz rin ausgiebig genutzt wurde, um sich kaum etwas ist empfi ndlicher als Papier autographe sowie um . Seiten bedeutet. Ich freue mich sehr, dass dank insbesondere mit dem »Brief an die und Tinte: Das eine zerfällt, die andere schriftliche Konversation, Briefe und des gemeinschaftlichen Engagements Mehr dazu: Besuchen Sie die virtuelle Unsterbliche Geliebte« wie auch mit verbleicht. Wir haben es aber im Grunde andere autographe Dokumente. Hier so vieler Beteiligter hier, auf dieser gro- Ausstellung »Diesen Kuß der ganzen Beethovens Wirken in Berlin und sei- mit gleich zwei Ausstellungen zu tun: steht die Menge im Vordergrund, um ßen Straße und in diesem so erhabenen Welt! – Die Beethoven-Sammlung der ner besonderen Beziehung zum Preu- Nämlich einer traditionell analogen sich allen Selektionskriterien schon im Haus des ersten Vierteljahrtausends Staatsbibliothek zu Berlin« hier: ßischen Königshaus zu befassen. und zusätzlich einer gänzlich digitalen Vorfeld zu entziehen, hier soll, unkom- Beethovens in so fulminanter Weise blog.sbb.berlin/beethovenstart/ Doch wurde die Bibliothek nach nur vier Tagen Laufzeit der Ausstellung für den Publikumsverkehr auf unbestimm- te Zeit geschlossen. Allerorten herrsch- te Enttäuschung – und umso mehr wol- len wir Beethoven unbedingt eine zwei- Roll over Beethoven te Chance geben. Mit Zuversicht und Musik und Politik nach  im Haus der Geschichte in Bonn Mut warten wir nun auf die in diesen Wochen gerne beschworenen »besseren THORSTEN SMIDT der Referenz: von Chuck Berry, der  rechtsextreme Gewalt und Fremden- Wahrnehmung in DDR und Bundes- Tage« und hoff en, im Frühsommer die- mit dem Song »Roll over Beethoven« hass an. Festivals wie »Rock gegen republik könnten unterschiedlicher ses Jahres auch mit unserer Beethoven- b Ludwig van Beethoven ein das musikalische Aufbegehren seiner Rechts« seit  oder die Kampagne nicht sein. Während die Nationale Ausstellung reüssieren zu können. Das politischer Künstler war, ist Generation zum Ausdruck bringt, bis zu »Arsch huh, Zäng ussenander!« seit Volksarmee auf Paraden Lieder wie Beethoven-Jahr  hat ja eigentlich eine viel diskutierte Frage. einer Protestaktion  am Braunkoh-  entstehen, jüngstes Beispiel ist »Brüder, zur Sonne, zur Freiheit« spielt eben erst begonnen …! O Doch spätestens seit  letagebau Hambach, bei der die »Pas- das »#wirsindmehr-Konzert« im Sep- und damit die propagierte Einheit von Was umfasst diese Sammlung? Wir scheint sie beantwortet: Die Staats- torale« erklingt. Ausgewählte Beispiele tember  in Chemnitz. Volk und Armee zur Schau stellt, ist sprechen von den Sinfonien Nr. , ,  und Regierungschefs der Europäischen für die politische Beethoven-Rezeption Das Selbstverständnis des Staates die Bundeswehr mit ihrer Musik in der und  – letztere ist Teil des UNESCO- Gemeinschaft küren Beethovens »Ode sind die Folie, vor der die Ausstellung sinnlich zu vermitteln, diese Aufga- Öff entlichkeit lange Zeit wenig präsent. Weltdokumentenerbes. Sodann von den an die Freude« zur Europahymne. Eine sich ihrer grundsätzlichen Fragestel- be kommt Nationalhymnen zu. In der Militärisches Zeremoniell zeigt sie vor Klavierkonzerten  bis  und , von der eigens geschaff ene Instrumentalfas- lung nach dem Verhältnis von Musik jungen Bundesrepublik dringt Bun- allem in Kasernen oder zu besonderen Oper Leonore/Fidelio wie auch von dem sung – also ohne den deutschen Text – und Politik widmet. despräsident Theodor Heuss deshalb Anlässen. Zudem lösen die Liederbü- berühmten Brief an die Unsterbliche soll Ausdruck der gemeinsamen Werte So wie Beethoven Kind seiner Zeit auf eine historisch unbelastete Hymne. cher der Bundeswehr wiederholt kon- Geliebte. Hinzu kommen etwa  Brie- wie Freiheit, Frieden und Solidarität war und sich zwischen Revolution und Bevor  die Entscheidung für das troverse Debatten aus. Heute wird Mi- fe von und an Beethoven sowie  der sein. Restauration bewegt hat, so prägt jede »Lied der Deutschen« fällt, von dem litärmusik in der Bundeswehr von nicht überlieferten Konversationshefte, mit Posthum erfährt der Komponist Zeit ihre Musik – ebenso wie jede Mu- nur die dritte Strophe gesungen wird, weniger als  Klangkörpern gepfl egt, denen der ertaubte Komponist »Gesprä- eine politische Vereinnahmung, die sik ihre Zeit prägt. Ohne Musik sind erklingen bei offi ziellen Anlässen Beet- das Repertoire reicht von Klassik über che« mit anderen Personen führte. So er zu Lebzeiten mehrfach selbst pro- etwa die Protestbewegungen der hovens »Ode an die Freude« oder der Swing bis zu populärer Musik. unglaublich es  Jahre nach seiner voziert hat – ob mit seiner wütend er Jahre kaum vorstellbar. Vor- Karnevalsschlager »Wir sind die Ein- Musik und Politik stehen nicht nur Geburt anmutet: Knapp die Hälfte aller ausradierten Widmung der »Eroica« bildern wie Bob Dylan, Joan Baez oder geborenen von Trizonesien«. Die DDR zu Beethovens Lebzeiten in einem überlieferten Handschriften Ludwig van an Napoleon oder der Feier von des- John Lennon folgend, unterstützt auch geriert sich derweil als das neue, bes- spannungsreichen Verhältnis. Für Beethovens hat in Berlin die Zeitläufte sen Niederlage in dem musikalischen deutsche Musik zunehmend politische sere Deutschland: »Auferstanden aus die Zeit von  bis zur Gegenwart unbeschadet überstanden. Schlachtengemälde »Wellingtons Sieg«. Proteste. Eine Liedermacherszene um Ruinen und der Zukunft zugewandt« bietet die Bonner Ausstellung »Hits »Für Forschung und Kultur« – so Wie politisch kann Musik sein? Wie Franz Josef Degenhardt, Dieter Süver- heißt es in der Nationalhymne, die je- und Hymnen. Soundtrack der Zeitge- wirbt die Staatsbibliothek sehr tref- mobilisiert sie, wie agitiert sie? Wie krüp und Hannes Wader erreicht zwar doch ab Anfang der er Jahre nur schichte« vielfach Gelegenheit, diesem fend für sich; und Beethoven und seine stiftet sie Zusammenhalt oder bringt kein Massenpublikum, prägt aber die noch instrumental zu hören ist, da der Wechselspiel nachzugehen, dabei viel Handschriften vereinen diese beiden Protest zum Ausdruck? Diesen Fragen linke Protestkultur. Auch Rechtsextre- SED die Zeile »Deutschland einig Va- Musik zu hören und einige speziell Facetten auf sehr glückliche Weise. Die geht die Ausstellung »Hits und Hymnen. misten nutzen Musik zur Mobilisierung terland« politisch nicht mehr opportun entwickelte multisensorische Angebo- musikhistorische Forschung fi ndet hier Soundtrack der Zeitgeschichte« im Bon- ihrer Anhängerschaft. Seit den späten erscheint. Erst ab Januar  ist die te auszuprobieren. Denn Musik weckt die Quellen ihrer musikwissenschaft- ner Haus der Geschichte nach, die noch er Jahren wirbt die Szene vor allem Staatshymne der DDR erneut mit Text Emotionen, die politisch genutzt wer- lichen Studien und Analysen – und im Beethoven-Jahr eröff net werden soll. bei Jugendlichen mit ihrer Musik, ver- im Rundfunk zu hören. Zur inoffi ziel- den können, aber nicht müssen. zugleich wird hier kulturelle Breiten- Der . Geburtstag des Komponisten teilt in den er Jahren sogenannte len Hymne des Mauerfalls aber wird arbeit betrieben, indem die größten ist Anlass, sich dem spannungsreichen Schulhof-CDs und provoziert damit der Scorpions-Hit »Wind of Change«. Thorsten Smidt ist Ausstellungs- musikalischen Leistungen unseres Wechselspiel von Musik und Politik ihrerseits musikalische Opposition. Wichtiger Bestandteil staatlicher direktor der Stiftung Haus der Kulturkreises nicht allein präsentiert, nach  zuzuwenden. Dabei sind Udo Lindenberg, BAP oder Die Toten Repräsentation und Symbolik ist auch Geschichte der Bundesrepublik sondern didaktisch ansprechend er- Beethoven und sein Werk immer wie- Hosen prangern in ihren Liedtexten Militärmusik. Ihr Einsatz und ihre Deutschland 14 INLAND www.politikundkultur.net

FOKUS

»… Beethoven gibt’s nur einen« Multiple Perspektiven bei der Annäherung an einen Mythos

AGNIESZKA LULIŃSKA ponist  selbstbewusst: »besser mit Künstlern als Mit den sogenannten s bedarf außergewöhnlicher Großen (KleinWinzigen) zu thun zu Umstände, die Gegenwart in haben.« Um  gesteht er allerdings: dem klaren Bewusstsein zu re- »Unter unß gesagt, so republikanisch E fl ektieren, diese sei längst Ver- wir denken, so hat’s auch sein Gutes gangenheit. Die Mitte März beschlos- um die oligarchische Aristokratie.« senen allgemeinen Maßnahmen zur Wie sollen diese scheinbaren Wider- Eindämmung des Coronavirus trafen sprüche bewertet werden – als kon- mit voller Wucht auch das fulminante, junkturell bedingter Opportunismus mit jahrelangem Vorlauf geplante Ju- eines Berufsmusikers, Ausdruck eines biläumsprogramm »Beethoven « unberechenbaren Charakters oder als – und damit dessen zentrale Ausstellung Refl ex eines Künstlerlebens um ? »Beethoven. Welt.Bürger.Musik.«. Das suggestive Bild Beethovens Die ursprünglich bis zum . April als eines unbeugsamen wie einsamen terminierte, von der Bundeskunsthalle Revolutionärs gehört bis heute zu gemeinsam mit dem Beethoven-Haus den griffi gsten Topoi der Beethoven- Bonn erarbeitete Schau verharrte wäh- Rezeption. Dabei ließ sich dieser stol- rend ihrer letzten Wochen in einer Art ze »Freiberufl er« von Mitgliedern der kontrolliertem Dornröschenschlaf, aus Hocharistokratie aushalten und be- dem sie nur noch zum Abbau wach ge- mühte sich in regelmäßigen Abstän- rüttelt werden konnte. Ihre biografi sch den um eine Festanstellung in adligen angelegte, in ein historisches Zeitpa- Diensten. In dieser Hinsicht können

norama eingebettete Erzählstruktur seine jugendlichen Kurfürstensona- GMBH BRD DER AUSSTELLUNGSHALLE UND KUNST / BILDKRAFTWERK FOTO: zeichnete die prägendsten Ereignisse ten von  als eine Art musikalisches Die Beethovenbüste von Franz Klein und ein Papiertheater zur Auff ührung der Oper »Fidelio« in der Ausstellung im Leben Ludwig van Beethovens chro- »Bewerbungsschreiben« gelten, ebenso »Beethoven. Welt.Bürger.Musik« nologisch nach und verknüpfte diese wie sein  Jahre später vollendetes mit seinem musikalischen Werk, das Opus magnum, die »Missa solemnis«, ein Kind dieser Zeit gewesen. Er war sich selbst zu erziehen und zu vervoll- sprungshandlungen führte, ist nicht anhand ausgewählter Schlüsselwerke die Beethoven Erzherzog Rudolph von Zeuge und prägender Akteur jenes kommnen. verwunderlich. Ohne ein tragfähiges, vorgestellt wurde. Österreich, seinem Klavierschüler, ei- epochalen Übergangs vom feudalen Als ihn im Alter von  Jahren die weitgespanntes Netzwerk von Förde- Die gut  ausgestellten Objekte nem seiner großzügigsten Mäzene und zum bürgerlichen Zeitalter gewesen, niederschmetternde und für einen rern, Geschäftspartnern, Freunden und – Handschriften und Erstdrucke, Do- dem damals frisch gekürten Erzbischof den der Historiker Reinhart Kosseleck gefeierten Klaviervirtuosen und Kom- Bewunderern, hätte seine Musik ihre kumente und Porträts, Musikinstru- von Olmütz widmete. Überhaupt, die so plastisch als Sattelzeit bezeichnete, ponisten existenziell bedrohliche Dia- gewaltige (Nach-)Wirkung kaum ent- mente, Bilderzyklen von Goya, Klimt Widmungen. Sie waren keine Sympa- und der als Eintritt in die Moderne gilt. gnose einer irreversiblen Ertaubung in falten können. Beethoven wusste nur und Auchen thaller sowie Zeugnisse thiebezeugungen oder Freundschafts- Die Prägung, die der junge Beethoven eine tiefe Krise stürzt, begehrt er auf, zu gut, dass er sich auf diese praktische der Alltagskultur – ermöglichten einen dienste, sondern ein lukratives Ge- durch das aufklärerische Klima und die bereit, »dem Schicksal in den Rachen und emotionale Unterstützung verlas- sinnlichen Einstieg in das Beethoven- schäft: Der Widmungsträger erkaufte kulturellen Ambitionen der Residenz- greifen«, wie er seinem Freund Franz sen konnte, und forderte diese als einen Universum. Die begeisterte Resonanz damit auf Zeit die Verwertungsrechte, stadt Bonn erhielt, diente ihm auch in Gerhard Wegeler  schreibt. Die Mei- ihm selbstverständlich gebührenden seitens des Publikums, der Musikwelt der Komponist hingegen konnte mit den »moderneren« Zeiten als musikali- lensteine seines musikalischen Œuvres Tribut ein. und der Medien bestätigte die Trag- den oft üppigen Honoraren von Fall scher und intellektueller Kompass. Als – die Sinfonien, die meisten Klavier- Beethoven – der Unberechenbare, fähigkeit dieser Vermittlungsstrategie. zu Fall seinen Lebensunterhalt für ein er  zu einem Studienaufenthalt werke und Streichquartette – sollten der »Ungebändigte«? Sein Werk ist es »Fürst, was Sie sind, sind Sie durch ganzes Jahr bestreiten. Gleichzeitig bei Joseph Haydn nach Wien aufbrach, erst in den Folgejahren entstehen, als allemal. Es wurde zum Inbegriff der Zufall und Geburt, was ich bin, bin ich wurde Beethoven zur unangefochte- katapultierten ihn die prophetischen er mit der äußeren Welt längst mittels absoluten Musik, die das Publikum zu durch mich; Fürsten hat es und wird es nen Leitfi gur des nach  erstarken- Worte Ferdinand Graf Waldsteins in die Hörrohren und Konversationsheften Beethovens Lebzeiten ebenso wie heute noch Tausende geben; Beethoven gibt’s den Bürgertums erhoben, das ihn in wirkungsmächtigste Triade der Musik- kommuniziert. Dass dieser Teufelskreis erschüttert und polarisiert, wie es kei- nur einen«, soll der zornige Ludwig van seinem Kampf gegen die Widrigkei- geschichte: »Durch ununterbrochenen aus desaströsem Gesundheitszustand nem anderen Komponisten gelungen ist. Beethoven  seinem fürstlichen ten des Lebens im Sinne des bürger- Fleiß erhalten Sie: Mozart’s Geist aus – seine Krankenakte war mehr als um- Gönner Karl von Lichnowsky ins Gesicht lichen Leistungsprinzips »per aspera Haydens Händen.« Beethoven nimmt fangreich –, persönlichen Rückschlägen Agnieszka Lulińska ist Kuratorin geschleudert haben. Dem Dramaturgen ad astra« als einen der seinen ansah die Herausforderung selbstbewusst an – sein unerfüllt gebliebener Wunsch in der Bundeskunsthalle in Bonn. Georg Friedrich Treitschke gegenüber, und seiner Musik eine beinah schon und strebt zeitlebens danach, seine nach Familie – und dem Anspruch, Gemeinsam mit Julia Ronge vom dessen Bühnenerfahrung Beethovens religiöse Verehrung entgegenbrachte. Musik immer weiter voranzutreiben, dem wachsenden Ruhm als größter Beethoven-Haus Bonn konzipierte Befreiungsoper »Fidelio« schließlich Ludwig van Beethoven war seiner dabei Grenzen zu überschreiten und lebender Komponist zu genügen, auch sie die Ausstellung »Beethoven. Welt. zum Erfolg verhalf, zeigt sich der Kom- Zeit in vielem voraus, und doch ist er das Unmögliche zu wagen, aber auch zu depressiven Zuständen und Über- Bürger.Musik.« Inspiration für die Fragen unserer Zeit Beethoven komponierte im che Predigt mit der dafür von Johann Ein Spiegel der inneren Gefühlswelt, ein diesem Spannungsbogen der fortlau- Ausbeutung wohl unvermeidlich sind, Spannungsfeld von künst- Sebastian Bach vorgesehenen Kanta- Spiegel musikalischen Schaff ens und fenden Standortbestimmung für sich aber dennoch wehtun. te als Teil der Verkündigung gehörte, ein Spiegel der gesellschaftlichen Ver- selbst wie für das Zusammenleben in Die Beschäftigung mit den Quellen lerischer Entfaltung, Politik geprägt wurde. Als Continuo-Cellist hältnisse seiner Zeit – der Lebenszeit Gesellschaften. ist vor allem eine Herausforderung für und Ökonomie habe ich so nahezu alle Kantaten und von Ludwig van Beethoven. Die Annä- Dieser Prozess der Wahrnehmung die Bildungspolitik der Länder, die in Passionen von Bach erfahren dürfen. herung an den »empfi ndsamen Titan«, und Annäherung an Unbekanntes ist den überfrachteten und fragmentierten CHRISTIAN HÖPPNER Meine verehrten Cellolehrer Helma wie es Christine Eichel in ihrem Buch ein gesellschaftspolitisch relevanter Lehrplänen und verschulten Studien- Bemmer und Markus Nyikos führten beschreibt, ist ein Wahrnehmen von Vorgang, weil er Sichtachsen auf un- gängen wenig Raum für diese Lerner- igentlich wollte ich gar keinen mich darüber hinaus in die weite Welt Unterschieden und Gegensätzen, ein bekannte Welten und das Erkennen von fahrung lässt. Beitrag für Politik & Kultur über der Musik, zu der natürlich auch die Erkennen von Gemeinsamen und Tren- Zusammenhängen ermöglicht. Weil er Die Botschaft, dass die künstleri- E Ludwig van Beethoven schreiben, Werke von Beethoven in der Kammer- nendem, ein Akzeptieren bis hin zum Fragen eröff net, ohne vorab schon die schen Schulfächer und der Sport die weil es keinen anderen Komponisten für musikliteratur gehörten. Ihre Hinweise, Annehmen von ehemals abgelehnten Antworten zu kennen. Weil er Visionen zentralen Fächer für die Erschließung mich gibt, der so viele Fragen unbeant- dass Beethoven seine Kompositionen Gefühlen und Haltungen, eine Verge- Raum gibt, ohne in der Ökonomisie- der Welt sind, könnte im Verbund mit wortet lässt, allein lässt, wie Beethoven. sehr genau bezeichnet habe, führten wisserung in der je eigenen individu- rungsdiktatur geschreddert zu werden. den übrigen Disziplinen den Blick auf Was will er, der große Ludwig van Beet- in der versuchten Ausführung bei mir ellen wie gesellschaftlichen Verortung Themen, die zu Beethovens Zeit so ak- Zusammenhänge eröff nen. Eine Bot- hoven, denn mit seiner schier endlo- zu regelmäßigen Konfrontationen mit sowie das Aushalten scheinbar uner- tuell gewesen sind wie heute. schaft, die ich mir vom Jubiläumsjahr sen Pause am Schluss des einleitenden dem Unerwarteten. reichbarer Sehnsüchte. Zweifelsohne ist Beethoven ein ge- Ludwig van Beethoven erhoff e. Satzes »Adagio sostenuto e espressivo« Wenn z. B. ein Sforzato in einer Pia- Ein Schatz, den sich jeder in der Aus- sellschaftspolitisch wirksamer Kom- Die Wirkungskraft der Musik in ihrer der Sonate für Klavier und Violoncello no-Passage, vermeintlich unvermittelt, einandersetzung – nicht nur mit dem ponist gewesen. Ein Komponist in dem beispiellosen Tiefe und Breite auf den in g-moll, Opus  Nr. , sagen? Mich plötzlich wie ein Blitz für die Störung Schaff en von LvB – erwerben kann. Ein Spannungsfeld von künstlerischer Ent- Menschen sowie die Wahrnehmungs- Stille lehren, einen Raum schaffen, des inneren Klangbildes sorgt. Diese Schatz, der für alle Lebensbereiche des faltung, Politik und Ökonomie. So kann schärfung für den Augenblick – soeben der in der Refl exion von Vergangenem Disruptionen im Verbund mit Passagen Menschen Früchte trägt, weil die Gabe, die Beschäftigung mit dem Leben und erklungen, schon verklungen – bilden auf das Kommende, noch Unbekannte weltvergessener Zartheit kündigen sich die jedes Neugeborene mit auf die Welt Werk von Ludwig van Beethoven eine für diese Hoff nung einen guten Nähr- vorbereitet? Ein Freund und profunder eben oft nicht an und sorgen für ein bringt, die erwachende Neugier in der Inspiration für die gesellschaftspoliti- boden. Kenner des Beethoven’sches Œuvre gab Wechselbad der Gefühle. Ein Wechsel- Wahrnehmung der Umwelt, essenziell schen Fragen unserer Zeit sein. Als gesellschaftspolitischer Kompass mir den Rat des »spannungsvollen In- bad, dem ich mich anfangs versperrte, für unser Zusammenleben ist. Die ange- An erster Stelle steht eine Beschäf- gilt die Erkenntnis von Ludwig van nehaltens«. Welch ein aktueller Bezug weil ich diese Disruptionen in einer ver- borene Neugier eines jeden Menschen tigung mit den Quellen und erst weit Beethoven: »Musik ist höhere Off enba- zu unserer derzeitigen Situation. meintlich »schönen« Linie ja nicht nur auf seinem Lebensweg zu erhalten und danach mit den Interpretationen, den rung als alle Weisheit und Philosophie.« Vielleicht liegt mein Zögern auch nicht verstand, sondern sie zunehmend zu befördern, gehört in unserer Zeit zu Zuschreibungen und den Vereinnah- nur an meiner musikalischen Prägung, sonderbar bis abstoßend fand. Erst sehr den zentralen Herausforderungen für mungen, wie wir sie gerade im aktuellen Christian Höppner ist Generalsekre- die seit dem . Lebensjahr wesentlich viel später wich meine Verweigerungs- den gesellschaftlichen Zusammen- Jubiläumsjahr erleben. Vereinnahmun- tär des Deutschen Musikrates und durch das reiche kirchenmusikalische haltung einer zunehmenden Neugier halt. Beethovens von der Aufklärung gen, die manchmal in ihrer naiven Sim- Präsident des Deutschen Kulturrates Leben in der evangelischen Kirche Ber- auf das Unbekannte, auf das Fremde, geprägte Hoff nung »Alle Menschen plifi zierung, ihrer politischen Instru- a. D. Er unterrichtet Violoncello an der lin-Neu-Westend, wozu die sonntägli- auf das Verstörende. werden Brüder« ist ein Mosaikstein in mentalisierung und ihrer merkantilen Universität der Künste Berlin Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 15

Kulturelle Teilhabe durch innovative Preiskonzepte steigern Forschungsprojekt an der heißt es in Artikel  der Allgemeinen marketing, Beate Flath, Juniorprofesso- Teilhabe steigert. »Gründe dafür sind erfolgt in einer -monatigen Pilotie- Universität Paderborn Erklärung der Menschenrechte: »Jeder rin für Eventmanagement, und Dennis beispielsweise die trotz Rabattierung rungsphase. So werden die Preiskon- Mensch hat das Recht, am kulturellen Kundisch, Professor für Wirtschaftsin- als zu hoch empfundenen Preise, eine zepte gemeinsam mit kulturwirtschaft- Leben der Gemeinschaft frei teilzuneh- formatik, gemeinsam mit Mitarbeiterin- mangelnde Miteinbeziehung der Ad- lichen und kulturpolitischen Instituti- BEATE FLATH men, sich an den Künsten zu erfreuen nen und Mitarbeitern den Einfl uss von ressaten und Adressatinnen in die onen sowie mit den unterschiedlichen und am wissenschaftlichen Fortschritt innovativen und ökonomisch nachhal- Preisgestaltung oder die Stigmatisie- Gruppen der Verbraucherinnen und ulturelle Teilhabe ist die zent- und dessen Errungenschaften teilzu- tigen Preiskonzepten auf die kulturelle rung der sozial Benachteiligten im Be- Verbraucher unter kontrollierten Be- rale politische Währung unserer haben.« Teilhabe. Neben dem Caritasverband zahlprozess«, so Projektleiterin Nancy dingungen entwickelt. K Zeit, einer Zeit, in der sich im- Dass dennoch nicht alle Menschen Paderborn sind Kulturbetriebe im Wünderlich. Ziel des Projektes ist es, die Ergeb- mer größere Gruppen von Menschen in vollem Umfang am kulturellen Leben Kreis Paderborn mit unterschiedlichem Vor diesem Hintergrund werden in nisse auch für nicht am Projekt teilneh- ökonomisch, sozial und kulturell »ab- teilnehmen können, kann unterschied- rechtlichen Status, unterschiedlicher der ersten Phase des Projektes über mende Kulturbetriebe zugänglich zu gehängt« fühlen, Populismen zuneh- liche Gründe haben. Untersuchungen Größe sowie unterschiedlichem Ange- Interviews mit verletzlichen Verbrau- machen und sie entsprechend aufberei- mend das politische Geschehen prägen zeigen, dass, neben mangelndem Inte- bot Kooperationspartner des Projektes. cherinnen und Verbrauchern sowie mit tet im Rahmen von deutschlandweiten und mit Ängsten Politik gemacht wird. resse, mangelnder Mobilität oder feh- Dazu gehören das Theater Paderborn – Verantwortlichen der kooperierenden Workshops sowie auf einer interaktiven Pierre Rosanvallons Projekt »Das Par- lender Zeit, ein zu hoher Ticketpreis Westfälische Kammerspiele, das Kino Kulturbetriebe preisbezogene Hemm- Website zur Verfügung zu stellen. Die- lament der Unsichtbaren«, das interkul- ein zentrales Hemmnis darstellt. In Ab- Pollux by Cineplex, das Heinz Nixdorf nisse kultureller Teilhabe sowie die ses Forschungsprojekt soll nicht nur turelle, interreligiöse und interdiszi- hängigkeit vom jeweiligen kulturellen MuseumsForum, der Musikclub Wohl- Einstellung zu bzw. die Akzeptanz von dazu beitragen, dass mehr Menschen plinäre Musikprojekt »TRIMUM« des Angebot adressieren Maßnahmen zur sein sowie das Kulturamt der Stadt Pa- unter anderem partizipativen Preismo- am kulturellen Leben teilhaben kön- Komponisten Bernhard König und vie- Steigerung der kulturellen Teilhabe derborn und der Kreis Paderborn. dellen, Spenden oder kostenlos zur Ver- nen, sondern auch, dass Ergebnisse le weitere Initiativen und Projekte, sie daher direkt oder indirekt diese Ein- Der Fokus des Forschungspro- fügung gestellten Tickets erhoben und wissenschaftlicher Forschung dem alle verfolgen mit unterschiedlichen fl ussgröße. Preiskonzepten kommt da- jektes liegt dabei auf der Steigerung Parameter ihrer möglichen Umsetzung gesellschaftlichen Miteinander zugu- Formaten das Ziel, kulturelle Teilhabe bei insofern eine besondere Bedeutung kultureller Teilhabe von sogenann- erarbeitet. Gemeinsam mit Daten zur tekommen. zu fördern. Denn ein lebendiges, freies zu, da sie als wichtigstes absatzpoliti- ten »verletzlichen Verbrauchern« bzw. Spendenbereitschaft sowie Partizipati- und vielfältiges Kunst- und Kulturle- sches Instrument von Kulturbetrieben »verletzlichen Verbraucherinnen«, also onsbereitschaft von Personen, die nicht Beate Flath ist Juniorprofessorin für ben sowie die uneingeschränkte kul- unmittelbar kulturelle Teilhabe beein- Menschen mit geringem ökonomischen, zur Gruppe der verletzlichen Verbrau- Eventmanagement mit den Schwer- turelle Teilhabe aller Bürgerinnen und fl ussen können. sozialen, kulturellen und symbolischen cherinnen und Verbraucher gehören, punkten Populäre Musik, Medien und Bürger sind konstitutiv für ein gelun- Genau diesem Zusammenhang wid- Kapital, die nicht oder nur in einem sind diese Ergebnisse Ausgangspunkt Sport am Fach Musik der Universität genes gesellschaftliches Zusammenle- met sich ein vom Bundesministerium sehr geringen Ausmaß am kulturellen für die Erarbeitung von Preiskonzepten. Paderborn ben. Mehr noch, kulturelle Teilhabe ist für Bildung und Forschung geförder- Leben teilnehmen können. Obwohl Dabei ist das primäre Kriterium, dass ein Menschenrecht und zielt als kultur- tes, transdisziplinäres Forschungs- Kulturbetriebe über eine entspre- diese sowohl die kulturelle Teilhabe Weitere Informationen zum Projekt »kul- und gesellschaftspolitisches Anliegen projekt an der Universität Paderborn. chende Preispolitik, wie beispielswei- erhöhen als auch für Kulturbetriebe turPreis. Steigerung der kulturellen Teil- auf die Partizipation an kostenpfl ich- Seit November  erforschen Nancy se Rabattierungen, ihrem kulturpoliti- wirtschaftlich umsetzbar sein sollen. habe mittels innovativer und ökonomisch tigen und kostenlosen, formellen und Wünderlich, Professorin für Dienstleis- schen Auftrag nachkommen, zeigt sich, Die Evaluierung und Adaptierung die- nachhaltiger Preiskonzepte« unter blogs. informellen kulturellen Angeboten. So tungsmanagement und Technologie- dass dies nicht immer die kulturelle ser Preiskonzepte im laufenden Betrieb uni-paderborn.de/kulturpreis/

Hochladen, verlinken, einbetten Verwertungsrechte II

ROBERT STAATS wurde. So hatte eine Schule in Nord- rhein-Westfalen auf ihrer Website das as zentrale Recht für Nut- Referat einer Schülerin veröff entlicht, zungen im Internet ist das das eine im Internet frei verfügbare Fo- »Recht der öff entlichen Zu- tografi e der Stadt Cordoba enthielt. Da D gänglichmachung«. Dieses eine Zustimmung des Fotografen nicht Recht ist im internationalen, europä- vorlag, ist der Europäische Gerichtshof ischen und nationalen Urheberrecht (EuGH) von einer Urheberrechtsverlet- seit Langem anerkannt. Dennoch treten zung ausgegangen (EuGH, Urteil vom immer wieder Zweifelsfragen auf, ob .. – C-/). bestimmte Nutzungen oder Techniken Das »Verlinken«, also das Setzen ei- als öff entliche Zugänglichmachungen nes Hyperlinks, wird dagegen für sich anzusehen sind. Es gibt mittlerweile genommen nicht als öff entliche Zugäng- eine Vielzahl von Entscheidungen des lichmachung angesehen. Das hatte der Europäischen Gerichtshofs und der Bundesgerichtshof (BGH) bereits sehr

deutschen Gerichte, die sich mit der früh – im Jahr  – entschieden (BGH, UNION EUROPÄISCHEN DER GERICHTSHOF FOTO: Thematik befassen. Es geht dabei für Urteil vom .. – I ZR /) und Derzeit liegt dem EuGH ein Framing-Fall der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst vor die Gerichte stets darum, die Interes- daran hat sich aufgrund der Rechtspre- sen der Urheber und Rechtsinhaber mit chung des EuGH im Ergebnis auch wenig heberrechtsverletzung darstellt. Das von Bibliotheken für einen bestimm- laubnis vor, so handelt es sich um eine den Interessen der Nutzer abzuwägen geändert. Allerdings kann das Verlinken Gericht hat deshalb dem EuGH diese ten Zeitraum einem einzelnen Nutzer Urheberrechtsverletzung des Nutzers. und in einen angemessenen Ausgleich auf ein rechtswidrig ins Netz gestell- Frage zur Entscheidung vorgelegt (BGH, zur Verfügung gestellt wird. In diesem Umstritten war aber stets, inwieweit zu bringen. Ob dies immer gut gelingt, tes Werk ebenso eine Urheberrechts- Beschluss vom .. - I ZR /). Fall hat der EuGH – für einige überra- die Plattformen selbst eine Verantwort- ist eine andere Frage und hängt – na- verletzung sein, wie das Setzen eines Wie aber verhält es sich bei dem schend – die Nutzung nicht dem Recht lichkeit für rechtswidrig zur Verfügung türlich – auch von der Perspektive des Links auf Seiten, die durch technische Angebot von »gebrauchten« E-Books der öff entlichen Zugänglichmachung gestellte Inhalte triff t. Hier hat der eu- Betrachters ab. Im Folgenden einige Maßnahmen gegen einen freien Zugriff auf einem Internetportal? Hier hat der zugeordnet, sondern dem Verleihrecht ropäische Gesetzgeber in der Richtlinie – ausgewählte – Beispiele: geschützt sind. EuGH im Dezember  entschieden, (EuGH, Urteil vom .. – C-/). über das Urheberrecht im digitalen Bin- Wer ein urheberrechtlich geschütz- Vergleichbare Fragen wie beim Ver- dass ein zustimmungsbedürftiger Akt Automatisch erlaubt war das E-Lending nenmarkt – »DSM-Richtlinie« –, die vor tes Werk im Internet hochlädt, macht linken stellen sich auch beim soge- der öff entlichen Zugänglichmachung damit allerdings nicht. Denn auch beim einem Jahr verabschiedet wurde, eine es öff entlich zugänglich und bedarf in nannten »Framing«, bei dem geschützte vorliegt (EuGH, Urteil vom .. Verleihrecht ist die Einwilligung des wichtige Regelung geschaff en, auf die der Regel der Einwil- Werke, die auf einer – C-/). Dieses Urteil war mit beson- Rechtsinhabers erforderlich, wenn nicht in einem späteren Beitrag noch näher ligung des Rechts- Internetseite zur derer Spannung erwartet worden, weil eine gesetzliche Ausnahmeregelung An- einzugehen sein wird. inhabers. Das gilt in Verfügung stehen, sich die Frage stellen konnte, ob nach wendung fi ndet. Das ist in Deutschland gleicher Weise für auf der Seite eines dem ersten Verkauf von E-Books die bisher für das E-Lending nicht der Fall; Robert Staats ist Geschäftsführendes Anbieter von Stre- Dritten »eingebet- Werke frei weiterverbreitet werden dür- lediglich die Ausleihe von körperlichen Vorstandsmitglied der VG Wort und aming-Plattformen tet« werden. Derzeit fen – sogenannte »Erschöpfungswir- Werkexemplaren ist aufgrund der Er- Vorsitzender des Fachausschusses Ur- wie Netfl ix oder Spo- liegt dem EuGH ein kung«. Bei körperlichen Werkexempla- schöpfungswirkung zulässig und mit der heberrecht des Deutschen Kulturrates tify, für Teilnehmer Fall vor, in dem die ren, wie gedruckten Büchern, tritt eine Bibliothekstantieme zu vergüten. von »Peer to Peer«-Netzwerken oder Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst solche Erschöpfungswirkung stets ein, Ein Akt der öff entlichen Zugäng- für Inhaber einer eigenen Website. Die- von der Deutschen Digitalen Biblio- wenn sie mit Einwilligung des Rechtsin- lichmachung liegt schließlich auch ser Grundsatz dürfte mittlerweile auch thek verlangt hat, lizenzierte Bilder habers in Verkehr gebracht worden sind. vor, wenn urheberrechtlich geschützte INFO allseits bekannt sein. Weniger bekannt mit technischen Schutzmaßnahmen Bei digitalen Werken hat der EuGH dies Werke auf YouTube, bei Facebook oder ist aber möglicherweise, dass eine Ein- gegen Framing zu schützen. Ein sol- zu Recht anders gesehen. auf sonstigen Social-Media-Plattfor- Robert Staats erläutert in jeder Aus- willigung auch dann erforderlich ist, cher Anspruch kommt nach Ansicht Die Frage der Vergleichbarkeit der men von Nutzern hochgeladen werden. gabe von Politik & Kultur prägnant wenn das genutzte Werk zuvor von dem des BGH aber nur in Betracht, wenn Nutzung von analogen und digitalen Fehlt es dabei an der Einwilligung des und verständlich einzelne Aspekte Rechtsinhaber selbst auf einer anderen Framing unter Umgehung von tech- Werken stellte sich auch beim sogenann- Rechtsinhabers und liegt auch keine des Urheberrechts. Lesen Sie alle Internetseite frei zur Verfügung gestellt nischen Schutzmaßnahmen eine Ur- ten »E-Lending«, bei dem ein E-Book freie Benutzung oder gesetzliche Er- Beiträge unter: bit.ly/lQhKk 16 INLAND www.politikundkultur.net

Jüdische Kulturarbeit auf Tour Jo Frank über das Wir fragen, wo wir uns in der dass sie einen Tag nach dem rende und Künstlerinnen Künstlerinnen und Künstlern Was wäre ein Kunstwerk, das neue Vermittlungs- großen Gemengelage befi nden, Anschlag bei uns waren – auch und Künstler wie »DAGESH«. in Deutschland und zur Ver- sich für eine solche Diskussi- aber auch, wie wir Gesellschaft um Halt zu bekommen und  wurde zudem mit mittlung jüdischen Lebens in on anbieten würde? programm des Ernst gestalten können. Uns macht das Gefühl der Geborgenheit »Karov-Qareeb« ein jüdisch- Deutschland und Europa. ELES und das Jüdische Museum Ludwig Ehrlich daher dies beides aus: Zum ei- zu haben. Alle, denke ich, die muslimischer Think Tank Wir haben mit »DAGESH« Berlin haben den »DAGESH«- Studienwerks nen Traditionsbewusstsein auf beim Festakt waren, haben den initiiert. Nun gibt ein neues bisher viel auf die Beine ge- Kunstpreis ins Leben gerufen, der religiösen Ebene und was Raum später mit dem Gefühl Programm, das jüdische Kul- stellt, etwa im Dezember  mit dem junge jüdische Künst- die Pfl ege jüdischen Lebens verlassen, dass es eine starke tur vermitteln soll. ein Festival im Literaturhaus lerinnen und Künstler für eine Im Mai  sind es  Jahre, betriff t, zum anderen Off enheit Resilienz in der jüdischen Ge- Es heißt »DAGESH on tour« Berlin mit knapp  jüdi- Arbeit ausgezeichnet werden. dass die alliierten Truppen der für unsere Gesellschaft und der meinschaft gibt. Aber man hat und ist auf zweieinhalb Jahre schen Autoren, Filmemachern  wurde die Installation NS-Herrschaft in Deutschland Wunsch, sie mitzugestalten. auch eine Gemeinschaft erlebt, angelegt. Wir arbeiten aber mit und Schauspielern, um über »Open, Closed, Open« prämiert, und Europa ein Ende berei- die lautstark einfordert, an dem Ziel, das Ganze zu ver- verschiedene Dimensionen ein Kooperationsprojekt des teten. Doch auch nach einem Wen fördert ELES? gesellschaftlichen Prozessen stetigen. Wir sind davon über- jüdischer Literaturproduktion Produktdesigners Yair Kira, der Dreivierteljahrhundert sind Jüdinnen und Juden aus der beteiligt zu werden, und die zeugt, mit »DAGESH on tour« zu sprechen. Wir bieten Künst- bildenden Künstlerin Liat Gray- der Rassismus und Antisemi- Bundesrepublik beziehungs- sagt, dass sie auch Verantwor- ein Tool gefunden zu haben, lerinnen und Künstler zudem ver und des Komponisten Amir tismus, den die Nazis verbrei- weise der Europäischen Uni- tung für sich und für andere das es bisher noch nicht gab Seminare und Workshops an, Shpilman. Die Installation ver- teten, noch oder wieder in Tei- on. Ich will hinzufügen, dass übernehmen will. und das eine große Zukunfts- die sie vernetzen und bei de- bindet Medienkunst, Robotik, len der deutschen Gesellschaft unsere Stipendiatinnen und chance besitzt. nen sie auch besprechen sollen, Raum, Licht und Klang mit der wirksam. Zivilgesellschaftliche Stipendiaten, bedingt durch die Was sagen Sie zur AfD? woran sie arbeiten. Für uns Interaktion der Besucherinnen Akteure – wie der Künstler Gun- Geschichte der jüdischen Ge- Das Erstarken einer rechts- Das neue Programm hat also spielt diese Schnittstellenar- und Besucher und dreht sich ter Demnig mit seinem Projekt meinschaft in Deutschland und extremistischen Partei in schon begonnen? beit eine wichtige Rolle – hier um die Frage, was Jüdischsein »Stolpersteine«, die als kleine, in Deutschland und der Rechts- Die Vorbereitungen laufen die Schnittstelle zwischen in der Gegenwart bedeutet. Das Boden gefasste Gedenktafeln an ruck in Europa haben natürlich schon länger. Jetzt hat uns Kunst und Gesellschaft. Dazu wäre ein solches Kunstwerk, Einzelschicksale von Opfern der direkte Auswirkungen auf uns allerdings das Coronavirus gehört die Produktion, aber das uns Anlass für Fragen und NS-Zeit erinnern, – nehmen dies und unsere Stipendiatinnen ausgebremst. Wie viele andere auch die Rezeption von Kunst. Befragung bietet, in dem wahn- jedoch nicht hin und leisten Bil- und Stipendiaten. Ihr Erstarken sind auch wir dabei, Teile des sinnig viel über jüdisches Leben dungs- und Aufklärungsarbeit. ist auch ein deutliches Zeichen, Programms vorübergehend in Können Sie das konkreti- zu lernen ist. Auch die Politik handelt:  dass viele Bemühungen der den digitalen Bereich zu über- sieren? wurde das Amt des Beauftragten vor allem seit der Implosion vergangenen  Jahre geschei- führen. Aber natürlich hoff en Unsere Veranstaltungen Kunstvermittlung als Akt der der Bundesregierung für jüdi- der Sowjetunion zu  Prozent tert sind. Wir müssen uns daher wir, dass der Alltag bald zu- haben uns gezeigt, dass die Selbstbegegnung und der sches Leben in Deutschland und einen Migrationshintergrund auf vielen Ebenen von Wunsch- rückkehrt, um das Programm in Kunst uns die Chance bietet, Aufklärung. den Kampf gegen Antisemitis- haben. Von den  Prozent vorstellungen verabschieden vollem Umfang in der digitalen innerjüdisch über jüdisches Und der Selbstermächtigung. mus eingerichtet. Im April  haben etwa  Prozent einen und uns mit den Realitäten und analogen Welt umzuset- Leben in Deutschland zu re- Wir wollen diskutieren, was gab zudem das Bundesministe- postsowjetischen Hintergrund. der Gesellschaft klarer und zen. Denn die reale Begegnung fl ektieren, aber auch jüdisches sonst nicht sichtbar genug ist: rium für Bildung und Forschung Und das prägt auch unsere ehrlicher befassen. Der Einfl uss und die gemeinsame Arbeit Leben in die Gesellschaft zu Wie ist eigentlich jüdisches (BMBF) bekannt, interdiszipli- Arbeit. Migrationserfahrung, der Rechtsextremistinnen und von Künstlern und Jugendli- vermitteln. Aus dieser Einsicht Leben? Welche Fragen werden näre Vorhaben zu fördern, die aber auch intergenerationelle Rechtsextremisten ist kein chen lassen sich durch digitale haben wir mit »DAGESH on in der jüdischen Gemeinschaft Ursachen und Verbreitung von und identitätsgebundene Fra- peripherer. Sie haben bereits Formate nicht ersetzen. tour« einen pädagogischen refl ektiert? Wir fragen aber Antisemitismus untersuchen gen spielen hier eine wichtige realen Einfl uss auf politische Zweig aufgebaut und sind auch: Gibt es Schnittpunkte und Gegenmaßnahmen entwi- Rolle: Was heißt es, wenn ich Prozesse, auf Bildungs- und Bevor wir über »DAGESH on jetzt dabei, ihn weiterzuent- zu anderen Gemeinschaften? ckeln. Für  bis  sollen aus einem Land komme, das es kulturelle Programme – und tour« sprechen: Was macht wickeln: Es soll darum gehen, Migration ist hier ein gutes bis zu  Millionen Euro bereit- in der Gegenwart nicht mehr nicht zuletzt auf die Wahr- »DAGESH« aus? dass jüdische Künstlerinnen Beispiel, weil diese Erfahrung gestellt werden. Und wie setzen gibt? Wie ist meine Beziehung nehmung Deutschlands im DAGESH ist ein einmaliges und Künstler Jugendliche in eine ist, die die jüdische Ge- sich jüdische Künstlerinnen und zu den Staaten, die Nachfolge- Ausland. Letzterer Punkt ist Netzwerk jüdischer Künstle- Ateliers, Schulen, aber auch meinschaft mit anderen in Künstler mit Rassismus und An- staaten der Sowjetunion sind? für uns stets ein Thema in den rinnen und Künstler in Europa. in Bildungseinrichtungen einer Einwanderungsgesell- tisemitismus auseinander? Jo Was ist meine Beziehung zu Diskussionen mit unseren Es sucht mit Ausstellungen, anderer Träger treff en, um schaft, wie Deutschland eine Frank ist Geschäftsführer des diesem Land, in dem ich jetzt internationalen Partnerinnen Lesungen, Filmen und Koope- über ausgewählte Kunstwerke ist, teilt. Das heißt: Wir suchen in Berlin ansässigen Ernst Lud- lebe, und zu Europa? Natürlich und Partnern. Das muss uns rationen den Austausch mit der und dadurch auch über jüdi- Gespräche, Austausch, Ausei- wig Ehrlich Studienwerks (ELES), ist auch Israel Gegenstand alle, uns als Gesellschaft, zum Gesamtgesellschaft. DAGESH sches Leben in Deutschland in nandersetzung und vor allem das eines von  Begabtenförde- unserer Bildungsarbeit. Es sind rungswerken in Deutschland ist, also komplexe Fragestellungen, die vom BMBF unterstützt wer- mit denen wir uns befassen. den. Behrang Samsami sprach Und genau da entsteht die mit Jo Frank über die Zielsetzung künstlerische Auseinander- von ELES, über den Umgang mit setzung, kommt ihr mit diesen der zunehmenden Polarisierung verschiedenen Fragestellungen in Politik und Gesellschaft und eine besondere Bedeutung zu. über »DAGESH on tour«, das neue Programm zur Vermittlung Wir erleben seit einigen Jah- jüdischer Gegenwartskultur in ren eine starke Polarisierung Deutschland. und Emotionalisierung der Politik und Gesellschaft. Die Behrang Samsami: Herr AfD sitzt in allen Landtagen Frank, Ihr Studienwerk steht und im Bundestag. Und im nach eigener Aussage für ein Oktober  versuchte ein traditionsbewusstes, plura- Rechtsextremist am höchs- listisches und weltoff enes ten jüdischen Feiertag Jom Judentum. Was heißt das? Kippur in eine Hallenser Sy- Jo Frank: Seit seiner Gründung nagoge einzudringen, um die hat sich bei ELES ein starkes Menschen dort zu töten. Da

