Diplomarbeit

Titel der Diplomarbeit "Jouer pour développer" – Theater als Instrument der Intervention in

Verfasserin

Christina Nikiema-Spiegl

Angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag. phil.)

Wien, im Oktober 2008

Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 317 295 Studienrichtung lt. Studienblatt: Theaterwissenschaft Betreuerin: Ao. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Marschall

"savoir pourquoi on fait du théâtre c’est d’abord savoir pour qui on le fait" Gabriel Garran1

Gewidmet dem "Land der aufrechten Menschen"

1 In: MADRAL, Philippe (1969): Théâtre hors des murs. S. 45.

2 Inhaltsverzeichnis

Vorwort 8 1. Einleitung 10 1.1 Gibt es "ein" afrikanisches bzw. afrikanisches Theater als solches? 10 1.2 Einführung in das gewählte Thema – Fragestellungen im Überblick 11 1.3 Erläuterung arbeitstechnischer Methoden 12 1.3.1 Dokumentation von Kontaktaufnahmen 14 2. Anstatt eines Länderprofils von Burkina Faso 17 2.1 Einführung 18 2.2 Basisdaten auf einen Blick 21 2.3 Geographie 22 2.4 Aktuelle sozioökonomische und gesundheitspolitische Situation 24 2.4.1 Welcher Art sind die Probleme, mit denen man in Burkina Faso diesbezüglich konfrontiert wird? 25 2.4.2 HIV/AIDS 26 2.4.2.1 Infektion mit HIV 27 2.4.2.2 Auswirkungen von AIDS auf Wachstum, Entwicklung und ländlichen Sektor 27 2.4.3 Hauptprobleme im Bereich Frauengesundheit 28 2.4.3.1 Weibliche Genitalverstümmelung ("mutilation génitales féminines" – MGF) 31 2.4.3.2 Die mütterliche Sterblichkeit 32 2.4.3.3 Andere Komplikationen der Mutterschaft 33 2.4.4 Kinder und Jugendliche 33 2.5 Bildungswesen 34 2.5.1 Bildung als Entwicklungsziel – Schulwissen versus Erfahrungs- oder Subsistenzwissen 34 2.5.2 Sankara als Vorkämpfer für die Frauenrechte 36 2.6 Menschenrechte 37 2.7 Wichtige historische Daten auf einen Blick 38 2.8 Jenseits von Fakten und Zahlen – ein persönlicher Stimmungsbericht 39 2.8.1 Frühjahr 2008 39 2.8.2 "La vie chère" 40 2.9 Resümee und weitere Vorgehensweise 41 2.10 Der "afrikanische" Weg der Problemlösung 42 3. Kulturelle Einrichtungen bzw. Aktivitäten in Burkina Faso 45 3.1 Erhobene Gemeinsamkeiten der Veranstaltungsorte 46 3.2 Kultureinrichtungen in der Hauptstadt Ouagadougou 46 3.2.1 Öffentliche nationale Kultureinrichtungen 47 3.2.1.1 "Maison du Peuple" 47 3.2.1.2 "Maison des Jeunes et de la Culture de Ouagadougou" (MJCO) 48 3.2.1.3 "Reemdoogo" oder "Jardin de la Musique" 48 3.2.2 Kultureinrichtung der französischen Botschaft 49 3.2.2.1 Centre Culturel Français Georges Méliès (CCF-GM) 49 3.2.3 Private Kultureinrichtungen 52 3.2.3.1 "Espace culturel Gambidi" (ECG) 53 3.2.3.2 "Espace culturel Zaka" 53 3.2.3.3 CITO – "Carrefour International de théâtre de Ouagadougou" 53

3 3.2.4 Bewerbungsstrategien von Veranstaltungen in der Hauptstadt 55 3.3 Kultureinrichtungen und -aktivitäten in den Provinzen von Burkina Faso 55 3.3.1 Die 5 geographischen Kulturachsen von Burkina Faso 55 3.3.1.1 Kulturachse 1 – der Westen von Burkina Faso 58 3.3.1.2 Kulturachse 2 – Sahel und Yatenga 62 3.3.1.3 Kulturachse 3 – die Schleife von Mohoun 66 3.3.1.4 Kulturachse 4 – der Osten und der Südosten 71 3.3.1.5 Kulturachse 5 – der Süden 75 3.4 Resümee 78 3.4.1 Bemerkungen zur Hauptstadt Ouagadougou 78 3.4.2 Bemerkungen zu den burkinischen Provinzen 79 3.4.2.1 Die Rolle der Sprache 79 3.4.2.2 Steigende Einwohnerzahlen 80 3.4.2.3 Sonstige Auffälligkeiten 81 4. Formen der Theatralisierung in Burkina Faso 82 4.1 Traditionelle Formen der Darbietung 82 4.2 Die Tradition des Kotèba 83 4.2.1 Etymologische Bedeutung 83 4.2.2 Zeitliches Erscheinen und mythologischer Hintergrund 83 4.2.3 Beschreibung, Kontext und Funktion 85 4.2.3.1 Kotèba als spielerisch-künstlerische Theatralisierung 87 4.2.3.2 Kotèba als temporäre soziale Befreiung 89 4.2.3.3 "Social action theatre" 90 4.2.3.4 Parallelen zur attischen Komödie? 91 4.2.3.5 Kotèba als "soziale Hygiene" 94 4.2.3.5.1 "Le Kotèba peut beaucoup ..." 94 4.3 Resümee 96 5. Die Entwicklung des modernen Theaters in Burkina Faso – eine Geschichte der Interventionen 98 5.1 Einführung und Zielsetzungen 98 5.2 Theater zwischen französischen Kolonialisierungsbestrebungen und missionarischem Wirken 100 5.2.1 Von den Anfängen der katholischen Kirche in Burkina Faso – Ankunft und Niederlassung der Missionare 101 5.2.2 Das "Theater der Missionare" im Zeichen der christlichen Feste 107 5.2.2.1 Vom "Theater de la naissance de JESUS" ... 107 5.2.2.2 ... zu einem Theater der Zurschaustellung 108 5.2.2.3 Das Theater der Missionarsschulen 109 5.2.2.3.1 Das Einrichten eines Schultheaters 109 5.2.2.3.2 Das Theater der katholischen Jugendbewegungen 111 5.2.2.3.3 Das Theater – Symbol für eine Interessenhochzeit? 112 5.2.3 Die Geburt eines modernen "théâtre negro-africain" 113 5.2.3.1 Die Schule von William Ponty und ihre Bedeutung für das Theaterschaffen auf dem afrikanischen Kontinent 114 5.2.3.2 Die theatralen Aktivitäten als Mittelpunkt der "Centres Culturels" (CCs) 117 5.2.3.2.1 Ablauf einer Theatersoiree eines "Centre Culturel" 119 5.2.3.2.2 Der Grundstein des burkinischen Wettbewerbswesens 120

4 5.2.3.2.3 Die thematische Ausrichtung des Theaters der CCs 121 5.2.3.2.4 Der Einfluss des Theaters von William Ponty auf die CCs 123 5.2.4 Der Beginn der politischen Machtkämpfe 124 5.2.4.1 Die Kolonialmacht und die Auflehnung der Nationalisten 124 5.2.4.2 Auf Kollisionskurs mit der katholischen Kirche 124 5.3 Die ersten unabhängigen Truppen 125 5.3.1 Präsentation der Truppen, deklarierte Zielsetzungen und Repertoire 126 5.3.2 Aller Anfang ist schwer ... 129 5.3.2.1 Das Bild des Schauspielers in der Gesellschaft – eine Aktivität von gesellschaftlichen Außenseitern 129 5.3.2.2 Ein Beitrag zur Identitätsfindung? 131 5.3.2.3 Das Herausbilden von Gattungen 132 5.3.2.4 Im Strudel der Negritude 132 5.4 Das Theater der "Maisons des Jeunes et de la Culture" (MJCs) – die historischen Nachfahren der "Centres Culturels" 133 5.4.1 Beschreibung und Zielsetzungen der MJCs 133 5.4.2 Politische Vereinnahmung des Theaters der MJCs 136 5.4.3 Das Theater der "Landwirtschaftlichen Tage" 137 5.5 Das Schultheater 138 5.5.1 Die Theateraktivitäten während der Schulzeit 138 5.5.2 ... während der Schulferien 139 5.6 Im Dienst der Gesellschaft – Theater als soziale Intervention 141 5.6.1 Kurzbeschreibung zweier repräsentativer Theatertruppen: "Atelier Théâtre Burkinabè" und "Théâtre de la Fraternité" 142 5.6.2 Zielsetzungen und Themata 144 5.6.2.1 Schulbesuch – ein Privileg? 145 5.6.2.2 Alkoholismus 146 5.6.2.3 Korruption 146 5.6.3 Das Verlassen des Elfenbeinturms 147 5.6.3.1 Ästhetische und qualitative Aspekte 148 5.6.3.2 Zurück zum Ursprung 150 5.6.3.2.1 Die Verwendung narrativer Techniken von Erzählabenden 151 5.6.3.2.2 Theater im Kreis 152 5.6.4 Forumtheater oder Theaterdebatte 153 5.6.4.1 Ein Theater der Intervention 155 5.6.5 Der politische Missbrauch des Theaters 156 5.6.6 Resümee 157 5.7 Kurzer Exkurs zur Theatersituation seit den 1990ern in Burkina Faso 159 5.7.1 Das "Theater der sozialen Intervention" 161 5.7.2 Ein Theater für das Volk 164 5.7.3 Das Problem der Evaluierung 167 6. Gegenwärtige Entwicklungen im burkinischen Theater – Theater der Evangelisierung 169 6.1 Probelauf für das "Festival de Théâtre d’Evangélisation" 169 6.2 Das "Festival de Théâtre d’Evangélisation" 169 6.2.1 Wiederaufnahme früherer religiöser Bestrebungen 171 6.3 Fragebogen-Feedback zum "Théâtre d’Evangélisation" 171

5 6.3.1 Der Gründungsvater Lambert Zabré 171 6.3.2 Aufbau, Zielsetzung und Themen des "Théâtre d’Evangélisation" 172 6.3.3 Entwicklung der Theaterstücke 173 6.3.4 Finanzierung des Festivals bzw. Bestreiten des Lebensunterhalts 173 6.3.5 Offene Fragen 173 7. Die Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit 175 7.1 Kultur als Impulsgeberin 176 7.1.1 Was wird unter "Kultur" generell und hier im Besonderen verstanden? 177 7.1.1.1 "Kultur" laut Duden 177 7.1.1.2 Kulturbegriff in der Entwicklungszusammenarbeit 178 7.1.2 Die mögliche Kehrseite von Kulturtransfers 181 7.2 Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit – ein Kurzporträt "auf Augenhöhe" 183 7.2.1 Von den Anfängen der OEZA 183 7.2.2 Von Zielsetzungen und Schlagwörtern ... 184 7.2.3 ... zur internen Organisation ... 186 7.2.4 ... hin zu Zahlen, Zielen und ihrer Nichterfüllung 186 7.2.5 Entwicklung mit (Wissens-)Gewinn? 188 7.2.6 Entwicklungspolitische Einrichtungen in Österreich 191 7.2.6.1 VIDC – kulturen in bewegung 191 7.2.6.1.1 Die "Ndere Troupe" aus Uganda 192 7.2.6.2 Die Caritas der Diözese Innsbruck 193 7.3 Burkina Faso – Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit 194 7.3.1 Von den Anfängen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit in Burkina Faso 195 7.3.2 Wer ist Dr. Bruno Buchwieser? 195 7.3.2.1 In die väterlichen Fußstapfen 195 7.3.2.2 Vom Vorbild der Zunfthäuser zur "Österreichischen Jungarbeiterbewegung" 196 7.3.2.3 "Vaters Buchwieser" – ein Perpetuum mobile 197 7.3.2.4 Buchwieser als moderner Netzwerker 199 7.3.2.5 Soziales Engagement über die Grenzen Österreichs hinaus 200 7.3.2.6 Die ersten Burkinabe in Wien 201 7.3.2.7 Die österreichisch-burkinischen Beziehungen vertiefen sich ... 202 7.3.2.8 Ausbildungszentren in Mödling und Ouagadougou 203 7.4 Die "Austrian Development Agency" (ADA) in Ouagadougou 206 7.4.1 Kurzporträt der ADA 206 7.4.2 Relevanz von Theater innerhalb der OEZA-Projekte 207 7.4.3 Ergebnisse der ersten Anfrage vom Frühling 2002 207 7.4.3.1 Das Projekt GERN – ein anschauliches Fallbeispiel für "Theater der sozialen Intervention" 208 7.4.3.2 Wie kann die lokale Bevölkerung besser mit Informationen erreicht werden? 208 7.4.3.3 Die mittels Theateraufführung verfolgten Zielsetzungen seitens des Auftraggebers (Terme de référence – TdR) 209 7.4.3.4 Die szenischen Vorschläge seitens des Auftraggebers 210 7.4.3.5 Damit verbundene Auflagen seitens des Auftraggebers 211 7.4.3.6 Die Truppe "Trace Théâtre" 211 7.4.3.7 Arbeitsmethode von "Trace Théâtre" 212

6 7.4.3.7.1 Die Konzeption 212 7.4.3.7.2 Die Kreation des Stücks (die künstlerische Recherche) 213 7.4.3.7.3 Die Tournee (die Realisierung der Vorstellungen) 213 7.4.3.8 Verpflichtungen seitens der Theatertruppe 213 7.4.3.9 Verpflichtungen seitens des Auftraggebers 214 7.4.3.10 Von der Truppe formulierte Erwartungshaltung 214 7.4.3.11 Wurden die Erwartungen erfüllt? 214 7.4.3.12 Resümee 215 7.4.4 Ergebnisse der zweiten Anfrage vom Sommer 2008 217 7.4.4.1 Fragen-Antworten-Katalog 217 7.4.4.2 Auswertung der Antworten und Resümee 219 7.5 Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Burkina Faso 220 7.5.1 Kurzer Rückblick 221 7.5.2 Arten von (Selbst-)Hilfeorganisationen in Burkina Faso 222 7.6 Von Burkina Faso initiierte Kulturkooperationen 223 7.7 Resümee 223 8. Zusammenfassung und Ausblick 225 9. Literatur-, Internetquellen-, Abbildungs und Abkürzungsverzeichnis 235 10. Abstract 243 Dank an ... 244 Curriculum Vitae 245

7 Vorwort

"Fasten your seat belts" – Bitte anschnallen! Willkommen auf einer Reise in eine Welt, wo man vertraute Sehgewohnheiten und erprobte Herangehens- weisen am besten gleich bei der Einreise am Zollschalter am Flughafen Ouaga- dougou mit dem Einreiseformular mit abgibt, um den Kopf und das Herz frei zu haben für jene Momente und Eindrücke, die verwirren, schockieren, aber auch begeistern und verzaubern können in diesem Land:

Burkina Faso – "le Pays des Hommes intègres" ...

Reise in ein afrikanisches Land jenseits von Klischees und Krisen Während einer Reise nach Westafrika vor mehr als einem Jahrzehnt – hier im Speziellen Burkina Faso, Ghana, und Côte d’Ivoire – wurde ich neben dem kulturellen Reichtum dieser Länder in Form von Theater, Tanz, Musik, Film und Kunsthandwerk auch mit den Kehrseiten des afrikanischen Alltags wie weit verbreiteter Armut, Analphabetismus oder Kinderarbeit konfrontiert. Eines der Schlüsselerlebnisse auf meinem "theaterwissenschaftlichen" Weg im Rahmen dieser Reise war die Entdeckung des "Atelier Théâtre Burkinabè" (ATB) und die Begegnung mit seinem Leiter Prosper Kompaore in Ouagadou- gou, der Hauptstadt von Burkina Faso, dessen Hauptanliegen das Aufzeigen und Thematisieren von vor allem wirtschaftlich, soziokulturell und gesund- heitspolitisch bedingten Problemen der Gesellschaft mittels den Darstellungs- möglichkeiten einer Theaterform, die sich "Théâtre pour le Développement" nennt, ist, um das Publikum, die lokale Bevölkerung, neben dem hier nachran- gigen Aspekt der Unterhaltung primär zu bilden, zu sensibilisieren und aufzu- klären. Durch diesen in Burkina Faso allgemein stark ausgeprägten theaterpädagogi- schen Ansatz wurde eine grundlegende Neugier geweckt, mehr über das burkinische Theater, seine Rezeptions- und Wirkungsgeschichte als auch seine Beweggründe für dieses auf die sozialen Belange des Landes ausgerichtete Theater in Erfahrung zu bringen. Diese Arbeit soll deshalb den Blick für ein Land schärfen, das trotz Sklavenhandels, mehr als 70 Jahre andauernder Kolonialisierungsbestrebungen Frankreichs, Hungersnöte, trotz seiner hohen

8 Armut und der daraus vielfach resultierenden Probleme nie auf seine Identität und seinen kulturellen Reichtum vergessen hat – einen lebendigen Beweis liefern die zahlreichen Festivals in der Hauptstadt Ouagadougou, aber auch die Kulturaktivitäten in den einzelnen Provinzen von Burkina Faso. Auffallend ist auch die vielfältige Theaterlandschaft mit professionellen und nicht professionellen Theatertruppen und erwähnenswert scheint auch, dass es neben dem staatlichen Radiosender RTB (seit 1959) mehr als 18 private Radiobetreiber mit regionalen Ablegern in den Provinzen dieses Landes gibt. Allein in Burkina Faso leben ungefähr 60 Ethnien friedlich mit- und neben- einander, die die unterschiedlichsten Sprachen sprechen, wobei Französisch Amts- und Bildungssprache geblieben ist. Viele Burkinabe beherrschen aber, ohne je eine Schule besucht zu haben, mehrere Sprachen, die in den unter- schiedlichen Regionen ihres Landes vorzufinden sind – ein wohl häufig anzutreffendes Phänomen in den eher benachteiligten Regionen dieser Welt.

9 1. Einleitung

1.1 Gibt es "ein" afrikanisches bzw. afrikanisches Theater als solches? Wer den Versuch unternehmen will, afrikanisches Theater als Gesamtphäno- men einer wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen, dessen Vorhaben ist schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilt. In Anbetracht der Größe des Kontinents und seiner Vielzahl an Staaten und Bevölkerungsgruppen ist es un- möglich, von "einem afrikanischen Theater" als solchem zu sprechen, wenn, dann kann nur auf Teilaspekte bzw. einzelne Gebiete fokussiert werden, wie etwa Theaterstücke in anglophon dominierten afrikanischen Ländern oder tra- ditionelle Theaterformen in Togo oder Côte d’Ivoire. Hier wird es sich vermut- lich als hilfreich erweisen, sich einem System der Kategorisierung zu bedienen, wie es David Kerr2, Kees Epskamp3, Martin Banham4 und andere Wissen- schaftler in ihren Arbeiten bereits hinreichend getan haben, um der Mannig- faltigkeit des Theaterschaffens auf dem afrikanischen Kontinent gerecht zu werden. Um das Phänomen "Theater" in all seinen traditionellen wie auch gegenwär- tigen Erscheinungsformen in einem Land wie Burkina Faso erfahren und be- greifen zu können, muss auch ein Blick auf sein historisches und soziogra- phisches Werden, seine gesellschaftlichen Strukturen, seine kulturellen Codes geworfen werden. Ohne tiefer gehende Kenntnis dieser speziellen, nicht nur auf kultureller Ebene implizierten Codes bleiben viele Feinheiten, Zwischen- töne für den von außerhalb dieses – hier burkinischen – Systems kommenden, in diesem Fall europäischen Betrachter bzw. Forschenden im Verborgenen, im Unverstandenen. Ein zur Seite gestellter "Übersetzer", der diese oft geheimen, da nicht erkennbaren Botschaften für den Außenstehenden decodieren und in seine "Sprache" übersetzen würde, wäre mehr als wünschenswert für Arbeiten wie diese. In Ermangelung einer solchen wertvollen Person muss auf eigene

2 KERR, David (1995): African Popular Theatre from pre-colonial times to the present day. Studies in African literature. James Currey Ltd., London. 3 EPSKAMP, Kees P. (1989): Theatre in Search of Social Change. The relative significane of different theatrical approaches. Ceso Paperback No. 7. 4 BANHAM, Martin (1976): African Theatre Today. Pitman Publishing Ltd., London. BANHAM, Martin, HILL, Errol, and WOODYARD, George (o.J.): The Cambridge Guide to African and Carribean Theatre. Cambridge University Press.

10 Beobachtungen, Kontaktaufnahmen und Gespräche, vor allem aber auf viel Geschriebenes ausgewichen werden.

1.2 Einführung in das gewählte Thema – Fragestellungen im Überblick Die vorliegende Arbeit, die sich zwei Fragekomplexen widmet, versucht – neben einer einführenden sozioökonomischen und gesundheitspolitischen Zustandsbeschreibung des Landes, der Skizzierung eines nationalen Kultur- rasters und der Beschreibung des für die Herausbildung eines "Theaters der sozialen Intervention" unerlässlichen Kotèba, einer traditionellen Theatralisie- rungsform – als ersten großen Themenblock die unterschiedlichen Aspekte bzw. Mechanismen von Intervention, ob positiv oder negativ konnotiert, durch die Instrumentalisierung von Theater – die historisch bereits erfolgten Inter- ventionen zunächst in Form des "Theaters der Missionare", dann durch die von der unter dem Einfluss der französischen Kolonialverwaltung stehenden Schule des William Ponty in Gorée ausgehenden Impulse für das Theaterschaffen in Burkina Faso vor und nach der erlangten Unabhängigkeit im Jahr 1960 oder das in den letzten Jahrzehnten im Zuge des Demokratisierungsprozesses ver- stärkt von einer Vielzahl von burkinischen Theatertruppen praktizierte "Thea- ter der sozialen Intervention" – aufzuzeigen, indem die Annäherung an diese Thematik aus verschiedensten Blickwinkeln erfolgt. Während des Entstehens dieser Arbeit musste sich der zunächst nur auf das "Theater der sozialen Intervention" gerichtete Fokus zwangsweise seiner Scheuklappen entledigen, um zu erkennen, dass Intervention bereits in vieler- lei Gestalt das Theaterwesen in Burkina Faso maßgeblich beeinflusst und die- sen Theateransatz in seiner jetzigen Ausprägung begünstigt bzw. überhaupt möglich gemacht hat. So vielfältig wie die jeweiligen Interessengruppen The- ater als Interventionsmittel verwendet haben, so unterschiedlich sind ihre Ein- flussnahmen, Verweildauer und Auswirkungen. Damit verbunden tauchen Fra- gen nach dem Wieso, Weshalb und Warum auf. "Jouer pour développer" kann deshalb nicht nur als primäres und aktives (Theater-)Spielen verstanden werden, um sich zu entwickeln, zu erweitern, sondern auf den zweiten Blick auch im Sinn von passivem Spiel, um in eine bestimmte Richtung entwickelt zu werden. All diesen Fragen wird vor allem im theatergeschichtlich unter-

11 mauerten Teil nachgegangen, denn das Wissen um die auf das Land einwir- kenden Faktoren lässt ein differenziertes Bild eines instrumentalisierten Theaters überhaupt erst zu, nicht jedoch ohne zuvor einen einführenden Blick auf den generellen Ist-Zustand von Burkina Faso zu richten, um etwaige (Entwicklungs-)Defizite auszumachen. Der zweite große Fragen- bzw. Themenblock wendet sich der Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) zu, um prinzipiell zu untersuchen, in welche Richtung sich Entwicklungszusammen- arbeit entwickelt oder nicht entwickelt (hat) und wie viel oder wie wenig dem Faktor Kultur, im Besonderen dem Theater, und seinen Möglichkeiten in diesem Zusammenhang Beachtung geschenkt wurde und wird. Weiters wird hier der diesen zweiten Fragekomplex überhaupt aufwerfenden Schlüsselfrage auf den Grund gegangen, was nämlich Österreich, das in Afrika nie Kolonien besaß, eigentlich mit Burkina Faso zu tun hat und welcher Stellenwert dem Einsatz von Theater in OEZA-Projekten für das westafrikanische Land derzeit zukommt.

1.3 Erläuterungen arbeitstechnischer Methoden5 Aufgrund der in Österreich bis heute anhaltenden rudimentären Forschungs- lage zum gewählten Thema bestand die zwingende Notwendigkeit, im Rahmen eines durch ein 3-monatiges Auslandsstipendium ermöglichten Kurzaufent- halts selbst zu den Quellen meines wissenschaftlichen Interesses – zu Biblio- theken und Archiven diverser Einrichtungen, zu Schlüsselfiguren und Akteuren der burkinischen Theaterszene, zu Verantwortlichen im Ministerium für Kultur, Künste und Tourismus, zu Mitarbeitern des österreichischen Koordinations- büros für Entwicklungszusammenarbeit (ADA) und des Deutschen Entwick- lungsdiensts, zu theaterspezifischen Aktivitäten des Landes wie dem "Festival International de Théâtre pour le Développement" (FITD) etc. – zu reisen, um vor Ort, fast einem Detektiv gleich, in die im deutschsprachigen Raum noch kaum dokumentierte Welt des burkinischen Theaters einzutauchen. Auch wenn das Thema "Theater in Afrika", im Besonderen aber der diesbezügliche

5 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit als auch des Textumfanges wurde einerseits auf die Verwendung einer geschlechtergerechten Schreibweise als auch auf das Übersetzen französisch- sprachiger Passagen in dieser Arbeit verzichtet.

12 theaterpädagogische Ansatz "Theater for development" meist anglophoner afrikanischer Länder, in der letzten Zeit vermehrt eine wissenschaftliche Auseinandersetzung6 erfuhr, so blieb eine Suche nach Schlagwörtern im Gesamtkatalog des Österreichischen Bibliothekenverbunds bezüglich Burkina Faso und Theater bis zum Beginn dieser Arbeit ergebnislos. Die Literatur- recherche an den einzelnen, sich in der Hauptstadt Ouagadougou befindenden Institutionen wie der Bibliothek des Département de Lettres Modernes de l’Université de Ouagadougou (Abteilung Literatur), dem Ministère de l’art et de la culture (Kunst- und Kulturministerium), dem Ministère de la Communication (Ministerium für Kommunikation) sowie dem Centre Culturel Français Georges Méliès (CCF-GM – französisches Kulturinstitut) erwies sich hingegen nach anfänglichen bürokratischen Hindernissen im Frühjahr 2002 als äußerst umfangreich, konnten doch immerhin mehr als 15 für das zu bearbeitende Thema relevante wissenschaftliche Arbeiten (Diplomarbeiten, Dissertationen etc.) in ausschließlich französischer Sprache7 ausgehoben werden. Allerdings muss auch angemerkt werden, dass bei der Wiederaufnahme dieser Arbeit 2008 ein paar der damals bereits konsultierten Titel an denselben Orten nicht mehr auffindbar waren; in Anbetracht dieses Umstands ist es ratsam, wenn irgendwie möglich, eine sofortige Kopie von bereits aufgefundenem Material anzustreben, um nicht im Nachhinein den Verlust von eventuell sich als wert- voll erweisenden Forschungsergebnissen beklagen zu müssen. Neben diesen aufgrund des kurz bemessenen ersten Aufenthalts zeitintensiven und die Grundlage dieser Arbeit bildenden Literaturrecherchen kam es sowohl 2002 als auch 2008 während eines weiteren (6-monatigen) Aufenthalts zwecks Verfassen der vorliegenden Diplomarbeit zur Kontaktaufnahme mit verschiedenen für das Thema relevanten Personen, vor allem aber mit dem bereits 2002 von Österreich aus per E-Mail kontaktierten Leiter des "Atelier Théâtre Burkinabè" (ATB), Prosper Kompaore, und seiner Theatertruppe. Die intensive und sehr viel Einblick in den Arbeitsalltag dieses Theaterbetriebs

6 Siehe dazu: MINICHBERGER, Daniela (1998): Theatre for development in . Theater – ein Bildungsmedium in Afrika? Diplomarbeit an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakul- tät an der Universität Wien. Wien. SCHARZENBERGER, Dietlind (1996): Community Based Theatre. Funktionalität, Entwicklungs- und Rezeptionsgeschichte des Volkstheaters in Zimbabwe. Reihen- band 77. Beiträge zur Afrikanistik 58. Afro-Pub Wien. ZEDNICEK, Linda (2004): Entwicklungs- theater in Uganda: Strategie zur Aufklärung oder Unterhaltungsprogramm? 7 Das erklärt auch das fast ausschließliche Zitieren von Textpassagen auf Französisch.

13 gewährende Begegnung bildete den zweiten Schwerpunkt des ersten For- schungsaufenthaltes, wobei hier aber sofort angemerkt werden muss, dass eine umfassende Dokumentation und Analyse des in diesem Zeitraum gesam- melten Materials an anderer Stelle als dieser hier zu erfolgen hat, dennoch fließen Beobachtungen und Erfahrungswerte vor dem Hintergrund des afrika- nischen Alltags und seiner Widrigkeiten ein.

1.3.1 Dokumentation von Kontaktaufnahmen

Auf wissenschaftlicher Ebene Während dieser Forschungsarbeit kam es auch zu der einen oder anderen für das Thema relevant erscheinenden Kontaktaufnahme mit Fachleuten, die durch Kommunikationsmittel wie das Internet über Kontinente hinweg mit seiner Direktheit und Schnelligkeit erheblich erleichtert wurde. Eckhard Brei- tinger von der Universität Bayreuth lieferte Informationen zu weiterführender Literatur zum Thema "Theater for development", Joy F. Morrison von der Uni- versity of Alaska Fairbanks, die sich vor allem mit Forumtheater in Westafrika, im Speziellen in Burkina Faso, in den frühen 1990er Jahren auseinanderge- setzt hat, zeigte sich äußerst kooperativ und stellte auf Anfrage per Mail sofort ein paar ihrer Aufsätze zur Verfügung.

Auf Projektebene in Burkina Faso

"Service Allemande Développement" (DED) in Ouagadougou Auf die Frage, ob der "Theater for development"-Ansatz als Instrument zur Vermittlung von Entwicklungsinhalten auch innerhalb des Deutschen Entwick- lungsdiensts von Relevanz ist, antwortet Charlotta Saul, Koordinatorin des Sektors "Promotion de la Démocratie/Société Civile" in Ouagadougou, im Frühjahr 2008, dass der DED

"nie eigene Projekte/Programme durchführt, sondern als Personal- entsendeorganisation immer nur einheimische Partner in ihren Akti- vitäten begleitet oder aber in größeren EZ-Kooperationen mit deut- schen und internationalen Organisationen mitarbeitet. Insofern be- nutzen wir nie selbst/unmittelbar das Instrument 'Theater', sondern

14 bestenfalls unsere Partner. Andererseits ist aber auch richtig, dass eben viele von diesen einheimischen Partnerorganisationen immer wieder auf den Theater-Ansatz zurückgreifen und hier oft einiges an Erfahrung vorweisen können. Indirekt ist das Instrument also doch von Relevanz" (E-Mail vom 21. Jänner 2008).

Caritas Innsbruck International in Innsbruck, Tirol Verena Egger, Projektreferentin für Westafrika, verwies auf ein Projekt der Diözese Kaya, in welchem Theater eine wichtige Rolle in Hinblick auf die Sen- sibilisierung der Bevölkerung zum Thema "Brauchtum des Verstoßens von Frauen" spielt. Der mehrmalige Versuch der Kontaktaufnahme mit OCADES KAYA per E-Mail verlief im Sand.

"Austrian Development Agency" (ADA) – "Bureau de la Coopération pour le Développement" in Ouagadougou Die Kontaktaufnahme erfolgte mit Frau Elisabeth Sötz, Leiterin des Koordi- nationsbüros in Ouagadougou, über einen längeren Zeitraum und resultierte zum einen im Jahr 2002 in der Übermittlung eines Projektsberichts des Koor- dinators der Entwicklungswerkstatt Austria, das Theater in seinen Informa- tionskampagnen im Südosten des Landes verwendet, zum anderen im Früh- jahr 2008 in der Beantwortung eines Fragebogens, der im Kapitel "Die Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit" (S. 175) eingearbeitet wurde.

Auf Theaterebene

Troupe théâtrale "La Parole" Hier kam es neben einer auf mehreren Ebenen stattfindenden intensiven Aus- einandersetzung mit dem ATB zu einem Treffen mit dem Theaterleiter Lambert Zabré im Rahmen der Eröffnung seines Festivals "Théâtre de l’Evangélisation" in Ouagadougou im Frühsommer 2008 und ebenfalls zur Beantwortung eines Fragebogens, der im Kapitel "Theater der Evangelisierung" (S. 169) Beachtung findet, dessen Antworten allerdings zum Teil weiterführende Fragen aufwarfen, die aber trotz mehrmaliger E-Mail-Anfrage unbeantwortet blieben.

15

Abb. 1: Politische Übersichtskarte von Afrika (schraffierte Fläche = Burkina Faso)8

8 Quelle: BICIAB 2005, Ouagadougou.

16 2. Anstatt eines Länderprofils von Burkina Faso

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 19489

Artikel 4 [Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels] Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen Formen verboten.

Artikel 16 [Eheschließung, Familie] (2) Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenseinigung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.

Artikel 19 [Meinungsäußerung-, Informationsfreiheit] Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht umfasst die Freiheit, Meinungen unangefochten anzuhängen und Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Grenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.

Artikel 23 [Recht auf Arbeit, gleichen Lohn] (1) Jeder Mensch hat Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl, auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen Arbeitslosigkeit. (3) Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist.

Artikel 25 [Recht auf Wohlfahrt] (1) Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden gewährleistet, einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge; er hat das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter oder von anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel durch unverschuldete Umstände.

Artikel 26 [Recht auf Bildung] (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung. Der Unterricht muss wenigstens in den elementar- und Grundschulen unentgeltlich sein. Der Elementarunterricht ist obligatorisch. Fachlicher und beruflicher Unterricht soll allgemein zugänglich sein; die höheren Studien sollen allen nach Maßgabe ihrer Fähigkeiten und Leistungen in gleicher Weise offenstehen. (2) Die Ausbildung soll die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und die Stärke der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten zum Ziele haben. ...

Artikel 27 [Freiheit des Kulturlebens] (1) Jeder Mensch hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich der Künste zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Wohltaten teilzuhaben.

9 AMNESTY INTERNATIONAL ÖSTERREICH (2001): Menschenrechte unterstützen. Wien.

17 2.1 Einführung Die hier eingangs zitierten Grundrechte (von insgesamt 30) der von der Gene- ralversammlung der Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 verabschie- deten Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte mit der den Regierungen übertragenen Pflicht, diese zu respektieren und zu schützen, harren im kon- kreten Fall von Burkina Faso einer flächendeckenden und breitenwirksamen Umsetzung bzw. ihrer vollständigen Erfüllung. Auch wenn im einen oder anderen Bereich Bemühungen seitens der Regierung zu erkennen sind und Anstrengungen unternommen werden, dieser Verpflichtung nach- und den Missständen auf verschiedenen Ebenen beizukommen, ist das westafrikanische Land noch weit davon entfernt, um einen solchen Ist-Zustand, wie er hier von den Vereinten Nationen vorgegeben wird, in naher Zukunft zu erreichen.

Anstatt wie ursprünglich intendiert, hier eine detaillierte Einführung und Beschreibung von Burkina Faso und seiner historischen Entwicklung, seinen Bevölkerungsgruppen zu liefern, soll primär ein Bewusstsein für die burkini- schen Lebensbedingungen geschaffen und eine Vorstellung von jenen Proble- men vermittelt werden, mit denen die Bevölkerung tagtäglich konfrontiert wird und zu kämpfen hat, um in weiterer Folge nachvollziehen zu können, warum und weshalb das Theatermachen in einem Land wie Burkina Faso als geradezu soziale Verpflichtung begriffen wird, wenn sich Theatermenschen wie Prosper Kompaore, der Gründer und Direktor des "Atelier Théâtre Burkinabè", mit "Théâtre pour le Développement" seit über 30 Jahren in den Dienst ihres Lan- des stellen und in dieser Form des Theaters einen großen Hoffnungsträger für den Fortschritt ihrer Heimat und für eine Verbesserung der Lebensumstände sehen. Die Entscheidung, hier dem empirisch motivierten Ansatz den Vorzug zu geben, begründet sich auch durch die im deutschsprachigen Raum leicht zugängliche, bereits gut aufgearbeitete und mehrmals reproduzierte Literatur zu erstem Themenkomplex ("Land und Leute") im Gegensatz zu den vor Ort persönlich gesammelten Erfahrungen, die sich auch in der Bezugnahme auf in Burkina Faso veröffentlichte Forschungsergebnisse oder Berichte in der Me- dienlandschaft niederschlagen, die sonst ihren Weg vielleicht nicht so direkt

18 nach Europa finden würden (siehe dazu Kap. 7.2.5 "Entwicklung mit [Wis- sens]-Gewinn?").

„... Wissen, das am Wege, im Wege, auf dem Weg entsteht und sich dort bewähren muss. Nur dort kann es angeeignet werden. Es lässt sich nicht reproduzieren. Es muss erfahren werden.“10

Um sich dennoch ein wenig (auch geographisch) orientieren und auf das Land einstimmen zu können, gibt es nachfolgend eine kompakte, überblicksmäßige Zusammenfassung der Basisdaten von Burkina Faso, eine kurze geographische sowie soziökonomische Beschreibung des Ist-Zustands, aber vor allem eine ausführlichere Bestandsaufnahme der gesundheitspolitischen Situation, vor al- lem in Hinblick auf die Position der Frau, als auch einen historischen Schnell- durchlauf seit der Entstehung des Königreichs der Mossi im 15. Jahrhundert. Die historischen Ereignisse vor der Unabhängigkeit im Jahr 1960 werden sich ansatzweise in der Beschreibung der Theatergeschichte, die in dieser Arbeit mit dem Einmarsch der französischen Kolonialmacht beginnt, widerspiegeln.

10 GROENEVELD, Sigmar (1984): Agrarberatung und Agrarkultur. Texte. Gesamthochschul-Biblio- thek. Kassel. In: STANDLER, Karin (1993): Das Dorf Sané in Burkina Faso und seine Entwick- lungshilfe. Wie tief muss der Brunnen noch werden? Institut für Landschaftsplanung und Land- schaftspflege. Universität für Bodenkultur, Wien.

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Abb. 2: Administrative Einteilung von Burkina Faso in Provinzen11

11 Quelle: Jeune Afrique Atlases: Burkina Faso Atlas. Les Éditions J.A., Paris. 1998. S. 26.

2.2 Basisdaten auf einen Blick12

Staatsname Burkina Faso ("le pays des hommes intègres") – seit 1984, früher Obervolta Staatsgründung/Unabhängigkeit Ab dem 15. Jh. Mossi-Königreich Wogodogo, 1895–1960 französische Kolonie, ab 1947 als Territorium Obervolta, seit 5.8.1960 unabhängig Staatsform (Präsidial-)Republik Hauptstadt Ouagadougou (etwa 1.181.702 Einwohner)13 Verwaltungseinheiten 45 Provinzen (durch Hochkommissäre verwaltet) Staatsoberhaupt/Regierungschef Präsident Blaise Compaoré (nach Putsch 1987, wiedergewählt 1991 und 1998) Volksvertretung "Assemblée Nationale" mit 111 Sitzen, für jeweils 5 Jahre; "Chambre des Représentants" als 2. Kammer mit 178 für jeweils 3 Jahre ernannten Per- sönlichkeiten hat beratende Funktion Fläche 274.200 km2 Bevölkerung 2003: 13 Mio. (UN-Schätzung, EIU14 2003); Projektion 2015: 18,6 Mio. (UNDP15 2003) Bevölkerungswachstum 2002: 2,7 % (UNDP 2003) Bevölkerungsdichte 47 Einw./km2 Ethnische Zusammensetzung ca. 50 % Mossi, Fulbe/Peulh (10 %), Lobi/Dagara (7 %), Bobo (7 %), Mandé (7 %), Senoufo (6 %), Gourmantché (5–6 %), Gourounsi (5 %), Tuareg, Bissa (5 %), Samo (2 %) ... Sprachen Amts- und Bildungssprache Französisch; Moré (Mossi), Dioula und Ful als Umgangssprachen (insgesamt ca. 65 angewandte lebende Sprachen) Religion ca. 50 % Muslime, 10–20 % Christen (meist Katholiken), 30–40 % Anhänger traditional-afrikanischer Religionen Öffentliche Ausgaben für Bildung 3,6 % des BIP (1995–1997/UNDP 2002) bzw. 18,5 % des Budgets (1998–2001/EIU 2003) Alphabetisierungsrate 2001: 24,8 %; Frauen: 14,9 %, Männer: 34,9 %, (UNDP 2003) Öffentliche Ausgaben für das Gesundheitswesen 2000: 3 % des BIP (UNDP 2003) Lebenserwartung 2001: 46 Jahre (Frauen 47, Männer 45), (EIU 2003) Gesundheitsversorgung 2000: 29 % hatten Zugang zu Gesundheitsdiensten (UNDP 2003) Ernährung 1999–2001: 34 % der Kinder unter 5 Jahren sind unterernährt (UNDP 2003) Zugang zu sauberem Wasser 2000: 42 % (UNDP 2003); 2000: 29 % Zugang zu sanitären Einrichtungen (UNDP 2003) Human Development Index (HDI) 2007: 0,370 (Max. 1,0) 176. Rang von 177 (UNDP 2007) Bevölkerung unter der Armutsgrenze HPI-1 (Human-Poverty-Index): 2001: 58,6 % (UNDP 2003)

12 Die hier versammelten Basisdaten stützen sich auf das von der ÖFSE erstellte Länderprofil von Burkina Faso aus 2000 und 2004. In: LANGTHALER, Richard (2000): Burkina Faso. Länderprofil. Österreichische Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe (ÖFSE). Wien. S. 4–5. SLEZAK, Gabriele (2004): Länderinformation Burkina Faso. ÖFSE. Wien (Quelle: http://www.oefse.at/publika- tionen/laender/burkina.htm). 13 Ouagadougou zählt laut Volkszählung vom 9. Dezember 2006 1.181.702 Einwohner (Quelle: http://www.insd.bf/).

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2.3 Geographie Das seit der Kolonialzeit frankophone Burkina Faso, das keinen Zugang zum Atlantischen Ozean hat, liegt im Herzen Westafrikas auf einem breiten Plateau, das gegen den kargen Norden hin sich erhebt und gegen Süden abfällt. Die höchsten Erhebungen befinden sich in den Regionen von Banfora, Bobo- Dioulasso, Orodara, Gaoua, Yako und Kaya. Seine unmittelbar angrenzenden Nachbarländer sind im Norden und Westen Mali, im Nordosten Niger, im Süd- osten und im Süden Côte d’Ivoire, Ghana und Togo. Der früher als Schwarzer Volta bekannte Oberlauf des Mouhoun ist der einzig ständig was- serführende Fluss. Von Norden nach Süden gliedert sich die Landschaft in Bezug auf die Vege- tation und das Klima wie folgt in:

. eine stellenweise in Halbwüste (Sahelzone) übergehende Dornstrauchsavanne mit mehr als 260 Tagen Trockenzeit (September–Juni) und einer jährlichen Niederschlagsmenge von 400 bis 500 mm, . eine Trockensavanne mit 7 Trockenmonaten (Oktober–März) und Jahresnieder- schlägen um 850 mm und . eine Feuchtsavanne mit 5 Trockenmonaten (November–März) und Jahresnieder- schlägen von 1.000 bis 1.300 mm.

Das Klima wird durch zwei wesentliche Winde bestimmt: den Monsun in der Regenzeit und den omnipräsenten Harmattan in der Trockenzeit, dessen mit- gebrachter Sand in jede noch so kleine Ritze dringt und die Lebensqualität der Menschen erheblich beeinträchtigt. Von 1968 bis 1973 und 1984/85 kam es zu mehrjährigen Dürrekatastrophen, die auf internationaler Ebene eine Welle von Hilfsaktionen auslösten und in weiterer Folge für manche Organisationen16 die Entwicklungszusammenarbeit in Burkina Faso begründeten. Mit gezielter ländlicher Entwicklungspolitik (För- derung der Gebrauchsökonomie zur Selbstversorgung) könnte sich das west-

14 EUI = Economist Intelligence Unit. 15 UNDP = Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen. 16 Dies trifft z.B. auf die Caritas der Diözese Innsbruck zu, die seit der Dürre von 1973 zahlreiche Projekte in den Bereichen Wasser, Landwirtschaft, Bildung, Strukturhilfe, Nothilfe, Gesundheit, Flüchtlinge und Kinder finanziert hat. ÖFSE (2000): Burkina Faso. Länderprofil. Wien. S. 25.

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afrikanische Land in "guten" Regenjahren mit Nahrungsmitteln selbst versor- gen, allerdings verschlechtern sich die natürlichen Voraussetzungen für die Landwirtschaft zusehends: Neben dem bereits skizzierten heißen, trockenen und regenarmen Klima mit häufigen Dürreperioden stellen die kaum (mehr) fruchtbaren und rasch ausgelaugten Böden ein sich verschärfendes (Über- lebens-)Problem für die Bevölkerung dar. Neben den Hauptnahrungsmitteln17 Mais, Hirse, Sorgho, Reis, Fonio, Maniok, Yams, Süßkartoffeln und grünen Bohnen sind als Haupteinkommensquelle Baumwolle und Erdnuss zu nennen, Gold, Mangan und Phosphat gelten als Hauptbodenschätze, wobei die beiden Letzteren nur ansatzweise abgebaut werden. Die Burkinabe, von denen die Hälfte der Bevölkerung sich unter der Armuts- grenze18 befindet, leben zu 90 % von dieser Subsistenzlandwirtschaft, die durch Bodenerosion (Desertifikation/Dürren/Landflucht), schlechte Infrastruk- tur und Wassermangel erschwert wird, nur 40 % der Bevölkerung haben Zu- gang zu sauberem Trinkwasser. Zudem stellen die durch das rapide Bevölke- rungswachstum und den Siedlungsdruck einhergehende massive Abholzung und der Wanderhackbau mit Brandrodung eine Gefahr für die kaum vorhande- nen Wälder dar, die gemeinsam mit der Übernutzung bzw. Überweidung der Böden zur Erosion der dünnen Humusschicht führen, die vom Wind abgetragen oder während der drei- bis viermonatigen Regenzeit abgespült wird. Trocken- gebiete und Wüsten schreiten daher langsam, aber stetig fort, die Wasser- ressourcen verknappen sich. Die Regierung versucht diesen Problemen mit Anti-Erosionsprogrammen im großen Maßstab wie beispielsweise der Errich- tung von Wasserrückhaltebecken und einer nachhaltigen Wiederaufforstungs- politik zu begegnen.

17 Union Economique et Monétaire Ouest Africaine – UEMOA, Stand 2006. 18 "Laut UNDP-Bericht 2003 lebten 2001 58,6 % der ca. 13 Mio. Einwohner mit einem Jahresein- kommen von 82.672 FCFA (34 Cents/Tag) unter der Armutsgrenze. Die Halbierung der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen bis zum Jahr 2005 wurde als Oberziel beim UN-Gipfel 2000 festgelegt. Bei der Erreichung dieser Zielsetzung kommt der Entwicklungszusammenarbeit eine große Bedeutung zu, mit Hilfe der langfristigen Unterstützung seitens der internationalen Gebergemeinschaft konnte die Einschulungsrate von 4% auf rund 44% gehoben, ein Rückgang der HIV/AIDS-Infizierten von 7,17% auf 6,5% erreicht, 90% des Trinkwasserbedarfs gedeckt und eine Überproduktion in der Landwirtschaft erzielt werden" (Quelle: http://www.oefse.at/ publikationen/laender/burkina.htm).

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2.4 Aktuelle sozioökonomische und gesundheitspolitische Situation Burkina Faso nimmt als eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt laut "Human Development Index" (HDI – Index der mensch- lichen Entwicklung)19, wie den Basisdaten entnommen werden kann, den mitt- lerweile vorletzten Platz vor Sierra Leone ein, d.h., es zählt somit zu jenen Ländern der Welt, die in Bezug auf materiellen Lebensstandard, Lebens- erwartung bei Geburt als auch auf den Bildungsstand (Alphabetisierungs- und Schulbesuchsrate) am schlechtesten abschneiden. Der Gesundheitsbereich ist vor allem durch eine generell hohe Morbidität und Sterblichkeit, besonders in Bezug auf jene der Mutter und des Kindes, gekenn- zeichnet und teilweise dem quantitativen und qualitativen Mangel der gesund- heitlichen Abdeckung zuzuschreiben. Das Personal im Gesundheitswesen teilt sich folgendermaßen auf die Bevölke- rung auf:

• 1 Arzt für 29.000 Einwohner • 1 Hebamme für 28.000 Frauen • 1 Krankenschwester für 8.500 Einwohner • 1 Geburtshelfer für 123.799 Frauen im zeugungsfähigen Alter • 3 Krankenhausbetten für 10.000 Einwohner • 1 Chirurg für 483.736 Einwohner • 3 Krankenhausbetten für 10.000 Kranke

Die gesundheitlichen Grundstrukturen sind im Vorsorgebereich rudimentär, auch Nottransporte sind aufgrund mangelnder Ambulanzen kaum durchführ- bar.

19 Dieser Index, der erstmalig 1990 vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen vorge- legt wurde – davor wurde nach Pro-Kopf-Einkommen beurteilt –, zeigt grob den Vergleich der Lebensbedingungen in verschiedenen Staaten an. Neben dem Maß für materiellen Lebensstan- dard werden die Lebenserwartung bei Geburt als auch der Bildungsstand berücksichtigt, Letzte- rem liegt wiederum die Alphabetisierungsrate, die im Weiteren durch die Schulbesuchsrate er- gänzt wurde, zugrunde. Der aus diesen 3 Größen auf dem Index basierende Wert liegt zwischen 0 und 1 (1 ist der bestmögliche). Er sagt nichts über Menschenrechtsverletzungen, soziale Un- gleichheit oder Randgruppen aus. Aufgrund der zeitverzögerten Erhebung und Berechnung der vielen Einzelwerte bezieht sich der HDI-Stand immer auf das Vorvorjahr, die hier beschrie- benen HDI-Werte gelten also für 2005.

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2.4.1 Welcher Art sind die Probleme, mit denen man in Burkina Faso diesbezüglich konfrontiert wird? Neben den unter anderem aus den Faktoren Armut20 und geographische Lage resultierenden Krankheiten wie Malaria, Gelbfieber, Meningitis, Tuberkulose, AIDS, Flussblindheit, Bilharziose etc., neben schlechten hygienischen Verhält- nissen, Unterernährung oder dem Mangel an bzw. dem fehlenden Zugang zu sauberem Trinkwasser sind noch andere Faktoren zu nennen, die eine zum Teil schwere Missachtung der eingangs zitierten Grundrechte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte darstellen und deren konsequente Bekämpfung bzw. Eliminierung seitens der Regierung als auch zahlreicher Organisationen seit einigen Jahren oberste Priorität zukommt. Vor allem im Bereich von Kin- dern und Jugendlichen sind zahlreiche Missstände und -bräuche auszumachen: von Kinderprostitution über Kinderhandel bis hin zu Kinderarbeit und moder- ner Sklaverei. Bei Letztgenanntem kommen vor allem Mädchen21 ab dem Alter von 7 Jahren bzw. junge Frauen zu Familien mit meist verwandtschaftlichem Verhältnis in die Stadt, wo sie für Kost, Logis und eine Art "taschengeld"- ähnliche Bezahlung – ca. 10.000 CFA pro Monat22 – 14 h und mehr am Tag für Arbeiten im Haus und Hof eingesetzt werden. Ein anderes stark zunehmendes Phänomen sind die zahlreichen Straßenkinder, hier vor allem in den Ballungs- zentren und meist männlich: Buben (oft schon mit 6 oder 7 Jahren, manchmal noch jünger) werden von ihren finanziell überforderten Eltern in Koranschulen

20 Die Kosten zur Beseitigung der extremen Armut würden laut Berechnung des Entwicklungs- programms der UNO (UNDP) nur 1 % des Welteinkommens ausmachen und die schlimmsten Formen von Armut könnten innerhalb einer Generation beseitigt werden. Dies würde den Zu- gang zu grundlegenden sozialen Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit, Ernährung, Trink- wasserversorgung und sanitäre Einrichtungen sichern. Bis heute fehlt es aber am politischen Umsetzungswillen der Industrienationen, diese 1-%-Hürde zu nehmen. Das muss man sich vor Augen führen, dass nur 1 % des Welteinkommens einen Großteil der Menschen von einem Le- ben in Würde, ohne Hunger und Durst sowie Existenzdauerangst trennt. MBWISI-HENÖKL, Birgit, SCHNEIDER, Renate (2003): Die andere Perspektive. Gegen Armut und Ausgrenzung. Südwind Aktuell 4. S. 2 f. 21 Meines Erachtens kann dies aber nicht mit der Nichtenpflegschaft der Lyela verglichen bzw. gleichgesetzt werden, auch wenn sich dieses System vielleicht daraus entwickelt haben könnte. Die Lyela gehören zum Volk der Gourounsi und weisen viele Parallelen in ihren gesellschaft- lichen Gepflogenheiten mit den Mossi auf. Das System der Nichtenpflegschaft erklärt sich in der Aufnahme einer jungen Nichte im Alter von 7 bis 12 Jahren oder eines anderen im verwandt- schaftlichen Verhältnis stehenden Mädchens durch eine verheiratete Frauen zur Verrichtung von Hausarbeit. Die Tante muss für ihre Erziehung, Versorgung und Verheiratung sorgen (oft mit dem eigenen Ehemann oder einem Mann aus dem Clan, um die verwandtschaftlichen Bezie- hungen zu festigen), manchmal bleiben die Mädchen bis nach der Geburt ihres ersten Kindes im Haushalt der Tante und pflegen diese dann auch im Alter. Vgl. HANAK, Ilse (1995): Frauen in Afrika: "Ohne uns geht gar nichts!". Brandes & Apsel, Frankfurt – Südwind, Wien. 22 10.000 CFA = 15,24 Euro.

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geschickt, in der Hoffnung die Lehren des Korans zu lernen und versorgt zu sein, stattdessen müssen sie aber für ihren "Marabout" betteln gehen; bringen sie nichts nach Hause, haben sie mit verschiedensten Formen der Bestrafung zu rechnen: Essens- und Schlafentzug, Schläge etc. Obwohl es vor allem unter dem charismatischen Staatschef Thomas Sankara in den 1980ern zu zahlreichen Verbesserungen im Gesundheitssystem – Er- richtung von Basisgesundheitsposten auf dem Land sowie von 5 Spitälern in den Städten und in weiterer Folge groß angelegte Impfkampagnen, Program- me gegen Flussblindheit und HIV/AIDS als auch eine bessere Versorgung mit sauberem Wasser – kam, steckt die ländliche elementare Gesundheitsversor- gung in den Kinderschuhen, meist wird bzw. muss aus Mangel an Alternativen auf die traditionelle Heilkunst rekurriert werden. Wie auch auf anderen Ebenen (Bildungs- und Kulturbereich) tritt auch hier der eklatante Unterschied zwi- schen Land und Stadt zutage: Konsequent betriebene Familienplanung als auch Erfolge im Kampf gegen die weibliche Beschneidung haben in den Städten zu einer veränderten Rolle der Frau innerhalb der Gesellschaft geführt.

2.4.2 HIV/AIDS

"AIDS wirkt sich auf die individuelle Lebensweise aus und betrifft auch das Schließen von Freundschaften und die Spontaneität, die in einem Großteil der afrikanischen Gesellschaft noch sehr wichtig ist, weil es wenig Arbeit und wenig Geld gibt. Wir stehen einem emo- tionalen Schock gegenüber, und es ist sicherlich der schlimmste Schock, dem die Afrikaner seit dem Sklavenhandel ausgesetzt waren."23

23 BUGNICOURT, Jacques: Jugend und AIDS in Afrika. In: Wiener Institut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit (1994): Die sozioökonomischen Dimensionen von AIDS. Seminar-Bericht. Wien. S. 21.

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2.4.2.1 Infektion mit HIV24 Im Jahr 1986 hat Burkina Faso offiziell die Existenz der Infektion durch AIDS anerkannt, indem es seine ersten 26 diesbezüglichen Fälle an die Weltge- sundheitsorganisation kommunizierte. 1994 belief sich das Auftreten von HIV/ AIDS auf 7,3 % bei schwangeren Frauen und auf 7,17 % bei der burkinischen Gesamtbevölkerung, Burkina nimmt damit den 3. Platz jener Länder West- afrikas ein, die am meisten von AIDS betroffen sind. Zu Beginn des 3. Jahr- tausends liegen die Erwartungen bei einem mittleren Auftreten von AIDS bei 10 %. Die Lebenserwartung bei der Geburt ist durch die HIV-Pandemie von 52,2 Jahren auf 47 Jahre gefallen. Hauptursachen von AIDS sind Verhaltens- und soziale Faktoren wie:

• schwacher Gebrauch von Schutzmethoden gegen sexuell übertragbare Infektionen • Der große Anteil der Erwachsenen hat mehrere Partner. • Das Netz der sexuellen Partner vergrößert sich im Besonderen durch reisende oder umherziehende Personen (Wanderarbeit, Tourismus). • Abhängigkeit der Frauen in der Ehe oder in der Zwangsheirat • Prostitution • erzwungene sexuelle Beziehungen

2.4.2.2 Auswirkungen von AIDS auf Wachstum, Entwicklung und ländlichen Sektor Die Hauptfaktoren, die auf die eine oder andere Art zu einer erhöhten Armut im Bereich Mikrowirtschaft beitragen – hier müssen auch die Auswirkungen von AIDS mit berücksichtigt werden –, sind:

• Reduzierung des häuslichen Einkommens • Anstieg der Ausgaben für Gesundheit (Schwierigkeiten der Kostenübernahme, finanzielle und geographische Erreichbarkeit von antiretroviralen Arzneimitteln) • verminderte Produktivität der Arbeitsleistung • Erschöpfung der familiären Wirtschaft (einkommenslose Witwen) • Auslagerung der haushaltlichen Pflichten (Verlust der Rolle als Mutter) • Erhöhung der Zahl der Waisen • Zerstörung der gemeinschaftlichen Solidarität

24 OUEDRAOGO, Charlemagne (2007): La santé de la femme burkinabé. In: Ministère de la Promotion de la femme (Jänner 2008): CIFRAF Infos. Nr. 007. Semestriel du Centre d’Information, de Formation et de Recherche-Action sur la femme (CIFRAF).

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Die Frauen leisten mehr als 50 % der landwirtschaftlichen Arbeit. AIDS greift direkt diese erste Ressource an. Es untergräbt die körperliche Kraft der kran- ken Frauen und saugt die Zeit und die Energie jener auf, die noch nicht damit infiziert sind. Die Produktion reduziert sich daher auf allen Ebenen. Die Regierung, die sich der zunehmenden Verbreitung durch AIDS bewusst ist, hat einen "Conseil de lutte contre le SIDA" (CNLS) und gegen Geschlechts- krankheiten eingerichtet, der vor allem auf die Prävention und die Behandlung von Fällen abzielt. Die gesetzten Aktionen im Bereich Prävention sollen alle Frauen informieren und unterweisen. Für bereits mit AIDS infizierte Betroffene leisten das Gesundheitsministerium durch den CNLS und mehrere damit befasste NROs folgende Hilfestellungen:

• Information und Entscheidungshilfe von Frauen betreffend ihre zukünftige Mutterschaft • Angebot einer medizinischen, sozialen, psychologischen und materiellen Unterstützung • vorausschauende Betreuung von AIDS-Waisen • finanzielles Verstärken der Recherche der AIDS-Problematik in Bezug auf Frauen, Mütter und Kinder • Bereitstellen von leistbaren AIDS-Medikamenten

Im Kampf gegen die Krankheit AIDS geht es primär um Aufklärung, um den Beistand für Betroffene und ihre Angehörigen, gleichzeitig aber auch um die Sensibilisierung der Gesellschaft generell, die AIDS-Kranke isoliert und aus- schließt ("sozialer Tod"25).

2.4.3 Hauptprobleme im Bereich Frauengesundheit Charlemagne Ouedraogo schreibt in seinem Aufsatz "La santé de la femme burkinabé", dass die Situation im Bereich Frauengesundheit besorgniserre- gend sei, die durch die Armut und die soziale Misere noch verschärft werde.

25 NÖSTLINGER, Christiana: Österreichische AIDS-Politik und die Rolle der NGOs. In: Wiener Insti- tut für Entwicklungsfragen und Zusammenarbeit (1994): Die sozioökonomischen Dimensionen von AIDS. Seminar-Bericht. Wien. S. 14.

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Die Hauptgesundheitsprobleme lassen sich in mehreren Punkten zusammen- fassen:

• widrige Umweltverhältnisse in Bezug auf die Gesundheit von Frauen • weibliche Genitalverstümmelung • Problem der Sterblichkeit von Müttern26 • Komplikationen während der Schwangerschaft • Pandemie der Infektion HIV • andere gynäkologische Krankheiten, wovon der Gebärmutterhalskrebs die wichtigste ist

Erschwert wird die ohnehin angespannte Situation im Gesundheitsbereich durch das Festhalten an gewissen traditionellen Gepflogenheiten in Bezug auf die Gesundheit der Fortpflanzung und im Besonderen auf jene der Frau:

• nicht gerechtfertigte Ernährungsverbote während der Schwangerschaft • weibliche Genitalverstümmelung • Praxis des Levirats • sexuelle Unterordnung der Frau • vorzeitige Heirat oder Zwangsheirat • heimliche oder legale Polygamie

Im Kampf gegen Gewalt an Frauen und Mädchen im familiären Bereich stehen weiters folgende Verstöße auf der Tagesordnung: Schläge und Verletzungen, Beleidigungen, Stigmatisierungen, Ausschluss der jugendlichen unehelichen Mutter, das Verstoßen (sehr oft von alten Frauen), das Beschuldigen von Hexerei, das Bevorzugen des Jungen gegenüber dem Mädchen etc. Basierend auf den letzten Statistiken unterstreicht die Gouverneurin der nörd- lichen Zentralregion, Fatimata Legma, dass sich in ihrem Geltungsbereich die geschätzte Bevölkerung auf 1.203.073 Einwohner beläuft, davon stellen die Frauen 53 %. Trotz dieser zahlenmäßigen Bedeutung bleibt die Frau eine

26 Eine burkinische Frau bringt im Durchschnitt 7,1 Kinder auf die Welt und das in oft sehr kurzen und den Körper stark belastenden Abständen.

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"eternelle étrangère"27 (eine ewige Fremde bzw. Außenseiterin), die keinen Zugriff auf Boden, Technologie oder Entscheidungen hat. Von 28 Bürgermeis- terämtern der Region ist kein einziges von einer Frau besetzt. Im Bereich familiäre Gewalt bleibt das Mädchen weiterhin Opfer der Beschneidungspraxis, mehr als 60 Fälle 2007, mehr als 101 Fälle, davon 52 Fälle in der Provinz von Sanmatenga, im Bereich der Zwangsheirat, 30 Mädchen wurde von den "Sœurs de l’Immaculée Conception" in Kaya Aufnahme aufgrund von Zwangs- heirat gewährt. Jeden Tag werden täglich mehr als 10 Frauen wegen Hexerei oder Schwangerschaft entehrt oder verbannt.

"Les mythes qui entourent ces pratiques et l’obligation de silence qui s’impose souvent aux victimes rendent ces chiffres insignifiants par rapport à la realité ... la lutte contre les violences à l’égard des femmes et des jeunes filles est une quête permanente et un combat de longue haleine."28

Um diese Gewalttätigkeiten künftig zu unterbinden, müssen der Zugang der Frauen zu Bildung und Alphabetisierung gestärkt und ihre wirtschaftliche Un- abhängigkeit begünstigt werden. "L’espoir est permis ... dans la foi au change- ment des mentalités", meint die zuständige Ministerin für die Förderung der Frau, Cèline Yoda. Hinzu kommt, dass viele Menschen, vor allem aber Mädchen und Frauen, nicht um die Wahrnehmung ihrer Rechte und Möglichkeiten Bescheid wissen und damit menschenrechtsverletzenden (traditionellen) Praktiken wie weiblicher Genitalverstümmelung ausgesetzt sind, obwohl bereits institutionelle Voraus- setzungen in Form von Programmen wie beispielsweise "Stärkung von Men- schenrechten und sexueller Gesundheit"29 geschaffen wurden, die zur Aufklä- rung, Stärkung und zu mehr Selbstbewusstsein beitragen sollen. Frauen, die

27 TANOU, Sarah – DCPM/MPF (2007): Promotion de la femme. Les acteurs s’engagent à lutter contre les violences faites aux femmes en milieu familial. S. 15. In: Ministère de la Promotion de la femme (Jänner 2008): CIFRAF Infos. Nr. 007. Semestriel du Centre d’Information, de Formation et de Recherche-Action sur la femme (CIFRAF). 28 Ebd. 29 "Stärkung von Menschenrechten und sexueller Gesundheit" ist ein von der Deutschen Gesell- schaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH initiiertes Programm (2004–2015) im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Quelle: http://www.gtz.de/de/praxis/8829.htm).

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einen solchen Prozess der Bewusstwerdung durchlaufen, können sich für den Schulbesuch ihrer Kinder starkmachen, die Beschneidung ihrer Töchter verwei- gern und ihre Kinder vor Kinderhandel und Kinderarbeit schützen. Durch die Anwendung moderner Methoden der Familienplanung können sie sich und ihre Partner vor HIV/AIDS schützen. Sie wissen weiters um ihre gesetzlichen Rech- te, ihren Anspruch auf Nutzung von Ackerboden, ihr Erbrecht und ihr Recht auf Mitentscheidung in Sachen Familie.

2.4.3.1 Weibliche Genitalverstümmelung30 ("mutilation génitales féminines" – MGF) Als eines der Hauptprobleme im Frauengesundheitsbereich in Burkina Faso wird die weibliche Beschneidung bzw. weibliche Genitalverstümmelung ange- führt. Zum besseren Verständnis belegen folgende aktuelle Zahlen trotz be- reits laufender Aufklärungskampagnen die Dringlichkeit des Problems: Im Jahr 2007 (September–Oktober) wurden mehr als 60 Mädchen genitalverstüm- melt: 5 in Bobo-Dioulasso, Sektor 21 (Region Hauts Bassins), 24 in Tougouri (nördliche Zentralregion), 5 in Nouna (bei Mouhoun), 20 in Pabré (Zentral- region) und weitere 20 in Gogo (südliche Zentralregion). Die weiblichen Genitalverstümmelungen, allgemein als weibliche Beschneidung bekannt, bestehen im Abschneiden der gesunden externen Genitalorgane der Frau (Klitoris, kleinen und großen Schamlippen), die häufig angewandten tra- ditionellen Praktiken entsprechen. Diese genitalen Verstümmelungen ebenso wie die Ernährungstabus wirken sich verheerend auf die Gesundheit der Frau- en und Kinder aus. In Burkina Faso schätzte Hosken 1978 70 % der Frauen als Opfer von MGF ein. Anbetracht dieses Ausmaßes hat das Land 1983 diverse Aktionen zur Aus- rottung dieser Praktik gestartet. Alle unternommenen Aktionen setzten die Sensibilisation ein, die aber nicht die erhofften Resultate erzielte. 1990 wurde ihre Verbreitung auf 80 % eingeschätzt. 1993 belief sich ihr Vorkommen im städtischen Bereich auf 88,2 % bzw. auf 72,7 % für die Altersstufen von 20

30 Die hier präsentierten Ergebnisse basieren auf zwei Forschungsberichten aus Burkina Faso: TANOU, Sarah – DCPM/MPF (2007): Promotion de la femme. Les acteurs s’engagent à lutter contre les violences faites aux femmes en milieu familial. S. 14. OUEDRAOGO, Charlemagne (2007): La santé de la femme burkinabé. In: Ministère de la Promotion de la femme (Jänner 2008): CIFRAF Infos. Nr. 007. Semestriel du Centre d’Information, de Formation et de Recherche-Action sur la femme (CIFRAF).

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bis 24 Jahre und 12 bis 14 Jahre. Die Gründe für das Festhalten an dieser Tra- dition sind komplex und entspringen einerseits einem soziokulturellen Gebot mit doppeltem Boden des Verkennens der Physiologie des weiblichen Genital- apparates und andererseits jenem mit bestimmten religiösen Vorschriften. Es wird in diesem Zusammenhang aber von Ouedraogo festgehalten, dass be- stimmte positive traditionelle Praktiken wie das Stillen sich trotz vielfältiger sozialer Umwälzungen erhalten haben, wobei die Beibehaltung des Stillens wohl mehr einem rein auf Gebrauchsökonomie ausgerichteten Handeln der Frauen entspringen und in den vorgegebenen Lebensumständen zu suchen sein dürfte.

2.4.3.2 Die mütterliche Sterblichkeit Das ist jener Indikator, der am besten den Abstand der Entwicklung von den reichen zu den armen Ländern verdeutlicht. Die mütterliche Sterblichkeitsrate in Burkina Faso rangiert unter den höchsten der Welt. Sie wird mit 484 auf 100.000 Lebendgeburten geschätzt. Im Krankenhausbereich übersteigt diese Rate 4.000 auf 100.000 Lebendgeburten. Diese dramatischen Werte sind auf komplizierte Fälle wie Blutungen, Infektionen, Dystokie, Abtreibungen und Anämien zurückzuführen und stellen auch heute noch die Hauptgründe für die mütterliche Sterblichkeit dar. Neben diesen Gründen tragen weitere bestim- mende Faktoren zur Müttersterblichkeit bei:

• Das niedrige sozioökonomische Niveau von Familien vor allem aus dem ländlichen Bereich: Diese können in den meisten Fällen die finanziellen Mittel für die Kosten prä- und postoperativer Behandlungen nicht aufbringen. • Nichtverfügbarkeit von notwendigen Produkten • Der Mangel an Blut in den burkinischen Blutbanken (hauptsächlich begründet durch die HIV-Pandemie) macht Transfusionen im Notfall unmöglich.

Bestimmte Faktoren begünstigen dieses mütterliche Drama: frühzeitige, späte, zahlreiche und zeitlich dicht aufeinanderfolgende Schwangerschaften sowie die Nichterreichbarkeit von Gesundheitseinrichtungen. Weniger als 30 % der Ent- bindungen werden unterstützt und weniger als 40 % der schwangeren Frauen kommen zur pränatalen Untersuchung.

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2.4.3.3 Andere Komplikationen der Mutterschaft Neben Komplikationen bei unter schlechten Bedingungen durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen (das vorsätzliche Abtreiben31 ist in Burkina Faso illegal), Komplikationen bei der Geburt sowie Anämie, Blutungen und Eklamp- sie müssen auch die Folgen einer vorzeitigen Sexualität bei Jugendlichen in Burkina Faso festgehalten werden: frühzeitige Schwangerschaft (negativer Impact auf den Schulbesuch der Mädchen, Risiko des sozialen Ausschlusses sowie des heimlichen Schwangerschaftsabbruches), erhöhtes Sterblichkeits- risiko bei Schwangerschaftsabbruchkomplikationen (52 auf 1.000), übertrag- bare Geschlechtskrankheiten ("maladies sexuellement transmissibles" – MST) und AIDS.

2.4.4 Kinder und Jugendliche Die häufigsten Ursachen für die hohe Kinder- und Jugendsterblichkeit32 sind epidemische Krankheiten wie Malaria, Infektionskrankheiten, Diarrhö oder Un- terernährung. Während der Schwangerschaft und der Geburt kommt es nicht in ausreichendem Maß zu einer körperlichen Schonung und zu einer ausgewo- genen Ernährung seitens der Mutter, die sich nachteilig auf die Entwicklung des Kindes auswirken. Charlemagne Ouedraogo plädiert für drastische Präven- tionsmaßnahmen im Gesundheitsbereich, um die Gesundheit vor allem von Frauen, Mädchen und Kindern, die in Burkina Faso zu den eindeutig benach- teiligten Bevölkerungsgruppen gehören, dauerhaft zu gewährleisten:

1. Verbesserung der Lebensbedingungen 2. Angebot einer angemessenen Erziehung im Familien- und Sexualbereich 3. Förderung der Rechte der Frau (Beseitigung von Hindernissen, die Frauen den Zugang zu Information und Gesundheitseinrichtungen erschweren, Erweiterung ihres Aktionsradius, im Besonderen der sozialen Bedingungen der weiblichen Jugend- lichen, der Schulpflicht, der Möglichkeiten zur Erlangung von Kompetenzen, des Zugangs zu einem Einkommen und zu anderen Ressourcen)

31 Allerdings ist die "Pille danach" bei ungewollter Schwangerschaft in Apotheken bereits erhält- lich. 32 Kindersterblichkeitsrate: 105,3 auf 1.000, Jugendsterblichkeitsrate: 219 auf 1.000, perinatale Sterblichkeitsrate: 43 auf 1.000. In: OUEDRAOGO, Charlemagne (2007): La santé de la femme burkinabé. In: Ministère de la Promotion de la femme (Jänner 2008): CIFRAF Infos. Nr. 007. Semestriel du Centre d’Information, de Formation et de Recherche-Action sur la femme (CIFRAF).

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2.5 Das Bildungswesen Der Schulbesuch in Burkina Faso, vor allem auf dem Land, wird durch mangel- haft ausgestattete Einrichtungen, aufgrund der großen Klassen (60 Kinder und mehr in einer Klasse) überforderte, aber auch schlecht ausgebildete Lehrer, weite Wege (oft mehr als 2 h dauernde Fußmärsche), Schulgeld und Hunger- perioden erschwert. Dabei muss primär festgehalten werden, dass es sich in Burkina Faso um die Übernahme bzw. den Import des französischen Bildungs- systems handelt. Der Unterricht erfolgt wie sämtliche Verwaltungsgesetze, Gerichtsentscheidungen oder die offizielle Presse in französischer Sprache, wie es in der Konstitution von Burkina Faso vereinbart ist. Französisch bleibt also im Erziehungs-, Informations- und Kommunikationssystem die dominante Sprache neben 65 anderen lebenden Sprachen.

2.5.1 Bildung als Entwicklungsziel – Schulwissen versus Erfahrungs- oder Subsistenzwissen Karin Standler geht in ihrer Diplomarbeit "Das Dorf Sané in Burkina Faso und seine Entwicklungshilfe. Wie tief muss der Brunnen noch werden?"33 auf die Auswirkungen dieses übergestülpten Bildungssystems, das in Bezug auf die Einrichtung Schule mit der Vermittlung von Werten wie Disziplin, Fleiß und Pünktlichkeit einhergeht und das auf Unterrichtsmaterialien (Lehrbücher, -plä- ne), die zum Teil noch immer aus der Kolonialzeit stammen, aufbaut, ein und spricht in diesem Zusammenhang von einem Prozess der Entmündigung.

"Auch wenn die Schule ein Wunsch der Bevölkerung war, ist es an der Zeit aufzuzeigen, dass der Prozess der Entwertung des eigenen Bildungssystems bereits verinnerlicht ist und der Glaube daran ab- handen gekommen ist. Entmündigung heißt den Mund (die Sprache) wegnehmen (vgl. Etymologisches Wörterbuch). 'More', die Sprache der Mossi, wird nicht mehr im Unterricht gesprochen. Jeder Dorf- schullehrer, der mit französischen Lehrbüchern unterrichtet, trägt zu

33 STANDLER, Karin (1993): Das Dorf Sané in Burkina Faso und seine Entwicklungshilfe. Wie tief muss der Brunnen noch werden? Institut für Landschaftsplanung und Landschaftspflege. Universität für Bodenkultur, Wien. S. 63.

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diesem 'mundtotmachenden Prozeß' (vgl. Groeneveld 1984: 100) bei."34

Das importierte Bildungssystem der Schulen wird jener tradierten Bildung gegenübergestellt, die sich am Erfahrungswissen der Dorfälteren orientierte und ein Lernen an Vorbildern implizierte. Durch lebenslange Aneignung mit dem tieferen Sinn des Überlebens wird dieses "Erfahrungs- oder Subsistenz- wissen" zum subjektiven Lernstoff, das in krassem Kontrast zu jener Wissens- vermittlung steht, die innerhalb kürzester Zeit von jemand außerhalb dieses (Überlebens-)Systems Stehenden vermittelt wird. Das Schulwissen als objekti- ver Lernstoff ist eine von A nach B transferierbare, überall anwendbare Wis- sensware und kollidiert mit dem "Gebrauchswert" eines an Subsistenz orien- tierten Wissens in einem bestimmten Lebenszusammenhang- und -raum. Das Verpflanzen dieses speziellen Wissens in einen anderen Kontext ist demnach an einen Werteverlust gekoppelt. In dieser räumlichen Begrenztheit liegt aber gleichzeitig seine besondere Qualität.

"Das Bildungssystem 'kann im Kontext kolonialer Gesellschaften nicht nur als Medium zur arbeitsteiligen Aneignung von Wissen an- gesehen werden, sondern als Instrument zur Enteignung von Wis- sen, das früher innerhalb der Familie übertragen wurde und zum Übereben in der vorkolonialen Produktions- und Lebensweise nötig war35' ... 'Die Kolonialverwaltung gestaltete die Realität nach den Erfordernissen des europäischen Industriesystems um und übertrug das heimische Erziehungs- und Ausbildungssystem auf die Kolo- nien'36."

Des Weiteren zitiert Standler in diesem Zusammenhang Paulo Freire, der in seinem Buch "Pädagogik der Unterdrückten" von der Unterdrückung durch

34 STANDLER, Karin (1993): Das Dorf Sané in Burkina Faso und seine Entwicklungshilfe. Wie tief muss der Brunnen noch werden? Institut für Landschaftsplanung und Landschaftspflege. Universität für Bodenkultur, Wien. S. 63. 35 SCHNEIDER-BARTHOLD, Wolfgang (1984): Industrie- und Grundbedürfnisbefriedigung in Afrika. Zur Förderung von Handwerk und Kleinindustrie in afrikanischen "Least developed countries" am Beispiel Obervoltas. Campus Verlag, Frankfurt. In: Ebd. 36 Ebd.

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Bildung spricht und zu der Auffassung gelangt, dass Bildung niemals neutral sein kann, entweder wird sie zu einem Instrument der Befreiung oder zu einem der Unterdrückung. Neben der Frage, was mit dem angehäuften Wissen nach Abschluss der Schule bzw. Universität passieren soll, wenn es kaum Möglichkeiten im eigenen Land gibt, dieses anzuwenden, bewirkt die Unter- drückung der Selbstwahrnehmung durch dieses importierte Bildungssystem eine Unfähigkeit zur Selbstbestimmung, sozusagen einen Entfremdungspro- zess.

2.5.2 Sankara als Vorkämpfer für die Frauenrechte Darüber hinaus trägt die Schule auch zur sozialen Differenzierung bei, indem es Gebildete und Ungebildete wie auch Privilegierte und Nichtprivilegierte gibt. Bei der Entscheidung, ob der Junge oder das Mädchen die Schule besuchen darf, fällt diese eindeutig zugunsten des Jungen aus. Sankara erkannte diese soziale Benachteiligung der Frauen und trat mit radikalen und nicht von allen befürworteten Maßnahmen für ihre Gleichstellung und Gleichberechtigung ein, indem er den Frauen beispielsweise im Zuge von Landreformen Landrechte einräumen wollte. Es kam unter Sankara weiters zu groß angelegten Alpha- betisierungskampagnen, wobei die Bildungsinhalte an die Bedürfnisse länd- licher Entwicklung angepasst wurden. Dennoch gab es bis 1997 eine Brutto- Einschulungsrate von 40 % (Mädchen 32 %), 1998 lag die Analphabetenrate bei 78 % (Frauen 87 %), die damit eine der höchsten der Welt darstellte. Selbst wenn die Regierung vermehrt Anstrengungen (Ziel bis 2007: Einschu- lungsquote von 70 % – Mädchen: 65 %, Alphabetisierungsrate: 40 %, wovon 20 % bei Frauen) unternimmt, die Ausbildung von Mädchen zu forcieren, sind Frauen im Zugang zur Bildung nach wie vor benachteiligt: Die Alphabetisie- rungsrate macht deutlich, dass Frauen um die Hälfte weniger Zugang zu Bildung als Männer und dadurch auch geringere Entwicklungschancen haben. Von 5 Frauen können 4 weder schreiben noch lesen.37

37 WELTNACHRICHTEN. Information der österreichischen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit. Nr. 4/2005. Hg.: Austrian Development Agency, Wien.

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2.6 Menschenrechte Auch hier wird einem der Grundrechte, nämlich dem Recht auf Meinungs- äußerung- und Informationsfreiheit (Artikel 19 der Menschenrechtserklärung) nicht ausreichend Genüge getan. Die nach außen hin formal betriebene Demo- kratie muss sich den Vorwurf der auf innenpolitischer Ebene stillen Repres- sion38 gefallen lassen – trotz Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte wie Einrichtung eines Menschenrechtsministeriums sowie eines Fonds für Opfer politischer Gewalt, Justizreformen, Einsetzen eines Mediators seitens der Regierung – und sich des Öfteren mit massiver nationaler und internationaler Kritik wie beispielsweise im "Fall Zongo" konfrontiert sehen. Der bis heute unaufgeklärte (politische?) Mord am oppositionellen Journalisten Norbert Zongo im Dezember 1998 und die Art und Weise, wie die Regierung unter Blaise Compaoré, der offiziell schon längst hätte abdanken müssen (seit 1987 an der Macht) und dafür auch massive Kritik erntet, damit (nicht) umging, sorgte für eine Protestwelle und für Demonstrationen im ganzen Land. Die Gewaltbereitschaft und Kriminalität haben sich durch die Wirtschafts- und Sozialkrise – zum Teil resultierend aus der im Septemer 2002 in Côte d’Ivoire ausgelösten Zwangsvertreibung von Burkinabe, die seit Jahrzehnten zum wirtschaftlichen Aufschwung dieses Nachbarlandes von Burkina Faso beigetragen hatten – sowie durch die staatlichen Übergriffe erhöht. Ebenso nimmt die Zahl informeller Milizverbände, vor allem seitens der Präsident- schaftspartei "Congrès pour la Démocratie et le Progrès" (CPD), zu. Auch Artikel 23 – Recht auf Arbeit, gleichen Lohn – findet hier nur annähernd Erfüllung, da die Frage nach einem bezahlten Arbeitsverhältnis, das ein Mindestmaß an sozialer Absicherung garantiert, sich für einen Großteil der Bevölkerung in Burkina Faso gar nicht stellt und nur einer schmalen, privi- legierten Schicht vorbehalten ist. Der überwiegende Teil der Menschen muss sich mit dem informellen Sektor, mit gegenseitiger familiärer Unterstützung, Subsistenzwirtschaft oder Wanderarbeit begnügen, oft liegen sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse, aber auch Kinderarbeit vor.

38 Ebenso gibt die Ermordung des früheren Chauffeurs des Präsidentenbruders, David Ouédrao- go, und die diesbezügliche strafrechtliche Verfolgung im Sommer 2000 Anlass zur Sorge, da der eigentliche Verdächtige, der Bruder des Präsidenten, nicht weiter belangt wurde. In: ÖFSE (2000): Burkina Faso. Länderprofil. Wien. S. 7.

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2.7 Wichtige historische Daten39 auf einen Blick

15. Jh. Errichtung des Mossi-Reichs, ein aus der nördlichen Region des heutigen Ghana kommendes Kriegervolk, auf den zentralen Regionen des heutigen Burkina Faso 19. Jh. Die Franzosen erobern das wenig zentralisierte Mossi-Reich mit etwa einer Million Einwohnern, dass durch die Uneinigkeit des aus 8 bis 10 kleineren, abhängigen Königtü- mern bestehenden Reiches erleichtert wurde. 1884 Berliner Afrika-Konferenz: Der Wettlauf der Kolonialmächte um Zentralwestafrika beginnt, den großteils Frankreich gewinnt. Ab 1895 Es kommt zur blutigen Unterwerfung der Königreiche durch Frankreich. 1919 Gründung von Haute Volta durch ersten Gouverneur, Edouard Hesling 1932 willkürliche Aufteilung von Haute Volta zwischen Côte d’Ivoire, Niger und Sudan (heutiges Mali), um seine Bewohner als Arbeitskräfte für sich in den Nachbarkolonien ansiedelnde Unternehmen zur Verfügung zu stellen 4. September 1947 Rekonstitution von Haute Volta in seinen aktuellen Grenzen 1956 Den Einwohnern der Kolonien wird das Recht zuerkannt, ihre Verwalter selbst zu wählen und zu administrieren, immer noch aber unter der Kontrolle Frankreichs. 5. August 1960: Burkina (Ex-Haute Volta) erreicht seine Unabhängigkeit. 3. Jänner 1966: Sturz der ersten Republik mit Maurice Yameogo an der Spitze, der durch General Sangoulé Lamizana ausgetauscht wird 1971: Beginn der 2. Republik 1974: Ende der 2. Republik: Die Armee ergreift die Macht. 1978: Beginn der 3. Republik 25. November 1980: Ein militärischer Staatsstreich bringt Oberst Saye Zerbo an die Macht. 7. November 1982: Machtübernahme durch den "Conseil du Salut du Peuple" (CSP), gelenkt vom Arzt und Kommandanten Jean Baptiste Ouedraogo 4. August 1983: Machtübernahme durch den "Conseil National de la Révolution" (CNR) durch Hauptmann Thomas Sankara 4. August 1984: Haute Volta wird in Burkina Faso – "le pays des hommes intègres"40 – umbenannt, die Fahne, die Nationalhymne und der politische Leitspruch werden geändert. 15. Oktober 1987: Machtübernahme durch die "Volksfront", an der Spitze Hauptmann Blaise Compaore. Thomas Sankara wird ermordet. 2. Juni 1991: Annahme der Konstitution der 4. Republik 1. Dezember 1991: Blaise Compaore wird zum Präsidenten von Burkina Faso gewählt. 12. Jänner 1994: Die Abwertung des Franc-CFA um 50 %41, gegen die sich BF lange gewehrt hatte, führte neben einem großen wirtschaftlichen Einschnitt zu einer weiteren Verschärfung der sozialen Verhältnisse.

39 Die hier versammelten Daten wurden folgenden Büchern entnommen: Ce que je dois savoir en: Histoire. Geographie. Education civique. Sciences. Questions – Reponses et Schemas suivis d’exercices d’application (QCM). CEP & Entree en Sixième. Deuxième édition. SAVADOGO, Bakary: Préparation au CEP et à l’entrée en sixième. Leçons. IEPD.

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2.8 Jenseits von Fakten und Zahlen – ein persönlicher Stimmungs- bericht

2.8.1 Frühjahr 2008 Bei Alltagsgesprächen mit der lokalen Bevölkerung, sei es mit den Nachbarn, den Geschäftsbetreibern, im Internetcafé, bei der Marktfrau vom Straßen- stand, wird einem der tagtägliche Überlebenskampf der Burkinabe erst be- wusst. Oft fehlt es an den Mitteln, die Grundbedürfnisse auch nur annähernd abzudecken. Eine Hebamme verdient in der Stadt ungefähr um die 35.000 CFA (das sind gerade mal 53 Euro in Monat). Davon muss meist eine in der Regel 7- bis 9-köpfige Familie ernährt werden, Strom, Gas, Wasser, Benzin sind da- bei noch nicht berücksichtigt. Die nicht nur aufgrund der geographischen Lage von Burkina Faso häufig auftretenden Krankheitsfälle, bei denen notwendig werdende Arzt- bzw. Spitalsbehandlungen im Voraus zu begleichen sind (man stirbt sonst sozusagen vor dem Eingang des Krankenhauses, wenn man nicht das Geld für die Behandlung aufbringen kann), oder unvorhergesehene Ereig- nisse wie Verkehrsunfälle (aufgrund des äußerst undisziplinierten Fahrverhal- tens gepaart mit dem katastrophalen Zustand von PKWs vor allem in der Hauptstadt) – bei schweren Verletzungen oft mit Todesfolge in Ermangelung eines funktionierenden Ambulanzwesens – sind dabei noch nicht im Familien- budget berücksichtigt. Ein Verkehrsunfall mit beispielsweise Knochenbrüchen kann in einem Land wie Burkina Faso, ohne jegliches Sicherheitsnetz (z.B. in Form einer staatlichen Krankenversicherung), fatale Auswirkungen haben. So bringt z.B. ein nicht verschuldeter Mopedunfall mit bleibenden körperlichen Schäden, die u.a. die Berufsfähigkeit beeinträchtigen können, eine Reihe von unglücklichen Verkettungen mit sich: meist keine Aussicht auf jegliche Form des Schadensersatzes durch die prinzipielle Zahlungsunfähigkeit des Unfallver-

40 Der Name des Landes setzt sich aus 2 Begriffen zusammen: Auf Mooré (Sprache der Mossi, der größten ethnischen Gruppe des Landes) bedeutet das Wort "Burkina" "Volk der Unbestechli- chen". "Faso" heißt in der Sprache der Dioula "Vaterland". Daraus ergibt sich der Landesname wie folgt: "Land der Unbestechlichen", wobei auch folgende Übersetzungen im Umlauf sind: "Das Land der aufrechten oder auch ehrbaren Menschen". 41 Diese Währung besteht seit 1945, "Franc-CFA" ist die Abkürzung für "Communauté Financière Africaine" (= Afrikanische Finanzgemeinschaft) und bezeichnet die Währungseinheit in be- stimmten Staaten Afrikas mit französischer Amtssprache.

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ursachers (500.000 CFA Schadensersatzforderungen sind für einen Burkinabe eine astronomische Summe), Gefährdung des Arbeitsplatzes bzw. des eigenen Betriebs durch Arbeitsunfähigkeit, keine täglichen Einnahmen zur Deckung des eigenen Lebensunterhalts und des von Familienangehörigen, sinkende Chan- cen bei der vor allem durch AIDS immer prekärer werdenden Partnersuche und Familiengründung etc. Häufig bringen auch Todesfälle der die Familie erhaltenden Person die Hinterbliebenen an den existenziellen Abgrund. In einem geschilderten Fall sah eine junge Studentin nach dem Tod des Vaters keinen anderen Ausweg mehr, als sich als Prostituierte anzubieten, um so den Lebensunterhalt für die Mutter und ihre zwei Brüder bestreiten zu können – Prostitution als Mittel zum Überleben.

2.8.2 "La vie chère" Die anhaltende weltweite Preissteigerung von Grundlebensmitteln wie Reis, Getreide, Wasser, ausgelöst durch den gestiegenen Erdölpreis, führte im Jän- ner 2008 durch Passivität, aber auch Ohnmacht der Regierungsverantwortli- chen zu massiven Ausschreitungen in Bobo-Dioulasso, wo staatliche Einrich- tungen beschädigt bzw. Geschäfte geplündert wurden. Am 28. Februar 2008 kam es neuerlich zu angekündigten Streikmärschen, diesmal aber in der Hauptstadt selbst, die sich gegen staatliche Einrichtungen richteten und die die gesamte Stadt an diesem Tag in einen Ausnahmezustand versetzten. Öffentliche Einrichtungen wie Ämter, Schulen oder Kindergärten blieben aus Sicherheitsgründen geschlossen. Der fatale Mangel an Arbeitsplätzen, von dem nicht nur die zahlreichen Aka- demiker im Land betroffen sind, und die nicht mehr zu bewältigenden Preis- steigerungen lassen bei der Bevölkerung ein Gefühl des Im-Stich-Gelassen- Werdens hochkommen und den massiven Unmut in solchen Ausschreitungen zu Tage treten. Da die Leute kein bzw. zu wenig Geld verdienen, kann auch keines ausgegeben werden, was wiederum die gesamte Wirtschaft lähmt. Oft wissen die Menschen nicht, wie sie am darauf folgenden Tag das Essen für die Familie bezahlen werden. Hilfreich bzw. lebensrettend ist hier das soziale Auf- fangnetz, das in Afrika vorläufig noch greift.

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Dennoch schleichen sich auch hier bereits erste "europäische" Phänomene ein, die sich äußerlich zunächst in der Schaffung von neuen Stadtvierteln ("Ouaga 2000") nach europäischem Muster manifestieren, wo jeder, der finanzkräftig genug ist, sich das Haus seiner Träume, hermetisch abgeriegelt von der Außenwelt und sogar nicht dem burkinischen historischen Sozialgefüge ent- sprungen, bauen lässt. Was sich als bauliche Tatsache materialisiert, greift auch langsam die Strukturen im Inneren an: Wer es sich leisten kann, lebt nicht mehr im althergebrachten Familienverband, wo mehrere Generationen unter einem Dach versammelt sind, sondern schafft sich seine persönliche kleine Welt, seine eigene Insel des Glücks in kleinfamilienähnlichen Verhält- nissen. Die Misere, in der sich Burkina Faso nicht erst seit Hochschnellen des Erdöl- preises und der allgemeinen Verteuerungswelle befindet, bietet keinen Anlass zur Hoffnung, Ausschreitungen in Form von Streiks und Übergriffen sind auch in Zukunft vorprogrammiert, wenn die Machthaber nicht endlich beginnen, sich an die Lösung der grundlegenden Probleme zu machen und sich solidarisch mit der breiten Masse der Bevölkerung zu erklären.

2.9 Resümee und weitere Vorgehensweise In diesem Kapitel wurde versucht, eine Ländereinführung der etwas anderen Art zu gestalten, indem ganz bewusst all jene (Problem-)Faktoren – von geo- graphischen, wirtschaftlichen über vor allem gesundheitspolitische bis hin zu bildungsrelevanten – beleuchtet wurden, die maßgeblich den Fortschritt des Landes, aber auch die ökonomische wie soziale Prosperität seiner Menschen hemmen bzw. lahmlegen. Gleichzeitig sollte damit die Basis als auch die Brücke zu den in dieser Arbeit weiterführenden Themen – die Kultureinrich- tungen bzw. -aktivitäten des Landes, die die Entwicklung des burkinischen Theaters beeinflussende koloniale Vergangenheit als auch entwicklungspoli- tische Betrachtungen zum Thema "Kultur" – gelegt werden. Dieses einfüh- rende, aber auch vor allem das Kapitel 7 "Die Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit" (S. 175) sollen zudem ver- deutlichen, welche elementare, aber noch immer seitens der Entscheidungs- träger unterschätzte Funktion aufklärenden bzw. sensibilisierenden, landeswei-

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ten Kampagnen beispielsweise im Fall von AIDS oder weiblicher Genitalver- stümmelung, die seit 1996 gesetzlich in Burkina Faso verboten und mit Haft- und Geldstrafen belegt ist, zukommt.

"Mit Strafe allein lässt sich eine fest verwurzelte soziale Praxis nicht beenden. Ohne begleitende Überzeugungsarbeit kann es leicht pas- sieren, dass sie nur in die Heimlichkeit abgedrängt wird und die gesundheitlichen und sonstigen Gefahren für die Frauen noch wach- sen. Aufklärung über die Folgen tut also not. ... In Gesprächskrei- sen und durch Theateraufführungen erfahren viele Männer zum ers- ten Mal, welche Konsequenzen der Eingriff für Mädchen und Frauen hat. Hygienische und moralische 'Argumente' für die Beschneidung können entkräftet werden. ... Traditionen sind historisch entstan- den, aber sie sind wandelbar."42

2.10 Der "afrikanische" Weg der Problemlösung Um die hier skizzierten und sich überlagernden Probleme wirklich in den Griff zu bekommen, mit der Zielabsicht, diese nachhaltig lösen bzw. beseitigen zu können, bedarf es zum einen der aktiven, partizipativen Einbindung als auch der tiefgreifenden und langfristigen Mobilisierung der breiten lokalen Bevölke- rung. Kultur, im Besonderen aber (Forum-)Theater, kann hier mit seiner Direktheit in der Interaktion und seinem Anknüpfen an traditionelle afrika- nische Kommunikationsmodelle wie dem später noch ausführlicher beschrie- benen und einem speziell in Burkina Faso und Mali verankerten Prozess der gemeinschaftlichen Problemlösungsfindung, dem "Kotèba", lange bevor Ein- flüsse von Augusto Boal und Paulo Freire die Theatermacher in Burkina er- reichten, als auch dem "Palaver"43 in seiner ursprünglichen Bedeutung zum Portal bei der "sozialen Intervention" werden, was auch die zahlreichen Thea- terforum praktizierenden Truppen in Burkina Faso und anderen afrikanischen oder lateinamerikanischen Ländern belegen, wobei hier auch der Frage nach- gegangen werden sollte, inwieweit jede einzelne dieser Theatergruppen ihr

42 Quelle: http://www.burkina.at/Association_pour_la_Promotion_Féminine_de_Gaoua. 43 Pa|la|ver, das; -s, - (Ratsversammlung afrikan. Stämme) © Duden – Die deutsche Rechtschreibung, 24. Aufl. Mannheim 2006 [CD-ROM].

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Handwerk auch wirklich versteht bzw. inwieweit hier die Gefahr bestehen könnte, diesen Theateransatz aus rein lukrativen Gründen zu betreiben. Um Ersterem zu begegnen, hat beispielsweise die UNESCO eine Art Handbuch für Theatergruppen mit dem Titel "SIDA ET THEATRE. Comment utiliser le théâtre dans le cadre de la réponse au VIH/SIDA"44 2003 ausarbeiten lassen, dessen Zielsetzung ein verantwortungsvoller, reflektierter Umgang mit dieser sehr komplexen Thematik innerhalb der AIDS-Prävention, aber auch in der respekt- vollen Auseinandersetzung mit bereits direkt davon Betroffenen (Vermeidung von Stigmatisierung/Diskriminierung) im Rahmen der theatralen Darstellung sein soll.

"Employé à bon escient, le théâtre peut en effet constituer un puissant outil d’éducation, de sensibilisation et d’information. Mais mal utilisé, il peut accroître le rejet et la stigmatisation des personnes vivant avec le VIH ou affectées par la maladie, ou même véhiculer des fausses informations. D’où l’importance de ce présent manuel, qui fournit à la fois des informations de base sur le VIH/ SIDA et sur l’utilisation efficace du théâtre comme technique de sen- sibilisation et de discussion sur les aspects sociaux, psychologiques et économiques du VIH/SIDA."45

Im Zusammenhang mit dem zweiten Teil dieses Manuals – im ersten Teil geht es um grundlegende Informationen zum Thema wie Ausbreitung im subsahari- schen Afrika, seine Ursachen, Übertragung, Prävention als auch seinen sozioö- konomischen Impact – stößt man wiederum auf Prosper Kompaore, den Direk- tor des "Atelier Théâtre Burkinabè", der darin für den Inhalt des beschriebenen Forumtheater-Kurses46 als auch bereits entwickelte Sketche, die während eines sich mit AIDS auseinandersetzenden Ausbildungsworkshops 2002 in Dakar erarbeitet wurden, verantwortlich zeichnet.

44 UNESCO (2003): SIDA ET THEATRE. Comment utiliser le théâtre dans le cadre de la réponse au VIH/SIDA. Manuel pour les groupes de théâtre. Paris. 45 Ebd.: S. 6 46 "L’atelier de formation sur l’approche théâtre en matière de lutte contre le VIH/SIDA" vom 10. bis 20. Dezember 2002 in Dakar, Senegal, organisiert von der UNESCO/BREDA.

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Abschließend kommen noch einmal die burkinischen Vereinsgründerinnen von "Association pour la Promotion Féminine de Gaoua" (APFG) zu Wort, die auf ihrer Homepage die Beweggründe, sich des Mittels des Theaters, im Speziellen des Forumtheaters, zu bedienen, darlegen.

"Zuerst hatten wir keine Ahnung, wie wir die Männer und auch die Frauen dazu bringen sollten, uns zuzuhören und mit uns zu spre- chen. Aber einige von uns hatten von der Idee des Forum-Theaters gehört. ... Wenn die Leute 'Theater' hören, können wir sicher sein, dass praktisch das ganze Dorf zusammenläuft und sogar Leute aus den Nachbardörfern kommen. Und es ist gar nicht schwer, sie zum Mitmachen zu bewegen. Nur still dazusitzen ist sowieso nicht die Art der Menschen hier, besonders wenn es um Themen geht, die so nahe am Alltag sind wie in unseren Stücken."47

Abb. 3: Szenenfoto aus dem Stück C’est la tradition qui l’exige der Truppe UJFRAD Diebougou/Bougouriba im Rahmen des CTF 2008 (Concours de Théâtre Forum) in Ouagadougou zum Thema "Weibliche Beschneidung, Zwangsheirat und Schulabbruch"48

47 Quelle: http://www.burkina.at/Association_pour_la_Promotion_Féminine_de_Gaoua. 48 Foto: Verfasserin, Frühjahr 2008.

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3. Kulturelle Einrichtungen bzw. Aktivitäten in Burkina Faso

Die nachfolgende Übersicht eines nicht flächendeckenden Kulturnetzes49 in Burkina Faso, abgesehen von der Hauptstadt, wie sich anhand der nachfolgend beschriebenen Kulturachsen erkennen lässt, basiert auf einer vom PSIC50 beauftragten Studie im Jahr 2001, das in Ermangelung von geeigneten Ver- breitungsstrukturen in den Provinzen eine Erhebung des kulturellen Ist-Zu- standes anstrebte, um die lokale kulturelle Entwicklung als auch jene der einzelnen künstlerischen Disziplinen zu fördern, und das als Auslöser für die- sen Umstand verschiedene Faktoren festmachte: die aktuelle schwache Ver- breitung von Veranstaltungen in den Provinzen von Burkina Faso generell, die starke Nachfrage seitens der Provinzen nach hochwertigen Aufführungen, die Notwendigkeit burkinischer Künstler, Publikum zu gewinnen und dieses zu bin- den bei gleichzeitiger Erweiterung des Konsumentenkreises für burkinische Kulturprodukte als auch die Wichtigkeit einer Dezentralisierung der kulturellen Aktion.