Profi l herausgebildet. Im Vor- es ihm nicht gelang, tötete STUDIENWERK EHRLICH LUDWIG ERNST FOTO: dergrund stehen akademische er zwei Personen außerhalb Die multimediale Installation »Open, Closed, Open« wurde mit dem DAGESH-Kunstpreis ausgezeichnet Exzellenz und soziales Engage- des Gebäudes. Wie geht Ihr ment. Unser Studienwerk hat Studienwerk damit um? entschlossenen Einsatz ist also ein produktives jüdi- der Gegenwart ins Gespräch produktive Zusammenarbeit. sich damit zum wichtigsten Im Oktober  haben wir gegen rechts aufrütteln. sches Kultur-Netzwerk. Gleich- kommen. Das Format erlaubt So hoff en wir, einen Beitrag Ort jüdischer Intellektualität unser -jähriges Jubiläum Das, was wir bei ELES machen, zeitig ist es auch ein bildungs- Jugendlichen, sich ausführ- dazu zu leisten, dass sich mehr in Deutschland entwickelt mit einem großen Festakt mit ist den Stipendiatinnen und politisches Programm: Wir licher mit einem Kunstwerk Menschen vorstellen kön- und eine Art katalysatorische Hunderten von Gästen im Jüdi- Stipendiaten sowie ihren jewei- erleben bei unseren Stipen- zu befassen. Dadurch erhält nen, was jüdisches Leben in Wirkung für die Potenziale schen Museum Berlin gefeiert. ligen Communities zu sagen: diatinnen und Stipendiaten, das Werk auch den Charakter Deutschland ist. Damit zielen entfaltet, die in unseren Sti- Das war genau ein Tag nach In Anbetracht dieser Situation dass sie aus Klassenverbänden einer Projektionsfl äche: Jeder wir auch auf eine Veränderung pendiatinnen und Stipendiaten dem Anschlag in Halle. Sie gibt es mehrere Möglichkeiten, kommen beziehungsweise kann off en, das heißt, mit allen des Prismas von Shoah, Israel sind. Vielfalt ist uns dabei sehr können sich vorstellen, dass die mit dieser Situation umzuge- in Hochschulkontexten un- Fragen, aber auch Vorurteilen, und das im Unterricht Gelernte, wichtig. Wir fördern Jüdinnen Veranstaltung ein Drahtseilakt hen, aber die Möglichkeit, lei- terwegs sind, in denen es nur die vielleicht schon gegenüber das ich vorhin genannt hatte. und Juden mit unterschiedli- war: Zwischen dem Umgang ser zu werden, besteht für uns wenig Wissen über Jüdinnen jüdischem Leben angelegt sind, Langfristig sehen wir »DAGESH chen denominationellen Hin- mit der Trauer und der Wut, in nicht. Wir müssen im Gegenteil und Juden, über das Judentum an das Kunstwerk herantreten. on tour« als einen wichtigen tergründen, aber auch säkulare was für einer Gesellschaft wir lauter werden, Verbündete fi n- insgesamt gibt. Jüdinnen und Die Künstler und Pädagogen Beitrag in der Arbeit gegen An- Jüdinnen und Juden. Sie alle leben, in der so etwas möglich den und Beziehungen der Re- Juden werden weiterhin stark können Fragen beantworten tisemitismus. zusammenzubringen, heißt für ist, und der Würdigung unserer silienz aufbauen. Wir müssen durch das Prisma von Shoah, und mit den Jugendlichen dis- uns auch, »Pluralitätsarbeit« Arbeit und dem Einsatz für ein mehr selbst tun und auch mehr Israel und das wenige im Un- kutieren. Unseres Erachtens Vielen Dank. zu leisten und zu schauen, wie sichtbares und selbstbewusstes Aufmerksamkeit in Politik, terricht Gelernte gesehen. Mit hilft gegen die Einübung von wir bei den unterschiedlichen Judentum in Deutschland. Wirtschaft und Kultur für die lebendigem jüdischen Leben Vorurteilen gegenüber jüdi- Jo Frank ist Schriftsteller, Voraussetzungen gemeinsam Wir hatten Stipendiatinnen katastrophalen Auswirkungen hat das alles nicht viel zu tun. schen Menschen auch die Ein- Verleger, Übersetzer und Ziele realisieren können. Diese und Stipendiaten, die am Vor- auf dieses Land erzeugen. Und da setzt »DAGESH« an. übung von Realität – und diese Geschäftsführer des Ernst Ziele sind innerjüdische, aber tag in der Synagoge in Halle Es ist ein Programm, das auf Einübung von Realität geht Ludwig Ehrlich Studienwerks. auch solche, die auf die ganze waren und Angst um ihr Leben ELES hat Förderprogramme zwei Ebenen aufgebaut ist: über diskursive partizipative Behrang Samsami ist freier Gesellschaft ausgerichtet sind. hatten. Es war daher wichtig, für Studierende, Promovie- Zur Förderung von jüdischen Prozesse. Journalist Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INLAND 17

Jetzt in Zukunft? Nachhaltigkeitskultur als sei im Sinne einer Zukunftsfähigkeit gen Kulturmanagements erweitert, um nis, um eine gesellschaftliche Aufgabe, gen der Ökologie nicht zur Funktiona- Forschungsgegenstand mit dem ökologischen Fußabdruck zu durch Standardisierung den Stand der um eine notwendige Gestaltungskraft. lisierung von Kulturarbeit degradieren, harmonisieren. Entwicklung zu dokumentieren und Soziokulturelle Zentren sind in erster sondern existenzielle Themen in den zu forcieren. Ansinnen der Forschung Linie keine Wirtschaftsbetriebe, auch Fokus nehmen und dafür Rahmenbe- WOLFGANG SCHNEIDER ist auch eine Fortschreibung der Leit- wenn sie ein Großteil ihrer Einnahmen dingungen entwickeln. Die Forschung Entwicklung eines Nachhaltig- bilder durch die Sichtbarmachung selbst akquirieren müssen. Aus ihrer wird deshalb mit Sicherheit auch Kor- keitskodexes für Soziokulturelle ie deutsche Kulturlandschaft nachhaltiger Entwicklungen und die Geschichte heraus waren sie vor allem rekturen in der Kulturförderung an- Zentren ist geprägt von einer insti- Kommunikation des Wissenstransfers. Impulsgeber für Initiativen, die off en- tutionalisierten Infrastruk- Auf der Basis der empirischen Ergeb- Letztendlich geht es dann auch um sichtlich gefehlt haben, sie sind nach tur. Zumindest hat es den nisse entstand am Institut für Kultur- die Bündelung der Erfahrungen, die wie vor Seismografen für Fehlentwick- D Die Freiheit kulturel- Anschein, wenn man die wenigen kul- politik der Universität Hildesheim ein Nutzbarmachung der qualitativen und lungen, die sich derzeit insbesondere in turpolitischen Debatten in den Feuil- Forschungsprojekt, das sich mit der quantitativen Empirie für das Netzwerk Intoleranz und Respektlosigkeit, Natio- ler Ausdrucksformen letons verfolgt. Immer wieder gerne Entwicklung eines Nachhaltigkeits- der Soziokulturellen Zentren, aber auch nalismen und Rassismus ausdrücken, sie mit dem ökologi- wird dort mit den Neu- und Umbauten kodexes für Soziokulturelle Zentren im besten Falle darüber hinaus für die könnten wieder Agora sein für jene, die schen Fußabdruck von Theatern getitelt und es wird über beschäftigt und Erkenntnisse aus der gesamte Kulturlandschaft. ansonsten nicht Gehör fi nden und kaum Museen berichtet, die zunächst privat Praxis generiert, die den Ansprüchen Zugänge zur Kulturlandschaft haben. harmonisieren gestiftet und später im laufenden Be- der Sustainable Development Goals der Der »Selbstversuch: Klimaneutrale Auf den Spuren ressourcen- trieb kommunal fi nanziert werden. In Vereinten Nationen ebenso entspre- Veranstaltungen in der soziokulturel- schonender Verhaltensverände- der Tat ist es auch der Staat, der wie chen wie der Deutschen Nachhaltig- len Praxis«, ein Projekt von NK, dem mahnen, die Stärkung kultureller Bil- rungen in den feudalen Zeiten auf Immobili- keitsstrategie. Es sollen branchenspezi- Netzwerk Nachhaltigkeit in Kunst und dung für nachhaltige Entwicklung als en setzt, vor allem auf repräsentative fi sche Indikatoren entwickelt, Leitbilder Die Ausgangsüberlegungen haben viel Kultur, gefördert vom Fonds Soziokul- kultur- und bildungspolitischer Auftrag wie das Humboldt Forum als haupt- zur Diskussion und Kulturschaff ende mit den aktuellen Aktivitäten der sozio- tur, ist integraler Bestandteil der Hil- fordern und für Kulturentwicklungspla- städtisches Flaggschiff , für das gleich zur Mitwirkung motiviert werden. Der kulturellen Akteure zu tun, die sich seit desheimer Untersuchungen und zeigt, nungen als Instrument mit nachhaltiger ein ganzes Schloss aus dem Boden ge- Rat für nachhaltige Entwicklung fördert geraumer Zeit um Fragen der Biogast- was im lokalen Kleinen für das große Wirkung plädieren. stampft wird – oder war es umgekehrt? die zweij ährige Studie, Soziokulturelle ronomie kümmern, über die Mobilität Ganze möglich ist. Das betrifft die Kristina Gruber, eine der beiden Aber auch die alternative Kultur weiß Zentren und ihr Bundesverband sind ihrer Teilnehmenden als Umweltfak- CO-Bilanz ebenso wie den nachhal- Projektleitenden, pointiert in ei- die normative Kraft des Faktischen zu Partner des Projekts; denn sie könnten tor nachdenken, Kriterien für weitere tigen Konsum, aber auch das kreative nem internen Zwischenbericht den nutzen. Die Soziokultur produziert von als Modell dienen, da sie schon immer klimafreundliche Abläufe, z. B. auch in Potenzial künstlerischer Interventio- Anspruch des Forschungsprojekts: Anbeginn ihrer Erfi ndung programma- nah dran waren an gesellschaftlichen Beschaff ung und Beschaff enheit von nen. Auch im benachbarten Programm »Ein gemeinsames Nachhaltigkeits- tisch Projekte in alter Bausubstanz, sie Transformationsprozessen, mittendrin Materialien, entwickeln sowie ande- der Stiftung Niedersachsen, das mit verständnis für die Soziokultur bzw. besetzen Fabrikgebäude, ehemalige sind, was die Selbstermächtigung von re ressourcenschonende Verhaltens- »SozioK_Change« den Generationen- für die gesamte Kulturlandschaft Schlachthöfe und andere Leerstände. Menschen betriff t, und den kulturpoliti- veränderungen anstreben. Fast ein wechsel in Soziokulturellen Zentren ist Grundlage für die Entwicklung Aber wer macht sich eigentlich schen Auftrag wahrnehmen, Teilnahme Viertel der befragten Soziokulturellen befördert, zeigt sich, wie neue Publi- gemeinsamer Werte und Schaff ung Gedanken um die Zukunftsfähigkeit und Teilhabe zu gewähren. Zentren formuliert Reduktionsziele, kumsschichten erschlossen und wie die nachhaltiger Strukturen.« Und Davi- all dieser Entwicklungen? Wer sorgt Das Forschungsdesign umfasst fünf von der Verringerung des Strom- und veränderten Bedingungen in der ehren- de Brocchi, der andere wissenschaft- sich um die Nachhaltigkeit in der öf- Handlungsansätze, die mittels Work- Energieverbrauchs, von der Nutzung amtlichen Arbeit berücksichtigt wer- lich Verantwortliche, schreibt in einer fentlichen Kulturförderung? Wer hat shops vor Ort, Seminaren mit Studie- energieeffi zienter Lichttechnik, von der den müssen. Off ensichtlich geht es um »Zeitdiagnose« auf der Online-Seite hierzu strategische Überlegungen, renden und Interviews mit Experten zu Reduzierung des Papierbedarfs, der Ver- mehr als Quantitäten, dieses Phänomen von »Spektrum der Wissenschaft« am Visionen, vor allem Konzeptionen? meidung von Plastikmüll und der Ein- einer konzeptionellen Weiterentwick- . April  aus aktuellem Anlass: Die Christian Müller-Espey hat mit einer sparung beim Heizen. Alle Zentren sind lung setzt auf Qualitäten. Eine weitere Corona-Krise »könnte durchaus eine Untersuchung nachhaltiger Strukturen selbstverständlich an energetischen Grundlage der Forschung wurde im Rah- Chance sein. Die Menschen erfahren Soziokultureller Zentren promoviert Wer sorgt sich um Sanierungen interessiert, die meisten men eines sogenannten Salongesprächs gerade, was überfl üssig ist, was über- und über den Reformbedarf nachge- die Nachhaltigkeit sind damit permanent beschäftigt und der Darmstädter Schader-Stiftung ge- lebenswichtig. (…) Der Gesundheit der dacht. Sie ist  erschienen unter in der öff entlichen viele in der ständigen Erwartung, dass schaff en, bei der ein Branchenkodex für Menschen wird ein höherer Stellen- dem Titel »Zukunftsfähigkeit gestal- sich dies in den kommunalen und Län- kleinere und mittlere Kultureinrichtun- wert beigemessen als dem Wirtschafts- ten«. Gesellschaftspolitik und Nach- Kulturförderung? derförderungen niederschlägt. gen Gegenstand der Erörterungen war, wachstum oder der ›schwarzen Null‹. haltigkeitsdiskurse seien zwar schon Für die Ausgestaltung eines bran- bei der die Einbindung in kommunale Dies sollte auch für das Klima und theoretisch erörtert, aber eher kaum chenspezifi schen Nachhaltigkeitsko- Strategien überlegt und konkretisiert die Erde gelten«. Die Ergebnisse aus praktiziert, geschweige denn von den untersuchen sind. Zunächst gilt es, die dexes für Soziokulturelle Zentren gibt wurde, auch dahingehend, welcher bun- der Nachhaltigkeits-Kulturforschung Trägern der Einrichtungen diesbezüg- Prozesse nachhaltiger Entwicklung im es gute Gründe und sie sind nicht nur desweiter Programme es bedürfe, um werden Ende des Jahres veröff entlicht, lich kulturpolitisch gefordert. Kulturbetrieb zu evaluieren und bera- durch ein verändertes Verständnis im erfolgreich Nachhaltigkeit zu befördern. aller Voraussicht nach noch rechtzeitig, Das Desiderat wird wissenschaft- tende Begleitung zu unterstützen. Die Ressourcenverbrauch ableitbar. In der um Zivilgesellschaft und Kulturpolitik lich belegt, die Perspektiven werden Beispiele guter Praxis entwickeln zu- Selbstdarstellung des Forschungspro- bei Thematisierung, Orientierung und Vorschläge für Korrekturen grundlegend formuliert. Kulturarbeit dem durch kulturelle Bildungsangebote jekts wird mit dem Titel »Jetzt in Zu- Qualifi zierung auf nachhaltigeren We- in der Kulturförderung müsse in allernächster Zeit ganz an- ein Programm zur Nachhaltigkeit, das kunft« geworben; denn es geht nicht nur gen zu begleiten. ders aussehen, besser noch: ausge- auch bei den Zielgruppen für nachhal- um das Nachhaltige in der Soziokultur, Die Infrastrukturen sind von gestern, richtet sein. Neue Ziele, Kriterien und tige Verhaltensweisen sensibilisieren es geht auch um die Perspektiven des die Kultureinrichtungen kämpfen heute Wolfgang Schneider ist Gründungs- Methoden gelte es zu etablieren. Die soll. Die statistische Berichterstattung Wirkens und für die Werke in der Kul- um das Überleben, weshalb es Konzep- direktor des Instituts für Kulturpolitik Freiheit kultureller Ausdrucksformen wird um die Wirkungsfelder nachhalti- turarbeit, um ein zukünftiges Verständ- tionen für morgen braucht, die die Fra- der Universität Hildesheim

Die Kultur des Sterbens

Trauern während der vielleicht möglich. Das alles ist unter Pfl egeheimleitungen, doch stellt sich benen gedacht, sein Leben wird mit len. Zudem sind Trauergemeinden Pandemie Corona-Bedingungen kaum oder gar die Frage, ob wir nicht auf dem Weg der christlichen Glaubensbotschaft sehr diszipliniert und halten sich an nicht möglich. Angehörige dürfen sind, Hochrisiko-Patienten zu Tode zu verbunden, sein Leib wird in die Erde verabredete Regeln. Und käme es doch nicht mehr in Pfl egeheime und Kli- retten. Eine schnelle Antwort gibt es und seine Seele in Gottes Hand gelegt. zu einer Infektion, ließen sich die JOHANN HINRICH CLAUSSEN niken gehen. Seelsorgern ist auch der nicht, sie müsste mit medizinischen Gemeinsam konfrontiert man sich Teilnehmenden schnell identifi zie- Hausbesuch nicht gestattet. Dabei ist und pfl egerischen Experten erarbeitet mit der Endlichkeit des Lebens, auch ren. Ich selbst habe in der Woche vor Zu einer lebendigen Kultur gehört der persönliche Besuch hier durch werden. Aber dies wäre unerlässlich, des eigenen, miteinander sucht man Ostern eine Beerdigung unter Corona- auch eine menschenfreundliche und nichts zu ersetzen: Am Telefon kann denn wie es um die Kultur eines Lan- nach Trost und Hoff nung. Auch das Bedingungen gehalten. Das stand mir würdevolle Kultur des Sterbens, des man mit dementiell veränderten Men- des steht, zeigt sich nicht nur daran, ist zurzeit nur sehr eingeschränkt ziemlich bevor, war dann aber doch Todes und der Trauer. Auch sie wird schen nicht kommunizieren, über den zu welchen künstlerischen Höchst- oder gar nicht möglich. Die aktuellen eine überraschend schöne Erfahrung durch die Corona-Pandemie und die Laptop einen Sterbenden nicht trös- leistungen sie in der Lage ist, sondern Traueranzeigen sagen es unmiss- – für diejenigen, die dabei sein durften. Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ten oder – was besonders beglückend auch daran, wie sie mit denen umgeht, verständlich: »Wegen der aktuellen Für viele andere aber dürfte das Ver- massiv in Mitleidenschaft gezogen. ist – von ihm Trost empfangen. die im Verborgenen sterben. Bedingungen erfolgt die Beisetzung bot einer richtigen Beerdigungsfeier Das »social distancing« soll Leben ret- Natürlich gibt es gute Gründe für im kleinsten Familienkreis.« Oft geht einen herben Verlust darstellen, der ten. Aber es betriff t – verletzt – auch die Kontaktverbote, und die Kirchen nicht einmal mehr das, weil Angehö- sich ebenfalls später nicht wiedergut- die Art, wie Menschen sterben und sind gut beraten, den Empfehlungen rige nicht anreisen können oder die machen lässt. dann aus dem Leben verabschiedet der Fachleute zu folgen. Wie sollen Kernfamilie mehr als sechs Personen Gegenwärtig wird häufig darüber werden. Über die Jahre haben wir Krankenhausseelsorgerinnen sonst umfasst. Eine Kirche oder Kapelle darf gesprochen, was denn das Gute an der gelernt und eingeübt, was sterbende, von Klinikleitungen, Ärzte- und nicht genutzt werden. Nur am off enen Pandemie ist. Mir geht das meist zu fl ink besonders hochbetagte und demen- Pfl egerschaft als vertrauenswürdige Grab dürfen biblische Texte gelesen, und klingt mir oft nach billigem Trost. tiell veränderte Menschen brauchen: Kolleginnen anerkannt werden? Aber ein Lied gesungen, Gebete gesprochen, Aber in diesem Fall könnte es hoff ent- die menschliche Nähe, ein zuge- es gibt auch sehr gute Gründe, hier Ähnlich ist es mit der Bestattungs- der Erdwurf vollzogen, ein Segen ge- lich doch etwas Gutes im Schlechten wandtes Gesicht, eine freundliche über einen schrittweisen Ausstieg aus kultur. Hier hat sich in den vergan- spendet werden. Aber nur kurz und im geben, nämlich dass das Bewusstsein Berührung. Über die Jahre haben wir dem Ausstieg nachzudenken. Denn genen Jahren schon viel verändert. Stehen. Dabei wäre die Nutzung einer wieder dafür geweckt wird, dass zur Kul- auch gelernt und eingeübt, was eine die seelischen Folgen sind hart. Oft Das Bewusstsein dafür, was an einer Kapelle eigentlich sinnvoller: Sie ist tur eines Landes auch eine angemessen sorgsame Sterbebegleitung bedeutet: lassen sich die Schäden, die durch würdigen Beerdigung gut sein kann, ein seelsorgerlich geschützter Raum, gestaltete Bestattungskultur gehört. Wichtiges kann mitgeteilt, Strittiges die bittere Medizin der Quarantäne hat deutlich abgenommen. Für mich Ältere können sitzen und gut zuhören, kann geklärt werden, die Jüngeren angerichtet werden, später nicht besteht der Wert – ja, der Segen einer Musik – das ist sehr wichtig – kann Johann Hinrich Claussen ist Kultur- übernehmen Verantwortung für die mehr wiedergutmachen. Ich weiß um Beerdigung hierin: In einer größeren erklingen, Abstand ist hier leichter beauftragter der Evangelischen Kirche Älteren, ein Abschied im Guten wird die Verantwortung von Klinik- und Gemeinschaft wird eines Verstor- einzuhalten als auf engen Grabstel- in Deutschland 18 EUROPA www.politikundkultur.net

Die Schlagbäume schließen wieder Von der tiefen Entfremdung in Europa

JOHANN MICHAEL MÖLLER Macron nicht. Wir haben ihn off enbar Verhältnis zu Italien. Es ist inzwi- ter Pfl eger und Schwestern sind zu legendäre italienische Botschafter nie verstanden. Obgleich mir der schen noch schlechter geworden als Ikonen der italienischen Misere ge- Graf Ferraris einmal gesagt: »Aber sie Es ist diese alte, drängende Frage: Jubel noch in den Ohren klingt bei zu Zeiten Salvinis. Ich lebe dort in worden. Dahinter droht ein Staat sich lieben Italien am liebsten ohne uns Müssen wir uns Sorgen machen um seinem Wahlsieg über Marine Le Pen. Italien schon zu lange einen Teil des allmählich aufzulösen Italiener«. Mir ist dieser Satz wieder unser Europa? Ich hoff e es nicht. »Macron marschiert« schrieben die Jahres, um die herablassende Sicht Italien atme fl ach, heißt das bei eingefallen, als ich von »Bella Italia« Auch nicht in Zeiten einer grassieren- Zeitungen damals und die Kommen- auf die italienischen Verhältnisse Steingart im Pulmologenjargon und las, von seiner Küche, seiner Musik, den Seuche, die zum großen Wende- tatorin im deutschen Fernsehen rief: teilen zu können. Italien sei ein Fass seine Diagnose ist hart: Die Staats- dem Zauber der Städte und was die- punkt in der Geschichte der EU wer- »Vive la France!«. Dann trat Funkstille ohne Boden. Davon ist der größere einnahmen Italiens schrumpfen, die ses Land uns Deutschen so alles ge- den könnte. Obwohl die Nachrichten ein. Und Frankreich kämpft heute Teil von uns Deutschen fest überzeugt. Ausgaben explodieren. Das Land ist schenkt hat. Das ist ehrlich gemeint. beunruhigend sind, die uns von über- ziemlich allein seinen Kampf gegen Hätten sie ordentlich gewirtschaftet, inzwischen der viertgrößte Schuldner Aber es ist der Blick von Norden nach all erreichen. Dass uns Deutschen von Corona. liest man in fast jeder Zeitung, dann der Welt. Würde man die Triage auf Süden. den großen Mailänder Zeitungen vor- müssten sie heute nicht bei uns bet- ganze Nationen anwenden wollen, Jeden Morgen und jeden Abend geworfen wird, die Zerstörung Italiens teln. Wie sagte doch der frühere nie- Italien müsste wohl um ein Beat- schickt mir meine italienische Nach- zu betreiben. Dass es an der Grenze derländische Finanzminister Jeroen mungsgerät bangen. Kein Wunder, barin einen Gruß in die entgegenge- zu Frankreich zu hässlichen Szenen Dij sselbloem? Man könne nicht sein dass sich jetzt viele an die Corona- setzte Richtung. Sie macht das über kommt. Ausgerechnet dort, wo die »ganzes Geld für Frauen und Schnaps Bonds klammern, einer Schuldenge- WhatsApp. Es gab in den letzten Einheit Europas einst symbolisch be- ausgeben« und anschließend um Hil- meinschaft in Zeiten der Not. Stein- Monaten keinen Tag, an dem sie das gann. Ausgerechnet dort stehen sich fe bitten. Der Wirtschaftsjournalist gart spricht vom »Lieblingsgericht nicht getan hätte. Kurze Botschaf- Deutsche und Franzosen jetzt wieder Gabor Steingart spricht inzwischen der italienischen Eliten«: »Frisch ten, kleine Videos, manchmal eine feindselig gegenüber. Der andere Oder das hässliche Bild von den vom »italienischen Patienten«. Darin gedrucktes Geld mit einer Stange Animation; was so im Alltag passiert. birgt, so die uralten Ängste, womög- Briten, das uns fast täglich gezeigt drückt sich weder Sorge noch Mitge- Dynamit«. Aber selbst die Fachleute Oft ist von Trennung die Rede und lich doch eine Infektionsgefahr. wird. Diese so stolze Nation soll wohl fühl aus. Sie können es nicht, heißt vom Mannheimer Leibniz-Institut für dass Gedanken sie überwinden kön- Ich bin mit dem Verschwinden dieser unter dem Teppich hindurchkriechen das im Klartext. Und der fahrlässige Wirtschaftsforschung bezweifeln, ob nen. Die Netzkultur in Italien scheint Grenze aufgewachsen. Man nahm sie müssen. Ich mag mich täuschen, aber Umgang mit Corona beweist das nur das Wundermittel der Bonds den Ita- unerschöpfl ich zu sein. So wissen irgendwann nicht mehr wahr. Dass man konnte die leise Genugtuung wieder. lienern noch rechtzeitig hilft. Die Eu- wir eigentlich immer, wie es ihr geht sich die Schlagbäume in Europa jetzt spüren, als es Boris Johnson so richtig Ja, das italienische Gesundheitssys- ropäische Union spannt stattdessen in diesen schwierigen Tagen und all wieder schließen, ist nur das äußere erwischte. tem liegt am Boden; man hat es ka- ihre umstrittenen Rettungsschirme den anderen Nachbarn und Freunden Zeichen einer tieferen Entfremdung. Über den Osten sollten wir gar nicht puttgespart in den letzten Jahrzehn- auf. Die Summen sind astronomisch. in unserem Dorf. Es gibt eine eigene Wir haben das nur nie wahrhaben mehr reden. Was die Polen und Un- ten. Die Zustände in den Spitälern Was will sie auch anderes tun? Außer Würde mit dieser absurden Situation wollen. Wir haben uns eingerichtet in garn da treiben, ist uns doch nur noch sind erschreckend, selbst in jenem Geld und Krediten fällt uns zu Europa fertig zu werden und im Gegenlicht unserem Europa, haben davon profi - suspekt. Die Osteuropäer nutzen die Teil Italiens, der uns so stylisch, so gerade nicht mehr viel ein. ist uns Italien plötzlich sehr nah. Man tiert und stehen jetzt ziemlich alleine Krise, so die vorherrschende Meinung, hip und so zeitnah erscheint. Die Es gibt inzwischen einen ersten pri- kann ein Land und seine Menschen da. Zu welchem Nachbarland gibt es um ihre autoritären Regime zu stär- Vorgänge um die Mailänder Pio Al- vaten Spendenaufruf für das leidende eben nur durch sie selbst verstehen. überhaupt noch freundschaftliche ken. Von Dankbarkeit keine Spur. Da- bergo Trivulzio sind bezeichnend. Als Nachbarland Italien. Das ist nobel Das haben die Gründer der europä- Beziehungen? Wo gibt es politische bei verdankten sie ihren Wohlstand die Zahl der Klinikbetten nicht mehr und aller Ehren wert. Die Spenden ischen Union immer gewusst. Viel- Nähe jenseits des Alltagsgeschäfts? doch der EU. Dass uns das östliche ausreichte, verlegte man die weniger sollen dem städtischen Krankenhaus leicht lernen wir das in dieser Krise Mit Luxemburg vielleicht noch, und Mitteleuropa gerade droht, wieder schweren Fälle kurzerhand in ein von Bergamo zugutekommen, einem auch wieder. Dann wäre mir um Euro- dann hat man Mühe weiterzuzählen. verloren zu gehen, scheint niemand Altenheim. Nach wenigen Wochen der Hot Spots der Seuche. »Ein Herz pa nicht bang. Auch zu Frankreich fällt uns nicht wirklich zu stören. Die gehörten, so zählte man dort  Tote, die Särge für Italien« heißt die Kampagne. mehr viel ein als die üblichen Pla- hört man, doch nie wirklich zu uns. stapelten sich in der Kapelle. Die Bil- Das würde dringend gebraucht. Die Johann Michael Möller ist freier tituden. Wir verstehen Emmanuel Am meisten bekümmert mich unser der verzweifelter Ärzte und erschöpf- Deutschen lieben Italien, hat der Publizist

Gemeinsam gegen die Neue Rechte

Zur Zukunft der Auswär- die diesen Tendenzen entgegentreten sche Kultur im Sinne eines Europa der tigen Kultur- und Bildungs- könnten – es gibt sogar eine Kompati- Kulturen. Zur Unterstützung dieser »Vi- bilitätsdynamik nach rechts. Deshalb sion« brauchen wir eine Strategie der politik in Europa müssen die liberalen Kräfte Strategien Auswärtigen Kultur-und Bildungspolitik entwickeln, die Demokratie zu sichern (AKBP) auch Deutschlands, die in neue RONALD GRÄTZ und zu bewahren. Wir müssen dies, Richtungen denkt: wenn wir an die populistischen Tritt- ie liberale Demokratie und brettfahrer der Corona-Pandemie den- . Vision: Innen- und Außenkultur- ihre Botschaft von Indivi- ken, die nun den eigenen Machtzuwachs politik dualität und Freiheit ste- durch Eingrenzung der Freiheit anderer Die Zivilgesellschaft in Deutschland ist D hen unter extremem Druck. zu mehren versuchen, off ensiv angehen. der Hauptakteur Auswärtiger Kulturbe- In der weltweiten Neuen Rechten gilt »Wir sind die, auf die wir gewartet ha- ziehungen. Die Mittlerorganisationen »liberal« nicht nur als naiv gestrig und ben«, so auch de Weck (). der AKBP müssen deshalb mit ihr in den hilfl os schwach, sondern das liberale Wie soll das gehen? Wir brau- innerdeutschen Kulturdiskurs eingrei- Denken befi ndet sich abseits der ei- chen einen neuen, nachhaltigen fen und dürfen die begriffl iche Hoheit gentlichen globalen Machtstrukturen, Fortschrittsbegriff – Lernen von den und die Verständigung um unsere ge- die sich politisch nicht durch Parti- Vorstellungen eines gelingenden Le- sellschaftliche Zukunft nicht der Neuen

zipation im off enen Diskurs, sondern bens von der Generation Greta –, die Rechten überlassen. Siegrid Weigel hat PUELL ALEXANDER FOTO: durch Populismus und Despotismus Idee einer wirklichen europäischen in ihrer  erschienenen ifa-Studie »Ein Europa für Alle« – dafür demonstrierten vor der Europawahl im letzten auszeichnen. Union der Identitäten und Regionen »Transnationale Auswärtige Kulturpo- Jahr Menschen in über  Städten Europas Der liberalen Demokratie geht es um nach dem derzeitigen Verbund von litik – Jenseits der Nationalkultur« ge- die Menschen, die »in gleicher Freiheit interessengeleiteten Nationalstaa- zeigt, wie problematisch die Trennung der Innenkulturpolitik, aber auch den Neue Rechte und für die liberale De- und freier Gleichheit«, so Roger de Weck ten – als Föderation, Republik oder von Innen und Außen ist. Kirchen, politischen Stiftungen, dem mokratie – eine Bewegung für Freiheit, (), leben, in der freie und faire Wah- wie auch immer – und ein erweitertes Sport und vielen anderen. Verantwortung und Nachhaltigkeit. len stattfi nden, in der die Menschen- Verständnis von Kulturpolitik als Ge- . Vision: Arbeiten in der digitalen Dann ist AKBP noch wirkungsvoller rechte eingehalten und die Gewalten- sellschaftspolitik nach Willi Brandt. Welt . Vision: Kulturpolitik ist Demo- und nachhaltiger Friedenspolitik. Sie teilung des demokratischen Rechtsstaats Kulturpolitik ist auch Friedenspolitik Arbeiten in der digitalen Welt ist ein kratiepolitik wäre eine neue Art Institution, die garantiert werden – und in der die Frei- – und Kulturdialog ist auch Demokra- weit komplexeres Vorhaben als die Digi- AKBP meint nicht mehr nur Kunst und nicht nur Instrumente und Techno- heit von Wissenschaft, Meinung und tiebildung. Vielleicht ist Kultur der zur- talisierung von Objekten oder die Kom- Kultur – sofern nicht alles im Prinzip logien einsetzt, sondern neuen Sinn Kunst herrschen. Diese gesellschaftliche zeit wichtigste Verständigungs- und munikation über soziale Netzwerke. Es Kultur ist, außer unberührter Natur –, stiftet, indem sie Gegenwelten zum Organisationsform garantiert auch der Aushandlungsmodus, ein neues Europa bedeutet vielmehr, auf Plattformen zu sondern muss sich Themen wie glo- Populismus entwickeln hilft: Empo- Opposition – Parteien, Zivilgesellschaft, zu denken. Eine Vertreterin dieses An- agieren und virtuelle Räume zu bilden baler Ungerechtigkeit, Klima, Vor- werment. Nichtregierungsorganisationen und dem satzes ist Ulrike Guérot. Sie tritt ein für und zu bespielen. Da geht zunehmend stellungen vom guten Leben und dem Einzelnen – politische Teilhabe, d. h. Öf- ein Europa nicht nur gleichberechtigter weniger in der Form singulärer Orga- Verhältnis Mensch-Natur annehmen. . Vision: Europa fentlichkeit und Gehör. Konsumenten von Produkten mit ein- nisationen, sondern nur in Netzwerken. Die neuen gesellschaftlichen Selbst- Die AKBP sollte ihre Aufgabe auch in Aber die Neue Rechte wird stärker heitlich geltenden Normierungen und Wir müssen die Strukturen der AKBP verständigungsprozesse fi nden dabei der Bildung eines Europa der Kulturen – schleichend und zersetzend mit der verbindlichen Konsumregulierungen, fl exibler gestalten, die Zusammenarbeit nicht mehr vorrangig in traditionellen sehen, eines Europa, nach dem Na- Bauernfängerei von Menschen und der sondern ein Europa gleicher Bürger in von Organisationen integraler organi- Institutionen wie Parteien, Kirchen tionalstaat, eines wirklich vereinten Besetzung von zunächst peripheren, Bezug auf Wahlrecht und soziale Ab- sieren und die Mittlerlandschaft als oder Gewerkschaften statt, sondern ar- Europa mit Bürgern gleicher Rech- dann zentralen Strukturen, mit holz- sicherung, ein Europa als eine Nation, sich permanent verändernde und ge- tikulieren sich in Bewegungen, z. B. in te und Möglichkeiten, eines Europa schnittartig einfachen und verführeri- d.h. eine organisierte Solidargemein- genseitig beeinfl ussende Gruppe sehen. gelben Westen protestierend, freitags als eine Nation und Wertegemein- schen Identitätsversprechen und Grö- schaft – nach der Defi nition von Mar- Die Martin-Roth-Initiative von ifa und für das Klima demonstrierend, Unab- schaft mit vielen verschiedenen Kul- ßenwahnfantasien, die Macht verhei- cel Mauss – mit vielen Kulturen. Aus Goethe-Institut zeigt in diese Richtung. hängigkeit fordernd – kollektiv, kreativ turen. ßen in einer Gefühlswelt der Ohnmacht. dem Europa der Konsumenten muss Temporär gemeinsame Strukturen, fl e- und mit großer Kraft. Die Vision einer Ebenso beobachten wir ein Schwinden ein Europa der Bürger werden – eine xible gemeinsame Arbeitseinheiten – AKBP als eine solche öff entliche Bewe- Ronald Grätz ist Generalsekretär des von Mut, Innovationskraft und Vision, wirkliche Demokratie, eine europäi- wünschenswert auch mit Institutionen gung wäre eine Bewegung gegen die Instituts für Auslandsbeziehungen Politik & Kultur | Nr. / | Mai  KULTURELLES LEBEN 19

Kunst im Zeichen von Kooperation und Solidarität Ein Porträt der documenta- nen Zeitzonen klappt das erstaunlich lungen mitgestalten durfte und auch Generaldirektorin Sabine gut«, konstatiert Schormann. wissenschaftlich mit Archiven arbei-  Jahre lang war Sabine Schor- tete. Damals stellte ich fest, dass ich Schormann mann Direktorin der niedersächsi- ein kleines Talent dafür hatte, Pro- schen Sparkassen-Stiftung und der jekte zu organisieren und Menschen ANDREAS KOLB VGH-Stiftung und dort zuständig für zusammenzuführen. Das ist das, was zahlreiche Kulturprojekte: Zu nennen Stiftungen ganz typischerweise tun, ie documenta  will leben- wären unter anderem die Entwicklung und so bin ich bei der Deutschen Stif- diger sein als je zuvor: Das der Niedersächsischen Musiktage zum tung Denkmalschutz an einer guten Publikum soll partizipieren Themenfestival, die Einführung eines Stelle gelandet.« D und bei den Veranstaltungs- Museumsgütesiegels oder auch die Nicht nur sie selbst war gut gelan- formaten denkt man über klassische Etablierung des Netzwerkes »Musik- det, sondern mit dem Großprojekt »Tag Formate hinaus an vielfältige Formen land Niedersachsen«. Nach ihrem Be- des off enen Denkmals« landete sie  kultureller Praktiken. Die Findungs- weggrund für den Einstieg in ihre neue auch einen echten Hit. Das Ganze blieb kommission von Deutschlands wich- Aufgabe in Kassel gefragt, schwärmt kein »One-Hit-Wonder«, sondern wur- tigster Kunstausstellung hielt gleich sie, dass das spannende Abenteuer do- de ein Klassiker. Ein Erfolgsmodell, das zwei Premieren bereit: Sie hat erstmals cumenta lockte. »Ich war privat immer heute noch funktioniert und sich wei- Kuratoren aus Asien benannt und – der wieder auf documenta-Ausstellungen terhin großer Beliebtheit erfreut. »Es Plural sagt es bereits – es handelt sich und war fasziniert davon. Manches in erfüllt mich auch heute noch jedes Mal nicht um einen oder eine Chefkurato- der neuen Arbeit ist vergleichbar mit mit großer Freude, wenn der ›Tag des rin, sondern um ein Kuratorenkollek- früher, mich freut aber besonders das off enen Denkmals‹ stattfi ndet und es tiv, die Künstlergruppe »ruangrupa« internationale Umfeld, das noch mal in die Tagesschau schaff t«, sagt Schor- aus Jakarta in Indonesien. Der Begriff andere Herausforderungen mit sich mann. »Allerdings muss ich sagen, er- ruangrupa kommt aus dem Indone- bringt. Das fängt bei Visumfragen an funden hat das Ganze Jack Lang, der sischen und bedeutet in etwa Raum und man stellt fest, wie dankbar man damalige französische Kulturminister, der Kunst oder auch Raum-Form. Im doch für unseren Schengenraum ist als ›European Heritage Days‹. Was der Selbstverständnis des Kollektivs sollen und wie privilegiert wir doch sind. Bei Deutschen Stiftung Denkmalschutz künstlerische Ideen in einem breiten den Stiftungen habe ich mich als Er- und mir damals gelungen ist, war die Kontext von Ausstellungen, Festivals, möglicherin verstanden und hier ist bundesweite Durchsetzung einer sol- Workshops und Forschung gefördert das eigentlich genauso. Es geht darum, chen Aktion. Das ist im Kulturbereich und entwickelt werden. Die Gruppe be- der künstlerischen Leitung sozusagen üblicherweise nicht ganz so einfach, treibt zahlreiche Projekte wie ARTLAB, einen roten Teppich zu bereiten, auf allein wegen der unterschiedlichen die RURU Gallery, das Online-Journal dem deren Ideen möglichst gut gestal- Zuständigkeiten. Ich hatte mich am »Karbon«, »RURUradio« sowie Kunst- tet werden können.« niederländischen Modell orientiert, festivals wie »Jakarta °C« und »OK. Sabine Schormann stammt aus Bad das den Akteuren vor Ort viele Freihei- Video«. Homburg und sie blieb auch nach dem ten lässt. Es wurde somit keine Aktion Die für die documenta  zuständige Abitur erst einmal im Rhein-Main- von oben, sondern von unten. Das war Gruppe besteht aus neun Künstlerin- Raum: Sie studierte Germanistik, Phi- das Erfolgsgeheimnis des ›Tages des nen und Künstlern: Ade Darmawan, losophie und Kunstgeschichte in den off enen Denkmals‹: Alle machen aus Reza Afi sina, Indra Ameng, Farid Ra- er Jahren in Mainz und arbeitete Eigeninteresse mit und auch weil es kun, Daniella Fitria Praptono, Iswanto bereits als Studentin beim Goethe Mu- ihnen Spaß macht und sie selbst ge-

Hartono, Ajeng Nurul Aini, Julia Saris- seum in Frankfurt.  wurde sie zu stalten können.« GGMBH FRIDERICIANUM MUSEUM UND DOCUMENTA FOTO: etiati und Mirwan Andan. einem Thema über Bettine von Arnim Ein »Lieblingskind« unter ihren Sabine Schormann ist seit  documenta-Generaldirektorin Kollektiv statt Künstlerfürst? Sabi- promoviert. In diesem Jahr wechselte vielen Projekten ihrer Stiftungs- und ne Schormann, seit  als Generaldi- sie in die Abteilung Öff entlichkeits- Museumsarbeit zu nennen, wie etwa naten ist Schormann als Generaldi- Arbeit mit faszinierenden Menschen rektorin der documenta im Amt, sieht arbeit bei der Deutschen Stiftung den »Tag des off enen Denkmals« oder rektorin der documenta und des Mu- und ihren spannenden konstruktiven hier einen Trend. Sie betont außerdem, Denkmalschutz in Bonn. Schormann die beiden Expo--Ausstellungen, seums Fridericianum im Amt und kann Ideen macht unendlich viel Spaß. Ich dass das Konzept von ruangrupa den erinnert sich: »Ich habe schon wäh- die sie in Hannover durchgeführt hat, daher ein erstes Fazit ziehen: »Es ist bin angekommen bei der documenta.“ Nerv der Zeit trifft: »Gerade in Be- rend des Studiums viel frei gearbeitet, fällt Sabine Schormann schwer. Auf eine herausfordernde Aufgabe, die zug auf die Corona-Krise merkt man, auch als Journalistin, dann im Goethe alle Fälle wird die documenta  ein durch das allgemeine Zeitgeschehen Andreas Kolb ist Redakteur von dass diese Wahl topaktuell ist. Beim Museum, wo ich schon kleine Ausstel- neuer Höhepunkt für sie. Seit  Mo- nicht gerade einfacher wird. Aber die Politik & Kultur Konzept des Kollektivs geht es um Ko- operation und Solidarität, füreinander Einstehen, Empathie und Großzügig- keit, also um viele Werte, die in die- sen Tagen wichtiger sind denn je. Im Kollektiv ruangrupa sind zudem auch Nicht von der Angst regieren lassen unterschiedliche Professionen vertre- ten, sodass auch hier ein vielfältiges Demokratie in Krisenzeiten schützen Zusammenwirken entsteht. Insofern ist in jeder Hinsicht alles in ein dialo- SUSANNE KEUCHEL zu ziehen. Eine Handyortung zur se nicht noch stärker auf den Schutz nicht praktiziert werden, gäbe es gisches Prinzip übergegangen. Daran Verfolgung von möglichen Anste- von Risikogruppen konzentrieren? auch alternative Maßnahmen, die muss man sich natürlich gewöhnen Demokratie sollte wachsam sein, ckungsketten wird aktuell ernsthaft Müssten die aktuellen Testkapazi- aktuellen Schutzrichtlinien ent- und z. B. lernen, in so einem Umfeld wenn es nur einen »richtigen« Weg diskutiert. täten und Schutzmaßnahmen nicht sprächen und zugleich Rechte nicht Konfl ikte zu lösen, aber im Kern ist es gibt und jegliche Bedenken daran Ist dies der Beginn einer neuen in allererster Linie für Pfl eger und einschränkten. ist ein fröhliches und unbeschwertes als indiskutabel oder unsolidarisch Diktatur? Der Diktatur »Coronavi- medizinisches Personal genutzt Die Angst vor dem Virus und die Arbeiten.« gebrandmarkt werden. Dies könnte rus«? Ja, Menschenleben zu retten werden, um einer Ansteckungsge- Sorge um Mitmenschen darf unsere Fröhlich und unbeschwert arbei- der Wechsel von einem demokra- ist eine elementare Pfl icht! Aber ist fahr in Altenheimen oder Klinken Kreativität nicht lähmen, damit wir ten, das sind ungewohnte Worte in tischen zu einem ideologischen die Einschränkung der Demokratie, vorzubeugen? Warum kann das nicht der »Diktatur« des Virus ver- der Zeit der Corona-Pandemie, die Staat sein. Ist die Angst vor dem die Einschränkung so vieler Men- Versammlungsrecht oder der Besuch fallen. Denn aktuell kann in Europa den Kunst- und Kulturbetrieb prak- Coronavirus eine neue Ideologie, die schen- und Grundrechte wirklich von Museen nicht unter Wahrung beobachtet werden, dass die Angst tisch zum Erliegen gebracht hat. Der zunehmend die Welt regiert und die der einzige Weg Menschenleben des Zwei-Meter-Abstandes wahrge- vor dem Virus sehr eff ektiv von Optimismus Schormanns beruht si- von einzelnen Gruppen zur Recht- zu schützen? Oder gibt es auch einzelnen Politikern genutzt wird, cher nicht nur auf dem dialogischen fertigung und Bewertung nahezu Maßnahmen im Kampf gegen das um die eigenen Machtstrukturen zu Prinzip, sondern gründet auch in der aller eigenen und fremden Handlun- Virus, die Grundrechte nicht oder festigen und die Demokratie auszu- Tatsache, dass die documenta  erst gen verwendet wird? weniger einschränken? Brauchen hebeln. In Zeiten einer Krise sollte am . Juni  ihre Pforten öff net. Mit Verweis auf den Schutz vor wir nicht mehr Bürgerbeteiligung sowohl der Schutz von Menschen- Es besteht eine berechtigte Hoff nung, Corona-Ansteckungen scheint auf und kreative Köpfe, um kreative leben als auch die Wahrung der De- dass der Kulturbetrieb bis dahin wie- einmal alles möglich, was bis vor Lösungsansätze zu entwickeln, statt mokratie im Vordergrund stehen. der Fahrt aufgenommen hat und dass Kurzem noch undenkbar schien: nur Virologen zurate zu ziehen? Wa- Eng verbunden mit der Lebendigkeit sich Publikum und Künstler wieder im Das Versammlungsrecht, das Recht rum wird die Zivilgesellschaft nicht nommen werden, der auch für den einer Demokratie sind Kunst und öff entlichen Raum begegnen können. auf die freie Entfaltung der Per- einbezogen bei der Entwicklung von Einkauf im Supermarkt gilt? Warum Kultur. Denn ideologische Staaten Welche Auswirkungen die Corona- sönlichkeit, die Unverletzlichkeit Lösungsansätzen? Warum werden wird aktuell der Regionalverkehr zensieren Künste, die nicht konform Pandemie auf die documenta  im der Wohnung, Mobilität und Rei- bildungspolitische, kulturelle oder und ÖPNV in einzelnen Regionen zur Ideologie stehen. Um Demo- Jahr  haben kann, ist heute noch sen, die Freizügigkeit im ganzen auch Sportverbände nicht einge- eingeschränkt, statt diesen höher kratie in Krisenzeiten lebendig zu nicht abzusehen. Ein zweiwöchiges Bundesgebiet, das Post- und Fern- laden, Verantwortung zu überneh- frequentiert anzubieten, um dichtes halten, bedarf es daher auch non- Assembly mit dem erweiterten künst- meldegeheimnis oder das Asylrecht men und gemeinsam mit Politik zu Gedränge in Bussen und Bahnen konformer Künste – und bei Bedarf lerischen Team und Partnern, das Ende werden eingeschränkt. Handydaten überlegen, was durch neue »kon- zu vermeiden für systemrelevante auch nonkonformer »kontaktloser« März in Kassel hätte stattfi nden sollen, der Deutschen Telekom werden taktarme« Formate möglich ist und Arbeitskräfte in Supermärkten oder Künste! wurde ins Digitale verlegt: »Trotz bis in Deutschland vom Robert Koch- was nicht, statt Aktivitäten einfach Kliniken? So wie es viele denkbare zu  Teilnehmerinnen und Teilneh- Institut genutzt, um Rückschlüsse grundsätzlich zu verbieten? Maßnahmen des Schutzes gegen- Susanne Keuchel ist Präsidentin des mern aus zehn Ländern in verschiede- auf die Ausbreitung des Coronavirus Warum sollten wir uns beispielswei- über dem Virus gibt, die derzeit Deutschen Kulturrates 20 KULTURELLES LEBEN www.politikundkultur.net

ZUR PERSON ... Technologie & Langer Atem Ehren-Glauser für Nina George Der Präsidentin des Autorenfach- Auf dem Weg durch wechselvolle Geschichte verbands European Writers‘ Council, Demokratie Nina George, wurde für ihr »uner- uh, ich gebe zu, am Anfang stadt. Gegliedert ist das Buch in zehn müdliches politisches Engagement« musste ich ganz schön große Kapitel, die für Epochen stehen: und »ihren engagierten Einsatz für Chance für eine andere kämpfen beim dicken Buch Hoff nung auf bessere Zeiten: Die Re- die Kriminalliteratur« der Ehren- Politik und Gesellschaft P »Berlin: Biographie einer sidenzstadt; Spree-Athen: Hauptstadt Glauser des Syndikats überreicht. großen Stadt« von Jens Bisky. Allein der Aufklärung; Neue Mächte; Die gro- George engagiert sich seit Jahren ie könnte eine andere Po- der Umfang ist schon beeindruckend. ße Stadt; Berliner Moderne; Ein neues in dem Verein für deutschsprachi- litik und Gesellschaft aus- Wer sich allerdings auf das Buch und Berlin; Berlin wird zerstört; Geteilte ge Kriminalliteratur sowie bei der W sehen? Wie kann sie sich Biskys Erzählstil einlässt, wird ähn- Jahre; Zerschnittene Stadt; Wahnsinn International Crime Writers‘ Asso- den Herausforderungen unserer Zeit lich einem Flaneur mitgenommen der ersten Tage. Ein empfehlenswertes ciation und bei den Mörderischen stellen? Wie können Prozesse transpa- auf einem Weg durch die wechselvolle Buch, bei dem auch derjenige auf sei- Schwestern. Mit den Glauser-Preisen renter und Abläufe gerechter werden? Geschichte Berlins, seiner Bewohner, ne Kosten kommt, der sich nur einige vergibt das Syndikat die höchst- Welche Rolle spielt Technologie dabei? seiner Protagonisten, seien es Adeli- Kapitel herauspickt. dotierten Autorenpreise für Werke In ihrer Streitschrift stellen die Au- ge, Intellektuelle, Künstlerinnen und Gabriele Schulz deutschsprachiger Kriminalliteratur. toren Georg Diez und Emanuel Heisen- Künstler, Arbeiterinnen und Arbeiter, Die Ehren-Glauser-Jury hoff t, dass berg klar: Technologie ist weder gut Politikerinnen und Politiker und an- Jens Bisky. Berlin: Biographie einer »die Verleihung des Preises an Nina noch böse, »sie ist nicht Werkzeug von dere mehr. Ein besonderes Augenmerk großen Stadt. Berlin  George junge Kollegen und vor al- abstrakten Mächten, sie ist politisch richtet Bisky auf die Baukultur, so zeigt lem junge Kolleginnen ermuntert, und gesellschaftlich verhandelbar und er immer wieder an diesem Beispiel die sich ebenfalls für das Genre und die damit ein Teil der Kultur«. Wir können Veränderung der Stadt auf, ihre Verklei- Rechte aller Schreibenden aktiv und selbst entscheiden, wie wir Technolo- nerung, ja, ihr Schrumpfen nach dem politisch einzusetzen«. Der Ehren- gie nutzen und gestalten wollen – und Ende des -jährigen Krieges, ihre Ex- Glauser sowie die Preise in den Ka- dazu geben der Journalist Diez und der pansion während der Aufklärung und tegorien Roman, Debüt, Kurzkrimi, Gründer des Technologie-Start-ups insbesondere der Industrialisierung, Jugendkrimi und Kinderkrimi wur- »ecoworks«, Heisenberg, jede Menge Intelligenz, Big Data und Algorithmen ihre Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, den am . April in einer Online-Gala Anregungen und aktuelle Beispiele. dabei helfen können, welche Wirkung die Folgen der Teilung und Vereinigung überreicht. Nur  Prozent der Bundestagsab- die Verbindung von lokalen Initiati- der beiden Stadthälften nach . Be- geordneten sind »digital natives«, wie ven und globalem Bewusstsein erzie- eindruckend ist, wie akribisch Bisky in Brandenburger Symphoniker die Autoren beziff ern. Der Umgang mit len kann und welche besondere Rolle den Archiven recherchiert hat und da- bekommen neuen Chefdirigenten Technologie ist auch eine Generations- Städte spielen. Diez und Heisenberg bei viele bislang unbekannte oder we- Mitte April teilte das Orchester mit, frage. Gedanken zu technologischen verstehen ihr Buch als Handlungsan- nig beachtete Informationen und Do- dass Olivier Tardy Chefdirigent der Möglichkeiten sind oft mit Ängsten weisung und Auff orderung für eine kumente zutage gefördert hat. Im Buch Brandenburger Symphoniker wird. verbunden, mit Überwachung, Ma- neue Demokratie, die nur entstehen geht es um den Alltag in der großen Tardy wird bereits in der kommenden nipulation und Kontrolle. Doch auch kann, wenn das innovative Potenzial Stadt, um Großes und um Kleines. Es Spielzeit zahlreiche Dirigate über- Freiheit, Autonomie, Emanzipation des digitalen Zeitalters genutzt wird. geht um die Auswirkungen politischer nehmen, ab der Saison / wird gehen mit Technologie einher. Und Zurück lassen sie die Leserinnern und Entscheidungen und dabei vor allem er Chefdirigent in vollem Umfang. Als wir benötigen Technologie, da sind Leser mit dem Aufruf, aktiv zu werden, um die besondere Stellung Berlins als Dirigent stand Tardy bereits am Pult sich die Autoren sicher, »um unser sowie mit eine Reihe von Fragen, über Stadt, als Residenzstadt und als Haupt- zahlreicher Orchester, wie z . B. der Leben, unseren Konsum, unsere Ge- die es sich lohnt, nachzudenken. Stuttgarter Philharmoniker oder des wohnheiten auf einen nachhaltigen Maike Karnebogen Münchner Rundfunkorchesters. Auch Ressourcenverbrauch umzustellen«. die Musiker der Brandenburger Sym- In sieben Kapiteln wird unter anderem Georg Diez und Emanuel Heisenberg. phoniker verbindet mit Olivier Tardy beschrieben, wie Identität, Autono- Power To The People: Wie wir mit Tech- bereits seit  eine langjährige mie und Teilhabe mit digitalen Mit- nologie die Demokratie neu erfi nden. Unorthodox Zusammenarbeit. Der Vertrag des teln erreicht werden und künstliche Berlin  Flötisten läuft zunächst bis zum Ende Ein Buch und eine sidischem Mann nach Berlin fl ieht der Saison /. Tardy tritt sein Miniserie und eine Musikausbildung anstrebt. Amt in der Nachfolge von Peter Gül- Für viele mag das bereits  auf kes an, der seit  Chefdirigent des Deutsch erschienene Buch »ein alter Orchesters ist. s war einmal ein regnerischer Hut« sein, Ihnen sage ich: Schauen Ostbewusstsein Sonntagnachmittag – die Sie die fantastisch umgesetzte Serie Neue Vorstä ndin bei der Siemens E Kontaktsperren aktiv, die Kul- in jiddischer Sprache mit der brillan- Stiftung Die ostdeutsche Stimme  Jahre nach der Wende turorte geschlossen, die beste Zeit ten Hauptdarstellerin Shira Haas! Für Seit dem . April ist Nina Smidt für »Netfl ix & Chill«. Zwischen schon einige mag die Lektüre des Buches Geschäftsfü hrende Vorständin und as kommt einem bei Schönian kritisiert, dass oft in Ste- Gesehenem und weniger Sehenswer- nach Konsum der Serie überfl üssig Sprecherin des Vorstands der Sie- Worten wie »Sowjet« reotypen vom Osten gesprochen tem ploppte die Miniserie »Unortho- erscheinen, Ihnen sage ich: Lesen Sie mens Stiftung, die in den Bereichen oder »SED« zuerst in wird und bemängelt das fehlende dox« auf. Nach vier Folgen und vier unbedingt Deborah Feldmans kluge, Entwicklungskooperation, Bildung W den Sinn? Die Ant- Bewusstsein für die Nachwende- Stunden »Binge Watching« war klar: mutige, inspirierende Biografi e, sie und Kultur arbeitet. Smidt treibt zu- worten von Ost- und Westnachwende- zeit im kulturellen Gedächtnis der Morgen muss die gleichnamige Buch- wird sie überraschen! sammen mit ihren Vorstandskollegen kindern sind oft sehr unterschiedlich, Westdeutschen. Bei ihrer Reise durch vorlage von Deborah Feldman direkt Theresa Brüheim Rolf Huber und Klaus Grü nfelder die denn der Osten wurde nach der Wende den Osten der Bundesrepublik will gekauft werden. So packend die Ge- operative Umsetzung der Stiftungs- lange nicht thematisiert. Er stand sy- sie ihn nicht schöner machen, als schichte, so bewegend die fi lmische Deborah Feldman. Unorthodox. ziele voran. Innerhalb des Vorstands nonym für Probleme und Diskrepanz. er ist, aber eben die Realität wider- Umsetzung, so dringend das Bedürfnis München . . Aufl age ist Nina Smidt insbesondere fü r die Haben sich die Unterschiede zwischen spiegeln: das Unfertige, das immer mehr zu erfahren. Arbeitsbereiche Bildung und Kultur Ost und West seit der Wiedervereini- in Bewegung sein, das sich hinter- Deborah Feldman wurde in die verantwortlich. Zuvor war sie von  gung wirklich verfl üchtigt? fragen und an sich arbeiten. Dazu chassidische Satmar-Gemeinde, eine bis  Bereichsleiterin fü r Inter- spricht die Autorin eingangs mit der ultraorthodoxe jüdische Gruppe mit nationale Planung und Entwicklung Wendegeneration und anschließend strengsten Regeln, in New York hin- in der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd mit Nachwendekindern. Der Unter- eingeboren. Sie wächst dort im Haus Bucerius. Von  bis  leitete sie schied liegt darin, dass erstere die ihrer Großeltern, Holocaust-Überle- zudem die amerikanische Stiftungs- DDR hinter sich lassen und wie West- bende aus Ungarn, auf und wird mit tochter der ZEIT-Stiftung in New York deutsche werden wollte. Die Nach-  Jahren durch eine Kupplerin ver- als Präsidentin. wendegeneration hinterfragt die DDR heiratet. auf andere Art und will vermehrt ihr In »Unorthodox« erzählt Feldman, Shortlist für Literaturpreis der Eu- »Ostbewusstsein« erwecken. Sie will wie sie voller Mut und unfassbarer ropäischen Union bekannt als junge ostdeutsche Stimme die Kraft aus ihrer repressiven Ehe und gegeben Debatte mitgestalten. der sektenartigen Gemeinde Stück Die Europäische Kommission hat Während die Wendegeneration für Stück und mit  Jahren endgül- die Shortlist für den EU-Litera- die Transformationskompetenz be- tig ausbricht. Die Leserinnen und turpreis veröff entlicht, der noch herrscht – von einem System in ein Leser erfahren nicht nur Feldmans unbekannte Schriftstellerinnen und anderes–, verfügen Nachwendekinder persönliche Geschichte, sondern ler- Schriftsteller dabei unterstützen über ein Verständnis darüber. Genau nen über religiöse Traditionen, er- soll, europaweit bekannt zu werden. darin sieht Schönian die Aufgabe fahren vom jüdischen Williamsburg Der mit . Euro dotierte Preis der Nachwendekinder. Sie können der er/er Jahre und erhalten PERSONEN & wurde  von der Europäischen übersetzen und Brücken schlagen – einen nie dagewesenen Einblick in die REZENSIONEN Kommission ins Leben gerufen und deutschlandweit für mehr Verständnis abgeschirmt lebende chassidische steht allen  Ländern off en, die am Die  geborene Journalistin Va- sorgen. Vielleicht ist das verstärkte Satmar-Gemeinde. Politik & Kultur informiert an Programm Kreatives Europa für die lerie Schönian geht in dem Buch Reden über den Osten ein Zeichen Diesen Teil hat auch die Netfl ix- dieser Stelle über aktuelle Perso- Kultur- und Kreativbranche teilneh- »Ostbewusstsein« ihrem Gefühl des dafür, dass wir vorwärtskommen mit Adaption mit dem Buch gemein; in nal- und Stellenwechsel in Kultur, men. Unter den mehr als  Nomi- Ostdeutsch-Seins auf die Spur – und der Deutschen Einheit. Also, reden wir anderen Teilen unterscheiden sich Kunst, Medien und Politik. Zudem nierten sind auch die fünf deutschen das in einer Zeit, wo sich die meisten gemeinsam (mehr) über den Osten! Serie und Buch bewusst stark vonei- stellen wir in den Rezensionen alte Autorinnen und Autoren Paulina jungen Menschen doch sogar eher als Kristin Braband nander, wie Feldman im Making-of und neue Klassiker der kulturpoli- Czienskowski, Gunther Geltinger, Europäer sehen. Wieso fühlt sich die der fi lmischen Umsetzung erläutert. tischen Literatur vor. Bleiben Sie Peggy Mädler, Matthias Nawrat und Autorin ostdeutsch? Und was bedeutet Valerie Schönian. Ostbewusstsein. Die Hauptfi gur der Serie ist die junge gespannt – und liefern Sie gern Leif Randt. das  Jahre nach der Wende? München  Esty, die schwanger vor ihrem chas- Vorschläge an [email protected]. Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 21 FOTO: GASOMETER TOUR GASOMETER FOTO: Blick vom Gasometer in Berlin Schöneberg Eingefrorene Zeit: Industriekultur Das industrielle Erbe ist vielschichtig

OLAF ZIMMERMANN kohletagebau wird nicht zuletzt, um die sind clean. Weiße Hallen, Roboter und die Braunkohlereviere muss insbeson- in Tarifverträgen die Entlohnung aus. selbst gesetzten Klimaziele einhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dere unter dem Nachhaltigkeitsaspekt Aus dem Proletariat hat sich eine Ar- elch eine Veränderung, zu können, in absehbarer Zeit der Ver- in schicken, sauberen Overalls. Kein refl ektiert werden, was mit dem Erbe beitnehmerschaft entwickelt. Doch welch ein Wandel … gangenheit angehören. Was bleibt, sind Schweiß, kein Dreck, kein Ruß. Die der Industriekultur geschehen soll. Das was ist mit jenen, die heute in Dienst- Industriedenkmäler, die ehemaligen Betriebsstätten und Industriedenkmäler sind das genaue kann auch heißen, von dem einen oder leistungsberufen, insbesondere als W Kathedralen des Fort- im Braunkohletagebau verheerende Gegenteil davon, sie sind eingefrorene anderen nicht erhaltenswerten Indus- »Selbständige«, tätig sind, mit mobilen schritts und der mächtigen Indust- Veränderungen in der Landschaft, die Zeit, fast wie Bilder von Adolph Men- triegebäude Abschied zu nehmen und Friseurinnen, mit den Fahrern von Lie- rieproduktion, werden zu Museen, zu mühselig renaturiert bzw. einer neuen zel, Ikonen einer ehemaligen Indust- sich für etwas Neues zu entscheiden. ferdiensten, mit Kosmetikerinnen, de- Veranstaltungsorten, zu Kulturorten Nutzung zugeführt werden. rieproduktion, die oftmals in dunklen Umnutzung ist eine weitere Möglich- ren Betriebskosten aus der Miete eines oder auch zu Dienstleistungszentren. Die Corona-Pandemie in diesem Jahr Werkshallen durch eine bewunderns- Stuhls in einem Friseursalon bestehen, Keine dampfenden Schlote, sondern führt den Verlust an industrieller Ferti- werte technische Raffi nesse eine Zeit den Caterern, die aus ihrer privaten Kü- rauchende Köpfe. Nicht mehr mühse- gung in Deutschland brutal vor Augen. konserviert, in der Deutschland der Die Beschäftigung che heraus arbeiten. Was ist mit den liges Zutagefördern von Erzen, sondern Deutschland, einst die Apotheke der technische Weltmarktführer war. mit Industriekultur Digitalarbeiterinnen und Künstlern, die mühsames Entwickeln von Ideen. Nicht Welt, ist auf den Import von Medika- Doch wie umgehen mit diesen In- bietet die Chance, sich von einem Auftrag zum nächsten mehr Ausbeutung von Arbeiterinnen menten angewiesen. Maskenproduk- dustriedenkmälern? Bei denjenigen, hangeln müssen. Sie stellen das große und Arbeitern, jungen Menschen, die tion im eigenen Land, Fehlanzeige. Es die in das UNESCO-Welterbe aufge- sich mit den Ände- Heer der Soloselbständigen. Sie sind schon nach wenigen Jahren der Indus- war doch so schön und so preiswert nommen wurden, ist es noch relativ rungen von Arbeit das Prekariat in Deutschland, nicht trieproduktion von der schweren Ar- und vor allem so scheinbar jederzeit leicht. Sie haben gemäß Definition auseinanderzusetzen mehr die Industriearbeiter. Eine Be- beit gezeichnet sind und früh sterben, verfügbar auf dem Weltmarkt zu ha- weltweite Geltung. Sie sind nicht nur schäftigung mit Industriekultur bietet sondern hippe Lofts und akademisches ben. Textilproduktion fi ndet vor allem von lokaler oder regionaler Bedeutung, die Chance, sich mit diesen Änderun- Prekariat. in Bangladesch und anderen Ländern sondern von internationaler. Es wird keit. Umnutzung zu einer neuen Pro- gen von Arbeit heute auseinanderzu- Das Erbe der Industriekultur ist statt, in denen die Löhne niedrig und Zeit, dass in der Kulturförderung diese duktionsstätte – ganz unabhängig von setzen und von ihr zu lernen. vielschichtig. Es erinnert an vorindus- der Arbeitsschutz gering sind. Das in- internationale Relevanz der UNESCO- der Kultur. Kulturelle Umnutzung ist trielle Formen des Bergbaus, etwa im dustrielle Elend, das über einen sehr Welterbestätten mit einem eigenen, eine weitere Chance. Sie sollte aller- Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer Welterbe Rammelsberg zusammen mit ausreichend ausgestatteten Förder- dings genau abgewogen werden. Nicht des Deutschen Kulturrates der Altstadt von Goslar und dem Har- titel deutlich wird. Die Bundesländer jedes Gebäude, nicht jede Industrie- zer Wasserregal. Es zeugt vom Erfi n- Die Corona-Pandemie und die Sitzgemeinden sind sehr oft anlage ist für eine kulturelle Nutzung derreichtum in Deutschland schon vor führt den Verlust an mit der Förderung überfordert und mit denkbar oder sinnvoll. ZU DEN BILDERN der Industrialisierung, vom Reichtum, dem Welterbestatus sollte auch die Ver- Eine besondere Chance der Indus- Glanz und Gloria der Städte und von industrieller Fertigung pfl ichtung einhergehen, das Erbe immer triedenkmäler, und zwar sowohl der- Früher wurde in ihnen geschuftet, bitterer Armut und Ausbeutung. Das in Deutschland brutal wieder zu befragen und seine Präsen- jenigen, die als UNESCO-Welterbe heute bleiben sie uns als Kulturgut gilt auch für andere Industriedenkmäler vor Augen tation zu aktualisieren. Hier muss auch anerkannt wurden, als auch anderer erhalten oder werden zeitgemäß in Deutschland, die einerseits an den bei den sieben als UNESCO-Welterbe besteht darin, Arbeit zu refl ektieren. umgenutzt: die Denkmäler der In- Aufstieg Deutschlands zu einer der ausgezeichneten Industriedenkmälern Die Arbeit des Industriezeitalters mit dustriekultur. Dazu gehören nicht weltweit führenden Industrienationen langen Zeitraum die Gesellschaft in in Deutschland noch einiges geschehen. ihrer Ausbeutung genauso wie heutige nur die bekannten sieben deutschen erinnern und andererseits sinnbildlich Deutschland prägte, der Hunger und Industriekultur besteht aber nicht Formen der Arbeit, die ebenfalls oft auf UNESCO-Industrieerbestätten, die vor Augen führen, dass diese Produk- die Ausbeutung, wie sie in Werken von nur aus UNESCO-Welterbestätten. Es Ausbeutung basieren. Industriearbeit im Schwerpunkt »Industriekultur« tion in Deutschland der Vergangenheit Gerhart Hauptmann, Georg Weerth, Kä- gibt weitaus mehr ehemalige Fabrikge- hat sich dank starker Gewerkschaften in Politik & Kultur abgebildet sind, angehört. Es werden keine Steinkohle the Kollwitz und anderen eindrücklich bäude, die ihre Funktion verloren haben, und der in Deutschland verankerten sondern auch viele weitere impo- und kein Erz mehr gefördert, da die beschrieben wurde, wurde verlagert in weil vor Ort nicht mehr produziert wird Sozialpartnerschaft verändert. Die Ar- sante Denkmäler wie die Leipziger Vorräte erschöpft bzw. so unzugänglich die Länder des globalen Südens. oder weil sie nicht mehr funktional sind beitsbedingungen wurden humanisiert, Baumwollspinnerei oder die AEG- sind, dass ein Abbau wirtschaftlich kei- Bilder der heutigen Industrieproduk- und daher die Produktion in anderen dem Arbeitsschutz kommt eine hohe Turbinenhalle. Eine Auswahl sehen nen Sinn macht. Und auch der Braun- tion, speziell in der Automobilindustrie, Gebäuden erfolgt. Gerade mit Blick auf Bedeutung zu. Sozialpartner handeln Sie auf den folgenden Seiten. 22 INDUSTRIEKULTUR www.politikundkultur.net

Die Bundesförderung des industriekulturellen Welterbes Wege zu einem systemati- Für Stätten der Industriekultur gibt es schen Ansatz bis dato bundesseitig keine eigenen Förderprogramme. Der Koalitionsauf- trag, die Förderung von Industriekultur OLIVER SCHEYTT UND angemessen und praktikabel auszuge- JULIA ACKERSCHOTT stalten, ist noch nicht eingelöst. Bislang fehlt es an einer Fördersystematik, die ndustriekultur prägt unser Leben, angesichts der gewaltigen Zahl an und ihre Zeugnisse begegnen uns im der Vielgestaltigkeit von Stätten des Alltag allerorten: Heutige Städte industriekulturellen Erbes auch schwer- I verdanken ihre Gestalt der indus- lich zu entwickeln sein dürfte. triellen Revolution. Industriegebäude Demgegenüber ist die Zahl der prägen Raum und spiegeln Zeit. Der UNESCO-Welterbestätten limitiert. Begriff »Industriekathedrale« macht Insgesamt gibt es in Deutschland  Größe und Bedeutung für Leben und UNESCO-Welterbestätten; lediglich Arbeiten erst recht bewusst. Die Idee sieben sind Welterbe der Industrie- der Arbeitsteilung ermöglichte wirt- kultur. Diese bilden die Schnittmenge schaftlichen Aufschwung und setzte zwischen UNESCO-Welterbestätten zugleich den Menschen ins Räderwerk und industriekulturellem Erbe. Es sind der Maschinen, was soziale Herausfor- – chronologisch nach Ernennung geord- derungen begründete. net – das Bergwerk Rammelsberg, die Die Industrialisierung bereitete in Völklinger Hütte, der Industriekomplex Deutschland den Weg zum Sozialstaat, Zollverein in Essen, das Fagus-Werk in indem sich Unternehmer mit Fragen Alfeld, die Hamburger Speicherstadt, nach einer ausreichenden Versorgung das Augsburger Wassermanagement- ihrer Arbeiterschaft auseinandersetzen system und die Montanregion Erzge-

mussten. Ernst Abbes sozialpolitisches birge/Krušnohoří. BILDARCHIV DUMONT / ALLIANCE PICTURE FOTO: Wirken bei Carl Zeiss geben ebenso Die Welterbestätten befi nden sich Seit  gehört das Besucherbergwerk Rammelsberg zum UNESCO-Weltkulturerbe Zeugnis davon wie etwa die Arbeiter- in unterschiedlichen Trägerstrukturen siedlungen der Zechen- und Stahlwerke und spiegeln die Vielfalt des Themen- postkolonialen Erbes ab. Die Förderung Der folgerichtige zweite Schritt wäre, Bund selbst profi tieren: Die Stiftung an Ruhr und Emscher. Die Industriali- komplexes wider: von der Eisenhütte im des postindustriellen Erbes sollte sich national bedeutsame Einrichtungen, zu würde einen einheitlichen Ansprech- sierung war Wegbereiter der Globalisie- Saarland bis hin zum Stadtensemble in daran orientieren. denen die Welterbestätten unzweifel- partner für den Bund bilden. Sie könnte rung, denn die Schaff ung und der Aus- Hamburg. Die Bandbreite an Förderung haft gehören, zu listen und hierdurch eine Verteilerfunktion für die Bundes- bau von Infrastruktur schuf nicht nur reicht von keiner – wie derzeit im Fall einen Zugang zu einer Bundesförde- mittel übernehmen und aufgrund der Systematik für eine Förderung Wege für den Transport von Rohstoff en der grenzüberschreitenden Montan- rung zu ermöglichen, die eine institu- rechtlichen Ausgestaltung ein Mit- der UNESCO-Welterbestätten und Menschen, sondern beschleunigte region – bis hin zu einer vom Sitzland tionelle Förderung umfassen kann. spracherecht des Bundes über Gremi- Industriekultur auch den Wissensaustausch und ver- mitfi nanzierten institutionellen Förde- Bisher werden sieben kulturelle enarbeit sichern. Es könnten Synergien größerte das Innovationspotenzial. rung – wie im Fall des Welterbes Zoll- Letztlich erscheint die Bildung einer Leuchttürme des Blaubuchs durch durch ein gemeinsames (inter-)natio- Industrie prägte Lebensbedingungen, verein. Keine dieser Welterbestätten Dachorganisation für die sieben Welt- die Beauftragte der Bundesregierung nales Kultur- und Tourismusmarketing gestaltete Stadträume, erfand neue erhält bisher indes eine institutionelle erbestätten der Industriekultur als ein für Kultur und Medien institutionell ausgeschöpft werden. Als Wissensplatt- Gewohnheiten und stiftete Identität. Förderung seitens des Bundes. »Königsweg« zur Einlösung des Koaliti- gefördert; vier davon sind UNESCO- form und Kompetenzzentrum für das Dies geschieht immer noch: Indus- onsauftrags. Er verbindet alle skizzier- Welterbestätten. Darüber hinaus erhält Management von Welterbestätten der trie zeichnet sich insbesondere durch ten Elemente dann, wenn von ihr auch deutschlandweit kein Welterbe eine Industriekultur und Industriekultur ge- Lösungsansätze zum Einlösen des die Anforderung und den Anspruch an die Industriekultur insgesamt profi tie- institutionelle Förderung und somit nerell würde eine zentrale Institution Koalitionsauftrags Digitalisierung aus. Bilder von rauchen- ren kann, indem hier eine Schaltstelle auch keine national bedeutsame Stät- innerhalb Deutschlands und Europas den Schornsteinen und körperlich hart Um den im Koalitionsvertrag  for- und Drehscheibe für den Umgang mit te der Industriekultur, obgleich sie für geschaff en, die der Industriekultur in- arbeitenden Menschen begreifen wir mulierten Auftrag zu erfüllen, sind drei den industriekulturellen Stätten in die (inter-)nationale Geschichts- und ternationale Strahlkraft verschaff t. heute als postindustriell. Das postin- Wege denkbar, eine Bundesförderung Deutschland (und Europa) entsteht. So Erinnerungskultur eine ebenso hohe dustrielle Zeitalter ist in der Geschichts- zu gestalten. lassen sich die drei genannten Wege Bedeutung haben, ja, an und mit ihnen Oliver Scheytt ist Professor für Kultur- und Erinnerungskultur neben das post- . Es könnte ein Fonds »Industrie- auf elegante Art miteinander verbinden die heutige postindustrielle Ära in ih- politik und kulturelle Infrastruktur an koloniale getreten. kultur« aufgesetzt werden, der mit aus- ebenso wie die Betriebsmittel- mit der rer Herkunft refl ektiert und bewusst der Hochschule für Musik und Theater reichenden Mitteln ausgestattet wird. Investitionsförderung: Industriekultu- gemacht werden kann. Stätten der Hamburg, Mitglied des Präsidiums des Aufgrund der Vielzahl industriekul- relle Stätten haben Mittelbedarf sowohl Industriekultur sind zudem Zukunfts- Goethe-Institutes und war von  Koalitionsauftrag  tureller Stätten wird es jedoch schwer, für Investitionen als auch für den Be- standorte, die unter dem Schlagwort bis  Mitglied der Enquete-Kom- Der Koalitionsvertrag  formuliert eine Verteilung der Mittel zu erzielen, trieb. Durch eine institutionelle Bun- »Industrie .« ein klares Postulat an mission »Kultur in Deutschland« des einen Auftrag zur Förderung von In- die im Einzelnen wirksam wird. desförderung einer Dachorganisation Gegenwart und Zukunft formulieren. Deutschen Bundestages. Julia Acker- dustriekultur: »Den Erhalt des baukul- . Eine weitere Möglichkeit besteht kann für beide Bedarfe dauerhaft eine Ginge der Bund diesen zweiten schott ist bei der Kulturexperten Dr. turellen Erbes über die Förderung von darin, aus der Gesamtheit der indust- sichere Perspektive geschaff en werden. Schritt, könnte nicht nur eine Dachor- Scheytt GmbH als Senior-Beraterin in Denkmalschutz und -pfl ege wollen wir riekulturellen Stätten einzelne beson- Damit würde an die Förderung von ganisation, etwa eine »Stiftung Welter- den Bereichen Strategie und Kultur- im Zusammenwirken mit den Ländern ders förderwürdige Objekte zu fördern. Kultureinrichtungen aufgrund des Ar- be Industriekultur«, sondern auch der immobilien tätig und unter Einbezug von Stätten der Hierfür wäre ein Kriterienkatalog zu tikels  des Einigungsvertrags in den Industriekultur fortsetzen und aus- erarbeiten, der eine Bundesförderung neuen Ländern angeknüpft und die da- bauen, ebenso wie die Förderung der analog spezieller Programme des Bun- raus entwickelte Systematik einer Bun- UNESCO-Welterbestätten im Inland des etwa im Rahmen der Konjunktur- desförderung auch auf die Welterbe- ÜBERBLICK SCHWERPUNKT (…).« Damit wird ein neues Kapitel für programme rechtfertigt. Um den Koali- stätten der Industriekultur angewandt. die Bundesförderung der Industrie- und tionsauftrag einzulösen, müssten diese Wie bewahren wir das Erbe der Indus- es in Deutschland zahlreiche ande- Welterbestätten aufgeschlagen. dann auch verstetigt werden. trialisierung? Auf S.  beschreiben re Industriedenkmäler. Viele wurden Blaubuch als Folie einer Die Selbstverpflichtung der Koa- . Schließlich könnten die sieben Ackerschott und Scheytt Wege zur von bekannten Industriearchitekten Fördersystematik litionspartner folgt dem Ansatz des Welterbestätten der Industriekultur Förderung des industriellen Erbes. entworfen. Zu ihnen zählen Gropius, kooperativen Kulturföderalismus. Ins- als eine besondere Einheit gefördert Seit bald  Jahren steht das postko- Um Zukunftsvisionen zu entwerfen, Behrens und Eiermann – mehr dazu besondere bei national bedeutsamen werden. Dem Grundsatz des koopera- loniale Erbe in den neuen Ländern im sollte man die Geschichte kennen: auf S. . Auch der Gasometer in Ber- Angelegenheiten wirken Länder und tiven Kulturföderalismus entsprechend Fokus der Bundesförderung. Grundlage Misik wirft einen Blick auf die letzten lin ist nicht nur Wahrzeichen, sondern Bund im Zuge einer Verantwortungs- könnte so eine Verfl echtung der Ebe- ist in der Regel das sogenannte Blau-  Jahre der Industriekultur auf S. . Industriedenkmal. Auf S.  lesen Sie partnerschaft zusammen. nen und Akteure durch die Bildung buch, das »Kulturelle Leuchttürme« in Bohle gibt auf S.  einen Einblick in über den aus Günter Jauchs Talkshow Dass industriekulturelles Erbe einer Dachorganisation, in Form einer Ostdeutschland benennt. Diese werden die Städtebauförderung von Bund und bekannten Ort. gleichrangig neben UNESCO-Welter- »Stiftung Welterbe Industriekultur«, als »gesamtstaatlich bedeutende Kul- Ländern, während Hahne die Arbeit Auch die Metropolregion Mittel- bestätten genannt wird, unterstreicht geschaff en und gesichert werden. tureinrichtungen« defi niert. Insgesamt der BKM zu Industriekultur vorstellt. deutschland blickt auf eine langjäh- dessen Bedeutung und bringt ein neues In jedem der drei Fälle müssten die sind es  an der Zahl. Darunter fi nden Böhmer zeigt auf S.  die sieben rige Industriegeschichte zurück: To- Bewusstsein der Politik ihm gegenüber Rahmenbedingungen derart verbessert sich allerdings keine Stätten der Indus- deutschen UNESCO-Industrieerbe- baben erzählt auf S.  davon. zum Ausdruck. Angemerkt sei, dass werden, dass auf Bundesebene Mittel triekultur. stätten. Dazu zählen: das Augsbur- Auf S.  gibt Cappeller Einblicke die Förderwürdigkeit von Welterbe in ausreichendem Maße zur Verfügung Das Blaubuch könnte als Folie einer ger Wassermanagement-System, das in das Kollektiv Industrie.Kultur.Ost. aufgrund dessen (inter-)nationaler stehen. Doch haben sich die Vorzei- allgemeinen Fördersystematik dienen: Fagus-Werk, das Welterbe im Harz, Ebendort stellt sich die Stadt aus Bedeutung unstrittig ist. chen dafür angesichts der Herausfor- Der Bund hat einen ersten Schritt in die Hamburger Speicherstadt und das Eisen, Ferropolis, vor. Groll spricht Ein Blick auf die Förderung von derungen der Corona-Pandemie seit diese Richtung bereits gemacht, wenn- Kontorhausviertel, die Montanregion auf S.  über Bergbautraditionen in UNESCO-Welterbestätten durch den Abschluss des Koalitionsvertrags im gleich nur bezogen auf Investitionen: Erzgebirge/Krušnohoří, die Völklin-ger Thüringen und Oevermann geht auf Bund zeigt jedoch, dass es zwar fall- Jahr  radikal geändert. Immerhin »Investitionen für nationale Kulturein- Hütte und die Zeche Zollverein. Auf Industriekultur in der städtischen weise befristete Förderprogramme gibt es eine Beschlusslage, für das Erbe richtungen in Ostdeutschland«, kurz: den S.  bis  werden sie vorgestellt. Transformation ein. gab, eine systematische und generelle Preußens und die Schlösser und Gärten »Invest Ost«, ist seit  zu einem ge- Auf Seite  gibt Tönjes Einblick Deutschlands Industrieerbestätten Förderung aber nicht Teil des Bundes- in den neuen Ländern jährlich mehrere samtdeutschen Programm ausgewei- in die Arbeit der RAG-Stiftung, die sind von internationalem Rang, daher portfolios ist. So wurde das Investiti- Hundert Millionen zur Verfügung zu tet worden. Nun können nicht nur im auf dem Gelände der Zeche Zollver- ist die länderübergreifende Vernet- onsprogramm »Nationale UNESCO- stellen. Diese Summen bilden off en- Blaubuch gelistete Institutionen Mittel ein zu Hause ist. Neben den sieben zung wichtig: Tempel zeigt die Arbeit Welterbestätten«  abgewickelt. sichtlich die Bedeutung der Förderung aus dem Programm erhalten. UNESCO-Industrieerbestätten gibt des TICCIH-Nationalkomitee auf S. . Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 23

Die alten und neuen Arbeiterklassen Industriekultur und Strukturwandel in den vergangenen  Jahren

ROBERT MISIK Die brutalen Strukturkrisen kennen wir dustriestadt wie Nürnberg in Bayern Bewusstseins« ihrer Nationen rückten. sonal im Spital. Der Mann, der unsere alle aus den Nachrichten – oder zumin- hört man ganz ähnliche Geschichten Sie machten einen Aufstieg, hatten Heizung wartet. Die Beschäftigten am ultur ist das, worauf wir aus dest die Älteren unter uns: die Krise der wie in Steyr. »Die Menschen waren über politische Repräsentation und konn- Bau, vom Maurer bis zum Polier. Der einer historischen Distanz zu- Stahlindustrie im Saarland, der Unter- Jahre mit der Verarbeitung des Leids ten Respekt für ihre Werte einfordern, Mechatroniker im mittelständischen K rückblicken. Die »Kultur« der gang des Bergbaus im Ruhrgebiet, die beschäftigt«, erzählt Olaf Klumpp- etwa, dass jedem für harte Arbeit eine Exportunternehmen. Die Leute von Gegenwart ist meist zu amorph, zu Werftenschließungen an der Küste. Und Leonhardt. Der große, drahtige Mann Gegenleistung zusteht, dass die »einfa- der Müllabfuhr und die Busfahrer. Der widersprüchlich, zu ungeklärt, um sie oft hört man, wenn man diese Regio- war fast zwei Jahrzehnte in verschie- chen Leute« ein Stück vom Wohlstand Lehrer in der Grundschule. Die junge auf einen Begriff zu bringen. In diesem nen besucht, ein paar Jahre später Sätze denen Funktionen in der Verwaltung abbekommen sollten und so weiter. Die Frau im Call-Center. Die Technikerin Sinne ist auch der Begriff der »Indust- wie: »Wir haben den Strukturwandel damit befasst, die Stadt aus der Krise Arbeitsbeziehungen in der Fabrik stifte- bei der Mobilfunkfi rma. Die Burschen, riekultur« einer, der den Verdacht na- geschaff t«. Doch immer noch steckt das zu führen. »Massenarbeitslosigkeit ten Solidarität und sie griff auch auf das die die elektrischen Tretroller einsam- helegt, diese wäre Vergangenheit. In der Trauma ganzen Städten in den Knochen. war plötzlich ein Phänomen«, erinnert sonstige soziale Leben über, etwa auf meln und aufl aden. Die Programmierer Hochphase des industriellen Zeitalters Das betriff t die Industrieregionen Klumpp-Leonhardt sich an die er Freizeitaktivitäten. Man grillte mit den und Designer, die stundenlang im Büro mit seinen Bezugspunkten – Großfabrik, in der Steiermark in Österreich ge- Jahre. Es begann mit dem Untergang Kollegen am Wochenende, die Männer hinter dem Computer sitzen. Die pre- industrielle Arbeitsbeziehungen, In- nauso wie etwa eine Stadt wie Steyr in der Firma Triumph-Adler, ging weiter gingen zu den Spielen der lokalen Fuß- käre Datenverarbeiterin. Der Azubi. Der dustrieproletariat als scheinbar relativ Oberösterreich. Hier waren die Steyr- mit der Pleite von Grundig, dem Kollaps ballvereine. Lkw-Fahrer. Die junge Teilzeitkraft im homogene Bevölkerungsgruppe –, hätte Daimler-Puch-Werke jahrzehntelang legendärer Leitfi rmen wie Quelle und Fast-Food-Restaurant. Gabelstaplerfah- wohl kaum jemand von »Industriekul- das Leitunternehmen, sie gehen zurück dem radikalen Stellenabbau bei AEG. rer. Dachdecker. Die Leute vom E-Werk, tur« gesprochen. auf die Josef Werndls Waffenfabrik »Es gab mehr stilles Leiden statt gro- die die Leitungen legen, die Frauen Der Begriff der Industriekultur evo- aus dem . Jahrhundert. Ab Ende der ßer Proteste.«Hinter Statistiken und Wir sollten auf die und Männer von der Telekom, die das ziert auch eine Reihe von Vorannah- er Jahre ging es mit dem Unter- Schlagzeilen gehen oft die Geschich- Geschichten der Breitband in den Häusern hochzie- men: dass mit einer Produktionsweise nehmen bergab, bis es fi letiert wurde. ten der Menschen verloren. Und unsere Menschen achten, die hen. Die Paketschupferin bei Amazon. und den mit ihr verbundenen sozialen Die Panzerproduktion wurde eingestellt, Vorstellungen von Industriekultur sind in den Industriedenk- Die Zugbegleiterin bei der Deutschen Beziehungen auch eine »Kultur« ein- Sturmgewehre werden jetzt von einem oft von der materiellen Kultur geprägt. Bahn. Der Monteur mit Eigenheim. Der hergeht. Eine Lebenskultur etwa, aber eigenen Unternehmen für den Welt- Wenn wir vor einer Dampfmaschine mälern arbeiteten Erntehelfer. Die Ganztagespfl egerin auch ein Set an Gerechtigkeitsnormen markt produziert, MAN übernahm den stehen, erschlägt der Eindruck des Ar- aus Bulgarien. Der arbeitslose Fiftyso- und Werten, und auch eine materielle Nutzfahrzeugsektor, BMW die Motoren- tefakts schnell jede Geschichte jener, mething, der in seiner dritten sinnlosen Kultur, etwa die Ästhetik der Fabriken. produktion. SKF produziert Kugellager. die rund um die Maschine arbeiteten. Zugleich waren diese »arbeitenden Umschulungsmaßnahme steckt. Der Große Backsteinkomplexe in den Städ- Aber über die gesamten vergangenen  Oft haben wir vielleicht Klischeevor- Klassen« natürlich nie so homogen, Prekäre, der sich durchkämpft. ten, die heute entweder abgerissen sind Jahre hörte der Strukturwandel nicht stellungen vor Augen: von männli- wie sie im Rückblick scheinen. Deswe- Wenn wir auf die historischen In- oder einer anderen Verwendungsweise chen Arbeitern im Blaumann, die in gen meinen ja nicht wenige Historiker dustriedenkmäler blicken wie auf zugeführt, die großen Fabrikschlote, die den er, er oder er Jahren – auch auf die Arbeiterklasse der Ver- stählerne oder steinerne Zeugen einer Hochöfen in den Stahlwerken außer- in langen Kolonnen in die Fabrik ge- gangenheit gemünzt –, dass der Begriff vergangenen Kultur, sollten wir auf halb der großen Städte usw. Unsere Vorstellungen hen. Diese Vorstellungen prägen das der »arbeitenden Klassen« – also im die Geschichten der Menschen achten, Industriekultur ist daher auch et- von Industriekultur retrospektive Bild von der historischen Plural! – viel zutreff ender wäre. die hier arbeiteten – und auf die Ge- was, was heute ausgestellt wird: in den sind oft von der industriellen Arbeiterklasse. Es ist auch eine moderne Mytho- schichten jener Menschen, die heute Arbeitsweltmuseen, im Rahmen der materiellen Kultur Im Laufe des . Jahrhunderts ver- logie, wenn man aufgrund des Struk- die arbeitenden Klassen bilden. Diese Industrierouten. Industriekultur, das wandelte sich die Arbeiterklasse »von turwandels weg von der gewerblichen Geschichten kommen in unseren öf- ist heute bisweilen »Industrial Porn«, geprägt den Armen zum Volk«, wie das die bri- Großfabrik von einem Verschwinden fentlichen Debatten praktisch nicht verfallene Industrieruinen, die als coole tische Forscherin Selina Todd nennt, der arbeitenden Klassen sprechen wür- vor. Die Menschen sind unrepräsentiert, Fotolocations taugen, oder »Industrial die eine große Studie über die realen de. Sie existieren immer noch und sie ihre Hoff nungen, ihre Lebenswelten Design«, Vintageästhetik. auf. Die Krise bestimmte sein ganzes arbeitenden Klassen geschrieben hat. sind wie je heterogen, nicht homogen. und auch ihr Leid, sie sind in den heu- Heute herrschen ein paar Grundan- Leben, erzählt Ernst Schönberger, ab Justin Gest, ein amerikanischer For- Wer gehört heute dazu? Die Arbeiter bei tigen politischen Diskursen oft nicht nahmen vor, oft sind es auch nicht mehr den er Jahren Betriebsrat bei MAN. scher, der Feldstudien unter den ar- Mercedes in Stuttgart oder bei MAN in einmal artikuliert. als Schlagworte. Dass wir in der »post- »Einige Jahre lang sind regelmäßig beitenden Klassen im US-Mittelwesten Nürnberg. Die Köche in unserem Lieb- industriellen Gesellschaft« leben, eine, Hundertschaften an Beschäftigten ent- und in London machte, spricht davon, lingsrestaurant. Die Kindergärtnerin. Robert Misik lebt als Autor, in der die alte »Arbeiterklasse« unter- lassen worden«, erzählt er. »Die Angst dass diese Arbeiterklassen im Laufe des Verkäufer im Supermarkt, die Frauen, Ausstellungsmacher und gegangen ist. Dass wir im Westen einen ist nie mehr weggegangen.«In einer In- . Jahrhunderts in das »Zentrum des die die Regale auff üllen. Das Pfl egeper- Veranstaltungskurator in Wien Prozess der »Deindustrialisierung« hin- ter uns haben. Gerne ist auch von der »Dienstleistungsgesellschaft« die Rede. Vor bald  Jahren schrieb André Gorz, der französische Sozialphilosoph, vom »Abschied vom Proletariat«. Seit den er Jahren gingen in al- len früheren Industriestaaten Millio- nen gewerbliche Arbeitsplätze verloren, deutlich weniger Arbeitnehmer arbei- ten in Unternehmen mit mehr als . Beschäftigten, die Zahl der Arbeiter in der Industrie schrumpfte in absoluten Zahlen, und sie schrumpfte noch ra- santer in relativen Zahlen: Immer mehr Beschäftigten stehen immer weniger industrielle Arbeiter gegenüber. Man darf aber deswegen auch nicht dem Irr- tum erliegen, dass bei uns »überhaupt nichts mehr produziert wird«. Arbeits- plätze in der industriellen Fertigung sind nicht nur nach Südostasien oder Osteuropa abgewandert, sie sind auch durch Automatisierung ersetzt worden. Nicht selten haben wir es auch nur mit statistischen Eff ekten zu tun. Der deutsche Wirtschaftshistoriker Lutz Raphael hat die vergangenen Jahr- zehnte dieses Strukturwandels jüngst in seiner phänomenalen Studie »Jen- seits von Kohle und Stahl« beschrieben. Zunächst bedeutet Deindustrialisie- rung, auch dann, wenn sich Industrien behaupten können, den Verlust von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe. Und der ist »aufs Engste mit der Steigerung der Arbeitsproduktivität verbunden«, so Raphael. Für Deutschland heißt das: Manche Industrien gingen weitgehend unter – Stahl, Werften, Bergbau, Textilindustrie –, andere konnten sich behaupten, in Westeuropa etwa die Chemieindustrie, die Elektroindustrie, Maschinenbau, Automobilbau, Rüstung, Luftfahrt. Aber

auch diese Industrien erlebten massive IMAGEBROKER / ALLIANCE PICTURE FOTO: Rationalisierungswellen. Die AEG-Turbinenhalle: ein Schlüsselmoment der Architekturgeschichte in der Moabiter Huttenstraße 24 INDUSTRIEKULTUR www.politikundkultur.net