Neben der Hauptstadt Ouagadougou wurde das Untersuchungsgebiet in 5 geo- graphische Hauptkulturachsen – dem üblichen Zirkulationsfluss der in den Pro- vinzen von Kulturbetreibern organisierten Vorstellungen entsprechend – einge- teilt, die im Folgenden übernommen werden:

Tab. 1: Übersicht der 5 geographischen Kulturachsen von Burkina Faso

Boromo, Houndé, Bobo-Dioulasso, 1. Westen von Burkina Banfora, Niangoloko, Orodora Boussé, Yako, Gourcy, Ouahigouya, 2. Sahel und Yatenga Djibo, Dori, Kaya, Ziniaré Koudougou, Toma, Tougan, Gassan, 3. Schleife von Mouhoun Dédougou, Nouna, Solenzo

Zorgho, Pouytenga, Koupéla, 4. Osten und Südosten Fada N’Gourma, Tenkodogo, Garango

5. Süden Kombissiri, Manga, Pô, Léo

49 Siehe graphische Darstellung "5 Kulturachsen im Überblick" auf S. 57. 50 PSIC = "Programme de soutien aux initiatives culturelles décentralisées".

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3.1 Erhobene Gemeinsamkeiten der Veranstaltungsorte51 Bei allen Ortschaften bzw. Städten wurden im Rahmen dieser Studie als der beste Zeitpunkt, um Veranstaltungen zu organisieren, nachfolgend drei maß- gebliche Zeitfenster übereinstimmend herausgearbeitet: 1. der Zeitraum wäh- rend der Feiertage, 2. die Zeit nach der Ernte (Dezember–Mai) und 3. jeweils der Monatsanfang bzw. das Monatsende. Die Regenzeit (Juni–Oktober), die Monatsmitte und die Periode der traditionellen Totenfeiern (Jänner–April) sind aufgrund mangelnder Publikumsbeteiligung zu vermeiden. Die erhobenen Eintrittspreise variieren von Veranstaltungsort zu Veranstal- tungsort und bestimmen sich auch durch den Bekanntheits- bzw. Beliebt- heitsgrad des jeweils auftretenden Künstlers. Generell bewegen sie sich um die 500 CFA52. Die Organisation der Veranstaltungen geschieht oft in Zusammenarbeit mit verschiedenen lokalen oder nationalen Partnern. Die Besucherfrequenz liegt bei Veranstaltungen regionaler oder nationaler Künstler höher als bei jenen von ausländischen Künstlern, wobei hier auch der Vorherrschaft der jeweils dominanten Sprache in den einzelnen Städten bzw. Ortschaften und damit in weiterer Folge den Künstlern, die eine dieser Präferenzsprachen beherrschen, eine wesentliche Bedeutung zukommt.

3.2 Kultureinrichtungen in der Hauptstadt Ouagadougou In Ouagadougou53 als dem kulturellen Kreuzungspunkt des Landes finden regelmäßig, oft im 2-Jahres-Rhythmus organisierte, große internationale Kul- turmanifestationen wie SIAO, FESPACO, FITD, FITMO, "Jazz à Ouaga", FAR etc. statt. Das alle zwei Jahre stattfindende Filmfestival FESPACO, aber auch die "Semaine Nationale de la Culture" (SP/SNC) sind neben fixen Einrich- tungen wie dem "Centre National des Arts du Spectacle et de l’Audiovisuel" (CENASA) dem Ministerium für Kultur, Künste und Tourismus unterstellt.

51 Die hier gesammelten Fakten fußen größtenteils auf der bereits oben erwähnten, vom PSIC in Auftrag gegebenen Studie, die in "Guide pour la diffusion des spectacles au Burkina Faso" 2002 als praktischer Ratgeber zur Projektabwicklung kultureller Veranstaltungen veröffentlicht wurde, und auf eigenen vor Ort gesammelten Recherchen. Das PSIC wird von der Europäischen Union finanziert und hat die Stärkung der Kapazitäten von Initiativen als auch jene der Tätigkeit nichtstaatlicher Kulturbetreiber in Hinblick auf ihre Professionalisierung zum Ziel. 52 655,957 = 1 Euro (Stand: August 2008). 53 Ouagadougou zählt laut Volkszählung vom 9. Dezember 2006 1.181.702 Einwohner (Quelle: http://www.insd.bf/).

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Ebenso beherbergt die Stadt zahlreiche lokale Kulturevents wie beispielsweise den "carneval dodo", die Festivals "Salou" und "Kigba" als auch eine Vielzahl an künstlerischen Wettbewerben für Schüler und Jugendliche. Aufgrund ihrer reichhaltigen kulturellen Infrastruktur werden hier nur die aller- wichtigsten Institutionen, die sich in öffentliche und private Veranstaltungsorte unterscheiden lassen, aufgezählt. Bei den öffentlichen Einrichtungen, die sich wiederum in öffentliche nationale und in jene der Botschaft von Frankreich untergliedern, wären zur erstgenannten Gruppe Einrichtungen wie das "Maison du Peuple", das "Théâtre populaire Désiré-Bonogo", das "Théâtre national Koamba-Lankoandé", der "Salle des banquets de Ouaga 2000"54 in einem der neuen und gleichzeitig teuersten Viertel der Stadt, der "Pavillon C" der SIAO55 und zu guter Letzt die älteste Kultureinrichtung, das "Maison des Jeunes et de la Culture de Ouagadougou" (MJCO), zu nennen. Das "Reemdoogo", auch als "Jardin de la Musique" bezeichnet und erst 2004 ins Kulturleben von Ouaga- douou verankert worden, soll vor allem den burkinischen Musikschaffenden ein neues Zuhause sein.

3.2.1 Öffentliche nationale Kultureinrichtungen

3.2.1.1 "Maison du Peuple" Das "Maison du Peuple", im Jahr 1965 unter dem Namen "Maison du Parti" eingeweiht und nach dem Sturz der 1. Republik in "Maison du Peuple" um- benannt, wird seinem Namen "Haus des Volkes" mit 2.000 Sitzplätzen ge- recht, indem es Veranstaltungen unterschiedlichster Art aus dem In- und Aus- land einen passenden Rahmen bietet: von Konzerten traditioneller und moder- ner Musik, von Tanzaufführungen über Kinderveranstaltungen, Festivals, Box- kämpfe bis hin zu Kinovorführungen etc. Auch der große Vorplatz wird für Musikanimationen, Ausstellungen, Messen, Zirkusse etc. verwendet. Verwaltet

54 Der "Salle des banquets", 1998 im – nach europäischen Maßstäben angelegten – Stadtteil "Ouaga 2000" errichtet und vom "Palais de la Présidence du Faso" verwaltet, scheint hier als teuerster Veranstaltungsort – 800.000 CFA (= 1.220 €, Stand: 2002) Tagesmiete – vor allem für große Zeremonienfeiern und Abendgalas auf. 55 SIAO = Salon international de l’artisanat de Ouagadougou; alle zwei Jahre findet Ende Oktober/Anfang November auf diesem aus mehreren Pavillons bestehenden Messegelände ein panafrikanischer Kunstsalon statt.

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wird es von der "Direction des Arts du spectacle et de la Coopération cultu- relle" (DASC) des Ministeriums für Kultur, Künste und Tourismus.

3.2.1.2 "Maison des Jeunes et de la Culture de Ouagadougou" (MJCO) Dieses bereits 1958 unter dem Namen "Centre culturel" gegründete Veranstal- tungszentrum erhielt nach der erlangten Unabhängigkeit des Landes im Jahr 1960 seinen jetzigen Namen und wird vom "Service des affaires générales" der Kommune Ouagadougou verwaltet. Diese MJCOs sind über die einzelnen Stadtteile verstreut wie jenes hier abgebildete vom Stadtbezirk Baskuy. Neben Theater- und Tanzaufführungen sowie Darbietungen traditioneller und moder- ner Musik werden die Säle auch für Proben von Künstlern und Mannequins als auch zum Training von Kampf- und Boxsport verwendet.

Abb. 4: "Maison des Jeunes et de la Culture" im Stadtteil Baskuy von Ouagadougou56

56 Foto: Verfasserin, Frühsommer 2008.

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3.2.1.3 "Reemdoogo" oder "Jardin de la Musique"57 Aufgrund der Initiative und der Projektplanung des Vereins "Culture et déve- loppement" im Rahmen eines dezentralisierten Kooperationsabkommens zwi- schen den beiden Städten Ouagadougou und Grenoble, mit Unterstützung der "Coopération française", des PSIC der Europäischen Gemeinschaft als auch lokaler Privatunternehmen, wurde dieses Zentrum der Kreation, Produktion und Verbreitung im Musikbereich 2004 aus der Taufe gehoben, mit dem Ziel, die Arbeits- und Produktionsbedingungen der afrikanischen Künstler dauerhaft zu verbessern, die Entwicklung der künstlerischen und technischen Arbeit auf hohem Niveau zu fördern, um so auf dem internationalen Musikmarkt wett- bewerbsfähig zu werden, und sich des Weiteren in ein lokales und internatio- nales Netzwerk einschreiben zu können. Das "Reemdoogo" hat sich seit seiner Eröffnung stark ins kulturelle Geschehen der Stadt eingeklinkt und öffnet sich neben seinem Schwerpunkt Musik auch anderen Kunstsparten (z.B. Aufzeich- nungen für die Jugendsendung "Cocktail" der nationalen burkinischen Fernseh- anstalt "RTB" oder Theateraufführungen). Gemeinsam mit dem "Centre Cultu- rel Français Georges Méliès" (CCF-GM) veranstaltet es die "Fête de la mu- sique", koproduziert Konzerte etc. Afrika bringt eine Vielzahl von Künstlern und Musikern hervor, von denen nur eine begrenzte Zahl Zugang zu ausgezeichneten Einrichtungen wie Probe- und Aufnahmeräumen, Fortbildungsseminaren, Verbreitungskanälen etc. hat, die- sem Umstand soll die Errichtung von Kompetenzzentren im Bereich der Musik Rechnung tragen und deshalb soll das Projekt "Reemdoogo" auch auf andere afrikanische Hauptstädte übertragen werden.

3.2.2 Kultureinrichtung der französischen Botschaft

3.2.2.1 "Centre Culturel Français Georges Méliès58" (CCF-GM) Das CCF-GM wurde 1963 als eines der ersten Kultureinrichtungen unter dem Namen "Centre Culturel franco-voltaïque" in der Hauptstadt von Burkina Faso,

57 http://www.sudplanete.net/index.php?menu=arti&no=5827. 58 Georges Méliès (1861–1938) ist zunächst Theaterbesitzer des Théâtre Robert-Houdin, dessen Programm aus Zaubervorstellungen, Féerien und Pantomimen besteht, wendet sich dann als Regisseur und Produzent dem Film zu, wo er in 16 Jahren knapp 500 verschiedenen Genres zuordenbare Filme dreht, und wird als einer der Pioniere der Filmgeschichte dem "Kino der Attraktionen" zugeordnet (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Georges_Méliès).

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dem damaligen "Haute Volta", gegründet und erfuhr 1985 seine aktuelle Na- mensnennung, "pour saluer la mémoire d’un des génies du cinéma français, l’inventeur du trucage"59. Der französischen Botschaft unterstellt, beschreibt es seinen Kulturauftrag folgendermaßen:

"le CCF remplit ses missions de diffusion de la culture française, de promotion des cultures nationales (Burkinabè) et du développement des échanges culturels dans l’espace de la francophonie60. Le CCF est un espace d’accès à la culture pour le plus grand nombre. Il est fréquenté par un public varié: petits et grands, artistes, scienti- fiques, universitaires, tous y viennent partager des émotions et des savoirs."61

Es verfügt über eine Mediathek62, ein Zentrum für multimediale Einsatzmittel zu verschiedenen Aspekten der aktuellen französischen Kultur und Zivilisation, ein großes Freilufttheater ("Grand Meliès") mit 460 Plätzen für Theater- und Tanzaufführungen sowie für Konzerte, über einen Kinosaal ("Petit Meliès") mit 200 Plätzen, der auch für Konferenzen Verwendung findet, einen runden Saal mit 350 m2 ("La Rotonde") für Kunstausstellungen und andere wissenschaft- liche Zwecke und über eine "Cafétéria" zum Künstleraustausch. Dieses "Relikt" aus der Kolonialzeit bedient nach wie vor mit seinem breit und bunt gefächerten Kunst- und Kulturprogramm (Kino, Theater, Musik, diverse Festivals, u.a. FESPACO63 oder FITD64, Ausstellungen, Bibliothek etc.) vor

59 Siehe http://www.ccfouaga.com. 60 Der in Burkina oft auftauchende Begriff der Frankophonie, 1871 erstmals von Geographen verwendet, meint die Gesamtheit aller französischsprachigen Staaten, ungeachtet der sprach- lichen Hierarchie bzw. Dominanz der französischen Sprache im einzelnen Land. Dem Wort wer- den allerdings auch auf linguistischer, sprachpolitischer, ideologischer, bildungspolitischer und organisatorischer Ebene verschiedene Bedeutungen zugemessen (Quelle: http://www.hgklein. de/romsem/propaedeutikum/seite1/seite6.htm). 61 Ebd. 62 Die Institution – Bibliothek für Erwachsene sowie eine für Kinder und Jugendliche, multimedi- ales Informationszentrum, Burkina-Sammlung, Presseraum – mit etwa 3.500 Mitgliedern betei- ligt sich an verschiedenen Literaturveranstaltungen wie "Lire en Fête" oder "Foire Internationale du Livre de Ouagadougou" und organisiert Ausstellungen. 63 FESPACO = "Festival Panafricain du Cinéma et de la Télévision de Ouagadougou"; dieses alle zwei Jahre in Ouagadougou, der Hauptstadt des afrikanischen Films, stattfindende Filmfestival wird aber nicht vom CCF-GM veranstaltet, es stellt in Form von Partnerschaften seine Räum- lichkeiten zur Verfügung.

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allem das europäische Publikum, Ausnahmen wie das einmal jährlich stattfin- dende, hochkarätig besetzte "Jazz à Ouaga"-Festival, das 1992 unter der Ini- tiative des CCF-GM-Leiters Guy Maurette und einer Gruppe von Jazzliebhabern ins Leben gerufen wurde und das neben anderen zahlreichen Sponsoren von der "Coopération Autrichienne" mit Sitz in Ouagadougou finanziell unterstützt wird, bestätigen die Regel, wo sich auch viele Burkinabe bzw. Afrikaner unter das Publikum mischen. Einer der Gründe für die eher spärliche Durchmischung des europäisch domi- nierten Publikums mit der einheimischen Bevölkerung ist vermutlich in der für den durchschnittlich verdienenden Burkinabe leider noch immer kaum finan- zierbaren Preisgestaltung bei Theaterabenden zu suchen. Bei einem Theater- stück wie Le costume65 des Südafrikaners Can Themba, von Peter Brook unter Mitwirkung von Sotigui Kouyaté66, einem der ganz großen, auch im Ausland bekannten burkinischen Schauspieler, inszeniert und 2002 im Rahmen einer Tournee im CCF-GM gezeigt, stellen vom Organisator veranschlagte 1.000 bis 2.000 CFA67 bei einem geschätzten monatlichen Einkommen auf dem informel- len Sektor in den Ballungszentren von 35.000 bis 50.000 CFA68, meist aber noch viel weniger, einen eher zu vernachlässigenden Sonderposten im Ver- gleich zu den fix anfallenden, die Existenz sichernden Ausgaben eines einfa- chen, meist alleinverdienenden Familienoberhauptes dar. Erschwert wird dies durch den weltweiten Anstieg von Grundnahrungsmitteln, der vor allem Men-

64 FITD = "Festival International de Théâtre pour le Développement" des Atelier Théâtre Burki- nabè; dieses ebenfalls im 2-Jahres-Rhythmus abgehaltene Theaterfestival ist ebenso nur Gast in den Räumlichkeiten des CCF-GM. 65 Dieses Stück in einer Kreation des Théâtre des Bouffes du Nord (2000) wurde 2001 im Rah- men der Wiener Festwochen gezeigt. 66 Sotigui Kouyaté, der in zahlreichen burkinischen Filmen mitgewirkt hat, spielte bereits 1989 die Rolle des Prospero in Brookes Shakespeare-Inszenierung Der Sturm. Die Rolle des Ariel übernahm ebenfalls ein Afrikaner, Bakary Sangaré, da Brooke auf seinen Truppen-Reisen in außereuropäische Kulturen von der tiefen Bindung der Afrikaner zu den Geheimnissen der Natur angetan war (WIENER FESTWOCHEN: Wiener Festwochen 1951–2001: 110). 67 Es wird hier in der Preisgestaltung des CCF-GM zwischen Burkinabe und anderen Nationa- litäten unterschieden: 1.000 bis 2.000 CFA für Nationale und 2.000 bis 5.000 CFA für alle Nicht- Burkinabe. 68 1 Euro = 655,957 CFA (Stand: August 2008); die Bezeichnung „CFA“ steht einerseits für "Franc de la Communauté Financière d'Afrique" für die Mitgliedstaaten der UEMOA ("Union économique et Monétaire Ouest Africaine": Benin, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, Mali, Niger, Senegal und Togo) und andererseits für "Franc de la Coopération Financière en Afrique Centrale" für die CEMAC-Staaten ("Communauté économique et monétaire de l'Afrique Centrale": Kamerun, Republik Kongo, Gabun, Äquatorialguinea, Zentralafrikanische Republik und Tschad). Seit der Entkolonialisierung dirigiert die Französische Nationalbank mit dem Mittel der Währungspolitik noch immer maßgeblich die Wirtschaftspolitik dieser Staaten (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/CFA-Franc-Zone).

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schen mit äußerst niedrigem Einkommen besonders hart trifft. Gegen dieses nicht nur in Burkina Faso bedrohlich herumgeisternde und omnipräsente "Vie chère", wie es von den Burkinabe allgemein bezeichnet wird, wurde wie be- reits erwähnt des Öfteren im Frühjahr 2008 mit Protestmärschen, die sich meist zu vandalischen Aktionen ausweiteten, aber auch mit friedlichen Kund- gebungen reagiert; bei Nichtentschärfen dieser anhaltenden Situation könnte sich dies zu einer wahren Regierungskrise mit nicht abschätzbaren Folgen aus- weiten. Andere mögliche Gründe für das stark von Europäern dominierende Erscheinen bei Veranstaltungen im CCF-GM können in der Hemmschwelle der Burkinabe, diese Kultureinrichtung mit vielleicht für sie noch immer anhaftendem kolonia- lem Beigeschmack zu besuchen, bzw. im Nichtwahrnehmen des Kulturpro- gramms mangels die Burkinabe nicht erreichende Informationen etc. liegen. Dass nicht allein der zu hohe Eintrittspreis ausschlaggebend für das Nichter- scheinen der Einheimischen sein kann, zeigt sich in der einmal für Kinder mo- natlich stattfindenden und unentgeltlichen Theateraufführung (Theater, Mario- netten etc.) auf dem Freigelände des CCF-GM, das fast ausschließlich von eu- ropäischen Familien besucht wird. Diese mehrmals gemachte Beobachtung würde für einen der beiden zuletzt angeführten Gründe sprechen. Was aber sehr wohl stark von den Burkinabe besucht und benutzt wird, sind die Ein- richtungen der Bibliothek, obwohl seit der Einführung des Fernsehens (1963) kaum mehr gelesen wird. Früher stellten die Bücher die Hauptquelle der Bildung dar.

3.2.3 Private Kultureinrichtungen Zu den privaten Einrichtungen der Stadt werden beispielsweise das "Atelier Théâtre Burkinabè" (ATB), das "Théâtre de la Fraternité", der "Espace culturel Gambidi" (ECG), der "Espace-rencontre de Tanghin" und der "Espace culturel Zaka" gezählt. Als neuere Erscheinung in der Theaterlandschaft von Ouaga- dougou taucht das 2005 sich auch baulich manifestierende CITO – "Carrefour International de théâtre de Ouagadougou" – als vermittelndes Bindeglied zwi- schen den unterschiedlichsten Kunstsparten auf. Das ATB und das "Théâtre de la Fraternité" werden im weiteren Verlauf im Rahmen der burkinischen Thea- tergeschichte noch ausführlicher präsentiert werden.

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3.2.3.1 "Espace culturel Gambidi" (ECG) Diese 1996 entstandene Kulturinstitution beherbergt das "Théâtre de la Fra- ternité" unter der Leitung von Jean-Pierre Guingané, der neben Prosper Kompaore maßgeblich die Theatergeschichte von Burkina Faso geprägt hat. Gleichzeitig ist es der Veranstaltungsort für das "Festival international de théâ- tre et de marionnettes de Ouagadougou" (FITMO).

3.2.3.2 "Espace culturel Zaka" Dieses wurde 1988 unter dem Namen "Wassa club" gegründet und 1997 in "Zaka" umbenannt. Als Eigentum der Gemeinde ist es eine Veranstaltungs- fläche für traditionelle und moderne Musik unter freiem Himmel.

3.2.3.3 CITO – "Carrefour International de théâtre de Ouagadougou" In seiner Selbstdefinition bezeichnet sich das seit 21. Oktober 1996 offiziell anerkannte, seit 2002 mit Produktionen in Erscheinung tretende und das die Theaterszene von Ouagadougou im Besonderen bereichernde CITO als "un maillon fort du Théâtre au Burkina Faso"69. Als atypische kulturelle Struktur sieht es seine Berufung in der Versammlung von Künstlern unterschiedlichster Richtungen unter einem Dach. Seine Mitglieder – 261 individuelle Mitglieder, 47 als "Freunde des Vereins" in Form von Truppen oder Kompanien70 – setzen sich aus Schauspielern, Regisseuren, Musikern, Choreographen, Erzählern, Bühnenbildnern etc. zusammen. Gemeinsames Anliegen ist ihnen, die Einheit in der Vielfalt als einen Motor künstlerischer Vitalität für eine gelungene kul- turelle Entwicklung in Burkina Faso zu entdecken und zu fördern.

"Notre vision est de vouloir et pouvoir continuer à proposer au public Ouagalais un théatre d’expression africaine de qualité associant à la fois l’héritage de la tradition culturelle à la modernité du monde dans lequel nous vivons."71

69 Die Beschreibung des CITO als auch seiner Inhalte und Zielsetzungen wurde größtenteils seinem Folder entnommen. 70 Stand: August 2007. 71 Quelle: http://www.ouaga-cito.net/index_fichiers/Page385.htm.

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Neben der Vision eines Theaters afrikanischen Ausdrucks, das das Erbe der kulturellen Tradition mit der Moderne der heutigen Welt verknüpft, verfolgt das CITO als größte Kulturvereinigung von Burkina Faso u.a. folgende Ziel- setzungen: Es will

. einen Beitrag zur Förderung der darstellenden Künste in Burkina Faso und außerhalb seiner Grenzen als auch einen zur Entwicklung der Professionalität in diesem Bereich leisten. . das kulturelle Erbe von Burkina Faso aufwerten. . ein Theaterort sein, der allen Kreativen offen stehen soll, die ihre Werke einem großen Publikum präsentieren wollen. . ein regelmäßiges Theaterprogramm (Theater, Tanz etc.) während des gesamten Jahres bieten, um das Publikum an die Theaterkunst zu gewöhnen und es in weiterer Folge an diese zu binden. . die Zusammenarbeit mit nationalen als auch internationalen Kulturvereinigungen pfle- gen, die ähnliche Ziele verfolgen. . eine Plattform künstlerischer, vielfältiger Kompetenz für Partner für jede Form der Zusammenarbeit, der Koproduktion, der Realisierung oder anderer Belange sein.

In seiner sehr einfachen Baulichkeit – eine asphaltierte Fläche in einem großen Hof mit einfachen Zuschauertribünen aus Holz und einer ebenen Bühne – gegenüber dem "Stade Municipal" im Sektor 9 werden neben überwiegend Stücken europäischer Dramatiker wie Ibsen, Fo, Shakespeare oder Molière auch Stücke afrikanischer Autoren wie Wolé Soyinka und Birago Diop aufge- führt. Manche dieser Stücke werden zu internationalen ("Festival International d’Ibsen") oder innerafrikanischen Festivals ("Festival du Théâtre des Réalités" du Mali) eingeladen, andere spielen in den verschiedenen Provinzen des Lan- des. Daneben bietet das CITO auch verschiedene Ausbildungen im Bereich Schauspiel, Regie, Produktion, kulturelle Verwaltung, Marionettengestaltung und -spiel etc. an. Aktuelle Partner von CITO sind das Ministerium für Kultur, Tourismus und Kommunikation, die holländische und die dänische Botschaft, das Schweizer Kooperationsbüro, das norwegische Tanz- und Theaterzentrum sowie das norwegische Außenministerium und andere Sponsoren. Neben all diesen genannten Einrichtungen müssen noch die für Großveranstal- tungen relevanten einzelnen Stadien wie "Stade du 4 Août" oder "Stade Muni-

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cipal", aber auch vor allem die unzähligen Tanzbars berücksichtigt werden, Letztere spielen – ähnlich wie in den nachfolgend beschriebenen Provinzen – eine nicht zu vernachlässigende Rolle im Kulturleben und in der hohen Akzep- tanz der Menschen dieser Stadt. "Partout dans le monde, les bars sont des endroits où prendre la température d’une ville et évaluer l’état général du pays"72.

3.2.4 Bewerbungsstrategien von Veranstaltungen in der Hauptstadt Als Verbreitungsorgane zur Ankündigung von Veranstaltungen bieten sich mehr als 10 Radiosender, mehrere Tages- und Wochenzeitungen und die 1963 gegründete nationale Fernsehanstalt von Burkina Faso, das TNB, an. Andere Verbreitungsmittel, die üblicherweise, da auch kostengünstiger, eingesetzt werden, sind das mobile Radio in Form eines mit einem Megafon ausgestat- teten, in der Stadt herumfahrenden Mini-Busses, Plakate, Flugblätter als auch Transparente.

3.3 Kultureinrichtungen und -aktivitäten in den Provinzen von Burkina Faso

3.3.1 Die 5 geographischen Kulturachsen von Burkina Faso Auf den nächsten Seiten gibt es eine zusammenfassende, tabellarische Beschreibung der kulturellen Einrichtungen in den einzelnen, auf den Kultur- achsen des Landes liegenden Städten, um sich ein aufschlussreiches Bild von der eingangs beschriebenen Situation des bestehenden Kulturnetzes in den Provinzen machen zu können. Anhand der 5 eingetragenen Routen auf der nachfolgenden Landkarte (S. 57) von Burkina Faso lässt sich die wahrscheinlich aufgrund der dünnen Besiede- lung nicht vorhandene Erschließung73 in bestimmten Regionen des Landes auf einen Blick sehr gut nachvollziehen. Dieser Umstand gilt vor allem im Südos-

72 BARLEY, Nigel: Un anthropologue en déroute. In: Bordert, Valérie, Duhamel, Marion (1994– 1995): Etude d’une pratique du Théâtre Forum et de son impact socio-culturel. Institut d’Etude Théâtrales. Université de Paris III – Sorbonne Nouvelle. Paris. 73 Ob die Regionen abseits dieser Kulturachsen tatsächlich nicht kulturell erschlossen sind oder einfach aus dem vom PSIC vorgegebenen Untersuchungsraster entlang diesen Achsen hinaus- gefallen sind, wurde an keiner Stelle in dieser Untersuchung erwähnt.

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ten für die Provinzen Koulpélogo und Kompienga, im Osten für Tapoa, Komon- djari, Gnagna und Yagha, im nördlichen oberen Teil zur Grenze von Mali hin für Oudalan, Soum, Loroum, Yatenga und Sourou, im nördlichen Landesin- neren für Sanmatenga und Bam, im nördlichen Westen für Kosso und Banwa, im westlichsten Bereich von Burkina Faso für Kénédougou und Léraba, im Südwesten, abgesehen von der Stadt Banfora, für das gesamte Comoé, Poni, Noumbiel, Bougouriba, im südlichen Landesinneren für Sissili und Ziro und rechts der Kulturachse 5 für Zoundwéogo und nördlich der Kulturachse 1 für die Provinzen Houet, Tuy und Mouhoun. In den Tabellen wurden die jeweilige Stadt/Provinz, die vorherrschenden Sprachen, die Zahl der Einwohner74, die Distanz zur Hauptstadt Ouagadougou, die Anzahl und Art der Kultureinrichtungen, die Art der Veranstaltungen, posi- tive bzw. negative Faktoren sowie sonstige kulturelle Aktivitäten wie Festivals in der Provinz erfasst. Die Rubrik "Schwerpunkt" listet die einzelnen Kunstrich- tungen nach ihrer Beliebtheit/Häufigkeit auf. Unter der Rubrik "Bemerkungen" finden sich Anmerkungen zur Publikumsbe- teiligung als auch zu seiner Zusammensetzung, zu etwaigem Kinderprogramm, zur jeweiligen Präferenz für Künstler mit lokaler, nationaler und internationaler Bedeutung, zu lokalen bzw. nationalen Kooperationen als auch zur Art der ein- gesetzten Bewerbungsmittel für die einzelnen Veranstaltungen.

74 In der bereits zitierten, vom PSIC erhobenen Studie stammen die erhobenen Einwohner- zahlen von der Volkszählung aus dem Jahr 1996. Da die Bevölkerung aber in vielen Fällen oft explosionsartig um ein Drittel zugenommen hat, basieren die in den Tabellen ausgewiesenen Einwohnerzahlen der größeren Städte auf der Volkszählung von 2006. Erhoben wurde das geographische Stadtgebiet und nicht die Stadt bzw. Gemeinde im politischen Sinn (Quelle: http://www.insd.bf/).

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Abb. 5: Die 5 geographischen Kulturachsen von Burkina Faso75

75 Hintergrundkarte – Quelle: Jeune Afrique Atlases. Burkina Faso Atlas. Les Éditions J.A., Paris. 1998. S. 53.

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3.3.1.1 Kulturachse 1 – der Westen von Burkina Faso: Boromo, Houndé, Bobo-Dioulasso, Banfora, Niangoloko und Orodara76

Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Boromo/Balé/ Bemerkungen: große Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, mittlere von Frauen und Männern; keine Ko, Dioula und 181 km speziellen Aufführungen für Kinder; Präferenz für lokale und nationale Künstler; die öffentlichen Ausrufer Mooré und Plakate haben den größten Impact. 14.885 EW

"Festival du Sini Landa" nicht für Konzerte und (Fest mit traditionellen Tänzen 1 Kino Filmvorführungen Schwerpunkt: Theater geeignet und Masken) – • Theater 1-mal jährlich • traditionelle Musik durch niedrige "Journées provinciales • moderne Musik "Centre de lecture et Jugendveranstaltungen Einzäunung mangelnde de la culture" – d’animation" (CLAC) Schulaufführungen Sicherheit für alle 2 Jahre Großveranstaltungen

Houndé/Tuy/ Bemerkungen: große Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, mittlere von Frauen und Männern; kaum Dioula 263 km Aufführungen für Kinder, wenn dann werden sie von Künstlern in Kooperation mit Kulturverantwortlichen 34.669 EW und Lehrern in Form von Theater, Ballett und Zauberstücken organisiert; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact.

Schwerpunkt: "Centre populaire de Veranstaltungen mangelnde technische • Theater loisirs" aller Art Ausstattung • traditionelle Musik und "Journées provinciales Tanz de la culture" – mangelnde technische • moderne Musik alle 2 Jahre Kinderaufführungen, Ausstattung, • Orchesterkonzerte 1 Konferenzsaal kleinere Veranstaltungen nicht für Konzerte und • Akrobatik Theaterabende geeignet

76 Diese kompakte Darstellung der einzelnen Kulturachsen von Burkina Faso basiert im Wesentlichen auf den 2001/2002 erhobenen Daten des PSIC. In: Guide pour la Diffusion des spectacles au Burkina Faso. Les éditions Découvertes du Burkina. Ouagadougou.

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: Vielzahl verschiedenster Veranstaltungsorte (Kultur- und Freizeitzentren, Tanzbars etc.), Bobo-Dioulasso/ große Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, mittlere von Frauen und Männern; zahlreiche Veranstal- Houet/ tungen für Kinder (Marionetten, Ballett, Theater, Tanzwettbewerbe, Rezitation etc.); Präferenz für lokale, 363 km Dioula nationale, aber auch internationale Künstler (Vorliebe für senegalesische, ivorische Künstler); Radio und 435.543 EW Fernseher haben neben der Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos und öffentlichen Ausrufern in der zweitgrößten Stadt von Burkina Faso den größten Impact.

"Semaine nationale de la Veranstaltungen aller culture" – alle zwei Jahre: Schwerpunkt: "Centre culturel français Art; vor allem aber für Präsentation sämtlicher sehr gute technische • Theater Henri-Matisse" Kinderveranstaltungen, Kunstsparten (Gesang, Musik, Ausstattung • traditionelle Musik (CCF-HM) Film- und Video- Tanz, Literatur, Plastik, Malerei, • Tanz vorführungen Färberei, Lederwaren, traditioneller • jährlicher Maskenumzug Kampf, Bogenschießen etc.) großes Fassungs- "Théâtre de l’Amitié" Theateraufführungen, vermögen, mangelnde "Prix du meilleur spectacle à Konzerte technische Ausstattung l’école primaire" (PMSEP)

"Espace Casimir-Koné" Kinderaufführungen, "Festival de balafon" Theateraufführungen

Veranstaltungen mangelnde technische "Cinè Sanyon" Festival "Yeelen" (Gesang) aller Art Ausstattung Großveranstaltungen wie Parallelveranstaltung der 2 Stadien Konzerte internationaler FITMO aus Ouagadougou Künstler Parallelveranstaltung der "Les Nuits atypiques de Koudougou"

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: weitere Veranstaltungsorte (1 Kino, 2 Tanzbars), schwankende Publikumsbeteiligung, allerdings während der Aufführungen gute Beteiligung von Jugendlichen, Frauen und Männern, aber kaum Banfora/ eine Präsenz von Kindern; im Rahmen der Grundschule werden von der Kommune Aufführungen (Tanz-, Comoé/ 439 km Ballett-, Theater- und Liederwettbewerbe) organisiert; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Dioula Kooperationen; Radio und die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos haben den größten 72.144 EW Impact, in seltenen Fällen wird das Fernsehen als Kommunikationsmittel im Rahmen von groß angelegten Tourneen bestimmter Künstler oder Gruppen von nationalen Veranstaltern eingesetzt.

"Journées provinciales Schwerpunkt: Konzerte, mangelnde technische de la culture" – • moderner Gesang und 1 Kino Kulturveranstaltungen Ausstattung alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der Tanz (Orchester) Provinz Comoé • Theater Theateraufführungen, "Mini-magnetoscope", • traditioneller Tanz und "Maison des jeunes et Kinderveranstaltungen, "vacance promo culture", Gesang de la culture" kleinere Konzerte Schulveranstaltungen

Bemerkungen: in der Grenzstadt (Côte d’Ivoire) gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen Niangoloko/ gute Beteiligung vor allem von Frauen, mittlere von Jugendlichen und Männern, schwache von Kindern; im Comoé/ Rahmen der Grundschule wird mit der Gruppe "santé – vacances – culture" die "Semaine culturelle pour 492 km Dioula les enfants" (Theater und Gesang) organisiert; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Koopera- 20.377 EW tionen; die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos hat den größten Impact, jenes der Gemeinde wird hauptsächlich für soziale Belange eingesetzt.

Veranstaltungen aller Art, "Maison des jeunes et Schwerpunkt: Kinderveranstaltungen funktionale Ausstattung de la culture" • moderner Gesang und (Saal) "Semaine culturelle pour les Tanz (Orchester) enfants" • Theater Tanzfläche und Bälle, Tanzwettbewerbe, • traditioneller Tanz und 1 Tanzbar Verstärker kleine Konzerte Gesang

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Jugendlichen, Orodara/ Frauen und Männern, eine schwache von Kindern; im Rahmen der Grundschule werden Aufführungen Kénédougou/ 447 km (Tanz-, Ballett-, Theater- und Liederwettbewerbe) organisiert; Präferenz für lokale und nationale Künstler; Dioula viele Kooperationen; neben Radio und Plakaten haben die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende 19.490 EW Autos und öffentlichen Ausrufer den größten Impact.

mangelnde technische Schwerpunkt: 1 Kino Ausstattung, schwache Veranstaltungen aller Art • moderner Gesang und Aufnahmekapazität bei "Journées provinciales Tanz (Orchester) hoher Saalmiete de la culture" – • Theater und Ballett Es finden keine baufällig, mangelnde alle 2 Jahre – "Auberge populaire" • traditioneller Tanz und Aufführungen mehr statt. technische Ausstattung mit Künstlern aus der Provinz Gesang Bälle, Kénédougou Tanzflächen, 2 Tanzbars Schulveranstaltungen Verstärkeranlage (Bälle, Kulturnächte etc.)

Kulturachse 1 – der Westen von Burkina Faso: Boromo, Houndé, Bobo-Dioulasso, Banfora, Niangoloko und Orodara – Resümee

Die erste Kulturachse, die bis in den Westen des Landes vordringt, birgt auf infrastruktureller Ebene ein gewisses Potenzial im Veranstaltungsbereich. Aufgrund der Vorherrschaft der Sprache Dioula77 auf dieser Achse wird den Dioula sprechenden Künstlern (z.B. Bil Aka Kora) große Wertschätzung entgegengebracht. In jeder der aufgezeigten Lokalitäten gibt es zumindest eine geeignete Infrastruktur für mindestens 300 Besucher pro Veranstaltung. An allen Orten zeigte sich eine starke Partizipation des Publikums, außer in Banfora, wo das Publikum für Veranstaltungen erst gewonnen werden muss. Manche Einrichtungen bedürfen einer technischen Überholung bzw. Ergänzung. Die Saalmieten sind in Bobo-Dioulasso, Banfora und Orodara sehr hoch, worunter die Rentabilität der Veranstaltungen leiden könnte.

71 Dioula wird von etwa 40 ethnischen Gruppen in Burkina Faso als Verkehrssprache verwendet, ohne an eine Kultur oder an eine spezielle Ethnie im Speziellen gekoppelt zu sein. Es dient der interethnischen Kommunikation und kennt kaum Muttersprachler (Quelle: http://dissertations.ub.rug.nl/ FILES/faculties/arts/2005/f.e.g.sanon.ouattara/pt2/pt2_c3.pdf).

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3.3.1.2 Kulturachse 2 – Sahel und Yatenga: Boussé, Yako, Gourcy, Ouahigouya, Djibo, Dori, Kaya und Ziniaré

Ort / Provinz / Distanz Sonstige kulturelle Anzahl und Art der Art der vorherrschende zur +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Hauptstadt Stadt/Provinz

Bemerkungen: Der Ort verfügt über keine elektrischen Anlagen und es gibt für Veranstaltungen Boussé/ keinerlei Infrastruktur; starke Beteiligung aller sozialer Schichten; neben Schulen tritt auch eine Kourwéogo/ 55 km pädagogische Animationsgruppe als Organisator auf; oft Zusammenarbeit mit lokalen und nationalen Mooré Initiatoren; Präferenz für lokale und nationale Künstler; die öffentlichen Ausrufer und Plakate haben 14.189 EW den größten Impact.

"Festival des Contes de Schwerpunkt: Boussé" • traditioneller Tanz und Gesang keinerlei technische (FESTICOB) – • moderner Gesang mit Sängern Ausstattung, nicht für 2 Tanzbars kleinere Aufführungen 1-mal jährlich und Orchester Großveranstaltungen "Journées provinciales • Theater geeignet de la culture" – • Erzählabende alle 2 Jahre Bemerkungen: Neben den bereits genannten Veranstaltungsorten gibt es noch andere wie Tanzbars, 1 Kinosaal und den Garten der Bürgermeisterei; gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen Yako/Passoré/ eine gute Beteiligung von Jugendlichen, eine mittlere von Kindern und Männern, eine schwache von Mooré 190 km Frauen; Vermeidung von Playback-Veranstaltungen; kaum Aufführungen für Kinder, wenn dann in 21.338 EW Form von Tanz-, Ballett-, Theater- und Gesangswettbewerben; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; das lokale Radio FM Énergie und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. kleine Konzerte, traditionelle und mangelnde technische Schwerpunkt: CLAC moderne Tanz- Ausstattung • moderner Tanz und Gesang aufführungen, "Journées provinciales Musik Lesesaal de la culture" – • Theater mangelnde technische Mehrzwecksaal des Kinderaufführungen, alle 2 Jahre • Akrobatik Ausstattung lokalen Gymnasiums Schulveranstaltungen

nicht adaptiert für mangelnde technische "Auberge populaire" Veranstaltungen Ausstattung

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern, Gourcy/ Jugendlichen und Frauen, eine mittlere von Männern; keine speziellen Veranstaltungen für Kinder; Zondoma/ 149 km Vermeidung von Playback-Veranstaltungen; Präferenz für lokale und nationale Künstler und vor allem für Mooré Veranstaltungen auf hohem Niveau; Veranstaltungsinitiative von Künstlern ausgehend mit lokalen und 24.240 EW nationalen Partnern; die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos hat den größten Impact.

Schwerpunkt: mangelnde technische 1 Kino Veranstaltungen aller Art "Journées provinciales • traditioneller Tanz und Ausstattung de la culture" – Gesang alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der • moderner Tanz und Gesang Tanzfläche, mangelnde Provinz Zondoma (Orchester) 5 Tanzbars kleinere Veranstaltungen technische Ausstattung

Bemerkungen: 1 Kinosaal (vor allem für Kinovorführungen, kaum Künstler); mittlere Publikumsbetei- Ouahigouya/ ligung, während der Aufführungen sehr gute Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Frauen; eine Yatenga/ schwache von Männern; Vermeidung von Playback-Veranstaltungen; spezielle Veranstaltung für Kinder; 181 km Mooré, Dioula Präferenz für lokale und nationale Künstler; Kooperationen mit lokalen und nationalen Initiatoren; das 70.957 EW Radio (lokale Privatstationen wie "La Voix du Paysan" oder "Radio de l’Amitié") und die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos haben den größten Impact.

Konzerte, traditionelle und "Journées provinciales et Schwerpunkt: moderne Tanzaufführungen, mangelnde technische régionales de la culture" – 1 Kino • moderner Gesang und Tanz Schulveranstaltungen Ausstattung alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der • Gesang und Tanz der (Mittelschule) Provinz Yatenga Mandinka Sportveranstaltungen, mangelnde technische "Top vacances kombissé" – • Traditioneller Tanz und "Stade Municipal" Großveranstaltungen Ausstattung 1-mal jährlich für Kinder Gesang • Theater Bälle (mit Playback), gute technische 1 Tanzbar „Festival liwaga du Yatenga" kleine Konzerte Ausstattung

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Djibo/ Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern, Soum/ Jugendlichen und Frauen, eine mittlere von Männern; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele 203 km Fulfuldé lokale und nationale Kooperationen werden generell von der "Association des jeunes de Djibo" 29.162 EW organisiert; die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. Veranstaltungen aller Art, vor allem Konzerte und 1 Kino mangelnde technische Ausstattung traditionelle und moderne Tanzaufführungen Schwerpunkt: Schulveranstaltungen • traditioneller Tanz und CPL – "centre populaire (Mittelschule), mangelnde technische Ausstattung Gesang de loisirs" Kinderveranstaltungen • moderner Gesang und Tanz (Orchester) keine technische „Maison des jeunes et Ausstattung (da zum Zeitpunkt der de la culture de Djibo“ Erhebung Fertigstellung des Baus)

Bemerkungen: unterschiedliche Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung aller Dori/ sozialer Schichten; Vermeidung von Playback-Veranstaltungen; keine speziellen Veranstaltungen für Séno/ Kinder, außer im Rahmen des Volksschulunterrichts gibt es organisierte künstlerische Wettbewerbe; 270 km Fulfuldé Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; das Radio (lokale Privatstationen wie 20.244 EW "Horizon FM" oder "FM Dandel-Sahel") und die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos haben den größten Impact. „Journées provinciales Konzerte, traditionelle mangelnde technische de la culture" – 1 Kino und moderne Ausstattung, alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der Tanzaufführungen keine Filmvorführungen Schwerpunkt: Provinz Séno • traditioneller Tanz und traditionelle und moderne Gesang der Peulh Tanzaufführungen, teilweise gute technische "Chantier Jeune" • moderner Gesang und Veranstaltungen von Ausstattung Musikfestival – 1-mal jährlich – Tanz Volks- und Mittelschulen neben Burkina Faso mit Beteiligung • Theater nur mittlere von Mali, Nigeria sowie Veranstaltungen mangelnde technische vom Tschad und Niger "Auberge populaire" (aufgrund beschränkter Ausstattung Kapazitäten)

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Jugendlichen Kaya/ und Frauen, eine mittlere von Männern und Kindern; anspruchsvolles Publikum, Vermeidung von Playback- Sanmatenga/ Veranstaltungen; im Rahmen der Grund- und Mittelschule werden jährlich Aufführungen (Schultheater und 105 km Mooré Ballett) organisiert; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; das Radio (lokale 51.778 EW Privatstationen wie "Radio Énergie" oder "Radio Manegda") und die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos haben den größten Impact. keine Schwerpunkt: 1 Kino Filmvorführungen, "Journées provinciales et Veranstaltungen aller Art • moderner Gesang und mangelnde technische régionales de la culture" – Tanz (Orchester) Ausstattung alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der • traditioneller Tanz und traditionelle und moderne Provinz Sanmatenga und jenen aus "Maison des jeunes et keine technische Gesang Tanzaufführungen, dem Osten und Südosten de la culture" Ausstattung • Theater Schulveranstaltungen (Kulturachse 4) 4 Tanzbars Künstlerauftritte Tanzflächen Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern, eine Ziniaré/ mittlere von Jugendlichen und Frauen, eine schwache von Männern; die erwirtschafteten Einnahmen aus Oubritenga/ 35 km diesen Veranstaltungen spiegeln aufgrund des erschwindelten Eintritts nicht immer die tatsächliche Mooré Beteiligung des Publikums wider; keine speziellen Veranstaltungen für Kinder; Präferenz für lokale und 17.056 EW nationale Künstler; die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. Veranstaltungen aller Art, vor mangelnde technische Schwerpunkt: 1 Kino allem Konzerte, traditionelle und Ausstattung • traditioneller Tanz und moderne Tanzaufführungen Gesang • moderner Gesang und Konzerte, traditionelle und "Centre populaire de mangelnde technische Tanz (Orchester) moderne Tanzaufführungen, "Journées provinciales loisirs" Ausstattung • Theater Schulveranstaltungen de la culture" – • Zirkus alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der Provinz Oubritenga traditionelle und moderne "Maison des jeunes et Tanzaufführungen, mangelnde technische de la culture" Schulveranstaltungen, Kinder- Ausstattung und Theateraufführungen

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Fortsetzung von Ziniaré Künstlerauftritte, Tanzflächen, 4 Tanzbars diverse Aufführungen Konferenzsaal

"Auberge" Großveranstaltungen

Kulturachse 2 – Sahel und Yatenga: Boussé, Yako, Gourcy, Ouahigouya, Djibo, Dori, Kaya und Ziniaré – Resümee

Auffallend ist auf dieser Kulturachse die äußerst schwache infrastrukturelle Veranstaltungskultur, die sich auch außerhalb größerer Ortschaften wie Ouahi- gouya, Dori und Kaya fortsetzt. Bestimmte Orte wie Boussé, Gourcy und Djibo zeigen kein großes Interesse an der Etablierung von Kulturveranstaltungen als auch an etwaigen Einnahmen. Trotz der Bereitschaft des Publikums, an den Veranstaltungen in den einzelnen untersuchten Orten teilzunehmen, können sich für Theaterbetreiber bzw. -truppen Probleme mit der Rentabilität von Aufführungen ergeben. Die Bars scheinen neben den Kinosälen jene Einrichtungen zu sein, die am meisten für Kulturveranstaltungen im Einsatz sind. Allerdings sind ihre Raummieten ziemlich hoch und verschlingen einen nicht unbe- trächtlichen Anteil der Einnahmen. Die Mooré und Fulfuldé78 sprechenden Künstler (z.B. Georges Ouédraogo, Pascal Kaboré, Zêdess etc.) sind die am häu- figsten auftretenden und auch beliebtesten auf dieser Achse in Hinblick auf die regionale Vorherrschaft dieser beiden Sprachen. Das Verkehrsnetz ist nicht gut und die Erreichbarkeit der Ortschaften gestaltet sich vor allem in Regenzeiten schwierig. Des Weiteren garantieren nur die großen Ortschaften wie Ouahigouya, Dori, Kaya und Ziniaré eine 24-stündige Versorgung mit Strom. In den anderen Ortschaften muss man sich bei Veranstaltungen, die bis nach Mitternacht andauern, mit elektronischen Relais ausstatten. Oft müssen in der Hauptstadt Ouagadougou die Bestuhlung, die Verstärkeranlage als auch die Beleuchtung angemietet und zu den Veranstaltungsorten transportiert werden.

78 Fulfuldé wird im Nordosten von Burkina Faso von den Fulbe (auch als Peul, Peulh, Fulani oder Fula bezeichnet) als eine offiziell anerkannte Sprache gesprochen. Von Senegal bis zum Sudan betrachten sich die Fulbe als eine einheitliche ethnische Gruppe mit derselben Sprache, allerdings mit gewissen sprachlichen Unterschieden (Quelle: http://www.ethnologue.com/show_language.asp?code=fuh).