Veränderungen erfolgreich meistern Die Städtebauförderung des Bundes und der Länder

ANNE KATRIN BOHLE Es bleibt ein reiches industriekulturel- Regionen brauchen Hilfestellung und Herangehensweise von Stadtentwick- wir mit diesen national und interna- les Erbe, das über ganz Deutschland Unterstützung dabei, diese Verände- lung und Denkmalschutz innerhalb tional bedeutenden Projekten haben, as baukulturelle Erbe der verteilt ist. Im Mittelpunkt stehen da- rungsprozesse erfolgreich zu meistern. des Programms »Lebendige Zent- wollen wir ausschöpfen und nutzbar europäischen Städte ist bei vor allem heutige UNESCO-Welter- Hier setzt die Städtebauförderung des ren«, aber auch programmübergrei- machen für die drängenden Fragen der Gedächtnis, Ressource und bestätten, wie die »Völklinger Hütte« Bundes und der Länder mit ihrem inte- fend, noch einmal gestärkt. Neben Stadtentwicklung und die Suche nach D Potenzial zugleich, es ist oder die »Zeche Zollverein«. Bereits grierten Handlungs- und Förderansatz dem Fokus auf den Erhalt, die Wei- beispielhaften Lösungen. Ausgangspunkt einer nachhaltigen mit der Internationalen Bauausstel- an. Hier stand in den vergangenen rund terentwicklung und Nutzung der Ge- Deshalb haben wir auch das Europäi- Stadtentwicklung. Dazu gehört selbst- lung Emscher Park ist es gelungen, das  Jahren insbesondere das Programm bäudesubstanz stehen Stadtstruktur, sche Jahr des kulturellen Erbes  er- verständlich auch der Erhalt und die industrielle bauliche Erbe einer von »Städtebaulicher Denkmalschutz« für Grünbereiche, Wasseranlagen sowie folgreich genutzt, um das Bewusstsein Entwicklung des industriellen Erbes. der Montanunion geprägten Region den zukunftsweisenden Umgang mit öff entliche Straßenräume und Plätze für das Thema Stadterneuerung und Die Industrialisierung Europas hat als gewachsene Kulturlandschaft zu dem bauhistorischen Erbe in der in- im Mittelpunkt. -entwicklung aus dem Bestand auf der das Gesicht unserer Städte und Land- bewahren und die identitätsstiftende tegrierten Stadtentwicklung.  zu- Daneben trägt der Bund mit sei- nationalen wie auf der europäischen schaften nachhaltig verändert. Seit gebaute Historie von Arbeits- und Le- nächst zur Rettung der historischen nen Sonderprogrammen – zunächst Ebene politisch sowie fördertechnisch vielen Jahrzehnten durchleben Europa benswelt zugleich als Anker und Motor Stadtkerne in den neuen Ländern ins mit der Förderung von Investitionen stärker in den Blickpunkt zu rücken. In und seine Wirtschaft erneut einen tief erfolgreichen Strukturwandels zu nut- Leben gerufen, wurde das Programm in deutsche UNESCO-Welterbestätten einer neuen Partnerschaft der Euro- gehenden Umbruch: Strukturwandel, zen. Zum industriellen Erbe gehören  auf die westlichen Länder und und seit  mit der Förderung von päischen Städteagenda zum behutsa- Arbeitsplatzverlagerung und Globalisie- aber auch weniger bekannte Indust- auch auf neue Entwicklungsschwer- Investitionen in Nationale Projekte men Umgang mit dem kulturellen Erbe rung führen dazu, dass kleine und große riedenkmäler, die das Bild vieler Städte punkte, wie z. B. auf die Industriekultur, des Städtebaus – maßgeblich dazu bei, haben wir gemeinsam mit Italien die Industriebetriebe, zum Teil sogar ganze und Gemeinden bis heute prägen und ausgeweitet. das bauindustrielle Erbe zu bewahren Federführung übernommen. Im Rah- Industriezweige, vor dem Aus stehen für die Stadtentwicklung wichtige Im- Bis heute haben mithilfe des Pro- und zeitgemäß weiterzuentwickeln. So men der deutschen Ratspräsidentschaft oder bereits geschlossen wurden. Die pulse geben. gramms bundesweit  Kommunen fi nden sich unter den von einer inter- in der zweiten Jahreshälfte wollen wir Zunahme an frei gesetzten Industrie- Aus Strukturwandel und Transfor- zeitgemäße Urbanität in Form von le- disziplinär besetzten Jury vorgeschla- erste Ergebnisse vorstellen. gebäuden oder großfl ächigen Arealen mation entstehen immer wieder Fra- bendigen Stadtquartieren entwickelt genen national bedeutsamen Projek- sind Indiz für den rasanten Struktur- gen nach Identität, Heimat und Wur- und gestaltet. Mit der Umsetzung der ten etwa historische Werkssiedlungen, Anne Katrin Bohle ist Staatssekretärin wandel von der Industriegesellschaft zeln. Das sehen wir in vielen Regionen neu strukturierten Städtebauförderung Konversionsprojekte bis hin zu ganzen im Bundesministerium des Innern, für zur Dienstleistungsgesellschaft. Deutschlands. Die Menschen in diesen seit Anfang  wird die integrierte Industrieanlagen. Das Potenzial, das Bau und Heimat

gierungsintern bei der Abstimmung zum Strukturstärkungsgesetz von An- fang an für die Berücksichtigung der Kultur eingesetzt. Sie konnte darin folgende Punkte verankern. Erstens: Kultureinrichtungen gehören zu den Förderbereichen der Finanzhilfen für die Länder. Zweitens: Es soll ein neu- es Förderprogramm Industriekultur zum Erhalt und zur Umgestaltung he- rausragender Industriegebäude und -anlagen zu lebendigen Kulturdenk- mälern geben. Drittens: Investitionen in die kulturelle Infrastruktur und die Förderung von Kultureinrichtungen und -projekten mit gesamtstaatlich- repräsentativer Bedeutung sind Teil der Förderung aus dem Strukturstär- kungsgesetz. Damit sorgen wir dafür, dass in den Braunkohleregionen bis weit in die er Jahre erhebliche Investitionen in (industrie-)kulturelle Einrich- tungen möglich werden. Wichtig ist dabei die enge Abstimmung mit den Braunkohleländern und den Akteuren vor Ort.

Wie soll das von Ihnen erwähnte Förderprogramm Industriekultur aussehen? Wir sind derzeit dabei, das Konzept für das Förderprogramm gemeinsam mit den betroff enen Ländern revier- spezifi sch zu fi nalisieren. Schon jetzt

FOTO: PICTURE ALLIANCE / GEISLERFOTOPRESS / ALLIANCE PICTURE FOTO: zeichnet sich ab, dass wir mit einer Die Hamburger Speicherstadt zählt zu den größten Lagerhauskomplexen der Welt sorgfältigen Erfassung der Potenziale der Industriekultur beginnen werden. Wir können hoff entlich im Jahresver- lauf in diese erste Programmphase starten. Kultur ist Voraussetzung für Mit dem auf knapp zwei Jahrzehnte angelegten Förderprogramm Indust- riekultur möchten wir nicht nur bau- kulturelles Erbe erhalten. Es sollen Strukturentwicklungsprozesse auch neue Orte für die Kultur und für die Kreativwirtschaft geschaff en wer- Drei Fragen an Kathrin des Strukturwandels bevor. Diese kräften und ihren Familien wichtig ist. stehenden Kultur- und Kreativwirt- den. Insgesamt sorgen wir damit für Hahne Transformation möchte die Bun- Der touristische Reiz von Orten und schaft für den Strukturwandel ist das ein Stück Identität. Denn Industrie- desregierung mit umfangreichen Gegenden wird ebenfalls ganz wesent- Ruhrgebiet. Doch während die Zeche kultur ist Wertschätzungskultur. Fördermaßnahmen begleiten, vor lich von kulturellen Ankerpunkten Zollverein fast jeder kennt, ist dies bei Deutschland war und ist ein Indust- Wie ist es um die Kultur in der Industrie- allem zur Schaff ung von Arbeits- bestimmt. Daneben tragen kultur- und der Förderbrücke F  oder der Ener- rieland. Deutschland war und ist ein kultur bestellt? Kathrin Hahne leitet die plätzen in unterschiedlichen Wirt- kreativwirtschaftliche Akteure ent- giefabrik Knappenrode, beide in der Kulturland. Damit ist es prädestiniert Gruppe Grundsatzfragen der Kulturpo- schaftszweigen. Dafür stellt sie bis scheidend zum ökonomischen Erfolg Lausitz, noch nicht der Fall. In diesen als »Industrie-Kultur-Land« – und litik, Denkmal- und Kulturgutschutz bei zu  Milliarden Euro in Aussicht. der vom Strukturwandel betroff enen und vielen weiteren Orten steckt viel mit diesen neuen Investitionen kön- der Beauftragten der Bundesregierung Was hat Kultur damit zu tun? Regionen bei. Es braucht Orte, die Potenzial für eine kultur- und kreativ- nen wir den Stellenwert der Indus- für Kultur und Medien (BKM). Politik Kultur ist notwendige Voraussetzung Besucherinnen und Besucher zu un- wirtschaftliche Entwicklung. triekultur maßgeblich stärken und & Kultur hat nachgefragt, welche Rolle für einen gelingenden Strukturent- terschiedlichen künstlerischen Erfah- zum Gelingen des Strukturwandels das Thema Industriekultur bei der BKM wicklungsprozess. Sie macht die regi- rungen und zum gesellschaftlichen Welche Punkte waren der Beauf- beitragen. spielt. onale Geschichte sichtbar und erfahr- Austausch einladen, die regionale tragten der Bundesregierung für bar. Dadurch unterstützt Kultur die Traditionen aufgreifen und zugleich in Kultur und Medien bei der regie- Kathrin Hahne ist Leiterin der Gruppe Im Zuge des durch Bund und Län- Identifi kation der Menschen mit ihren innovativer Weise kreative Zukunfts- rungsinternen Abstimmung beson- Grundsatzfragen der Kulturpolitik, der beabsichtigten Kohleausstiegs Heimatorten und Regionen. Kulturelle visionen anstoßen. Bestes Beispiel für ders wichtig? Denkmal- und Kulturgutschutz bei der steht den Braunkohleregionen ein Angebote sorgen für Lebensqualität, die Bedeutung der Industriekultur und Die Beauftragte der Bundesregierung Beauftragten der Bundesregierung für langjähriger, tiefgreifender Prozess die auch für den Zuzug von Arbeits- der mit ihr in enger Wechselwirkung für Kultur und Medien hat sich re- Kultur und Medien (BKM) Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 25

Kathedralen der Industrialisierung

Die sieben deutschen Dass wir heute von »Industriekultur« Jahr feiern wir das -jährige Jubiläum Die Stätten der Industriekultur bieten Europarats«. Industriekulturelle Land- UNESCO-Industrieerbe- sprechen, ist eine Leistung der letzten der Einschreibung der Zeche Zollverein auch die Gelegenheit für einen kriti- schaften und Netzwerke eignen sich Jahrzehnte. Der Begriff ermöglicht es, in die Liste der UNESCO-Welterbestät- schen Zugang zu unserer Geschichte. ganz besonders auch für die Digitali- stätten über die Technik und Baulichkeit der ten. Die Zechen und die Stahlindustrie Z. B. im Hinblick auf Umwelt- und Na- sierung: Innovative Lösungen schaff en Industriestätten hinaus zu gehen und des . und . Jahrhunderts beeinfl uss- turschutz – man denke an schwerme- neue, inklusive Zugänge und werden MARIA BÖHMER sie auch als Leuchttürme des steten ten das wirtschaftliche und soziale tallhaltige Grubenwasser, Rodungen zunehmend zentral für die Vermittlung strukturellen Wandels zu betrachten, Miteinander entscheidend; Menschen zur Holz- und Kohlegewinnung oder dieses Erbes sein; gleichzeitig bleibt uf den ersten Blick haben der ganz im Sinne des von der UNESCO vo- aus den unterschiedlichsten Regionen giftige Industrieabgase. Gleiches gilt, Barrierefreiheit eine Herausforderung Kölner Dom und die Völklinger rangetriebenen weiten Kulturbegriff s. kamen zu den Bergwerken, um vom wenn wir auf die Arbeitsbedingungen für große Areale. A Hütte wenig miteinander zu tun, Mit der Aufnahme herausragender Bei- Wohlstand und dem wirtschaftlichen blicken, insbesondere die der frühen Sich ähnelnde Stätten stehen vor und doch haben sie eine gemeinsame spiele der Industriekultur in das Erbe Aufschwung zu profi tieren. Auf Zeche Industrien oder die der dunklen Zeiten ähnlichen Aufgaben. Einige UNESCO- Eigenschaft: Sie sind Teil des Welter- der Weltgemeinschaft hat die UNESCO Zollverein in Essen waren über die der Zwangsarbeit. Es gilt daraus Lehren Welterbestätten mit Industrieer- bes und stehen unter dem besonde- den Erbebegriff um moderne Dimensi- Jahrzehnte eine halbe Million Arbeiter für die Zukunft zu ziehen. Wo, wenn begeschichte haben sich daher im ren Schutz der Welterbekonvention onen erweitert, die wir verstärkt erar- tätig. Die Stätte trug also maßgeblich nicht an Welterbestätten, könnten den »Arbeitskreis UNESCO Welterbe In- der UNESCO. Über eintausend Stätten beiten, beleuchten und vermitteln – es zu einem gesellschaftlichen Wandel bei Besuchern neue umweltschonende Ver- dustriekultur« zusammengetan und mit außergewöhnlichem Wert für die sind Orte des Lernens und Begreifens und beeinfl usste deutsche Integrations-, fahren und faire Arbeitswelten besser tauschen sich zu Fachfragen der Denk- Menschheit gibt es weltweit,  davon im Kontext von Frieden und Völkerver- Migrations- und Identitätsgeschichte vermittelt werden? Besucherzentren, malerhaltung und -sanierung oder zur sind in Deutschland zu fi nden. Wäh- ständigung, wie an einigen Beispielen nachhaltig. die an vielen Welterbestätten entste- Optimierung im jeweiligen Besucher- rend das Welterbe oft nur mit Kirchen, deutlich wird: Das bis heute zu spürende Zusam- hen, können hier einen entscheidenden service aus. Die Deutsche UNESCO- Schlössern und Altstädten assoziiert Das Augsburger Wassermanage- mengehörigkeitsgefühl der Kumpel Beitrag leisten. Kommission unterstützt solche Maß- wird, wächst die Gruppe der Stätten, ment-System wurde  in die Liste und ihrer Familien hat häufi g eigene Und schließlich hat unsere Indus- nahmen, die auch die Sichtbarkeit der die ihren Ursprung in unserer Indus- des UNESCO-Welterbes aufgenommen Kulturformen hervorgebracht, wie etwa triegeschichte eine europäische Di- Industriekultur im Welterbe erhöhen. triegeschichte haben: Nach der Auf- und gehört somit zu den jüngsten deut- im Erzgebirge: Die  in die Liste mension: Die »Europäische Route der Die erwähnten sieben deutschen In- nahme des Bergwerks Rammelsberg schen Welterbestätten der Industriekul- der UNESCO-Welterbestätten aufge- Industriekultur« (European Route of dustrieerbestätten sind wegweisend.  folgte die Völklinger Hütte  tur. Während des . bis . Jahrhunderts nommene Montanregion Erzgebirge/ Industrial Heritage, ERIH) macht das Sie sind nicht so sehr statische Mo- in die Liste. Bis heute kamen die Ze- wurde, bestehend aus Wassertürmen, Krušnohoří ist eine Bergbaulandschaft, auf eindrückliche Weise deutlich. Sie numente als vielmehr lebendige Orte che Zollverein (), das Fagus-Werk Pumpen und einem stadtweiten Ka- aus der festliche Traditionen der Berg- erschließt historische Kraftwerke, der Veränderung. in Alfeld (), die Speicherstadt in nalsystem, ein funktionales urbanes paraden und -aufzüge hervorgingen, Bergwerke, Mühlen oder Produktions- Hamburg (), zuletzt das Augsburger Wassersystem geschaff en, das erst auf die  ins Bundesweite Verzeichnis stätten unterschiedlichster Funktion Maria Böhmer ist Präsidentin der Wassermanagement-System und die den zweiten Blick als industrielles Erbe des Immateriellen Kulturerbes auf- und ist seit  eine »Kulturroute des Deutschen UNESCO-Kommission Montanregion Erzgebirge (beide ) zu erkennen ist. Besonders in Bezug auf genommen wurden. Sie ist zudem ein hinzu. Diese sieben Orte zeichnen sich Nachhaltigkeit, sei es im Bereich der exzellentes Beispiel dafür, dass gera- dadurch aus, dass sie nicht nur monu- Energiegewinnung oder Hygiene, fand de auch bei Industrieerbestätten der mentale Kristallisationspunkte techni- Augsburg Antworten auf drängende Blick über Grenzen hinweg zu richten INFORMATIONSSTELLE schen Erfi ndergeists, sondern zugleich Fragen der frühen Industrialisierung, ist. Denn heutige Grenzen verdecken Katalysatoren ökonomischer, sozialer quasi eine vorzeitige Umsetzung der den tatsächlichen Verlauf von Erzla- Seit  ist die Deutsche UNESCO- vom Auswärtigen Amt. Für Frühjahr und kultureller Entwicklungen sind. An nachhaltigen Entwicklungsziele. gerstätten ebenso wie von kulturellen, Kommission die »Informationsstel-  plant die Deutsche UNESCO- kaum einer anderen Kulturerbeform Ein anderes Thema, das uns beschäf- ökonomisch-politischen und histo- le Welterbe in Deutschland« und als Kommission gemeinsam mit dem können historische Erfahrungen und tigt, kann im Kontext des Welterbes In- rischen Bezügen. Die Stätte ist daher solche eine zentrale Vermittlerin Auswärtigen Amt, der Zeche Zoll- Herausforderungen der Moderne für dustriekultur in seiner ganzen Dynamik vorbildlich als transnationales Welterbe, zwischen den unterschiedlichen verein und weiteren Partnern eine die Zukunft anschaulicher aufgefächert historisch und gegenwärtig erfahren mit  Teilgebieten in Deutschland und Akteuren im Bereich Welterbe. Ge- Konferenz zum Thema Industriekul- werden als an der Industriekultur. werden: die Migration. Im kommenden Tschechien. fördert wird die Informationsstelle tur und Welterbe. Der Schlüssel zum Aufstieg Das Augsburger Wassermanagement-System

KURT GRIBL wusste. Dadurch blieb die Bürgerschaft eis aus dem Kanalsystem fernzuhalten, und geschätzt. Die Entscheidung der Welterbe Vorlage sein für ein intelli- jedoch weitestgehend von Choleraepi- damit so die Mühlen und Kraftwerke UNESCO macht uns Augsburger sehr gentes Wassermanagement-System, ie Geschichte der Stadt Augs- demien verschont. Gleichzeitig konn- unbeschädigt weiterarbeiten konnten. stolz, doch wie mit jedem Erbe, so ist gerade in Ländern, in denen Wasser burg ist von Beginn an eng te man eines der besten Trinkwasser Insgesamt umfasst das gesamte auch hiermit ein sehr hohes Maß an eine höchst begrenzte Ressource dar- mit dem Thema Wasser ver- Europas genießen. Spätestens ab dann Wassermanagement-System, das am Verantwortung verbunden. stellt. Augsburg ist sehr stolz und dank- D knüpft. Als strategisch güns- konnte man vom »Augsburger Wasser- . Juli  in die Liste der UNESCO- Primäre Aufgabe gilt dem Erhalt die- bar für die Erteilung des Titels eines tigen Ort hatten die Römer im Jahre  management« sprechen. Welterbestätten aufgenommen wur- ses Wassermanagement-Systems und Welterbes, aber Augsburg will und wird v. Chr. zwischen dem Zusammenfl uss Stellte dieses Gesamtkonzept aus de,  Objekte aus acht Jahrhunderten. dessen nachhaltige weitere Nutzung in auch aktiv und verantwortungsbewusst von Lech und Wertach das Lager für Wassertürmen, Pumpensystem und Entstanden waren sie alle, um die Le- all seinen Teilen. In der Frühen Neuzeit mit diesem Erbe umgehen. ihre Garnison errichtet. Damit war die Wasserverteilung eine innovative Inge- bensqualität der Bürger zu steigern. Bis war die Augsburger Ingenieurleistung Wasserversorgung für Mensch und Tier nieurleistung von Weltrang dar, so war heute werden sämtliche Teile dieses Vorlage für eine Reihe von europäischen Kurt Gribl ist Oberbürgermeister der garantiert. Über die Jahrhunderte hat- nun gleichzeitig zusätzliches Wasser Wassermanagement-Systems genutzt Staaten. Heute kann dieses UNESCO- Stadt Augsburg te man nach und nach das Wasser die- in der Oberstadt vorhanden, das auch ser beiden Flüsse mit einem konstant für die Speisung von Brunnen genutzt wachsenden Kanalsystem innerhalb der werden konnte. Der Errichtung einer Stadt für ihre Bürger nutzbar gemacht. Trias an Monumentalbrunnen stand Das Wasser war die Basis für Augsburgs nichts mehr im Wege. Seit  zieren enormes Wirtschaftswachstum im Mit- so die heutige Maximilianstraße vom telalter. Dank des Kanalnetzes war die Rathaus bis zum Stadtpalast der Fug- Grundlage der Wassernutzung geschaf- ger Meisterwerke aus Stein und Bronze: fen für die Weber, Tuchmacher, Gerber Augustusbrunnen, Merkurbrunnen und und Handwerksbetriebe. Herkulesbrunnen. Diese Infrastruktur der Kanäle hat- Eine weitere Sternstunde sollte das te Mitte des . Jahrhunderts auch die Wasser zu Beginn der Industriellen Re- Fugger nach Augsburg gebracht, jene volution erleben. Wiederum hatten In- Familie, die spätestens ab der Frühen genieure in Augsburg innovative Tech- Neuzeit Augsburg zu seiner Blüte führen nik geschaff en, welche die Wasserkraft sollte. Damals war Augsburg eine Stadt in nie gekannter Form zu nutzen wusste. von Weltrang. Das Geld in der Stadt Diese an Lech und Wertach errichteten sprudelte und bald sollte auch allerorten Wasserkraftwerke versorgten ab dem das Wasser intensiver sprudeln als zuvor. . Jahrhundert die neu entstandenen Mit einem innovativen Pumpensys- Fabriken der Textil- und Papierindust- tem gelang es, das Wasser in die höher rie mit der nötigen Energie. Augsburgs gelegene Oberstadt zu befördern. Das Aufstieg als Stadt der Textilindustrie war revolutionär, war so doch womög- war nicht zu stoppen. lich die erste dauerhafte Versorgung mit Schließlich war die kompetente fl ießendem Wasser von Einzelhäusern Nutzung des Wassers auch maßgeb- weltweit geschaff en. Doch damit nicht lich von Bedeutung, damit Augsburg genug. Gleichzeitig hatten sich die In- für die Olympischen Sommerspiele in genieure dieses Wasserversorgungs- München  Austragungsort der Ka- systems von Beginn an auch darum be- nuwettbewerbe werden konnte. Heute müht, das Brauchwasser von Trinkwas- ist der damals erneuerte Eiskanal eine ser getrennt voneinander zu befördern. der bedeutendsten Wettkampfstrecken

Dies also bereits zu Zeiten, in denen dieser Sportart. Ehedem diente der Ka- AUGSBURGER MARTIN FOTO: man von Hygiene noch nahezu nichts nal dazu, im Winter mögliches Treib- Das Wassermanagement-System umfasst  Objekte. Eines davon: das Kraftwerk Meitingen 26 INDUSTRIEKULTUR www.politikundkultur.net FOTO: UNESCOWELTERBE FAGUSWERK UNESCOWELTERBE FOTO: Die Fabrikanlage der Fagus-GreCon Greten GmbH & Co. KG in Alfeld (Leine) war der erste große Bau von Walter Gropius Ein lebendes Denkmal Das Fagus-Werk schwieriges Fahrwasser. Es stand vor der mit ca.  Prozent an den Kosten. Die Familienunternehmen  Menschen Jahr fanden im Werk z. B.  Tagungen, Insolvenz. Das Unternehmen hatte es weitere Hälfte wurde aus dem Unter- tätig.  kulturelle Veranstaltungen, wie Thea- KARLHEINZ DUWE versäumt, neue Produkte auf den Markt nehmen erwirtschaftet. Die Arbeiten Natürlich ist es auch für ein erfolg- terauff ührungen, Musikveranstaltungen, zu bringen. wurden in engster Abstimmung mit den reich am Markt agierendes Unterneh- Sonderausstellungen, Vorträge und Le- as Fagus-Werk dominiert eine Mit Gerd und Ernst Greten, Urenkel Organen der staatlichen Denkmalpfl ege men etwas außerordentlich Positives, sungen statt. Fassade aus wenig Stahl und des Firmengründers Carl Benscheidt, durchgeführt. den Status einer UNESCO-Welterbe- In dem ehemaligen Lagerhaus zur D mit prägnanten Glasflächen. trat  die vierte Generation in die Es macht ja gerade den einzigarti- stätte zu besitzen. Indessen kann dieser Trocknung von Schuhleistenrohlingen Vor dem Ersten Weltkrieg ließen Indust- Führung des Familienunternehmens gen Charme dieses Industriedenkmals Umstand, jedenfalls gelegentlich, mit ist auf über elf Etagen auf . Quad- riebauten oft auf den ersten Blick erken- ein. Die Ingenieure brachten mit dem und natürlich auch der UNESCO-Indus- nicht unerheblichen Belastungen ver- ratmetern Grundfl äche die Fagus-Gro- nen, dass den damaligen Eigentümern Maschinenbau sowie elektronischen triewelterbestätte aus, dass hier noch bunden sein: Die Besucherführungen pius-Ausstellung untergebracht. Mehr der Produktionsanlagen eher wenig bis Produkten in der Mess- und Funken- viele Menschen ihren Arbeitsplatz bei laufender Produktion fi nden nahezu als . Originalmodelle erwarten gar nicht an gesunden Arbeitsstätten löschtechnik neue Produkte ein, de- haben. Das ist ein echtes Alleinstel- täglich statt. die Besucher im historischen Schuh- gelegen war. Oftmals wurden die Indus- ren Fertigung den Bestand des Unter- lungsmerkmal. Es gibt weltweit keine Um das Unternehmen von diesen leistenarchiv. triearbeiter in »herzlosen« Bauten un- nehmens bis heute erfolgreich sichern. weitere Industriewelterbestätte, in der betriebsfremden Aufgaben ein wenig Weitere Informationen zum tergebracht, die weder Licht, Luft noch Zu der Zeit war das bereits  noch produziert wird. zu entlasten, wurde mit der UNESCO- UNESCO-Welterbe Fagus-Werk und Sonne kannten. von den britischen Besatzern unter Den Wandel des Unternehmens Auszeichnung der gemeinnützige Verein zum Verein der Freunde und Förderer Das entsprach in keiner Weise den Denkmalschutz gestellte Gebäude in kann man an den einzelnen Geschäfts- der Freunde und Förderer der UNESCO- des Fagus-Werks fi nden Sie unter fagus- Vorstellungen von Walter Gropius und die Jahre gekommen. Unterlassene zweigen gut nachvollziehen. Von den Welterbestätte Fagus-Werk gegründet. werk.com. Carl Benscheidt, die sich  anschick- Unterhaltungsarbeiten bewirkten ei- ehemals über  Mitarbeitern in der Der Verein hat es sich zur Aufgabe ge- ten, das Fagus-Werk zu bauen. nen Verfall der Bausubstanz. Das Werk Schuhleisten- und Stanzmesserpro- macht, der Öff entlichkeit, insbesondere Karl-Heinz Duwe ist ehemaliger Gropius sagte bei einem Vortrag musste aufwendig restauriert werden. duktion sind das heute noch knapp . der jüngeren Generation, die Bedeutung hauptamtlicher Bürgermeister der am . Januar  – vor seiner ersten Mit den Arbeiten wurde  begon- In den Bereichen Brandschutz- und der Welterbestätte zu vermitteln. Stadt Alfeld (Leine) und Vorsitzender Begegnung mit Benscheidt – im Folk- nen, sie dauerten bis . Insgesamt Messtechnik arbeiten gegenwärtig am Die UNESCO-Welterbestätte hat sich des Vereins der Freunde und Förderer wang-Museum in Hagen: »Der Arbeit wurden rund , Millionen Euro inves- Standort Alfeld  Mitarbeiterinnen zu einem »kulturellen Leuchtturm« in des UNESCO-Weltkulturerbes müssen Paläste errichtet werden, die tiert. Bund und Land beteiligten sich und Mitarbeiter. Weltweit sind für das der Region entwickelt. Im vergangenen Fagus-Werk dem Fabrikarbeiter, den Sklaven der mo- dernen Industriearbeit, nicht nur Licht, Luft und Reinlichkeit geben, sondern ihn noch etwas spüren lassen von der Würde der gemeinsamen großen Idee, die das Ganze treibt. Erst dann kann der Versteckter Genius einzelne Persönliches dem unpersönli- chen Gedanken unterordnen, ohne die Das Welterbe im Harz: Bergwerk Rammelsberg, Altstadt von Goslar und Oberharzer Wasserwirtschaft Freude am Mitschaff en großer gemein- samer Werte zu verlieren, die früher dem GERHARD LENZ Kilometer untertägige Anlagen, die in zur Tochter des Berges und seiner Pro- Die Komplexität verständlich zu ma- Machtbereich des Individuums uner- ihrer Integrität nur in geringem Um- sperität. Sie umgab sich mit »dicken chen und die »Spuren im Raum« zu reichbar waren.« n der Vorstellung der Menschen fang durch moderne Interventionen Mauern«, weil sie Reichtum zu vertei- lesen, ist die Aufgabe der Stiftung Carl Benscheidt war ein sozial en- sind es die »Kathedralen der verändert wurden, erleben und mit digen hatte, über hundert Reichstage Welterbe im Harz, die in diesem Sin- gagierter Unternehmer, der sein Leben Arbeit«, die das Bild der Indus- ein wenig mehr Kondition bis ins . fanden in ihr statt und die Kaiserpfalz ne die einzelnen Elemente vernetzt, an bestimmten, sogar kodifi zierten, Le- I triekultur in Deutschland ver- Jahrhundert hinabsteigen. in Goslar wurde zu einem beliebten qualifi ziert und entwickelt. bensgrundsätzen ausrichtete. Einer lau- körpern. Auch die Tagesanlagen des Begibt man sich in die Bergbau- Aufenthaltsort der doch eigentlich zu Da die archäologischen Funde zu tete: »Unser Reichtum sind nicht unsere Erzbergwerks Rammelsberg in Goslar folgelandschaft Harz, so fi nden sich diesem Zeitpunkt »reisenden Kaiser«. diesen Sachverhalten bis zu . Jah- Maschinen noch ein Bankkonto, sondern prägen die Wahrnehmung durch die Dutzende von Teichanlagen und Städtebauliches Gegenmodell zu re zurückreichen, geht es also darum, das Wissen, das Können und die Einsatz- Monumentalität ihrer Ausführung. Wasserläufen, die über Hunderte von dieser Macht- und Geldakkumulation mehrere Tausend Jahre Menschheitsge- bereitschaft unserer Mitarbeiter.« Diese im Jahr  zusammen mit Jahren als ein dynamisches System in Goslar sind die Oberharzer Bergstäd- schichte auf einer Fläche von  Qua- In diesen Überzeugungen liegt der der Stadt Goslar zum Welterbe ernann- der Protoindustrialisierung und der te, die keiner Mauern bedurften, weil dratkilometern als ein gemeinsames eigentliche Grundstein für das Werden ten authentischen Orte sind aber nur Hochindustrialisierung dem Bergbau der Landesherr mit seinem »bergge- kulturelles Erbe an den Menschen zu einer modernen und wegweisenden ein Teilaspekt des Welterbes im Harz. seine notwendige energetische Grund- schrey« in die unwirtliche Gegend des vermitteln. Industriearchitektur. Das Fagus-Werk Über  Welterbe-Elemente prägen lage zur Verfügung stellten. Harzes rief, um Bergbau zu betreiben, Die Stiftung Welterbe im Harz im- steht auch heute noch als Synonym für die nachindustrielle Landschaft einer Die Entwicklung des Bergbaus und der dann an vielen Orten und kleinen plementiert zu diesem Zweck unter moderne und gesunde Arbeitsplätze. Stätte der Weltkultur, die im Jahre  der wasserbaulichen Anlagen im Mit- Bergwerksbetrieben unter dem Schutz anderem mehrere Welterbe-Informa- Im Fagus-Werk werden seit Anbeginn um das Energiesystem der Oberharzer telalter scheint an vielen Stellen mit des Landesherrn realisiert wurde. tionszentren, die als kostenfreie Ein- Schuhleisten gefertigt, wobei das teil- Wasserwirtschaft erweitert wurde. dem Wissen der Zisterzienser Mönche Der gesamte Lebensraum des richtungen wie Portale den Weg ins weise in Handarbeit geformte Original- Sie liegen verstreut in einer Fläche in ganz Europa und auch mit ihrem Westharzes ist geprägt durch einen Welterbe öff nen und erlebbar machen. modell noch immer aus Buche besteht von über  Quadratkilometern und Standort am Harz, dem Zisterzienser Prozess der Proto- und Hochindus- Aufgrund seiner Komplexität und – das lateinische Wort Fagus bedeutet stehen in engem ideengeschichtlichem Kloster in Walkenried, verbunden zu trialisierung, dessen bestimmendes Vielfalt und in seiner besonderen Buche. Die »Blütezeit« der Schuhleis- Zusammenhang, ohne indes alle als sein. Hier fi nden sich also im Kontext Merkmal die Ressourcenschöpfung Ausprägungsform »unter Tage« ist tenproduktion währte in Deutschland Merkmale der Industriekultur erkenn- vorindustrieller Prozesse geistesge- im Rahmen des Montanwesens und das Welterbe Bergwerk Rammelsberg, bis Anfang der er Jahre. Zu dieser bar zu sein. schichtliche Einfl üsse klerikaler Prä- die Schaff ung energetischer Grundla- Altstadt von Goslar und Oberharzer Zeit waren bei Fagus in der Schuhleisten- Große Teile dieses Welterbes sind gung. gen vermittels Wasser gewesen ist. Mit Wasserwirtschaft also ein echter »hid- und Stanzmesserproduktion mehr als nahezu unsichtbar unter Tage oder in Gleichzeitig ist mit der historischen diesem komplexen Prozess verbunden den champion«.  Arbeitnehmer beschäftigt. den Wäldern des Harzes z. B. als was- Genese dieser Welterbestätte eine enge entstanden Bauwerke profanen wie Die zunehmende Auslagerung der serbauliche Anlagen verborgen. Verknüpfung zwischen ökonomischer klerikalen Ursprungs, einhergehend Gerhard Lenz ist Geschäftsführer des Produktion in sogenannte Niedrig- Fährt man in den Rammelsberg als Entwicklung und weltlicher Macht ver- mit einem fundamentalen Umbau der Weltkulturerbes Rammelsberg und Di- lohnländer brachte das Fagus-Werk in Besucher ein, so kann man mehrere bunden. Goslar wurde als Reichsstadt Kulturlandschaft. rektor der Stiftung Welterbe im Harz Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 27

Das größte historische Speicherensemble Die Hamburger Speicherstadt und das Kontorhausviertel

BERND PAULOWITZ schluss von . In seiner Folge wurde benen Windenanlagen vertikal trans- Auch das Kontorhausviertel mit dem Durch die moderne Schifffahrt von der Hafen erweitert und modernisiert portiert werden, die Speicher wurden ikonischen Chilehaus prägt das Ham- ihrer ursprünglichen Funktionalität ie Zeche Zollverein oder das – und die Speicherstadt, das modernste elektrisch beleuchtet und Telefonan- burger Stadtbild. Gebaut wurde das befreit und geografi sch für diese un- Erzbergwerk Rammelsberg und größte Logistikzentrum seiner Zeit, lagen installiert. Viertel vorwiegend in den er und günstig gelegen, musste sich die »Stadt – mit Industrieerbe verbin- entstand. Ein weiterer Aspekt dieses Indust- er Jahren und war das erste reine aus Speichern« neu erfi nden. Und das D den viele Menschen Orte wie Am . Oktober  wurde sie rieerbes ist die Art und Weise, wie hier Büroviertel Europas. ist geglückt. diese. Mit der industriellen Revolution durch Kaiser Wilhelm II. mit den geplant und gebaut wurde. Da die Spei- Die Speicherstadt und das Kontor- Heute ist sie das größte zusam- entstand aber ein weit facettenreiche- Worten »Zur Ehre Gottes, zum Besten cherstadt auf mehreren Inseln in der hausviertel sind beispielhaft für die menhängende historische Speicher- res Erbe, zu dem beispielsweise auch des Reichs, zu Hamburgs Wohl!« und Elbe errichtet wurde, mussten nahezu Entfl echtung der Bereiche Wohnen, ensemble der Welt. Wo früher Kaff ee, Speicher oder Veredelungsanlagen als drei kräftigen Schlägen eines silber- , Millionen Holzpfähle innerhalb Arbeiten und Lagern, die vormals in Tee, Kakao, Gewürze oder Tabak la- unterstützende Infrastrukturen zählen. nen Polierhammers eingeweiht. Sie weniger Jahre eingesetzt werden, um einem Kontorhaus unter einem Dach gerten, haben heute Museen, Kreative Die Hamburger Welterbestätte »Spei- verkörpert wie kein anderes Viertel den morastigen Grund für die Speicher stattfanden. und Werbeagenturen, Teppichhändler, cherstadt und Kontorhausviertel mit in Hamburg die Veränderungen jener vorzubereiten. Die Bauaufgabe wurde Die historischen, typisch schmalen die Verwaltung der Hafenlogistik und Chilehaus«, seit  eingetragen in die Zeit. Zwischen  und  gebaut, gestalterisch auf beeindruckende Wei- Kontorhäuser, die wir in Amsterdam, Gastronomiebetriebe ihren Sitz. Die UNESCO-Welterbeliste, ist ein Prototyp entstand ein technisches Schaustück se gelöst und gilt als Hauptwerk der Stralsund und Wismar bis heute fi nden, Speicherstadt bleibt lebendig und in einer solchen Stätte. der Superlative:  Speicherblöcke »Hannoverschen Schule«. Flexible Ske- sind in Hamburg großen, monofunk- ihrer historischen Authentizität erhal- Mit der industriellen Revolution be- mit bis zu . Quadratmetern lettbauweisen mit modularen Lager- tionalen Gebäudekomplexen gewi- ten. Das Gebiet ist heute ein lebendiges schleunigte sich der Handel. Auch die Lagerfl äche, errichtet entlang neu ge- räumen wurden im neogotischen Stil chen. Viertel an der Hafenkante. Das Indust- Art und Weise, wie die Menschen sich schaff ener Fleete, verbunden durch  mit Backstein verblendet. So entstan- Dass wir hier heute die Geschichte rieerbe Speicherstadt kann so im Sinne mit Rohstoff en und Gütern versorgten, neu errichtete Brücken. Ein zentrales den die charakteristischen Fassaden. der Wandlung im . Jahrhundert vor der UNESCO-Welterbekonvention für veränderte sich. Diese Veränderungen Kraftwerk, das Kesselhaus mit der Ma- Das Ensemble wurde durch repräsen- Ort erzählen können, ist nicht selbst- nachfolgende Generationen erhalten und der folgende wirtschaftliche Auf- schinenstation, versorgte alle Gebäu- tative Gebäude, treff end Schlösschen verständlich. Es ist die Ironie der Ge- werden und bleibt authentisch erleb- schwung prägten Hamburg, das sich de mit Druckwasser und Elektrizität. genannt, ergänzt. Heute ist das ent- schichte, dass gerade die Revolution und erfahrbar. im . Jahrhundert zu einer der bedeu- Ergänzt wurde dies durch hoch- standene homogene Erscheinungsbild im Umgang mit den Waren durch die tendsten Hafenstädte Europas entwi- moderne technische Infrastrukturen: eine der typischen Hamburger Stadt- Containerschiff fahrt den Erhalt der Bernd Paulowitz ist Welterbe-Koordi- ckelte, begünstigt durch den Zollan- Waren konnten mit hydraulisch betrie- ansichten. Speicherstadt möglich gemacht hat. nator der Stadt Hamburg Zwischen Deutschland und Tschechien Die Montanregion schaften, wie z. B. Haldenzüge, be- Grenzüberschreitende den. Auch die Webseite montanregion- kümmern wird, sowie der Tourismusver- Erzgebirge/Krušnohoří rücksichtigt. Um zu einer umfassenden Zusammenarbeit erzgebirge.de, Broschüren, Flyer und band Erzgebirge,der sich für das gesam- Vermittlung des montanhistorischen Veranstaltungen sollen Mittel sein, um te touristische Marketing verantwort- Erbes der Region beizutragen, wurden Die Vernetzung der Bestandteile steht das Welterbe Erzgebirge mit all seinen lich zeichnet. Neben einem komplexen FRANK VOGEL zusätzliche Standorte als »assoziierte noch bis Ende Oktober  im Mittel- Besonderheiten bekannter zu machen. Beschilderungssystem laufen derzeit Objekte« zum Welterbe defi niert. punkt des grenzübergreifenden Inter- Projektplanungen für die Schaff ung ie Entscheidung fi el am . Juli rega-Projektes »Glück auf Welterbe«, von vier Welterbezentren in den Berg- Weitere Schritte  um : Uhr in Baku/ für das die Wirtschaftsförderung Erz- städten Annaberg-Buchholz, Freiberg, Lebendiges Welterbe D Aserbaidschan: Die »Montan- gebirge als Lead-Partner die Federfüh- Der Welterbeverein als regionaler Trä- Marienberg und Schneeberg. Diese region Erzgebirge/Krušnohoří« wird in Im Erzgebirge fi ndet man den Ansatz rung übernommen hat. Gemeinsam mit ger wird in diesem Jahr mit eigenem sollen als künftige Anlauf- und Infor- die UNESCO-Welterbeliste aufgenom- des »lebendigen, erlebbaren Welter- den Projektpartnern Tourismusverband Personal in die selbständige Arbeit mationsstätte für Besucher der Mon- men. Damit sprach sich das Welterbe- bes« in jedem einzelnen Bestandteil. Erzgebirge und Montanregion Krušné gehen, um die vielfältigen Prozesse zu tanregion Erzgebirge/Krušnohoří die- komitee auf seiner . Sitzung für das Idyllische Landschaften, einmalige hořy – Erzgebirge soll die Montanre- koordinieren. Wichtige Partner in der nen. grenzüberschreitende Projekt aus. Das Flusstäler und malerische Ortschaf- gion Erzgebirge/Krušnohoří als eine Zusammenarbeit bleiben unter ande- Erzgebirge reihte sich in die Welterbe- ten haben ihren Ursprung in der über weltweit einzigartige, grenzüberschrei- rem der Förderverein Montanregion Frank Vogel ist Landrat des liste mit aktuell . Stätten aus  -jährigen Bergbaugeschichte, der tende Industriekulturlandschaft bei un- Erzgebirge, der sich hauptsächlich um Erzgebirgskreises und Vorsitzender Ländern ein. das Erzgebirge seinen Reichtum, sei- terschiedlichen Zielgruppen nicht nur das Thema Vermittlung, Forschung und des Welterbe Montanregion Insgesamt setzt sich die Montan- nen Namen und seine wirtschaftliche per App (be)greifbarer gemacht wer- Beteiligung vieler Vereine und Bürger Erzgebirge region Erzgebirge/Krušnohoří aus  Bedeutung verdankt. Heute sind das Bestandteilen zusammen:  Stätten auch Erholungsräume, in denen man auf deutscher und fünf auf tschechi- die Bergbaugeschichte nachvollzieh- scher Seite. Jede einzelne stellt schon bar erleben kann – ob bei einer Wan- die Welterbekriterien anschaulich dar, derung vorbei an Stollenmundlöchern aber nur in der Verbindung aller  Be- oder Haldenzügen, bei einem Bummel standteile liegt der außergewöhnliche durch die Bergstädte oder bei einem universelle Wert begründet. Besuch der Schatzkammern unter Tage. Auf deutscher Seite befi nden sich die Die Region ist aber auch für ihre tief Welterbebestandteile zum Großteil im verankerten Traditionen und Bräuche Erzgebirgskreis und dem Landkreis Mit- bekannt, die noch authentisch gelebt telsachsen sowie dem Landkreis Säch- werden. So sind z. B. Bergparaden und sische Schweiz-Osterzgebirge. Daneben Mettenschichten fester Bestandteil sind  Städte und Gemeinden involviert. der Winter- und Weihnachtszeit im Die Bewerbung der Montanregion Erzgebirge. Das Besondere daran: Die Erzgebirge/Krušnohoří um den Titel Montanregion Erzgebirge/Krušnohoří »UNESCO-Welterbe« ist ein grenz- ist grenzüberschreitend erlebbar. Län- übergreifendes Projekt zwischen dem dergrenzen verschwinden in den Köp- Freistaat Sachsen und der Tschechi- fen, Menschen zweier Nationalitäten schen Republik. Die durch den Bergbau begegnen sich. Eine Region, die histo- hervorgerufenen Entwicklungen waren risch gemeinsam gewachsen ist, rückt unabhängig der politischen Grenze näher zusammen. über Jahrhunderte eng miteinander verbunden. Die ausgewählten Denk- Tradition und Innovation male, Natur- und Kulturlandschaften repräsentieren in ihrer Gesamtheit Das Erzgebirge ist ein attraktiver, in- die wichtigsten Bergbaugebiete und novativer Wirtschaftsstandort, dessen Epochen des sächsisch-böhmischen Reichtum an Ideen und Erfi ndungen Erzbergbaus. Sie ermöglichen einen sich vor allem auf der montanen His- umfassenden Einblick in den Abbau torie gründet. »Alles kommt vom Berg- und die Verarbeitung der bedeutends- werk her« – und von den Menschen, ten Rohstoff e und belegen die Berg- die seit jeher fi ndig genug waren, um bautechnologien der verschiedenen immer wieder mit innovativen Impul- Bergbauperioden vom . Jahrhundert sen und kreativem Nischendenken der bis zur Schließung der Bergwerke um Wirtschaft wichtige Impulse zu geben.  und der Fortsetzung in der heu- Die gewachsenen Schlüsselbranchen, tigen Zeit. Jeder Bestandteil setzt sich unter anderem in den Bereichen Metall, aus verschiedenen Einzelobjekten bzw. Maschinen- und Werkzeugbau sowie Landschaften zusammen – allein etwa Elektronik und Kunststoffindustrie,  auf sächsischer Seite. sind heute federführend, wenn es um Neben über- und untertägigen Sach- Neuentwicklungen geht. Das Erzgebirge zeugen des Montanwesens wurden auch hat heute eine der höchsten Industrie- BORRMANN MARKO FOTO: historische Stadt- und Bergbauland- dichten in Sachsen. Der »Arno-Lippmann-Schacht« in der Montanlandschaft Altenberg-Zinnwald 28 INDUSTRIEKULTUR www.politikundkultur.net

Vom Fluch der Schließung zum Industriedenkmal Weltkulturerbe Völklinger Hütte

HUBERT KESTERNICH Nicht nur an der Saar war es üblich, neue Mitglieder zu gewinnen. Ende des ren, entwickelte ein »städtebauliches von Besucherbegleitern durch die IVH stillgelegte Industrieanlagen abzurei- Jahres  gründeten sich innerhalb Szenario« zur Weiterentwicklung des wurde  das Industriedenkmal der ach der Stilllegung der Völk- ßen und Platz für neue Anlagen oder der in Initiative Völklinger Hütte (IVH) »Industrie- und Kulturparks«, das sie Öff entlichkeit durch Begehungen zu- linger Hochöfen samt ihrer eine Umnutzung zu schaff en. Nach dem unbenannten Organisation verschie- im saarländischen Landtag vorstellte. gänglich gemacht. Nun konnten Inte- Nebenanlagen mit Kokerei, damaligen Verständnis der Mehrheit dene Arbeitsgruppen zu Technik, Kor- Zugleich forderte die IVH zu einem ressierte die Hochöfen, das Hochofen- N Sinteranlage, Trockengas- der Bevölkerung und der Völklinger rosion, Städte- und Nutzungsplanung. internationalen städtebaulichen Ide- gebläsehaus und andere Anlagen des reinigungen, Wasserhochbehälter und Kommunalpolitik konnte man sich im Unter der Losung »Aufbruch statt enwettbewerb auf und informierte über Industriedenkmals besichtigen, was zu einem Hochofengebläsehaus am . Juli Idealfall die Erhaltung des Hochofen- Abbruch« wurde ein Nutzungskonzept eine mögliche Restaurierung des Indus- einer deutlichen Akzeptanzerhöhung in  ging es um deren Erhaltung. gebläsehauses und Umnutzung als Kul- entwickelt, das die Initiative im Feb- triedenkmals aus EG-Mitteln. Damit der Öff entlichkeit beitrug. Der Vorstand der ARBED Saarstahl turstätte vorstellen. ruar  als erstes Konzept Industrie- würde das Industriedenkmal den  Anfang  wurde die »Stiftung In- GmbH wollte die aus ca. . Tonnen Beispiele, wie eine solch wirkmächti- und Kulturpark Völklinger Hütte dem weiteren Kulturdenkmälern in Europa dustriekultur« mit dem Ziel gegründet, hochwertigem Stahl bestehenden Anla- ge Industrieanlage zu erhalten und ein saarländischen Wirtschaftsministerium gleichgestellt. mit Landesmitteln die Hüttengeschich- gen abreißen und verschrotten lassen. Abriss zu verhindern war, gab es nicht. vorstellte. Mit einem zur gleichen Zeit Am . Mai  beschloss der Stadt- te entlang des Rundweges zu präsen- Bereits  stellte der Landesdenk- Schon gar nicht an der Saar. So oblag es eingeführten »Hüttenstammtisch« ver- rat von Völklingen in einer Resolution tieren und das Gelände kulturell zu malrat die Völklinger Hochofenanlage denn einer Initiative von sieben Denk- lagerte man den Tätigkeitsschwerpunkt die Erhaltung »von Teilen« – Hochöfen erschließen. Dazu wurde von der Lan- unter Denkmalschutz. Doch vermögen malschützern und Kulturbefl issenen, im nach Völklingen. und Hochofengebläsehaus – der Alten desentwicklungsgesellschaft aus Mit- papierne Beschlüsse einer Behörde oder Januar  in Saarbrücken eine »Initia- Im August  stellte die IVH bei Völklinger Hütte. teln des Landes ein Betrag von fünf Mil- Institution nicht, dass Menschen auf tive Völklinger Eisenwerk« zu gründen. der EG einen Antrag zur »Förderung Das Fazit einer Untersuchung durch lionen D-Mark bereitgestellt. Vorstand tradierte Gewohnheiten und Schemata Ziel dieser Initiative war die Erhaltung einer innovativen Qualifizierungs- den Korrosionsschutzfachmann Peter der Stiftung wurde Franz Zeithammer, verzichten. und Revitalisierung der stillgelegten maßnahme« am Objekt Alte Völklinger Lorenz von der Fachhochschule Saar- in dessen Wirkungszeit bis Februar  Im Bewusstsein jener, die zuvor in Hochofenanlage mit den dazugehörigen Hütte. Damit wurde der Öff entlichkeit brücken war: Die stillgelegte Anlage die Stiftung in fi nanzielle Turbulen- diesen Anlagen tätig waren, wurde der Gebäuden und Maschinen als ein Doku- und den zuständigen staatlichen Stel- befi ndet sich in einem guten Allgemein- zen geriet. Am . Juli  wurde mit Verlust der . Arbeitsplätze nicht ment der Eisen- und Hüttenindustrie len verdeutlicht: Die Erhaltung des zustand. Das in der Öff entlichkeit propa- dem »Weltkulturerbe Völklinger Hütte negativ konnotiert. Arbeit am Hochofen, von nationaler Bedeutung. Industriedenkmals kostet nicht nur gierte Argument der Abbruchbefürwor- – Europäisches Zentrum für Kunst und in der Kokerei oder der Sinteranlage Durch Vorträge, Podiumsdiskussi- eigenes Geld, sondern ermöglicht auch ter, das Industriedenkmal sei »baufällig«, Industriekultur« eine neue Trägerge- war »Knochenarbeit«, die seit ihrem onen und eine von der lokalen Presse Zuschüsse von Dritten. Die Arbeits- eine Sanierung würde ca.  Millionen sellschaft gegründet. Mit dem neuen Bestehen mit Blut und Schweiß ver- beförderten Thematisierung gelang es gruppe Planung der IVH, bestehend D-Mark kosten, war damit entkräftet. Generaldirektor Meinrad Grewenig bunden war. rasch, in und um Völklingen zahlreiche aus Architekten und Diplomingenieu- Ein Beschluss der saarländischen sollte alles besser werden. Jedoch ließ Landesregierung unter Ministerprä- er ohne Absprache mit den zuständigen sident Oskar Lafontaine vom . Juni Stellen substanzielle Änderungen am , den durch die Stadtverwaltung Bestand der Bausubstanz vornehmen von Völklingen beabsichtigten Abriss bzw. beließ es bei Baufreveln.  be- der Sinteranlage zu verhindern und das fanden die ICOMOS-Inspektoren der Industriedenkmal als Ganzes zu erhal- UNESCO den Zustand des Denkmals ten, war ein bedeutender Etappensieg. für dermaßen bedenklich, dass sie mit Nicht zuletzt war dieser Beschluss der »Roten Liste« und dem Entzug des Voraussetzung dafür, dass die Alte Völk- UNESCO-Ehrentitels drohten. Aktuell linger Hütte am . Dezember  in ist die Stelle vakant, aber es bleibt die die Welterbeliste der UNESCO aufge- Zuversicht, dass sich unter den derzeit nommen wurde.  Bewerbern jemand mit Kreativität Die Hochofenanlage der Völklinger und Kompetenz befi ndet, der oder die Hütte samt ihrer Nebenanlagen stand alles besser macht. nun als Industriekathedrale der Arbeit, als weltweit einziges Werk auf einer Hubert Kesternich ist gelernter Ebene mit den Pyramiden von Gizeh, Bergmann. Er war rund  Jahre auf der der Chinesischen Mauer und der Akro- Völklinger Hütte tätig. Seit  forscht polis – um nur einige der bedeutends- er zum Montanwesen und Saarhütten. ten zu nennen. Von ihm erschienen ist unter anderem Nach der Entwicklung eines Leitfa- »Aufstieg und Wandel:  Jahre Völk- dens für Besucher und der Ausbildung linger Hütte«

KRITERIEN UNESCOWELTERBE

(i) ein Meisterwerk der menschlichen ken von außergewöhnlicher univer- Schöpferkraft darstellen; seller Bedeutung verknüpft sein. (Das (ii) für einen Zeitraum oder in einem Komitee ist der Ansicht, dass dieses Kulturgebiet der Erde einen bedeuten- Kriterium in der Regel nur in Verbin- den Schnittpunkt menschlicher Werte dung mit einem weiteren Kriterium in Bezug auf Entwicklung der Archi- angewandt werden sollte); tektur oder Technik, der Großplastik, (vii) überragende Naturerscheinungen des Städtebaus oder der Landschafts- oder Gebiete von außergewöhnlicher gestaltung aufzeigen; Naturschönheit und ästhetischer Be- (iii) ein einzigartiges oder zumindest deutung aufweisen; außergewöhnliches Zeugnis von ei- (viii) außergewöhnliche Beispiele der ner kulturellen Tradition oder einer Hauptstufen der Erdgeschichte dar- bestehenden oder untergegangenen stellen, einschließlich der Entwicklung Kultur darstellen; des Lebens, wesentlicher im Gang be- (iv) ein hervorragendes Beispiel eines fi ndlicher geologischer Prozesse bei Typus von Gebäuden, architektoni- der Entwicklung von Landschafts- schen oder technologischen Ensem- formen oder wesentlicher geomor- bles oder Landschaften darstellen, phologischer oder physiographischer die einen oder mehrere bedeutsame Merkmale; Abschnitte der Menschheitsgeschichte (ix) außergewöhnliche Beispiele be- versinnbildlichen; deutender im Gang befi ndlicher öko- (v) ein hervorragendes Beispiel einer logischer und biologischer Prozesse überlieferten menschlichen Siedlungs- in der Evolution und Entwicklung form, Boden- oder Meeresnutzung von Land-, Süßwasser-, Küsten- und darstellen, die für eine oder mehrere Meeres-Ökosystemen sowie Pfl anzen- bestimmte Kulturen typisch ist, oder und Tiergemeinschaften darstellen; der Wechselwirkung zwischen Mensch (x) die für die In-situ-Erhaltung der und Umwelt, insbesondere, wenn die- biologischen Vielfalt bedeutendsten se unter dem Druck unaufhaltsamen und typischsten Lebensräume ent- Wandels vom Untergang bedroht wird; halten, einschließlich solcher, die (vi) in unmittelbarer oder erkennbarer bedrohte Arten enthalten, welche aus Weise mit Ereignissen oder überlie- wissenschaftlichen Gründen oder ihrer ferten Lebensformen, mit Ideen oder Erhaltung wegen von außergewöhnli-

FOTO: PICTURE ALLIANCE / EIBNERPRESSEFOTO / ALLIANCE PICTURE FOTO: Glaubensbekenntnissen oder mit chem universellem Wert sind. Die Völklinger Hütte wurde als erstes Denkmal aus der Blütezeit der Industrialisierung Welterbe der UNESCO künstlerischen oder literarischen Wer- Mehr unter: bit.ly/xVVJ Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 29

Der Gestaltungswille des Industriezeitalters

Die Zeche Zollverein von denen der Gasometer Oberhausen, standort mit den Schwerpunkten Ge- Und das ist erst der Anfang. Das Land des Deutschland. Insofern verkörpert der Landschaftspark Duisburg-Nord, schichte, Architektur, Kunst, Design, NRW will Zollverein im Rahmen der Zollverein den Gestaltungswillen des HEINRICH THEODOR die Jahrhunderthalle in Bochum, das Kultur, Bildung und Medien. Ruhrkonferenz zum internationalen Industriezeitalters, als der Mensch sich GRÜTTER UND Dortmunder U und die Zeche Zollverein Darüber hinaus ist Zollverein inzwi- Standort für digitale Kunst sowie ana- aufmachte, die Welt völlig neu und HANSPETER NOLL in Essen nur die spektakulärsten sind. schen ein bedeutender Wirtschafts- loge und digitale Fotografi e ausbauen. nach seinen Vorstellungen zu gestalten. Sie werden in der vom Regionalverband standort mit knapp . Beschäftig- Vor einigen Wochen hat die von der Und diese postindustrielle Refl exion ie ehemalige Zeche Zollverein Ruhr betriebenen Route der Industrie- ten – das sind mehr als zur Zeit des Beauftragten der Bundesregierung für unserer Geschichte steht in Korres- mit der anschließenden Koke- kultur zusammengefasst und von den Bergbaus über und unter Tage. Als Kultur und Medien berufene Experten- pondenz, aber auch in produktivem D rei im Essener Norden ist ein Industriemuseen der Landschaftsver- Wirtschaftsstandort versammelt Zoll- kommission Zollverein als Standort für Gegensatz zum postfeudalen Erbe mit herausragendes Beispiel der Indust- bände Rheinland und Westfalen-Lippe verein bedeutende Konzerne wie die ein zukünftiges Nationales Fotozent- seinen Schlössern und Gärten und zum riekultur. Bereits  zu Beginn der interpretiert und in ihrer historischen RAG und die RAG-Stiftung oder Nieder- rum empfohlen. postkolonialistischen Erbe, das zumin- Industrialisierung von dem Industrie- Bedeutung vermittelt. Zusammen bil- lassungen von Firmen wie Haniel und Zollverein ist aber viel mehr als dest in Teilen die staatlichen Museen pionier Franz Haniel abgeteuft, spiegelt den sie das identitäre und touristische Accenture, aber auch Start-ups sowie ein bedeutender Wirtschafts-, Kultur- Preußischer Kulturbesitz verkörpern, die Zeche in ihren verschiedenen Bau- Alleinstellungsmerkmal des Ruhrgebie- gastronomische Betriebe und Event- und Veranstaltungsort. Das Welterbe und dieses Erbe verdient es allemal phasen das gesamte Industriezeitalter tes, der ehemals größten Industriere- locations wie das Casino Zollverein, Zollverein ist zugleich das Symbol des gleichrangig gefördert zu werden. Das und erfuhr in den späten er Jahren gion in Europa. den Erich Brost-Saal auf dem Dach der Transformationsprozesses des Ruhr- ist die Botschaft von Zollverein. mit dem von Fritz Schupp und Martin In diesem Prozess spielte von An- Kohlenwäsche und die Grand Hall auf gebietes und der Industriegesellschaft Kremmer gebauten Schacht XII, einem fang an die Zeche Zollverein eine ent- der Kokerei Zollverein. insgesamt und der Verbindung von Ver- Heinrich Theodor Grütter ist Direktor Meisterwerk der neusachlichen Indust- scheidende Rolle – schon durch ihre Als Kultur- und Wissenschafts- gangenheit, Gegenwart und Zukunft. des Ruhr Museums, Vorstandsmitglied riearchitektur, ihren Höhepunkt. schiere Größe, ihre architektonische standort beherbergt Zollverein die Der Förderturm der Zeche Zollverein der Stiftung Zollverein und Profes- Ihre Geschichte als Industriedenk- Qualität und ihre funktionale Bedeu- Folkwang-Universität der Künste, mit hat als Ikone für die Wahrnehmung sor für Geschichte an der Universität mal wiederum beginnt mit ihrer Schlie- tung. Insofern war es folgerichtig, dass den Schwerpunkten Fotografi e und des Landes Nordrhein-Westfalen den Duisburg-Essen. Hans-Peter Noll ist ßung im Jahr , in dem sie als letzte Zollverein im Jahr  zu einer der Design, das Red Dot Design Zentrum, Kölner Dom längst abgelöst und steht Vorstandsvorsitzender der Stiftung Zeche in Essen, der ehemals größten ersten industriellen Welterbestätten das den weltweit bedeutendsten De- als Garant für die Tradition und die Zollverein und Professor für Geografi e Bergbaustadt in Europa, den Betrieb der Menschheit erklärt wurde, die auch signpreis, den Red Dot Award, ver- Zukunftsfähigkeit des Industrielan- an der Ruhr-Universität Bochum einstellte. Dabei ist sie in gewisser Wei- im europäischen Maßstab auf der Eu- leiht, das Choreographische Zentrum se ein Kind der Internationalen Bau- ropäischen Route der Industriekultur PACT Zollverein und das Ruhr Muse- ausstellung Emscherpark, die zwischen (ERIH) eine wichtige Rolle spielt. um, das große Regionalmuseum des  und  das montanindustriell Dabei ist das UNESCO-Welterebe Ruhrgebietes. Und als internationaler geprägte nördliche Ruhrgebiet erneu- Zollverein im Unterschied zu fast allen Veranstaltungsort fi nden auf Zollver- erte und dabei den industriellen Hin- anderen Welterbestätten ein besonde- ein jährlich über  Kongresse und terlassenschaften eine neue, dem in- res Denkmal: Die Pyramiden von Gizeh Großveranstaltungen statt, darunter ternationalen Zeitgeist entsprechende waren schon bei ihrer Entstehung vor so renommierte Kulturveranstaltungen Bedeutung zukommen ließ. . Jahren Grabstätten für die ägyp- wie die lit.RUHR, die Ruhrtriennale, die Anstelle des Abrisses der massenhaft tischen Pharaonen, sie sind es heute Zollverein Konzerte und die contem- vorhandenen Gebäude des Industrie- noch. Und der Kölner Dom wurde im porary art Ruhr. zeitalters, der seit Beginn der Struk- Mittelalter als Kirche erbaut, als solche Insgesamt begrüßt Zollverein pro turkrise der Montanindustrie in den im . Jahrhundert fertig gestellt und ist Jahr ca. , Millionen Gäste, davon fast späten er und er Jahren seinen heute noch eine Kirche. eine halbe Million zahlende Besucher, Höhepunkt erreichte, setzte sie nun auf Bei Zollverein verhält es sich anders. die die zahlreichen musealen und Ver- den weitgehenden Erhalt und die Um- Die Zeche Zollverein war einstmals die mittlungsangebote wahrnehmen, dar- nutzung dieser Relikte der Industriali- größte und förderstärkste Tiefbauzeche unter Führungen über die Zeche und sierung und schuf damit ein europaweit der Welt, bei ihrer Schließung Ort der die Kokerei Zollverein, aber auch durch – vielleicht weltweit – einzigartiges In- Niederlage und Symbol der Krise des die Dauer- und Sonderausstellungen

ventar von mehreren Hundert histo- Steinkohlebergbaus und der Montan- des Ruhr Museums, des Red Dot Design ZOLLVEREIN STIFTUNG / TACK JOCHEN FOTO: rischen Gebäuden, Anlagen und Sites, industrie. Heute ist sie ein Zukunfts- Zentrums und der Stiftung Zollverein. Zeche Zollverein war die größte und modernste Steinkohleförderanlage der Welt

Kooperation mit Vertretern beider Bun- Industriekultur modellhaft für Europa desländer, eine Denkmalstrategie um, und im internationalen Zusammen- Industriekultur . bei der neueste wissenschaftliche Er- hang Neues gestaltet. Und doch stellt kenntnisse einfl ießen. Wenn es zu ent- der Rückzug von Kohle und Stahl und Leitbilder müssen auch Modernität und Zukunft widerspiegeln scheiden gilt, ob ein Industriedenkmal der damit bedingte Wegfall von Arbeits- es »wert« ist, erhalten zu bleiben, sind und Ausbildungsplätzen noch immer BERND TÖNJES ihr Vermögen auf und erwirtschaftet oder Studium – und gibt damit Antwor- immer langfristig angelegte Konzepte eine große Herausforderung für die daraus die notwendigen Erträge. Und ten auf bildungspolitische Herausfor- der Denkmalpfl ege erforderlich. Und Menschen dar. m Essener Norden schlägt das wo wäre das Management der Ewig- derungen. auch die Anerkennung als nationales Industriedenkmale sind ein inspi- Herz der Industriekultur: Seit keitsaufgaben besser aufgehoben Darüber hinaus unterstützt die Kulturgut wäre sinnvoll. rierender Ort für Künstler, Events und über  Jahren ist das UNESCO- als auf dem Gelände der ehemaligen RAG-Stiftung auch zentrale wissen- Die vom Land NRW und der RAG Kreativwirtschaft, aber sie müssen noch I Welterbe Zollverein eine markan- Kokerei des Welterbes Zollverein in schaftliche Institutionen. Das von der Aktiengesellschaft gegründete Stif- auf mehr einzahlen: Sie müssen Raum te Landmarke der Region und heute das Essen? Genau hier steht seit  die Stiftung initiierte Forschungszentrum tung Industriedenkmalpflege und geben für Arbeitsplätze, lebenswerte international sichtbare Symbol für die neue gemeinsame Verwaltungszentrale Nachbergbau der Technischen Hoch- Geschichtskultur sichert und erhält Wohnquartiere und engagierte Gründer. Bedeutung, die der Steinkohlenbergbau von RAG-Stiftung und RAG Aktienge- schule Georg Agricola betreibt bei- zwölf ausgewählte denkmalgeschützte Hier den Spagat zu schaff en, muss er- für die Geschichte der ganzen Bundes- sellschaft. spielsweise Spitzenforschung rund um Industrieanlagen im Ruhrgebiet, dar- klärtes Ziel der Industriekultur sein. Das republik hatte. Bis zum . Dezember Dass die RAG-Stiftung ein Mo- Fragen zur Grubenwasserhaltung und unter die Kokerei Hansa in Dortmund genau ist Industriekultur .. Historisch . An diesem historischen, mancher nument der Industriekultur für ihre Grundwasserreinigung. Das Deutsche sowie die Zechen Pattberg in Moers und gesehen, war das Ruhrgebiet schon im- würde sagen schwarzen Tag, endete die Heimat wählte, ist ein Bekenntnis zu Bergbau-Museum Bochum – Leibniz- Schlägel & Eisen in Herten. Die RAG- mer ein Gründerstandort. Doch wurden Geschichte eines Industriezweigs, der unseren Wurzeln und zur Region, die Forschungsmuseum für Georessourcen Stiftung fördert – in enger Abstimmung die Erfolgsgeschichten bisher von gro- nach dem Zweiten Weltkrieg einmal stets gleichsam kulturell wie sozial vom ist das weltweit größte Bergbaumuseum mit dem NRW-Ministerium für Heimat, ßen Unternehmen der Montanindustrie über . Menschen beschäftigte Steinkohlenbergbau geprägt waren. Um und schaff t die Verbindung zwischen Kommunales, Bau und Gleichstellung geschrieben. Auch hier setzt das Enga- und elementarer Bestandteil des deut- dieses Erbe in die Zukunft zu tragen und einem leistungsstarken Forschungsin- – die Institution bereits seit dem Jahr gement der RAG-Stiftung an: Wir wol- schen Wirtschaftswunders war. nachhaltige Impulse für die Transfor- stitut und lebendigen Museum. . Für das Jahr  steht hierfür len die Gründerszene stärken und befl ü- Auch für die RAG-Stiftung begann mation an Ruhr, Saar und in Ibbenbüren Mit thematischem Blick auf die ein höherer sechsstelliger Betrag zur geln, Ideenfi nder dazu ermutigen und damit ein neues Kapitel.  war sie zu setzen, fördert die RAG-Stiftung auch Kulturförderung setzt sich die Stiftung Verfügung. Insgesamt beliefen sich die befähigen, ihre eigenen Unternehmen mit zwei Zielen gegründet worden: zahlreiche Projekte aus den Bereichen zum einem das Ziel, bergmännische Förderungen bis heute auf rund , Mil- zu gründen. Dies unterstützen wir mit Zum einen sollte sie den Steinkohlen- Bildung, Wissenschaft und Kultur, die Traditionen zu pfl egen. So fördert sie lionen Euro. Projekten wie der Gründerallianz, die in bergbau sozialverträglich abwickeln, im Zusammenhang mit dem deutschen seit Jahren auch die Knappenvereine, Das Engagement der RAG-Stiftung Kooperation mit dem Initiativkreis Ruhr zum anderen nach Fördereinstellung Steinkohlenbergbau stehen. Ein Drei- Bergmannstage oder die bergmänni- soll dazu beitragen, dass auch kommen- entstanden ist – und die ebenfalls als der letzten Bergwerke die dauerhaf- klang, der nach unserem Verständnis schen Klangkörper. Auch größere Kul- de Generationen die Bergbautradition Heimat das UNESCO-Welterbe Zollver- ten Aufgaben des Nachbergbaus – also von Industriekultur als Ganzes betrach- turveranstaltungen mit überregionaler ihrer Heimat und die Werte der Bergleu- ein wählte. Auch das Essener Colosseum, Grubenwasserhaltung, Poldermaßnah- tet werden muss. Strahlkraft nimmt die Stiftung in den te erfahren. Aber nicht jedes Bauwerk das wir jüngst erworben haben, ist in men und Grundwasserreinigung – fi - Die Bergwerke an Ruhr, Saar und Blick. Zu nennen sind hier beispielswei- kann für die Ewigkeit erhalten bleiben. diesem Zusammenhang ein wichtiger nanzieren. Die Herausforderung, den Ibbenbüren waren in jüngster Vergan- se die Ruhrfestspiele Recklinghausen Denn es braucht gleichzeitig auch Raum Baustein. Die denkmalgeschützte, ehe- Großteil der Folgekosten einer ganzen genheit immer auch bedeutende Bil- oder die ExtraSchicht. Zum anderen für Leitbilder, die auch Modernität und malige Krupp-Werkshalle soll in ihren Industriebranche zu übernehmen, ist dungs- und Ausbildungsstätten. Gerade trägt die RAG-Stiftung aber auch dazu Zukunft widerspiegeln. Neben allen historischen Wänden mit zukunftsge- einmalig in der Wirtschaftsgeschichte. Jugendliche mit weniger guten Startvo- bei, ausgewählte Industriedenkmale Traditionen prägte die Industrieregi- wandtem Leben gefüllt werden. Und Während die erste der beiden Aufgaben raussetzungen fanden hier einen Ein- des Bergbaus in Nordrhein-Westfalen onen ein rasanter Strukturwandel, der wenn wir es schaff en, die historische bereits im Jahr  erfolgreich abge- stieg in den Ausbildungs- und Arbeits- (NRW) und im Saarland zu erhalten. Den vor allem die Menschen, aber auch die Industriekultur zu bewahren, ihre Stät- schlossen war, gilt es mit dem neuen markt. Eine gute Tradition, die heute Leitrahmen dafür bildet die Erkennt- Wirtschaft immer wieder vor neue He- ten mit neuem Leben zu füllen und zu- Kapitel der Nachbergbauära die zweite Förderschwerpunkt der RAG-Stiftung nis der RAG-Stiftung-Zukunftsstudie, rausforderungen stellte. Während die kunftsfähig zu machen, dann werden zu meistern. Genau auf diese Zukunft ist. Alle Projekte sind langfristig und dass »die Strahlkraft einer Region nur Städte im Osten aufholten, kämpfte der wir auch die Transformation der Region hat sich die RAG-Stiftung langfristig nachhaltig angelegt. Das Angebot deckt durch die Verbindung von Tradition und Westen mit Problemen. Deutschland, erfolgreich gestalten. und systematisch vorbereitet. Mit ei- die gesamte Bildungskette ab – von der Moderne entsteht«. Um hier ein nach- insbesondere das Ruhrgebiet, hat den ner sicheren und gleichwohl rentablen frühkindlichen Bildung in Kindertages- haltiges und kosteneffi zientes Handeln Strukturwandel in beispielhafter Wei- Bernd Tönjes ist Vorstandsvorsitzender Kapitalanlage baut sie kontinuierlich stätten bis zum Übergang in Ausbildung zu gewährleisten, setzt die Stiftung, in se gemeistert und aus den Orten der der RAG-Stiftung 30 INDUSTRIEKULTUR www.politikundkultur.net

Schneider für die Weberei Borgmann & Co. entworfen und erbaut. Mitte der er-Jahre musste sie aufgrund wirt- schaftlicher Schwierigkeiten schließen, und so erwarb die bis dato in Berlin ansässige Firma »Total Kommanditge- sellschaft Foerstner & Co.«, die Feuer- löschtechnik produzierte und aufgrund günstiger Expansionsbedingungen ih- ren Firmensitz verlegen wollte, das Ge- lände. Der Inhaber Waldemar Foerstner beauftragte  den  Jahre jungen Berliner Architekten mit dem Umbau des Bestands und seiner Erweiterung. Egon Eiermann (-) hatte an der technischen Hochschule in Berlin Architektur studiert und war Meister- schüler Hans Poelzigs, gehörte also, seinem Lehrer folgend, den Vertretern des neuen Bauens an. Als Sohn eines Maschinenbauers sah er Architektur als Maschine, hatte das gestalterische Ziel, Technik und Kunst zu verbinden, und suchte in jeder Erfindung eine Verbesserungsfähigkeit. So auch beim Apoldaer Beispiel, wo er die vorhande- ne dreieinhalbgeschossige Eisenbeton- Skelettbaukonstruktion zwar fortführte, im Detail aber eine Neuinterpretation schuf, die aus der alten Fabrikations- stätte eine moderne Fabrik entstehen ließ, bei der – auch hier – nicht mehr das Produkt im Vordergrund stand, son- dern der arbeitende Mensch. In seinem durch die großen, modernen Stahlrah- menfenster lichtdurchfl uteten Anbau, der mit dem ehemaligen Fabrikations- gebäude zu einem Ganzen verwoben wurde, entstand in der obersten Etage nicht etwa das Büro der Firmenleiter, sondern eine großzügige Betriebskan-

FOTO: IBA THÜRINGEN / THOMAS MÜLLER THOMAS / THÜRINGEN IBA FOTO: tine. Neu und einzigartig für einen In- Der Eiermannbau in Apolda gilt als Ikone der Industriekultur dustriebau war auch die Dachterrasse, die mit ihrem großen, fl iegenden Dach die vielfach auftauchende Assoziation eines Kreuzfahrtschiff s komplettiert. Der kurz vor dem Zweiten Weltkrieg Lebendige Kultur- und vollendete Bau wurde bis  für die Herstellung von Feuerlöschgeräten und anschließend für die Kriegsprodukti- on genutzt. Nach Kriegsende entstand Wirtschaftsstandorte hier ein volkseigener Betrieb, der weiter Feuerlöscher fertigte, mit der Wende je- Eine Triologie zu Industriebauten und ihren Architekten doch stagnierte und ab  zum Leer- stand des Eiermannbaus führte. Bereits RICCARDA CAPPELLER Ein Projekt, das er  zusammen mit niederließ und künstlerischer Beirat Arbeitsatmosphäre, die sich bis heute fünf Jahre später konnte der weitere dem Statiker Karl Bernhard realisierte. der AEG wurde. Er übernahm die Ge- gehalten hat. Im Inneren experimen- Verfall des Fabrikbaus durch den Verein ie AEG-Turbinenhalle von Statt auf historisierende Stilelemente staltung von Grafi k, Reklame, Produk- tierte Gropius mit Glasverkleidungen »Freunde des Eiermannbaus« verhin- Peter Behrens, das Fagus- oder die Backsteingotik der damaligen ten und schließlich auch Fabrik- und verschiedenster Art. »Fagus«, der latei- dert werden, noch ehe der temporäre Werk von Walter Gropius Industriebauten zurückzugreifen, ent- Verwaltungsbauten – ein Spektrum, nische Werksname, heißt zu Deutsch Eigentümer Gesellschaft zur Entwick- D und der Erweiterungsbau stand hier mit dem nicht verkleideten welches das heutige Konzept der Cor- Buche und steht für den Rohstoff , der in lung und Sanierung von Altstandor- des Feuerlöschgerätewerks von Egon Konstruktionsgerüst aus Stahl und Glas porate Identity begründete und das der Produktionsstätte einst zu Schuh- ten (GESA) im Jahr  bis  eine Eiermann – sie zählen wohl zu den be- eine völlig neue Sprache. Es dominieren Erscheinungsbild des Unternehmens leisten verarbeitet wurde – heute sind grundständige Sanierung durchführte. kanntesten Bauten deutscher Indust- großfl ächige, tragende Fensterformate, nachhaltig prägte. Zeitweise arbeite- Schon zu dieser Zeit entstand der Ge- riekultur. Bemerkenswert sind jedoch die sich leicht nach innen neigen und ten in seinem Berliner Büro einige der danke zur Nutzung als Kulturfabrik, der neben ihren Entstehungsgeschichten von massiv erscheinenden Elementen später bekanntesten Vertreter der Ar- Die drei Denkmäler Verbindung musealer und gewerblicher die zur damaligen Zeit neuartige Form- umrahmt werden. Bekannt ist das Werk chitektur: Walter Gropius, Ludwig Mies zählen wohl zu Nutzungsformen und dem Kreieren ei- sprache sowie das Neudenken der Ar- – die AEG Turbinenhalle – vor allem für van der Rohe und Le Corbusier. ner Plattform für Industrie und Kultur. beitsbedingungen und vor allem, dass den Ausdruck einer völlig neuen Unter- Gropius (-) war es auch, der den bekanntesten  wurde der Eiermannbau zum die Vertreter der Architekturgeschichte nehmenskultur. Erstmals wurden mit die Idee der modernen Fabrik weiter- Bauten deutscher Kandidaten der Internationalen Bau- es geschaff t haben, bis heute zu beste- der stützenfreien und lichtdurchfl ute- entwickelte. Mit  Jahren bekam er den Industriekultur ausstellung (IBA) Thüringen, die ein hen und noch immer als Fabriken und ten Halle die Arbeitsbedingungen der Auftrag, den Vorentwurf des erfahrenen Finanzierungs- und Nutzungskonzept Produktionsstätten genutzt werden – Belegschaft mitgedacht. Industriebau-Architekten Eduard Wer- für eine Open Factory erarbeitete, auf wenn auch teils im übertragenen Sinne. Seit  ist der Eigentümer des ners für das Fagus-Werk zu überarbei- diese meist aus Plastik. Nach wie vor dessen Grundlage die Landesentwick- Ihr Entstehen ist zurückzuführen auf Geländes und der seit  denkmal- ten, woraufhin  in Zusammenarbeit werden sie in dem viel besuchten,  lungsgesellschaft (LEG) das Gebäude die Verknüpfung eines fortschrittlichen geschützten Halle der Großkonzern mit Adolf Meyer das weltberühmte Ge- zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten im Dezember  erwarb. Modellhaft Unternehmergeists mit der Vorstel- Siemens, der diese noch immer zur bäude mit der gläsernen Ecke entstand. Bau, nach modernster Technik gefertigt. für den Umgang mit Leerstand steht lungskraft und dem Ideenreichtum sehr Sein Ausspruch »Der Arbeit müssen Nachdem das Gebäude bereits zwei hier die Zusammenarbeit der beiden junger Architekten – eine explosive Mi- Paläste errichtet werden« ging einher Generationen überlebt hatte, wurde es Landesgesellschaften, IBA Thüringen schung, die zu zeitlosen und fl exiblen, Es sind lebende Denk- mit den Vorstellungen des Fabrikbe-  unter Denkmalschutz gestellt und und LEG Thüringen, mit der Form der noch immer relevanten Architekturen mäler, die sich im sitzers Carl Benscheidt, eine moderne von  bis  über einen Zeitraum Anhandgabe; wobei die IBA Thüringen führte. Es sind lebende Denkmäler, die ständigen Prozess der Fabrik zu errichten, bei der das Arbeiten von  Jahren saniert. Betrieben wird bis  Entwicklerin des Projekts ist. sich im ständigen Prozess der Verände- nicht mehr im Verborgenen stattfi nden das heutige »Fagus-Grecon« von Ernst Sie arbeitet mit innovativen Aktivie- rung neuen Entwicklungen und Nut- Veränderung neuen sollte, sondern in Verbindung mit der Greten, dem Urenkel des Fabrikgrün- rungsformaten, wie öff entlichen Veran- zungen anpassen. Entwicklungen und Außenwelt. ders. Es ist eine Ausbildungs- und Pro- staltungen und künstlerischen Aneig- Die Turbinenhalle der Allgemeinen Nutzungen anpassen Besonders an der schmalen, drei- duktionsstätte für Schuhleisten, wird nungsprozessen, die eine nachhaltige Elektrizitätsgesellschaft (AEG), die in stöckigen Fabrikanlage, die in Alfeld, aber auch zur Herstellung von Maschi- Nutzung des Eiermannbaus als Open der Huttenstraße im Berliner Viertel  Kilometer südlich Hannovers, steht, nen zur Massivholzbearbeitung sowie Factory zum Ziel hat. Die Bereiche Moabit steht, ging als »Tempel der Ar- Produktion von Gasturbinen nutzt. Die sind die klaren Linien, auch hier die Mess- und Brandschutzsystemen für die Bildung, Produktion, Kulturelles und beit« und »Maschinendom«, wie er von verbliebenen Fabriken auf dem restli- Materialien Glas und Stahl, sowie Holzwerkstoffi ndustrie genutzt – inzwi- Soziales vereinend, ist der Eiermannbau den Berlinern genannt wurde, in die chen Gelände werden als Technologie- die breiten Fensterfronten und voll schen mit einem Museum im ehemali- nicht nur ein Ort der Begegnung und Geschichte ein und ist eines der Schlüs- und Innovationspark Berlin (TIP), von verglasten, stützenlosen Ecken des gen Lagerhaus. des produktiven Austauschs, sondern selwerke der Architekturgeschichte. In Instituten der Technischen Universität, Werkstattgebäudes – konstruktiv war Viele Jahre später einzuordnen ist auch Beispiel für einen möglichen Fort- großem Stil sollte Peter Behrens (- Gewerbebetrieben und Medienunter- die verwendete Skelettbauweise – ein der Anbau des Feuerlöschgerätewerks bestand von industriellen Denkmälern, ) im Auftrag Walter Rathenaus, nehmen genutzt. absolutes Novum. Zu Beginn des . in Apolda, das zusammen mit dem in denen Produktion neu defi niert wird. dem Sohn des AEG-Gründers, für die Behrens selbst, ursprünglich Maler, Jahrhunderts stand sie, wie bereits das Bestandsbau heute, dem Name des kurz nach der Jahrhundertwende in hatte an Kunstschulen in Hamburg, Berliner Beispiel, im Kontrast zu den Architekten folgend, als Eiermannbau Riccarda Cappeller ist freie Architek- die Produktion von Dampfturbinen Karlsruhe und Düsseldorf studiert schwerfälligen Industriebauten der da- bekannt ist. Ursprünglich als Textilfa- turjournalistin mit Fokus auf Projekten eingestiegene Firma einen eindrucks- und war  nach Berlin gegangen, maligen Zeit und vermittelt Leichtig- brik genutzt, wurde das Gebäude  mit sozialem Hintergrund und neuen vollen und kultivierten Bau entwerfen. wo er sich als selbständiger Architekt keit, Transparenz und eine freundliche vom Apoldaer Architekten Hermann Nutzungsformen Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 31

 Meter über Berlin Der Gasometer in Schöne- hundert Jahre alt ist und kontinu- Waschkau hat viele Motive mit dem dem Gasometer gedreht. Es gibt auch gänge rund um die Themen Stadt und berg weist den Weg in die ierlich der Witterung ausgesetzt ist. Gasometer angefertigt und Ausstel- andere, die den Gasometer als Schau- Energie hier, die sind so erfolgreich, Hinzu kommt, dass der Gasometer lungen hier gehabt. platz nutzen, aber für eine große dass die inzwischen zweimal im energieeffi ziente Zukunft in den Nachkriegszeiten verändert Fernsehsendung wird er aktuell nicht Jahr beginnen. Aktuell sind hier  worden ist. Man hat ein Treppenhaus Den Gasometer kennt mittlerweile genutzt. Nach dem großen Erfolg der Firmen und fast genauso viele Start- Der Gasometer ist ein Wahrzeichen des eingebaut. Die dabei verwendeten auch ganz Deutschland. Nämlich Talkshow von Jauch ist er so behaftet, ups angesiedelt. Wir haben hier z. B. Berliner Bezirks Tempelhof-Schöneberg. Stahlteile waren sehr, sehr schlecht als Schauplatz von Günther Jauchs dass wir gerade kein neues Format Climate-KIC vom Potsdam Institut für  erwarb Reinhard Müller das Ge- – es war eben Mangelwirtschaft. Die- wöchentlicher Polit-Talkshow. reinholen wollen. Klimafolgenforschung. Der Elektro- lände rund um das Industriedenkmal. ser nachträglich eingebaute Stahl Mittlerweile gibt es die nicht mehr. roller Emmy ist hier in einer Garage Heute steht der Gasometer auf dem beschädigt die historische Konst- Inwieweit hat der Gasometer den- Sie haben es bereits erwähnt: Der entstanden. Oder auch der Fahrdienst EUREF-Campus, der als »Reallabor ruktion erheblich. Daher sprechen noch langfristig davon profi tiert? Gasometer befi ndet sich heute auf CleverShuttle. Die größten Firmen der Energiewende« gilt. Der Gasome- wir jetzt mit der Denkmalpfl ege Das war Zufall. Es begann damit, dass dem EUREF-Campus, der sich be- auf dem Campus sind Schneider Elec- ter ist geschichtsträchtiges Denkmal und anderen Institutionen darüber, ich die Kuppel des Gasometers, die sonders Zielen des Klimaschutzes tric, ein internationales Unterneh- der Energieindustrie und imposantes diese nichthistorische Fassung von ursprünglich anlässlich der Fuß- und der Nachhaltigkeit verschrie- men mit . Mitarbeitern in  Symbol des zukunftsgewandten Stadt- den Störquellen zu befreien. Wir ballweltmeisterschaft  vor dem ben hat. Nehmen Sie uns mit auf Ländern, und die Deutsche Bahn, aber quartiers. versuchen die Anbauten der Nach- Reichstag stand und für ein Jugend- einen kurzen Rundgang über den nur der Bereich der Digitalisierung kriegszeit zu entfernen, weil das für parlament genutzt wurde, gekauft Campus? und Innovation ist hier angesiedelt. Theresa Brüheim: Herr Müller, was den Erhalt des Gasometers langfristig habe. Sie wurde gemäß dem Vorbild Ich bin Architekt und habe vor elf GASAG wird bald einziehen. Im Prin- ist ein Gasometer? nicht gut wäre. der Kuppel von Sir Norman Foster, die Jahren dieses Gelände erworben. Wir zip ist es ein Themencampus, wo sich Reinhard Müller: Der Gasometer – in oben auf dem Reichstag steht, gebaut. haben hier einen Ort gebaut, an dem etablierte Firmen und junge Start-ups Berlin-Schöneberg etwas über hun- Man kann den Gasometer erklim- Diese Kuppel habe ich in den Gaso- wir zeigen, dass die Energiewende connecten, neue Ziele defi nieren und dert Jahre alt – ist eigentlich eine men und geführte Spaziergänge meter reingesetzt. Zwei Jahre später machbar und bezahlbar ist. Seit  auch Sachen ausprobieren. Lagerstätte für Gas. Früher wurde aus auf ihm machen. kam Günther Jauch und sagte: »Ich erfüllen wir die Vorgaben, die in Paris Steinkohle, die im Übrigen auf der Rund  Stufen geht es hoch, aber mache meine Talkshow hier.« Und er bei der Klimaschutzkonferenz von Vielen Dank. Zeche Zollverein in Essen gebrochen dieses in der Nachkriegszeit angebau- hat auch gesagt: »Ich brauche eine  Staaten festgelegt worden sind, wurde und mittels Zügen nach Berlin te Treppenhaus wird, wie gesagt, ent- Kuppel über der Kuppel.« Denn bei ohne jemals einen Cent Zuschuss Reinhard Müller ist Vorstandsvorsit- kam, Gas produziert. Dafür brauchte fallen. Dann wird man wahrscheinlich Regen wäre es – da es eine Membrane bekommen zu haben. Das ist das Be- zender der EUREF AG. Theresa Brüheim man eine Lagerstätte: den Gaso- mit einem Aufzug hochfahren. Von ist – zu laut gewesen. Deswegen habe sondere daran. Hier auf dem Campus ist Chefi n vom Dienst von Politik & meter. Hier wurde das produzierte, der oberen Ebene aus hat man in ich eine  Meter hohe Traglufthalle sind Wirtschaft und Forschung zu den Kultur gewaschene, gesäuberte Gas gelagert. ca.  Meter Höhe eine wunderbare darüber gebaut. Was Sie von außen Themen Klimaschutz, Energie- und Der Gasometer hier war mit . Sicht über die Stadt. Wir beschäftigen sehen, ist die größte Traglufthalle der Mobilitätswende angesiedelt. Die TU Mehr über den EUREF-Campus erfahren Kubikmetern einer der größten sei- einen Stadtführer, der in einer Stunde Welt. Sie wissen, der EUREF-Campus Berlin betreibt vier Masterstudien- Sie hier: euref.de ner Art in Europa. Er versorgte Teile -Grad-Ausblicke über Berlin ge- ist auf Nachhaltigkeit ausgelegt. Das Schönebergs. Es gab in Berlin, ,  währt. Man sieht alles, was das neue gilt auch für die Traglufthalle. Wir weitere Gasometer. Berlin prägt: den Potsdamer Platz, brauchen nur  Euro pro Jahr für die neue Mitte, den Teufelsberg, das grünen Strom, um diese größte Trag- DEFINITION INDUSTRIEKULTUR Wie lange wurde er genutzt? Flugfeld des historischen Flughafens lufthalle der Welt seit fast zehn Jah- Bis , dann kam das russische Tempelhof … ren am Leben zu erhalten. Diese Kup- Der Begriff Industriekultur steht für der industriellen Gesellschaft. So- Erdgas. pel wird heute immer wieder »Jauch- die Beschäftigung mit der gesamten wohl die materiellen Hinterlassen- Der Gasometer ist auch Schauplatz Kuppel« genannt – so weit geht Kulturgeschichte und der Lebenswirk- schaften der Industrialisierung, die Seitdem steht der Gasometer auch von Romanen, er wurde oft gemalt, das. Aber auch das ist verständlich, lichkeit der Menschen des Industrie- Betrachtung der Lebens- und Arbeits- unter Denkmalschutz. Welche Be- unter anderem von Lyonel Feinin- Günther Jauch hat fast fünf Jahre die zeitalters. Dies umfasst sowohl die verhältnisse der Industriegesellschaft, sonderheiten bringen sein Erhalt ger … Wie wird aktuell Kunst und Talkshow bei uns gemacht. Wir haben Geschichte der Technik als auch die die künstlerisch-wissenschaftliche und seine Pfl ege als Industriedenk- Kultur am und im Gasometer be- ihm unfassbar viel an Aufmerksam- Sozialgeschichte der Arbeiter. Auch Aspekte als auch ökologische, bei- mal mit sich? trieben? Was gibt es, was machen keit, an Akzeptanz, an Besuchern zu die Architekturgeschichte der Produk- spielsweise der Wandel von Natur- Es gibt verschiedene Gasometer, die- Sie möglich? verdanken. tionsstätten und die Entwicklung des zu Industrielandschaften, gehören ser hier ist ein Teleskop-Gasometer Der Gasometer steht auf dem EUREF- geografi schen Raumes sind Facetten zu den Perspektiven der Industrie- gewesen, der außen an einer Stahl- Campus und zu so einem großen Inwieweit wird der Gasometer der Industriekultur. kultur. konstruktion befestigt war. Eine Er- Campus gehört auch Kunst. Wir heute für andere TV-Produktionen Seit den er Jahren hat sich das fi ndung einer englischen Firma, die haben einige Künstler, die hier auch genutzt? Thema der Industriekultur als wis- Quelle: Helmuth Albrecht und Daniela europaweit diese Gasometer gebaut ausstellen, teilweise im öff entlichen Sie kennen vielleicht das Musikvi- senschaftliche Disziplin etabliert und Walther. Perspektiven der Industrie- hat. Die Stahlkonstruktion ist sehr Raum, z. B. Ewerdt Hilgemann, Al- deo »Lila Wolken« von Materia, Miss fokussiert sich neben der Geschichte kultur im lä ndlichen Raum: bit. sensibel. Besonders jetzt, da sie über brecht Gehse oder Detlef Waschkau. Platnum und Yasha. Das wurde auf ebenso auf Gegenwart und Zukunft ly/avFqW Die über -jährige Geschichte stärker bewusst machen Industriekultur in der Metropolregion Mitteldeutschland