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3.3.1.3 Kulturachse 3 – die Schleife von Mohoun: Koudougou, Toma, Tougan, Gassan, Dédougou, Nouna und Solenzo

Ort / Provinz / Distanz Sonstige kulturelle Anzahl und Art der Art der vorherrschende zur +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Hauptstadt Stadt/Provinz

Bemerkungen: Dieser Schulwettbewerb wird von der DPEBA (Direction provinciale de l’Einseignement de Koudougou/ base et de l’Alphabétisation) organisiert; gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Boulkiemdé/ Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, eine mittlere von Frauen und Männern; Präferenz für lokale, 102 km Mooré nationale Künstler, bei internationalen Vorliebe für Künstler aus der Elfenbeinküste, aus Mali und 82.720 EW Zentralafrika; das Radio (lokale Privatstationen wie "Horizon FM", "Radio Énergie" oder "Radio Palabre") und die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos haben den größten Impact. sehr gute Ausstattung renommierter "Journées provinciales (2 Kulissen, Büro, Veranstaltungsort de la culture" – "Théâtre populaire" Magazin, Verstärker- für Künstler, alle 2 Jahre – mit Künstlern aus anlage und Schwerpunkt: Veranstaltungen aller Art der Provinz Boulkiemdé Beleuchtung) • Live-Konzerte Filmvorführungen, zu kleine Bühne, "Les nuits atypiques de • Schulveranstaltungen 2 Kinos nur mittelgroße mangelnde technische Koudougou" (NAK) – • humoristische Darbietungen Veranstaltungen Ausstattung 1-mal jährlich • Theater Konferenzen, mangelnde technische • Theater und Tanz 1 Konferenzsaal der DPEBA kleinere Veranstaltungen Ausstattung "Concours des arts du spectacle" – "Square du Boulkiemdé" Konzerte, Bälle gute Ausstattung Schulwettbewerb

Bemerkungen: Neben den bereits genannten Festivals gibt es jedes Jahr ein großes Fest für den Toma/Nayala/ traditionellen Kampf; gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen eine gute Beteiligung von San, Dioula 192 km Jugendlichen und Frauen, eine mittlere von Männern und Kindern; Präferenz für lokale und nationale 11.950 EW Künstler; das Radio (lokale Privatstationen wie das "radio rurale" von Gassan) und der öffentliche

Ausrufer haben den größten Impact. schwache Kapazität, man- "Festival annuel de lutte et kleinere bis mittlere Schwerpunkt: CLAC gelnde technische Aus- masques en pays san"(Lumassan) Veranstaltungen • traditioneller Tanz und stattung, aber Solarenergie – 1-mal jährlich Gesang

• moderner Gesang und Tanz "Journées provinciales nicht für große Tanzflächen, schwache • Theater 3 Tanzbars de la culture" – alle 2 Jahre – mit Aufführungen geeignet Kapazität, kein Strom Künstlern aus der Provinz Nayala

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern, Tougan/ Jugendlichen und Frauen, eine mittlere von Männern; außer dem im Rahmen des Volksschulunterrichts Sourou/ 229 km organisierten Wettbewerb keine speziellen Veranstaltungen für Kinder; Präferenz für lokale und nationale San, Dioula Künstler; die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos und der öffentliche Ausrufer haben 17.548 EW den größten Impact.

keine Filmvorführungen, mangelnde technische "Concours d’éveil artistique" – 1 Kino Konzerte, traditionelle und Ausstattung 1-mal jährlich moderne Tanzaufführungen

Schwerpunkt: mittelgroße audivisuelle Ausstattung, • moderner Tanz und Gesang CLAC Veranstaltungen, keine Ton- bzw. (Orchester) "Journées provinciales eher Schulveranstaltungen Lichtanlage • Theater de la culture" –

• traditioneller Tanz und mangelnde technische alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der "Auberge populaire" kleinere Veranstaltungen, Gesang Ausstattung Provinz Sourou vor allem für Kinder schwache Kapazität, 3 Tanzbars mittelgroße Veranstaltungen keine Scheinwerfer

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen sehr gute Beteiligung von Kindern Gassan/ und Jugendlichen, eine mittlere von Männern und eine schwache von Frauen; kaum Veranstaltungen für Nayala/ 240 km Kinder, außer jenem künstlerischen Wettbewerb (Tanz, Theater etc.), organisiert von der amerikanischen San, Dioula Kooperation "Sida Stop"; Präferenz für lokale und nationale Künstler; die öffentlichen Ausrufer haben den 32.252 EW größten Impact.

Schwerpunkt: • traditioneller Tanz und "Maison des mangelnde technische Gesang jeunes et de la trotz geringer Kapazität Ausstattung, "Journées culturelles" – • moderner Gesang und Tanz culture" Veranstaltungen aller Ort nicht elektrifiziert, 1-mal jährlich (Orchester) aber Solarenergie • traditioneller Kampf

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Jugendlichen Dédougou/ und Kindern, eine mittlere von Männern und Frauen; keine speziellen Veranstaltungen für Kinder, außer Mouhoun/ von Zeit zu Zeit im Rahmen des Volksschulunterrichts (Theater, Ballett etc.); Präferenz für lokale und 240 km Bwamu, Dioula nationale Künstler; nationale u. internationale Kooperationspartner beim Maskenfest; Radiospots (bei 37.793 EW lokalen Privatstationen wie "Horizon FM" oder "CEDICOM") und die Beschallung mit Megafon durch ein herumfahrendes Auto haben den größten Impact. Veranstaltungen aller Art, "Journées provinciales vor allem Konzerte sowie gute Tonanlage, de la culture" – 1 Kino traditionelle und moderne keine Scheinwerfer alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der Tanzaufführungen Provinz Mouhoun Schwerpunkt: Schulveranstaltungen, mangelnde technische "Festival des masques et des • traditioneller Tanz und CLAC Kinderaufführungen Ausstattung arts" (FESTIMA) Gesang

• Theater "Festival de balafon et djembé" • moderne Musik zum Zeitpunkt "Salle des spectacles ______der Erhebung Gnataaba" Fertigstellung des Baus "Festival de théâtre"

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Jugendlichen Nouna/ und Kindern, eine mittlere von Männern und eine schwache von Frauen; kaum spezielle Veranstaltungen Kossi/ 284 km für Kinder, außer im Rahmen des Volksschulunterrichts (Theater, Ballett); Präferenz für lokale und Dioula nationale Künstler; viele lokale (Künstler) und nationale (Verwaltungsbehörde, Vereine für Entwicklung) 18.440 EW Kooperationen; die Beschallung mit Megafon durch ein herumfahrendes Autos hat den größten Impact. trotz schwacher Kapazität v.a. mangelnde technische 1 Kino Konzerte und traditionelle und Ausstattung, Schwerpunkt: moderne Tanzaufführungen keine Filmvorführungen "Journées provinciales • traditioneller Tanz und kleinere Veranstaltungen, de la culture" – CLAC mangelnde technische Gesang v.a. Schulverantaltungen, alle 2 Jahre – (früheres MJC) Ausstattung • moderner Gesang und Kinderaufführungen mit Künstlern aus der Provinz Tanz Kossi nur mittlere Veranstaltungen • Theater mangelnde technische "Auberge populaire" (aufgrund beschränkter Ausstattung Kapazitäten)

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Ort / Provinz / Anzahl und Art Sonstige kulturelle Distanz zur Art der vorherrschende der Kultur- +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Veranstaltung Einwohner einrichtungen Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Solenzo/ Jugendlichen, Frauen und Männern, eine schwache von Kindern; kaum spezielle Veranstaltungen für Banwa/ 298 km Kinder, außer im Rahmen des Volksschulunterrichts (Theater, Ballett); Präferenz für lokale und San, Dioula nationale Künstler; viele Kooperationen; das Radio (Radiostation wie "Radio nationale du Burkina" 12.597 EW oder der Privatsender "FM Écho" von Banwa) hat den größten Impact. Schwerpunkt: "Journées provinciales et • moderner Gesang und Tanz mangelnde technische régionales de la culture" – (Orchester) "Auberge populaire" Veranstaltungen aller Art Ausstattung alle 2 Jahre – mit Künstlern aus der • Theater Provinz Banwa • traditioneller Tanz und Gesang

Kulturachse 3 – die Schleife von Mohoun (auch als Schwarzer-Volta-Bogen bekannt): Koudougou, Toma, Tougan, Gassan, Dédougou, Nouna und Solenzo – Resümee

Auch auf dieser Kulturachse fällt die äußerst schwache Infrastruktur der Veranstaltungen auf; außerhalb größerer Ortschaften wie Koudougou, Tougan, Dédougou und Nouna gibt es kaum nennenswerte Aktivitäten. Bestimmte Orte wie Toma, Gassan und Solenzo zeigen kein großes Interesse an der Etablie- rung von Kulturveranstaltungen als auch damit verbundenen Einnahmemöglichkeiten. Trotz der Bereitschaft des Publikums, an den Veranstaltungen in den einzelnen untersuchten Orten teilzunehmen, können sich für Theaterbetreiber bzw. -truppen Probleme mit der Rentabilität von Aufführungen ergeben. Die Kinosäle und die CLACs (Centres de lecture et d’animation culturelle) beherbergen die meisten Veranstaltungen. Allerdings sind ihre Aufnahmekapazitäten im Durchschnitt schwach und die Einnahmemöglichkeiten für Kulturbetreiber bzw. Theatertruppen sind beschränkt. Die Raummieten erscheinen relativ hoch und fressen einen nicht unwesentlichen Betrag der Einnahmen auf. Etliche dieser Säle werden nur für Aufführungen geöffnet und bedingen das Installieren von Stromzählern (Tougan, Dédougou, Nouna). Eine Herausforderung für Künstler stellt das anspruchsvolle Publikum in Koudougou dar. Da die vorge- stellten Orte sich in einer der Baumwoll-Zonen des Landes befinden, ist es aufgrund einer höheren Partizipation der dort ansässigen Bevölkerung ratsam, Vorstellungen in die Monate Dezember, Jänner und Februar zu legen. Die vor allem Mooré und Dioula sprechenden Künstler (z.B. Pascal Kaboré, Solo D. Kabaco) sind in Hinblick auf die regionale Vorherrschaft dieser Sprachen auf dieser Kulturachse die beliebtesten. Die Straßen sind nicht gut und die Er- reichbarkeit der Ortschaften gestaltet sich vor allem in Regenzeiten schwierig. Des Weiteren garantieren nur die großen Ortschaften wie Koudougou, Dé- dougou, Tougan und Nouna eine 24-stündige Versorgung mit Strom. In den anderen Ortschaften muss man Stromaggregate für eine funktionierende Stromversorgung vorsehen. Bestimmte Einrichtungen müssen sich auch im Bereich Material, Tonanlagen und Beleuchtung mit einer Grundausstattung auf- rüsten. Am häufigsten muss man sich in Koudougou auf die Suche nach diesen Elementen begeben.

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3.3.1.4 Kulturachse 4 – der Osten und der Südosten: Zorgho, Pouytenga, Koupéla, Fada N’Gourma, Tenkodogo und Garango

Ort / Provinz / Distanz Sonstige kulturelle Anzahl und Art der Art der vorherrschende zur +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Hauptstadt Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen eine gute Beteiligung von Zorgho/ Kindern und Jugendlichen, eine mittlere von Männern und eine schwache von Frauen; kaum spezielle Ganzourgou/ Veranstaltungen für Kinder, außer 5- bis 6-mal pro Jahr organisiert das CLAC Theater-, Konzert- und 110 km Mooré Filmvorführungen; die Veranstaltungen werden von den Künstlern selbst in Kooperation mit lokalen und 19.278 EW nationalen Partnern initiiert; Präferenz für lokale und nationale Künstler; die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. Veranstaltungen aller Art, "Maison des jeunes v.a. tradtionelle und moderne gute Ausstattung Schwerpunkt: et de la culture" Tanzaufführungen, traditioneller Tanz und • Theater- und Schulaufführungen Gesang Konzerte, Tonanlage, aber keine • Theater CLAC Schul- und Kinderveranstaltungen Beleuchtung • moderner Gesang und Tanz Tanzfläche, mangelnde (Orchester) 1 Kino kleinere Veranstaltungen technische Ausstattung 3 Tanzbars kleinere bis mittelgroße Veranstaltungen Tanzfläche Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen eine gute Beteiligung von Kindern und Jugendlichen, eine schwache von Frauen und Männern; kaum spezielle Veranstaltungen für Pouytenga/ Kinder, außer 1-mal jährlich organisiert das lokale Gymnasium mit der Truppe "Zou" des CLAC Kouritenga/ 139 km Theateraufführungen und Konzerte; Präferenz für lokale und nationale Künstler; die Veranstaltungen Mooré werden von den Künstlern selbst in Kooperation mit lokalen und nationalen Partnern initiiert; das Radio 55.000 EW (lokale Privatstationen wie das "FM locale Nabonswendé") und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. Veranstaltungen aller Art, v.a. Konzerte, Schwerpunkt: gute Tonanlage, 1 Kino traditionelle und moderne Tanzauffüh- moderner Gesang und Tanz keine Beleuchtung • rungen sowie Schulveranstaltungen (Orchester) kleinere Konzerte, • traditioneller Tanz und mangelnde technische "Théâtre populaire" traditionelle und moderne Gesang Ausstattung Tanzaufführungen • Theater kleinere Konzerte, Bälle und Tanzfläche, gute Tonanlage, 1 Tanzbar Playback-Veranstaltungen keine Beleuchtung

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen mittlere Beteiligung von Kindern Koupéla/ und Jugendlichen, eine schwache von Frauen und Männern; kaum spezielle Veranstaltungen für Kinder, Kouritenga/ 1-mal jährlich organisiert die Truppe "Zou" des CLAC Theater und Konzerte für die Kinder; Präferenz für 140 km Mooré lokale und nationale Künstler; die Veranstaltungen werden von den Künstlern selbst in Kooperation mit 28.000 EW lokalen und nationalen Partnern initiiert; das Radio (lokale Privatstationen wie das "FM locale radio Kourita") und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact.

Veranstaltungen aller Art, audiovisuelles Material, v.a. Konzerte, traditionelle CPL-CLAC Bibliothek, gute Tonanlage, und moderne keine Scheinwerfer Tanzaufführungen

Schwerpunkt: kleine Konzerte, "Journées provinciales • moderner Tanz und Gesang "Foyer Saint-Joseph" der mangelnde technische Schul- und de la culture" – (Orchester) katholischen Mission Ausstattung Kinderveranstaltungen alle 2 Jahre – mit Künstlern • traditioneller Tanz und aus der Provinz Kouritenga Gesang

• Theater von Zeit zu Zeit 1 Kino nicht funktional Veranstaltungen

"Foyer des élèves" Schul- und schwache Tonanlage, des Gymnasiums Kourita Kinderveranstaltungen keine Scheinwerfer

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Ort / Provinz / Distanz Sonstige kulturelle Anzahl und Art der Art der vorherrschende zur +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Haupt- Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner stadt Stadt/Provinz

Bemerkungen: während der Aufführungen große Beteiligung von Jugendlichen und Männern, eine mittlere von Fada N’Gourma/ Frauen und eine schwache von Kindern; 1-mal jährlich organisiert eine Gruppe von Pädagogen im Rahmen des Gourma/ 215 km Volksschulunterrichts eine Ballett- und Theaterveranstaltung; Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Gulmancéma Kooperationen; Radiospots auf Französisch und Gulmancéma (bei lokalen Privatstationen wie "FM locale Radio 40.815 EW Tamba") und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. keine Filmvorführungen, Veran- "Journées provinciales staltungen aller Art, v.a. Konzerte, mangelnde technische 1 Kino de la culture" – Schwerpunkt: traditionelle/moderne Tanzaufführungen Ausstattung alle 2 Jahre • traditioneller Tanz und Schulveranstaltungen und Gesang gute Tonanlage, keine "Festival du Tancala" – • moderne Musik Scheinwerfer; zum Zeitpunkt 1-mal jährlich (Sänger und Mehrzwecksaal Schulveranstaltungen, der Erhebung dringende Orchester) der kath. Mission Kinderaufführungen "Finatawa" – Instandhaltungsarbeiten 1-mal jährlich – • Ballett erforderlich Festival der Fulbekultur • Theater Tanzfläche, gute Tonanlage, "Semaine régionale de la 2 Tanzbars Künstlerauftritte keine Scheinwerfer culture" – alle 2 Jahre Bemerkungen: Neben den unten genannten Kultureinrichtungen finden kostenlose Aufführungen auf dem Platz Tenkodogo/ der Revolution oder vor dem Hotel Djamou statt; gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Boulgou/ Beteiligung von Jugendlichen und Kindern, eine mittlere von Frauen und Männern; kaum spezielle Kinderveran- 186 km Bissa, Mooré staltungen, außer des Öfteren im Rahmen des Volksschulunterrichts (Theater-, Tanz-, Ballettwettbewerbe ...); 40.839 EW Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; die Beschallung mit Megafon durch herum- fahrende Autos und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. Veranstaltungen aller Art, v.a. Konzerte, mangelnde technische Schwerpunkt: CPL traditionelle und moderne Ausstattung "Journées • traditioneller Tanz Tanzaufführungen, Schulveranstaltungen provinciales und Gesang Saal des Konzerte, traditionelle und moderne mangelnde technische de la culture" – • moderner Gesang "cinéma provincial" Tanzaufführungen, Theateraufführungen Ausstattung alle 2 Jahre – und Tanz Tanzfläche, gute Tonanlage, mit Künstlern aus der 7 Tanzbars von Zeit zu Zeit Künstlerauftritte • Theater und keine Scheinwerfer Provinz Boulgou Marionetten Filmvorführungen, kaum für andere gute Tonanlage, 1 Kino Veranstaltungen geeignet keine Scheinwerfer

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Ort / Provinz / Anzahl und Art Sonstige kulturelle Distanz zur vorherrschende der Kultur- Art der Veranstaltung +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Einwohner einrichtungen Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern und Garango/ Jugendlichen, eine mittlere von Frauen und Männern; kaum spezielle Veranstaltungen für Kinder, außer Boulgou/ 201 km des Öfteren im Rahmen des Volksschulunterrichts (Tanzwettbewerbe, Ballett, Theaterstücke, Konzerte Bissa ...); Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; die öffentlichen Ausrufer haben 36.000 EW den größten Impact. Schwerpunkt: moderner Gesang und Tanz • Veranstaltungen aller Art, v.a. Konzerte, Bühne, (Orchester) CPL traditioneller und moderner Tanz und mangelnde technische traditioneller Tanz und • Schulveranstaltungen Ausstattung Gesang • moderner Tanz (Ballett, Tanzwettbewerbe) Bälle, • Theater, Sketche und 1 Tanzbar Rätselspiele kleine Playback-Konzerte

Kulturachse 4 – der Osten und der Südosten: Zorgho, Pouytenga, Koupéla, Fada N’Gourma, Tenkodogo und Garango – Resümee Auf dieser Kulturachse kann zumindest eine gewisse Infrastruktur an kulturellen Einrichtungen in den einzelnen Orten festgestellt werden. Bis auf die zuletzt untersuchte Ortschaft, Garango, die ein schwaches Aufnahmepotenzial bei den erhobenen 2 Veranstaltungsorten aufweist, zeigt sich bei allen anderen eine große Bereitschaft für das Abhalten von Veranstaltungen, die für Kulturbetreiber bzw. Theatertruppen auch eine gewisse Rentabilität in Bezug auf die Ein- nahmen bergen. Die Tanzbars fallen durch erhöhte Raummieten auf und bestimmen dadurch auch die Wahl der Künstler. In Tenkodogo finden die Künstler ein schwieriges, da anspruchsvolles Publikum vor, das erst gewonnen werden muss. Mooré, Gulmancéma79 oder Bissa sprechende Künstler (z.B. Z’MO, Bil Aka Kora, "Orchestre de la police nationale") sind die Publikumslieblinge in Hinblick auf die Vorherrschaft dieser eben genannten Sprachen. Die Straßen sind in einem guten Zustand und die Erreichbarkeit der Ortschaften ist das ganze Jahr hindurch gewährleistet.

79 "Das Gulmancema wird von einer Anzahl zwischen 100.000 und 500.000 Menschen in Westafrika (Burkina Faso, Benin und Togo) gesprochen und gehört zu den Gur-Sprachen, einem Zweig der Niger-Kongo-Sprachen" (Quelle: http://www.koeppe.de/katalog/printversion.php?ISBN=978-3-927620-17-9). Hier gibt es aber unterschiedliche Angaben betreffend die Zahl der Gulmancéma sprechenden Menschen als auch der geographischen Zuordnung: "Zu den größ- ten Sprachen, die im vergangenen Jahr erstmals eine Bibel bekommen haben, gehört das in Burkina Faso, Niger, Benin und Togo verbreitete Gulmancema. Es dient dort rund 800 000 Menschen zur Verständigung" (Quelle: www.l-bg.de/PM_Bibelsprachen_2006.rtf).

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3.3.1.5 Kulturachse 5 – der Süden: Kombissiri, Manga, Pô und Léo

Ort / Provinz / Distanz Sonstige kulturelle Anzahl und Art der Art der vorherrschende zur +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Hauptstadt Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen eine gute Beteiligung von Frauen Kombissiri/ und Kindern, eine mittlere von Kindern und Männern; viele Kooperationen; Präferenz für lokale und Bazèga/ 40 km nationale Künstler, bei internationalen für Reggae; die Werbespots auf Mooré durch die einzelnen Mooré Radiosender ("Radio Savane" aus Ouagadougou, "Vive le Paysan" aus Saponé und "Radio nationale du 22.585 EW Burkina") haben den größten Impact. Filmvorführungen, Schwerpunkt: 1 Kino gute Ausstattung • moderner Gesang und Tanz Veranstaltungen aller Art "Journées provinciales (Orchester) "Maison des jeunes mangelnde technische de la culture" – traditioneller Tanz und Veranstaltungen aller Art • et de la culture" Ausstattung alle 2 Jahre – mit Gesang Künstlern aus der Provinz • moderner Tanz (Ballett, Bazèga Tanzfläche, gute Tonan- Tanzwettbewerbe ...) 1 Tanzbar kleinere Veranstaltungen • Theater lage, keine Scheinwerfer Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen eine gute Beteiligung von Kindern Manga/ und Jugendlichen, eine mittlere von Frauen und Männern; kaum spezielle Veranstaltungen für Kinder, Zoundwéogo/ außer im Rahmen des Volksschulunterrichts (Ballett, Theater ...); Präferenz für lokale und nationale 100 km Mooré Künstler, bei internationalen für Reggae; viele Kooperationen; die öffentlichen Ausrufer haben den 18.861 EW größten Impact, da es kein lokales bzw. privates Radio gibt, nationale Initiatoren setzen das "Radio nationale du Burkina" je nach Wichtigkeit der Veranstaltung ein. keine Filmvorführungen, Veranstaltungen aller Art, v.a. Konzerte, Theateraufführungen, gute Tonanlage, 1 Kino "Journées traditionelle und moderne Tanzaufführungen, keine Beleuchtung provinciales Schwerpunkt: Schulveranstaltungen de la culture" – • traditioneller Tanz und gr. Bühne + Kulissen, Mehrzwecksaal des kleinere Konzerte, Theateraufführungen, alle 2 Jahre – mit Gesang mang. techn. "MJC" Schulveranstaltungen Künstlern aus der • moderner Gesang und Tanz Ausstattung Provinz (Orchester) Tanzfläche, gute Zoundwéogo • Theater Tonanlage, keine 1 Tanzbar kleinere Veranstaltungen Scheinwerfer

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Ort / Provinz / Sonstige kulturelle Distanz zur Anzahl und Art der Art der vorherrschende +/– Aktivitäten in der Sprachen/ Hauptstadt Kultureinrichtungen Veranstaltung Einwohner Stadt/Provinz

Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern, Pô/ Jugendlichen und Frauen, eine mittlere von Männern; kaum spezielle Veranstaltungen für Kinder, Nahouri/ außer des Öfteren im Rahmen des Volksschulunterrichts (Tanzwettbewerbe, Ballett, Theater ...); 145 km Kasem Präferenz für lokale und nationale Künstler; viele Kooperationen; das Radio (wie "Radio FM privée"), die 23.842 EW Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. keine Filmvorführungen, Schwerpunkt: v.a. Konzerte, „Journées provinciales • moderner Gesang und Tanz Theateraufführungen, de la culture" – (Orchester) 1 Kino gute technische Ausstattung traditionelle und moderne alle 2 Jahre – mit Künstlern • traditioneller Tanz und Tanzaufführungen, aus der Provinz Nahouri Gesang Schulveranstaltungen • moderner Tanz (Ballett, "Festival de la Culture et Tanzwettbewerbe) Tanzfläche, gute technische 1 Tanzbar kleine Playback-Konzerte, des Arts de Tiébèlé" • Theater Ausstattung Bälle (FESCAT) – 1-mal jährlich Bemerkungen: gute Publikumsbeteiligung, während der Aufführungen gute Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Frauen, eine mittlere von Männern; kaum spezielle Veranstaltungen für Kinder, ein Léo/ privater Betreiber organisiert des Öfteren im MJC Wettbewerbe (Tanz, Theater ...), im Rahmen des Sissili/ 215 km Volksschulunterrichts finden ebenfalls künstlerische Wettbewerbe statt; Präferenz für lokale und Gourounsi nationale Künstler, bei internationalen für Reggae etc.; viele Kooperationen; das Radio (wie "Radio 26.183 EW Évangile Développement"), die Beschallung mit Megafon durch herumfahrende Autos und die öffentlichen Ausrufer haben den größten Impact. keine Filmvorführungen, Schwerpunkt: Veranstaltungen aller Art, v.a. Konzerte, 1 Kino gute technische Ausstattung • traditioneller Tanz und traditionelle und moderne Tanzauffüh- Gesang rungen und Schulveranstaltungen "Journées provinciales • moderner Gesang und Tanz "Maison des de la culture" – Theateraufführungen, gute Tonanlage, (Orchester) jeunes et de alle 2 Jahre – mit Künstlern Schul- und Kinderveranstaltungen keine Scheinwerfer • moderner Tanz (Ballett, la culture" aus der Provinz Sissili Tanzwettbewerbe) kleine Playback-Konzerte, Tanzfläche, Ausstattung 3 Tanzbars Bälle teilweise nicht vorhanden

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Kulturachse 5 – der Süden: Kombissiri, Manga, Pô und Léo – Resümee

Diese Kulturachse ist die kürzeste von allen vorgestellten, allerdings mit interessanten Ergebnissen: Alle Kinosäle sind in privater Hand und gleichzeitig die Haupteinrichtungen für Veranstaltungen. Alle aufgezählten Orte verfügen über elektrischen Strom, aber nur in Kombissiri wird die Stromversorgung rund um die Uhr gewährleistet. Das Publikum scheint die Aufführungen zu befürworten und sich dafür zu begeistern, was sich auch in den Aufnahmekapazitäten der einzelnen Veranstaltungsorte und in den Einnahmen widerspiegelt. In den Tanzbars limitiert das geringe Fassungsvermögen eine höhere Besucherzahl und deshalb werden sie nur für kleine Playback-Konzerte und für Bälle mit Künstlerauftritten verwendet, allerdings fallen hier die hohen Raummieten auf. Auch hier gilt wie auf allen anderen Kulturachsen die Präferenz beim Publikum für jene Künstler, die die vorherrschenden Sprachen der Region sprechen: Neben Kasem80 sind Mooré und Gourounsi sprechende Künstler (z.B. Bil Aka Kora81, Pascal Kaboré, Truppe "Zoug na zagemda") die beliebtesten. Die Straßenverhältnisse sind gut und die Ortschaften sind das ganze Jahr hindurch erreichbar.

80 Das Kasem (auch Kassem), eine der Sprachgruppe der Gurunsi-Sprachen zugeordnete Sprache, wird von den Kassena (auch als Kasena bezeichnet), einer im Grenzgebiet zwischen Burkina Faso und Ghana lebenden Ethnie, gesprochen (Quelle: http://www.ethnologue.com/show_language.asp?code=xsm). International bekannt wurden die Kassena im "Land der Gourounsi" neben ihrer Architektur und den kunstvoll gefertigten Masken durch die von den Frauen kunstvoll verzierten Lehmhäuser. 81 Bil Aka Kora, 2002 zum besten Musiker von Burkina Faso gewählt, baut seine Musik auf den traditionellen Musikstilen der Kassena auf und tourte mit seiner Band auf Initiative von "Kulturen in Bewegung" (VIDC) im Sommer 2003 durch Österreich (VIDC: Bil Aka Kora. Burkina Faso. Europa-Tour Juni 2003. Wien).

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3.4 Resümee

In diesem Kapitel wurde versucht, eine analytische Einführung in das vielfäl- tige und facettenreiche burkinische Kulturleben trotz infrastruktureller Schwie- rigkeiten bzw. Defizite vor allem in den Provinzen – zunächst in Form der Erfassung baulicher Einrichtungen als auch in jener von kulturellen Manifes- tationen wie beispielsweise Festivals – zu geben, wobei der Fokus auf zwei Akzente gelegt wurde: zum einen auf das mit einer Vielzahl von Kulturpunkten und renommierten Festivals angereicherte kulturelle Leben in der Hauptstadt Ouagadougou, zum anderen auf jenes in den verschiedenen Provinzen des Landes, das nicht minder mit kulturellen Überraschungen aufwartet, sich den- noch aber im Großen und Ganzen innerhalb der vorgestellten, auf den ein- gangs erwähnten Kulturachsen des Landes liegenden Städte bzw. Ortschaften abspielt. Das Kulturleben abseits dieser Achsen bleibt im Verborgenen und entzieht sich damit etwaigen Kontextualisierungen. Die zu Beginn erwähnte analyseartige Erfassung der einzelnen Städte bzw. Ortschaften in Form von Übersichtstabellen bezieht sich hierbei ausschließlich auf das Untersuchungs- gebiet in den Provinzen, deren Darstellung in vorgenommene Rubriken wie "Ort/Provinz/vorherrschende Sprachen/Einwohner", "Anzahl und Art der Kul- tureinrichtungen" oder "Sonstige kulturelle Aktivitäten in der Stadt/Provinz" eine Bestandsaufnahme des kulturellen Ist-Zustandes von Burkina Faso erkennen lassen soll, ohne damit einen Anspruch auf Vollständigkeit bzw. auf Aktualität (Erhebung der Daten durch PSIC: 2001/2002) erheben zu wollen.

3.4.1 Bemerkungen zur Hauptstadt Ouagadougou Ouagadougou besticht durch sein reichhaltiges Kulturprogramm in Form zahl- reicher Festivals auf internationalem Niveau (FESPACO, FITD, SIAO) als auch durch seine kulturellen Einrichtungen ("Maison du Peuple", CCF-GM oder CITO). Neben diesen durchaus publikumswirksamen und den Tourismus des Landes ankurbelnden Veranstaltungen findet aber auch eine Reihe von lokalen Events wie der "carneval dodo"82, die unzähligen künstlerischen Schul- und

82 Der "carneval dodo", dessen Entstehung die Legende eines ungehorsamen Jägers zugrunde liegt, findet am Ende des Ramadan in den beliebten Stadtvierteln Ouagadougous statt. Das Wort "dodo" ist dem Haussa entlehnt und bedeutet Monster. Ein Jäger, mit Masken und als Tiere

Jugendwettbewerbe, die stark im Leben der Bevölkerung von Ouagadougou verankert sind, und das kulturelle Nachtleben in den Tanzbars statt. Kultur- einrichtungen wie das französische CCF-GM werden von der einheimischen Bevölkerung aus bereits dargelegten Gründen wie zu hohen Eintrittspreisen, eventuell bestehenden Hemmschwellen, zu "europäischem" Kulturprogramm etc. kaum frequentiert.

3.4.2 Bemerkungen zu den burkinischen Provinzen Inwieweit hier von einem Stadt-Land-Gefälle die Rede sein kann, ist eine Fra- ge, die sich nicht so schnell beantworten lässt. Die hier aufgelisteten und kurz beschriebenen Einrichtungen sowie Festivals liefern zwar eine Aussage darü- ber, dass Kulturaktivitäten in sogenannten "Ballungszentren“ auf dem Land stattfinden und es diesbezüglich einen gewissen Grundstock an baulichen Ein- richtungen gibt, sie spiegeln aber nicht die Häufigkeit und Intensität von Theater- bzw. Kulturveranstaltungen wider. Dass es aber ein Kulturdefizit ge- ben muss, bestätigt die Herausgabe eines solchen Führers seitens des PSIC, das dem Ministerium für Kultur, Künste und Tourismus unterstellt ist und auf die Nachfrage seitens der Kulturbetreiber und Truppen nach einem solchen Grundlagenwerk, das die Struktur von Verbreitungsmöglichkeiten in den Pro- vinzen gepaart mit einem Bündel an Informationen dokumentiert, reagiert hat. Aber auch von den Provinzen selbst ging ein starker Impuls aus, an hochwer- tigen Veranstaltungen partizipieren zu wollen.

3.4.2.1 Die Rolle der Sprache Hier fällt die jeweilige Sprachdominanz bzw. auch die parallele Präsenz von mehreren Sprachen gleichzeitig auf, die auch entscheidend den Erfolg von Veranstaltungen bestimmen: Mooré, aber vor allem Dioula sprechende Küns- tlern wird seitens des Publikums beispielsweise auf der Kulturachse 1 eindeutig der Vorzug gegeben. Dieser Umstand zieht sich wie ein roter Faden auf allen

verkleidete Tanztruppen, Musiker und vor allem viele Kinder marschieren in den Straßen der Viertel auf und bieten kleine Vorführungen dar. Am Ende des Ramadan kommt es dann zu einem 3-tägigen Wettstreit innerhalb der Gruppen der einzelnen Viertel. Die 7 besten dürfen dann im "Maison du Peuple" in Ouagadougou beim Finale vor großem Publikum auftreten (Quellen: WODTCKE, Anne: Westafrika-Reisehandbuch. Därr Reisebuch Verlags-GmbH; http://www.ambafrance-bf.org/article.php3?id_article=330).

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Kulturachsen durch und begründet auch die eindeutige Präferenz für Künstler aus der unmittelbaren (sprachlichen) Region bzw. aus Burkina selbst, wenn es keine lokalen Künstler gibt. Der Einsatz der lokalen Sprache ist auch ein wich- tiger Faktor bei der Aufführung von "Théâtre pour le Développement"-Stücken in einem Land mit über 60 Ethnien und entscheidet mit über den Erfolg von Theateraufführungen und den publikumsrelevanten Impact.

3.4.2.2 Steigende Einwohnerzahlen Auf die rasante Bevölkerungsentwicklung wurde bereits hingewiesen, die Ein- wohnerzahlen wurden dahingehend in den Tabellen auf die Ergebnisse der Volkszählung von 2006 angepasst. Auffallend ist auch der sprunghafte Anstieg der Bevölkerungszahl in den beiden großen Städten Ouagadougou und Bobo- Dioulasso: Waren es bei der Volkszählung von 1985 in der Hauptstadt noch 465.969 Einwohner, erfasste die Volkszählung von 2006 1.181.702 Men- schen83, d.h., die Bevölkerung hat sich in einem Zeitraum von 21 Jahren mehr als verdoppelt, Tendenz aufgrund wiederkehrender Dürren, zunehmender De- sertifikation, mangelnde Grundversorgung und fehlenden Einkommensmög- lichkeiten steigend.

"L’Afrique de l’an 2000 n’est pas une savane peuplée de lions, d’éléphants, de huttes en paille. En Afrique aujourd’hui – plus de la moitié de ses 650 millions d’ habitants vivent en ville! Pas uniquement dans les métropoles cotières, torrides et asphyxiées par la circulation, mais également dans de petites villes et bourgades dans lesquelles tous cherchent des débouchés et la plupart les trouvent. Les villes sont des centres d’attraction. Elles représentent le travail, l’argent et les biens de consommation. En Afrique, les gens sont extremement mobiles, les familles poussent les jeunes vers de nouvelles opportunités de travail. Les jeunes aiment voyager, loin du village."84

83 Quelle: http://www.insd.bf/. 84 BENEDIKT, Güntert: Urban Africa now! DDC Médiaset communication (Quelle: www.africa now.ch).

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3.4.2.3 Sonstige Auffälligkeiten Die Veranstaltungsorte variieren in ihrer baulichen Erscheinung, diese deter- miniert auch die Art bzw. die Größe von Veranstaltungen. In manchen Orten dient als einzige Veranstaltungsmöglichkeit das ehemalige Kino, aber auch Tanzbars übernehmen häufig diese Funktion. Die "Maisons des jeunes et de la culture" sind als eine der ältesten Institutionen fest ins kulturelle burkinische Leben eingeschrieben. Beim Großteil der Einrichtungen fällt die vorwiegend schlechte technische Aus- stattung, oft sogar fehlende Beleuchtung oder Tonanlage auf, die bei haupt- sächlich am Abend stattfindenden Veranstaltungen und früh einbrechender Dunkelheit eine solche von vornherein zum Scheitern verurteilt. Auf den Kulturachsen 1 und 2 finden sich Tanz- bzw. Theatertruppen in einer quantitativen Aufzählung klar hinter den Sängern gereiht (11 bzw. 14 Sänger/ je 4 Truppen). Auf der Kulturachse 3 ist die Situation nicht viel anders, aller- dings scheinen hier zumindest Theatertruppen wie das ATB oder das "Théâtre de la Fraternité" mit einem Gastspiel in Tougan auf (14 Sänger/6 Truppen). Auf der Kulturachse 4 überwiegen die Truppen (15 Truppen/13 Sänger) und auf der Kulturachse 5 führen wieder die Sänger vor den Truppen (13 Sänger/ 10 Truppen). Ob aus dieser quantitativen Listung von künstlerischen Gattun- gen und ihren Protagonisten eine Präferenz des Publikums für Sänger gegen- über Truppen abgeleitet werden kann oder andere Gründe wie z.B. aufwän- digere Finanzierung von Theatertruppen ins Treffen geführt werden können, wird aus den Erläuterungen im Text ebenfalls nicht ersichtlich.

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4. Formen der Theatralisierung in Burkina Faso

"En Afrique existent des formes de théâtre, parfois inconnues en , où les spectateurs sont tellement impliqués dans le spectacle qu’ils n’hésitent pas à intervenir, à se mêler aux acteurs, et cela va transformer leur vie. Car ce théâtre n’est pas un pur divertissement: il a une fonction sociale précise."85

4.1 Traditionelle Formen der Darbietung86

"Schon die alten Könige wussten: Hören ist gut, aber wenn die Men- schen eine Botschaft hören und sehen, dann erst bleibt sie haf- ten."87

Bevor die verschiedenen Einflüsse und Entwicklungen seit den Kolonialbestre- bungen Frankreichs innerhalb der Theatergeschichte von Burkina Faso näher beleuchtet werden, soll auf einen wesentlichen Aspekt eingegangen werden, der wohl im Rahmen dieser Arbeit als persönliches wissenschaftliches "Aha- Erlebnis" eingestuft werden kann und der immer wieder in Zusammenhang mit dem burkinischen Forumtheater im Rahmen von "Théâtre pour le Développe- ment", aber auch und vor allem mit dem in Mali praktizierten "théâtre utile" von Philippe Dauchez auftaucht: nämlich der Begriff "Kotèba"88. Auch Joy F. Morrison von der University of Alaska Fairbanks bezieht sich in ihren Aufsätzen zu Forumtheater in Burkina Faso wiederholt auf diese traditionelle Kommuni- kationsform des Kotèba, das als eines der ersten afrikanischen Länder – neben Mali – diese Form des Theaters praktizierte.

85 NKANDU NKASHAMA, Pius (1998): Littérature francophones d’Afrique subsahariennes et du Maghreb. In: Cviklinski, Célia (2006): Corriger les mœurs en riant: la satire sociale au tournant du siècle. Théâtres contemporains du Sud 1990–2006. Notre librairie 162. S. 109. 86 Neben dem hier näher untersuchten "Kotèba" wären als weitere Formen der Darbietung, die Jacques Scherer in seinem Buch "Le théâtre en Afrique noire francophone" unter Instrumente der Negritude zusammenfasst, folgende zu nennen: der Erzähler, der "féticheur", der Griot, das Palaver, die Sprichwörter und theatralisierte Riten. In: SCHERER, Jacques (1992): Le théâtre en Afrique noire francophone. Presses Universitaires de France. Paris. S. 53–71. 87 Zitat von Adama Traoré. In: KOBELT, W. Jodok (2000): Theater und Realität in Bamako. Eine Welt Nr. 2. DEZA. Bern. 88 Es gibt 3 verschiedene Schreibweisen dieses Worts, wobei hier jener mit dem "accent grave" der Vorzug gegeben wird – also Kotèba – begründet auf der etymologischen Ableitung des Bam- bara-Worts "kotè" (= Schnecke). In Zitaten wird es unverändert übernommen.

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4.2 Die Tradition des Kotèba

"When I was a kid, I enjoyed koteba performances, an old African tradition. The word means 'big snail'. They took place in our neigh- bourhood and there would be three circles – one of children, another made up of women and a third one of men. But in those colonial days, the koteba was dying out and being replaced by Westernstyle theatre."89

4.2.1 Etymologische Bedeutung90 Das Wort "Kotèba" setzt sich zusammen aus kotè (= Schnecke) und baa (= groß) und ergibt dem Sinn nach: große Schnecke. Dieses Weichtier besteht aus zwei Teilen: aus einem Schneckenhaus, dessen konzentrische Kreise die Organisation verschiedener sozialer Gruppen evozieren, und aus einem mit "Hörnern" versehenen weichen Körper. Die Bambara vertreten die Ansicht, dass die Schnecke das einzige Tier ist, deren Hörner harmlos sind. Das Wort "Kotèba" beschreibt also eine Theaterform, die der Sozialsatire nahekommt – versöhnlich oder provokativ – aber ohne unterdrückenden oder verletzenden Charakter, da die angesprochenen (Dorf-)Ereignisse mittels Verfremdungs- effekte thematisiert wurden.

4.2.2 Zeitliches Erscheinen und mythologischer Hintergrund Sein historisches Auftauchen, so Marie José Hourantier – „se perd dans la nuit des âges"91 –, wird in keiner der im Rahmen dieser Arbeit bekannten schrift- lichen Dokumente, die sich mit dem Phänomen Kotèba beschäftigen, erwähnt. Jodok W. Kobelt beschreibt es wiederum als Tanztheater mit "jahrhunder- telanger" Tradition und teils unterhaltendem, teils belehrendem Charakter.92

89 KOUYATÉ, Sotigui: The wise man of the stage. Interview by Cynthia Guttman, UNESCO Courier journalist (Quelle: http://www.unesco.org/courier/2001_10/uk/dires.htmI didn’t go to). 90 Die Beschreibung wurde dem Aufsatz "Théâtre utile au Mali" von Adama Traoré übernommen. In: Helvetas (o.J.): Culture et développement. Lausanne. 91 HOURANTIER, Marie José, LIKING, Were-Were (1981): Les vestiges d’un Kotéba. Revue de littérature et d’esthétique négro-africaine. Paris. N°3, S. 35–53. In: Lamko, Koulsy (2003): Emergence difficile d'un théâtre de la participation en Afrique Noire francophone. Faculté de Lettres et Sciences Humaines, Université de Limoges (Quelle: http://www.unilim.fr/theses/ 2003/lettres/2003limo0006/these_front.html). 92 KOBELT, W. Jodok (Juni 2000): Theater und Realität in Bamako. Eine Welt. Nr. 2.

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Der einstige Assistent von Albert Camus, Philippe Dauchez93, der Erfinder, Initiator und Direktor des "théâtre utile" und Professor für dramatische Kunst am "Institut National des Arts" (INA) in Bamako/Mali, bemühte sich im Rah- men dieses "nützlichen Theaters" um die Wiederbelebung der malischen Tradi- tion des Kotèba, sozusagen einer dörflichen Posse, die bis in die 1950er Jahre im Kulturkreis der Bambara sehr oft gespielt wurde und der folgende Legende zugrunde liegt:

"C’était une espèce de tribunal populaire. Il y a environ 150 ans le roi Da Monzon de Ségou avait décidé une nuit qu'on allait donner la parole à ceux qui ne l'avaient pas c'est-à-dire les esclaves, les femmes. Il a décidé de distribuer du dolo (bière locale.) Et comme les gens avaient bien bu, ils ont eu la langue déliée. Le roi a pu entendre des choses qu'il ne pouvait jamais soupçonner. Alors il s'est dit: 'une fois par an on va réserver une nuit où les choses se diront très librement.' C'est ainsi qu'une fois par an pendant la période des récoltes avant ou après selon qu'elle était bonne ou mauvaise, on donne la parole à tout le village pour se souvenir des événements qui ont lieu pendant l'année. Les faits et méfaits de certaines personnes, chefs de villages abusifs, marabout, histoires de couples, etc. Et tout cela se faisait de la façon humoristique qui ne blesse personne, parce que les choses étaient voilées. Néan- moins désormais les jeunes se tiennent à carreaux pour éviter que l'on se moque d'eux car la honte tue."94

Dieses Ereignis dürfte sich bei der ländlichen Bevölkerung großer Beliebt- heit erfreut haben, da es jährlich in Form von Tanztheateraufführungen, die die Geschichten und Probleme des Alltags thematisierten, wiederholt wurde.

93 RINKE, Heidi (Mai/Juni 1999): Tod im zweiten Büro. alle welt. Missio Austria. S. 28 f. 94 DAUCHEZ, Philippe (Oktober 1992): Im Gespräch mit Koulsy Lamko. Ouagadougou. In: Lamko, Koulsy (2003): Emergence difficile d'un théâtre de la participation en Afrique Noire francophone. Faculté de Lettres et Sciences Humaines, Université de Limoges (Quelle: http://www.unilim. fr/theses/2003/lettres/2003limo0006/these_front.html).

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4.2.3 Beschreibung, Kontext und Funktion Jean Baptiste Toe weist in seiner Diplomarbeit95 der Praxis des Kotèba, das vor allem ein von Liedern und Tanz begleitetes Theater ist – Rieg spricht sogar von "théâtre total", da die Schauspieler sowohl Tänzer, Musiker als auch Marionettenspieler sind96 –, einen sehr volksnahen Charakter aus, das ein Maximum an Publikum erreicht und alle möglichen sozialen Veränderungen bewirken kann. Es besteht aus einem vom Publikum gebildeten Kreis aus alten Menschen, Erwachsenen und Jugendlichen und die Erwachsenen unterstützen die auf gleicher Höhe mit dem Publikum agierenden Schauspieler. Bevor die Aufführung beginnt, schreibt Célia Cviklinski, tanzt das ganze Dorf frenetisch in dieser von ihm gebildeten Spirale, gleichzeitig beschreibt das durch Kinder- hände zum Kreisel gewordene Schneckenhaus den Lauf der Welt.97 In be- stimmten Momenten kommt es zu einer Vermischung der Zuschauer mit den Schauspielern und der Zuschauer bekommt die Gelegenheit, auf der Bühne die Aktion der Schauspieler zu erwidern, indem er ein ihm nicht zusagendes Thema zurückweist oder sogar einen Sketch oder eine Aufeinanderfolge von Szenen im Vergleich zu jenen vorschlägt, denen er zustimmt oder die er zu verändern wünscht, da er noch andere dem Publikum nicht bekannte Aspekte näherbringen will. Diese Interventionen seitens des Zuschauers finden meist in Form von Tanz oder Gesang statt, und es sind die Schauspieler, die die Zuschauer des Öfteren um deren Unterstützung ersuchen, damit die Inter- ventionen sich zur Zufriedenheit aller gestalten. Die Elemente Tanz und Ge- sang sind unerlässlich für die Unterstützung der Aktion und den weiteren Ver- lauf des Kotèba, denn diese Tanz- bzw. Gesangseinlagen läuten jeweils eine neue Situation im Fortschreiten der Handlung ein. Dem Publikum kommt in dieser Theaterform eine ganz wichtige Rolle zu. Toe zitiert hier Augusto Boals Verweis zur Entstehung des Theaters: "C’était le peuple libre chantant à l’air libre."98 Unter diesem Blickwinkel folgert Toe weiter, dass kein großer Unter- schied zwischen dieser Urform des Theaters, dem „théâtre authentique“, und

95 TOE, Jean Baptiste (1992): Le théâtre d’intervention sociale au Mali. Cas particulier du théâtre utile. Ecole Normale Supérieure (ENSUP). Bamako. S. 12–14. 96 RIEG, Sylvaine (o.J.): Du Kotèba au théâtre utile. In: Culture et développement. Helvetas. Lausanne. S. 9. 97 CVIKLINSKI, Célia (2006): Corriger les mœurs en riant: la satire sociale au tournant du siècle. Théâtres contemporains du Sud 1990–2006. Notre librairie 162. S. 109. 98 TOE, Jean Baptiste: Ebd. S. 12.

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dem ursprünglichen Kotèba besteht, da (Ab-)Sender und Empfänger ein und dieselben sind. Es muss aber aufgrund der Beschreibung von Sylvaine Rieg99 festgehalten werden, dass das Kotèba trotz der Vermischung von Schau- spielern und Zuschauern einer genau festgelegten Rollenverteilung folgt: in Hinblick auf den sozialen Rang, das Alter, die zugeteilte Rolle in den geheimen Organisationen, in jenen von Jungen, Frauen, Menschen einer Kaste etc. Auch wenn das Kotèba anfänglich keine politischen Ambitionen verfolgte, so gibt es nach Toe in Bezug auf Boals "Theater der Unterdrückten" – dem Bildertheater und dem Forumtheater – erstaunliche Parallelen in der angewandten Technik.

Forumtheater von Boal Kotèba in Mali

Einsatz des Statuen- und Bildertheaters beinahe marionettenähnliche Intervention, mit nonverbalem Dialog selbst Masken können Szenen ohne verbalen Dialog übernehmen

Zuschauer greifen beim Forumteil direkt Zuschauer greifen – auch spontan – in die dramatische Aktion ein und spielen. in die Aktion ein.

Theater der Unterdrückten in all seinen Bei den Bambara steht das Praktizieren Erscheinungsformen offen für alle sozialen des authentischen Kotèba allen sozialen Schichten Schichten offen (kein Exklusivitätsan- spruch100), allerdings nach genau festge- legten Rollenzuteilungen.

Aufgreifen von sozial relevanten Themen Vielzahl von Themen des Alltags mit Bezug auf Sitten und Gebräuche gesellschaftsverändernder, stark konflikt- konfliktlösendes Gemeinschaftsritual orientierter Anspruch

Rolle des Joker Rolle des dugu tigui

Zahlreiche Theatermacher, die mit den Techniken des Boal’schen Forumthea- ters arbeiten, sehen im "Joker", der die Zuschauer zur Teilnahme am Spiel einlädt, einen Vertreter des malischen dugu tigui, des "falschen" Dorfchefs des Kotèba.101

99 RIEG, Sylvaine (o.J.): Du Kotèba au théâtre utile. In: Culture et développement. Helvetas. Lausanne. S. 6. 100 Dies trifft vielmehr auf den Griot und seine Gefolgsleute zu, die die Rolle des Beraters und zu gleicher Zeit des Unterhalters einnahmen. In: TOE, Jean Baptiste (1992): Le théâtre d’interven- tion sociale au Mali. Cas particulier du théâtre utile. Ecole Normale Supérieure (ENSUP). Bama- ko. S. 13. 101 CVIKLINSKI, Célia (2006): Corriger les mœurs en riant: la satire sociale au tournant du siècle. Théâtres contemporains du Sud 1990–2006. Notre librairie 162. S. 110.

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4.2.3.1 Kotèba als spielerisch-künstlerische Theatralisierung Prosper Kompaore widmet sich in seiner an Dichtheit und Komplexität beein- druckenden, 538 Seiten umfassenden und bedauerlicherweise unveröffent- lichten Dissertation "Les formes de théâtralisation dans les traditions de la Haute-Volta"102 im Kapitel "Théâtralisation ludique et artistique" dem Kotèba als einem "jeu populaire", also einem beliebten bzw. volkstümlichen Spiel. Einleitend versucht er den Begriff des "Spektakulären", der dem Theater an- haftet, in seinen verschiedenen Ausprägungen, aber auch in der Deutung von Guy Debord103 zu beleuchten, der die moderne kapitalistische Gesellschaft 1967 als eine Gesellschaft des Zur-Schau-Stellens bezeichnet und dessen "moder-nistische" Interpretation von Schauspiel mit dem Wesen des in der burkini-schen Tradition verankerten Schauspiels nach Ansicht Kompaores kollidieren müsse. Das wirkliche "spektakuläre" Theater ist nicht im passiven Konsum eines Theaterabends zu suchen, sondern in den Formen der spielerischen und künstlerischen Theatralisation in seiner höchsten Steigerung von "spectacu-larisation". In den Sprachen von Burkina Faso ist der Begriff "Theater" unmittelbar an das Wort "Spiel" gekoppelt. Bei einer Befragung im Rahmen seiner damaligen Doktorarbeit (1977) wurde auf die Frage "Gibt es in Ihrer Sprache ein Äqui- valent für das Wort 'Theater'?" mehrheitlich mit Nein geantwortet. Die weni- gen positiven Rückmeldungen konnotierten den Begriff "Theater" mit Bezeich- nungen wie "jeu des écoliers", "jeu des blancs" oder "jeu des élèves caté- chistes", das heißt, dass das im Rahmen der Schule bzw. der katholischen Kirche stattfindende Theater mit dem beliebten Spiel an sich identifiziert wur- de. Zwischen Theater und Spiel bestünde demnach eine Verwandtschaft, und in der modernen westlichen Gesellschaft wurde Theater zu einer Freizeit- bzw. Kompensationsbeschäftigung. Daraus folgert Kompaore die spielerische Funk- tion des Theaters, wobei er hier die ganze Sache ins Gegenteil verkehrt und sich auf die Suche nach den theatralen Elementen innerhalb der traditionellen

102 KOMPAORE, Prosper (1977): Les formes de théâtralisation dans les traditions de la Haute-Volta. Institute d’Etudes Théâtrales. Sorbonne Nouvelle. Université Paris III. Paris. S. 145–158. 103 DEBORD, Guy (1967): La société du spectacle. Editions Buchet/Chastel. S. 13. In: Ebd.: S. 145.