I m länderübergreifenden Netzwerk bergbau in der Lausitz und im Mittel- Landesregierung Sachsen-Anhalts schen Akteure über die Grenzen der Mit den Handlungsempfehlungen der Metropolregion Mitteldeutschland deutschen Revier sind nur einige Bei- aktuell ein eigenes Konzept zur In- drei Bundesländer hinaus vernetzen, möchten wir regionalen Akteuren engagieren sich aktuell über  struk- spiele dafür. Zu dieser wechselvollen dustriekultur. Und auch in Thüringen Erfahrungen austauschen sowie aus Politik, Verwaltung und Zivil- turbestimmende Unternehmen, sieben Geschichte gehören auch viele Struk- existiert ein lebendiges Netzwerk zi- länderübergreifende Themen und gesellschaft eine Grundlage für die Städte und acht Landkreise, Kammern turbrüche und Transformationspro- vilgesellschaftlicher Akteure, dessen Projekte initiieren können. So wollen Planung und Umsetzung ihrer Stra- und Verbände sowie Hochschulen und zesse. Die Region, ihre Unternehmen Aktivitäten zunehmend stärker wahr- wir die reiche, gemeinsame Industrie- tegien, Strukturen und Projekte an Forschungseinrichtungen aus Sachsen, und Menschen haben sich immer wie- genommen werden. kultur der Region stärker bewusst und die Hand geben. Sachsen-Anhalt und Thüringen für die der erfolgreich neu erfunden. Heute nutzbar machen. Dazu sind in dem Papier drei nachhaltige Entwicklung und Vermark- bildet Mitteldeutschland wieder den Unter dem Dach der Europäischen Ein wichtiges Anliegen der Projekt- Kernthemen defi niert und mit ent- tung des Standortes Mitteldeutschland. wirtschaftlich stärksten Standort in Metropolregion Mitteldeutschland gruppe ist es, den Begriff Industrie- sprechenden Thesen und Empfeh- Der Zusammenschluss will das Thema Ostdeutschland. arbeitet seit  eine Projekt- kultur über die museale Präsentation lungen untersetzt: das »Bewahren Industriekultur aus der musealen Ecke gruppe »Industriekultur«. Welche vergangener Epochen hinaus zu und Erforschen« des industriekul- holen und länderübergreifend gestal- Welchen Stellenwert hat das Akteure kommen in diesem Rah- erweitern. Industriekultur ist für uns turellen Erbes, das »Erleben und ten. Der Geschäftsführer Jörn-Heinrich Thema heute? men zusammen? auch die aktive Auseinandersetzung Vermitteln« von industriekulturellen Tobaben beantwortet Politik & Kultur Die Beschäftigung mit der Industrie- Die Projektgruppe setzt sich aus mit aktuellen Herausforderungen. Angeboten sowie das »Gestalten fünf Fragen zum Thema. kultur in Mitteldeutschland gewinnt interessierten Akteuren aus Sach- Etwa dem Strukturwandel im Ener- und Weiterentwickeln« der heutigen zunehmend an Bedeutung. Eine sen, Sachsen-Anhalt und Thüringen giesektor und der Automobilindustrie und zukünftigen Industriegesell- Was kennzeichnet die Industrie- Vorreiterrolle nimmt dabei Sachsen zusammen. Dazu gehören unter oder der Frage, welchen Beitrag die schaft. Wichtig ist mir zu betonen: kultur in Mitteldeutschland? ein, das in diesem Jahr  Jahre anderem Vertreter von Städten und Kreativwirtschaft zur Revitalisierung Die Handlungsempfehlungen sind Jörn-Heinrich Tobaben: Sachsen, Industriegeschichte mit einem gro- Landkreisen, von Industriekultur- des ländlichen Raums leisten kann. ein Arbeitspapier, das den aktuellen Sachsen-Anhalt und Thüringen ver- ßen Themenjahr feiert. Hier gibt es Vereinen, Unternehmen und Hoch- Dieser Fokus auf Gegenwart und Stand der Diskussion abbilden soll fügen über eine über -jährige Ge- bereits seit fast zehn Jahren eine zen- schulen sowie Akteure aus den Berei- Zukunft ist auch eine der zentralen und das wir gemeinsam mit unse- schichte als Industrieregion. Entspre- trale Koordinierungsstelle für Indust- chen Tourismus und Museen. Darüber Aussagen in den Handlungsempfeh- ren Partnern in Mitteldeutschland chend zahlreich sind die Quellen, aus riekultur, die seit  bei der Kultur- hinaus ist auch die Kulturstiftung des lungen »Industriekultur in Mittel- zukünftig weiterentwickeln wollen. denen sich diese Geschichte speist: stiftung Sachsen angesiedelt ist. Freistaates Sachsen vertreten. deutschland«, welche die Projekt- Denn nur der konsequente Aus- Das mittelalterliche »Berggeschrey« So weit sind Sachsen-Anhalt und gruppe Ende  veröff entlicht hat. tausch wird uns weiterbringen. im Erzgebirge, der Maschinen- und Thüringen strukturell noch nicht, Was sind die Aufgaben der Projekt- Fahrzeugbau in Chemnitz, Magde- aber auch hier rückt das Thema gruppe? Worum geht es in diesem Papier Jörn-Heinrich Tobaben ist Geschäfts- burg und Zwickau, die Chemieregion verstärkt in den Fokus von Politik Mit der Projektgruppe bieten wir eine und welche Ziele verbinden sich führer der Europäischen Metropol- Halle-Leipzig oder der Braunkohle- und Verwaltung. So erarbeitet die Plattform, auf der sich die mitteldeut- damit? region Mitteldeutschland 32 INDUSTRIEKULTUR www.politikundkultur.net

Wert und fortlaufenden Prozess der ge- der Tagesordnung, es ist also durchaus sellschaftlichen Entwicklung, der unter verwunderlich, dass noch kein Archi- Was andere nicht sehen anderem auch die Fragen umfasst, wie tekt oder Städtebauer im Team vertreten Dinge optimiert werden können oder ist. Zwar hat es z. B. bei der Dresdener Zum Aktionsfeld des Kollektivs Industrie.Kultur.Ost wie und welche Vorgehensweisen der Robotron-Kantine eine Kooperation mit Vergangenheit zur Lösung heutiger und der Hochschule gegeben, aber die Ideen RICCARDA CAPPELLER in eine Datenbank einpfl egt. Gegrün- vielerorts zentralisierten Betrieben so zukünftiger Probleme beitragen können. für mögliche Umgestaltungen sammeln det hat sich die Gruppe von heute fünf besser aufzeigen lassen und die bereits Generell lässt sich wohl sagen, dass die Mitte-Zwanziger eigentlich noch im- eipzig ist inzwischen bekannt für Mitgliedern  aus fotografi schem stattgefundenen Umnutzungen zu Ge- der Blick der Ostdeutschen auf ihre mer allein. Auch Immobilieninvestoren sein industriekulturelles Erbe. Ob Interesse heraus. Hauptberufl ich sind werbe- und Wohneinheiten das Festhal- Industriekultur sich allmählich ändert. gehören zu ihrem Netzwerk aus Politi- L Baumwollspinnerei, Tapetenwerk die jungen Industriekulturforscher in ten einer vollständigen Nutzungskette »Zwar haben viele den plötzlichen Ver- kern, Kommunen und Vereinen. »Man- oder Kunstkraftwerk – die geschichtlich Bereichen der Immobilienentwicklung, vielerorts ohnehin kompliziert gestal- lust ihrer Arbeitsplätze noch nicht ver- che kommen zu uns und fragen an, ob und gesellschaftlich relevanten Räu- dem Archiv- und Ingenieurwesen tätig. ten. In der internen Datenbank exis- arbeitet, wozu sicherlich auch der über eine Zusammenarbeit zur Auswahl eines me, die vor oder mit dem Beginn der Ausgehend von der Auswertung histo- tieren bereits . Bauten, öff entlich  Jahre existierende Leerstand im Zen- Standorts in der Stadt X für das Projekt Industrialisierung entstanden, werden rischer Quellen, Bücher und Adress- zugänglich sind davon  Gebäude. trum vieler Städte beigetragen hat, man Y (z. B. einem Pfl egeheim) möglich ist. neu genutzt und zu Plattformen des bücher sowie einer Standortanalyse Neben der Fotodokumentation und merkt jedoch, dass in den letzten Jahren Oft gibt es dann genaue Vorstellungen, kulturellen Austauschs. Sie schaff en über Satellitenbilder recherchieren sie, der Archivierung engagiert sich die von Bürgerinitiativen mehr kommt und aus welcher Zeit das Gebäude stammen Räume für die Zukunft, in denen eine welche Bauten der nun schon über hun- Gruppe heute auch ehrenamtlich für sich auch mehr Leute bemühen, Gebäu- soll, und wir kennen ja inzwischen die fortlaufende Entwicklung je nach Nach- dertjährigen Geschichte noch stehen, die Bauten und die Kommunikation des de zu erhalten.« Obwohl viele der Indus- ganze Region.« Wichtig ist der Gruppe frage möglich ist. Während das Ruhrge- um sie auf Fototouren, die zwischen Industriekultur-Begriff s. So hilft sie z. triebauten seit ca. fünf Jahren wieder als vor allem, das jeweilige Bauwerk zu ret- biet stets als Vorreiter für den Umgang Dresden und Plauen begannen, in ihrer B. einzelne Gebäude wie die ehemalige Lager oder Ähnliches genutzt werden, ten. Bei der Sanierung plädiert sie dafür, mit der baulichen Substanz dieser Zeit heutigen Situation abzulichten und auf Gardinenweberei Landmann & Hellwig gibt es regional immer noch extreme dass ein Wiedererkennungswert vorhan- des Aufschwungs steht, gibt es auch ihren Leerstand hin zu untersuchen. in Zwickau, wo sie inzwischen selbst ein Unterschiede. In Cottbus wurden bei- den bleibt – klassisches Feld der Denk- in Ostdeutschland zahlreiche Denk- Während dieser Expeditionen wer- Atelier hat, zu erhalten. Bis vor drei Jah- spielsweise viele Bauten saniert und um- malpfl ege. Was dann genau passiert und mäler des Industriezeitalters, die trotz den die fotografi schen Motive mit der ren war diese ungenutzt und wächst nun genutzt, während  Kilometer weiter in ob ein Teil der Gebäudestruktur einem wertvoller Bausubstanz und vielfältiger Zeit immer weniger – die Gebäude mit Bandproberäumen, einigen Gewer- Forst (Niederlausitz) eine Ruine neben gemeinschaftlichen Zweck gewidmet Entwicklungsmöglichkeiten, anders als selbst, aber auch das Wissen um ihre befl ächen und Ateliers zur Kulturfabrik der anderen steht. Ein wiederkehrendes wird oder ein eher profi torientiertes Ei- in vielen der alten Bundesländern all- Geschichte und die kulturellen und heran. Spannend am Begriff der Indus- Problem scheint auch das Ausfi ndigma- geninteresse der Investoren siegt, darauf mählich verfallen und an Standorten sozialen Verhältnisse dahinter. Daher triekultur ist vor allem, dass dieser noch chen der Besitzer zu sein. Häufi g leben hat das Kollektiv keinen Einfl uss. Für die außerhalb der Großstädte oft noch hat die Gruppe beschlossen, etwas zu relativ jung und in der Bevölkerung nicht diese im außereuropäischen Ausland, Zukunft soll die Frage, wie Industriekul- keine Nachnutzung gefunden haben. unternehmen, und eine Datenbank ge- besonders verankert ist, so Dämmler. Er wie z. B. in der Türkei oder Israel. tur für jüngere Menschen interessanter Ein Kollektiv aus Zwickau dokumentiert gründet, in der Industriebauten vom betriff t nicht nur die Geschichte, son- Das Team von Industrie.Kultur.Ost gemacht werden kann, im Vordergrund diese Bauten und setzt sich inzwischen Beginn des . Jahrhunderts auf dem dern auch und vor allem die Zukunft. Für wird inzwischen auch von Städten und stehen, denn obwohl es sogar ganze Ab- vielfältig für sie ein. Gebiet der ehemaligen DDR gesammelt viele, so sagt er, sind Industriekulturen Eigentümern angesprochen, Objekte risswellen gibt, »ist noch viel zu tun für »Für uns sind Dinge begeisterungs- und dokumentiert werden. Eingetra- Gebäude und Maschinen. Neben diesen nicht nur zu dokumentieren, sondern die Industriekultur«. würdig, die andere gar nicht sehen«, gen ist dabei vorrangig die Nutzung der materiellen Werten, die das architek- sogar Ideen für Nutzungskonzepte zu- sagt Sebastian Dämmler, der als Teil Gebäude zu DDR-Zeiten, da hier laut tonische und bauliche Erbe, also auch sammenzutragen. Dazu gehört es dann, Riccarda Cappeller ist freie Architek- des Kollektivs »Industrie.Kultur.Ost« Dämmler ein »Vakuum in der Wissen- die Arbeitssiedlungen und Kulturhäu- Beispiele aus anderen Regionen und ein turjournalistin mit Fokus auf Projekten seit nun schon über zehn Jahren Indus- schaft besteht«, sich die Zusammen- ser umfassen, deckt der Begriff jedoch möglichst breites Spektrum aufzuzeigen. mit sozialem Hintergrund und neuen triebauten aufspürt, fotografi ert und hänge zwischen den zu damaliger Zeit auch das immaterielle Erbe ab: den Diese Aufgaben sind im Städtebau an Nutzungsformen

lich: Ferropolis ist kommunale Aufgabe, Der Revierleiter konnte per Unter- nicht, auch wenn anfangs viel von der Mehrheitsgesellschafter der Ferropolis schrift die für die Verschrottung der IBA Emscherpark im Ruhrgebiet gelernt Ferropolis GmbH ist die Stadt Gräfenhainichen. Das Tagebaugroßgeräte vorgesehenen werden konnte. Egal ob Amtsleiter oder sorgt für Reibungen, und die erzeugen Mittel umwidmen und für den Erhalt Politikerin, Bürgermeister, Bankdirek- Stadt aus Eisen Kleinstadt am Rande der Dübener Hei- Spannungen – und Entwicklungsenergie. der fünf Tagebaugroßgeräte einsetzen, tor oder Nachbarin, sobald sich jemand de, welche Bedeutung Ferropolis für die Ebenso wichtig ist es, dass FERRO- die heute Ferropolis ausmachen. Ganz für Ferropolis einsetzt, ist es meist die THIES SCHRÖDER Region hat. Und die ehemaligen Berg- POLIS Freiräume nutzen konnte. Ent- ohne Machbarkeitsstudie oder Master- Musik, die verbindet. Und wen das nicht leute sind engagierte Botschafter für standen ist die Idee für die Stadt aus plan, anfangs auch noch ohne denk- überzeugt, der ist beeindruckt von dem er letzte Kohlezug verließ das industriekulturelle Erbe. Eisen am Bauhaus Dessau. Studieren- malpfl egerisches Gutachten, sondern logistischen Aufwand, das ein Festival den Tagebau im April  Ferropolis war von Anfang an eine de und Werkstattleiter der Bauhaus- allein im Vertrauen auf die Überzeu- heute bedeutet. in Richtung des Kraftwerks kommunale Angelegenheit mit inter- Werkstatt »Industrielles Gartenreich« gungskraft der Ideen der Bauhäusler. Es ist die lebendige Industriekultur, D Zschornewitz. Im Tagebau nationaler Ausstrahlung. Wenn zum arbeiteten nach dem Ende der DDR an Notwendige Projektmittel stellten das die weit mehr als die Tourismuswirt- Golpa-Nord im Osten des heutigen splash!- oder zum melt!-Festival die großen Zielen und fanden die Begrün- Land Sachsen-Anhalt und der Bund zur schaft belebt. Identität, Respekt vor der Bundeslandes Sachsen-Anhalt fand Fans am Gremminer See campen, sind dungen in der Geschichte der Region: Verfügung – und auch das ist wesent- Vergangenheit, auch Stolz und zugleich der Kohleausstieg bereits  statt. die städtischen Infrastrukturen vom Reformation in der Lutherstadt Wit- lich: Ohne »Spielgeld« (Karl Ganser) die Einsicht in die notwendige Verände- Die Braunkohle war erschöpft, weitere Bahnhof bis zur Kläranlage am Rande tenberg, Aufklärung im Dessau-Wör- lassen sich die besten Experimente rung durch Experimente – dafür steht Flächen wurden nicht mehr neu auf- der Belastungsgrenze. Andererseits litzer Gartenreich, die Bauhausstadt nicht verwirklichen. Von Anfang an Ferropolis heute: #ferro. geschlossen. sind die Gäste Wirtschaftsfaktoren, Dessau – alles musste zu Beginn der arbeitet Ferropolis übrigens ohne in- Heute, mehr als drei Jahrzehnte und viele Bürgerinnen und Bürger in er Jahre neu gelesen und gewich- stitutionelle Förderung. Thies Schröder ist Geschäftsführer der später, ist der Ausstieg aus der ener- Gräfenhainichen mögen den Austausch tet werden. Die Industriekultur, das Der dritte Erfolgsfaktor ist die Kultur Ferropolis Industriekultur gGmbH und getischen Nutzung der Braunkohle be- mit den bunten Besucherscharen. »Industrielle Gartenreich«, war da ein selbst, meist die Musik. Die Entwick- der Ferropolis GmbH sowie Sprecher schlossen, zumindest in Deutschland. Für die -jährige Entwicklung von kreativer Schub. Eine anarchische Pha- lung der Stadt aus Eisen braucht vie- der Projektgruppe Industriekultur Dennoch gibt es in den Braunkohlre- Ferropolis sind drei Faktoren wesent- se erlaubte mutige Entscheidungen: le Verbündete. Eine Blaupause gab es Mitteldeutschland gionen im Rheinischen und Mittel- deutschen Revier und in der Lausitz neben Einsicht auch Verunsicherung. Welche Zukunft folgt auf die Bergbau- geschichte? Ferropolis, gelegen auf einer Halbin- sel im ehemaligen Tagebau Golpa-Nord, gilt als erfolgreiches Zukunftsbeispiel. . Besucher jährlich feiern auf Ferropolis oder lernen an ruhigeren Tagen die Bergbaugeschichte kennen. Für die regionale Wirtschaft ist Ferro- polis zu einem Einfl ussfaktor geworden. Mehr als , Millionen Euro regionale Wertschöpfung werden pro Festival erzeugt, und auf Ferropolis fi nden in jedem Jahr vier solcher Musik- und Kulturfestivals statt, dazu Konzerte, Sportevents, regionale Kulturveran- staltungen. Ferropolis ist Bergbauge- schichte und Experimentierraum der Event Industries gleichermaßen. Am Anfang war die Region, waren die Bergleute skeptisch: Kann man dort, wo vor nicht allzu langer Zeit noch die Arbeit und die Maschinen den Takt des Lebens bestimmten, nun einfach feiern? Feierabende ohne Arbeitstage? Aber auch das ist Industriekultur: die Begleitung der Transformation, die Öff nung neuer Horizonte, die Ausei- nandersetzung mit dem Wandel – und

immer auch Trauerarbeit. Inzwischen GMBH FERROPOLIS FOTO: wissen fast alle in Gräfenhainichen, der Internationale Festivals und große Konzerte haben Ferropolis einen europaweiten Ruf verliehen Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INDUSTRIEKULTUR 33

Hier hat der Bergbau Tradition Das Besucherbergwerk Bergbau dann einen enormen Auf- den hauptsächlich Kupfer-, Kobalt-, Sie sind Vorsitzender des Kamsdor- an Veranstaltungen auf Landes-, Bun- »Vereinigte Reviere schwung erlebt. Die Preußen haben Silber- und Nickelerze abgebaut fer Vereins zur Pfl ege der Bergbau- des- und Europaebene teil. auf dem Wiener Kongress dezidiert – hatte je nach Konjunktur zwischen tradition. Worin bestehen die Berg- Kamsdorf« das Gebiet Kamsdorf-Goßwitz wegen  und  Beschäftigte, die in der bautraditionen in Kamsdorf? Was erlebt man bei einer Führung der Erzlagerstätte gefordert. Es gab Grube gearbeitet haben. Nach der Zuerst einmal ist der Bergbau an sich in den Vereinigten Revieren Kams- Früher allseits bekannt, sind die »Ver- hier ein gutes waff enfähiges Eisenerz. Wiederaufnahme des Bergbaus  hier Tradition, weil er über Jahrhun- dorf? einigten Reviere Kamsdorf« heute eher Diese Rohstoff quelle wollten sie für sind die Beschäftigtenzahlen deutlich derte die Lebensgrundlage für die Eine Führung dauert zwischen einer ein Geheimtipp unter den Besucher- sich haben. Und weil die Sachsen mit nach oben gegangen. Zu DDR-Zeiten Bewohner gebildet hat. Aber auch die und drei Stunden – je nach Interesse bergwerken. Dabei wird auf dem Gelän- Napoleon den Krieg verloren hatten, waren um die  Leute hier im Berg- einzelnen Bergbautraditionen wollen und Beziehung zum Bergbau. Wir sind de im Süden Thüringens nicht nur Besu- mussten sie Federn lassen. Diese bau beschäftigt. Allerdings waren wir aus der Versenkung holen. Mit dem hier bemüht, die Grube den Besuchern chern Bergbaugeschichte und Geologie Bergbauepoche, bei der die großen ca.  Leute im übertägigen Bereich Wechsel in die DDR waren viele alte nahezubringen. Man sieht hier den nahegebracht, sondern es wird noch im- Weitungsbaue entstanden sind, hat tätig. Traditionen nicht gewünscht. Man Bergbau der letzten  Jahre. Das mer abgebaut – wenn auch über Tage. sich bis  fortgesetzt. Dann wur- hat versucht, diese alten Zöpfe abzu- geht zurück bis zum Kupfer- und Theresa Brüheim spricht mit Werner den wir Teil der DDR. Dort fand der Wie viele arbeiten heute noch? schneiden und neue Traditionen zu Silbererzbergbau. Man sieht auch Groll, dem Vorsitzenden des Kamsdorfer Bergbau – was den untertägigen Teil Das wechselt ständig. Ich nehme ca.  installieren. Da ist sehr viel Bergbau- den Eisenerzabbau, der sehr selektiv Vereins zur Pfl ege der Bergbautradition. anging – um  sein Ende. Großzü- Festangestellte an. Das ist eine staubi- geschichte vergessen worden. Hier hat stattgefunden hat, auf der dritten gig gesehen, existiert der Bergbau in ge, aber angenehme Arbeit. Da gibt es man z. B. den Barbaratag, der wichtigs- Sohle, also im unteren Bereich der Theresa Brüheim: Die Tradition des Form eines Tagebaus heute noch. Es andere Bereiche im Bergbau, die sind te Fest- und Feiertag der Bergleute am Lagerstätte. Und dann haben wir noch Bergbaus in Kamsdorf reicht weit wird aber nicht mehr für die Hütten- auch heute noch unangenehm. . Dezember, kurzerhand abgeschaff t. einen Bereich, in dem /, das zurück. Archäologische Funde be- industrie Material abgebaut, sondern Daraus wurde in der DDR der Tag des heißt im Dritten Reich, versucht wur- legen den Abbau von Erzen schon für andere Geschäftsfelder. Heute Welche Bedeutung hatte der Berg- Bergmanns, der am ersten Sonntag im de, Rüstungsproduktion nach unter in der Bronzezeit. Wie ging es dann baut man Hartstein ab, um auf dem bau in Kamsdorf für die Region? Juli stattfand. Wir feiern heute wieder Tage zu verlagern. In diesem Teil sollte weiter? Baustoff markt bestehen zu können. Der Bergbau hat dafür gesorgt, dass den traditionellen Barbaratag am . ein Betrieb zur Fertigung von Düsen- Werner Groll: Es ist richtig, dass der Man geht tief in die Kulmgrauwacke gut . Leute von ihm leben konn- Dezember. triebwerken für die Messerschmitt Me Bergbau in der Region in der Bronze- rein und macht daraus Schotter und ten – nicht nur in Kamsdorf, son- Wir versuchen, die Bergbautätigkeit in  entstehen. Das ist aber nicht mehr zeit durch Grabbeigaben belegt ist, die Splitt. Für die Landwirtschaft wird dern auch im weiteren Umfeld. Die Kamsdorf durch die Anlegung unseres produktionswirksam geworden. Die bei Oberwellenborn gefunden wurden. gering vererzter Zechsteinkalk als Maxhütte Unterwellenborn, die zu Besucherbergwerkes und eines über Geologie, die Lagerstättenentstehung Die erste urkundliche Erwähnung Düngemittel abgebaut. Die Lagerstät- DDR-Zeiten jedes Schulkind kannte, tägigen Montanlehrpfades entlang von sowie Abbautechniken werden auch eines Bergbaus zwischen Könitz und te ist durch Faltung und Verwerfung ist errichtet worden, weil in Kamsdorf Bergbauzeugen wieder in das Bewusst- vermittelt. Angefangen vom Bohren Saalfeld geht auf  zurück. Hier gestört, sodass Schichten, die eigent- diese begehrten Eisenerze lagen. Sie sein der Gesellschaft zu rücken. Was der Sprengbohrlöcher von Hand, mit in Kamsdorf ist er Mitte des . Jahr- lich unter dem Zechstein lagern, in wurde erfolgreich bis  betrie- wir noch nicht geschaff t haben, mir einem Bohrmeißel und einem Schle- hunderts durch Hinweise auf die An- die Abbauhorizonte reinkommen. Da ben. Dort wurden ca. . Leute aber am Herzen liegt, ist das Wieder- gel. Erst  ist Pressluft in die Grube legung von Stollen belegt, die später wird selektiv für die Ziegelindustrie beschäftigt – inklusive der , die in aufl eben einer Bergmannsblaskapelle eingebracht worden. zur Entwässerung des Grubengebietes abgebaut. der Abteilung Grundstoff wirtschaft und eines Bergmannsgesangsvereines. dienten. In den darauff olgenden der Maxhütte im Tagebau arbeiteten. Darüber hinaus unterstützen wir auch Vielen Dank. Jahrhunderten haben wir mehrfach Wie viele Arbeiter waren zu Hoch- Hinzu kamen die Satellitenbetriebe. befreundete Traditionsvereine und im die Landeszugehörigkeit gewechselt. zeiten im Bergbau in Kamsdorf Heute arbeiten in der Maxhütte noch Rahmen unserer Zugehörigkeit zum Werner Groll ist Vorsitzender des Die längste Zeit gehörte die Region beschäftigt? zwischen  und  Arbeitnehmer. Landesverband der Bergmanns-, Hüt- Kamsdorfer Vereins zur Pfl ege der zu Kursachsen. Erst ab  sind wir Man muss zwei Epochen unterschei- Die Wende hat einen ziemlichen ten- und Knappenvereine nehmen wir Bergbautradition. Theresa Brüheim ist zu Preußen gewechselt. Da hat der den. Der Bergbau bis  – da wur- Knick mit sich gebracht. in unseren traditionellen Bergkitteln Chefi n vom Dienst von Politik & Kultur

Erhaltung, Entwicklung, Erinnerung Die Industriekultur im Spannungsfeld städtischer Transformationen

HEIKE OEVERMANN in Nürnberg, die das Alltagsleben der triekultur zusammengedacht werden. Industriekultur in den Blick nahmen, Hier bieten sich gerade für periphere ine von Politik, Kultur, Wirt- die Internationale Bauausstellung Standorte und ländliche Räume Mög- schaft und Zivilgesellschaft Emscher Park (-), die Indus- lichkeiten der Erhaltung industrieller zunehmend als wichtig gese- triekultur als Weg der Revitalisierung Prägungen und Entwicklung dieser E hene Aufgabe ist die Erhaltung ebnete, und die industriearchäolo- besonderen Orte. von Industriebauten und technischen gischen Ansätze der Bergakademie Ein weiterer wichtiger Ansatz sind Anlagen, auch wenn sie aus ihrer ur- Freiberg. Diese Ansätze verbindet, die vielfachen industriekulturellen sprünglichen Nutzung herausgefallen dass die technologischen Innovatio- Projekte, die gemeinschaftliche Mo-

sind. In den stark industriell geprägten nen, die veränderte Produktion und delle darstellen und Wohnen, Arbei- WOITAS/DPAZENTRALBILD/DPA ALLIANCE/JAN PICTURE FOTO: Städten und Regionen wie in Berlin, im Gestaltung und die Prägung der Stadt ten und nachbarschaftliche Aktivitäten Die restaurierte historische Leuchtreklame weist den Weg zur Leipziger Baumwoll- Saarland und Ruhrgebiet ist generell und des städtischen Lebens durch die organisieren. Hier spielen Stiftungen spinnerei verstanden worden, dass die baulichen Industrialisierung angesprochen wer- und Genossenschaften eine wichtige Hinterlassenschaften der Industrie und den, meist bezogen auf den Zeitraum Rolle, die Grund und Boden der im- in diesem Land ein zentrales Thema Benennung, Bewertung und denkmal- industriellen Arbeit – Produktionsstät- von  bis , genauso wie die Fra- mobilienwirtschaftlichen Verwertung sein. Wenige Zwangsarbeiterlager und verträglichen Entwicklung von Denk- ten, Infrastrukturen, Wohnsiedlungen, ge, was wir heute mit ihren baulichen entziehen und damit die Grundlage für die Lebensschicksale der Menschen malen, und zweitens, eine vermehrte Werksportanlagen und Weiteres – Aus- und infrastrukturellen Relikten und den gemeinsamen Prozess von Erhal- sind aufgearbeitet, thematisiert oder Anerkennung baulicher Strukturen, kunft geben über die Vergangenheit Errungenschaften anfangen. tung, Entwicklung und Nutzung ohne erhalten, wie das im Zwangsarbeiter- die nicht denkmalwürdig sind, aber einer Region, aber gleichzeitig auch Aus Sicht der Forschung gibt es dazu höhere Renditeerwartung ermöglichen. lager in Berlin-Niederschöneweide mit ihrer Erhaltung zur notwendigen das Potenzial haben, dass Menschen eine einfache rhetorische Gegenfra- Damit können dann auch wichtige so- erfolgt ist. Ressourcenschonung und nachhaltigen sich mit ihrer Region identifi zieren und ge: Wie soll die jüngere Geschichte ziale Funktionen der Nachbarschaft Bislang wenig erforscht und an- Stadtentwicklung beitragen. aus historischen Entwicklungspfaden Deutschlands und seiner Regionen oder des Quartiers auf den Arealen erkannt ist die Industriekultur der Die Industriekultur steht im viel- zukunftsfähige Wege entwickeln. Nicht und Städte verstanden werden, wenn beheimatet werden. Hier braucht es zweiten Hälfte des . Jahrhunderts. schichtigen Spannungsfeld von Er- zuletzt werden die Industriebauten als die Zeugnisse der Industrialisierung größere politische und administrative Industriekultur könnte hier als Lin- haltung, Entwicklung, Erinnerung Möglichkeitsräume für alternative For- verschwinden? Unterstützungen dieser Initiativen, die se genutzt werden, durch die sowohl städtischer Transformationen, die men des Zusammenlebens angesehen: Betrachtet man den Umgang mit von ExRotaprint in Berlin, zur Alten die Geschichte der DDR wie auch die nicht konfl iktfrei sind, deren Aushand- die nachbarschaftliche und gemeinnüt- Industriekultur in den Regionen, wird Samtfabrik in Krefeld bis hin zu Hö- der BRD gelesen werden kann. Die lungsprozesse uns aber die Möglichkeit zige Nutzung einer off enen Shedhalle deutlich, dass Industriekultur außer- fen frühindustrieller Agrarproduktion, Forschung würde wohl mehr Gemein- geben, Bewährtes fortzusetzen, Neues im Hofe der dicht bebauten Stadt, die halb des Ruhrgebietes kaum als Mar- z. B. in Prädikow in Brandenburg, rei- samkeiten herausarbeiten können, als auszuprobieren und Fehlentwicklun- Experimente der Kultur und des Wirt- kenzeichen einer Stadt und Region be- chen. die zwei unterschiedlichen Wirtschafts- gen der Vergangenheit aufzuarbeiten schaftens in großen Hallen und mehr- worben wird: Beispielsweise in Berlin Schließlich müssen die musealen und Gesellschaftssysteme zunächst und gegenzusteuern. Wir brauchen stöckigen Etagenfabriken oder die au- stehen gesamtstädtische touristische Ansätze und die Erinnerungskulturen vermuten lassen. die Forschung, um Grundlagen zum tofreien Außenräume auf ehemaligen Vermarktungsprozesse und industrie- erwähnt werden. Industriekultur hat Mit den vielfältigen Erhaltungs- Thema »Industriekultur global« zu Fabrikarealen. kulturbezogene Umnutzungen uner- auch vielfache dunkle Seiten. Wenig motivationen und unterschiedlichen erarbeiten sowie um vergleichend In diesem Kontext wird vielfach von kannt nebeneinander, erst der Blick ist bislang erforscht, wie die globalen Praktiken erhält auch der Denkmal- gute Beispiele und Modelle der Praxis Industriekultur gesprochen: Industrie- auf einzelne Lokalitäten und Akteure Handels- und Produktionsnetzwerke schutz Impulse. Hier fi ndet eine Aus- her auszuarbeiten, und wir brauchen kultur ist ein schillernder Begriff , der zeigt, dass industriekulturelle Ge- zu Umweltzerstörung, Ausbeutung und einandersetzung über die Frage der die politische Unterstützung für die vielfältige Implikationen, Bedeutun- schichte und Bauten auch im Hinblick Sklavenarbeit beigetragen haben. Was Umnutzung, denkmalverträglichen gemeinschaftliche Arbeit der vielfäl- gen und Appelle miteinander verbin- auf gesamtstädtische Entwicklungen heißt diese »Industriekultur global« für Entwicklungen und möglichen Verän- tigen Akteure. det, man denke an die Bezeichnung klug genutzt werden. Die erste Rad- die heutige internationale Zusammen- derungen von Bauten und Ensembles von Tilmann Buddensieg für Peter route der Industriekultur, erarbeitet arbeit? Zudem ist die Verstrickung in statt. Diese Diskussion unterstützt Heike Oevermann ist stellvertretende Behrens als Architekten der Indust- vom Berliner Zentrum Industriekultur, den Nationalsozialismus vieler deut- langfristig – hoff entlich – zwei wichti- Direktorin des Georg-Simmel- riekultur, an die Museumsansätze von zeigt das Potenzial, das entsteht, wenn scher Großkonzerne wenig öff entlich ge Anliegen der Gesellschaft: erstens, Zentrums der Humboldt-Universität Herrmann Glaser in den er Jahren Tourismus, Nachhaltigkeit und Indus- wahrnehmbar und müsste doch gerade die Einbeziehung vieler Akteure für die zu Berlin 34 INDUSTRIEKULTUR / OSTWESTPERSPEKTIVEN www.politikundkultur.net

International vernetzt Das Deutsche TICCIH- einer Keimzelle der Industriellen Revo- TICCIH-Mitglieder ist die Georg-Agri- aktuelle Stadtentwicklungsprojekte in Kulturlandschaft mit einer Vielzahl Nationalkomitee lution in Großbritannien, und  in cola-Gesellschaft für Technikgeschichte China: Die Anlagen des Hüttenwerks nachhaltig gemanagter industriekul- Bochum. Nordrhein-Westfalen hatte und Industriekultur. Neben den klas- Shougang in Peking werden derzeit zu tureller Stätten entstanden. Die Dich-  mit seinem »NRW-Programm « sischen Industrieländern sind zuneh- einem neuen Stadtquartier mit Büros, te großformatiger Industriedenkmale, NORBERT TEMPEL als erstes Bundesland die Erhaltung von mend auch jene Staaten in das Netz- Sportstätten und Parkanlagen entwi- industriebedingter Siedlungen und Bauten der Industrie und Technik in werk eingebunden, deren technisch- ckelt. Verkehrswege ist weltweit einzigartig. it dem Niedergang der alten den Fokus gerückt. Als furioser Auf- industrielle Entwicklung von ihrer Ei- Im Rahmen einer ständigen Koope- Wichtige Bausteine waren die Grün- Industrien, insbesondere des takt kann die Rettung der Jugendstil- genschaft als Kolonial-, Schwellen- oder ration mit dem internationalen Denk- dung des Westfälischen und des Rheini- M Montanwesens – Bergbau, Ei- Maschinenhalle der Zeche Zollern in Entwicklungsland geprägt war. Mithilfe malrat ICOMOS beteiligt sich TICCIH schen Industriemuseums (/) und sen und Stahl – und der Textilindustrie Dortmund durch Dekret der Landesre- des großen TICCIH-Netzwerkes gelang an der Ermittlung und Bewertung po- der Stiftung Industriedenkmalpfl ege in den einst führenden Industrienati- gierung am . Dezember  gelten. In die Etablierung der international ver- tenzieller UNESCO-Welterbestätten. In und Geschichtskultur (), die In- onen im Westen Europas, begann das den folgenden Jahrzehnten sollte NRW breiteten Zeitschrift »Industriekultur«, Deutschland gibt es seit Jahren eine ternationale Bauausstellung Emscher- Interesse an der Dokumentation, Erfor- weltweit führend in der Erhaltung und die seit  Jahren über Denkmalpfl ege, enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit park (-), die erste touristische schung und Bewahrung ihrer Relikte. Umnutzung großer Industriedenkmale Landschaft, Sozial-, Umwelt- und Tech- zwischen beiden Verbänden. So wurden Route der Industriekultur überhaupt Ab den er Jahren entwickelte sich werden. nikgeschichte berichtet. eine Reihe von Tagungen zu den The- () und die regelmäßig stattfin- von England ausgehend die Disziplin Die Konferenzen brachten Akade- Alle drei Jahre veranstaltet TIC- men Industriedenkmale und Indust- dende »ExtraSchicht – Lange Nacht der Industriearchäologie, deren An- miker verschiedener Disziplinen und CIH internationale Konferenzen mit rielle Kulturlandschaften gemeinsam der Industriekultur«, die europäische sätze und Methoden schrittweise von Praktiker auf dem Feld der Industrie- zunehmender Beteiligung von asiati- veranstaltet und  eine erste ge- Kulturhauptstadt RUHR , Auslöser anderen Ländern übernommen wurden. archäologie zusammen und führten zur schen Fachkollegen, aber etwa auch meinsame Publikation »Weltkulturerbe für einen seitdem ständig wachsenden Zusätzlichen Auftrieb verschaff te die Gründung der einzigen weltumspan- aus Südamerika, Nordafrika oder dem und Europäisches Kulturerbe-Siegel« Industriekultur-Tourismus, und nicht schwedische »Grabe, wo du stehst«- nenden Organisation, die sich der Er- Iran. Die nächste fi ndet im Herbst  herausgegeben, die auch ausführlich zuletzt der innovative ökologische Bewegung, die seit den späten er forschung und Erhaltung des industri- im kanadischen Montreal unter dem die Potenziale des industriellen Erbes Umbau des Emscher-Systems, der Jahren in Westeuropa und den USA zur ellen Erbes widmet und Lobbyarbeit für Motto »Industrial Heritage Retooled« in Deutschland thematisierte. Anlass gleichwohl Aspekte der Denkmal- und Gründung zahlloser Geschichtswerk- gefährdete Industriedenkmale leistet: statt. Die Potenziale industrieller Orte für die Tagung »Industrielle Kultur- Landschaftsbild-Pfl ege berücksichtigt. stätten führte, in denen »Barfußhis- TICCIH – The International Committee für neue Nutzungen wie als Identifi - landschaften im Welterbekontext«  TICCIH unterstützt dieses Welterbe- toriker« lokale Geschichte von unten for the Conservation of the Industrial kationspunkte für die Bevölkerung in Dortmund war das aktuelle Projekt, projekt mit seiner Expertise. erkundeten. Heritage. Heute hat diese NGO mehr werden inzwischen weltweit hochge- die »Industrielle Kulturlandschaft Meilensteine für die Etablierung des als  direkte Mitglieder in  Län- schätzt. Die Umwandlung eines denk- Ruhrgebiet« für ein UNESCO-Welterbe Norbert Tempel ist Sprecher des Themas in den führenden Industrie- dern, unzählige weitere sind über ihre malgeschützten Hüttenwerks zu einem vorzuschlagen. Deutschen TICCIH Nationalkomitees staaten waren die ersten internatio- nationalen Verbände mit angeschlossen. öff entlichen Park auf dem Gelände der An der Ruhr ist in den letzten Jahr- und Mitherausgeber der Zeitschrift nalen Konferenzen  in Ironbridge, Institutionelle Heimat der deutschen Meidericher Hütte dient als Vorbild für zehnten eine international beachtete Industriekultur Bewusstseinsbildung Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz fördert DDR-Denkmäler

STEFFEN SKUDELNY die Zentrale Denkmalliste der DDR unter Schutz gestellten »Denkmale zu s ist Konsens in der denkmal- politischen Ereignissen und Persönlich- pfl egerischen Debatte, dass keiten«. Dabei spielt eine klarere Dif- Denkmale Zeugnisse einer ferenzierung zwischen Kulturdenkmal E abgeschlossenen, bereits und Gedenkstätte in der öff entlichen historisch gewordenen Epoche sind. Wahrnehmung inzwischen eine ebenso Das macht einerseits die Diskussion wichtige Rolle wie die Vermittlung der um die Zeugnisse der jüngeren Ver- kulturhistorischen und ästhetischen gangenheit so spannend, andererseits Werte. gefährdet eine verspätete oder fehlen- Neben der Beschäftigung mit Ein- de Diskussion diese jungen Denkmale zeldenkmalen, wie sie der Deutschen ganz besonders. Dass sie durchweg in Stiftung Denkmalschutz (DSD) durch modernen, weniger langlebigen Bau- die Vielzahl einzelner Förderanträge stoff en geschaff en wurden, zudem oft begegnen, hat die Debatte über die in urbanem Umfeld liegen und damit städtebaulichen Hinterlassenschaften städtebaulich unter besonderem Druck der DDR, insbesondere in den Met- stehen, verschärft die Situation. ropolen, einen großen öff entlichen Wie wenig die Epoche der Deutschen Wiederhall gefunden. Doch auch nach Demokratischen Republik vor  Jahren der Unterschutzstellung der prägen- wirklich abgeschlossen war, zeigen die den Bauten des Alexanderplatzes  heftigen Diskussionen um den Erhalt scheint die Auseinandersetzung über ihrer bedeutenden baulichen Zeugnisse, den architektonischen Wert und die angefangen beim Palast der Republik. historische Bedeutung der städtebau- Sie wurden politisch und ideologisch lichen Entwicklungen und Konzepte der geführt, architektonische, geschichtli- DDR noch nicht abgeschlossen. che oder denkmalpfl egerische Gründe Oft überholen die Tatsachen je- hingegen standen im Hintergrund, so- doch die Meinungsfi ndung: Die Liste wohl in den Diskussionen als auch in schmerzhafter Verluste ist zwischen-

vielen Entscheidungen. zeitlich lang, von den Bauten im GLASER/DPAZENTRALBILD/ZB ALLIANCE/PAUL PICTURE FOTO: Die Debatte um die Nachkriegsar- wiederaufgebauten Dresden mit der Der Palast der Republik gilt als Prestigeprojekt der DDR. Am . April  wurde er nach -monatiger Bauzeit eröff net chitektur wird bundesweit geführt, un- HO-Gaststätte am Zwinger bis hin terscheidet sich in Ost und West aber zur Großgaststätte »Ahornblatt« in finden sich inzwischen eine Reihe Vermittlung auch zeitnaher und zeit- Rettung erhöhen die Bereitschaft zur gravierend: In der DDR fehlten system- Berlin-Mitte. Dies, obwohl die Bauten von Denkmalen der DDR-Architektur. genössischer Architektur eine wich- Unterstützung durch Spenden. Der bedingt weitgehend die für den Westen des Sozialistischen Klassizismus mit Entsprechend ihrer Entstehungszeit tige Aufgabe der Denkmalpfl ege. Die jahrzehntelange Mangel an Material typischen Bauleistungen der Wirtschaft ihren anspruchsvollen Wohnbauten handelt es sich vielfach um neue Bau- staatliche Denkmalpfl ege wird dieser und Arbeitskraft in der Denkmalpfl ege und der privaten Bauherren. Dafür gab von der Stalinallee in Berlin über die typen und Bauaufgaben, wie das Kino Aufgabe umso mehr gerecht werden der DDR bestimmt bis heute die not- es vielerorts politisch motivierte »Er- Magdeburger Ernst-Reuter-Straße International in Berlin, der Kunstpavil- können, wie sie durch private gesell- wendigen Maßnahmen. So werden innerungsmonumente« und »Volks- oder die Leipziger Ringbebauung bis lon in Eisenach oder die Kulturhäuser schaftliche Initiativen unterstützt wird Schäden an Dachstühlen, die nicht auf bauten«, bei denen der wirtschaftliche hin zur regionalen Backsteinversion im brandenburgischen Mestlin und und diese Partizipationsbereitschaft die Last von Betonziegel ausgelegt wa- Veränderungsdruck eher gering war. der Langen Straße in Rostock, schneller Plessa. Es sind vielfach ehrenamtliche auf- und annimmt. ren, immer noch behoben. Einen besonderen Aspekt im Umgang Freunde und Verteidiger fanden als die Vereine und Initiativen, die sich ihrer In dem für die Spender der Deut- Für das Engagement einer privaten, mit diesem Erbe stellt die Überwindung Betonbauten. Erhaltung widmen – für eine privat fi - schen Stiftung Denkmalschutz und insbesondere durch Spenden fi nanzier- der »historischen Epoche DDR« durch Die DSD beteiligt sich an diesen nanzierte Einrichtung ist ein solches vieler Vereine und Initiativen unstrit- ten Stiftung wie der Deutschen Stiftung eine friedliche Revolution dar. Diskussionen in ihren Publikationen, Engagement neben der denkmalpfl e- tigen Feld der Sakralbauten fi nden sich Denkmalschutz ist die Vermittlung Erst schrittweise öff nete sich – bun- fördert sie in breitenwirksamen Aktio- gerischen Bedeutung ein wichtiges nur wenige Neubauten der DDR. Hier der Bedeutung der von ihr geförder- desweit – der neue Blick der Enkelge- nen wie dem Tag des off enen Denkmals Argument bei Förderentscheidungen. ist vielmehr der Restaurierungsstau ten denkmalpflegerischen Maßnah- neration auf die Qualität der baulichen und thematisiert sie in ihren Jugend- Die schrittweise Instandsetzung und an den Denkmalen früherer Epochen men, die Bildung eines Bewusstseins DDR-Zeugnisse. Die fachliche Annähe- projekten. Dass sich Studierende im Wiederinbesitznahme der Bauten ein ganz besonderes Arbeitsfeld in den für den Wert der baulichen Zeugnisse rung an die bedeutenden Schöpfungen Rahmen der Messeakademie der Leip- durch die Bürger ermöglichen ihren östlichen Bundesländern. Denkmale aller Epochen und Gattungen, die un- bricht sich in der öff entlichen Diskussi- ziger »denkmal« mit den Bauten der Erhalt auch als Quelle für die nächsten früherer Epochen können unabhän- verzichtbare Grundlage. Das gilt auch on ihre Bahn. Diese war lange bestimmt IGA Erfurt beschäftigten, bestätigt das Generationen. Ist doch Denkmalpfl ege gig von ihren Standorten auf eine für die Denkmale der DDR. durch die Forderung nach dem Erhalt wachsende Interesse der jungen Gene- die Sammlung und Sichtung der bau- vergleichbare Akzeptanz und Unter- der Reste der Grenzbefestigungen, den ration. Unter den Förderprojekten der lichen Quellen früherer Epochen. Was stützung hoff en. Der sichtbar größere Steff en Skudelny ist Geschäftsführen- Streit um den Umgang mit Lenin- oder DSD – deren Finanzierung sie durch jetzt nicht erhalten wird, ist auf Dau- Nachholbedarf und der Respekt vor der der Vorstand der Deutschen Stiftung Marx-Denkmalen oder um die durch private Spenden absichern muss – er verloren. Daher ist die schwierige Leistung engagierter Bürger bei deren Denkmalschutz Politik & Kultur | Nr. / | Mai  OSTWESTPERSPEKTIVEN 35

Kein Nachteil ohne Vorteil DDR-Architektur unter Denkmalschutz

KIRSTEN ANGERMANN lässt sich zum einen ein Ungleichge- wicht zwischen den Städten – allen it dem Verstreichen von voran Berlin – und den ländlichen Re-  Jahren seit der Wie- gionen ausmachen, aber auch zwischen dervereinigung ist die für einzelnen Bundesländern, die sich teils M die denkmalpfl egerische sehr off ensiv mit Tagungen und Publi- Bewertung gesetzte Demarkationslinie kationen an ihr DDR-Erbe wagen, wäh- zum gebauten Erbe der DDR endgültig rend in anderen Bundesländern diese erreicht. Damit kann aus der Perspek- Zeitschicht einer systematischen Er- tive der Inventarisation, die laut den schließung noch harrt. Denkmalschutzgesetzen Bauten aus Eine solche Erschließung sollte »vergangener Zeit« bewertet – was in dabei den verengenden Blick auf die der Praxis in einen Abstand zum zu DDR-Architektur als Spezifi kum ver- untersuchenden Objekt von etwa ei- lassen und den Sonderfall nicht weiter ner Generation übersetzt ist –, auf kolportieren. Beispielhaft gelungen ist den überlieferten Baubestand aus der dies in Berlin vor einigen Jahren mit gesamten DDR-Zeit geblickt werden. der Unterschutzstellung der Siedlung Dies war zwar bereits zuvor möglich, da Ernst-Thälmann-Park im Prenzlauer gemäß einer anderslautenden Interpre- Berg, die nicht vorrangig als Zeugnis tation der »vergangenen Zeit« eine ab- des DDR-Wohnungsbaus, sondern zu- geschlossenen Zeitepoche gemeint ist nächst als Beispiel einer Großwohn- und diese Abgeschlossenheit durch das siedlung in Berlin eingetragen wurde

Ende der DDR bereits als erfüllt angese- STACHE/DPAZENTRALBILD/ZB ALLIANCE/SOEREN PICTURE FOTO: – als Ergebnis einer vergleichenden Un- hen wurde. Nun sind denkmalrechtlich Der Hochhausturm mit der Hausnummer - am Platz der Vereinten Nationen wurde in den Jahren - errichtet tersuchung der Großwohnsiedlungen zumindest die temporalen Zweifel aus- in Ost- wie West-Berlin und mit dem geräumt. Es können somit selbst jene nie der DDR-Architektur ausräumen Bauforschung möglich, die noch dazu Auswahlproblem weniger aufwendig zu Wissen darum, dass diese Siedlungen Bauten, die erst in den späten er konnte. Im Ergebnis besteht bei Archi- nicht an jedem Objekt von vorne begin- lösen als bei einem individuellen Schul- sich im Detail, nicht jedoch im Wesen Jahren entstanden, ohne Bedenken tekturhistorikerinnen und -historikern nen muss. Da die Baubetriebe der DDR bau der er Jahre der BRD – für den unterscheiden. betrachtet werden. Zudem taugen die heute eine Sensibilität selbst für die staatlich waren, fi nden sich deren Nach- man in den überwiegenden Fällen eine Ein solches Vorgehen, das nicht die nun vergangenen  Jahre dazu, den feinen Unterschiede der sogenannten lässe oft samt Bauunterlagen in den Vielzahl an ebenso individuellen Ver- permanente Dichotomie der Unter- Umgang mit dem baukulturellen Erbe »Einheitsplatte« der Wohnungsbauserie Staats- und Landesarchiven der neuen gleichsbauten untersuchen müsste und schiede zwischen Ost- und Westarchi- der DDR selbst zu historisieren.  (WBS ) zwischen Rostock und Suhl. Bundesländer und müssen nicht in pri- sich dabei nicht auf die Normung und tektur sucht, ist unabdingbar, um eine Für eine solche Historie möchte man Es wurden auch in der Öff entlichkeit vaten Firmenarchiven von mittlerweile Dokumentation des staatlichen Fertig- gesamtdeutsche Perspektive auf eine deren erstes Kapitel in den unmittel- Namen von Architektinnen und Archi- an global agierende Konzerne verkaufte teils verlassen könnte. Dem wiederholt gesamtdeutsche Baugeschichte zu för- baren Nachwendejahren ungern re- tekten der DDR wie Peter Baumbach, Unternehmen ausfi ndig gemacht wer- vorgebrachten Lamento, die Beschäfti- dern und das Gemeinsame innerhalb kapitulieren. Mit der generalisierten Wolfgang Hänsch oder Iris Grund be- den. Zudem erscheint die Geschichte gung mit dem Erbe der DDR-Architektur einer internationalen Geschichte des Ablehnung einer vermeintlichen »Ar- kannt, während in den er Jahren der DDR mittlerweile besser erforscht sei per se »unbequem«, lässt sich also Bauens im . Jahrhundert herauszu- chitektur ohne Architekten« ging eine allenfalls Hermann Henselmann als als die der alten Bundesrepublik, womit mit der Betrachtung der Vorteile bei ih- stellen – auch, da man in wiederum ei- Entwertung der Leistungen und Bio- ernst zu nehmender Vertreter seiner auch die historiografi sche Einordnung rer Erforschung eine positive Gegener- nem Jahrzehnt das -jährige Jubiläum grafi en ihrer Akteurinnen und Akteure Profession akzeptiert war. der Bauten in ihren gesellschaftlichen zählung entgegenstellen. der Wiedervereinigung begeht, ab dem einher. Wie diese sollten die negativen Gleichzeitig wurde während dieser und politischen Kontext leichter von Ist nun also alles gut? Der Stand der die DDR kürzer existiert haben wird als Zuschreibungen und insbesondere die für den Erhalt wichtiger Zeugnisse der der Hand geht. Bliebe man also bei dem Erfassung, das heißt, das Wissen um das wiedervereinigte Deutschland. Reduzierung auf die industriell gefer- Baugeschichte erfreulichen Hochphase Beispiel eines unter Denkmalverdacht das baukulturelle Erbe der DDR und die tigten Platten- und Typenbauten lange der Beschäftigung mit DDR-Architek- stehenden Schulbaus, so ist der Recher- sorgfältige Auswahl des zu Schützen- Kirsten Angermann ist Denkmal- nachwirken. Während in Manier eines tur ein permanenter Sonderfall kon- cheaufwand für einen Typen-Schulbau den, zeigt sich in den Bundesländern pfl egerin und Mitarbeiterin an der Bildersturms viele Bauten, insbeson- struiert. Während ein solcher für die der er Jahre aus der DDR und das immer noch recht unterschiedlich. Hier Bauhaus-Universität Weimar dere während der Hauptstadtwerdung Auswahl der Denkmale ob ihrer spe- Berlins, abgerissen wurden, wurden zifi schen politischen, ökonomischen andere Bauten unter Denkmalschutz und kulturellen Entstehungskontexte gestellt oder deren DDR-zeitlicher in der DDR in Teilen noch begründbar Denkmalstatus bestätigt: Den Abrissen ist, so lässt er sich spätestens für den der noch im Bau befi ndlichen Passagen denkmalpfl egerischen Umgang mit zu Friedrichstadt in der Friedrichstraße, DDR-Zeiten errichteten Bauten nicht des Außenministeriums auf der Spree- aufrechterhalten. Hier kann man nur kultur insel oder des Hotels »Berolina« an der konstatieren, dass sich etwa bei aus Karl-Marx-Allee stehen Denkmale wie Beton-Fertigteilen entstandenen Wohn- das Café Moskau, das Kino Internatio- gebäuden in Ost wie West die gleichen nal oder die Wohnbebauung am Platz konservatorischen Fragen stellen, für der Vereinten Nationen gegenüber. leer stehende Bauten in Ost wie West Auff ällig ist in diesen Fällen, dass viel- Nutzungen gefunden werden müssen, stellen leicht gerade wegen der anfänglichen Fassaden mit katastrophalen Energie- Zuschreibung, in der DDR hätte es bilanzen und enthaltenen Schadstoff en nur gesichtslose Plattenbauten gege- denkmalgerecht ertüchtigt werden müs- ben, nun vor allem jene Sonderbauten sen – ohne zu viel Substanz und ohne denkmalpfl egerische Aufmerksamkeit die Anmut ihrer Erbauungszeit zu ver- bekamen und somit eine Würdigung lieren. Es gilt in Ost wie West, dass als markt erfuhren, die man nicht darunter fassen monoton empfundene Zeugnisse der konnte und die vorrangig aus den gol- Nachkriegsmoderne oder als eklektisch www.nmz.de/stellenmarkt denen er Jahren der Ulbricht’schen verschriene Bauten der Postmoderne Print & Online Repräsentationsarchitektur stammten. den gleichen Vermittlungsaufwand ihrer seriös – aktuell Als Höhepunkt und gleichzeitig Ab- Denkmalbedeutung nach sich ziehen. seit 68 Jahren schluss dieser Phase kann der Abriss des Vielmehr noch sollte man darauf hin- Palasts der Republik ab  gelten, der weisen, dass aus einem vermeintlichen neben der ebenfalls in Berlin einige Jah- Nachteil ein wenig beachteter Vorteil re zuvor abgerissenen Großgaststätte erwächst: Gerade die Serialität und die »Ahornblatt« auf der Fischerinsel zu Wiederholung von Gebäudetypen und den »heilsamen Schocks« gehörte, die Bauweisen erlauben den Vergleich und ein Aufbegehren in der Öff entlichkeit, die Einordnung, die für die denkmal- die sich um Teile ihrer Lebens- und Er- pfl egerische Bewertung so wichtig sind, innerungswelt beraubt sah, und eine in geradezu optimaler Weise. Die Prob- Aktivierung der Fachwelt, die mit die- leme der Auswahl, die sich am Beispiel sem gesellschaftlichen Rückhalt die his- eines DDR-Schulbautyps zeigen – ob toriografi sche Aufarbeitung der DDR- man nun den frühen Experimentalbau, Architektur forcierte, nach sich zogen. den am besten erhaltenen Vertreter, Der drohende Verlust, der zu den oder doch den Einzelfall mit örtlichen Schlüsselreizen der Denkmalpflege Anpassungen unter Denkmalschutz gehört, war hier Auslöser für ein gan- stellt, sind natürlich zu lösen. Immer- zes Jahrzehnt Konjunktur in der His- hin hat man jedoch diesen Vergleich toriografi e und denkmalkundlichen zwischen sehr ähnlichen Bauten und Erschließung des baukulturellen Erbes kann ihn auf einer sehr guten Quellen- www.nmz.de der DDR, das in Tagungsbänden, Aus- basis ziehen. Durch die überlieferten stellungen und Qualifi zierungsarbeiten Typen- und Elementkataloge der ein- neue musikzeitung Stück für Stück den Vorwurf der aus- zelnen Bauweisen ist ein Wissen über schließlichen Serialität und Monoto- die einzelnen Gebäude ohne invasive 36 OSTWESTPERSPEKTIVEN www.politikundkultur.net

Schwieriges Erbe Der Umgang mit politischen Denkmälern der DDR nach 

DAVID JOHST ben zunächst meist unbeachtet oder Bild des an Kranketten hängenden vermutlich nicht mehr vermittelbar. Kommission einen besonders behut- wurden mithilfe von Spraydose oder Lenins hatte eine hohe Symbolkraft Andererseits lässt sich auch die These samen Umgang, da sie immer auch an ie politischen Denkmäler der Hammer und Meißel neu interpretiert. und eignete sich für viele Ostdeutsche formulieren, dass die medienwirksame die demokratischen und sozialistischen DDR zeugten nach  auf- Am bekanntesten ist vielleicht jenes als Sinnbild des abrupten politischen Beseitigung der monomentalen Plastik Traditionen sowie an die Opfer der na- D grund ihrer Materialität und Graffiti am Berliner Marx-Engels- Übergangs und des von vielen als ge- damals eine kathartische Wirkung hat- tionalsozialistischen Gewaltherrschaft Zentralität vom Legitimationsanspruch Denkmal. »Wir sind unschuldig« war waltsam empfundenen Verlustes ihrer te. Nachdem man das sichtbarste und erinnern würden. des DDR-Staates, sie ließen sich nicht dort eine Zeit lang auf dem Sockel zu Identität. In den politischen Denkmä- größte Denkmal beseitigt hatte, konnte In jedem Einzelfall, so heißt es im wie die zahlreichen Traditionskabi- lesen und auf der Rückseite: »Beim lern der DDR verdichtete sich eben man die vielen kleineren Denkmäler Bericht, müsse daher geprüft werden, nette, Porträts, Fahnen und Wimpel nächsten Mal wird alles besser«. nicht nur der Herrschaftsanspruch des weitgehend stehen lassen. Ganz kon- ob die Geschichte, an die erinnert wer- geräuschlos und ohne großen Aufwand Wo die Denkmäler fielen, fielen untergegangenen DDR-Staates, son- kret veranlasste der Abriss des Lenin den soll, hinter der politischen Überfor- beiseite räumen und sie stehen in vie- sie nicht spontan, sondern durch po- dern sie dienten auch als Projektions- Denkmals den Berliner Senat dazu, im mung hinreichend sichtbar werde bzw. len Fällen heute noch an ihrem Ort. litischen Beschluss und oftmals auf fl äche und Anker lebensgeschichtlicher sie wieder sichtbar gemacht werden Die gesellschaftliche Debatte um die Initiative einzelner Politiker hin. Erfahrungen. könne. Diese Grundhaltung erklärt, wa- den richtigen Umgang mit diesen Und in zahlreichen Fällen fi elen die Das Beispiel des Berliner Lenin- rum in Berlin nur solche Denkmäler Denkmälern hält an, auch wenn sich Denkmäler nicht, sondern wurden ver- Denkmals zeigt indessen auch, dass Be- Die politischen Denk- beseitigt wurden, die sich ausschließ- der Ton verändert hat, in dem über  setzt, kommentiert oder eingelagert. seitigung nicht immer gleichbedeutend mäler der DDR sind lich auf die DDR-Zeit bezogen, wie das Jahre nach der politischen Wende über Die völlige Zerstörung, wie etwa im mit Vernichtung war. Das Denkmal Denkmal für die Kampfgruppen oder DDR-Denkmäler diskutiert wird, der Fall des Halleschen Monuments der sollte nach seiner Demontage einge- wichtige Zeugnisse der das Denkmal für die getöteten DDR- Ton ist sachlicher geworden, der Um- revolutionären Arbeiterbewegung, lagert werden, wurde dann aber auf- deutschen Geschichte Grenzsoldaten. gang gelassener. Dazu beigetragen hat stellt eine Ausnahme dar. Dieser Be- grund seiner Größe in einer Kiesgrube Die von der Berliner Denkmalkom- sicherlich auch die unvoreingenomme- fund steht im Gegensatz zu dem bis abgelegt und später dort vergraben. Ei- mission ausgesprochenen Empfehlun- ne Neugierde einer Generation, für die heute verbreiteten Topos der »abge- nige Denkmäler, wie beispielsweise das gen spiegeln eine mittlerweile breit die DDR längst Geschichte darstellt. räumten DDR«. Der Grund hierfür ist Kampfgruppendenkmal in Berlin oder darauff olgenden Jahr eine »Kommissi- geteilte Auff assung wider, wonach die Ganz anders stellte sich die Situation wahrscheinlich in der selektiven me- das Denkmal des kleinen Trompeters on zum Umgang mit den politischen politischen Denkmäler der DDR wichti- kurz nach der Wende dar. Viele Men- dialen Aufmerksamkeit zu sehen. So in Halle, wanderten in die Magazine Denkmälern der Nachkriegszeit im ge Zeugnisse der deutschen Geschichte schen fühlten sich von den sichtbaren prägten in den ersten  Jahren nach der Museen. Andere Denkmäler, wie ehemaligen Ost-Berlin« zu berufen. darstellen und Sanierung und Erhalt Zeichen des untergegangenen SED- dem Mauerfall vereinzelte Ereignisse das Lenin-Denkmal in Riesa, wurden Die Kommission setzte sich aus Ver- keineswegs mit einer unkritischen Staates provoziert, andere wiederum die öff entliche Rezeption des Umgangs verschoben. Weitere Denkmäler, wie tretern der DDR-Opposition, promi- Rezeption oder gar eine Apologie des sahen im Ruf nach Abriss und Beseiti- mit dem Denkmalerbe. beispielsweise das Fahnenmonument nenten Zeithistorikern, namhaften SED-Regimes gleichzusetzen sind. Im gung einen Angriff auf ihre ostdeutsche Das mit Abstand prominenteste in Halle, wurden umgestaltet. In der DDR-Künstlern und Denkmalpfl egern Gegenteil haben sich durch die poli- Herkunft, ihre Identität. Beispiel ist sicherlich der Abriss des deutlichen Mehrheit blieben die po- zusammen. Für jedes der insgesamt tischen Veränderungen auch Funkti- Der Umstand, dass unter jenen, die Berliner Lenindenkmals. Die  Meter litischen Denkmäler der DDR jedoch  erfassten Ost-Berliner Denkmäler on und Bedeutung der überlieferten am nachdrücklichsten die Beseitigung hohe Statue aus ukrainischem Granit erhalten. wurde nach intensiver Diskussion eine Denkmäler verändert. Aus einem Sym- forderten, viele aus den alten Bundes- wurde  eingeweiht und knapp  Manchmal geben die notwendigen von einem Mehrheitsvotum getragene bol der Macht, heißt es im Bericht der ländern kamen, trug zusätzlich dazu Jahre später, im Spätherbst  abge- Sanierungsarbeiten und die damit ver- Empfehlung abgegeben. Berliner Denkmalkommission, könne bei, die Debatte emotional aufzuladen. rissen. Helmut Engel, zu diesem Zeit- bundenen Kosten Anlass für eine er- Die Kommission stellte unter ande- auch ein Zeichen der Ohnmacht, aus Im Gegensatz zu anderen Ländern des punkt oberster Denkmalschützer der neute Abrissdiskussion – so erst jüngst rem fest, dass es sich bei der Mehrheit einer Drohgebärde ein Ausdruck der ehemaligen Ostblocks richtete sich der Stadt, kritisierte den Abriss als Versuch, im Fall des Ernst-Thälmann-Denkmals der Objekte um Denkmäler handelt, die Hilfl osigkeit, aus einer Siegergeste ein Volkszorn in Deutschland nicht gegen den Sozialismus mit der Abrissbirne zu in Berlin. Doch insgesamt hat sich ein an Personen und Ereignisse vor Beginn Bild der Niederlage werden. die Denkmäler, sondern gegen andere bekämpfen. Die regionale und überre- politisch unaufgeregter Umgang mit der SED-Herrschaft erinnern, diese Er- Manifestationen des SED-Regimes wie gionale Presse berichtete ausführlich dem Denkmalerbe der DDR durch- innerung jedoch der Traditionsbildung David Johst ist Historiker an der die Stasi-Zentralen oder die Berliner über das Ereignis. Es gab Proteste und gesetzt. Stände das Berliner Lenin- und Legitimation der SED verpfl ichtet Martin-Luther-Universität Halle- Mauer. Die politischen Denkmäler blie- spontane Denkmalbesetzungen. Das denkmal noch, wäre ein Abriss heute war. Für diese Denkmäler empfahl die Wittenberg Nachkriegserbe Denkmalpfl ege in Ost Bundesländern spiegelt sich in diesen zentraler oder auf Bezirksebene ent- tionalkomitee für Denkmalschutz, die Ankerpunkt ist auch der Vorschlag des und West Bauten das große Selbstbewusstsein wickelten die weitverbreiteten Mon- Arbeitsgruppe Kommunale Denkmal- Landes Berlin, das »Doppelte Berlin« der Architekten bzw. der Auftraggeber, tagebauweisen bis zum mit minimaler pfl ege des Deutschen Städtetages, die mit der Karl-Marx-Allee (I. und II. Bau- welches sich in zum Teil kühner Archi- Substanz agierenden Stahlskelett wei- Deutsche Stiftung Denkmalschutz und abschnitt) und der Interbau  (Han- SIMONE MEYDER tektursprache und edlen Materialien ter. Gerade diese fi ligranen Konstrukti- der Hochschularbeitskreis Theorie und saviertel) gemeinsam in die deutsche niederschlägt. Individualität zeigt sich onsweisen reagieren sehr empfi ndlich Lehre der Denkmalpfl ege. Diese Foren Tentativliste für das UNESCO-Welterbe ie Nachkriegsarchitektur, in Konstruktion, Material und Mate- auf Veränderungen und damit auch auf bieten die Möglichkeiten und die Bühne, aufzunehmen. Sind doch in der ehemals salopp gesagt, die Platte rialbearbeitung, selbst das Spiel mit Anpassungen an aktuelle bauphysikali- auf Tagungen neue Themen und Frage- geteilten Stadt in unmittelbarer Nach- und der Betonklotz, haben geometrischen Formen gehört dazu. sche und energetische Anforderungen. stellungen breit aufgestellt zu diskutie- barschaft das bauliche Erbe der Archi- D unsere Städte und Gemein- Bauherrenwünsche werden möglichst Schutz und Pfl ege dieses kulturellen ren und fachliche Synergien bundesweit tektur und des Städtebaus der DDR als den in Ost und West geprägt. In der variantenreich bedient. Eine spezifi sche Erbes ist grundsätzlich ein Länder und zu nutzen. Beispielgebend wurde in der auch des Westens in einem Wettstreit Bundesrepublik wie in der ehemaligen Variabilität und eingeplante Verände- Nationen übergreifender gesellschaft- Publikation »Zwischen Scheiben und der politischen Systeme entstanden. DDR wurde dieses Erbe zunächst als licher Auftrag. Die spezifi schen Werte Wabe. Verwaltungsbauten der Sech- Die DDR-Architektur bildet also keine schwierig angesehen. Mittlerweile hat des Nachkriegserbes zu erkennen, zu zigerjahre als Denkmale« ein Katalog Ausnahme, sondern ist wichtiger Be- sich die Wahrnehmung dieser Architek- Gemeinsame Charak- schützen und als Baudenkmale zu be- an hochwertigen Verwaltungsbauten standteil des Berliner und damit des turphase wesentlich geändert. Neben teristika für diese Bau- wahren liegt in der Zuständigkeit der in Ost und West präsentiert. Nicht zu bundesweiten Denkmaldiskurses. der Baumasse und der schieren Grö- jeweiligen Denkmalfachbehörden in vergessen der erste Gesamtberliner Mit Blick auf die Vielschichtigkeit ße werden die jeweiligen spezifi schen phase sind moderne den sechzehn Bundesländern. Die Lan- »Dehio«, der bereits  und in aktua- des denkmalwürdigen Nachkriegserbes Qualitäten der Nachkriegsarchitektur, Materialien und neue desdenkmalämter wählen auf Grundla- lisierten Neuaufl agen, insbesondere die und der anspruchsvollen Herausforde- wie beispielsweise ihr serieller Charak- Konstruktionsweisen ge ihrer Denkmalschutzgesetze aus der jüngeren Bauten Berlins grundlegend rung hinsichtlich Substanzerhaltung ter, die Experimentierfreude und die großen Zahl der Bauten die bedeuten- würdigt. Der Berliner Landeskonser- und Erscheinungsbild sind Dialog, Ko- Gestaltungslust beachtet, bewertet und den und authentisch überlieferten als vator Christoph Rauhut hierzu: »Der operation und interdisziplinärer Aus- geschätzt. rungsspielräume für die Nutzung sind Denkmale aus. Damit ist die rechtliche jüngere Berliner Denkmalbestand ist tausch mit regionalen, nationalen und Gemeinsame Charakteristika für denkmalkonstituierend und auch im Voraussetzung gegeben, um die Eigen- Zeugnis für die außergewöhnliche Ge- internationalen Partnern unabdingbar. diese Bauphase sind moderne Mate- Umgang mit den Bauten aufzugreifen. tümer bei Maßnahmen an Baudenkma- schichte einer geteilten Stadt. Charak- Dies gilt für den Systembau, die Platte rialien und neue Konstruktionsweisen. Oder der Fokus liegt auf minimierter len vonseiten der Denkmalbehörden teristische Denkmale dieser Zeit sind und den Betonklotz gleichermaßen. Dazu gehören industriell gefertigte Substanz und strikter Funktionalität fachlich zu beraten. hierbei nicht nur unbequeme Erbschaf- Baustoffe wie Beton und Kalksand- mit serieller Gestaltung der industri- Die Vereinigung der Landesdenk- ten wie die Berliner Mauer, sondern Simone Meyder ist als Vertreterin der stein, Fenster aus Aluminium oder ellen Fertigungsmöglichkeiten. malpfleger in der Bundesrepublik auch die unterschiedlichsten Bauten ei- Vereinigung der Landesdenkmalpfl e- Fassadenverkleidungen aus Eternit. Die gerade in den ostdeutschen Deutschland (VDL) sorgt dabei für eine ner Groß- bzw. Hauptstadt, die beidseits ger Mitglied im Rat für Baukultur und Darüber hinaus sind die Konstruktio- Bundesländern stark verbreitete Se- bundesweite Abstimmung. Sie vertritt der Grenze entstanden.« Ein solcher Denkmalkultur nen wesentliche Bestandteile der Ge- rien- und Typenbauweise bietet eine unter dem Dach der Kultusminister- staltung. Teilweise schadstoff belastet große Variationsbreite an architek- konferenz die gemeinsamen Interes- oder mit experimentellem Charakter tonischer Gestaltung und regionalen sen der Landesdenkmalbehörden nach produziert, bringen die so verbauten Spezifi ka. Die besonders konsequente außen. Die fachlichen Themen werden INFOBOX Materialien und charakteristischen Gestaltung des Seriellen folgte im Os- länderübergreifend in Arbeitsgruppen Oberfl ächen neue technologische He- ten den politischen Vorgaben zur ra- und auf den Jahrestagungen diskutiert In der Beitragsreihe »Ost-West-Per- schen Gemütszustand nach der Wende rausforderungen für die Denkmalpraxis dikalen Industrialisierung des Bauens. und beispielsweise in der halbjährlich spektiven« werden anlässlich des . erkunden, persönliche Perspektiven mit sich. Das inzwischen gewachsene Mit der Rationalisierung sollte besser, erscheinenden Zeitschrift »Die Denk- Jahrestages des Mauerfalls im vergan- aus Ost und West schildern sowie vie- Wissen zu Instandsetzungsmöglich- billiger und schneller gebaut werden. malpfl ege«, in Ausstellungen oder der genen Jahr bis zum ebenfalls -jähri- les mehr. Alle bisher in Politik & Kultur keiten und konservierenden Restaurie- Der Architektur wurde zudem durch Internetseite der VDL publiziert. Die gen Jubiläum der Wiedervereinigung erschienenen Beiträge aus dieser Rei- rungskonzepten wird von Maßnahme ideologisch besetzte Kunst am Bau VDL versteht sich als fachlicher Partner in diesem Jahr Beiträge publiziert, die he stehen hier zum Nachlesen bereit: zu Maßnahme optimiert und weiterge- eine staatstragende politische Identität aller bundesweit tätigen Denkmalorga- historische Ereignisse aus DDR und bit.ly/XJSKE reicht. Insbesondere in den westlichen zugesprochen. Planungskollektive auf nisationen, darunter das Deutsche Na- BRD thematisieren, den innerdeut- Politik & Kultur | Nr. / | Mai  INTERNATIONALES 37

Der Konflikt geht in Namibia weiter Der andauernde Streit zwi- Es ist ein Glück, dass ein namibischer allein mit der Regierung zu sprechen, deutscher Leser hat man fast den Ein- Deshalb wäre es so wichtig, wenn man schen der Regierung und Wissenschaftler diesen Fall in dem hat nach seiner Einschätzung für den druck, dass dadurch das Off en-Bleiben zumindest darüber sprechen könnte. sorgfältig recherchierten und diffe- weiteren Prozess fatale Konsequenzen. der Wunde nur stärker ins Bewusstsein Das aber wäre schon kirchlich nicht den Ovaherero und Nama renziert diskutierenden Aufsatz »The Das bei Ovaherero und Nama verbrei- gerückt ist. Zugleich fragt man sich, ob einfach – diese besondere Rückgabe homecoming of Ovaherero and Nama tete Gefühl, Bürger zweiter Klasse zu eine eventuelle Reparation tatsächlich geht auch die evangelischen Kirchen JOHANN HINRICH CLAUSSEN skulls: overriding politics and injustices sein, wird dadurch massiv verstärkt. die Probleme lösen würde, die sich an in Deutschland und Namibia direkt «– sowie einem Vorläufertext – aufgear- Nach dem Slogan »Alles, was ohne uns der Restitution zeigen. Denn auch in etwas an. Wie sollte die Evangelische ber kaum ein kulturpoliti- beitet hat. Vilho Amukwaya Shigwedha, getan wird, wird gegen uns getan« wird diesem Fall müsste geklärt werden, wer Kirche in Deutschland (EKD) die na- sches Thema wird gegen- Senior Lecturer für »Public History and das Gespräch von Regierung zu Regie- mit wem redet und wer wem etwas gibt mibischen Partnerkirchen darauf an- wärtig so intensiv diskutiert Themes from the Twentieth Century rung von nicht wenigen Ovaherero und – und wer darüber entscheidet. Ist da die sprechen? Es gibt dort drei lutherische Ü wie die Frage, ob und wie African History« im Department of Nama als Angriff erlebt. Mehr noch, Zentralregierung die richtige Ansprech- Kirchen: jeweils eine der Ovambo, der man Objekte, die zu Kolonialzeiten in History and Environmental Studies an Shigwedha hat den Eindruck, dass auch instanz oder sind hierzu die traditionel- Deutschstämmigen sowie der Ovahere- deutsche Museen gelangt sind, an ihre der University of Namibia, beschreibt taktische Absichten hinter dem gewähl- len Anführer ausreichend mandatiert ro, Nama und anderer kleiner Bevölke- Herkunftsländer zurückgeben soll. Vie- darin, was nach der Rückgabe der Ge- ten Verfahrensweg stehen, nämlich der – und wenn nicht, wer dann? rungsgruppen, die zudem auch unter- les scheint noch off en zu sein. Da ist es beine geschah oder auch nicht geschah. Versuch der deutschen Regierung, Re- Shigwedha hat dies in einem Aufsatz schiedliche Missionsgeschichten und sinnvoll, einen Rückblick auf eine der Mit hohen Ehren in Windhoek wurden parationsforderungen gar nicht erst zu vor zwei Jahren und in einer Vorstudie Frömmigkeitsstile repräsentieren. Wie ersten inzwischen erfolgten Restitutio- sie jeweils begrüßt, dann aber in das einem Verhandlungsthema werden zu vor vier Jahren analysiert. Auf Rückfrage sollte man von ihnen erwarten, dass nen zu versuchen. Denn hier zeigt sich, Unabhängigkeitsmuseum verbracht. dass nicht nur die Rückgabe selbst kom- Zunächst spielte die Regierung mit pliziert ist – komplex ist auch das, was dem Gedanken, die Gebeine öff entlich darauf folgt. Dabei schien dieser Fall zur Schau zu stellen, um deutlich an für Außenstehende eindeutig zu sein. die kolonialen Verbrechen gegen die In drei Schritten wurden ,  Menschlichkeit zu erinnern. Dagegen und  von Deutschland menschliche erhob sich ein erfolgreicher Protest Gebeine an Namibia zurückgegeben. Es von Einzelpersonen und Gruppen der waren Schädel, einzelne Knochen und Ovaherero und Nama, die darin eine ganze Skelette vornehmlich von Ange- pietätlose Funktionalisierung der Ge- hörigen der Ovaherero und Nama, die beine sahen. So wurden sie in einem während des kolonialen Genozids ums Lagerraum des Museums, in der origi- Leben gekommen sind. Zwischen  nalen »Verpackung«, eingeschlossen. und  hatten die deutschen »Schutz- Versprechungen, wonach es möglich truppen« in einem Vernichtungsfeldzug sein sollte, dass Vertreter der betrof- diese Volksgruppen fast ausgelöscht. fenen Communities und interessierte Ein besonders abstoßendes Detail dabei Fachleute sie in Augenschein nehmen war, dass menschliche Gebeine geraubt könnten, wurden nicht eingehalten. und wie Kriegstrophäen nach Deutsch- Niemand darf sie sehen und zum Bei- land geschaff t wurden, um dort an ihnen spiel überprüfen, ob sie sachgerecht »rassenkundliche Forschungen« zu be- gelagert werden. Angesichts des pro- treiben. Sie dienten dem rassistischen blematischen Zustands des Museums Ziel, eine angeblich naturgegebene Un- bestehen daran Zweifel. terlegenheit afrikanischer Menschen Vertreter der Ovaherero und der

zu belegen. Als man sich nach vielen Nama haben dagegen protestiert, dass IMAGEBROKER / ALLIANCE PICTURE FOTO: Jahrzehnten des Vergessens und Ver- sie nicht die Möglichkeit erhalten, die Die von Deutschland an Namibia zurückgegebenen menschlichen Gebeine wurden im Unabhängigkeitsmuseum in Wind- drängens endlich mit diesen mensch- Gebeine ihrer Vorfahren rituell zu be- hoek eingelagert lichen Überresten beschäftigte, konnte erdigen. Bedenkt man, dass in vielen es keine Diskussion darüber geben, dass afrikanischen Traditionen die Lebenden lassen. Als deutscher Leser kann man berichtet er per E-Mail, dass sich an der sie sich hierüber verständigen, gar eine sie unbedingt zurückgegeben werden sich mit ihren Toten spirituell verbun- dies schwer einschätzen, aber man fragt Problemlage seither nichts geändert hat. gemeinsame Linie fi nden und sie ge- mussten. Einfach war dies keineswegs, den wissen, diese also keine »Objekte«, sich, wie die deutsche Regierung auch Seine Analyse ist also immer noch gültig. genüber der Regierung vertreten? Und sondern mit vielfältigen diplomatischen sondern in religiöser Perspektive Mit- bei bestem Willen anders hätte agieren Die Restitution menschlicher Ge- wenn es schon kirchlich schwierig ist, Verwicklungen verbunden. An der drit- menschen sind, erscheint dies als be- sollen: Gegen den Willen der Zentral- beine nach Namibia war eine selbst- wie soll es dann erst politisch gelingen? ten Rückgabe wirkte dann die Evange- sonders rücksichtslos, entwürdigend regierung, die völkerrechtlich ihr erster verständliche Pfl icht, aber sie zeitigte Das sind schwer zu beantwortende Fra- lische Kirche in Deutschland mit, um und grausam. Statt sie »in Einzelhaft« Ansprechpartner sein muss, kann sie unbeabsichtigte Nebenwirkungen, für gen, die aber nicht gegen die Aufgabe eine rituell angemessene Übergabe zu zu setzen, so Shigwedha, hätte man sie doch nicht direkt mit einzelnen Bevöl- die es noch keine Lösung oder Linde- sprechen, wohl aber ihre Größe und gestalten. längst ihren Nachfahren – so schwer die kerungsgruppen über eine so wichtige rung gibt. Damit ist die Übergabe aber Komplexität bewusst machen. Doch anschließend geschah etwas, Zuordnung auch ist – übergeben müs- Frage verhandeln. Oder hätte sie nicht keineswegs als ein Fehler erwiesen. Im das einige Beobachter dieser Übergaben sen, damit diese sie beisetzen, danach doch stärker darauf hinarbeiten müssen, Gegenteil, es ist nur so, dass man mit Johann Hinrich Claussen ist Kultur- erstaunen und enttäuschen dürfte. Die regelmäßig besuchen und ihren Segen einen direkten Zugang zu den betroff e- der Rückgabe einen wichtigen Schritt beauftragter der Evangelischen Kirche übergebenen Gebeine wurden nicht – empfangen können. Doch so sind die nen Volksgruppen zu fi nden? in einem komplexen Prozess getan in Deutschland wie man als Außenstehender vermutet restituierten menschlichen Gebeine Überhaupt scheint der Konnex von hat, dessen weiteren Verlauf man we- hätte – von der namibischen Regierung unfreiwillig zu »Symbolen und Instru- Restitution und Reparation eine Lösung der zu beurteilen hat – denn das steht Mehr dazu: an die jeweiligen Herkunftsgemein- menten eines staatlichen Missbrauchs« erheblich zu erschweren. Das zeigt sich Deutschland nicht zu – noch beeinfl us- Den Aufsatz »The homecoming of Ova- schaften im Land zurückgegeben, um geworden. So nachvollziehbar dieses an einem überraschenden Detail: Inzwi- sen oder gar steuern kann. Man muss herero and Nama skulls: overriding poli- anschließend von diesen bestattet zu Urteil von Shigwedha ist, bleiben dem schen wurden auch im American Mu- mit einem Kontrollverlust zurechtkom- tics and injustices« von Vilho Amukwaya werden. Vielmehr wurden sie im Unab- deutschen Leser jedoch die Motive und seum of Natural History in New York men und zugleich in der Beziehung Shigwedha fi nden Sie in: Human Remains hängigkeitsmuseum in Windhoek ein- Ziele der Regierung unklar. Was gewinnt menschliche Gebeine aus dem ehema- mit den Partnern in Namibia bleiben. and Violence / (), - und online gelagert. Ursprünglich sollten sie dort sie dadurch, dass sie die Weitergabe ver- ligen Deutsch-Südwestafrika gefunden. Das ist gewiss keine einfache Aufgabe. unter bit.ly/chlY sogar öff entlich ausgestellt werden. Dies weigert? Es sind acht Schädel, zwei davon konn- hat zu intensiven Konfl ikten in Namibia Aber Shigwedha weist auch darauf ten als Ovaherero identifi ziert werden, geführt: zwischen der Regierung, die hin, dass – wie sollte es anders sein? – zwei als San, einer als Nama, ein ande- hauptsächlich von Vertretern der größ- zwischen den betroff enen Communi- rer als Damara, zwei ließen sich nicht ten Bevölkerungsgruppe, den Ovambo, ties und jeweils innerhalb ihrer keine zuordnen. In diesem Fall jedoch wur- Jetzt als kostenfreies E-Book! besetzt ist, und den Minderheitsgrup- Einigkeit besteht. Viele bestehen auf de von den Herkunftsgemeinschaften pen der Ovaherero und Nama. Zudem Rückgabe und anschließende Beiset- keine Restitutionsforderung erhoben. Wie so oft, ist auch bei der Kolonialismus-Debatte der Kulturbereich der Katalysator, haben Letztere, die sich allerdings auch zung, andere plädieren für eine – aller- Anscheinend wollen sie abwarten, wie der die Diskussion in Schwung bringt. Fragen des Debatten buches des Deutschen untereinander nicht einig zu sein schei- dings bessere – museale Aufbewahrung. es mit den schon restituierten Gebei- Kulturrates sind u. a.: Welche Verantwortung hat der deutsche Staat heute? Wie kann nen, massive Vorwürfe gegen Deutsch- Jede Äußerung ist dabei unweigerlich nen in Namibia weitergeht. Vielleicht Wieder gutmachung aussehen? Welche Rolle haben die Missionen gespielt und wie land erhoben. Eine Lösung ist nicht in mit örtlichen Interessen und Konfl ik- erhoff en sie sich zudem einen Vorteil ist das Verhältnis der Kirche zum globalen Süden heute? Sicht. Es gibt nicht einmal ein Gespräch ten verbunden: zwischen der Mehrheit für den Prozess, den sie in den USA ge- Vorwort – Markus Hilgert: Heilen, was zerbrochen ist. – Olaf Zimmermann: Schuld und Sühne / S. 13 Die Rückgabe der Familienbibel und Peitsche Hendrik Das gedruckte Buch über dieses Problem. In Deutschland und den Minderheiten, zwischen den gen Deutschland angestrengt haben: Kolonialismus – Postkolonialismus – Dekolonisation Witboois / S. 49 – Olaf Zimmermann und Gabriele Schulz: Kolonial- – Andreas Guibeb im Gespräch mit Hans Jessen: erhalten Sie unter wurde dies bisher nicht öff entlich be- Minderheiten, in den Communities zwi- Es könnte die Jury beeindrucken, wenn Kultur-Debatte als Katalysator. Bei Sammlungs- Namibia wartet. Die deutsche Anerkennung gut aus kolonialen Kontexten geht es um mehr als des Völkermordes an den Herero und Nama muss kulturrat-shop.de  um Museumsbestände / S. 17 offiziell werden / S. 51 kannt oder gar diskutiert. Dabei wäre schen traditionellen Anführern und an- sich solch krasse Zeugnisse kolonialen – OlafKolonialismus- Zimmermann: Zivilgesellschaft einbinden. – Nama Traditional Leaders Association: Nichts über ISBN ---- Mehr Einmischung in die Debatte von außen ist uns ohne uns. Antwort an den namibischen Botschaf- es wichtig – nicht um die namibischen deren Meinungsträgern. So gibt es z. B. Unrechts in unmittelbarer Nähe befi n- dringend notwendig / S. 20 ter in Deutschland auf einen deutschen Marshallplan für  Seiten · , Euro – Hermann Parzinger: Ein großer Gesamtplan. den Genozid an Nama und Ovaherero / S. 55 StückwerkDebatte: vermeiden / S. 21 Museen im Blickpunkt Gesprächspartner oder die Restitutio- zwei Ovaherero-Gruppen, die jeweils den. – Lars-Christian Koch: Partnerschaftliche Aufarbeitung. – Wiebke Ahrndt: Nichteuropäische Perspektiven fördern. Immaterielles Kulturgut stärken / S. 22 Deutscher Museumsbund sensibilisiert für den Umgang nen zu diskreditieren, sondern weil man beanspruchen, für die gesamte Com- Das Ziel von Restitutionen wird im – Hartmut Dorgerloh: Digitale Zugänglichkeit. mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten / S. 59 Ein wichtigesBestandsaufnahme Zeichen der Öffnung nach außen / S. 23 – Wiebke Ahrndt im Gespräch mit Theresa Brüheim: – Viola König: Zugang durch Maßnahmen. Im Dialog mit Herkunftsgesellschaften. Der Deutsche hier Grundsätzliches lernen kann: Eine munity zu sprechen, untereinander aber Englischen häufi g mit dem Wort »clo- Verbleib der Exponate gemeinsam mit Herkunfts- Museumsbund veröffentlicht zweite Fassung des gesellschaften regeln / S. 24 Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolo- Restitution allein löst noch keine Prob- keinen Kontakt haben. Wer also spricht sure« bezeichnet. Dies bezeichnet den – Jürgenund Zimmerer: »Benin-Forum«. Konsequenzen Die Zeit der nialen Kontexten / S. 61 defensiven Minimalmaßnahmen ist vorbei / S. 25 – Johann Michael Möller: Befreit die Sammlungen. – Michelle Müntefering: Internationale Dimension. H. Glenn Penny schreibt »Eine tragische Geschichte der leme, sondern verschiebt sie auf andere hier für wen und mit wem über was? Abschluss einer seelischen Heilung, das Konkrete Kooperationen mit afrikanischen Partnern deutschen Ethnologie« / S. 64 anstoßen / S. 26 – Jörg Häntzschel: Totales Chaos. Die Situation der Ebenen. Man wird die Konfl ikte um den Doch damit sind keineswegs rein Sich-Schließen einer historischen Wun- – Klaus Lederer: Gemeinsame Signale. Für eine ethnologischen Museen in Deutschland / S. 67 gerechte und nachhaltige Weltordnung / S. 27 – Jerzy Skrabania: Unvergessliche Zeugnisse beson- – Carsten Brosda: Postkoloniale Erinnerungskultur. derer Kulturen. Ethnologische Sammlungen im Museum Umgang mit kolonialem Unrecht nicht interne Angelegenheiten benannt, in de. Doch wie soll hier etwas geschlossen Zu einem transkulturellen Dialog auf Augenhöhe »Haus Völker und Kulturen« in St. Augustin / S. 70 finden / S. 28 – Thomas Müller-Bahlke: Das Ziegenbalghaus. – : Nicht über das Ziel Die interkulturelle Arbeit der Franckeschen Stiftungen – wie es sich hierzulande vielleicht ei- die man sich aus der Ferne nicht einmi- werden, solange nicht alle menschlichen hinaus. Die Aufarbeitung und Rückgabe in Südindien / S. 73 Den Bestseller der NS-Raubkunst darf nicht in den Hinter- – Ciraj Rassool: Laboratorium der sozialen Trans- nige erhoff t hatten – dadurch los, dass schen dürfte. Im Gegenteil, Shigwedha Gebeine zurückgegeben sind, eine of- grund rücken / S. 29 formation. Museen in Südafrika / S. 76 jetzt kostenfrei – : Kein entwicklungspolitischer – Beate Reifenscheid: Aus dem Schatten treten. Gestus. Transparenz zeigen / S. 30 Museums-Perspektiven zu Dekolonisation und laden unter: man so hochbelastete »Besitztümer« sieht in Deutschland weiterhin einen fi zielle Entschuldigung aussteht, über – : Anwalt der heimischen Museen. Restitution / S. 80 Museumsbestände werden instrumentalisiert / S. 31 Kolonialismus und Mission kulturrat.de wie menschliche Gebeine zurückgibt; zentralen und problematischen Akteur. Entschädigungsforderungen nicht ge- – : Ethikkommission ist erforder- – Olaf Zimmermann: Kolonialismus und Mission: lich. Regeln für fairen und gerechten Umgang Den Blick weiten. Auseinandersetzung mit einer erarbeiten / S. 32 Geschichte voller Ambivalenzen / S. 83 man bleibt auch nach der Restitution Die Entscheidung, über die Rückgabe sprochen wird? Shigwedha bleibt des- – : Vom Damals ins Heute. – Wolfgang Reinhard: Eine machtgesättigte Symbiose. Es braucht ressourcenübergreifende Konzepte / S. 33 Die Geschichte von Kolonialismus und Mission / S. 86 und durch sie in einer postkolonialen der menschlichen Gebeine nicht mit halb skeptisch, was den sozialtherapeu- – Kirsten Kappert-Gonther: Demut und Diskurs. – Johann Hinrich Claussen: Die ersten »Nicht- Mittel für Provenienzforschung erhöhen / S. 34 regierungsorganisationen«. Ein anderer Blick auf – Gabriele Schulz: Eine Debatte hat begonnen. die Geschichte der evangelischen Mission / S. 89