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Spiele von Burkina Faso – Spiele der Kinder, Spiele der Erwachsenen, Folklore- abende und traditionelle Tänze und Musik – macht. Unter "jeux populaires" reiht Kompaore das Kotèba, den "carneval dodo" und das zi104, wobei die beiden ersten ursprünglich nicht aus Burkina Faso stam- men, sich aber hier ausgebildet haben. In der aus 1916 stammenden Be- schreibung eines bei Mondschein von einer Truppe veranstalteten Kotèba- Abends nach dem Einbringen der Ernte vor versammelter Dorfgemeinde be- zieht sich Kompaore auf Maurice Delafosse105. Der Abend gliedert sich in 4 Akte und spielt im heutigen Mali106:

Beschreibung eines Kotèba-Abends nach Delafosse aus dem Jahr 1916107

1. "Beim Eröffnungstanz drehen sich die Männer um die Musiker, während die Trommeln geschlagen werden. 2. Ein Schrei erklingt, ein Mann singt, die Frauen wiederholen die Strophen des Musikers. Letzterer erzählt vom Verlust seiner Eltern ... Die anderen Musiker fordern ihn auf, seine Gefährten zu rufen. 3. Die anderen Schauspieler erscheinen, verkleidet, geschminkt, mit Kaolin und pulverisiertem Hämatit bemalt. Jeder von ihnen verkörpert einen Charakter: einen Behinderten, einen Blinden, einen Hinkenden, einen Leprakranken, einen Geisteskranken, einen tollpatschigen Jäger, einen Angsthasen, einen treulosen Kaufmann, einen Dieb, einen Wegelagerer, eine Ehebrecherin, einen betrogenen Ehemann, eine Hexe. Die Truppe geht mehrmals über den Platz und zieht sich zurück. 4. Der dramatische Teil beginnt: Mehreren Szenen, die koté koman-yaga genannt werden, folgen einige Sketche wie betrogener Ehemann, Hexe oder Dieb. Alle kennen die hier dargestellten Personen, die Schauspieler verkörpern die männlichen als auch die weiblichen Rollen."

Der festliche Charakter bestimmt die das Sozialverhalten der Dorfgemein- schaft beeinflussende und relativierende Sittenkomödie, die nach Kompaore in

104 Das zi ist eine Art theatralisierte Lobrednerei auf die Einwohner des jeweiligen von der Thea- tertruppe besuchten Dorfs im Land der Bobo. In: KOMPAORE, Prosper (1977): Les formes de théâtralisation dans les traditions de la Haute-Volta. Institute d’Etudes Théâtrales. Sorbonne Nouvelle. Université Paris III. Paris. S. 157. 105 DELAFOSSE, Maurice (1916): Haut-Sénégal-Niger. G.P. Maisonneuve et Larose. In: Ebd.: S. 157. 106 Kompaore weist hier aber auf die Wichtigkeit der von den Malinké abstammenden Bevölke- rungsgruppe in der Region von Bobo-Dioulasso hin und begründet damit auch das Integrieren dieses traditionellen Ausdrucks in das gemeinsame kulturelle Erbe des Landes. In: Ebd. 107 DELAFOSSE (1916). In: Ebd.

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seiner Originalität eines der bestorganisierten innerhalb der traditionellen volkstümlichen Spiele ist.

4.2.3.2 Kotèba als temporäre soziale Befreiung Da alle guten Dinge bekanntlich drei sind, soll die von Jean-Pierre Guingané, der wie sein Landsmann Prosper Kompaore burkinische Theatergeschichte in zweierlei Hinsicht – nämlich als praktizierender Theatermann der ersten Stun- de mit seinem von ihm gegründeten "Théâtre de la fraternité" und als Profes- sor am Département de Lettres Modernes de l’Université de Ouagadougou – geschrieben und mitbestimmt hat, gelieferte Beschreibung108 des Kotèba die diesbezügliche Quellenforschung komplettieren. In der traditionellen afrikani- schen Gesellschaft, in der das Individuum von zahlreichen sozialen, religiösen und beruflichen Kodizes determiniert wird und sich dem Prinzip der Gemein- schaft unterordnen muss, kann der Einzelne durch das Theaterspiel diese Verhaltenskodizes überschreiten und sich kurzzeitig von der Gemeinschaft heraus- und damit loslösen.

"In Mali, for example, the avowed goal of the koteba, a form of folk theatre organized once a year by young people, was to give the young a chance to criticize their elders. This was the only occasion in the year when they could do this without risk – the young people were in duty bound to have their say about society, while their elders were in duty bound not to hold it against them. Everything said in this form of theatre was above the law. In Burkina Faso certain Mossi societies held a market at night-time once a year. During the night, all established rules – especially sexual taboos – were consigned to limbo, and a person could go with the person he or she had dreamed about all year long, even the wife or husband of a close relative. When dawn came, however, everything returned to normal."109

Guingané stuft diese beiden Beispiele als Formen des "Spiels" ein – nämlich als "social dramatization" oder "dedramatization" –, bei dem die Protagonisten sich des Prozess des Schauspielens und des damit verbundenen Kodizeswech-

108 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1997): Rules made to be broken. UNESCO Courier (Quelle: http:// findarticles.com/p/articles/mi_m1310/is_1997_Nov/ai_20099658/pg_1?tag=artBody;col1). 109 Ebd.

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sels genau bewusst waren. Robert Pignarre kommt in seiner "Histoire du théâtre" zu einer ähnlichen Schlussfolgerung in Bezug auf die kurzfristige Auf- lösung des Normalzustandes und das Außer-Kraft-Setzen von Alltagsregeln innerhalb bestimmter festlicher Bräuche:

"Dans leur violence originelle, ils (Anm. d. Verf.: "certains rites") répondent à ce sentiment que l’ordre qui préside aux travaux est menacé d’usure, comme tout organisme, de sorte qu’il faut pério- diquement le régénerer par une plongée dans le chaos originel. C’est pourquoi le désordre sous toutes ses formes est de règle en temps férié; la vie s’enivre d’elle-même et se prouve sa force en se gaspil- lant; la dépense est réparatrice; jusque dans la transgression ..."110

Das anfängliche orgiastische Mysterienspiel, das über die Jahrhunderte durch den Verlust des Glaubens an das Übernatürliche eine Aufweichung und Trans- formation der Riten und damit einen schwindenden Einfluss auf die Menschen erfährt, taucht in der einen oder anderen Form – vom griechischen Satyr über die mittelalterliche Teufelsgestalt hin zu den Maskenumzügen des Karnevals – wieder auf: "... l’orgie est devenue une activité ludique, prête à se structurer esthétiquement"111.

4.2.3.3 "Social action theatre" Die derzeitigen Strömungen im afrikanischen, von Guingané bezeichneten "so- cial action theatre"112, um neben "théâtre de l’intervention sociale" oder dem malischen "théâtre utile" eine weitere Bezeichnung für "theater for develop- ment" (Forumtheater, "thèâtre débat" in Burkina Faso) in diese Diskussion einzubringen, baut nach Ansicht Guinganés auf diese Art von sozialen Spielen auf. Auch wenn dieser spezielle Theateransatz durch den Brasilianer Augusto Boal in Südamerika herausgebildet wurde, so wurde dieser nicht unreflektiert von Lateinamerika nach Afrika verpflanzt und kopiert, diese Ansicht vertritt auch Prosper Kompaore, der sich in seiner jahrelangen Theaterarbeit dem

110 PIGNARRE, Robert (1984): Histoire du théâtre. Presses universitaires de France. Paris. S. 7. 111 Ebd.: S. 8. 112 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1997): Rules made to be broken. UNESCO Courier (Quelle: http:// findarticles.com/p/articles/mi_m1310/is_1997_Nov/ai_20099658/pg_1?tag=artBody;col1).

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"Théâtre pour le Développement" gewidmet hat. Es kam durchaus, wie oben dargelegt wurde, zu einer u.a. auf dem Kotèba aufbauenden eigenständigen und unabhängigen Entwicklung. Das afrikanische, im Besonderen burkinische "social action theatre", das in seinen Intentionen weniger politisch motiviert ist als jenes von Boal, fungiert in der Kommunikation mit der meist analpha- betischen lokalen Bevölkerung, um diese in den Prozess der Entwicklung einzubinden, sozusagen als vermittelndes Sprachrohr und effektives Mittel zwischen dieser und den "ruling classes"113. Die einzelne Zielgruppe kann nur durch Botschaften bzw. Dinge erreicht werden, mit denen sie sich selbst in ihrem Leben identifizieren kann und die ihr wichtig sind, bevor eigenes Ver- halten und Handeln kritisch hinterfragt werden können, deshalb basiert sich diese Form des Theaters auf das Gemeinschaftsleben in seinem "Rohzustand", indem es Prozesse traditioneller Gesellschaften aufgreift, die sich durch eine periodische Generalüberholung von sozialen Regeln selbst in Frage stellen und sich so zur Selbstkritik zu ermutigen. Vom formalen Standpunkt aus kommt es bei dieser Theaterform durch das Anwenden von "acting techniques" traditio- neller Künstler wie beispielsweise dem in Westafrika verbreiteten Griot und durch den Einsatz lokaler Sprachen zu einem direkten Kontakt mit dem Publikum an der Basis, der in der erzeugten Atmosphäre eine Kommunikation innerhalb der verschiedenen Bevölkerungsgruppen begünstigt. Es liegt beim Publikum, über eine mögliche Änderung seiner Verhaltensmuster zu befinden und zu entscheiden.

4.2.3.4 Parallelen zur attischen Komödie? Bakary Traoré liefert einen interessanten Aspekt in der Betrachtung des Kotèba: Die sehr einfach gestalteten Stücke, die – mit Tanz und Gesang ge- staltete – dialogisierte Szenen unter Mitwirkung eines sich aus dem Publikum zusammensetzenden Chors enthalten, können auch im Stil einer etwas ge- richtlich anmutenden Komödie gehalten sein, wo zwei Antagonisten, in der Re- gel zwei Bauern, nach viel Wirrwarr, sich der Weisheit des Chefs anvertrauen, um ihre Differenzen zu beseitigen. Diese Komödie nähert sich nach Ansicht

113 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1997): Rules made to be broken. UNESCO Courier (Quelle: http:// findarticles.com/p/articles/mi_m1310/is_1997_Nov/ai_20099658/pg_1?tag=artBody;col1).

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Traorés in vielerlei Hinsicht der griechischen Komödie, vor allem der attischen, durch die Präsenz und Alternanz des Chors an. "Sans atteindre à la profon- deur surtout à la diversité des pièces d'Aristophane, elle représente le peuple avec son bon sens et son esprit railleur."114 Es fällt allerdings bei den oben genannten Untersuchungen zur Provenienz des Kotèba nie das Wort "Chor" – diese Form der Bezeichnung für das Publikum innerhalb des Kotèba findet sich hier bei Traoré erstmals. Auch wenn die Beschreibungen insgesamt ein sehr bruchstückhaftes und ungenaues Bild des Kotèba liefern – es kristallisiert sich beispielsweise nicht klar heraus, ob es sich im Dialog bzw. in der Interaktion mit den Akteuren um einen Zuschauer oder um mehrere gehandelt hat, hier divergieren die Beschreibungen, Toe redet vom Zuschauer im Singular, während es sich bei Delafosse um eine Gruppe respektive Chor handelt ("die Frauen wiederholen die Strophen des Musikers" – sind diese Frauen nun wirklich Frauen oder auch nur als Frauen verkleidete Männer), auch bleibt es im Rahmen dieser Arbeit unklar, wie die einzelnen Szenen dramaturgisch beschaffen waren, und weiters, ob es von den anfäng- lich einmal pro Jahr stattfindenden Aufführungen aufgrund ihrer Beliebtheit zu öfter veranstalteten Kotèba-Abenden kam –, verleitet die von Traoré ange- stellte Überlegung dennoch, einen kurzen Blick zu möglichen Parallelen in Hin- blick auf die griechische Komödie zu werfen.

"Aristoteles leitet das Drama aus der Funktion von Vorsängern gegenüber einem Chor her ... Inhalt und Art der Darbietung erinnern in der Tat an Komödienchöre, besonders die Parabase"115 – hierzu lässt sich auch noch einmal Robert Pignarre zitieren:

"Quant à la comédie attique, c’est l’agora sur le théâtre; elle tient lieu de la presse d’opinion, ne respectant rien, désignant les gens et

114 TRAORÉ, Bakary (1958): Le théâtre négro-africain et ses fonctions sociales. Présence Africaine, Paris, p. 37. In: Lamko, Koulsy (2003): Emergence difficile d'un théâtre de la participation en Afrique Noire francophone. Faculté de Lettres et Sciences Humaines, Université de Limoges (Quelle: http://www.unilim.fr/theses/2003/lettres/2003limo0006/these_front.html). 115 HAIDER-PREGLER, Hilde (WS 1990/91): Das Theater der griechischen Antike. Hauptvorlesung am Institut für Theaterwissenschaft. Universität Wien. Wien. S. 32.

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appelant les choses par leur nom. L’intrigue n’y a d’autre valeur que d’un apologue ... et le chœur, qui est l’âme du jeu ..."116

Eine andere Theorie besagt, die "alte" Komödie leitete sich vom griechischen Wort "χώρα" (= chora) ab, was so viel wie "Stadt, Gebiet, Territorium, Land" heißt, und begründet sich "in ländlichen Bräuchen der Bescheltung missliebiger Mitbürger durch einen organisierten nächtlichen Aufzug. Das sei als nützlich für die öffentliche Moral erkannt und daher zur regelmäßig wiederkehrenden Einrichtung gemacht"117 worden. Auch in Traorés Bezug zu Aristophanes lässt sich eine mögliche formale Parallele insofern ausmachen, als beim Grund- schema seiner Komödien ein Wechsel von Gesang und Schauspielerrede und die Auseinandersetzung mit einem aktuellen Thema (Gegenwartsbezug) zu erkennen sind. Ein massiver und augenscheinlicher Unterschied besteht aber in Hinsicht auf die vom Gedanken der Polis getragenen Inhalte der alten Ko- mödie, die mit der Kapitulation Athens aufgrund der spartanischen Belagerung 404 v. Chr. endet. Die soziale Frage und das Allgemeine lösten die Politik und das Individuelle ab, die Ironisierung des Positiven ihrerseits die in der Satire mitenthaltene gegensätzliche Bejahung.

Mögliche Parallelen bzw. Unterscheidungen zwischen attischer Komödie und Kotèba

Attische Komödie Kotèba

ländliches Brauchtum ländliches Brauchtum wiederkehrende Einrichtung wiederkehrende Einrichtung Wechselgesang des Chors und des Wechselgesang zwischen dem Sänger Chorführers (Parabase) und Frauen (Delafosse) Agora als Spielort férè (öffentlicher Platz) als Spielort Ansprechen von aktuellen Missständen Ansprechen von aktuellen Problemen Bescheltung missliebiger Bürger Verspottung der Fehler innerhalb des Dorfalltags Nützlichkeit für öffentliche Moral Erhaltung des sozialen Friedens politisch motiviert sozial motiviert Akzent liegt auf dem Individuum Akzent liegt auf der Allgemeinheit Apolog possenähnliches Sittenstück

116 PIGNARRE, Robert (1984): Histoire du théâtre. Presses universitaires de France. Paris. S. 16. 117 HAIDER-PREGLER, Hilde (WS 1990/91): Das Theater der griechischen Antike. Hauptvorlesung am Institut für Theaterwissenschaft. Universität Wien. Wien. S. 32.

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4.2.3.5 Kotèba als "soziale Hygiene"118 Die deutsche Theaterpädagogin und -therapeutin Angelika Wehr-Roita, die sich intensiv mit der Dramaturgie und Wirkungsweise des afrikanischen Theaters beschäftigt hat und in ihrer Theatertherapie das auf dem traditio- nellen Kotèba aufbauende "therapeutische Kotèba"119 anbietet, beschreibt dieses Spiel als "Urform eines traditionellen afrikanischen Dorftheaters, das als konfliktlösendes Gemeinschaftsritual sowohl der Persönlichkeitsentwicklung als auch der kollektiven Entspannung und Unterhaltung dient"120 und in diesem Sinn auch zur Sicherung der friedlichen Koexistenz innerhalb einer Dorfge- meinschaft beiträgt. Der mündliche Text des therapeutischen Kotèba geht von einer auf einem Kanevas aufbauenden Improvisation aus, das zentrale Thema inspiriert sich bei dieser abgewandelten Form (Zuschauer-Patient-Darsteller) des traditionellen Kotèba an der vermuteten oder sich bereits erwiesenen Geschichte des Zuschauers-Darstellers. Dieser muss ein Bild von sich selbst entwerfen, sich seine eigene Geschichte wiederholen, um ihn zum Handelnden seiner eigenen Heilung werden zu lassen. Gleichzeitig muss aber eine Distanz hergestellt werden, die einen gewissen Reaktionsspielraum zulässt: Die "chantefable (conte et chants)" erlaubt einen Wechsel zwischen emotionalen und Verfremdungseffekten. Inwieweit hier in Bezug auf "soziale Hygiene" auch der in der Literatur ambivalent diskutierte Katharsis-Gedanke für das "Théâtre pour le Développement" von Relevanz ist bzw. sein könnte, wäre ein interes- santer, aber hier nicht weiter untersuchter Forschungspunkt.

4.2.3.5.1 "Le Kotèba peut beaucoup ..."121

"Les Bambaras aiment à dire que le Kotèba est à la fois ami, adversaire, conciliateur, provocateur."122

118 Quelle: http://www.koteba.de/Hauptseite.htm. 119 LAMKO, Koulsy (2003): Emergence difficile d'un théâtre de la participation en Afrique Noire francophone. Faculté de Lettres et Sciences Humaines, Université de Limoges (Quelle: http://www.unilim.fr/theses/2003/lettres/2003limo0006/these_front.html). 120 Ebd. 121 RIEG, Sylvaine (o.J.): Du Kotèba au théâtre utile. In: Culture et développement. Helvetas. Lausanne. S. 7. 122 Ebd.

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Diese von bei Wehr-Roita von Bauern oder bei Cviklinski von einer Gruppe von gleichaltrigen jungen Menschen nach erfolgter Initiation in Mali getragenen abendlichen Veranstaltungen123 erfüllten also mehrere Faktoren124:

. Spaß und Unterhaltung gepaart mit Ernst und Lernfaktor im festlichen Rahmen . Begegnen von Dysfunktionen mittels Lachen in einer permanenten Interaktion zwischen Schauspieler und Zuschauer . Ansprechen von konfliktträchtigen Problemen des Alltags mit dem Ziel der Konfliktlösung – "traditionelles Konfliktmanagement" . Abbauen von Spannungen in einem begrenzten und durch die Präsenz der Gemeinschaft kontrollierten Rahmen . Erhalten des sozialen Friedens innerhalb einer (Dorf-)Gemeinschaft . Instrument des sozialen Zusammenhalts durch regulierende Wirkung . Raum für Dialog, Rituale und Gebete . Instrument zur Bildung und Information als auch zur Entscheidungshilfe . Instrument zur Erziehung und Sozialisierung von Kindern: einerseits Vermittlung von Geschichte und wichtigen Ereignissen des Dorfes, andererseits Vermittlung von Verboten, aber auch Werten wie Moral, Würde und Ehrgefühl . Identifizierung/Distanzierung – Zulassen von Andersartigkeit . Sich-Bewusst-Werden seines sozialen Wertes und seiner Position innerhalb einer Gemeinschaft . soziale Katharsis

Dem Kotèba können ebenso nachfolgende Funktionen zukommen: . Kultähnliche Handlung: Botschaften, Informationen können von Nichtinitiierten bzw. außerhalb der Dorfgemeinschaft Stehenden im Rahmen des Kotèba-Abends nicht decodiert werden. . Initiierung bestimmter Altersgruppen, wo diese spezielle Art des Sichausdrückens – neben anderen Techniken – erlernt wird

Dieses Sichmokieren über sittliche Verfehlungen innerhalb einer Gemeinschaft wird auch als kotényogolon bezeichnet: nyogolon heißt so viel wie "Schau- spieler des Dorfes" oder auch "dem es erlaubt ist, sich selbst zu erkennen".

123 "C'est une forme de spectacle pratiquée à l'origine par des paysans qui se groupaient pour essayer de traduire devant le village réuni les faits marquants de leur vie quotidienne. C'était une forme de spectacle mêlé de chants et de petits sketches ... un théâtre près des gens près de leur vie de tous les jours". Koly, S. (1989): Interview accordée à la revue "Le monde à la carte". In: LAMKO, Koulsy (2003): Emergence difficile d'un théâtre de la participation en Afrique Noire francophone. Faculté de Lettres et Sciences Humaines, Université de Limoges (Quelle: http://www.unilim.fr/theses/2003/lettres/2003limo0006/these_front.html). 124 Diese hier aufgezählten Faktoren wurden den einzelnen Beschreibungen der jeweiligen in die- ser Arbeit zitierten Autoren zum Kotèba entnommen und hier übersichtlich zusammengeführt.

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Ein falscher Dorfchef, der dugu tigui, fungiert als Vermittler zwischen den Schauspielern und den Zuschauern, die ihn abwechselnd anpöbeln, um den Verlauf des Spektakels zu beeinflussen. Oft improvisieren die Schauspieler auf Reaktionen aus dem Publikum, das jederzeit den Spielkreis betreten kann. Im weiteren Verlauf der Nacht schotten sich Zuschauer anderer Altersgruppen kurzzeitig ab, um mit neuen Sketchen auf jene der Jungen zu reagieren, und erst mit Einsetzen der Dämmerung neigt sich das Fest seinem Ende zu. Diese Form des spontan organisierten dörflichen Kotèba wurde nach Einschätzung Cviklinski in weiterer Folge von einem sehr stereotypen Kotèba abgelöst, das berühmte Szenen aufgreift und auf Bestellung im Rahmen von großen Fami- lienfesten in der Stadt oder auf dem Land geboten wird.125 Nichtsdestotrotz hat das Kotèba stark das moderne malische Theater, aber auch das bur- kinische in Hinblick auf das "Theater der sozialen Intervention" beeinflusst, für andere wie Koulsy Lamko ist es vor allem der Geist des Kotèba, auf den Bezug genommen wird: "Le kotèba est l’origine même du théâtre."126 So bekennen sich Marie José Hourantier und Werewere Liking in ihrer Theaterarbeit zum Kotèba, indem sie ein Theater anstreben, das dem Zuschauer direkt auf der Bühne sein Schicksal vor Augen führt und ihn zum Überdenken desselben bringt.

4.3 Resümee Die Zielsetzung dieses Kapitels war es, das in der deutschsprachigen theater- wissenschaftlichen Literatur noch eher wenig bekannte Phänomen des ur- sprünglich in Mali entstandenen, in Burkina Faso sich ausbildenden Kotèba auf verschiedenen Ebenen – Entstehung, Kontext, Beschreibung, Funktion, ... – zu beleuchten, um die ihm beispielsweise von Joy F. Morrison zugewiesene Vor- reiterrolle in Bezug auf das sich zunächst eigenständig in Burkina Faso

125 Entretiens de mars 2003 avec Gaoussou Diawara, Philippe Dauchez, Malik Dramé, Adama Bagayoko und Ousmane Sow. In: CVIKLINSKI, Célia (2006): Corriger les mœurs en riant: la satire sociale au tournant du siècle. Théâtres contemporains du Sud 1990–2006. Notre librairie 162. S. 110. 126 LAMKO, Koulsy (1994): Théâtres en Afrique noire. Permanence d’une esthétique de la partici- pation. Contribution à la réflexion sur les esthétiques théâtrales actuelles. Maîtrise de lettres modernes, Université de Limoges. Limoges. In: Cviklinski, Célia (2006): Corriger les mœurs en riant: la satire sociale au tournant du siècle. Théâtres contemporains du Sud 1990–2006. Notre librairie 162. S. 110.

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entwickelnde Forumtheater – "forum theater developed indigenously in Bur- kina Faso modelled after a traditional form of community problem solving, the Koteba ..."127 – zu bestätigen, des Weiteren aber auch bestehende Gemein- samkeiten, Parallelen, aber auch mögliche Abgrenzungen zum Boal’schen Forumtheater herauszuarbeiten. Auch wenn die einzelnen diesbezüglichen Quellenangaben – in Form von Beschreibungen eines Kotèba-Abends aktiver wie passiver Teilnehmer – ein für den Außenstehenden (Nichtinitiierten) viel- leicht wünschenswertes, da besser zuordenbares und einheitlicheres Bild aufgrund der unterschiedlichen Blickwinkel bzw. Herangehensweisen erschwe- ren, entsteht doch eine (bildliche) Vorstellung von dem, was das Kotèba ursprünglich gewesen sein könnte: der in Form eines Schneckenhauses ge- schützte Rahmen innerhalb der dörflichen Gemeinschaft mit all ihren positiven wie negativen Facetten, Annehmlichkeiten wie Schwierigkeiten, in das man sich zurückziehen kann, das aber auch ein physisches wie psychisches, mit- unter spannungsgeladenes Aus-sich-Herausgehen zulässt und aushält, gleich- zeitig aber mit seinem mit weichen Hörnern versehenen Körper die Gesell- schaft "in die Mangel" nimmt, um sie mit ihren Schwachpunkten und Pro- blemen zu konfrontieren. Die konzentrischen Kreise dieses Schneckenhauses können symbolisch die in Schichten sich aufbauende Gesellschaft beschreiben, sie können aber auch die im Kotèba freiwerdende Kraft, die sich sogartig auf die Mitte des Schneckenhauskreisels bzw. des Platzes hin "konzentriert" und sich auf die Menschen überträgt, veranschaulichen. Inwieweit bzw. inwiefern Spuren des Kotèba im burkinischen Theater auszu- machen sind oder dieses von den Theatertruppen adaptiert oder transformiert wurde, kann vielleicht im nachfolgenden Kapitel, das sich der Theaterge- schichte dieses westafrikanischen Landes widmet, beantwortet werden.

127 MORRISON, Joy F. (o.J.): Communication healthcare through forum theater: egalitarian infor- mation exchange in Burkina Faso. Department of Journalism and Broadcasting, University of Alaska Fairbanks. S. 3.

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5. Die Entwicklung des modernen Theaters in Burkina Faso – eine Geschichte der Interventionen

"Le théâtre est un art qui est très bien reçu par les peuples des pays soudéveloppés. C’est pour eux, un langage extrêment direct. Il y a un besoin, une faim du théâtre en Afrique Noire."128

5.1 Einführung und Zielsetzungen129 Eine konstante bzw. harmonische Entwicklung des autochthonen Theaters in Burkina Faso, das auf überlieferten Traditionen der Vorfahren des Landes hätte aufbauen können, wurde laut David Nikiema durch den "contact brutal"130 mit dem Abendland jäh unterbrochen. Seit diesem (kultur-)historischen Einschnitt kam es – neben den von Prosper Kompaore ausführlich in seiner Dissertation dargelegten überlieferten Theatralisierungsformen – zu einer Parallelexistenz dieser anderen und vor allem dominierenden Form des Theaters. Dieses neue Theater – "le théâtre moderne"131 – verfügte zum einen über ein nie zuvor in diesem westafrikanischen Land gekanntes Ausmaß an materiellen Mitteln und sich für das Theater begeisternden Menschen, die beide seine Einflussnahme und Vorherrschaft in der Kulturlandschaft des Landes begünstigten, zum ande- ren schrieb sich die Verwendung der französischen Sprache dermaßen in die burkinische Kultur ein, dass dieses importierte Theater sogar zu einem ihrer Definitionselemente wurde. In den frühen 1990ern führte dieses Theater die Kulturveranstaltungen des Landes an, dass es u.a. der Gruppierungsaktion wie

128 CESAIRE, Aimé. In: Nikiema, Clarisse (1992): La Création Collective et son Impact Socio- culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes. Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales. Université de Ouagadougou. Burkina Faso. 129 Dieses Kapitel basiert wesentlich auf Erkenntnissen dieser vier Forschungsarbeiten: TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’anima- tion. Université Paris VIII. NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. BASSONO, Sylvestre (1991): Rela- tions auteurs, metteurs en scene et acteurs au sein des troupes de comédiens burkinabè. Université de Ouagadougou. Institut superieur des langues, des lettres et des arts (IN.SU.LL.A), Département des lettres modernes. Ouagadougou, Burkina Faso. NIKIEMA, Clarisse (1992): La création collective et son Impact socio-culturel au Burkina Faso. Département des lettres mo- dernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. Burkina Faso. 130 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 1. 131 Ebd.

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jener der "Union des Ensembles Dramatiques de OUAGADOUGOU" (UNEDO) verdankt, mit dem Ziel, "creuser les traces d’une exaltation supérieure du théâtre moderne au Burkina"132. Diese damals stattfindendende Wiederbele- bung des Theaters, das sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert nach sei- ner Einführung durch die ersten kolonialen Missionare oder vielmehr durch "les premiers colons missionnaires"133 – die ersten missionierenden Kolonisten – manifestiert, verdeutlicht sich in der Tatsache, dass das Theater zunehmend zu einem Mittel der Bildung bzw. Erziehung für die von umwälzenden Einflüs- sen bestimmte burkinische Gesellschaft wurde. Um diesen Prozess besser verstehen und nachvollziehen zu können, bedarf es einer näheren Betrachtung. Ziel dieses Kapitels ist es, nicht nur ein Bild dieses modernen burkinischen Theaters zu zeichnen, sondern auch eine Beschreibung seiner Methoden und seiner Entwicklung zu liefern sowie seine verschiedenen Möglichkeiten als auch seine Anwendungen herauszuarbeiten. Dies impliziert eine Beschreibung der historischen Prozesse, wobei die Analyse nicht nur auf die chronologische Entwicklung des Theaters, sondern auch auf die treibenden Komponenten dieser Entwicklung abzielt. Zunächst werden die Ankunft und das Einrichten des Theaters in Burkina durch die missionarischen "Pères" be- leuchtet, die das Theater primär in den Dienst der Religion und erst nachran- gig in jenen der französischen Kolonisation stellten.

"Le développement économique administratif et politique du sys- tème colonial, ne pouvait se réaliser sans la collaboration d’un cer- tain nombre d’autochthones."134

Die französischen Kolonisatoren waren sich der Tatsache bewusst, dass eine erfolgreiche, auf allen Ebenen greifende Einflussnahme nur unter Mithilfe einer gewissen Anzahl von Multiplikatoren aus der lokalen Bevölkerung erfolgen konnte. Durch den Aufbau und die Schaffung von vor Ort eingerichteten Struk-

132 Entente Africaine. Revue trimestrielle du Conseil de l’Entente. März 1988. N° 72. S. 20. In: NIKIEMA, David: S. 1. 133 Ebd. 134 MOURALIS, Bernard. L’école William Ponty et la Politique Culturelle. Le théâtre negro-africain. Acte du colloque d’Abidjan. Avril 1970. Présence Africaine. Collection Africaine du livre. S. 31. In: Ebd.: S. 3.

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turen wie Schulen, Kulturzentren (Centres Culturels – CCs) und "Häusern der Jugend und der Kultur" (Maisons des Jeunes et de la Culture – MJCs) kam man diesem Vorhaben und den Menschen damit einen Schritt näher. Dadurch er- fuhren die nationalen, auf traditionellen Theatralisierungsformen aufbauenden Aktivitäten, die der lokalen Kultur ihren Stempel aufdrücken konnten, eine neue Dimension und in weiterer Folge eine echte Entwicklung durch die Aktivi- täten der unabhängigen Truppen, die mit den ersten Tagen der Unabhängig- keit im Jahr 1960 hochkamen. Zwei repräsentative unabhängige Truppen und ihre Auswirkung auf die Entwicklung des Theaters in Burkina Faso werden ebenfalls in den Blickpunkt der Betrachtungen rücken. Die Intentionen dieser Theatertruppen werden durch die Erklärung von Amadou Koné veranschau- licht:

"le théâtre peut aider au développement intégral et harmonieux des nations africaines s’il est pratiqué comme un moyen d’éducation et de critique ..."135

Diese Ambition ist es auch, die die neue Generation von Theatermachern zum damaligen Zeitpunkt motiviert hat, einem neuen Theater den Weg zu ebnen.

5.2 Theater zwischen französischen Kolonialisierungsbestrebungen und missionarischem Wirken Im beginnenden 20. Jahrhundert hatten beladene militärische Konvois, die diesen Teil Afrikas erobern wollten, missionarische Geistliche (Pères) mit im Gepäck. Letztere suchten den Kontakt zur einheimischen Bevölkerung, deren gesamtes Leben bis zu diesem Zeitpunkt von Religionen durchdrungen war, das aber nach Ansicht der Neuankömmlinge stark mit Sünde behaftet war. Das anfänglich gute Verhältnis der Missionare zur Kolonialmacht vereinfachte ihre Niederlassungsabsichten ebenso wie ihren Auftrag der Evangelisierung, für den sie vom Mutterland entsendet wurden. Um diese Mission erfolgreich zu bewerkstelligen, erschien den "Pères" neben anderen verwendeten Mitteln das Theater als ein geeignetes Propagandainstrument für die neue Religion. Wenn

135 KONÉ, Amadou (1985): Quel théâtre pour le développement africain. ICA – Edition NEA. S. 58. In: Nikiema, David: S. 4.

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heute dieses "Theater der Missionare" ("théâtre missionnaire") als ein ergän- zender Bestandteil des kulturellen Erbes dieses Landes betrachtet werden kann, dann sollten auch die verschiedenen Wege, die ihm vorausgegangen sind, näher betrachtet werden.

5.2.1 Von den Anfängen der katholischen Kirche in Burkina Faso – Ankunft und Niederlassung der Missionare Die missionarische Penetration von Burkina Faso beginnt, zunächst begünstigt durch die französischen Militärmachthaber, 1899 mit der Gründung der ersten katholischen Mission der "Péres Blancs" in Koug-Pela, dem heutigen, 148 km östlich von der Hauptstadt gelegenen Koupéla, durch Monseigneur Hacquard und einer weiteren in Tenkodogo; die Entscheidung, diese vorerst nicht in der Hauptstadt Woog-Dgo, dem heutigen Ouagadougou zu installieren, basierte auf rein taktischen Überlegungen, um nicht in die Machtkämpfe zwischen dem Moogo-Naaba136, dem König der Mossi, und der Kolonialverwaltung zu geraten.

Abb. 6: "Mogho-Naba, Chef de tous les Mossé et un serviteur"137

136 Die Schreibweise von Moogo-Naaba oder Moogho-Naaba oder Mogho-Naba – môôg-nââba (der König) – als auch von anderen Wörtern auf Mooré (Moré) wechselt ständig, bei Zitaten werden diese trotz Divergenz von den jeweiligen Autoren unverändert übernommen. 137 Übernommen aus: CONOMBO, Joseph I. (2003): Une autre conquête de l’afrique par l’amour et la charité. Editions Firmament. Ouagadougou.

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1901 werden den französischen Missionaren von der Kolonialverwaltung, trotz des Vorwurfs seitens des neuen Ministers für Kolonien, M. Derais, zu wenig die Interessen Frankreichs zu propagieren, Grund und 2.000 bis 3.000 Fronarbei- ter zur Errichtung eines Quartiers in der Hauptstadt Ouagadougou zur Verfü- gung gestellt. Nachdem die Mission ihre Pforten geöffnet hat, versammelt sie ohne großen Aufwand für die Katechese einige Kinder. In kürzester Zeit ver- größert sich diese Gruppe, da die Mossi bereits an einen einzigen mächtigen, unsichtbaren und ewigen Gott glaubten. Die Missionare erklären den Mossi, dass zwischen ihrem Gott und jenem der Missionare kein Unterschied bestün- de. Ihre Religion würde sich nur durch eine andere Art, zum gleichen Gott zu beten, unterscheiden. Die Zahl der neu gewonnenen Christen wuchs dermaßen an, dass die Priester rasch an die Grenzen ihrer Kapazitäten stießen. Der erste apostolische Vikar von Ouagadougou, Monseigneur Joanny Théve- noud, Missionar mit dem Auftrag, "d’assurer la tâche, en continuant tous les efforts pour réussir l’implantation et la survie de la deuxième mission en terre voltaïque, à Ouagadougou, capitale du Moogho"138, und eigentlicher Begründer der katholischen Kirche im damaligen noch "Haute Volta" heißenden Burkina Faso, kämpfte seit seiner Ankunft im Jahr 1903 ebenso wie Kardinal Mgr. Charles Lavigerie, "le père de tous les pères blancs, sœurs blanches, mission- naires de Notre-Dame d’Afrique"139, vehement gegen die Sklaverei an, indem Thevenoud beispielsweise viele Mädchen von einem damals mächtigen Skla- venhändler, den man "Monsieur 'Pissi'"140 nannte, freikaufte. Letzterer erwarb junge Mädchen und Burschen wie am Viehmarkt, indem er von Dorf zu Dorf zog, sprach er das Wort pissi (auf Mooré heißt písì 20) aus, waren die Dorf- chefs gezwungen, ihm 20 Mädchen auszuliefern. Thevenoud versuchte seiner- seits, die Dorfchefs zu überzeugen, diesem unmenschlichen Treiben Einhalt zu

138 CONOMBO, Joseph I. (2003): Une autre conquête de l’Afrique par l’amour et la charité. Pères Blancs et Sœurs Blanches du Cardinal Charles Lavigerie Missionnaire d’Afrique. Editions Firma- ment. Ouagadougou. S. 37. 139 Kardinal Mrg. Charles Lavigerie ist der Gründungsvater der "Société des Pères Blancs et des Sœurs Blanches, des sœurs agricultures, des frères armés du salut" und maßgeblich am Missio- nierungs- und Antisklavereiprogramm im frankophonen Westafrika seit dem Jahr 1863 beteiligt (ebd.: S. 36). Im Rahmen einer feierlichen Audienz wird Kardinal Lavigerie von Papst Leon XIII. mit der offiziellen Mission betraut, weltweit an das Gewissen der Menschen hinsichtlich der Ab- schaffung der Sklaverei auf dem afrikanischen Kontinent zu appellieren. 140 SŒURS DE L’IMMACULÉE CONCEPTION – S.I.C. de Ouagadougou 1924–1999. Ils avaient semé une graine ... et 75 ans plus tard. S. 4.

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gebieten. Die Gründung einer Fußmattenfabrik141 war ein geschickter Schach- zug des Missionars, um diesen Mädchen einen Arbeitsplatz zu geben, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten konnten, es bot sich aber gleichzeitig die Gelegenheit, diese befreiten Mädchen im christlichen Sinn zu erziehen.

Abb. 7: "S. Exc. Mgr Thevenoud"142

Viele junge Mädchen suchten aber auch Zuflucht bei der katholischen Mission, um einer Zwangsheirat, arrangiert von ihren Familien, zu entgehen. Es wurde daher seitens der Mission der Versuch unternommen, diese Mädchen christli- chen Familien anzuvertrauen. Da dies aus nicht näher angeführten Gründen scheiterte, wurde nahe der Kathedrale deshalb ein Empfangshaus namens Kamb-Zaaka (Haus der Kinder) in Ouagadougou errichtet, dem weitere Häuser folgten, die aber in der Folge als "foyers de jeunes filles" (Heime für Mädchen) bezeichnet wurden.

141 Auch die "Sœurs Blanches" ihrerseits, die den "Pére Blancs" zur Seite gestellt werden, leiten Mädchen in Werkstätten an, um Teppiche aus Wolle von höchster Qualität zu fertigen, die zu einem begehrten burkinischen Exportprodukt werden. 142 Übernommen aus: CONOMBO, Joseph I. (2003): Une autre conquête de l’afrique par l’amour et la charité. Editions Firmament. Ouagadougou.

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Auf Anfrage von Monseigneur Thevenoud entsandte die "Kongregation der wei- ßen Schwestern" Freiwillige, um die "Pères" bei ihrer Evangelisierungs-Aktion zu unterstützen. Mit der Ankunft der "Sœurs blanches" gewann die christliche Gemeinschaft zunehmend an Bedeutung, was wiederum die "Pères" begeis- terte und sie dazu antrieb, die Eroberung auf neue Gebiete auszudehnen, um den Menschen das Licht Christi zu zeigen. "Pour fonder une Église locale solide, les Missionnaires d’Afrique (Pères Blancs) ont toujours eu le souci de former un clergé autochtone."143 Dieser Plan wurde durch die Gründung einer lokalen religiösen Einrichtung, "Sœurs de l’Immaculée Conception" (SIC), auch umgesetzt. Diese war die erste autochthone Institution in Ouagadougou, die unter schwierigen Bedingungen am 11. Februar 1924 gegründet wurde. Schwierig deshalb, da es unter den damals vorherrschenden traditionellen Mustern unvorstellbar war, ein junges Mädchen selbständig über ihr Leben be- stimmen zu lassen. Die Einrichtung hatte zu Beginn mit ernsthaften Problemen zu kämpfen, entschlossen sich manche der Mission zwecks zur Taufvorberei- tung anvertrauten Mädchen, die bereits lange jemandem versprochen waren, sich diesem Verlobten zu entsagen, um plötzlich Ordensfrau zu werden. Fami- lien als auch Verlobte schreckten vor Gewaltanwendungen nicht zurück, um diese Mädchen zurückzugewinnen, die Kolonialverwalter ihrerseits warfen den Ordensschwestern Freiheitsberaubung von Minderjährigen vor und belegten sie mit Schikanen. Eine Selbsteinschätzung bzw. -darstellung in Anbetracht des Wirkens der "Pères Blancs" in Burkina Faso illustrieren folgende Worte des emeritierten Bi- schofs Monseigneur Denis Tapsoba der "Société des Missionnaires d’Afrique" im Jahr 2003:

"Aujourd’hui, le Burkina Faso est fier de compter de nombreux étab- lissements scolaires, secondaires et supérieurs144; aujourd’hui, le Burkina Faso ne regrette pas d’avoir plus qu’un embryon de déve-

143 SŒURS DE L’IMMACULÉE CONCEPTION – S.I.C. de Ouagadougou 1924–1999. Ils avaient semé une graine ... et 75 ans plus tard. S. 5. 144 1904 beginnt die Rekrutierung der Söhne der Chefs für die Schule der Missionare in Koupéla, unter denen sich später einige dieser Schüler in maßgeblichen Funktionen wiederfinden. Auch Dim Delobsom, einer der ganz großen Schriftsteller von Burkina Faso, absolvierte diese Missio- narsschule und hat mit Werken wie "L’empire du Mogho Naaba" oder "Le secret du sorcier noir" aufschlussreiche Studien zu den Mossi geliefert.

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loppement agricole, industriel et économique; aujourd’hui, le Burki- na Faso est convaincu que l’émancipation de la femme est un droit inaliénable; aujourd’hui, le Burkina Faso est sûr que l’Eglise a pris racine sur sa terre. Aujourd’hui, le Burkina Faso doit se souvenir que les missionnaires d’Afrique ont été les pionniers145 dans tous ces secteurs."146

Neben dem – in der burkinischen theaterwissenschaftlichen Literatur äußerst ambivalent diskutierten – missionarischen als auch kolonialen Einwirken wird in "Une autre conquête de l’Afrique par l’amour et la charité" von Dr. Joseph Conombo (geb. 1917), einem ehemaligen William-Ponty-Schüler, der hohe politische Ämter in Burkina Faso bekleidete und bereits in jungen Jahren zum Christentum konvertierte, vor allem auf das soziale Engagement der "Pères Blancs" sowie der "Sœurs Blanches" des Kardinals Lavigerie (neben anderen Ordensgemeinschaften), das sich parallel zur kolonialen Eroberung147 vollzog, eingegangen. Einer der wesentlichen Unterschiede in der Annäherung zur lokalen Bevölkerung im Gegensatz zu den Kolonialherren besteht für Conombo in der Tatsache, dass die "Pères Blancs" versuchten, neben einem respekt- vollen Umgang sich der Lebensweise der Menschen anzupassen, indem sie beispielsweise die Sprache der Mossi, das Mooré, und die anderer Ethnien erlernten.

"... les dualismes résultant du choc de deux civilisations différentes mais principalement de deux cultures et de deux modes d’admini- stration: l’un républicain qui imposait par la force sa propre organi- sation administrative et son drapeau (égalité fraternité) en oubliant

145 Mit dem Auftauchen der "Pères Blancs" kamen Ordensbrüder unterschiedlicher Nationalität ins Land der Mossi, die "Fréres Blancs", mit einem ausgeprägten Verständnis für Technik, das sich in der Gründung einer Werkstatt für Maschinenwesen, die später zu einer großen Baumwoll- spinnerei und -weberei ausgebaut wurde, niederschlug. Letztere stand wie viele andere Einrich- tungen unter der Kontrolle der französischen Kolonialmacht und produzierte zum einen Stoffe, die der Einkleidung der Seminaristen von Pabré diente, zum anderen stattete sie während des II. Weltkrieges (1939–1945) sämtliche Rekruten der französischen Armee aus. 146 CONOMBO, Joseph I. (2003): Une autre conquête de l’Afrique par l’amour et la charité. Pères Blancs et Sœurs Blanches du Cardinal Charles Lavigerie Missionnaire d’Afrique. S. 4. 147 "Après le congrès de Berlin de 1885, les puissances européennes dépouillèrent l’Afrique et se partagèrent les larges zones d’influence, chacune par son propre système de colonisation" (Co- nombo: S. 13). Neben Frankreich, das sich einen nicht unbeachtlichen Teil an Schwarzafrika si- cherte, meldeten Belgien, Deutschland, England, Portugal und Spanien Besitzansprüche an.

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'liberté' l’autre que les missionnaires, au contraire appuyait avec in- sistance."148

Auf die äußerst komplexe, von Machtkämpfen, Intrigen, Feindseligkeiten, aber auch von Annäherungen149 bestimmte "Ménage-à-trois", erschwert durch das Gesetz der Trennung von Staat und Kirche im Jahr 1905, zwischen den vom Fetischismus bestimmten Chefs der Mossi, den katholischen Missionaren und den französischen Kolonialherren in den Jahren 1890 bis 1940 wird hier nicht weiter eingegangen.150 Des Weiteren berichtet Conombo von der Anfrage der "Péres Blancs" an die einzelnen Chefs der Distrikte, ein oder mehrere Mädchen in die Obhut der "Sœurs Blanches", die neben der Mooré-Bezeichnung massœurs damba von der lokalen Bevölkerung auch Kiss Roappa151 genannt werden, zu schicken152, um diesen viel Wissenswertes und Nützliches rund um Fragen der Lebens- und Haushaltsführung153 zu vermitteln. Bei David Nikiema geht hingegen der Im- puls wiederum von den ersten in Burkina Faso sich zum Christentum beken- nenden Gläubigen selbst aus, die, da sie auch gleichzeitig der französischen Kolonialmacht nahestanden, sich verpflichtet fühlten, ihre Töchter zu schicken, um somit der christlichen Sache zu dienen und diese zu befördern. Die traditi- nellen Chefs, die auch unter den ersten Christen zu finden waren, veranlassten

148 CONOMBO, Joseph I. (2003): Une autre conquête de l’Afrique par l’amour et la charité. Pères Blancs et Sœurs Blanches du Cardinal Charles Lavigerie Missionnaire d’Afrique. S. 26. 149 So lässt sich 1914 der Moogo-Naaba vor seinem Tod noch heimlich in Ouagadougou taufen und zwei Minister des Naaba-Sorbagende, der selbst die Kirche besucht, bekennen sich 1915 in Koupéla zum Christentum. 1919 veranlasst der Moogo-Naba die Taufe von 70 Katechumenen, der weitere folgen. 1929 kommt es in Koupéla zur Ernennung des ersten christlichen Chefs, Naaba-Zaaré, und 1931 bekennen sich erstmals Frauen der Mossi in einer Zeremonie zum ème Christentum. In: ANDOIN, Jean. Ohne Titel- und Jahresangabe. Thèse de doctorat de 3 cycle. Tableau IV. S. 296–299. In: Conombo, Joseph: S. 34. 150 Diese politischen Verstrickungen können in "Une autre conquête de l’Afrique par l’amour et la charité" von Dr. Joseph Conombo nachgelesen werden (S. 26–34). 151 Kiss Roappa bedeutet so viel wie "den Männern verwehrt oder "den Männern verboten". Bei David Nikiema erfährt kiss rawa noch eine andere Bedeutung: Es bezeichnet auf Mooré Frauen, die für das männliche Geschlecht eine Abscheu hegen. Die Lebensweise der Glaubensschwes- tern stieß anfänglich auf Unverständnis und Ablehnung in der lokalen Bevölkerung. 152 1913 werden erstmals Mädchen der katholischen Obhut übergeben, die Schule ist nun nicht mehr nur den Söhnen der Chefs vorbehalten, sondern öffnet sich Mädchen und Buben gleicher- maßen. 153 Neben der Fertigung von Wollteppichen übernehmen die "Sœurs Blanches", nicht zu ver- wechseln mit den "Sœurs de l’Immaculée Conception", auch die Betreuung der Nähstuben, in denen hochwertige Stickereiarbeiten angefertigt werden, aber ebenso betreiben sie im Bereich der Landwirtschaft, der (Blumen-)Gärten als auch im Obst- und Gemüseanbau Subsistenzwirt- schaft.

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demnach sogar die Suche nach dafür geeigneten Mädchen. Diese nach europä- ischem Vorbild geformten und im christlichen Glauben erzogenen Mädchen waren auf dem burkinischen Heiratsmarkt "begehrte Objekte", allerdings merkt auch hier Nikiema an, dass sich die religiöse Bildung dieser Mädchen in Wirklichkeit auf Tätigkeiten im Haushalt beschränkte: das Waschen und Bü- geln der Kleider der Glaubensfrauen und -männer, das Kochen für die religiöse weiße Gemeinschaft, das Reinigen der Kapelle und der Festtagskleidung etc. Die Teilnahme an der Morgenmesse und an verschiedenen Tagesgebeten war obligatorisch.

5.2.2 Das "Theater der Missionare" im Zeichen der christlichen Feste

5.2.2.1 Vom "Théâtre de la naissance de JESUS" ... Mit dem Herannahen von kirchlichen Festen wie Ostern oder Weihnachten unterwiesen die Schwestern die Mädchen im Theaterspiel, um dem Rest der Gemeinde das Leben Christi verständlich und nachvollziehbar zu machen. Diese Mädchen stuft David Nikiema als die ersten Theaterschauspielerinnen von Burkina ein. Die Darstellungen fanden immer vor der Hauptfassade der Kirche unter starker Beteiligung der Christen statt. Sämtliche Figuren, also auch die männlichen, wurden von den Mädchen – als Mann verkleidet oder nicht – übernommen. Die "Pères", die sehr auf die Einhaltung von Regeln der Keuschheit und der Reinheit bedacht waren, versuchten jeglichen Kontakt zwi- schen Mädchen und Burschen zu unterbinden und hielten diese rigide Ge- schlechtertrennung auch im Bereich des Theaters aufrecht.154 Das Thema han- delte immer vom Evangelium oder betraf das Leben Christi (Geburt – Weih- nachten, Leiden und Sterben Christi – Ostern). Es gab keinen geschriebenen Text, die Dialoge waren also der Vorstellung der Schauspielerinnen überlassen, mussten aber einem vorher festgelegten Szenarium folgen. Die Darbietung wurde als ein Teil der liturgischen Zeremonie betrachtet und daher auch direkt

154 Diese im Bereich der Jugendarbeit von den Weißen vollzogene strikte Geschlechtertrennung widersprach aber der eigentlichen burkinischen Lebensart, wie bei Ilse Hanak (die Rolle des rem oder rollendo bei den Mossi) oder Pierre Pradervand (Kombi-Naam) nachzulesen ist. Vgl. HANAK, Ilse (1995): Frauen in Afrika: "Ohne uns geht gar nichts!". Brandes & Apsel, Frankfurt – Südwind, Wien. PRADERVAND, Pierre (1989): Une Afrique en marche. La révolution silencieuse des paysans africains. Librairie Plon.

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in die Messe integriert (z.B. Herbergssuche in der Christnacht: Nach der in Szenen gespielten Herbergssuche und der Geburt des Christuskindes in der Krippe stimmt der Chor das Weihnachtslied an, danach setzt der Priester mit der Messe155 fort). Theaterspiel als auch Inszenierung der Mädchen beschränk- ten sich aufgrund ihres religiösen Charakters auf die Höhepunkte im Leben Christi. Darum wird es auch das "Theater der Geburt Jesus" genannt, dessen Darbietung am Heiligabend durch die Mädchen erfolgt. Bei der Adaptierung der Stücke, die die Bemühungen der "Pères" illustrieren, die einheimische Bevöl- kerung mit der evangelischen Botschaft zu erreichen, wurde versucht, das Evangelium an die örtlichen und sozialen Gegebenheiten des Landes anzupas- sen, so zum Beispiel die Baumwolle spinnende Frau aus bäuerlichem Milieu, die durch ihre Antwort auf die Herberge Suchenden ihre Bescheidenheit und Großzügigkeit zum Ausdruck bringt, gleichzeitig aber auch die Situation der Frau und ihre dem Mann untergeordnete Beziehung erkennen lässt.156

5.2.2.2 ... zu einem Theater der Zurschaustellung Die von den Glaubensschwestern instruierten Mädchen, die den Auftrag hat- ten, mittels Theater die neue Religion einem aufmerksamen Publikum zu ver- künden, erkannten sehr bald, dass das Theater für sie auch eine Gelegenheit bot, sich zur Schau zu stellen, und sich innerhalb der Zuschauer Verehrer fan- den. Das Theater wurde als eine Art Tor zur Freiheit und zur Rückkehr zu ih- rem in der Dorfgemeinschaft verankerten Leben und damit als Lösung für ihre Probleme begriffen. Das Theater, durch diese Prozesse sehr rasch seines reli- giös motivierten Wesens entledigt, zwang die Missionare, sich weltlicheren Dingen zuzuwenden. Auch wenn diese Aneignung des Theaters durch die Mäd- chen der Verbreitung des Evangeliums nicht sehr viel anhaben konnte, blieb der Rahmen der Evangelisierung zu diesem Zeitpunkt trotzdem noch sehr klein.

155 An dieser Stelle muss auch angemerkt werden, dass die Dauer einer Messe das in unseren Breiten übliche Maß bei weitem überschreitet, die Christmette beginnt in Ouagadougou gegen 23.00 Uhr und endet zwischen 2.00 und 3.00 morgens, das gleiche Stundenausmaß bezieht sich auch in etwa auf die österlichen Messen. 156 "La couple continue son chemin vers une autre femme occupée à filer du coton. Joseph lui tient le même langage qu’à la premiere. La femme: j’aimerais bien vous recevoir chez-nous, mais mon homme est très sévère; si je vous reçois pendant son absence il me fera des scènes ..." (Martine Kaboré, Zeitzeugin und Schauspielerin, die 1938 bei den Glaubensschwestern lebte. In: NIKIEMA, David: S. 8).

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5.2.2.3 Das Theater der Missionarsschulen

5.2.2.3.1 Das Einrichten eines Schultheaters Eines der charakteristischen Merkmale der vorübergehenden Präsenz der Mis- sionare an sich ist das Bauen von Kirchen und Schulen, Letztere wurden oft auf Anfrage und mit Unterstützung der kolonialen Verwaltung gebaut. Im Fall von Burkina Faso war es Hauptmann Ruef, der sich in Ouagadougou um die Mossi kümmerte und der an die Missionare mit der Bitte herantrat, eine Schule zu eröffnen, um zum einen die Bevölkerung besser kontrollieren, zum anderen aber aus den Einheimischen "citoyens 'civilisés'"157 formen zu können. Für die Missionare bot sich dadurch die Gelegenheit, ihren Aktionsradius auszudehnen. Bereits im November 1902 wurde der Unterricht mit 141 Schülern aufgenom- men. Unter der Leitung der "Pères" und der "Sœurs blanches" wurden in die- sen nicht gemischten Schulen – "mission-filles" oder "mission-garçons" – am Ende eines jeden Schuljahres theatrale Aktivitäten, auch hier unter Beibehal- tung der Geschlechtertrennung, organisiert, hauptsächlich zusammengesetzt aus Sketchen, Liedern und Erzählungen. Die Schüler präsentierten ihre Auffüh- rungen vor ihren mit Stolz erfüllten Eltern und der Bevölkerung, die zum über- wiegenden Teil des Schreibens und Lesens nicht mächtig waren. Diesen Dar- bietungen wurde aber weniger Beachtung geschenkt als jenen des "Theaters der christlichen Feste". Mit der Gründung des "Petit Séminaire" (Priesterseminars) von Pabré im Jahr 1925, das zu diesem Zeitpunkt die einzige Gesamtschule in ganz Burkina ist, erfährt das Theater der Missionarsschulen eine neue Bedeutung. Die "Pères" streben dort eine qualitativ hochstehende Ausbildung an. Von 1926 an, unter der Leitung von Monseigneur Thevenoud, wurden von den Schülern des Semi- nars von Pabré Theateraufführungen dargeboten.

"En effet, en 1932, à l’occasion du retour de Mgr Thevenoud de France, les élèves du Petit Séminaire ... jouèrent Les Flavius du Père Langhaye. Spectacle bien monté et bien joué, son succès passa la rampe du Séminaire de Pabré. Dans la semaine qui suivit cette

157 TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les for- mes d’animation. Université Paris VIII. S. 106.

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représentation, une séance fut donnée à Ouagadougou, en présence du Gouverneur et de toute la communauté Blanche. Les 'Pères' ve- naient ainsi d’inaugurer l’ère du Théâtre d’Expression Française en Haute-Volta."158

Joseph Conombos Beschreibung – der Aktivitäten der "Pères" im Bereich der Jugendarbeit – zu den von den Seminaristen von Pabré dargebotenen Theater- aufführungen kommt jener von Tapsoba sehr nahe:

"Les seminaristes de Pabré venaient jouer devant le palais de l’évêque, en présence du gouverneur et de toute la population blanche des représentations théâtrales avec des habits multicolores et des accoutrements divers. Cela déplaçait grand monde et faisait réellement la joie des européens et de nous autres élèves des grandes écoles, qui venions d’apprendre l’histoire de la Gaule et de 'leurs ancêtres des Gaulois'."159

Das in den Missionarsschulen eingerichtete Theater trug wesentlich dazu bei, viele junge Menschen für die neue Religion zu interessieren und diese zu verbreiten, hauptsächlich über die zahlreichen als Multiplikatoren wirkenden Schüler, die von der französischen Kolonialverwaltung rekrutiert und den "Pères" anvertraut wurden, um ihre Erziehung sicherzustellen. Die Art und Weise dieses Vorgehens war aber ein Schlag gegen die moralischen und philo- sophischen Werte der traditionellen Gesellschaft; die Tatsache, dass Mädchen und Buben nicht mehr gemeinsam spielen durften, ließen bei der Bevölkerung Misstrauen und Argwohn aufkommen und die Beziehung "Mädchen-Jungen" wurde zum Tabuthema. Nach Ansicht der "Pères" hatten die Afrikaner ein allzu lockeres Erziehungssystem, das in weiterer Folge die Tendenz zu einer völlig ungezügelten Sexualität bedingte. Es wurde bereits erwähnt, dass in den tra- ditionellen Gesellschaften Mädchen und Buben sich immer gegenseitig bei

158 TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’animation. Université Paris VIII. S. 112. 159 CONOMBO, Joseph I. (2003): Une autre conquête de l’Afrique par l’amour et la charité. Pères Blancs et Sœurs Blanches du Cardinal Charles Lavigerie Missionnaire d’Afrique: S. 42.

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Tanzabenden beigewohnt hatten. Durch die in den Missionarsschulen und im Theaterspiel eingeführte radikale Geschlechtertrennung wird das gesamte bis- herige Erziehungssystem aber in Frage gestellt. Dieses von Nikiema bezeich- nete "Theater der Verleumdung" hätte weniger Schaden am traditionellen Erziehungssystem angerichtet, hätten die "Pères" ihre Aktion rein auf die Schulen beschränkt. Aber das Theater strömte in die Bezirke aus und erfasste alle Kinder des Landes, besonders durch die von den "Pères" initiierten Ju- gendbewegungen. Allerdings führt Nikiema nicht weiter aus, welcher Art die Auswirkungen auf die Bevölkerung waren.

5.2.2.3.2 Das Theater der katholischen Jugendbewegungen Dieses Theater stellt sich wie eine Erweiterung des schulischen Theaters auf nicht eingeschulte Kinder dar, mit der Absicht, sämtliche Kinder des Landes in die missionarische Aktion zu integrieren. Nachdem das Vertrauen der Alten gewonnen war und die Kleinsten durch die Katechese gruppiert wurden, erwo- gen die Anhänger Christus’ jene zu mobilisieren, die die Erbauer der Kirche von morgen sein würden, indem sie sie innerhalb der katholischen Bewegun- gen versammelten: "Cœurs vaillants/Ames vaillantes" (C.V. – A.V.), "Jeunes temoins du christ" (J.T.C.) etc. Diese Bewegungen erfassten eingeschulte wie nicht eingeschulte Kinder gleichermaßen. Unter der Aufsicht eines Geistlichen oder einer Schwester und mit Genehmigung des Bischofs oder des Geistlichen der Kirchengemeinde organisierte jede Bewegung ihre Aktivitäten nach einem festgesetzten Programm. Auch hier kam dem Theater eine Sonderposition innerhalb der Aktivitäten dieser Bewegungen zu. Dieses Theater war zweifels- frei das einzige im christlichen Gefüge, wo Mädchen und Buben erstmals gemeinsam in einem Stück auftreten durften. Das Theater dieser Jugendbewegungen markiert einen Umbruch in den Gepflo- genheiten des missionarischen Theaters, da es kaum mehr religiöse Themen behandelt. Die Darbietungen finden anlässlich des Fests der Mutter, der Schutzheiligen der Kirchengemeinde oder auch des Bischofsfestes statt. Auch im Rahmen von Ausflügen gestalteten die Jugendlichen kleine Szenen, um die Stimmung zu beleben. Im Allgemeinen beschränkte sich dieses Theater auf bereits von Schülern in den Schulen gespielte kurze Stücke. Manche Sketche

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führen keinen Titel und zeichnen sich durch eine mitschwingende Moral oder durch eine sehr kurze Zusammenfassung einer Handlung aus. Die Schau- spieler stützen sich auf Notizen, was der Improvisation breiten Raum gibt. Diese Beschränkung auf kurze Stücke innerhalb des Theaters im Rahmen der Jugendbewegungen verfolgte eine gewisse Absicht: Da diese Bewegungen allen Jugendlichen ohne Ausnahme offenstehen sollten, schrieb das Bemühen um die Aufrechterhaltung eines friedlichen Klimas im Inneren der Bewegungen die unbeschränkte Teilnahme aller an den theatralen Aktivitäten vor. Die demokratische Lösung waren daher kurze, einfache und von allen spielbare Stücke. Zudem kamen die Jugendlichen, die sich in diesen Bewegungen enga- gierten, aus unterschiedlichen Milieus. Dementsprechend hätte das Aufführen eines Stückes in mehreren Akten zahlreiche Treffen und viel Arbeit vorausge- setzt. Ein solcher Einsatz hätte die jungen Menschen die Freude am Theater- spiel schnell verlieren lassen, für die ja die Entspannung bzw. der angenehme Zeitvertreib der primäre Beweggrund waren. Diese hier beschriebenen Umstände trugen u.a. dazu bei, dass sich das Theater in Form von kurzen Szenen – sog. "saynètes" – präsentierte: ursprünglich und einfach. Das zuvor genannte "Theater der Verleumdung" wich einem "Theater der Integration".

5.2.2.3.3 Das Theater – Symbol für eine Interessenhochzeit? Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass das moderne Theater keine Schwierigkeiten hatte, sich in Burkina Faso zu etablieren. Mehrere Faktoren haben seine Implementierung begünstigt, wie beispielsweise die generelle Begeisterung der Afrikaner für das Theater, aber auch die Komplementarität, die zwischen der Kolonialverwaltung und der katholischen Mission bestand. Dieses gemeinsame Agieren ergab sich insofern, als beide aus demselben Kulturkreis stammen und ähnliche Interessen verfolgten. Die Mission konnte ihre Tore nur deshalb öffnen, da sie von der Verwaltung beschützt wurde. Die Verwaltung ihrerseits war sich wiederum bewusst, dass die Kooperation mit den "Pères" notwendig war, um ein Klima des Vertrauens innerhalb der Bevölkerung aufzubauen. Über einen langen Zeitraum arbeiteten diese beiden Institutionen Hand in Hand. Die Missionare hatten akzeptiert, ihre Erfahrung und ihr Theater in den Dienst der Verwaltung zu stellen. Dies sicherte umge-

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kehrt den militärischen Schutz der Missionare. Das Theater wurde damit unweigerlich zu einem Symbol für die "Komplizenschaft" der beiden Organe: Kolonialverwaltung und Missionare. Der Gouverneur erschien persönlich mit seinen "Kollaborateuren", um den Theaterfesten der Seminarschüler Glanz zu verleihen, zugleich demonstrierte diese Präsenz nach außen die ausgezeich- neten Beziehungen zueinander. Ebenso wurde das Theater zu einem gesell- schaftlichen Treffen der gesamten französischen Gemeinschaft in Burkina. Für die weiße Gemeinde stellte das Theater das Symbol für das weit entfernte Heimatland dar. Diese durch das Theater entstandene Allianz ließ der Verwaltung sukzessive die Wichtigkeit des Theaters erkennen, die zu dem Schluss kam, dass eine derartige Aktivität viel zu wichtig sei, als diese weiter unter der alleinigen Kontrolle der Missionare zu belassen.

5.2.3 Die Geburt eines modernen "théâtre negro-africain"160

"The French started drama contests between all their West African colonies, which later became eight countries. Consciously or not, the idea was to instil us with Western culture. We weren’t allowed to speak our own language at school. If we did, the teacher would make us wear a piece of wood or metal around the neck with a mule’s head on it and deprive us of lunch. The best way to kill a tree is to cut it from its roots. This Western-style theatre also helped steer African intellectuals away from the campaign for indepen- dence."161

1913 im senegalesischen Gorée gegründet, stellte die Schule William Pontys – neben der Upper Primary School in Bingerville (Côte d’Ivoire) –, die die Ent- wicklung des künstlerischen und kulturellen Lebens der von Frankreich koloni- sierten Länder Westafrikas wesentlich mitbestimmte, eine der ersten afrika-

160 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. 161 KOUYATÉ, Sotigui: The wise man of the stage. Interview by Cynthia Guttman, UNESCO Courier journalist (Quelle: http://www.unesco.org/courier/2001_10/uk/dires.htmI didn’t go to).

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nischen Kaderschmieden dar. Ihre Absolventen mussten sich in den Dienst der kolonialen Aktion stellen und treu diese fortsetzen. Die Theateraktivitäten die- ser künftigen Hoffnungsträger innerhalb der Ponty-Schule, aber auch ihr wei- teres Kulturengagement nach ihrer Rückkehr in das jeweilige Heimatland spie- geln die von dieser Schule aufgezwungene Disziplin und den von ihr auferleg- ten Geist wider. Ein kurzer Exkurs auf die Schule William Pontys soll den Einfluss der theatralen Praktiken dieser Einrichtung und ihre Auswirkungen auf das moderne burkinische Theater verständlich machen.

5.2.3.1. Die Schule von William Ponty162 und ihre Bedeutung für das Theaterschaffen auf dem afrikanischen Kontinent 1935 wird Charles Béart, der zuvor die Upper Primary School in Bingerville (Côte d’Ivoire) leitet und die dortigen Schüler zum Theaterspielen animiert, als Direktor an die Ecole Normale William Ponty berufen, an der Schüler aus allen französischen westafrikanischen Kolonien zu Grundschullehrern, Verwaltungs- beamten und als Personal für das medizinische College in Dakar ausgebildet werden. Als Béart für die Dauer von zwei Jahren in Gorée eintrifft, findet er auch hier bereits eine dramatische Tradition vor, da Schüler (Mädchen als auch Buben) selbst verfasste Dramen im Rahmen von Schulfesten zur Auf- führung bringen.163 Am Ende des Schuljahrs 1932/33 führten die Schüler aus dem ehemaligen Dahomey (heutigen Benin) das erste Theaterstück an der Ponty-Schule auf, gleichzeitig läuteten sie das von da an alljährlich statt- findende "Fest der traditionellen Kunst" ein. 1933 kommt es zur Aufführung des ersten afrikanisierten Stücks (es gibt hierzu keine näheren Angaben), das laut Tapsoba zu einer gelungenen "metissage culturel"164 wurde und die Afri- kaner ihr schauspielerisches Talent erkennen ließ. Der Burkinabe und ehema- lige Ponty-Schüler mit Vorzeigekarriere, Joseph I. Conombo, dem das Privileg eines ausgewählten "enfant du Blanc" zuteil wurde, um ein "guter Katholik" zu

162 Die Schule wurde nach Amédée William Merlaud-Ponty, einem französischen Generalgouver- neur Französisch-Westafrikas, benannt, der vor allem an der wirtschaftlichen Entwicklung Afrikas und an Erziehungsfragen interessiert war (Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/William_ Merlaud-Ponty). 163 GOTTSCHLIGG-OGIDAN, Anna (o.J): Senegal – Drama. Institut für Afrikawissenschaften, Univer- sität Wien. Wien. S. 1. 164 TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’animation. Université Paris VIII. S. 117.

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werden, schreibt in seinem Buch "Acteur de mon temps" über seine Theater- aktivitäten an der William-Ponty-Schule Folgendes:

"L’année scolaire 1936-1937 fut particulièrement active. On nous demanda de préparer une pièce de théâtre, 'par pays d’origine'. Nous avons donc monté des scènes folkloriques caractéristiques 'par excellence' de la vie sociale, de l’histoire ou des légendes chez nous. Nos condisciples sénéga- lais montèrent ainsi une scène retraçant les rigueurs d’un camp de nou- veaux circoncis! Les Ivoiriens ... jouèrent une scène de demande en ma- riage d’Ebba, la fille du riche planteur N’dia Kouadio, par plusieurs préten- dants issus des milieux sociaux différents. Devenu donc 'Haut-Ivorien', je participai à la scénette travesti en ... une jeune fille Baoulé, amie de la belle Ebba! Les Soudanais (Maliens) montèrent la bataille historique livrée par Soundiata Keïta le Roi du Mandingue contre Soumangourou Kanté le Roi du Kénédougou ... 'Le Dahomey' évoqua dans une scène poignante le drame d’une jeune fille que ses parents fétichistes avaient 'consacrée' au Boa, leur Totem-Dieu, auquel elle devait obéir jusqu’à la mort. Refusant de rejoindre le mari auquel la terrible tradition l’avait destinée, elle allait être sacrifiée selon la décision irrévocable du Féticheur et des Génies des Bois soutenus en cela par le Roi et la Cour ... Selon la Tradition, l’Oracle avait parlé, la Décision était proclamée et le couperet tombait sur l’innocente vic- time! Ordre/Exécution! ... Chaque Colonie a peaufiné ainsi un spectacle de qualité grâce à des répétitions qui ont duré tout un trimestre et à des sor- ties-représentations sur les scènes de Dakar et Saint-Louis. Les scénettes ont été fort appréciées partout où nous nous sommes produits et notam- ment en présence du Gouverneur Général entouré des autres Gouverneurs des Colonies et des Directeurs Généraux des principaux Services de la Fé- dération Ouest-Africaine. ... Par ces manifestations, la plus haute autorité coloniale en place voulait montrer à 'Paris'165 un échantillon de la réussite culturelle de l’Afrique Noire française, autrement dit 'l’œuvre de la coloni- sation française' ..."166

165 Im Jahr 1937 nahm die William-Ponty-Schule an einer Kulturausstellung in Paris teil und zeig- te mit ihrer Truppe am 12. und 17. August im Théâtre Champs Elysées zwei ihrer Stücke: Sokamé (Benin-Stück) und die Komödie Les Prétendants rivaux (Côte d’Ivoire). In: TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’anima- tion. Université Paris VIII. S. 117. 166 CONOMBO, Joseph I. (2003): Acteur de mon temps. Un voltaïque dans le XXe siècle. Editions L’Harmattan, Paris. S. 61–63.

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Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass für Tapsoba mit diesen erfolgreichen Theatervorstellungen der Ponty-Schüler in Paris im Au- gust 1937 die Geburtsstunde des afrikanischen Theaters eingeläutet wird: "... commençait ses premiers pas hors de chez lui ... dans une synthèse de danses, de chants, de musique et de littérature, un art dramatique s’était éveillé. Un art qui n’était ni exotisme, ni initiation"167. Oberschulrat Hardy hatte bereits 1933 die Schüler dazu angehalten, sich auf ihr afrikanisches Kulturerbe zu besinnen168, um diesen die spätere Rückkehr in das jeweilige Heimatland und die Integration in ihr soziales Milieu zu erleich- tern und die Kluft zwischen dieser intellektuellen Elite und der "masse de ceux qui restaient"169 zu verringern. Dieses Anhalten der Schüler zur Rückbesinnung auf ihre afrikanischen Wurzeln über die Kulturschiene dürfte aber nicht nur rein der Sorge um etwaige Identitätskonflikte entsprungen sein, sondern wird wohl auch in Gründen wie bessere Kontrollierbarkeit der breiten Bevölkerung und der Verfolgung einer "Brot und Spiele"-Strategie170 zu suchen sein. Der Plan der Kolonialherren ging in Bezug auf den nach ihren Maßstäben und Wert- vorstellungen geformten Nachwuchs in den von ihnen besetzten Ländern vor- erst zu ihrer vollen Zufriedenheit auf: "Sur le plan culturel, l’aggression sub- tilement introduite avait reussi à prendre."171 Nichtsdestotrotz nimmt dieses unter kolonialem Einfluss stehende Theater der William-Ponty-Schule eine in- novative Schlüsselstellung in Bezug auf das weitere Theaterschaffen auf dem afrikanischen Kontinent ein, nahmen doch seine Absolventen das geistige Erbe dieser Schule mit nach Hause in die unterschiedlichen Länder und trugen durch ihre jeweiligen Theateraktivitäten (Gründung von Truppen oder Schrei- ben von Theaterstücken) zur Entwicklung des Theaters in Afrika maßgeblich bei.

167 TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’anima-tion. Université Paris VIII. S. 117. 168 Die Schüler erhielten als Aufgabe während ihrer Ferien, die Bräuche ihres Volkes zu studieren oder sie mussten zum Fest am Jahresende authentische Theaterstücke in französischer Spra- che schreiben und aufführen. Vgl. dazu: Ebd.: S. 115. 169 Ebd.: S. 115. 170 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch das 1934 in den französischen Kolonien in Kraft tretende "Décret Laval", das den Afrikanern die kreative Teilnahme an der Produktion von Filmen verbot. Erst mit Ende des Kolonialismus und mit Beginn der Unabhängigkeit konnten afrikanische Regisseure Filme drehen. In: HANAK, Irmi (1996): Hauptstadt des afrikanischen Films. ÖE Informationen zur Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Wien. S. 11. 171 TAPSOBA: S. 119.

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Von 1936 an nimmt "Haute Volta" seine ersten (Muster-)Söhne in Empfang, die zuvor von der französischen Kolonialverwaltung in Ouagadougou in die Schule William Pontys entsendet wurden. Mit der Rückkehr der ehemaligen Ponty-Schüler in ihre Heimat kommt es auch zu einer Neupositionierung in- nerhalb der burkinischen Theaterlandschaft, da die Schüler sich der Theater- tradition ihrer Schule verpflichtet fühlen und diese im eigenen Land fortsetzen wollen – für ihr eigenes Prestige, aus Anerkennung dieser Schule und als Hom- mage an die Initiative, die diese Schule hat entstehen lassen. Zwar wird die Praxis der von den Missionaren eingeführten traditionellen Feste am Ende des Jahres von ihnen nicht verworfen, Themenwahl sowie Motivatio- nen des Theaters erfahren aber einen markanten Wechsel. So werden religiös motivierte Themen wie die Wunder Jesus’ als auch die Chorgesänge zugunsten von Erzählungen eines La Fontaine und kurzer Stücke über das afrikanische Leben aufgegeben. Die Machthaber setzen ihrerseits, da sie ja ab diesem Zeit- punkt auf die Missionare verzichten wollen, große Stücke auf ihre ehemaligen Schüler, die die koloniale Ideologie fortsetzen sollen. Aber unter den Absolventen finden sich Querdenker wie der aus Guinee stam- mende Keita Fodéba, der sich dem Geist dieser Schule widersetzt und "les bal- lets africaines" erschafft, mit dem die Wahrheit über das afrikanische Leben dieser Epoche aufgezeigt werden soll. Die Kolonialherren befürchten, dass die- ses Beispiel rasch Nachahmung finden könnte, und suchen fieberhaft nach ei- nem Rahmen – aber mit Bedacht darauf, dass das Kulturmonopol nicht mehr in die Hände der Missionare zurückfällt –, der ihnen gleichzeitig erlaubt, die künstlerischen Aktivitäten dieser "évolués"172 zu kontrollieren. Aus diesem Im- puls entspringt die Idee der Schaffung von kulturellen Zentren.

5.2.3.2 Die theatralen Aktivitäten als Mittelpunkt der "Centres Culturels" (CCs) Die CCs – Kulturorte der neuen afrikanischen Gesellschaft – wurden ab dem Jahr 1953 durch Erlass des Generalgouverneurs von Französisch-Westafrika, Bernard Cornut-Gentille, ins Leben gerufen, "pour 'permettre à l’élite africaine

172 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 19.

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de se cultiver en se distrayant'"173, und in allen Verwaltungszentren von Burki- na errichtet. Andererseits sollten die CCs aber auch zum vermittelnden Binde- glied zwischen der Elite und der breiten Bevölkerung werden und ihre Leiter sich der Freizeitgestaltung der Jugend annehmen. Der von Cornut-Gentille mit der Errichtung der CCs verfolgten Absicht, die einheimischen Eliten mit den Weißen in Afrika zu vermischen, um daraus ein und dieselbe Kategorie von Individuen zu schaffen, hafte nach Ansicht J.-P. Guingané ein paternalistischer Beigeschmack an. Ebenso könne laut Guingané der von der "Union Française" vorgegebenen und in den CCs umgesetzten Politik der scheinbar kulturellen Gleichstellung von Beginn an eine klare Trennung – "les Blancs et la Culture française d’une part, les Noirs et la Culture africaine d’autre part"174 – unter- stellt werden. Auf dem Bildungsprogramm dieses "club de privilégiés"175 (s. auch Kap. 3.2.2 "Kultureinrichtung der französischen Botschaft", S. 49 – einer der möglichen Gründe für die spärliche Publikumsdurchmischung könnte aufgrund der heute noch in der Bevölkerung verankerten kolonialen Vergangenheit zu suchen sein176) standen Lektüre (Bibliothek) bzw. Lesungen, Konferenzen, Kinovor- führungen und Theater. Letzteres wird innerhalb der Zentren zur Drehscheibe der Kulturaktivitäten schlechthin, sodass andere kulturelle Erscheinungsfor- men in den Hintergrund der Aktivitäten gedrängt werden. Die Anlässe für die Gestaltung einer Theatersoiree waren vielfältig (der Abschied eines Verwal- ters, die Ankunft eines neuen etc.) und bestanden meist aus kurzen Stücken, aufbauend auf Anekdoten oder einfach nur auf traditionellen Erzählungen, die ins Französische übersetzt wurden. Bereits 1954 beklagt einer der Leiter der

173 Traits d’Union de Mars – Avril 1954. S. 5. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.- L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 20. 174 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure – Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Université de Bordeaux III. Bordeaux. S. 74. 175 Ebd. 176 "Aller au théâtre dans certains milieux c’est un peu un rite civilisateur, et ce d’autant plus que le répertoire sera emprunté aux 'grands classiques'. Les spectacteurs du centre culturel franco- voltaïque ont eu assez souvent l’occasion de faire ce type de pélérinage. Il est vrai que cette motivation moderniste, voire rituelle de la fréquentation théâtrale reste diffuse et relativement limitée au milieu le plus fortement acculturé." In: KOMPAORE, Prosper (1977): Les formes de théâtralisation dans les traditions de la Haute-Volta. Institut d’Etudes Théâtrales. Sorbonne Nouvelle, Université Paris III. S. 8.

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CCs das von der Hauptstadt abgeschnittene Kulturleben (s. Kap. 3.4.2 "Bemerkungen zu den burkinischen Provinzen", S. 79); für die damalige Elite, die ihre eigenen traditionellen Sitten und Bräuche nach der durch die Kader- schmiede erfolgten Konditionierung an abendländische Maßstäbe ablehnte, befanden sich die höchsten Werte und die perfekte Gesellschaft in Europa und somit deren Ebenbild in der Stadt:

"Etre en brousse ... c’est très souvent être en marge de toute actualité. C’est tres souvent être sevré de toute culture au moment précis où l’on est assoiffè de culture. ...177 (le centre arrivait) ... à temps pour nous libérer, nous permettre d’echapper à cette mono- tonie (de la brousse sans cinéma, radio, presse, etc. ...) ou plutôt regressive, de nous renouveler sans cesse et nous élever à la vraie vie par la culture, pour parvenir au plein et harmonieux épanou- issement de nos facultés intellectuelles et morales178."

5.2.3.2.1 Ablauf einer Theatersoiree179 eines "Centre Culturel" Wie ein solcher Theaterabend aufgebaut war und wie breit dem Theater Raum gegeben wurde, veranschaulicht das Programm einer Theatersoiree des "Cen- tre Culturel" von Kaya (12. März 1955) in Ouagadougou:

SOIREE THEATRALE

Production: un chant mossi saynète: par-ci – par-là récital (par un écolier) la chanson du DJOLIBA

Entre-acte.

Autres scènes: ne nous fions pas au gris-gris pièce: DAMONZON, Roi de SEGOU chant de clôture

177 KONÉ, Lompolo: Editorial. Traits d’Union de Mars – Avril 1954. S. 5. In: Tapsoba, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’animation. Université Paris VIII. S. 125. 178 BENETIENI, Fofa: Allocation en tant que Président du C.C. de Gaoua. Traits d’Union de Mars – Avril 1954. S. 25–28. In: Ebd.: S. 126. 179 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 21.

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Der Abend wurde zusätzlich durch ein Konzert (la belette et le petit lapin von La Fontaine), eine Erzählung (l’avare von Molière) und zwei Sketche (la paix chez soi, le crâne sous la tempête) bereichert. Stand beim Theater der Missio- nare primär der Spielaspekt im Vordergrund, so kommt es mit der Einrichtung der CCs zum Aufblühen der dramatischen Schreibkunst. Theater muss hier also im weitesten Sinn gefasst werden, da alles diesem Be- griff zu- und untergeordnet wurde: Musik in Form von Gesang (vokal oder ins- trumental), traditioneller Tanz, Ballett. Alle anderen darstellenden Künste dienten vielmehr einer vorausgehenden Behübschungsaktion der Theaterauf- führung als einer eigenständigen Entwicklung dieser einzelnen Kunstgattun- gen, die dadurch wesentlich beeinträchtigt wurden. Umso mehr lässt sich in den letzten Jahrzehnten bei der nachfolgend beschriebenen Wettbewerbskultur der Burkinabe eine Gleichberechtigung innerhalb der Kunstgattungen beobach- ten.

5.2.3.2.2 Der Grundstein des burkinischen Wettbewerbswesens Die Teilnahme am erstmals stattfindenden und nur 3 Jahre lang dauernden, länderübergreifenden Theaterwettbewerb der Kulturzentren des "Afrique Occi- dentale Française" (AOF) – insgesamt waren es 8 französische Kolonien180 auf dem afrikanischen Kontinent – im Jahr 1955, der 1953 im Rahmen eines internen Treffens in Dakar vom Generalgouverneur des AOF beschlossen wur- de und einem genau festgelegten Reglement181 auf lokaler, nationaler und fö- deraler Ebene zu folgen hatte, war für die Burkinabe der erste kompetitive Rahmen im Theaterbereich und gleichzeitig auch die Feuertaufe für ihre bis heute anhaltende Wettbewerbskultur182. Mit Les paysans noirs, eine Adapta- tion des Romans von Robert Delavignette, überzeugt die Theatertruppe aus

180 Senegal, Mauretanien, Sudan (heutiges Mali), Guinee, Niger, Obervolta (heutiges Burkina Faso), Côte d’Ivoire und Dahomey (heutiges Benin). 181 So durften die Stücke beispielsweise nicht die Dauer von 90 Minuten und eine Anzahl von 25 Schauspielern überschreiten, ausgenommen bei Gesang und Begrüßungsritualen musste der Text auf Französisch gesprochen werden und die Jury musste sich aus einer bestimmten Gesell- schaftsschicht zusammensetzen. Vgl. dazu: KOMPAORE, Prosper (1977): Les formes de théâtra- lisation dans les traditions de la Haute-Volta. Institut d’Etudes Théâtrales. Sorbonne Nouvelle, Université Paris III. S. 18. 182 Diese Wettbewerbe finden bis zum heutigen Zeitpunkt im Rahmen verschiedenster Anlässe in Burkina Faso statt und sind fest ins kulturelle Leben der Burkinabe eingeschrieben: bei Schulab- schlussfesten, bei Festivals wie dem FITD des ATB etc. Die Kinder stellen sich bereits ab der Volksschule dem künstlerischen (Gesang, Ballett ...) bzw. Theaterwettbewerb.

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Banfora im CC von Ouagadougou die Jury des AOF. Zwei Jahre später belegt neuerlich die Truppe aus Banfora den ersten Platz und zwar mit Soumaoule183 oder Téli Souma Oulé184, wie das Stück auch genannt wird, einem von Medi- zinern, Lehrern und Angestellten kreierten Kollektivstück, das von einer Le- gende einer im Westen gelegenen Provinz von Burkina inspiriert ist, geschrie- ben unter der Leitung von Lompolo Koné, dem späteren Außenminister von Burkina. Das ist insofern beachtlich, als Burkina in den Jahren 1953 bis 1957 vom kulturellen Standpunkt aus als wenig interessant eingestuft wurde, da es oberflächlich betrachtet im Vergleich zu den anderen Kolonien weniger Absol- venten und nur 16 Kulturzentren vorzuweisen hatte, die Truppe aus Banfora aber bei weitem die vorgefasste Erwartungshaltung übertraf.

5.2.3.2.3 Die thematische Ausrichtung des Theaters der CCs Bereits 1933 formuliert Charles Beart, Direktor der "William Ponty"-Schule, den Wunsch, "que ses élèves se tournent vers leurs propres cultures, afin d’y puiser des élèments susceptibles de donner naissance à un théâtre d’un genre nouveau et, selon lui, plus authentique".185 Als in den Kulturzentren das Thea- ter unter dem Einfluss der ehemaligen Ponty-Schüler wachgeküsst wird, sind diese zwar in die Kunst des Theaters eingeführt, Aspekte ihrer eigenen afrika- nischen Kultur, wie es ihnen Beart ans Herz legen wollte, werden jedoch kate- gorisch ausgeklammert bzw. sogar ins absolute Gegenteil verkehrt, indem das Brauchtum der traditionellen Gesellschaft angeprangert wird und ihre einstigen Helden und traditionellen Chefs als Barbaren und Rohlinge angeschwärzt wer- den. Das zuvor genannte Stück Téli Souma Oulé, das als erstes geschriebenes burkinisches Stück betrachtet werden kann, verschreibt sich ganz diesem

183 Beide genannten Stücke wurden nicht veröffentlicht. 184 Hier kommt es zu massiven Abweichungen innerhalb der verwendeten Literatur, was die Chronologie der aufgezählten Stücke, das Jahr des Wettbewerbs und den Titel des Stückes be- trifft: Im Gegensatz zu dem von Kompaore genannten Jahr 1957 ist es bei D. Nikiema das Jahr 1955, auch weicht das Stück in seiner Schreibweise ab – Teli souma oulé – und weiters wird Les paysans noirs nach Teli souma oulé aufgeführt. Auch gewinnt Letzteres den 2. und nicht den ersten Platz. Welche Angaben nun wirklich stimmen, konnte letztendlich nicht überprüft werden, es sind aber bei R. Cornevin gewisse Parallelen zu den Angaben von David Nikiema auszuma- chen. Vgl. dazu: CORNEVIN, R. (1970): Le théâtre en Afrique noire et à Madagascar. Le livre africain. Paris. S. 116 f. 185 MOURALIS, Bernard. Le théâtre negro-africain. S. 33. In: Nikiema, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 23.

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Blickwinkel. Die afrikanischen Kriegsanführer ziehen plündernd, massakrierend und vergewaltigend durchs Land im Kampf gegen die koloniale Niederlassung auf dem Boden ihrer Vorfahren. Die alles bestimmende koloniale Realität wur- de durch die in den Theaterstücken von den Dramaturgen bewusst/unbewusst vorgenommene historisch-thematische Verfremdung bzw. Verzerrung oft bis ins Lächerliche hinein zur afrikanisch gelebten, jegliche Form eines National- bewusstseins bei der Bevölkerung wurde dadurch untergraben. Der koloniale Kontext war demnach der Hauptgrund dieser thematischen Orientierung. Die Stücke mussten spielbar und kurz sein mit dem Ziel "d’éduquer la masse pour la rapprocher de nous (français) et transformer son genre de vie"186 und die Kreativität hatte sich der Realität des Stärkeren unterzuordnen. Der Großteil der Stücke dieser Zeit reduzierte sich auf eine Kritik an den Sitten der traditio- nellen Gesellschaft und war eine indirekte Aufforderung, die traditionellen Bräuche und Praktiken gegen die Kultur des Kolonisators auszutauschen. Dass es zu einer solchen thematischen Ausrichtung innerhalb der CCs durch diese Elite kam, ist nicht weiter verwunderlich, wenn man sich das koloniale Unter- richtswesen an der William-Ponty-Schule vor Augen hält, das untentwegt an der Implementierung der französischen Kultur arbeitete. Dies konnte auf Dau- er aber nicht ohne Folgen für die Kolonialmacht bleiben. Neben den auf die afrikanische Vergangenheit bezogenen Stücken bildete auch der Kontakt zum Abendland aus dem französischen Blickwinkel einen themati- schen Schwerpunkt. Téli Souma Oulé veranschaulicht diesen Zeitabschnitt ein- dringlich, wo die Eliten des Landes in der Schule lernen, dass ihre Vorfahren die Gallier (röm. Name für Franzosen) und ihre vormaligen Helden – Samory, Tieba, Naba Koutou etc. – Tyrannen und Blutrünstige sind. Die CCs können als der verlängerte Arm der kolonialen Aktion, aber auch als praktische Umset- zung des Trockentrainings der William-Ponty-Schule betrachtet werden. Das entspricht auch den Intentionen des Generalgouverneurs Brevié, wenn dieser meint, "rattacher les indigènes à leur place, à la vie française"187.

186 Zitiert nach Brevié, Generalgouverneur von AOF, in den Akten des Kolloquiums über das "théâtre negro-africain". S. 33. In: Nikiema, David Dieudonné (1989): Images du théâtre mo- derne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Dépar- tement de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 25. 187 Bulletin de l’enseignement en A.O.F. n° 74. S. 3. Zitiert von: MOUMOUNI (1967): L’éducation en afrique. S. 54. In: Nikiema, David: S. 26.

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Diese Situation wurde aber bald durch eine neue Ära, die sich für die west- afrikanischen Völker anzubahnen schien, abgelöst: das Zeitalter der Unabhän- gigkeit.

5.2.3.2.4 Der Einfluss des Theaters von William Ponty auf die CCs Das Theater von William Ponty hat dem modernen Theater in Burkina Faso abseits seiner Kolonialisierungsbestrebungen viele Neuerungen (Verfolgen eines Konzepts) beschert. Bis ins Jahr 1940 wurde der Inszenierung selbst keine große Beachtung eingeräumt. Erst allmählich beginnen die ehemaligen Ponty-Schüler erste Inszenierungseinfälle wie Elemente afrikanischer Kultur (z.B. Tänze der Geisteraustreiber, Szenen der Scharlatane etc.) in ihre thea- tralischen Darbietungen aufzunehmen. Zur gleichen Zeit wird eine besondere Bedeutung dem Kostüm der Schauspieler, dem Bühnenbild als auch der Ver- wendung unterschiedlicher Accessoires auf der Bühne eingeräumt. Beim be- reits erwähnten Téli Souma Oulé, 1955 resp. 1957 vom Ponty-Schüler Lompo- lo Koné geschrieben, wurde das damals aufsehenerregende Bühnenbild von der Ehefrau des Gouverneurs selbst gemalt, das eine Höhe von 4 m erreichte und das Bild eines in natürlicher Größe wiedergegebenen königlichen Palais suggerierte. Unter dem Einfluss der Ponty-Schule kommt es auch zu einer stufenweisen Einführung von kostenpflichtigen Aufführungen, ganz im Gegensatz zum Thea- ter der Missionare, das durch seine Unentgeltlichkeit bei Darbietungen allen Bevölkerungsgruppen offenstand. Dieser Umstand als auch die fast ausschließ- liche Verwendung der französischen Sprache, die vom Großteil der Burkinabe nicht beherrscht wurde, verstärkten den selektiv-elitären Charakter des Thea- ters der CCs. Der Wettkampfgeist, der ein starkes Element dieser Ponty’schen Schulkultur darstellte und sich als wesentliches Element ins kulturelle Leben der Burkina- be188 eingeschrieben hat, wurde weiter oben schon erwähnt: Die Ponty-Schüler mussten sich nach ihrem Herkunftsgebiet miteinander messen; schrittweise wurde der Gedanke des "Agons" in Form von landesweiten Theaterwettkämp-

188 Bereits ab dem Volksschulalter finden Wettbewerbe in den verschiedenen künstlerischen Dis- ziplinen – Tanz, Gesang, Ballett – zwischen den einzelnen Schulen statt.

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fen zwischen den verschiedenen Truppen in die burkinische Theaterkultur ein- geführt.

5.2.4 Der Beginn der politischen Machtkämpfe

5.2.4.1 Die Kolonialmacht und die Auflehnung der Nationalisten Das Theater stellte für die französische Kolonialverwaltung eine Art Gradmes- ser für die Treue und Verbundenheit ihrer in den afrikanischen Alltag entlas- senen Absolventen dar. Anhand ihrer inhaltlichen Schwerpunktsetzung (z.B. Thematisieren historischer Ereignisse der afrikanischen Geschichte) bei den gezeigten Stücken konnten die Machthaber ihre Einflussnahme auf die lokale Bevölkerung abschätzen. Den Machthabern war bewusst, dass die CCs als kulturelle Begegnungsstätte einerseits und als Treffpunkt von Jugendlichen andererseits auch die Gefahr revolutionärer Keimzellen bergen könnten und das Theater, das die meisten Zuschauer – auch im ländlichen Bereich – mobilisierte, zum probaten Mittel gegen die Kolonialmacht selbst gerichtet werden könnte. Die Administration reagierte deshalb ihrerseits mit einer sehr straffen Überwachung der Theater- aktivitäten aus allernächster Nähe und mit Zensur. Um dieser Theaterzensur zu entkommen, wandte sich die burkinische Jugend den ebenso beliebten und weniger kontrollierbaren Vorträgen zu, da diese nicht so lange Vorbereitungs- und Probezeiten beanspruchten wie die Theaterstücke und Themen von den Nationalisten direkt angesprochen werden konnten. Die Administration ver- schärfte zunehmend ihre Kontrollen und ihre Besuche in den CCs, um eine Politisierung innerhalb der theatralen Aktivitäten und der Vorträge und damit die Befreiung von der Kolonialmacht zu verhindern. 1956 sind zum Leidwesen der französischen Verwalter in Bobo-Dioulasso sämtliche politischen Gruppie- rungen im Verwaltungsausschuss des Kulturzentrums wiederzufinden.

5.2.4.2 Auf Kollisionskurs mit der katholischen Kirche Die landesweite Errichtung von Kulturzentren seitens der Kolonialverwaltung musste von den Missionaren als Affront aufgefasst werden, verschärfend kam noch dazu, dass sich die von den CCs sehr organisierten und mit mehr Mitteln

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finanzierten Theatersoireen im Gegensatz zu jenen der Missionare bei der Bevölkerung größerer Beliebtheit erfreuten. Doch die "Pères" schauten nicht tatenlos dieser zunehmenden Entmonopolisierung zu und reagierten darauf mit der Errichtung von katholischen CCs. Gleichzeitig sabotierten sie die Thea- teraktivitäten der CCs der Kolonialmacht und versuchten u.a., junge katho- lische Mädchen mittels Einschüchterungskampagnen vom Theaterspiel in welt- lichen CCs abzuhalten. Es kam zu einem Kräftemessen der weltlichen und katholischen CCs, da keiner auf das Theater verzichten wollte. Aus einstigen Verbündeten wurden Gegner. 1958 wurden die CCs auf Verlangen des "Conseil de la Jeunesse" in "Maisons des Jeunes et de la Culture" umgewandelt. Bevor näher auf diese Häuser der Jugend und der Kultur eingegangen wird, soll der Blick auf eine äußerst produktive Phase innerhalb der burkinischen Theaterge- schichte durch das Aufkommen autonomer Truppen gelenkt werden.

5.3 Die ersten unabhängigen Truppen Mit der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1960 kam es in den davon be- troffenen afrikanischen Ländern zu einer prosperierenden Bewegung inner- halb des Theaters, die Schauspielern aus Afrika189 die bis zu diesem Zeitpunkt rare Gelegenheit bot, über die Grenzen des afrikanischen Kontinents hinaus vor allem in den Kunstkreisen Europas bekannt zu werden. Burkina hingegen hatte trotz des historisch bedingten infrastrukturellen Kul- turerbes noch ein wenig mit Startschwierigkeiten diesbezüglich zu kämpfen. Es wurden trotz erlangter Unabhängigkeit Weiterbildungskurse für die Elite vor allem im Bereich des die Aktivitäten der CCs bestimmenden Theaters abgehal- ten. Zu diesem Zweck kamen Ausbildner oder Kulturanimatoren aus der Hauptstadt in die Provinz. Bereits gegen Ende der Kolonialzeit widmete sich Frankreich der Errichtung von CCs in jenen Provinzen, die noch über keine diesbezügliche Infrastruktur verfügten. Auch wenn die Infrastruktur an Thea- tern zum damaligen Zeitpunkt eher als rudimentär zu bezeichnen ist, so war eine positive Entwicklung des Theaters mit diesem zahlreich vorhandenen qua- lifizierten Personal absehbar. Zunächst wurde aber seitens einiger politischer Oppositionen versucht, die durch verschiedene Ausbildungen zerstreuten

189 Unter den berühmtesten seien Keita Fodéba (Guinée), Bachir Tour (Senegal) und Lydia Ewande (Kamerun) genannt.

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Künstler zu kanalisieren. Durch die Absicht bestimmter Künstler, sich dem Sozialplan verschreiben und politische Bekanntheit auf nationaler Ebene errei- chen zu wollen, wird dem Theater neues Leben eingehaucht, was sich in der Gründung von Theatertruppen widerspiegelt. Diese zunächst nur aus Amateu- ren bestehenden Truppen stellen Statuten und interne Vorschriften auf. Durch die Tatsache, dass sie keine direkten Beziehungen zur politischen Macht unter- halten, haben sie auch mit anderen Existenzproblemen zu kämpfen als jene vom Staat protegierten Truppen (Truppen der MJCs).

5.3.1 Präsentation der Truppen, deklarierte Zielsetzungen und Repertoire Es kann von einem regelrechten Truppenbildungsboom gesprochen werden, der in der ersten Phase nach Erreichen der Unabhängigkeit im Jahr 1960 in Burkina Faso einsetzte.

"Le théâtre africain à Ouagadougou atteignit son apogée durant les années 1961–1964 ... Entre 1966 et le début de 1969 il y eut peu de représentations théâtrales à Ouagadougou ... L’intérêt des afri- cains pour le théâtre reprit vie en 1969 ..."190

Die Truppen selbst waren in Bezug auf ihre Aktivitäten, ihre Qualität und ihre Lebensdauer unterschiedlich zu bewerten und viele dieser Truppen verschwan- den bald nach ihrer Gründung wiederum von der Bildfläche. Exemplarisch wer- den hier drei Truppen – neben anderen wie "Le Cercle de l’Amitié" –, die das kulturelle Leben des Landes zu dieser Zeit geprägt haben, kurz vorgestellt:

Die Truppe "Yennega"191 Sie wurde 1961 – unter Zuspruch des damaligen Professors Joseph Ki-Zerbo, eines anerkannten Historikers und Politikers, der 1997 mit dem "Alternativen Nobelpreis" ausgezeichnet wurde, von Félix Boyarm und anderen Mitstreitern

190 KOMPAORE, Prosper (1977): Les formes de théâtralisation dans les traditions de la Haute-Volta. Institut d’Etudes théâtrales. Sorbonne nouvelle – Université Paris III. S. 21 f. 191 Hier kommt es zu unterschiedlichen Schreibweisen des Mädchennamens in der verwendeten Literatur: Yennega bzw. Yennenga. Prinzessin Yennenga ist die Mutter Ouedraogos, des Natio- nalhelden der Mossi in Burkina Faso.