Konfl iktbeziehung. den Herkunftsgemeinschaften, sondern tischen Nutzen der Rückgabe angeht. Als immermann und Theo Geißler Bericht zur Bundestagsdebatte zu Sammlungsgut – Jürgen Zimmerer: Eine symbiotische Beziehung 38 INTERNATIONALES www.politikundkultur.net

Freiraum für Kultur Die Vila Sul in neuartige Ansatz, nicht nur auch Projekte gemeinsam rea- Inwieweit liegt das in der Call sehr breitgefächert. Das alles auff angen. Sie müssen Brasilien deutschen Kulturschaff en- lisieren können. erwähnten Stadtgeschichte wollten wir gern vermeiden. auch sehen, dass der Bundes- den eine Residenz zu bieten, begründet? Natürlich erreichen uns auch staat Bahia von der Partido sondern auch Wissenschaft- Wie erreichen Sie die Kultur- Die Stadt mit ihrer Geschichte Stimmen, die es bedauern, dos Trabalhadores (PT), der Im November  hat das lerinnen und Künstlern aus schaff enden in Salvador im ist wahnsinnig wichtig für dass es kein öff entliches Arbeiterpartei, geführt wird. Residenzhaus »Vila Sul« des dem globalen Süden? Normalbetrieb? Wie fi ndet Menschen, die sich mit Kolo- Verfahren gibt. Aber bisher Die föderale Regierung mischt Goethe-Instituts im brasilia- Wir leben in einer Welt, die der Austausch in der Praxis nialismus und Kolonisierung fahren wir damit ganz gut. Die sich bei uns in Bahia nicht so nischen Salvador seine Türen sich ständig verändert. Der statt? beschäftigen, da sehr viele Vorteile des Systems wiegen stark ein. In Rio de Janeiro, wo für Wissenschaftlerinnen und klassische Ansatz der »Zwei- Das ist sehr individuell. Bevor Sklaven aus afrikanischen für uns die Nachteile auf. Bürgermeister und Gouver- Künstler aus Deutschland sowie bahnstraße«, das heißt der Gäste zu uns kommen, haben Ländern über Salvador ein- neur sehr, sehr konservativ dem globalen Süden geöff net. bilaterale Austausch zwischen sie uns einen Vorschlag für geschiff t wurden. Auch heute Im Februar fand der welt- sind, ist es wesentlich härter. Insgesamt  Residentinnen Deutschland und Brasilien, ist ihre Arbeit hier geschickt. noch ist Salvador, wie man berühmte brasilianische Das Bundesland Bahia sieht und Residenten – vier für je zwei für die heutigen Herausforde- Nach Ankunft folgt das Erst- sagt, die schwärzeste Stadt Karneval statt, der in die- sich auch als Widerstand ge- Monate – arbeiten pro Jahr am rungen nicht mehr das probate gespräch. Dabei prüfen wir, ob außerhalb Afrikas. Mindestens sem Jahr einer riesigen gen Bolsonaro. Nord-Süd- bzw. Süd-Süd-Dialog. Mittel. Wir müssen die Fragen das Thema noch aktuell ist  Prozent – manche spre- Demonstration gegen den Manfred Stoffl leitet seit Beginn des globalen Südens ernst oder ob andere Themen ins chen von fast  Prozent – der Präsidenten Jair Bolsonaro Das heißt, besonders un- das Programm. Theresa Brü- nehmen, die entsprechenden Spiel gebracht werden soll- Bevölkerung bezeichnen sich glich. Auch seine aktuelle ter Bolsonaro halten Sie heim spricht mit ihm über die Akteure zur Diskussion ein- ten. Wenn z. B. eine bildende hier als schwarz bzw. als nicht Politik in der Corona-Krise im Goethe-Institut und Besonderheiten der Residenz, laden und im globalen Süden Künstlerin hier ist, schlagen weiße Menschen, denn in erntet in der Bevölkerung der Vila Sul die Brücken- die Geschichte Salvadors und zusammenbringen. wir vor, bestimmte Orte in der Brasilien werden Hautfarben viel Kritik. Inwieweit hat funktion der Auswärtigen die Situation der Kultur unter Stadt zu besuchen oder diese viel diff erenzierter bezeichnet sein Amtsantritt  Ein- Kultur- und Bildungspolitik Präsident Jair Bolsonaro. Mit der Vila Sul wurde eben Künstlerin bzw. jenen Künstler als in Deutschland. Und na- fl uss auf die Arbeit an der Deutschlands aufrecht? dieser physische Raum für zu treff en. Aus diesen Erst- türlich sind hier Themen wie Vila Sul? Der Außenminister Heiko Theresa Brüheim: Herr Stoffl , den Nord-Süd- bzw. Süd- kontakten, die wir herstellen, Ungleichheit, Benachteiligung Noch vor den Wahlen wurden Maas war im April  in die Vila Sul ist das jüngste Süd-Dialog geschaff en. Was ergeben sich meistens weiter- und Rassismus immer noch Kultur bzw. Künstlerinnen Brasilien, auch in Salvador am Residenzhaus des Goethe- kennzeichnet diesen Dialog? führende Ideen und gemein- sehr virulent. Auf diese Welt und Künstler als Spielball be- Goethe-Institut. Er hat hier Instituts. Was unterscheidet Erst mal ist die Vila Sul ein same Projekte. Das müssen wir triff t stark eine zweite: Es gibt nutzt, um polemische Agita- das Frauennetzwerk »Unidas« es weiterhin von den ande- sehr off ener Raum. Wir haben so angehen, denn natürlich immer noch eine koloniale tion zu erreichen. Es gab ganz zwischen Deutschland, La- ren Residenzprogrammen hier schon allein physisch tolle ist die Sprachbarriere da. Die Gesellschaft, eine weiße Elite, gezielte Angriff e gegen Künst- teinamerika und der Karibik des Goethe-Instituts wie Ta- Möglichkeiten: Es gibt vier Menschen, auch die Künstle- die Einfl uss hat und teilweise lerinnen und Künstler; in dem gegründet. Die Schauspie- rabya in der Türkei oder der Appartements für unsere Gäste rinnen und Künstler, in Salva- in kolonialen Strukturen lebt. Zuge auch Angriff e gegen das lerin Sibel Kekilli, die hier Villa Kamogawa in Japan? mit einem Gemeinschaftsraum. dor sprechen wenig Englisch. Dadurch verstärken sich die Goethe-Institut in Salvador. vor Kurzem eine Residenz Manfred Stoffl : Der größte Sie können sich getrennt auf- Deswegen sind wir sehr stark Spannungen. Wir hatten Performances und hatte und leider aufgrund der Unterschied ist, dass wir seit halten, aber es gibt auch einen gefordert, den Dialog praktisch Veranstaltungen, wo Nacktheit Corona-Krise frühzeitig abrei- Beginn der Residenzarbeit ei- Ort, um sich zu treff en. Darü- anzuleiten und zu übersetzen. Eine weitere Besonderheit auf der Bühne zu sehen war sen musste, ist Botschafterin. nen eindeutigen thematischen ber haben wir ein großes Thea- der Vila Sul ist, dass man oder eine transsexuelle Schau- Bestreben des Netzwerkes ist Fokus haben. Die Künstlerin- ter mit  Plätzen, zwei Gale- Welche Themen werden mo- sich für das Stipendium spielerin mitwirkte. Es gab es, Gewalt gegen Frauen ein- nen und Wissenschaftler, die rien, einen Innenhof mit einer mentan an der Vila Sul ver- nicht bewerben kann. Man eine Ausstellung zu Gewalt zudämmen und zu verhindern. zu uns kommen, sollen sich Bühne und eine Bibliothek mit handelt bzw. bearbeitet? muss nominiert werden. gegen queere Personen. Da Wir werden als Schutz- und mit Fragen des globalen Sü- einer weiteren Bühne. Es gibt Das sind immer noch ganz Welche Vorteile bringt die- wurden wir heftig angegriff en Freiraum gebraucht. Zurzeit dens beschäftigen. In der Vila hier sehr viel Gestaltungsraum. stark die Themen, mit denen ses Nominierungsverfahren – im Internet und direkt vor sind wir eine der letzten In- mit sich? dem Gebäude. Auch bei dem stitutionen in Salvador, die Das ist unter anderem prakti- Ministério Público, das ist eine internationale Gäste einladen schen Tatsachen geschuldet. Art Staatsanwaltschaft, gab es kann. Das heißt, internatio- Wir möchten internationale eine Beschwerde gegen uns. nale Diskurse werden von uns Gäste haben, dafür müssten Die Kultur war schon unter in die Stadt und Gesellschaft wir einen weltweiten Call Dilma Rousseff in der Krise, hineingetragen. Was wirklich machen. Daraus würde eine weil es kaum noch Gelder für unheimlich viel Freude macht, sehr große Flut an Bewerbun- sie gab. Wir haben fi nanzielle ist, dass wir Gäste auch aus af- gen folgen. Hinzu kommt die Mittel, daher konnte sehr viel rikanischen Ländern einladen thematische Spezifi zierung hier im Goethe-Institut und in dürfen. Das ist ein Alleinstel- vor Ort. Durch das Nominie- der Vila Sul stattfi nden. Des- lungsmerkmal. Und gerade rungsverfahren ist die Qua- wegen standen wir im Fokus diese Gäste werden von den lität der Bewerbungen, das als der Raum, der die Kunst- Aktivistinnen und Aktivisten künstlerische Niveau und die freiheit garantieren konnte. mit Neugier und Begeisterung thematische Passgenauigkeit Mittlerweile werden wir wie- aufgenommen. Wir sind hier von vornherein sehr hoch. Wir der in Ruhe gelassen. Der ein Ort, der Kunstfreiheit und haben nie das Gefühl, dass Grund ist, dass die jetzige Austausch ermöglicht. die Menschen, die nominiert Regierung es nicht mehr nötig Unsere Arbeit bringt auch werden, sich nicht vorher ge- hat, Veranstaltungen anzu- nachhaltige Erfolge für die lo- nau Gedanken gemacht haben, greifen. Sie drehen einfach kale Szene. Z. B. ist eine Tanz- warum sie gerade nach Salva- den Geldhahn weiter zu. Z. B. Choreografi e-Kooperation dor kommen wollen. Die Vila bekommt das brasilianische entstanden. Der Choreograf Sul ist nicht der richtige Ort Kino-Board Ancine weniger Ben J. Riepe aus Düsseldorf für einen Autor, der seinen Geld und wird stärker kontrol- war zuerst Resident, dann ha- Roman über Norwegen fertig liert. Es wurden Programme ben wir eine Koproduktions- schreiben möchte. Das ist gekürzt und die Förderungen mittel-Beantragung bewilligt nicht unser Ziel. umgeleitet, sodass kritische bekommen. Dafür wurden Die Endauswahl wird von Künstlerinnen und Künst- vier Tänzerinnen und Tänzer einer Jury getroff en. Ganz ler nicht mehr zum Zuge aus der Peripherie engagiert.

FOTO: GOETHEINSTITUT FOTO: wichtig ist, dass in der Jury kommen. Das heißt, es ist Jetzt sind zwei von ihnen an Das Residenzhaus »Vila Sul« des Goethe-Instituts in Salvador de Bahia in Brasilien auch lokale Persönlichkeiten schwerer geworden, hier als der Folkwang Universität der aus Bahia beteiligt sind, die Künstlerin oder Künstler zu Künste in Essen und machen Sul geht es um den Süd-Süd- Bis vor Kurzem hatten wir wir angetreten sind: Kolonia- natürlich einen ganz anderen arbeiten. Dagegen gibt es dort ihre Tanzausbildung. Das und auch um den Süd-Nord- Gäste aus Deutschland und lismus und Dekolonisierung. Blick auf die Bewerbungen ha- Widerstand, aber nicht so ve- ist wirklich ein ganz toller Austausch. Ein Novum ist, dass Südafrika. Leider mussten Hier ist die Aufarbeitung der ben als die Jury aus Deutsch- hement, wie das wahrschein- nachhaltiger Eff ekt unserer von den  Gästen, die wir pro sie aufgrund der Corona- Sklavengeschichte sehr domi- land oder die Kolleginnen und lich in Deutschland der Fall Residenzarbeit. Jahr empfangen, nur die Hälfte Pandemie frühzeitig abreisen. nant und wichtig. Salvador ist Kollegen aus dem Goethe- wäre. Wir als Goethe-Institut in Deutschland lebt. Sie brau- Die nächste Gruppe sollte aus eine Stadt, über die viele Skla- Institut. können zurzeit wieder freier Vielen Dank. chen keinen deutschen Pass, Angola, Burkina Faso, Kanada ven nach Amerika eingeführt arbeiten als vor den Wahlen, aber sie sollen in Deutschland und Deutschland kommen, wurden. Damit verbunden ist Nominieren dürfen die weil wir unsere Mittel aus Manfred Stoffl leitet das leben. Die andere Hälfte der konnte aber in der aktuellen die Problematik des Rassis- Goethe-Institute und ihre Deutschland beziehen. Somit Goethe-Institut Salvador-Bahia Gäste kommt verstärkt aus Situation nicht anreisen. Da ist mus. Der herrscht immer noch Partner. Inwieweit bewegt sind wir immer noch ein Ort, und die Vila Sul. Theresa Brü- dem globalen Süden. In der bedauerlich, aber wir machen vor. Wiederum verknüpft sind man sich so im immer glei- an dem viele Künstlerinnen heim ist Chefi n vom Dienst von Regel kommen von den acht nun mit allen digitale Residen- Themen wie Feminismus und chen Zirkel? und Künstler gern arbeiten Politik & Kultur nicht in Deutschland lebenden zen und Veranstaltungen. Ge- Gleichberechtigung. Wir mer- Jedes System hat Vor- und und ihre Projekte realisie- Gästen vier aus afrikanischen nau eine solche internationale ken, dass diese Themen für die Nachteile. Die Villa Kamoga- ren. Unser Problem ist eher, Ländern, zwei aus südamerika- Mischung an Residentinnen Menschen hier virulent sind, wa, das Residenzprogramm dass wir der Nachfrage nicht nischen Ländern und zwei aus und Residenten ist unser Ziel. und auch für die Gäste – egal, des Goethe-Instituts in Japan, mehr Herr werden können. INFO Nordamerika – vornehmlich Wir versuchen darüber hinaus woher sie kommen, und auch z. B. macht einen öff entlichen Aber wir können z. B. unsere aus Kanada. Das ist wirklich sehr stark, die Einbindung in wenn die Perspektive auf diese Call und hat somit eine sehr Räumlichkeiten kostenlos zur In dieser Beitragsreihe »be- ein Alleinstellungsmerkmal. die lokale Szene vorzunehmen. Fragen eine andere ist. große Flut an Bewerbungen. Verfügung stellen. Wir können sucht« Politik & Kultur die Das heißt, dass unsere interna- Jede Künstlerin, jeder Künstler versuchen, Kooperationen deutschen Kulturakademien Auf welcher Idee beruht tionalen Gäste sich mit brasi- Salvador wird immer wie- hat seine Berechtigung, aber mit den Kulturschaff enden auf der ganzen Welt. dieser für die Kulturakade- lianischen Kulturschaff enden der als Knotenpunkt des die Qualität der Bewerbun- in Residenz zu ermöglichen. Lesen Sie mehr hier: bit.ly/ mien des Goethe-Instituts austauschen und in der Regel Süd-Süd-Dialogs bezeichnet. gen ist bei dem öff entlichen Aber wir können das kaum QPmxBR Politik & Kultur | Nr. / | Mai  MEDIEN 39

In der Krise haben sich die Medien neu organisiert Klassische Medien gewinnen Vertrauen, Zuschauer, Hörer, Nutzer und Abonnenten

HELMUT HARTUNG te Siegfried Schneider, Präsident der Bayerischen Zentrale für neue Medien, ei der Wahl von Judith Wittwer Soforthilfemaßnahmen des Freistaats zur neuen Chefredakteurin der Bayern, »um die Handlungsfähigkeit B Süddeutschen Zeitung Ende der lokalen Redaktionen in Bayern auf- März war eine leitende Redakteurin rechtzuerhalten«. Und der Direktor der an Corona erkrankt. Als Vorsichts- Thüringischen Landesmedienanstalt maßnahme arbeitete die Redaktion, Jochen Fasco betont, dass er die Aufga- als das bekannt wurde,  Tage im be der Landesmedienanstalt gegenwär- April komplett von zu Hause aus. Bis tig darin sehe, weitere Unterstützungs- zu diesem Zeitpunkt war auch bei den möglichkeiten für die Veranstalter und Münchnern eine Kernredaktion aus lei- ihre wichtige Arbeit für die Gesellschaft tenden Redakteuren am Werk, die vor zu eröff nen. Ziel sei es, zusätzliche über Ort die wichtigsten Abläufe steuerte. den von Bund und Land ausgerollten Dass eine der größten Tageszeitungen Rettungsschirm hinausgehende Hilfen in Deutschland komplett im Home- zur Abfederung der Übertragungskos- offi ce arbeitet, ist sicher extrem, aber ten zu ermöglichen. Auch die für die so wie bei der „Süddeutschen Zeitung“ Medienpolitik der Länder zuständige beeinfl usst die Corona-Epidemie seit Koordinatorin, Staatsekretärin Heike Mitte März die Arbeitsprozesse aller Raab aus Rheinland- Pfalz, hat an Bund Medienhäuser und hat in vielen Fäl- und Länder appelliert, bei den Hilfspro- len Inhalte und Zeitabläufe diktiert. In grammen die Bedürfnisse der Radio-, einem redaktionellen Beitrag stellte Fernseh- und Presseunternehmen zu dazu die Frankfurter Allgemeine Zei- berücksichtigen und die Unternehmen tung fest: »Natürlich hat im Zuge der in die Hilfsprogramme einzubeziehen. ZONVI NICOLAS FOTO: Corona-Krise auch das mobile Arbeiten Im ARTE-Format »Hope@Home« lädt Geiger Daniel Hope Künstlerinnen und Künstler in sein Wohnzimmer ein bei der F.A.Z Einzug gehalten. Alle Mit- Fernsehnutzung auch bei jüngeren arbeiter können inzwischen so arbeiten, zon Prime Video. Anfang des Jahres Berliner Meistersaal zu sehen waren. während der Corona-Krise ihre verkauf- Zielgruppen gestiegen und fast alle arbeiten derzeit mobil. Das lag der Anteil bei  Prozent. Auch das »Wie sonst natürlich auch«, erläutert ten Druckausgaben steigern und sogar Haus hat sich in regelmäßigen Telefon- Wie wichtig die journalistische Arbeit Angebot der Mediatheken kann derzeit ARTE-Präsident Peter Boudgoust, »wer- neue Abos abschließen konnten. und/oder Videokonferenzen neu orga- in diesen schwierigen Zeiten ist und über alle Altersgruppen hinweg punk- den die Künstler und die Kreativen für Diese an sich schon beachtlichen nisiert: Die Kollegen aus der Informa- welche große Resonanz sie fi ndet, ha- ten: Der Anteil ihrer täglichen Nutzer ihr Engagement auf unserem Sender Daten werden von den Abrufzahlen tionstechnologie haben die bisherige ben mehrere Nutzerbefragungen und ist um  Prozent gestiegen. Besonders vergütet. Niemals kommt dem ein so im Internet nochmals übertroff en. Die Zentralstruktur der Systeme zu Beginn Reichweitenanalysen gezeigt. Die Medi- der zeitlich unabhängige Konsum von hoher Stellenwert zu wie im Moment«. Auswirkungen der Corona-Krise auf die der Krise in eine dezentrale Struktur ennutzung nimmt derzeit über alle Ver- Informationen rund um Covid- hat Vor besonderen Herausforderungen täglichen Nutzerzahlen der journalis- verwandelt. So gibt es im Schlechten breitungswege gleichermaßen zu. Die nach Einschätzung von Deloitte einen stehen angesichts von Schulen- und tischen Online-Angebote sind enorm: manches Gute.« Fernsehdauer stieg um  Minuten oder Nutzungsschub ausgelöst. Kita-Schließungen die Kinderangebote  der  reichweitenstärksten Mar- , Prozent auf  Minuten gegenüber Zu den VoD-Gewinnern zählt auch wie der Kinderkanal KiKA von ARD und ken lagen über dem Februar, zahllose dem Februar. »Insbesondere die jünge- Disney+, das erst am . März in Europa ZDF. Wie Astrid Plenk, Programmge- Anbieter gewannen  Prozent und Schwierige wirtschaftliche Situati- re Zielgruppe wendet sich dem Medi- gestartet ist. In den sieben Tagen nach schäftsführerin des Kinderkanals in- mehr. Zu den Zeitungsangeboten mit on privater Medien um TV derzeit wieder stärker zu«, sagt dem Start kommt der Dienst bereits auf formiert, seien im Moment doppelt der größten Relevanz zählen die Frank- Während sich der öff entlich-rechtli- Kerstin Niederauer-Kopf, Vorsitzende , Millionen Downloads. Auch in den so viele Kinder im Medienmarkt als furter Allgemeine Zeitung (+,%), che Rundfunk auf seine solide Finan- der Geschäftsführung der AGF Video- deutschen App-Download-Charts lan- üblicherweise, sowohl in der Woche die Süddeutsche Zeitung (+,%) und zierung durch den Rundfunkbeitrag forschung. Bei den - bis -Jährigen det Disney+ seit dem Start konstant auf als auch am Wochenende. Die Kinder Merkur.de (+,%). Extreme Zuwächse stützen kann, ist die wirtschaftliche lag die Sehdauer im März bei  Minu- den vorderen Plätzen. würden je nach Alter ihr Lieblingsan- gab es aber auch bei Regionalmedien Situation bei vielen privaten Medien ten –  Prozent über dem Niveau vom gebot wählen und entsprechend breit wie Der Tagesspiegel (+ %), Berliner problematisch, weil die Werbeumsät- Februar . Die - bis -Jährigen stelle sich der KiKA linear und non- Morgenpost (+,%) Passauer Neue Fernsehen mit neuen Formaten ze stark rückläufi g sind. Allein für den sahen acht Minuten oder , Prozent linear auf. Alle digitalen Plattformen Presse (+,%) oder dem Hamburger April geht der Spitzenverband der deut- mehr fern. Zwölf Minuten mehr waren Mit einer fl exiblen Programmgestal- verzeichneten sehr hohe Aufrufzahlen Abendblatt (+,%). Bei digitalen, PDF- schen Werbewirtschaft (ZAW) über alle es bei den - bis -Jährigen im Ver- tung, einem hohen Informationsanteil mit bis zu , Millionen Visits an den oder App-basierten Zeitungsausgaben Medien hinweg von einem Rückgang gleich zum Vormonat. Bei den jüngeren und neuen Formaten hat sich das li- Wochenenden. steigt die tägliche Nutzung laut Deloit- der Werbeinvestitionen von mindestens Zielgruppen zeigt sich damit eine deut- neare Fernsehen auf die spezifi schen te insgesamt um  Prozent. Selbst der  Prozent aus. Im März lagen die Wer- liche Abkehr vom rückläufi gen Trend. Erwartungen eingestellt. »Die Corona- regelmäßige Abruf von kostenpfl ichti- Bei widersprüchlichen Aussagen beausfälle ab dem . März zwischen Der größte Treiber für die Rückkehr ins Krise«, betont Jörg Graf, Geschäfts- gem Premium-Content hat  Prozent vertrauen  Prozent der Leser ih-  und  Prozent. Im Ergebnis haben TV sind die Nachrichten: »Sie vermit- führer von RTL Television, »setzt eine zugelegt. Der Anteil täglicher Leser rer Zeitung viele Medienhäuser, so unter anderem teln relevante Informationen, werden unglaubliche Kreativität frei.« Wir wis- von werbefi nanzierten Online-News Die Zeit oder die FUNKE-Gruppe, Kurz- zur Tagesklammer und zur Richtschnur sen aus zahlreichen Reaktionen unseres Die Suche nach verlässlichen Informa- ist um  Prozent gestiegen. Die Abon- arbeit beschlossen, die Umfänge der für das weitere Handeln der Menschen. Publikums, so Graf, dass der Unterhal- tionen in der Corona-Krise, aber auch nements für die gesamte Digitalaufl a- Zeitungen reduziert oder wie bei der Fernsehen wird das Fenster zur Welt«, tung derzeit ein besonderer Stellenwert nach Ablenkung macht sich ebenfalls ge der Frankfurter Allgemeinen Zei- Neuen Rottweiler Zeitung die Druck- so Kerstin Niederauer-Kopf. Unterhal- zukomme. Viele Menschen sehnten sich bei den gedruckten Medien und ihren tung liegen mittlerweile oberhalb von ausgabe ganz eingestellt. Die Spiegel- tende TV-Formate, insbesondere Rea- nach einem Stück Normalität, nach Ta- Online-Auftritten bemerkbar. Nach An- .. Auch die digitalen Angebote Gruppe plant ein Sparprogramm von lity-Shows, würden als Realitätsersatz gesstruktur und auch Ablenkung. RTL gaben der Arbeitsgemeinschaft Media der Süddeutschen Zeitung haben in die-  Millionen Euro. Besonders stark wahrgenommen. biete beides, weil beides wichtig ist: Analyse (agma) erreichten Tageszei- sen Tagen früher als erwartet . betroff en sind die lokalen Medien wie Aber auch Gaming spielt bei der Me- Information und Unterhaltung. tungen seit Mitte März eine um  Pro- zahlende Nutzer gefunden. Lokalzeitungen, Anzeigenblätter oder diennutzung eine wachsende Rolle. Bei Der rbb nimmt die Nutzerinnen zent höhere Reichweite. Kaufzeitungen Ob der Anstieg bei den Print- und auch Rundfunkanbieter. So erwarten Kindern ist Gaming sogar wichtiger als und Nutzer im Internet auf -Grad- steigern ihre Reichweite um  und re- digitalen Abonnements die Ausfälle bei die kleineren Verlage, dass die Zustell- Streaming oder Video on Demand (VoD) Touren in das Potsdamer Barberini-Mu- gionale Abo-Zeitungen um  Prozent. den Werbeumsätzen ausgleichen wird, kosten für die nächste Zeit komplett und wird um  Prozent mehr genutzt seum, das Alte Museum in Berlin und Bei Publikumszeitschriften liegt die ist mehr als fraglich, und bei den pri- vom Bund übernommen bzw. die bereits als zuvor. Insgesamt haben für die jün- weitere Sammlungen mit. »Wenn es Zunahme sogar bei  Prozent. vaten Rundfunkveranstaltern besteht im vergangenen November zugesagte geren Zielgruppen Computer, Laptop zu Hause eng wird, weil die Menschen Nach einer Umfrage des Bundesver- noch nicht einmal eine solche Kom- Zustellförderung in Höhe von  Mil- und Tablet während der Corona-Auszeit kaum mehr vor die Tür gehen, können bands Digitalpublisher und Zeitungs- pensationsmöglichkeit. Bereits in den lionen Euro endlich ausgezahlt wird. eine große Bedeutung. Rund drei Vier- wir so wieder mehr Weite schaff en«, verleger (BDZV) unter mehr als . vergangenen Jahren haben die Medien- Bei den privaten TV- und Hör- tel (%) sitzen aktuell häufi ger oder erläutert rbb-Intendantin Patricia Leserinnen und Lesern regionaler Ta- häuser bei den Redaktionen gespart, funkanbietern ist grundsätzlich nicht länger davor, um für die Schule zu ar- Schlesinger. Mit der Aktion »Der rbb geszeitungen fühlen sich  Prozent Angebote reduziert und gleichzeitig die nur das Werbe-, sondern ebenso das beiten oder Videos anzuschauen. Noch macht’s« wurde versucht, Lücken, die von Tageszeitungen aktuell gut bzw. digitale Transformation vorangetrieben. Abonnenten- und Produktionsgeschäft stärker als ohnehin schon, wird auch im gesellschaftlichen und kulturellen sehr gut durch ihren regionalen Titel Die Gefahr, dass die Corona-Krise zu – z. B. Filme, Serien, Sport – und der Be- das Smartphone von der Mehrheit der Leben entstehen, weil Kulturstätten wie informiert. Die Berichterstattung ist einem Abbau von Medienvielfalt führt, reich der Off -Air-Events wie Konzerte Heranwachsenden für Chats, Telefonie Museen, Konzerthäuser, Theater und aus Lesersicht in der Corona-Krise be- ist also groß. Wie auch in anderen eu- und andere Veranstaltungen betroff en, und Surfen genutzt (%). An dritter Kinos nicht zugängig sind, zu schließen. sonders verlässlich (%) und aktuell ropäischen Ländern seit Jahren üblich, erläutert Hans Demmel, Vorstandsvor- Stelle verstärkt verwendeter Medien Den Auftakt bildete die Übertragung (%), bietet verständliches Hinter- benötigen die privaten Medien eine sitzender des Verbands Privater Medien stehen Streamingdienste (%), gefolgt von »Carmen« aus einem leeren Saal grundwissen (%), berichtet in aus- zielgerichtete wirtschaftliche Unter- (VAUNET). »Besonders dramatisch triff t vom Klassiker Fernsehen inklusive Me- der Deutschen Staatsoper. reichendem Umfang aus dem Alltag von stützung. Die geplante Vertriebsför- es die lokalen und regionalen Medien- diatheken (%). Als Kultursender zeigt sich ARTE mit Betroff enen und dem Gesundheitssys- derung des Bundes, die zudem zeitlich angebote, deren Einnahmen teilweise Bei VoD gehen die Zuwächse vor al- den Künstlerinnen und Künstlern soli- tem (%), sortiert übersichtlich die befristet erfolgen soll, kann hier nur ein schon heute existenzbedrohend einge- lem auf eine höhere Nutzungsintensität darisch. Zu den Highlights zählen das Flut an Informationen (%) und hilft Trostpfl aster sein und zudem sind hier brochen sind.« der Bestandskunden zurück, hat das tägliche Wohnzimmerkonzert »Hope@ mit konkreten Alltagsempfehlungen verfassungsrechtlich die Länder in der In Brandbriefen an ihre Landesregie- Meinungsforschungsinstitut Deloitte Home« des Geigers Daniel Hope sowie (%). Bei widersprüchlichen Aussa- Verantwortung. rungen haben Medienanstalten deshalb ermittelt. Gegenwärtig verwenden  die Reihe »Moment Musical«, in der in- gen vertrauen  Prozent der Leser am fi nanzielle Hilfe für die privaten Hör- Prozent der Deutschen täglich VoD- ternationale Künstler wie Anna Prohas- ehesten ihrer Zeitung. So ist es nicht Helmut Hartung ist Chefredakteur des funkanbieter angemahnt. So forder- Abonnements wie Netfl ix oder Ama- ka oder Avi Vital live im traditionellen verwunderlich, dass die Printmedien Blogs medienpolitik.net 40 DAS LETZTE www.politikundkultur.net

Kurz-Schluss Wie ich einmal als Quereinstiegs-Lehrer wirklich helfen wollte und ins Kittchen geriet

THEO GEIẞLER Internet aus dem Home-Lehrerzimmer. das goldene Sportabzeichen. Ein wenig lockerem Gesprächsstoff motivierend kelten Ärmchen. »Wir wollen gar nix Wenn ich wolle, könne ich auch noch Schummeln war schon nötig. Verant- zu starten, eine D-Replica von Che von dir, du linke Halbglatze. Schmeiß Es ist schon fast wieder komisch, was verbeamtet werden, erhalte eine hilfrei- wortungsbewusst bestätigte ich mir Guevara – letztlich ja auch ein Huma- den Guevara ins Klo, piss drauf und einem so alles widerfährt, wenn man che Fernschulung und ein feines monat- meine täglichen  Liegestütz, gefolgt nist eben der neueren Geschichte. Ein verpiss dich in deinen Rolli und lass im hochseriösen redaktionellen Um- liches Salär samt Pensionsberechtigung von  Kniebeugen und noch mal  dickes Print-Charakter-Dossier mit dem dich in den Schredder schieben.« Statt feld einer glaubwürdigen Kulturzeit- nach fünf Dienstjahren. vollen Klimmzügen. Die nötige Be- Vermerk »Streng vertraulich« enthielt des Live-Bildes auf meinem Monitor schrift gewissermaßen der Hofnarr ist, Vor allem das »feine Salär« veran- schreibung des Knieaufschwungs, des sämtliche Infos über die Schülerinnen tauchte untertitelt mit »Gigi und die zuständig für ein wenig Fun und viel lasste mich – hilfsbereit wie ich bin – Kopfstandes und des Saltos aus dem und Schüler meiner Klasse samt Kon- braunen Stadtmusikanten« eine grausig Fake: Etliche Menschen haben mein spontan zur Zusage. Also klemmte ich Stand in »sachlicher Schriftform« hatte taktadressen. Es waren nur noch vier, plärrende Gruppe auf – Hassgejodel der Glösschen in der Ausgabe / unse- mich in meiner aktuellen Wohn- und ich mir ergoogelt und clever textlich die Mathematik nicht in der zwölften übelsten Sorte. Humanistisches Gym- rer geschätzten PuK wohl allzu ernst Schlaf-Küche hinter meinen Super- verfremdet. Nach Rückskype mit mei- Klasse abgewählt hatten – vom Schul- nasium, dachte ich noch, da knallte es, genommen. Jedenfalls erhielt ich mit Laptop, den ich bekanntlich vor fünf nem ministerialen Tutor erhielt ich da- sport waren aufgrund unterschiedlicher meine Wohnungstür wurde aufgebro- Hinweis auf meine angebliche Börsen- Jahren zum Hungerlohn noch in Diens- für einen -prozentigen Gehaltsauf- körperlicher Gebrechen, Dauermumps, chen und ein SEK-Trupp quetschte sich kompetenz – gelogen wie gedruckt – an ten des Innenministeriums zwecks Test schlag für die Befähigung, ein zweites Tastatur-Allergie, dysfunktionale Fest- in meine Wohn-Schlaf-Küche: »Auf den die  mehr oder weniger eindeutige des Bundestrojaners geliehen bekam Fach zu unterrichten. speicher-Überlastung – alle befreit. Boden, Hände auf den Rücken, Sie sind Partnerschafts- und Heiratsangebote und seinerzeit aus Trotz als gestohlen Mittlerweile hatte mich das üppige Bestens vorbereitet, startete ich also verhaftet wegen Verbreitung national- jedweden Geschlechtes. Ich antworte- gemeldet hatte. Es galt, verschiedene »Grundausrüstungspaket für geprüfte meine erste digitale Unterrichtsstun- sozialistischen Kulturgutes an Jugend- te natürlich sehr freundlich, aber ab- Updates durchzuführen und das allseits Quereinsteiger in den digitalen Lehr- de mit einem per WhatsApp angekün- liche und Diebstahl von Staatseigentum lehnend, obwohl da schon zwei, drei beliebte Video-Kommunikationspro- betrieb in den Fächern Mathematik und digten Video-Call per »Zoom« bei der in Form eines Laptops.« – In der U-Haft Sahneschnitten jedweden Geschlechtes gramm namens »Zoom« zu installie- Sport alle Schulstufen an humanisti- Klassensprecherin meiner c. Sie hatte hatte ich viel Zeit, darüber zu rätseln, dabei waren. Na ja, das Alter … ren. Via E-Mail erhielt ich ein Passwort schen Gymnasien umfassend« erreicht. zugesagt, die restlichen drei Schüle- ob mir der gute alte Bundestrojaner – Meine Behauptung im gleichen Arti- und somit zunächst Zugang zu dem für Es enthielt vor allem eine mediale Ku- rinnen und Schüler zum gemeinsamen oder das verdammte Schnüff el-»Zoom« kel, ich sei Spezialist für Quantenphysik mich zuständigen Briefi ng-Programm. lissen-Grundausstattung. Schließlich »Schillern« oder so ähnlich einzuladen. diese üble Suppe eingebrockt hatte … – was ist das? – regte einen kultusminis- Im sogenannten Sachteil vervollstän- sollten die Kids ihren Respekt vor mir Ruck-zuck waren Bild-und Tonkon- teriellen Lehrermangel-Beseitiger aus digte ich zunächst meine verschütteten nicht verlieren, weil im Hintergrund takt aufgebaut. Mir eröff nete sich eine einem neuen Bundesland an, bei mir Kenntnisse in den vier Grundrechenar- meines stets ernsten Philosophenge- Kissen-Totale erheblichen Ausmaßes, nachzufragen, ob ich nicht als off en- ten. Nach drei Wochen Training bestand sichtes, glaubwürdig dank Kreisglatze, auf der es sich vier Menschlein un- sichtlich hochkompetenter Quereinstei- ich mein erstes Examen und erhielt das systembedingt umrahmt von langen bestimmten Geschlechtes vermutlich ger den Mathe-Unterricht an einem un- Zeugnis der Lehrbefähigung summa grauen Zotteln, sich nicht unbedingt vor einer Webcam mit vorgelagertem ter fürchterlichem Pädagogen-Mangel cum laude. meine seit Wochen angehäuften Pizza- Laptop bequem gemacht hatten. »Hey leidenden humanistischen Gymnasium Etwas mehr Mühe hatte ich mit den Kartons stapelten. Ein mit dem griechi- Alter, welche Gruft hat dich denn ausge- übernehmen wolle. Meinen Einwand, Aufgaben im Fach »Überleben im rea- schen oder russischen Alphabet und spuckt?«, nuschelte die etwas näher an ich gehöre schon rein altersbedingt zu len pädagogischen Umfeld«. Vermut- einigen mir völlig fremden mathema- die Cam gerobbte Klassensprecher/in? einer bekannt nutzlosen Risikogruppe, lich dank eines falschen Links landete tischen Formeln bedrucktes Bettuch sei »Wir wollen uns aufs Mathe-Abi vorbe- fegte der hochengagierte Ministerialrat ich in der Sportabteilung. Weil es hier als Hintergrund zu nutzen. Bei Bedarf reiten – ich bin euer Coach«, versuchte mit dem energischen Hinweis beiseite, mangels persönlicher Kontrolle nur könne ich auf einer beigefügten Billig- ich zeitgeistig zu replizieren, als mir es handle sich schließlich um digita- Beispielvideos samt anschließender Bambus-Röhre den aus Styropor gefer- im Hintergrund eine rote Fahne auffi el, len Fernunterricht ohne jedwede An- schriftlicher Abfrage erreichter Ziele tigten Kopf von Archimedes ins Bild rü- ein weißer Kreis in der Mitte und ein Theo Geißler ist Herausgeber von steckungsgefahr, gewissermaßen per gab, erreichte ich im Sitzen sehr schnell cken. Ich bevorzugte, um mit ein wenig schräg gestelltes Kreuz mit angewin- Politik & Kultur

TAUBENSCHISS  DIE P&K TRUMPFAKES

Washington: Donald Trump – spektaku- Silicon Valley: Wenige Wochen nach sei- lär-modisch in einen Raumanzug gehüllt nem überraschenden Nummer-eins-Hit – hat die Corona-Krise für beendet er- »Murder Most Foul« ist über Nacht ein klärt. »Es war wie ein reinigendes Gewit- weiterer neuer Song des Literaturno- ter. Unser wunderbares amerikanisches belpreisträgers Bob Dylan erschienen. Volk, sein weißer Kern, hat den Krieg ge- Wie schon »Murder Most Foul« wirkt gen den gelben Feind gewonnen. Ame- auch »I Contain Multitudes« wie der rica is the greatest Clean-Space. Thanx Versuch des zum Folk-Barden der Na- to Ku-Klux-Clan«. Das twitterte Donald, tion erhobenen Dylan, sich einen Reim bevor er sich für ein Jahr zur Raumsta- auf verworrene Zeiten zu machen. Vom tion ISS transportieren ließ. Verkauf seiner Lockheed-Aktien soll er sich ein Dauerticket für den Besuch des München: Im Halbfi nale der Pro--Mu- Lenin-Mausoleums in Moskau besorgt sikshow »The Masked Singer« standen haben, um mehr über Balsamierungs- noch fünf maskierte Prominente. Wer techniken zu erfahren. sich hinter den Kostümen Wuschel, Hase, Faultier und Drache versteckt, Hollywood: Disney will seine Produkte ist jetzt bekannt geworden. Das Cha- »weiblicher« machen: Davon erhoff t mäleon musste sich zuerst enthüllen: sich das Management viel mehr Frauen Unter dem mit unzähligen Pailletten im Publikum. Gestartet wird die sechste besetzten Kostüm steckte Nike Wagner. Star-Wars-Verfi lmung mit Darth Mother, Achtung – Spoiler: Wuschel ist Markus der Röchel-Queen. Statt Robotern sol- Söder, Hase Norbert Walter-Bojahns, len Donaldine und Dagoberta Duck im Faultier Armin Laschet und Drache Starfi ghter sowie Melania Trump als

FOTO: KLAUS STUTTMANN KLAUS FOTO: , die kein Kostüm benötigte. Todesstern auftreten. (Thg)

IMPRESSUM

Politik & Kultur – ANZEIGENREDAKTION LAYOUT UND SATZ VERKAUFSSTELLEN HINWEISE Zeitung des Deutschen Kulturrates Martina Wagner Petra Pfaff enheuser Politik & Kultur ist im Abonnement, in Der Deutsche Kulturrat setzt sich für c/o Deutscher Kulturrat e.V. ConBrio Verlagsgesellschaft ConBrio Verlagsgesellschaft Regensburg Bahnhofsbuchhandlungen, großen Kiosken Kunst-, Publikations- und Informations- Taubenstraße  Telefon:  .  - sowie an Flughäfen erhältlich. Alle Ausgaben freiheit ein. Offi zielle Stellungnahmen  Berlin Fax: .-- Politik & Kultur erscheint zehnmal im können unter www.politikundkultur.net des Deutschen Kulturrates sind als solche Telefon:  .    [email protected] Jahr. auch als PDF geladen werden. Ebenso kann gekennzeichnet. Alle anderen Texte geben Fax:  .    der Newsletter des Deutschen Kulturrates nicht unbedingt die Meinung des Deutschen www.politikundkultur.net VERLAG ABONNEMENT unter www.kulturrat.de abonniert werden. Kulturrates e.V. wieder. Aus Gründen der [email protected] ConBrio Verlagsgesellschaft mbH  Euro pro Jahr (inkl. Zustellung im Inland) besseren Lesbarkeit wird manchmal auf Brunnstraße  HAFTUNG die zusätzliche Benennung der weiblichen HERAUSGEBER  Regensburg ABONNEMENT FÜR STUDIERENDE Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte Form verzichtet. Wir möchten deshalb Olaf Zimmermann und Theo Geißler Telefon:  .  -  Euro pro Jahr (inkl. Zustellung im Inland) und Fotos übernehmen wir keine Haftung. darauf hinweisen, dass die ausschließliche www.conbrio.de Alle veröff entlichten Beiträge sind urheber- Verwendung der männlichen Form expli- REDAKTION BESTELLMÖGLICHKEIT rechtlich geschützt. Politik & Kultur bemüht zit als geschlechtsunabhängig verstanden Olaf Zimmermann (Chefredakteur DRUCK Politik & Kultur sich intensiv um die Nennung der Bild- werden soll. v.i.S.d.P), Gabriele Schulz Freiburger Druck GmbH & Co. KG Taubenstraße  autoren. Nicht immer gelingt es uns, diese (Stv. Chefredakteurin), www.freiburger-druck.de  Berlin ausfi ndig zu machen. Wir freuen uns über FÖRDERUNG Theresa Brüheim (Chefi n vom Dienst), Tel.:  .   , jeden Hinweis und werden nicht aufgeführte Gefördert aus Mitteln Der Beauftragten Andreas Kolb, Maike Karnebogen GESTALTUNGSKONZEPT Fax:  .    Bildautoren in der jeweils nächsten Ausgabe der Bundesregierung für Kultur und Medien Ilja Wanka und S Design [email protected] nennen. auf Beschluss des Deutschen Bundestages.