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gegründet, trotz Unterstützung durch den Oberbevollmächtigten Michel Tou- gouma192 konnte sie sich nur bis 1968 halten und dennoch kann sie im Ver- gleich zu den anderen freien Truppen mit der längsten Lebensdauer aufwar- ten. Sie produzierte keine eigenen Stücke, hatte aber einige sehr erfolgreiche Produktionen aufgeführt, mit denen sie beim burkinischen Publikum sofort be- kannt wurde. Besonders zu erwähnen sind die Stücke L’oracle und La Fille de la Volta193 von Moussa Sawadogo.

"Troupe de la Volta" Hauptanliegen dieser 1966 um den Allrounder Sotigui Koyaté entstandenen Truppe war die Inszenierung selbst entwickelter Stücke und ihre Mitbegründer waren: Souleymane Sarr, Karim Laty Traoré, Amado Jean Ouedraogo, Aminata Touré. Das erste Stück, eine "création collective", hieß La complainte du Caiman194 nach einer Idee von Souleymane Sarr. Dieses erste und gleichzeitig einzige eigene Stück machte die Gruppe nach nur knapp 1-jährigem Bestehen durch den Preis C.A.L.A. H.V.195 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, nach einer Fremdinszenierung löste sie sich bereits wieder auf und Karim Laty Traoré gründete mit anderen Truppenmitgliedern eine neue Truppe: "Le Cercle de l’Amitié".

Das "Théâtre de la Solidarité Africaine" (TSA) 1969 unter Philippe Ouédraogo, einem ehemaligen Aktivisten gegründet, war diese Truppe unter allen anderen die politischste. Neben anderen Zielsetzun- gen war folgende für sie bezeichnend: "promouvoir ... la solidarité des peuples des diverses régions de l’Afrique, la popularisation des luttes des peuples africains ..."196 Seine erste Präsentation La Rançon de la Trahison war die Ins-

192 CORNEVIN, R. (1970): Le théâtre en Afrique noire et à Madagascar. Le livre africain. Paris. In: Nikiema, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 35. 193 Nicht veröffentlicht. 194 Nicht veröffentlicht. 195 C.A.L.A. H.V. = Cercle d’Activités Littéraires et Artistiques de Haute-Volta. Am 10. Februar 1967 gegründet, hat dieser Kreis das künstlerische und literarische Leben des Landes bereichert, besonders durch die Organisation des Wettbewerbs, die "Kulturellen Nächte", die Lesungen etc. 196 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure – Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Université de Bordeaux III. Bor-

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zenierung einer "création collective" der "Fédération des Etudiants d’Afrique Noire en France" (F.E.A.N.F.) und bezeugte gleichzeitig die ideologische Aus- richtung der Truppe.

Deklarierte Zielsetzungen – ein Theater der Aufklärung Drei Hauptziele waren allen unabhängigen Truppen gemeinsam: Die nachfol- genden Generationen sollten anhand des im Theater Gezeigten mit der kolo- nialen Vergangenheit des Landes konfrontiert werden, um zu begreifen, was ihre Eltern während der Kolonialisierung erdulden mussten und zu welchem Preis dieses Land aufgebaut wurde, weiters sollten die Kolonisatoren und alle ihre Kollaborateure öffentlich benannt und vor allem sollte die bereits an an- derer Stelle angedeutete Rückbesinnung auf ein viel afrikanischeres Theater, das den Wirklichkeiten und der Mentalität der burkinischen Gesellschaft Rech- nung trägt, eingeläutet werden.197 Um ihrer künstlerischen Arbeit eine Dauer- und Ernsthaftigkeit zu verleihen, wurden von den einzelnen Truppen von Beginn an bestimmte interne Vor- schriften ausgearbeitet, um jeglicher Undiszipliniertheit vorzubeugen und ei- nen guten Ablauf der Aktivitäten zu garantieren. So schienen Pünktlichkeit und diszipliniertes Einhalten der Proben klar in diesen Reglements auf und wurden bei Nichtrespektieren durch verschiedene Strafen (Geldstrafe, Suspendierung etc.) sanktioniert. Jede Truppe plante die Zahl der Vorführungen für das kom- mende Jahr voraus. Die Aktivitäten zentrierten sich meist auf zwei Hauptpole: die Teilnahme an Wettbewerben und offiziellen Kundgebungen und jene Aktivi- täten, die als Animation bezeichnet werden. Die Vorbereitung der Stücke, die für Wettbewerbe zurückgehalten wurden, begann mit dem Beginn der Theater- saison. Für die Animationen des kulturellen Lebens des Landes organisierten die Truppen nicht nur Theateraufführungen, sondern auch Unterhaltungs- abende mit einer Mischung aus traditionellen Liedern und Tänzen, die manch- mal auch von einem modernen Orchester begleitet wurden. Diese Einnahmen solcher Abende dienten zur Deckung der Ausgaben der Truppe.

deaux. S. 147. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 37. 197 Pierre Dabire in einer Unterredung mit David Nikiema, Juni 1988. In: Ebd.: S. 38.

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Truppenrepertoire Das Repertoire der freien Theatertruppen bestand zum Großteil aus burkini- schen Autorenstücken – mit Fokus auf die traditionelle Geschichte des Landes als auch auf das Aufeinandertreffen des Heimatlandes mit dem abendländi- schen Kolonisator. Zwei Beispiele, die die Auseinandersetzung mit der kolo- nialen Vergangenheit thematisieren:

Sansoa von Pierre Dabire Es brandmarkt die Missbräuche, die Verbrechen der Kolonisierung, aber auch die äußerst ambivalenten Verbindungen, die gewisse Personen mit dem wie- ßen Aggressor eingegangen sind. Es erzählt von den Leiden und Demütigun- gen der Bevölkerung durch die Kolonisatoren. Der Tod des Helden ist stellver- tretend für tausend andere, die Frankreich an der Bevölkerung des Landes begangen hat.

Le Mahdi Bamori von Sibiri Oumar Traoré Es ist ein Stück, das die Geschichte einer realen Revolte gegen die koloniale Präsenz nachzeichnet. Dieser Aufstand fand in Bobo-Dioulasso unter der Leitung eines Mahdi namens Bamori statt.

Diese Konzentration der Truppen, rein nationale Stücke zu spielen – als einzi- ge Ausnahme sei die Truppe des "Théâtre de la Solidarité Africaine", die sich auch über die Inszenierung ausländischer Autorenstücke (wie Le fusil von Patrice Ndeli Penda oder La décision von Cheik N’Dao) wagte, zu nennen –, begründet sich wohl in der praktischen Tatsache, dass die Umsetzung nicht burkinischer Texte ein Mehr an Auseinandersetzung, Vorbereitungs-, Proben- zeit etc. bedingt und auch ein Mehr an Kosten verursacht hätte.

5.3.2 Aller Anfang ist schwer ... Das Fortschreiben der Theatergeschichte in Burkina Faso durch die Aktivitäten der unabhängigen Truppen ist begleitet von Schwierigkeiten und Widerständen auf mehreren Ebenen, die überwiegend soziologischer bzw. materieller Natur sind und die sich zum einen in ihrer Theaterpraxis als auch in der großteils

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kurzen (Über-)Lebensdauer der einzelnen Truppen widerspiegeln. Letztere wird vor allem dadurch begünstigt, dass, wenn der Großteil der Schauspieler sich aus Beamten oder Schülern/Studenten zusammensetzt, von denen vor allem Erstere häufig in Burkina Faso von dienstlichen Versetzungen und Letz- tere von starker Fluktuation betroffen sind, dies eine kontinuierliche Probenar- beit bzw. Vorbereitungen erschwert oder sogar unmöglich macht. Ein anderes Problem, mit dem manche dieser Truppen zu kämpfen hatten, stellten unter- schiedlich motivierte Spannungen im zwischenmenschlichen Bereich innerhalb der Truppen selbst dar.

5.3.2.1 Das Bild des Schauspielers in der Gesellschaft – eine Aktivität von gesellschaftlichen Außenseitern Die Schauspieler sahen sich mit dem Problem des Vergleichs zwischen dem Schauspieler der modernen Gesellschaft und jenem der traditionellen Kultur, hier im Speziellen dem Griot, konfrontiert. Letzterem wurde in der Vergangen- heit Respekt gezollt und man fürchtete sich vor der Macht seiner Worte. Der Anbruch der modernen Gesellschaft bescherte den traditionellen Systemen der Adeligen und Feudalherren, denen der Griot zu Diensten war, einen Stempel mit Ablaufdatum und der Griot fand sich innerhalb dieser gesellschaftlichen Neuordnung in der sozialen Hierarchie nun ganz unten und nahm Geschenke dort an, wo er sie bekommen konnte, um seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können. Durch diese gesellschaftliche Neuordnung war der Griot gezwungen, für all jene zu singen, die besungen werden wollten, ob gesellschaftlich geach- tet oder nicht, und dies ließ ihn in den Augen vieler Menschen zu einem be- stechlichen, sich prostituierenden Wesen werden. Von diesem sozialen Ab- stieg des Griots, der in der traditionellen Gesellschaft eines der repräsentati- ven Elemente von Theatralität verkörperte, wurde auch die Schauspielerei tan- giert, da eine Parallele zwischen dem Griot und dem modernen Schauspieler gezogen wurde. Das Theater wurde als eine Nische für gesellschaftliche Außenseiter empfun- den, die einer sehr durchschnittlichen Betätigung nachgingen. Dieses negative Image verbunden mit der mangelnden Unterstützung seitens der Familie oder Freunde zwang viele Schauspieler dazu, ihre Tätigkeit aufzugeben. Noch

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schwieriger gestaltete sich das Rekrutieren von Schauspielerinnen, da diese sich noch viel schwerer aus dem Korsett der Tradition und von der elterlichen Autorität befreien konnten. Deshalb wurden in den Theaterstücken die Frauen- rollen meistens von verkleideten Männern übernommen – das ist ein interes- santer Umkehraspekt, denn, wenn eingangs an die Mädchen beim "Theater der Missionare" erinnert werden darf, waren sie es, die sich aufgrund der von den Glaubensschwestern strikt vorgegebenen Geschlechtertrennung als Männer verkleiden mussten.

5.3.2.2 Ein Beitrag zur Identitätsfindung? Diese Frage kann in ihrer Beantwortung nicht über einen gemeinsamen Kamm geschert werden, da jede Truppe sich ihre eigenen, individuellen Ziele gesteckt hatte, zudem brachen die Truppen oft früher auseinander als erwartet. Die Theateraktivitäten können aber als Aufarbeitung von stattgefundener, realer Geschichte (vorkolonialer als auch kolonialer) betrachtet werden, deren Aus- wirkungen die junge Generation direkt betraf. Durch Stücke wie La fille de la Volta wurden die kriegerischen Eroberungen, aber auch die Widersprüche und Gegensätze der traditionellen Gesellschaft vor den großen gesellschaftlichen Umwälzungen als Folge der Kolonisation von den jungen Theatermachern the- matisiert. Diese "Lektion" war nach Ansicht David Nikiemas notwendig, um sich besser begreifen zu lernen, um besser seine eigene Zukunft gestalten zu können. Viele glaubten zu wissen, dass Frankreich sich früher Gallien nannte und ihre Vorfahren die Gallier waren, ohne sich wirklich Gedanken über die eigene Identität oder beispielsweise die soziale Hierarchie des Königsreichs der Mossi zu machen! Deshalb entstand das Stück La fille de la Volta von Moussa Sawadogo, inspiriert von einer wesentlichen Legende über den Ursprung der Mossi in Burkina, genau zum richtigen Zeitpunkt. Durch die von den Truppen vorgenommene Themenwahl büßte Europa als einstiger Nabel der (Bühnen-)Welt seine Einflussnahme ein. Der eurozentri- sche, elitäre Blick musste einem introspektiv motivierten Theater ohne Racine oder Molière weichen, an dem die gesamte Bevölkerung zur kollektiven "Alt- lastenentsorgung" teilhaben sollte.

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5.3.2.3 Das Herausbilden von Gattungen In der Phase der unabhängigen Truppen kommt es weiters zu einer Unter- scheidung in verschiedene Genres der darstellenden Kunst, bei der sich das Theater als eine unabhängige Disziplin radikal von der Musik, vom Tanz, vom Ballett und von Gesängen etc., die früher alle dem Begriff "Theater" zugeord- net wurden, distanziert und emanzipiert. Die laut Nikiema unglückliche Vermi- schung des traditionellen Theaters mit dem importierten wurde aufgelöst, indem jeder Künstler sich nach seinem Geschmack für eine Theater-, Tanz- oder Gesangstruppe entscheiden konnte. Inwieweit dieses Aufsplittern wirklich vollzogen wurde und ob sich dieses positiv oder negativ auf die weitere Ent- wicklung des burkinischen Theaters ausgewirkt hat, kann hier nicht beant- wortet werden, es sei aber angemerkt, dass in den letzten Jahren sehr wohl auch gegenteilige Beobachtungen beispielsweise beim "Atelier Théâtre Burki- nabè" gemacht werden konnten, wo die Schauspieler neben dem Theaterspiel auch das Singen und Tanzen beherrschen müssen.

5.3.2.4 Im Strudel der Negritude198 Die primäre Motivation der autonomen Truppen, ein Theater für alle, vor allem aber für die junge Generation aus oben dargelegten Gründen zu machen, wur- de aufgrund des aufkeimenden Bedürfnisses, die Bräuche und Helden der Tra- dition aufwerten zu wollen, beendet, da das Theater sich von der Bewegung der Negritude, die zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange war, mitreißen ließ und in einer völlig narzisstischen Selbstbetrachtung (Suche nach Sündenbock, Gefallen am leidenden Heldenruhm) versank. Das Theater entfernte sich – in- haltlich durch das intellektuelle Niveau der Stücke, die Verwendung der fran- zösischen Sprache und die Fokussierung auf eine in den Städten lebende Elite als auch räumlich durch die ausschließliche Präsenz in den urbanen Zentren – von den Menschen und ihrem Leben, zu denen der Kontakt abgebrochen war, obwohl paradoxerweise Letztere es waren, die von den Sprechern besungen wurden.

198 Négritude: aus der Rückbesinnung der Afrikaner u. Afroamerikaner auf afrikanische Kulturtra- ditionen erwachsene philosophische u. politische Ideologie, die mit der Forderung nach [kultu- reller] Eigenständigkeit vor allem der Französisch sprechenden Länder Afrikas verbunden ist. In: DUDEN – Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM].

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5.4 Das Theater der "Maisons des Jeunes et de la Culture" (MJCs) – die historischen Nachfahren der "Centres Culturels" Während der öffentlichen Sitzung vom 12. Juli 1958 beschließt die "Assemblée Territoriale" nach der Empfehlung des "Conseil du Gouverneur", sämtliche CCs in "Maisons des Jeunes et de la Culture" (MJCs) umzuwandeln, und kommt da- mit der Forderung des "Conseil de la Jeunesse" von 1955 nach. Zwei Schwer- punktsetzungen bestimmen die kulturellen Aktivitäten dieser MJCs: die regio- nale "Semaine de la jeunesse"(Woche der Jugend) und der nationale Kultur- wettbewerb, bei denen verschiedene Organisationen innerhalb der MJCs sich dem Wettkampf stellen. Wie in den CCs auch, liegt das Hauptaugenmerk beim Theater, dahinter reihen sich Folklore, Tanz, Erzählungen und Mythen etc.

5.4.1 Beschreibung und Zielsetzungen der MJCs Inhaltlich und formal – was die Gestaltung eines bereits beim CC beschriebe- nen Theaterabends betrifft – scheinen sich die MJCs bis auf die Namensfüh- rung zunächst in nichts von den CCs seit dem Tag der Unabhängigkeit (5.8.1960) zu unterscheiden, auch die leitenden Positionen der MJCs werden wieder mit den früheren Direktoren der CCs besetzt, damit bleibt man auch im Theater der Tradition der historisch inspirierten Stücke treu. Das belegen die mehrmals im MJC Bobo-Dioulasso dargebotenen Stücke wie La Bataille de Bama oder La mort de Tieba. Diese beiden Stücke inspirierten sich zum einen am Kampf von Bama, wo die Armee des Königs von Sikasso, Tiebo, den Ein- wohnern der Stadt Bobo gegenüberstand, und zum anderen an einer Legende über den Tod Tiebos199. Auch das von Moussa Sawadogo verfasste legendäre Stück La fille de la Volta200, das anhand der Geschichte der Prinzessin Yennen- ga von der Gründung des Königsreichs der Mossi erzählt, wurde am 13. Okto- ber 1961 im MJC von Ouagadougou erstmals von der Truppe Yennenga ur- aufgeführt und dann von mehreren Truppen der MJCs im Rahmen von sich wiederholenden Festen zur Unabhängigkeit gespielt.

199 Zu seinem Tod gibt es laut David D. Nikiema mehrere Versionen. 200 Die Grundlage dieses Stückes bildet eine Legende der Mossi, die von dem Amazonenmädchen Yennega handelt, das die Tochter des Königs Nedega ist, eines Vorfahren der Mossi. Eines Tages verschwindet sie mit ihrem Pferd im Wald. Auf ihrer Reise begegnet sie einem Jäger namens Rialé, dessen Frau sie wird.

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Jean Claude Ki kommt zu der Überzeugung, dass "les activités théâtrales des Maisons des Jeunes et de la Culture ne se répercutaient pas jusqu’au fond des couches sociales rurales. Dans la campagne les M.J.C. étaient aux mains de quelques intellectuels qui travaillaient dans les sous-préfectures et les communes."201 Auch dieses Statement unterstreicht die Parallelen der MJCs zu den früheren CCs. Allmählich werden in die Inszenierung Elemente burkinischer Kultur integriert, das Theater behält aber immer noch seinen überwiegend unterhaltenden Cha- rakter bei, selten wird es als Mittel der Belehrung eingesetzt. Französisch bleibt Bühnensprache. Im Juli 1971, also 13 Jahre nach der Gründung der MJCs, wird von der durch die neue Regierung eingerichteten Verwaltungsabteilung für Jugend und Kultur ein Seminar mit sämtlichen Verantwortlichen der MJCs des Landes abgehalten, um eine Bestandsaufnahme der bis zu diesem Zeitpunkt geleisteten Arbeit in diesen Jugend- und Kulturzentren vorzunehmen. Der Minister für Jugend und Sport formuliert anlässlich dieses 4-tägigen Seminars in seiner Eröffnungsrede das Programm und die Intentionen der MJCs folgendermaßen:

"La Maison des Jeunes et de la Culture est une entreprise commu- nautaire, une institution au service de tous pour le perfectionne- ment de l’homme. Son organisation reflète cette double préoccu- pation et repose sur les principes de l’autonomie, de la neutralité, de la liberté d’expression et de la tolérance (...) Institution au service de tous, la Maison est ouverte d’origine, de conditions, dans le respect des convictions individuelles et dans l’indépedence à l’égard de toute idéologie. Au grand jamais nos Maisons ne devront servir d’abri où l’on viendrait dénigrer la politique de tel ou tel parti. Elles ne devront pas, non plus, constituer 'un bastion d’agitateurs ou de propagandistes patentés de telle ou telle tendance politique, religieuse ou philosophique'."202

201 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 53. 202 SÉMINAIRE DES MAISONS DES JEUNES ET DE LA CULTURE. Ministère de la Jeunesse et des Sports de Haute-Volta. S. 4 f. In: Guingané, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure –

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Dabei werden durch die Rückbesinnung auf die eigene kulturelle Identität gekoppelt an ein durch die Unabhängigkeit erstarktes Nationalbewusstsein Fehlentwicklungen (vor allem im Bereich des Theaters) aufgrund der Nach- wehen der kolonialen Vergangenheit erkannt, die den Ruf nach einem soforti- gen inhaltlichen Kurswechsel laut werden lassen und die Anpassung an ein afrikanisches Leben und an eine burkinische Bevölkerung im Besonderen for- dern, die auch bestimmte Aspekte der Kolonisation, wie die Einrichtung der Schulen oder die Auferlegung der französischen Sprache, betreffen. Vor allem Letztere verlieh dem Theater der MJCs einen kleinbürgerlichen, elitären An- strich, da Französisch als Ausdrucksmittel nur von einer kleinen Zahl von Leh- renden in den Verwaltungsbüros gesprochen wurde. Verstärkt wurde dies durch eine damit verbundene unpopuläre Programmgestaltung, die für diesen kleinen Personenkreis ihre Theaterstücke produzierte. "Il a été pendant long- temps l’apanage des seuls intellectuels, eux-mêmes regorgeant de pièces classiques occidentales."203 Nach knapp 70 Jahren Fremdherrschaft wird das der einheimischen Bevölke- rung aufgezwungene Theater von den Entscheidungsträgern als Importprodukt empfunden, gleichzeitig wird das Verlustiggehen der eigenen Kultur beklagt. Die nun geforderte Einbeziehung von Elementen der burkinischen Kultur müs- se sich vom rein folkloristischen Charakter verabschieden, damit das Theater durch die Aufwertung authentischer Definitionselemente wieder zu einem "Volks"theater zurückfindet. Das Theater der MJCs ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr eine armselige Reproduktion der abendländischen Kultur, sondern hat als Auftrag, Themen nationalen Interesses zu entwickeln204 und die afrikanische Geschichte unter dem richtigen Blickwinkel wiederherzustellen. Die vormals auf dem Theater skizzierten barbarischen, machthungrigen Krie- ger werden nun zu Helden des Widerstandskampfs gegen den weißen Aggres- sor. Die Theaterverantwortlichen der MJCs erhalten – als Schlüsselerkenntnis

Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Université de Bordeaux III. Bordeaux. S. 90. 203 Schlussbericht des Seminars über die MJCs. Juli 1971. S. 27. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouaga- dougou. S. 56. 204 Ebd.: S. 55.

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dieses Seminars – den verpflichtenden Kulturauftrag, das soziale nationale Leben positiv zu beeinflussen. Zeitlich parallel kommt es zur Forderung nach kultureller Eigenständigkeit der frankophonen Länder Afrikas im Rahmen der bereits zuvor erwähnten Negri- tude-Bewegung, die bereits in den 1930ern von Intellektuellen wie Léopold Sédar Senghor oder Aimé Césaire, der diesen Begriff geprägt hat, formuliert wurde und einen zentralen Platz in der afrikanischen Ideologie einnimmt. Ähnlich wie bei den unabhängigen Truppen gefiel sich auch die mit der Leitung der MJCs betraute burkinische Intelligenz in ihrer nostalgischen und wehmü- tigen Haltung der afrikanischen Kultur. Jean Claude Ki befand, dass diese Hal- tung das Theater dazu gebracht hat, "à se mirer dans un passé lointain pour se construire une identité culturelle"205 (siehe historisch inspirierte oder auf einer legende basierende Stücke wie La fille de la Volta).

5.4.2 Politische Vereinnahmung des Theaters der MJCs Die neuen burkinischen Machthaber wussten um die Wirkung des Theaters in den langen Jahren der Fremdbestimmung und stellten es nun in den Dienst für ihre eigenen politischen Zwecke. Durch die Anbindung an das Ministerium für Jugend und Sport wurden das MJC und sein Theater auf Dauer zu einem Instrument der Agitation und der Propaganda der machthabenden Partei. Ein vom Ministerium für Öffentlichkeit ausgeschriebener Wettbewerb (Ausstattung und Finanzierung) für die MJC-eigenen Truppen stellte für jene außerhalb der MJCs arbeitenden "unabhängigen" Truppen eine gewisse Desillusionierung dar, denn durch die Tatsache, dass sie mit den "falschen", da politisch einflusslosen Elitebewegungen sympathisierten, verringerten sich ihre Chancen, sich gewis- se Gunstbezeugungen seitens des Machthabers zu sichern. Vor allem in den Provinzen, wo jede Region die Hochburg eines Abgeordneten oder eines Lea- ders einer politischen Partei war, kam es zu einer neuerlichen politischen Ver- einnahmung des Theaters der MJCs vor allem durch die bestimmende politi- sche Partei RDA206, das sich dadurch wie eine Aktivität der Jugend Letzterer darstellte. In den großen Städten wie Ouagadougou und Bobo-Dioulasso

205 KI, Jean Claude (1978): Le théâtre dans le développement socio-culturel en Haute Volta. S. 33. In: Nikiema, David: S. 56. 206 RDA = Rassemblement Démocratique Africain.

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wurde diese Tatsache aufgrund des intellektuellen Niveaus der freiheitslie- benden Jugendlichen beinahe übersehen. Lässt man allerdings die weiter oben zitierte Eröffnungsrede des Ministers für Jugend und Sport anlässlich des MJC- Seminars bezüglich Zielsetzungen und Intentionen Revue passieren, wider- spricht die soeben aufgezeigte politische Vereinnahmung gänzlich den Inhalten dieser Rede: Weder kommen die MJCs dem Anspruch, eine Institution für alle zu sein, nahe, noch sind sie unabhängig, neutral und wertfrei – "Au grand jamais nos Maisons ne devront servir d’abri où l’on viendrait dénigrer la politique de tel ou tel parti. Elles ne devront pas, non plus, constituer 'un bastion d’agitateurs ou de propagandistes patentés de telle ou telle tendance politique, religieuse ou philosophique'." 207 Das Theater wurde im Laufe der Zeit von seinem Sockel gestoßen und taucht nur mehr im Rahmen von Wettbewerben oder der "Semaine culturelle" auf. Heute bestimmen die freien Truppen die Aktivitäten der "Maisons des Jeunes et de la Culture" in Form von Tänzen, Ballett, öffentlichen Tanzveranstaltun- gen und Jahrmärkten.

5.4.3 Das Theater der "Landwirtschaftlichen Tage" Dieses Theaterexperiment hat laut Guingané von 1968 bis 1978 gedauert und wurde von den ländlichen Animateuren208 während der Feierlichkeiten für das Ende der Saison organisiert. Das Hauptanliegen dieser Festveranstaltungen war die Übergabe des Preises an die besten Bauern der Region. Mit der Unter- stützung dieser ländlichen Organisatoren bereiteten und organisierten die Bau- ern Aufführungen, die zu regelrechten Volksfesten (vor der Aussaat, nach der Ernte, ...) mutierten und die in ihrem Wesen und in ihrer Zielsetzung jenen "créations collectives" (CCLs) entsprechen, die heute noch von den Truppen überwiegend veranstaltet werden. Dies ist ein ganz interessanter Aspekt, der

207 SÉMINAIRE DES MAISONS DES JEUNES ET DE LA CULTURE. Ministère de la Jeunesse et des Sports de Haute-Volta. S. 4 f. In: Guingané, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure – Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Univer- sité de Bordeaux III. Bordeaux. S. 90. 208 Guingané hält fest, dass diese Organisatoren keine kulturellen Impulsgeber sind, sie aber dem Ministerium für Landwirtschaft und Aufzucht unterstellt sind. In: GUINGANÉ, J.-P.: Théâtre et développement en Afrique: le cas du Burkina Faso. In: Nikiema, Clarisse (1992): La création Collective et son Impact Socio-culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. S. 16.

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auch im Rahmen des Forumtheater-Workshops während des FITD 2002 in Ouagadougou ins Auge stach, nämlich dass einfache Bauern bzw. Menschen ohne theaterspezifische Vorkenntnisse sich aus den oft entlegensten Provinzen zu Gruppen zusammenzufinden, um Theater für ihre Gemeinde zu machen. Das Anliegen dieses Theaters während der "Journées Agricoles" war die Sensi- bilisierung der Bauern in Bezug auf spezielle Probleme in Zusammenhang mit der erschwerten sozioökonomischen Entwicklung und dem Wohlstand der Men- schen. An diesen CCL-Aufführungen beteiligten sich Tausende von Personen.

5.5 Das Schultheater Dem hier beschriebenen Theater der Gesamt- und Fachhochschulen, das sich in den frühen 1970er Jahren zu konstituieren begann und zum Mittelpunkt der Theateraktivitäten von Burkina Faso wurde, kommt eine Schlüsselfunktion insofern zu, da es eine ganze Generation von Theatermachern und -menschen hervorgebracht hat, die noch heute die Theaterlandschaft von Burkina Faso durch ihre Beiträge beeinflussen und diese entscheidend mitgeprägt haben. Die bei Schülern und Studenten schon immer beliebten Theaterveranstaltun- gen, ursprünglich als Mittel zur Zerstreuung gedacht, finden damals wie heute gegen Ende des Schuljahres und im Rahmen der kulturellen Aktivitäten der Einrichtung statt. Ebenso werden sie während der Ferien von speziellen Schul- vereinen veranstaltet.

5.5.1 Die Theateraktivitäten während der Schulzeit Das Theater war früher verpflichtender Bestandteil des burkinischen Unter- richts, im Gegensatz zu heute, obwohl einige Einrichtungen diese Tradition beibehalten haben, wie z.B im Fall des "Petit Séminaire" von Pabré. Die Stücke wurden im Unterricht von den Schülern selbst erarbeitet und dann unter der Anleitung theaterbegeisterter Pädagogen mit Feuereifer zur Aufführung ge- bracht. Je nach finanziellen Mitteln der Schulen finden die künstlerischen Dar- bietungen heutzutage im Schulhof, auf mehr oder weniger gut gebauten Büh- nen oder auf dem Basketball- oder Volleyballfeld statt. Die Theaterveranstal- tungen erfreuen sich innerhalb der Schule als auch außerhalb großer Beliebt- heit. Die meisten Einrichtungen, die über eine richtig feste Bühne verfügen,

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sind meist auch jene mit einem angeschlossenen Internat. Letztere begüns- tigen durch bestimmte Rahmenbedingungen das Theaterspiel im Gegensatz zu anderen Einrichtungen wesentlich (z.B. Schüler für Proben zu versammeln, die Verfügbarkeit von bestimmtem Material und Betreuungspersonal) und punkten quantitativ (Zahl der Auftritte) als auch qualitativ (hohes Niveau). Die wesent- lichen Führungsfiguren des burkinischen Theaters kommen aus diesen Institu- tionen: Jean-Pierre Guingané (Eçole Normale) und Prosper Kompaore ("Petit Séminaire" von Pabré). Dieses Theater im Rahmen der schulischen Kulturwo- chen bewegt sich generell auf einem sehr hohen technischen Niveau, das den Schülern aufgrund der Betreuung durch erfahrene Theatermänner zugute- kommt. Die Truppe des Lycée Technique von Ouagadougou wendete sich stets an den bereits an anderer Stelle genannten Sotigui Kouyaté, einem auch im Ausland vor allem durch Produktionen von Peter Brook bekannten Schauspie- ler, um die Regie ihrer Stücke sicherzustellen. Ebenso arbeitet Jean-Pierre Guingané regelmäßig mit der Theatertruppe des Lycée Municipal von Ouaga- dougou (umbenanntes Lyceé Bambata).

5.5.2 ... während der Schulferien Die Schüler der Gymnasien und weiterführenden Schulen organisieren sich in ihren Schulferien über Vereine in den Städten und Dörfern, um aus der Viel- zahl der von jedem einzelnen Schüler während des Schuljahres an seiner Schule aufgeführten und hier präsentierten Stücke die Auswahl geeigneter Stücke zu treffen. Die Programmgestaltung dieses meist in den MJCs veran- stalteten Theaterabends erinnert an die Theatersoireen der kolonialen CCs: Eine Serie von Sketchen, Liedern, Ballett, Konzerten etc. geht dem eigentli- chen Stück voraus. Es werden für die Aufführungen während der Schulferien von den Schülern meist kurze und für alle verständliche Stücke "sur des problèmes de la vie courante, des problèmes auxquels les gens du village sont confrontés à longueur de journée" ausgewählt.209

209 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure – Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Université de Bordeaux III. Bordeaux. S. 118. In: Nikiema, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 63.

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Die von den Schülern vorgenommene Auswahl der Stücke als auch die Bereit- schaft, die Probleme der vor allem ländlichen Bevölkerung zu thematisieren, lassen bereits die spätere Tendenz einiger Theatermacher erkennen, sich mit diesem Theateransatz in den Dienst einer alles umfassenden Entwicklung ihres Heimatlandes zu stellen – hier im Rahmen der Schulferien soll vorerst ein Theater praktiziert werden, das die Bildung der ländlichen Bevölkerung zum Inhalt hat, und ähnlich wie das bereits skizzierte Kotèba beeinflussen beide die Herausbildung eines "Theaters der sozialen Intervention". In diesem Zusam- menhang muss auch angemerkt werden, dass es eigentlich die Schüler und Studenten mit ihrem Schultheater sind, die der ursprünglich an die Theater- leiter der MJCs postulierten Forderung nachkommen, Theater als sozialpoli- tische Verantwortung zu begreifen. Abschließend lassen sich also zwei wichtige Einflüsse bzw. Auswirkungen dieses Schultheaters festhalten: Zum einen hat das Schultheater – neben seinen vor allem beim ländlichen Publikum beliebten Animationen – wesentlich zum Kennenlernen des Theaters nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land beigetragen. Zahlreiche unabhängige Theatertruppen hatten zu dieser Zeit mit einer gewissen, oft endgültigen Stagnation zu kämpfen und ein Großteil dieser freien Theatertruppen versuchte ihr Glück in der Stadt. Zum anderen stellte dieses Theater den Ausgangspunkt für all jene dar, die heute fest im burkinischen Theater verankert sind, und es konnte sich vor allem während einer Phase des Vakuums, wo die freien Truppen kein Lebenszeichen von sich gaben, seine Theaterbegeisterung bis zum Wiedererwachen der Theaterszene bewahren. Wichtige Impulsgeber für diese Renaissance sind die beiden an französischen Universitäten (Bordeaux und Paris) in Theaterwissen- schaft promovierenden Galionsfiguren Jean-Pierre Guingané und Prosper Kompaore. Diese unermüdlichen Theatererneuerer haben die Geschichte der Interventionen im Spiegel des Theaters fortgesetzt und deshalb soll der Blick nun vor allem auf das von ihnen praktizierte und in Afrika heute – in Mali unter dem Namen "théâtre utile" bekannt – weit verbreitete "Theater der sozialen Intervention" gelenkt werden.

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5.6 Im Dienst der Gesellschaft – Theater als soziale Intervention

"Nous avons alors compris que le théâtre est un art éminemment social, qu’il participe de la vie des hommes et que ceux-ci en ont besoin, qu’il est un moyen pour mobiliser, galvaniser, unir des populations et entretenir des échanges."210

Diese äußerst produktive Renaissance innerhalb des burkinischen Theaters setzt gegen Ende der 1980er Jahre ein und ist durch das Aufkommen mehre- rer Schulverbände als auch mehrerer konventioneller Theatertruppen gekenn- zeichnet. Vom politischen Standpunkt aus hatten die Menschen dieses Landes eine unruhige Phase der Staatsstreiche und wechselnden Machtübernahmen über sich ergehen lassen müssen, die 1987 aufgrund des Militärputsches und der damit verbundenen Machtergreifung durch die "Volksfront" mit Haupt- mann Blaise Compaore an der Spitze und der Ermordung seines Weggefährten Thomas Sankara endet. Mit der Phase dieser "neuen" Gesellschaft beginnt eine "neue" Vision von der Welt, somit auch ein "neues" Theater, das sich von der Last des alten Theaters befreit. Das Theater wurde für die "nouvelle vague" der Dramaturgen ein Instrument, um zu erziehen, zu sensibilisieren, bewusst zu machen, um vor allem die durch ihren Analphabetismus gelähmte Bevölke- rung zu mobilisieren. Von nun an waren für die auf den Mangel an adäquaten Theaterstücken reagierenden und daher selbst schreibenden, meist im Rah- men des modernen Litaturstudiums ausgebildeten Dramatiker bzw. Regisseure – anfänglich wider Willen – vor allem Themen sozialen Inhalts, die die Gesell- schaft massiv beeinträchtigten, relevant: Analphabetismus, Alkoholismus oder Korruption, Gesundheit, Familie, Emanzipation der Frau, Mündigkeit, Macht- missbrauch, Repression, Ungerechtigkeit etc. Um die ausgetrampelten Pfade zu verlassen, musste das nationale Repertoire dementsprechend erneuert wer- den, um diesen Truppen ein neues Arbeitsmaterial vorzuschlagen und zur Verfügung zu stellen.

210 BASSONO, Sylvestre (1991): Relations auteurs, metteurs en scene et acteurs au sein des troupes de comediens burkinabe. Memoire. Université de Ouagadougou. Institut superieur des langues, des lettres et des arts (IN.SU.LL.A), Département de lettres modernes. Ouagadougou, Burkina Faso. S. 1.

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"C’est pourquoi 'écrire, dira le M en s211 de l’ATB, une pièce de théâtre (...) c’est aider les jeunes troupes à disposer d’un outil de travail. Je suis conscient du fait qu’il y a une demande en pièce (...) [car] beaucoup de troupes jeunes se créent. Celui qui écrit rend ser- vice aux troupes (...), par cela rend service à sa communauté'."212

Die dramatische Literatur, einst Privileg einer Handvoll von Eliten, im vorlie- genden Fall der Kaderschmiede aus der Schule William Pontys in Gorée (Sene- gal), wurde nun popularisiert. Das Theater dieser Zeit – als direkte Konse- quenz der wiedergewonnenen Beachtung der Theateraktivitäten durch die öf- fentliche Hand – wird vor allem durch die Dynamik einzelner Truppen be- stimmt. Diese kreative Phase soll anhand der exemplarischen Beschreibung von zwei noch heute aktiven und impulsgebenden Truppen, stellvertretend für die Vielzahl der zu dieser Zeit gegründeten Theatertruppen213, veranschaulicht werden. Es sind dies die Truppe "Atelier Théâtre Burkinabè" (ATB) von Prosper Kompaore und das "Théâtre de la Fraternité" von Jean-Pierre Guingané.

5.6.1 Kurzbeschreibung zweier repräsentativer Theatertruppen: "Atelier Théâtre Burkinabè" und "Théâtre de la Fraternité"

Die verschiedenen in diesem Kapitel beleuchteten Aspekte in Bezug auf Thea- ter als soziale Intervention sollen anhand der beiden hier vorgestellten Thea- tertruppen, die ein wenig als roter Faden durch diesen Abschnitt führen, ihrer Theaterarbeit und ihres Theateransatzes beleuchtet werden.

211 Mit "M en s" ist der "metteur en scène" (Regisseur) gemeint. 212 Prosper Kompaore im Gespräch mit Bassono. 24.4.1990. In: BASSONO, Sylvestre (1991): Relations auteurs, metteurs en scene et acteurs au sein des troupes de comediens burkinabe. Memoire. Université de Ouagadougou. Institut superieur des langues, des lettres et des arts (IN.SU.LL.A), Département de lettres modernes. Ouagadougou, Burkina Faso. S. 73. 213 Dies sind unter anderen: "Radio diffusion et de la television", Truppe "Sakidi", Truppe "Ouez- zin", Truppe "La Promotion" ... Diese hier getroffene Nennung gewisser Truppen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, auch andere Truppen haben ihren Beitrag zur Entfaltung des burkinischen Theaters beigetragen.

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Truppe "Théâtre de la Fraternité" Diese Truppe, 1974 von Jean-Pierre Guingané gegründet, war vor dieser Na- mensgebung die Schultruppe des Lycée Municipal, bevor sie 1980 offiziell unter neuem Namen anerkannt wurde. Sie erarbeitete sich internationale An- erkennung und arbeitet sehr kontinuierlich. Theater definiert sich für den Truppengründer Guinganè folgendermaßen: "... un miroir dans lequel on demande à la société de se regarder franchement et d’accepter d’y voir les boutons du visage afin de leur chercher les vrais remèdes."214 Mehrere Thea- terexperimente wurden durchgeführt: Theaterforum, Theaterdebatten, "théâtre d’intervention sociale".

Truppe "Atelier Théâtre Burkinabè" (ATB) 1978 von Prosper Kompaore unter dem ursprünglichen Namen "Les Amateurs du théâtre voltaïque" (ATV) wachgeküsst, trat sie 1979 mit dem Stück Le président von Maxime Debeka in Erscheinung. Seit ihren Anfängen hat sie sich folgenden Methoden des Theaters verschrieben: dem Theater der Animation (théâtre d’animation) und dem Theater für die Entwicklung (théâtre pour le développement), einem Theater, das den zentralen Sorgen der burkinischen Bevölkerung Rechnung trägt. Drei wichtige Phasen bestimmen den Werdegang bzw. die Entwicklung dieses Theaterunternehmens:

1. 1979–1981: théâtre rural (Theater für die ländliche Bevölkerung) 2. 1981–1983: théâtre de quartier (Theater im Stadtbezirk) 3. 1983–1988: théâtre-forum (Forumtheater)

Die Truppe profiliert sich im Bereich der Recherche als auch der Produktion und präsentiert sich mit zahlreichen eigenen Produktionen Burkina im Ausland. Das ATB hat sich vor allem mit seinem praktizierten Theateransatz eines "Théâtre pour le Développement" einen internationalen Namen gemacht und veranstaltet alle zwei Jahre ein diesbezügliches Theaterfestival namens "Fes-

214 J.-P. Guingané im Gespräch mit David D. Nikiema. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 69.

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tival International de Théâtre pour le Développement" in Ouagadougou. Für Kompaore ist Theater "un instrument d’éducation des masses (...) en leur proposant des sujets de reflexion portant sur leurs préoccupations immé- diates".215 "Théâtre communautaire" ist laut Mitteilung von Lambert Zabré, dem Festival- leiter des heuer erstmals stattfindenden Festivals "Théâtre de l’Evangélisa- tion", ein neuer Theaterableger, den Prosper Kompaore mit seinem ATB-Team beschreitet. Das Theater kommt direkt in die Dörfer und entwickelt mit den Dorfbewohnern zu einem bestimmten Thema ein Theaterstück, das von diesen dann auch selbst gespielt wird – ein mögliches Abkommen von "ready-made- plays"216, um sich der in entwicklungspolitischen Debatten viel zitierten Bot- tom-Up-Methode217 anzunähern?

5.6.2 Zielsetzungen und Themata Dieses neue Theater, entstanden nach einer Phase der Desillusion, die der Euphorie und dem Enthusiasmus der ersten Jahre der Unabhängigkeit folgte, nahm es sich zur Aufgabe, die großen Problemkreise der burkinischen Gesell- schaft thematisch auf- und inhaltlich anzugreifen. Es fungierte auch als offiziel- ler Partner der öffentlichen Hand im Bereich der Mobilisierung und "conscienti- sation", mit dem Ziel, eine reale Entwicklung der burkinischen Gesellschaft voranzutreiben:

"l’apport des mass-média et des structures officielles d’encadrement du monde rural ne peuvent suffir à elles seules, compte-tenu de leur impact souvent limité. Le programme de thèâtre doit donc être d’un apport capital pour la sensibilisation et la mobilisation."218

215 Prosper Kompaore in einer Unterredung mit David D. Nikiema. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouaga- dougou. S. 69. 216 Die auf schriftlich fixierten Theaterstücken aufbauenden "ready-made-plays" sind in Aufbau, Stil und Sprache nach europäischem Vorbild entstanden. Vgl. MINICHBERGER, Daniela (1998): Theatre for development in Africa. Theater – ein Bildungsmedium in Afrika? Diplomarbeit an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät, Universität Wien. S. 62. 217 Bei der Bottom-up-Methode wird im Gegensatz zur Top-down-Methode, wo ein fertiges Kon- zept von außen bzw. von oben den Menschen einfach aufgedrückt wird, gemeinsam mit der be- troffenen Bevölkerung(sgruppe) an einer Problemlösung gearbeitet. 218 "Projet culturel 1985/86" – Direction Générale des Affaires Culturelles. In: NIKIEMA, David: S. 70.

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Alle Aktivitäten der öffentlichen Hand, ob sozialer oder kultureller Natur, kon- zentrierten sich auf das bis heute alles bestimmende Thema "Entwicklung" und dafür erschien ihr das Theater als willkommenes Instrument. Die neue Gene- ration von Theatermachern konnte sich dieser politischen Willensäußerung nicht verschließen und begann, sich mit gewissen Grundproblemen wie Anal- phabetismus, Alkoholismus, Korruption etc. und ihrer Beseitigung auseinan- derzusetzen, um einer tiefgreifenden Entwicklung den Weg vorzubereiten.

5.6.2.1 Schulbesuch – ein Privileg? Anhand von zwei Stücken zu diesem damals brisanten Thema (Mitte der 1980er) – des ATB und des "Théâtre de la Fraternité" – werden die Problema- tik und ihr Umgang/Nichtumgang damit auf die Bühne gebracht. Das Recht auf Bildung als eines der Hauptthemen im burkinischen Theater hatte vielmehr mit Glück als mit Recht zu tun, da aufgrund der schlechten Infrastruktur im Schul- bereich die Aufnahme bzw. der Zugang zu einer Schule sehr limitiert war. Die Unzulänglichkeit des öffentlichen Schulwesens hatte die Multiplikation teurer privater Einrichtungen wie auch den Anstieg der Finanzspekulation zur Folge. Das Stück Notre fils ira à l’école des ATB thematisiert das Problem des be- schränkten Zugangs zur Schulbildung. Darin werden die zahlreichen Hinder- nisse eines Ehepaars, das seinen Sohn in eine Schule einschreiben lassen will, beschrieben: Einschüchterung, Betrug, Arroganz der Verwalter ... Entmutigt gibt der Vater, halb verrückt werdend, auf. Immer mehr Eltern wurden sich der Wichtigkeit einer Schulbildung für ihre Kinder bewusst. Die real vorhan- dene Infrastruktur an Schuleinrichtungen hielt aber nicht mit dem rapiden jährlichen Anstieg an schulwilligen Kindern mit und so wurde der Schulbesuch alleinige Sache der Privilegierten. Das ATB spricht auch offen die sich durch diese Sondersituation ergebenden Korruptions- und Spekulationsanfälligkeiten an. Die breite Masse, die bei solchen gesellschaftspolitischen Prozessen fast immer das Nachsehen hat, hat nur die Möglichkeit darauf zu reagieren, indem sie entweder resigniert und kampflos aufgibt oder dagegen aufbegehrt und versucht, die Situation umzudrehen. Notre fils ira à l’école repräsentiert die erste Haltung, nämlich jene der Resig- nation, das Stück Le Fou von Jean-Pierre Guingané verkörpert das Gegenteil,

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nämlich den Aufstand. Es zeigt ein Paar in der gleichen Situation, das sich aber gegen diesen Missstand auflehnt und die soziale Ordnung zum Umsturz bringt.

5.6.2.2 Alkoholismus Seit dem Jahr 1974 setzen sich die burkinischen Dramaturgen engagiert mit dem Alkoholmissbrauch in ihrem Land auseinander. Viele machen für die Ent- wicklung des gesteigerten Alkoholkonsums den Staat verantwortlich. Karim Konaté, Autor von Le procès de Monsieur wisky, beschreibt mit diesem Stück das verantwortungslose Agieren der staatlichen Entscheidungsträger, die, als das Land noch mit den Folgen der Hungersnot (1984/85) zu kämpfen hatte, den Preis für Whisky senkte, um diesen für alle erschwinglich anstatt Lebens- mittel für alle leistbar zu machen. Dieser Alkoholmissbrauch begründete sich in Ausschreitungen und Unglücksfällen in mehreren Familien, wie es im Stück Le père alcoolique, eine "création collective", des ATB aufgezeigt wird. Es geht hier um einen alkoholabhängigen Familienvater, der seinen gesamten Lohn für Alkohol ausgibt, während seine Familie an Hunger und Krankheit stirbt. Um dieses wachsende Problem in den Griff zu bekommen, kann Theater zu einem wichtigen Partner der öffentlichen Hand werden, indem es diese mit seinen Aktivitäten begleitend unterstützt.219 Laut Wolfgang Zimmer wurde dieses Stück im Rahmen des damaligen Theaterkonzepts "théâtre de quartier" der Truppe in den frühen 1980er Jahren zur Aufführung gebracht.

5.6.2.3 Korruption Das Theater, das jahrzehntelang zuvor historische Themen dramatisiert hatte, mutierte zu einem wahren Instrument der "conscientisation"220 der Massen,

219 Bereits 1971 zählte man in Ouagadougou 101 Bars, 1.500 Getränkeausschänke, ohne die "cabarets de dolo", aufgrund der Schwierigkeit sie zu kontrollieren, gezählt zu haben (Jeune afrique economique n° 4, Jänner 1982). 1981 konnte die Regierung des "Comité Militaire de Redressement pour le Progrès National" (CMRPN) die Schließung der Getränkeverkaufsstellen während der Dienstzeit durchsetzen. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 73. 220 Kurzer Exkurs zum Begriff "Conscientisation": Das Konzept bezieht sich auf das pädagogische und politische Konzept von Paulo Freire. Das Anliegen der Bewusstseinsbildung ist, das Wissen und die Ressourcen der Gruppen zu entwickeln, um einen Lernprozess in Gang zu bringen, der zu einem kritischen, dialogischen und "transitiven" Bewusstsein als auch zur Befreiung selbst führt. Diese Bewusstseinsbildung ist eine weit verbreitete Methode in zahlreichen Ländern, aber vor allem in Südamerika, basierend auf dem Wissen der Unterdrückten und der problemati- schen Rolle des Anleitenden, der innerhalb oder außerhalb dieser Bevölkerungsschicht steht und

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mit dem Ziel, eine wirkliche Sensibilisierung zu bewirken. Die Korruption, die stark innerhalb der burkinischen Beamtenschaft grassierte, war ein weiterer im Theater öffentlich angesprochener Kritikpunkt. 1980 verurteilte das ATB mit seinem Stück Le Malaise221 dieses Unwesen und forderte die Jugend auf, sich aufzulehnen und dagegen anzukämpfen. Le Malaise, auf Deutsch "Not" oder "Unbehagen", beschreibt "une société en pleine mutation; bouleversements sociaux opérés dans la société africaine par la colonisation. Une société africaine moderne, déboussolée, dépersonnalisée, et en proie à ses vieux démons qui ont pour noms Tribalisme, Corruption, Affairisme ..."222 Dieses neue Theater erhebt aufgrund seiner Thematik kassandraähnlich seine Stimme gegen alles, "ce qui provoque les individus à n’être qu’une foule irres- ponsable et inconsciente"223 und hält ungeschminkt der Gesellschaft ihre neu- en Leiden wie einen Spiegel vors Gesicht. Das Theater verbraucht sich nicht mehr wie bisher auf der Suche nach einem Schuldigen für die Misere der Bevölkerung, sondern es klagt die dafür Verantwortlichen direkt an und fordert die Menschen zum Kampf auf. Guy Retore meint in diesem Zusammenhang, dass der subtilen subversiven Natur des Theaters das Kritischsein bei gleich- zeitigem Hinterfragen übernommener Ideenmuster und verkrusteter Formen immanent ist224.

5.6.3 Das Verlassen des Elfenbeinturms Das von Theatermachern wie Kompaore oder Guingané praktizierte Theater arbeitet mit dem Mittel der Provokation als auch des Protests. Provokativ in Form und Thematik, um die Bevölkerung aus ihrer Apathie und Trägheit wach- zurütteln und diese in die sozialen Veränderungen der Gesellschaft, aber vor allem in jene ihrer eigenen Existenz einzubinden. Es wartet nicht mehr, bis das

solche Zustände hinterfragt und darauf abzielt, diese Menschen in einer dialektischen Interak- tion mit einem viel globaleren Prozess der gesellschaftspolitischen Transformation aufzurütteln (Quelle: http://ospiti.peacelink.it/giolli/giolli_fr/node6.html; http://www.le-militant.org/ape/ laconscienti.htm). 221 Das Stück ist eine Adaptierung des Romans "Le Malaise" von Chinua Achebe durch Prosper Kompaore (Nikiema, David: S. 73). 222 Folder des ATB, Juli 1988. In: NIKIEMA, David: S. 73. 223 RETORE, Guy (1969): Le théâtre hors des murs. Madral Philippe. Edition Seuil. Paris. In: NIKIEMA, David: S. 73. 224 Vgl.: Ebd.: S. 74.

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Publikum ins Theater kommt, es sucht selbst die Menschen auf, indem es die Unveränderlichkeit der Zeit und des Orts aufgibt, seine heiligen Hallen verlässt und sich unter großen Bäumen, in Schulhöfen, auf öffentlichen Plätzen, in Straßen, Vororten oder in Vierteln von gesellschaftlichen Außenseitern zum unentgeltlichen Theaterspiel einfindet.

"Il recherche et crée un public. Un nouveau public qu’il essaie de scandaliser, d’inquiéter, afin qu’il conserve sa vigilence ... Le nouveau théâtre rejette la recherche d’un public sélectif pour qui le théâtre n’est qu’un lieu pour afficher son appartencance sociale."225

Ebenso lehnt es sich gegen die althergebrachte Form des "pseudo"afrikani- schen Theaters auf, da es im Grunde der Zerrspiegel eines mit nationalen Folkloreelementen ausgestatteten europäischen Theaters226 ist. Ein Vergleich der Zahlen der ab diesem Zeitpunkt erfolgten Aufführungen mit den vorangegangenen Jahren lässt aber auch die ungeheure Produktivität die- ser Truppen erahnen, wie sich dies am Beispiel vom ATB belegen lässt: In ei- nem Quartal hat das ATB allein mehr Aufführungen geboten und mehr Men- schen erreicht als eine Truppe in zwei Jahren in den ersten Jahren der Unab- hängigkeit (vgl. Tourneeplan des ATB vom 25.1. bis 11.6.1987227). Hier muss nur angemerkt werden, dass die Datumsangaben in den Aufzeichnungen des ATB das von Nikiema erwähnte Quartal um 17 Tage überschreiten, was der konzedierten Produktivität aber keinen Abbruch tut.

5.6.3.1 Ästhetische und qualitative Aspekte Zwei generelle Tendenzen, die eine Reihe von vielfältigen Ausdrucksformen mit sich bringen, zeichnen sich auf der Suche nach einem größeren Wirkungs- grad des Theaters ab.

225 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 75. 226 Vgl. TRAORÉ, Karim Laty Traore (1987): Communication sur le théâtre burkinabé. In: Nikiema, David: S. 74. 227 Vgl. Tournee-Tabellen. In: NIKIEMA, David: S. 76–78.

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Die mimetische Tendenz Hier wird dem klassischen Verständnis von Theater – von der Bühnenmalerei bis zum Schauspiel – Rechnung getragen: Trennung von Bühne und Publikum, frontale Beziehung zum Publikum, Anordnung "Hofseite/Gartenseite", Vorhan- densein eines Vorhangs, einer Leinwand und Verwendung sehr vieler Acces- soires. Aufgrund dieser Faktoren findet das Theaterspiel meist auf gut ausge- statteten Bühnen wie jenen der CCFs und jener des "Maison du Peuple" in Ouagadougou statt. Truppen wie "Ouezzin", aber auch Schultruppen und andere kurzfristige Formationen vertreten diese Tendenz. Die ästhetische Komponente wird aufgrund der Textlastigkeit in Form von langatmigen Diskur- sen und einer Vorliebe für die Posse in den Hintergrund gedrängt.

Die elitäre Tendenz Hier lässt sich eine Neigung zu dramatischen Ausdrucksformen feststellen, die ihre Inspiration aus dem kulturellen afrikanischen Hintergrund schöpft: Tänze, Verwendung von Masken, bestimmtes Zubehör etc. Gelegentlich treten diese den Text unterstützenden Elemente anstelle des Textes. Bühnenbild, Schau- spiel und Text bilden eine Einheit, um eine neue dramatische Sprache zu schaffen. Die Bühne "à l’italienne"228 wird zugunsten einer kreisförmigen Bühne oder einer gar nicht mehr vorhandenen Bühne aufgegeben. Die Kreis- form der Bühne bedingt, dass die Schauspieler sich allen Seiten zum Publikum hin wenden können. Bei der völligen Aufgabe der Bühne spielen die Schau- spieler in der Mitte der Zuschauer und können oft nur schwer von den Zu- schauern unterschieden werden. Die verwendeten Sprachen sind Französisch

228 Das Prinzip dieses "Théâtre à l'italienne" scheint in Italien zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf. In dieser Struktur werden der Zuschauersaal und die Bühne durch einen Vorhang des Or- chestergrabens und den Bühnenrahmen getrennt. Dieser Vorhang öffnet sich in zwei Etappen und wird über die Seiten drapiert hochgezogen. Die Sitzordnung im Saal folgt einer ökono- mischen Hierarchie und bedingt folglich die sozialen Gruppierungen. Auf der anderen Seite des Vorhangs finden sich der Bühnenkasten, die Bühnenplattform und die Maschinerie, die für das Publikum unsichtbar bleiben muss. "La scène à l'italienne, conçue selon les principes de la Renaissance italienne, est perçue comme un tableau, composée en fonction de l'œil du prince, c'est-à-dire de façon à être vu de face, avec diaporamas et coulisses peints en perspective, le plancher de scène est en pente (le plus bas au cadre de scène et le plus haut au fond de scène)" (Quelle: http://fr.wikipedia.org/wiki/Théâtre_(bâtiment). Verantwortlich für diese Revolution in- nerhalb der Bühnenorganisation ist der italienische Architekt Nicola Sabbatini (1574–1654), der Design, Beleuchtung und Maschinerie des Barocktheaters durch innovative Erfindungen in Form von hochentwickelten Maschinen mit überraschenden Effekten grundlegend veränderte. Erfin- dungen wie Engelsflügel, Periaktoi oder aufrollbare Vorhänge etc. wurden als "scènes à l'ita- lienne" bekannt (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Bühnenmaschinerie).

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und Mooré oder Französisch und Dioula oder auch alle drei Sprachen gemein- sam. Das "Théâtre de la Fraternité" und das "Atelier Théâtre Burkinabè" vertreten diesen Ansatz, der zu einem Theater der Ursprünge zurückkehrt.

5.6.3.2 Zurück zum Ursprung Kultur im Sinne der gesamten geistigen und künstlerischen Lebensäußerungen einer Gemeinschaft, eines Volkes229 unterliegt aufgrund ihrer sozialen Beschaf- fenheit seit jeher – durch endogene Prozesse, aber auch verschiedene von außen kommende Einflüsse, Moden, Erscheinungen – einer auch durch Raum und Zeit bedingten Wandlung und wird von jedem Volk, seinen Bedürfnissen entsprechend, unterschiedlich konsumiert. Durch Phasen kultureller "Experi- mente", hier im Speziellen die koloniale Phase, kann ein Volk seiner eigenen Praktiken entfremdet und damit seiner Authentiziät entledigt werden. Verän- derte Rahmenbedingungen wie die Erlangung der Unabhängigkeit unter wirt- schaftlich äußerst schwierigen Bedingungen und damit verbunden alle dem Thema "Entwicklung" untergeordneten Bemühungen zum Wohle des Landes begünstigen die Rückkehr zu den eigenen kulturellen Wurzeln. Dies bestätigt auch Karim Konaté in einem Interview mit David Nikiema:

"le théâtre moderne burkinabé ne répond pas à l’attente du public parce qu’il utilise des symboles et des langages occidentaux. Son public est un petit cercle d’intellectuels. (...) La seule chance qui reste au théâtre burkinabé est le retour à une esthétique totalement africaine."230

Diese Ansicht teilt neben anderen burkinischen Theatermachern auch Jean- Pierre Guingané in seinem Werk "Le théâtre en Haute Volta" dahingehend:

"le théâtre Voltaîque est resté étranger à son milieu par sa forme. Les Voltaîques ont cherché à exprimer leur personnalité culturelle

229 Vgl. DUDEN – das Fremdwörterbuch (2007): 9. Auflage, Mannheim. 230 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 82.

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mais dans une langue et une forme d’emprunt. Et c’est ce qui fait que le théâtre est resté la 'chose' de l’élite intellectuelle."231

Die grundlegende und dringlichste Frage, die Dramaturgen und Theatermacher gleichermaßen beschäftigte, lautete: „Wie macht man aus dem modernen bur- kinischen Theater ein publikumswirksames Instrument?“ Die diesbezüglich un- ternommene Reise zurück zu den Quellen förderte Elemente der Theatralisie- rung des traditionellen Erbes zutage: Rückgriff auf narrative, an die Erzähl- abende angelehnte Techniken, runde Bühne etc.

5.6.3.2.1 Die Verwendung narrativer Techniken von Erzählabenden Nach Ansicht Nikiemas beschränkte sich die Anwendung dieser narrativen Techniken aufgrund ihrer hohen Anforderung auf die zwei wichtigsten Truppen von Burkina Faso232: das ATB und das "Théâtre de la Fraternité". Das ATB hat sich seit seinen Anfängen einer Ästhetik verschrieben, die aus der kulturellen Basis des Landes seine Kraft bezieht. Diesem Prinzip treu bleibend, greift das ATB innerhalb seiner Inszenierungen zum Großteil auf Techniken des eigenen kulturellen Erbes des Landes zurück, besonders auf jene der "ora- liture"233. Die Inszenierung des Stücks Le Malaise von Prosper Kompaore im Jahr 1985 wurde zur Gänze als ein Erzählabend konzipiert. Das Stück – von Anfang bis zum Ende – wird vom Erzähler auf eine Art und Weise getragen, dass die szenische Darbietung zu einer dramatisierten Erzählung durch den Erzählen- den wird. Die Rolle des Erzählers bekommt ein solches Gewicht, dass in be- stimmten Momenten keine Dialoge stattfinden und nur die Stimme des Erzäh- lers und seine "tambour d’aisselle", ursprünglich eine Trommel der Malinké

231 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure – Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Université de Bordeaux III. Bor- deaux. S. 337. 232 Es muss hier angemerkt werden, dass auch andere Truppen wie "MNG – Mutuelle Nouvelle Génération" diese Techniken bereits verwendeten. Anbetracht der Tatsache, dass diese Theater- gruppen aber unter zu viel Leerlauf innerhalb ihrer Aktivitäten litten, wird auf diese hier nicht weiter eingegangen. 233 Dieser Begriff wurde von Paul Zumthor kreiert, der viel zur mündlichen Aufführungstechnik des Mittelalters geforscht hat. Mit der Schaffung dieses Terminus "oraliture" unterscheidet er die beiden Denksysteme – "littéraire" und "oraliture" – voneinander, jedes für sich einen anderen Zusammenhang aufweisend (Quelle: http://carmina-carmina.com/carmina/contes/ORALITURE. html).

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(Westafrika), wahrzunehmen sind. Die Schauspieler bewegen sich wie Um- risse, die pantomimisch das Erzählte darstellen. Auch ein anderes von Kompaore geschriebenes Stück, Les voix du silence, vertraut in seiner Inszenierung im Jahr 1988 auf diese aus der afrikanischen Tradition hervorgehende Technik. Die Schauspieler, die sich zuvor unerkannt unter das Publikum mengen, tauchen plötzlich von allen Seiten auf und das Stück beginnt damit, indem dieses "Publikum" einem Theaterabend des ATB beiwohnen wird. Nach einigen Wortgefechten ergreift der Erzähler das Wort und erklärt: "Voici mon histoire"234. Mit diesen einleitenden Worten beginnt das Stück, der Erzähler kehrt mit dessen Ende wieder zurück, um eine Schlussfolgerung zu ziehen. Die Geschichte selbst hat aber nichts mit jenen, die üblicherweise im Dorf erzählt werden, zu tun.

"Les voix du silence est 'une peinture d’une société africaine où les conflits d’intérêt, l’amour, la révolte, font tomber les barrières et preludent à des bouleversements profonds'."235

5.6.3.2.2 Theater im Kreis Diese Technik wurde im Rahmen der Inszenierung des Stückes Le Fou von Jean-Pierre Guingané vom "Théâtre de la Fraternité" angewandt. In der kreis- förmigen, ohne Kulissen vorhandenen Bühne sitzen die Schauspieler als "Teil- nehmer 1. Grades" vor dem Publikum als „Teilnehmern 2. Grades". Jeder Teil- nehmer 1. Grades folgt aufmerksam, was auf der Bühne vor sich geht, kommt die Reihe an ihn, erhebt er sich und ist mit einem Schritt im Bühnengesche- hen. Er trägt seinen Teil zum Fortgang der Handlung bei, indem er einen Teil der Geschichte spielt, um dann wieder seinen Platz vor dem Publikum einzu- nehmen. Der Bruch mit dem bisherigen Theater, wo die Schauspieler aus dem Nichts auftauchen, um etwas zu spielen, wird hier zur Gänze vollzogen. Es gibt keine Geheimnisse vor dem Zuschauer, alles geschieht vor seinen Augen, so

234 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 85. 235 Aus dem Folder des ATB. In: NIKIEMA, David: S. 85.

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auch der Kostümwechsel. Es ist das Spiel in seiner überlieferten Form ohne das Vorgaukeln von Illusionen. Dadurch wird der Zuschauer in jedem Augen- blick daran erinnert, dass das vor seinen Augen stattfindende Drama nichts anderes als eine Inszenierung ist. Dieser Ansatz impliziert nicht nur die Abwe- senheit eines bühnenbildähnlichen Hintergrunds, sondern sämtlicher Dekora- tionsobjekte. So wie bei traditionellen Veranstaltungen spielen die Schauspie- ler mit einem Minimum an Accessoires. Das angestrebte Ziel war der direkte Kontakt zum Publikum durch die Überwindung der als psychologische Barriere empfundenen Bühne "à l’italienne". Der Rückgriff auf diese Technik des Theaters im Kreis signalisiert den starken Willen, mithilfe des neuen Theaters eine Rückkehr zu den Wurzeln burkinischer Theatralisierungsformen zu bewirken.

5.6.4 Forumtheater und Theaterdebatte

"Le théâtre forum est une forme de pratique théâtrale généralement désignée sous le terme générique de théâtre d’intervention. Il part du principe qu’il faut amener la pratique théâtrale là où se trouve le public-cible."236

Wie bereits im Kapitel 4.1 "Traditionelle Formen der Darbietung" (S. 82 f.) anhand des Kotèba angedeutet wurde, kann dieses traditionelle Kommuni- kationsmittel als einer der sich vor allem in Mali und Burkina Faso heraus- gebildeten Vorläufer zum Forumtheater betrachtet werden. Ein anderes Kon- zept des Forumtheaters wurde von dem Brasilianer Augusto Boal in Südame- rika in einem gänzlich anderen sozialen Kontext als jenem von Burkina entwickelt. Die Anpassung dieser Praxis an den burkinischen Kontext wurde erstmals durch Prosper Kompaore, dem Begründer des ATB, der bereits vor Boal unabhängig ein ähnliches Konzept entwickelt und erprobt hatte, voll- zogen, gleichzeitig benannte er das bis zu diesem Zeitpunkt existierende

236 Prosper Kompaore im Gespräch mit David Nikiema. Mai, 1988. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouaga- dougou. S. 88.

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"théâtre rural" in "théâtre forum" um, was ihm durch die Namensänderung umfassendere Möglichkeiten, Theater zu praktizieren, einräumte. Bei dieser zusammengesetzten Form der Aufführung besteht die erste Etappe in der Darbietung der Schauspieler, die zweite in der aktiven Beteiligung des Publikums, denn in diesem Teil werden die Zuschauer durch den Joker, eine Art Spielleiter, aufgefordert, die Schauspieler zu ersetzen und so zu tun "als ob". Diese zweite Phase ist oft turbulent, kontroversiell und leidenschaftlich und die darin angewandten Techniken variieren von Theatermacher zu Thea- termacher. Deshalb verwenden die einen den Begriff "Forum" und die anderen jenen der "Debatte" oder "Diskussion". Die Phase des Forums ist durch den Rollentausch gekennzeichnet. Der Zu- schauer wird zum Schauspieler und spielt seine Sicht der Dinge in Bezug auf das Ausgangsspiel der Truppe, indem er die aufgrund ihres "verantwortungs- losen" Handelns von ihm angeklagte, negativ gezeichnete Bühnenfigur durch seine persönliche "verantwortungsvolle"237 und damit positiv besetzte Inter- pretation umbeseelt. Verschiedene Meinungen und Blickwinkel aus dem Pub- likum treffen auf der Bühne aufeinander. Daraus entspringt die darauf aufbau- ende Debatte. Dieser Ansatz wird vom ATB seit mehr als zwei Jahrzehnten praktiziert. Alle ihre Kreativkollektionen werden unter dem Aspekt des Forums gespielt. Die Stücke sind kurz und sollen das Publikum emotional treffen und provozieren, damit dieses darauf aktiv reagiert. Das Forum bietet den Zu- schauern also breiten Raum, einen konkreten Beitrag zur Problemlösung zu gestalten. Bei der Theaterdebatte liegt der Unterschied im Bereich der Intervention des Zuschauers. Anstatt den Schauspieler im szenischen Spiel zu ersetzen, sagt der Zuschauer hier, was er gerne sehen oder hören möchte, was er tun würde und die Schauspieler spielen die Szene ganz im Sinne des Zuschauers neu. Die Theaterdebatte wird vom "Théâtre de la Fraternité" praktiziert, Jean-Pierre Guingané, der Leiter der Truppe, führt die Gründe für die Entscheidung zur Theaterdebatte an:

237 Das Unter-Anführungszeichen-Setzen von verantwortunglos bzw. -voll zielt auf die häufig beim Forumtheater gemachte persönliche Beobachtung der sehr oft stattfindenden oberflächli- chen Schwarz-Weiß-Zeichnung der Charaktere ab, ähnlich wie auch die vom Joker vorgenom- mene Einteilung in Gut und Böse, ohne zu den eigentlichen dahinterliegenden Problemen vorzu- dringen. Dieses Schrammen an der Oberfläche im Forumteil sollte definitiv überdacht werden.

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„le Théâtre de la Fraternité considère que faire monter les spec- tateurs sur scène, c’est prendre le risque que des paroles soient prononcées et que les comédiens qui ne font que passer n’ont pas le droit de provoquer des drames supplémentaires (...) une représen- tation de théâtre ne peut changer une organisation sociale très dynamique en un jour.“238

5.6.4.1 Ein Theater der Intervention Das Thema eines Forumtheater-Stücks kann von einem Partner beauftragt werden oder es rückt durch seine Brisanz in den Mittelpunkt des Interesses.

"Le principe est de 'mettre en exergue les erreurs de comportement, les jugements erronés, les actions maladroites; tout ce qui ocassionne l’échec, l’insuccès, la mort'."239

Als "théâtre d’intervention" nimmt es ein Problem, das der Gesellschaft Schwierigkeiten bereitet, ins Visier und dramatisiert dieses. Durch die Wichtig- keit ihrer im Rahmen vom Theaterspiel behandelten Themen werden im Forumtheater bestimmte Personen wie die Alten, die Familien- oder Dorfchefs, die Verantwortlichen von sozialen Institutionen – sozusagen alle gesellschaft- lichen Entscheidungsträger – zum öffentlichen Wortergreifen verpflichtet. Dieser spezifische Theateransatz – "théâtre d’intervention" – hat ein gewisses Interesse seitens burkinischer Theatermacher als auch einiger Truppen hervor- gerufen, aber unter anderen Bezeichnungen wie beispielsweise "théâtre de masse" oder "théâtre de sensibilisation". Bei Ersterem schalten sich am Ende des von einem Projektpartner in Auftrag gegebenen Stücks ein oder mehrere Spezialisten des jeweiligen Projekts ein, die zu diesem speziellen Anlass einge- laden wurden, um zur Aufhellung bestimmter Aspekte beizutragen, der Zuhö-

238 GUINGANÉ, Jean-Pierre (Juli–August 1990): De Ponty à Sony représentations théâtrales en Afrique. Théâtre, théâtres. Notre librairie. N° 102. S. 93. 239 Prosper Kompaore im Gespräch mit David Nikiema zu Forumtheater. Mai 1987. In: NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 89.

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rerschaft Ratschläge zu geben, Fragen zu stellen oder noch zusätzliche Infor- mationen zu liefern. Auch beim "Théâtre de la Fraternité" kann man Elemente des Forumtheaters und des "théâtre de masse" ausmachen. 1984 konzipiert die Truppe auf Anfra- ge der UNICEF eine Reihe von Stücken in gleicher Ausführung, die auch als Sensibilisierungsstücke betrachtet werden können und in mehreren kleinen Dörfern der Provinz Oubritinga und in Ouagadougou (École Pelogin) dargebo- ten werden. Die Aufführungen thematisieren aufgrund überkommener Tradi- tionen und Wertvorstellungen überholtes, aber auch verantwortungsloses Ver- halten unterschiedlichster Art und im Anschluss an die Reaktion des Publikums werden einige Zuschauer aufgefordert, auf die Bühne zu kommen, um die Rolle der negativ besetzten Personen anders zu spielen.

5.6.5 Der politische Missbrauch des Theaters Wie bereits des Öfteren im Rahmen dieser Arbeit dargelegt, wurde das Theater in Burkina Faso seit Ankunft der Missionare zu Beginn des letzten Jahrhunderts zum Spielball von (Macht-)Interessen, um damit bestimmte Ziele zu erreichen. Mitte der 1980er Jahre wurde das Theater neuerlich missbraucht, diesmal zur Verherrlichung eines Politikers240, seines Regimes und für das Zur-Schau-Stel- len seiner Aktionen. Man konnte Vorstellungen beiwohnen, bei denen der tra- ditionelle Tanz warba241 mit Militärschritten verwoben wurde. Das Gewicht lag auf dem Text und dieser bestand aus Slogans. Es wurde alle Mühe darauf verwendet, "théâtraliser des manifestations politiques, au lieu d’engendrer des manifestations de théâtre politique".242 Viele der in dieser Zeit spontan gegründeten Truppen mit dem Leitspruch "révalorisons notre culture"243 sind im Lauf der Zeit wieder verschwunden, da

240 Da sich die einzelnen Autoren diesbezüglich bedeckt halten, kann davon ausgegangen wer- den, dass es sich um den Hauptmann Thomas Sankara handelt, der im August 1983 an die Macht kam und 1987 bei einem Putsch ermordet wird. 241 Der warba ist ein traditioneller Tanz der Mossi in Burkina Faso, bei dem die Hüften sehr schnell abwechselnd hin- und herbewegt werden. 242 Diese zitierte Passage von Privat Roch Tapsoba wurde von David Nikiema ein wenig transfor- miert: "... doit lutter contre les manifestations politiques théâtralisées et engendrer des mani- festations de théâtre politique ..." Vgl. TAPSOBA, Privat Roch (o.J.): Théâtre et action culturelle au Burkina Faso. Regard sur les formes d’animation. Université Paris VIII. S. 241. In: Nikiema, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Lan- gues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 93.

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der Großteil der Betreuer dieser sogenannten revolutionären Truppen keine Theaterleute waren – im Gegensatz zu den Leitern eines "Théâtre de la Frater- nité" oder ATB. Dieser als "acte de militantisme"244 bezeichnete Pflichteifer hat dem Image des burkinischen Theaters einen gewissen Schlag versetzt. Näm- lich konzipiert als Instrument der Agitation und der politischen Propaganda, haben die an beliebten Plätzen stattfindenden Kundgebungen dieser Theater- truppen die einfache Bevölkerung von ihrem intellektuellen Anspruch her über- fordert und gelangweilt. Durch die Präferenz für politische Botschaften gepaart mit militantem Agieren, das mit einer Benachteiligung der künstlerischen Qua- lität einherging, fand dieses Theater sein baldiges Ende. Es kam zu einem Kräftemessen zwischen jenen, die sich des Theaters zu politischen Zwecken bemächtigen wollten, und Dramaturgen und anerkannten Theatermachern, die den eingeschlagenen Weg beibehalten wollten. Diese Form der künstlerischen Praxis war einzig und allein die Sache einiger politisch gebildeter Menschen, die das Theater in den Dienst einer Idee, einer Sache stellen wollten, obwohl sie über kein akzeptables Ausbildungsniveau in diesem Bereich verfügten. Dieser Umstand hätte nach Nikiema an eine viel umfassendere Bewusst- werdung seitens der politischen Entscheidungsträger, der Bildungseinrich- tungen und der Lehrer appellieren müssen, damit die Bildungsprogramme künftig eine komplette Ausbildung des Inidviduums sicherstellen.

5.6.6 Resümee Das moderne Theater in Burkina Faso ist eines mit vielen Gesichtern, die unterschiedlichen Wandlungen dieses Theaters bzw. die mittels Theater erfolg- ten Interventionsversuche spiegeln sehr oft die soziale und politische Situation des Landes wider. Sie sind daher mehr oder weniger in drei wichtige Phasen im Bestehen von Burkina Faso festzumachen:

1. Die Kolonialzeit, wo das von den ersten Missionaren eingeführte Thea- ter als Mittel zur Verbreitung religiöser Lehren diente. Der autochtho-

243 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Université de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 93. 244 Ebd.

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nen Bevölkerung wurde es als ein unterhaltsames und harmloses Instrument präsentiert, auf weniger christlichen Wegen erfuhr das Theater aber in weiterer Folge seine unterschiedlichen Veränderungen. Im Dienst der Kolonialverwaltung, direkte Verbündete der kolonialen, vielmehr katholischen Mission, wurde das Theater durch die ehemaligen Schüler der William-Ponty-Schule ein lebendiger Ausdruck ihrer erfolg- reichen Assimiliation und ihrer Verbundenheit mit dem französischen Leben.

2. Die Phase der Unabhängigkeit, wo infolge eines patriotischen und sich in einer umfassenden Bewegung des antikolonialistischen Kampfes äu- ßernden Ausbruchs das Theater zunächst als Waffe avantgardistischer Positionen und dann auch zur Rehabilitierung der afrikanischen Persön- lichkeit eingesetzt wurde. Durch das Aufkommen zahlreicher autonomer Theatertruppen der ersten Generation der Unabhängigkeit blühte das burkinische Theater auf.

3. Nach der generellen Begeisterungswelle der ersten Jahre der Unabhän- gigkeit wird das burkinische Theater zum Inbegriff einer Bewusstwer- dung der burkinischen Intelligenz in Bezug auf die soziale und wirt- schaftliche Situation des Landes. Es mutiert zu einem wertvollen Ele- ment der politischen Entscheidungsträger und unerlässlichen Werkzeug der Ausbildung und der Information der "neuen" burkinischen Gesell- schaft.

Theater soll sich nicht nur auf die städtischen Zentren beschränken, wie es zur Zeit der kolonialen Verwaltung der Fall war, sondern muss bis in die entle- gensten, jegliche kulturelle Ausstattung vermissenden Regionen des Landes vordringen (siehe Kapitel 3.3 "Kultureinrichtungen und -aktivitäten in den Pro- vinzen von Burkina Faso", S. 55). Dramaturgen und Theatermacher sind auf- gefordert, Stücke zu schreiben, die die verschiedenen Aspekte des Lebens der Bevölkerung, wie beispielsweise Le père alcoolique des ATB, beleuchten oder die das politische Bewusstsein der Menschen wecken.

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"On peut dire que la voie actuelle du théâtre burkinabè permet cet espoir car son ambition aujourd’hui est d’abandonner son aspect èli- tiste persistant, pour devenir un art populaire. Il veut désormais at- teindre les masses les plus reculées, franchir le cap de simple di- vertissement pour devenir un outil de développement ... Le déve- loppement du théâtre moderne au Burkina doit passer par un sou- tien effectif des pouvoirs publics aux troupes existantes. Pour permettre leur plein épanouissement."245

5.7 Kurzer Exkurs zur Theatersituation seit den 1990ern in Burkina Faso Clarisse Nikiema hält 1992 im Rahmen ihrer Forschungsarbeit "La création Collective et son Impact Socio-culturel au Burkina Faso"246 fest, dass "le phénomène théâtral au Burkina Faso est extra-ordinaire. Pour beaucoup de gens du milieu théâtral, le Burkina Faso deviendra dans un proche avenir le lieu de rencontre du théâtre africain et même du théâtre international"247 und verweist berechtigt auf die große Zahl der Theatertruppen, die Fernsehsen- dungen, die Beiträge in Zeitungen, die Festivals, die zahlreichen Theaterauf- führungen etc. Burkina Faso hat sich auf bemerkenswerte Art zu einer riesigen Theaterlandschaft ausgewachsen, innerhalb derer Theatermacher sich speziel- ler Formen wie vor allem der seit den frühen 1980ern in Burkina Faso prakti- zierten "création collective"248 (CCL, créations collectives = CCLs) annehmen, die auch bei der Bevölkerung, vor allem auf dem Land, im Rahmen von "Théâtre pour le Développement"-Stücken sehr beliebt sind.

245 NIKIEMA, David Dieudonné (1989): Images du théâtre moderne au Burkina. Institut Supérieur des Langues, des Lettres et des Arts (IN.SU.L.L.A). Département de Lettres Modernes. Univer- sité de Ouagadougou. Ouagadougou. S. 98. 246 NIKIEMA, Clarisse (1992): La création Collective et son Impact Socio-culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. 247 Ebd.: S. 2. 248 Eine exakte zeitliche Lokalisierung des Auftauchens der CC kann aufgrund der unterschied- lichen Aussagen befragter Personen nicht gemacht werden: Während Joseph Nikiema das Auf- tauchen der CC mit den sketchähnlichen Darbietungen der Theaterpioniere des Landes in Ver- bindung bringt, siedelt Prosper Kompaore ihre Entstehung in den Aktivitäten der jeweiligen Schultruppen an, J.-P. Guingané sieht ihr Erscheinen im Zusammenhang mit dem Theater der "Landwirtschaftlichen Tage" begründet, andere wiederum verbinden dieses Ereignis mit ihrem eigenen ersten Kontakt mit der CC.

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Die Truppen wendeten sich in den vergangenen 15 Jahren fast ausschließlich diesem theaterpädagogischen Ansatz innerhalb ihrer Produktionen zu, der vor allem in den letzten Jahren im Zuge des Demokratisierungsprozesses in einigen afrikanischen Ländern an Bedeutung gewonnen hat, die Autorenstücke wurden weniger. Diese sich stark abzeichnende Tendenz im Theater Afrikas hat auch Professor David Simo in seiner im Wintersemester 2001/2002 gehaltenen Vorlesung "Formen und Funktionen des afrikanischen Theaters" am Wiener Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft unterstrichen: Die Truppen in seiner Heimat Kamerun stürzen sich regelrecht auf diese Darstel- lungsform, da sie – meist als Auftragsarbeit durch die Koppelung an eine NGO als Auftraggeberin – gewinnbringend ist und die Schauspieler damit ihren Lebensunterhalt bestreiten können, sehr zum Nachteil allerdings für die Auto- renstücke, die dabei immer weniger im Repertoire der einzelnen Truppen bzw. an den nationalen Theatereinrichtungen zu finden sind. Allerdings lassen sich in letzter Zeit (Stand: Frühling 2008) in Burkina Faso zarte Gegentendenzen in Richtung Autorentheater (siehe Programm des CITO) ausmachen.

"... le théâtre prend en charge les besoins de la societé lorsqu’il s’engage à présenter à ses membres les vrais problèmes qui entravent son développement, montre ce vrai visage et incite à prendre conscience de la nécessité de trouver des solutions adéquates"249

Theater wird hier nach den langen Jahren der Fremdherrschaft und nach einer Phase politischer Instabilität zum Sprachrohr einer durch diese historischen Ereignisse gezeichneten und geprägten Gesellschaft und ihrer Bedürfnisse, in- dem es die Probleme, die die Entwicklung des Landes und seiner Menschen behindern, aufwirft, thematisiert und versucht, die Notwendigkeit einer akzep- tablen Lösungsfindung bewusst zu machen. Theater entspringt hier nicht dem reinen "L’art pour l’art"-Gedanken, ist also keine Kunst, die keine bestimmte Absicht und keinen gesellschaftlichen Zweck250 verfolgt, sondern lehnt sich an

249 NIKIEMA, Clarisse (1992): La création Collective et son Impact Socio-culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. S. 3. 250 DUDEN – Das Fremdwörterbuch, 9. Aufl. Mannheim 2007 [CD-ROM].

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durchaus utilitaristisches Gedankengut an: Theater stellt sich ganz bewusst und fast ausschließlich in den Dienst der Gesellschaft und seiner Entwicklung, wie das auch beim ATB251 unter seinen Zielsetzungen zu finden ist: "Eduquer, sensibiliser, conscientiser et distraire par une expression dramatique qui pose des problèmes liés au développement (économique, social, culturel, tech- nique)."252 Das ist vielleicht auch einer der markantesten, wenn nicht wichtigs- ten Unterscheidungspunkte zu all den bisher in Burkina Faso beschriebenen historisch bedingten Theatererscheinungen. Es muss in diesem Zusammen- hang aber noch einmal erinnert werden, dass diese als CCL angelegte Form des Theatermachens zum einen sehr dem afrikanischen, hier im Besonderen burkinischen Wesen der Menschen entgegenkommt, zum anderen aber auch in der kulturellen Tradition von Burkina Faso begründet ist, denkt man an die von Prosper Kompaore in seiner Doktorarbeit dargelegten Formen der Theatrali- sierung und dem im Rahmen dieser Arbeit ausführlich beleuchteten Kotèba (siehe Kap. 4 "Formen der Theatralisierung in Burkina Faso", S. 82). Das We- sen der CCL spiegelt das stark in der afrikanischen Gesellschaft verankerte Gesetz der Gemeinschaft wider, verlangten in der Vergangenheit doch sämt- liche Veranstaltungen die Anwesenheit und Teilnahme der gesamten Gemein- schaft.

5.7.1 Das "Theater der sozialen Intervention"

"Le théâtre d’intervention sociale selon notre acception concerne essentiellement un type de spectacle conçu de manière à impliquer immédiatement et physiquement le spectateur dans l’acte théâtral, dans le but de l’amener à jouer ou à 'répéter' théâtralement les gestes et les actes libérateurs de la vie concrète et rèelle."253

251 Aufgrund der Fülle an noch nicht aufgearbeitetem Forschungsmaterial – Dokumentationen von Workshops, Tourneen, vom FITD-Festival 2002/2008, vom 2-tägigen Seminar, Interviews mit Kompaore und Schauspielern, Fragebögen, Videomaterial etc. – zu diesem Theater und sei- nen Aktivitäten, das u.a. während eines 3-monatigen Forschungsaufenthalts zusammengetra- gen wurde, muss dieses an anderer Stelle seine entsprechende Auseinandersetzung und kri- tische Analyse, aber auch seine Würdigung erfahren. 252 Siehe Homepage des ATB: http://www.atb.bf/atb.html. 253 KOMPAORE, Prosper. Actes du colloque. S. 360. In: Nikiema, Clarisse (1992): La création Collective et son Impact Socio-culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. S. 114.

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Mit der Praxis des "Theaters der sozialen Intervention" kommt es im drama- turgischen Bereich zu einer radikalen Veränderung, die auf der einen Seite die Ordnung und bisherigen Beziehungen zwischen den Schauspielern und dem Publikum, auf der anderen Seite die Verhaltensmuster Letzterer gegenüber dem Schauspiel überdenkt. Es sollen in diesem Zusammenhang neuerlich die langjährigen Verfechter dieses Theateransatzes, Prosper Kompaore und Jean- Pierre Guingané, zu Wort kommen, um ihr Verständis von einem "Theater der sozialen Intervention" nachvollziehen zu können.

"Sous cette appellation volotairement vague, nous entendons toute forme d’expression théâtrale ou théâtralisée se donnant pour objet la mise en œuvre ou en question des phénomènes ou problèmes vécus individuellement et/ou collectivement, et dont la recherche d’une réponse ou d’une solution apparaît nécessaire ou souhai- table."254

"(...) 'théâtre pour le développement' ou 'théâtre d’intervention sociale' dont l’objectif prioritaire est de prendre en comptes les besoins matériels et quotidiens des populations. Ce théâtre en langues nationales ou etrangères a conquis, partout où il existe, le public, des villes comme des petits villages de brousse ou de fôret."255

Burkina Faso war eines der ersten afrikanischen Länder, die mit dieser Art des Theaters, welche das Interesse vor allem von Organisationen und Entwick- lungsprojektträgern auf sich gezogen hat, um anhand dieses Instruments ihr Unterstützungsprogramm gemeinsam mit den Theatertruppen durchzuführen, experimentiert hat. Die Truppen spielen sehr oft in allen Provinzen von Bur- kina Faso, um diese kollektiven Auftragsstücke sozusagen "unters Volk" zu bringen. Die Theaterpraktiker des Forums als auch der Debatte haben durch ihre jahrzehntelange praktische Erfahrung im Rahmen des "Theaters der

254 KOMPAORE, Prosper (Juli 1990): Le théâtre d’intervention sociale en Afrique. Théâtre africains. Editions silex. S. 147. 255 GUINGANÉ, J.-P. (Juli–August 1990): De Ponty à Sony représentations théâtrales en Afrique. Théâtre, théâtre. Notre librairie. N° 102. S. 7.

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sozialen Intervention" Thesen ausgearbeitet, mit denen sie ihre Praxis von unterschiedlichen theoretischen Blickwinkeln aus untermauern.256 Für den Be- trachter ist allerdings kein gravierender Unterschied auszumachen. Durch die aktive und bewusste Beteiligung der Zuschauer am theatralen Ereignis, selbst wenn sich die Art formal ein wenig unterscheidet, werden die angepeilten Ziel- setzungen durch das Sich-Bewusst-Werden der aufgeworfenen Probleme und den Willen, um Wege zu deren Lösung zu finden, begünstigt. Die Stücke der CCLs, die aufgrund intensiver Forschungsarbeit eines Kollek- tivs257 entstehen und milieu- bzw. situationsabhängig sind, sind in Bezug auf Burkina Faso stark auf das Publikum ausgerichtet und schneiden direkt aktuel- le Themen bzw. Fragestellungen an. Sie sind wie eine Art lebendig gewordene Reportage, wo die Stücke auf der Bühne das unterschiedliche Sozialverhalten, die Krankheiten und Schwierigkeiten, die die Gesellschaft untergraben, doku- mentieren, mit dem Ziel, dass die Menschen sich selbst erkennen und begrei- fen – ähnlich wie bei Brechts epischem Theater soll jeder Einzelne ganz be- wusst seine eigene Geschichte durch Intervenieren gestalten. Die Methoden wechseln von Truppe zu Truppe und hängen vom jeweiligen Anlass für die CCL ab, bei in der Landessprache Mooré gestalteten CCLs werden die gesproche- nen Texte mithilfe der Aufzeichnung auf Tonband oder Cassette bewahrt, um etwaige Qualitätsverluste auszuschließen. Dass sich die CCLs so starker Be- liebtheit erfreuen, hat mit Gründen wie der schwierigeren bühnengerechten und meist kostenintensiveren Adaptierung von Autorenstücken, dem Mangel an für Truppen geeigneten Theaterstücken und dem primären Interesse an der Mitentscheidung an Gestaltungsprozessen zu tun. Meist kommt es in diesem Theaterbereich, der sich der sozialen Intervention verschreibt, zur Vergabe von Auftragsarbeiten durch den Staat, ein Ministerium, eine Organisation, eine Einrichtung oder eine Einzelperson. Es kommt zur Unterzeichnung eines Ver- trags mit einer Truppe, damit diese eine nach den Vorstellungen des Auftrag- gebers gestaltete und von diesem finanzierte Aufführung innerhalb eines vor-

256 Auch der im Zusammenhang mit diesem Theateransatz vor allem in den westafrikanischen Ländern stattfindende wissenschaftliche Diskurs ist enorm. 257 Die kollektive Dimension kann beispielsweise durch das Problem der Textfindung geschmälert werden und dadurch ihren eigentlichen Grundcharakter, etwas Neues gemeinschaftlich in der Gruppe zu schaffen, verlieren. Der Begriff "kollektiv" kann demnach eine stufenweise Aufwei- chung (z.B. semikollektiv) erfahren.

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gegebenen Zeitrahmens produziert. So basieren manche CCLs von bestimm- ten Truppen rein auf der Bestellung von Einrichtungen (siehe Kap. 7.4.3.1 "Das Projekt GERN – ein anschauliches Fallbeispiel", S. 208). Innerhalb dieser Aufführungen kann es allerdings zu Untergrabungen in Form von exhibitionistischen Demonstrationen und ohne reale Verbindung mit dem zur Diskussion stehenden Problem während der Darbietung der Schauspieler kommen. Dieses Sich-in-Szene-Setzen mancher Zuschauer trägt rein gar nichts zur Debatte bei, es verwirrt das Publikum und dreht den Spielgeist um. Ein anderes Phänomen, das häufig beim Publikum auftritt, ist, dass das Forum oder die Debatte sich oft nicht ausreichend ausweiten. Die Zuschauer (viel- leicht schüchtern) geben sich mit dem Wiederholen der Meinungen der posi- tiven Figuren im Stück zufrieden, kreisen um das Thema herum oder schlagen Situationen ohne bestimmten Ausgang vor. Die Atmosphäre wird schwer, was die Qualität der Schauspielerleistung ermüden und abschwächen lässt (Inhalt und Spiel). Die Debatten können sich ebenso um eine einzige Sache polarisieren und der ganze wichtige Rest wird dabei vergessen. Letztendlich können alle diese Standpunkte den zweiten Teil des Stückes auf Banalitäten reduzieren. Unter diesen Umständen stellt sich manchmal die berechtigte Frage, ob es nicht sinnvoller ist, die einfache Form im Rahmen einer gewöhnlichen Aufführung unter Weglassen des Forumteils zu praktizieren und die Reflexion jedem Zuschauer selbst zu überlassen.

5.7.2 Ein Theater für das Volk Um der von den Theatermachern verfolgten Absicht, an der Entwicklung des Landes teilzuhaben, Ausdruck zu verleihen, muss dieses Theater möglichst viele Menschen an der Basis erreichen. Als kaum entwickeltes Land weist Bur- kina Faso einen sehr schwachen Prozentsatz (knapp 20 %) an Schulbildung auf, d.h., 80 % der Bevölkerung sind Analphabeten, die meist auf dem Land leben und deren Bedürfnisse (Ausbildung, Information, Sensibilisierung, Gesundheit) immer dringlicher werden. Der Großteil der Aufführungen klassi- scher Natur, die meist im in der Hauptstadt gelegenen Centre Culturel Fran- çais, selten aber im "Maison du Peuple" stattfinden, werden fast zu 100 % von

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den vorher erwähnten 20 % der Stadtbevölkerung besucht. Wohnt das eher wenig gebildete Publikum solchen Aufführungen bei, endet das in Langeweile oder in Pfiffen, des Öfteren sogar im frühzeitigen lautstarken Aufbruch. Das Theater muss sich also mit dem Publikum gemeinsam entwickeln, die Neu- orientierungen innerhalb der Theaterpraxis versuchen, auf diese unterschied- lichen Kategorien von Publikum zu reagieren. In Bezug auf das ländliche Publikum ist anzumerken, dass sich dieses großteils aus Bauern zusammensetzt und sich sehr stark in die Aufführungen einbringt. Der begrenzte Spielraum stellt vor allem für die Frauen einen idealen Raum dar, wo sie auf eine selbstverständliche Art und Weise mit den Männern spre- chen, diskutieren und ihre Rechte einzufordern können. Besonders Frauen, oftmaliges Thema in Bezug auf eheliche und soziale Probleme, schätzen die Theaterveranstaltungen besonders wegen der Thematisierung von Tabuthe- men, in deren Rahmen sie wichtige Informationen zu Hauptproblemen wie Beschneidung, Zwangsheirat, Geburtenregelung, Familienplanung etc. erhal- ten. Die ländliche Bevölkerung nimmt sich sehr viel Zeit für diese Aufführungen, da sie für diese eine wertvolle Form der Informationsbeschaffung, der Erziehung, der Sensibilisierung, der Reflexion und der Bewusstwerdung sind. Die an die Schauspieler gestellten Fragen bzw. beschriebenen Probleme lassen den enor- men Wissensdurst erkennen, in einer Welt, in der sie sich oft nicht abgeholt fühlen. Die Landbevölkerung muss in Burkina Faso oft zwei, drei Jahre oder sogar länger warten, um in den Genuss einer solchen Veranstaltung zu kom- men (siehe Kap. 3.4.2 "Bemerkungen zu den burkinischen Provinzen", S. 79). Die oben angesprochene Neuorientierung resultiert u.a. auch in der jahrelan- gen ausschließlichen Verwendung der französischen Sprache und im damit einhergehenden Ignorieren einer gewissen Publikumsschicht.

"La langue utilisée est le plus grand obstacle. Elle élimine sans miséricorde 80 % de la population qui d’ailleurs est analphabète et fait du théâtre négro-africain un théâtre d’élite (...). N’est-ce pas

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parce qu’ils ne comprennent pas, parce qu’ils sont sûrs de ne pas y participer qu’ils s’abstiennent?"258

Jean-Paul Guingané schlug für den damals dringend zu vollziehenden Rich- tungswechsel innerhalb des Theaters zwei Wege vor: "soit le théâtre évolue et s’adapte au goût de plus de 90 % des Voltaïques qui n’ont pas été à l’école française, soit ces derniers se modèlent de sorte à aimer ce qu’on leur apporte."259 Bestimmte Darstellungsformen versuchen vermehrt, sich dieser breiten Masse anzunähern, unter Zuhilfenahme der Sprache (jeweiligen dominierenden Spra- che, eines sehr einfachen Französisch, des Französisch der Straße), des Spiels, des Themas, aber auch durch die Integration traditioneller Formen der Thea- tralisation wie Tänze, Gesänge, aber auch der in Burkina Faso so gerne zitierten Sprichwörter. Indem man sich von sämtlichen klassischen Regeln be- freit, entwickeln sich diese Aufführungen zu einer wahren Volkskunst für eine breite Masse. Ihre unmittelbare Wirkung auf das Publikum kann man anhand seines offensichtlichen Interesses und seiner Teilnahme festmachen: Zustim- mung, Missbilligung, Kommentare, Debatten, ... Im Gegensatz zum elitären Schauspiel reagieren die Zuschauer hier spontan auf die fortschreitende Büh- nenaktion, sie machen Bemerkungen, stellen an die Schauspieler Fragen, be- leidigen diese aber auch.260 Sie befinden sich mitten im Stück. Dieses Theater

258 KOTCHY, Barthélémy (1970): Le théâtre negro-africain. In: Actes du colloque sur le théâtre négro-africain. S. 177 f. In: NIKIEMA, Clarisse (1992): La création Collective et son Impact Socio- culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. S. 48. 259 GUINGANÉ, Jean-Pierre (1977): Le théâtre en Haute-Volta. Structure – Production – Diffusion – Public. Tome I. Faculté des Lettres et des Sciences Humaines. Université de Bordeaux III. Bordeaux. S. 340. 260 Publikumsverhalten in Afrika: Das Theater in Afrika ist, anders als in Europa oder Amerika, meist von Interaktion bestimmt. Während der Aufführungen ist ein ständiges Kommen und Ge- hen von Zuschauern, bestimmte Szenen werden durch Klatschen, Pfeifen bzw. Bejahen des Publikums verstärkt, Mütter stillen ihre Kinder während der Aufführung oder versuchen, diese zu beruhigen. Am Ende einer Aufführung gibt es meist kaum Applaus und die Zuschauer verlassen fluchtartig den Zuschauerraum. Es ist nicht üblich, schon Wochen, gar Monate im Voraus Thea- terkarten zu buchen, wie es viele beispielsweise bei uns in Wien im Rahmen der Wiener Fest- wochen tun. Das Planen von Ereignissen in ferner Zukunft, das bezieht sich meist schon auf den nächsten bzw. übernächsten Tag, entspricht nicht dem burkinischen Wesen, denn zu schicksal- haft und ereignisreich gestaltet sich der afrikanische Alltag in einem Land wie Burkina Faso: Krankheiten, Unfälle, Todesfälle, familiäre Verpflichtungen, nachbarschaftliche Erwartungen etc. Als weiterer Grund, warum es nicht üblich ist, Theaterkarten zu kaufen, ist anzuführen, dass die Einstellung vorherrscht, warum für etwas bezahlen, um jemanden zu sehen, wenn dieser ja etwas von sich geben will.

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stellt ein neues Genre dar, das an die Abende rund ums Feuer erinnert, an das Palaver unter dem großen Tamarindenbaum, das viele der meist älteren Zu- schauer noch aus ihrer Jugend in den Dörfern kennen.

5.7.3 Das Problem der Evaluierung Immer wieder taucht im Zusammenhang mit diesem Theateransatz das Pro- blem bzw. die Schwierigkeit auf, die realen Auswirkungen dieser Theaterstücke auf das Publikum, die Gesellschaft untersuchen zu können, zu schnell wird der Theaterort nach Ende der Aufführung von den durch die einzelnen Provinzen tourenden Theatertruppen wieder verlassen, zu kurzfristig sind die aus Frage- bögen, Interviews sich ergebenden Erfahrungswerte angelegt, als dass diese eine Schlussfolgerung auf eine andauernde Wirkung implizieren könnten. Tie- fer gehende, sich wiederholende Impact-Untersuchungen scheitern meist an der fehlenden Finanzierung, am Zeitmangel sowie an der Nichtmehrverfüg- barkeit des bei der Aufführung anwesenden Publikums. Auch Prosper Kompao- re weist auf diese Problematik hin:

"la question du public est au cœur de la problématique du théâtre pour le développement dans la mesure où l’impact du théâtre sur les processus de développement n’est évaluable qu’en fonction de la réaction du public au spectacle ..."261

Die Aufmerksamkeit des Publikums als auch die Kommunikation mit diesem während der Darbietung sind demnach die lebendigsten Zugänge bzw. Be- trachtungsweisen im auch als "Théâtre pour le Développement" bezeichneten Theateransatz und im Besonderen bei den als Auftragsarbeiten vergebenen Produktionen im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, denn sie sind sozusagen der alleinige Gradmesser, der Stimmungspegel, ob ein Stück bei der Bevölkerung angekommen ist. Ob und inwieweit die ausgesandten Bot- schaften auch richtig verstanden bzw. von den Menschen langfristig angenom-

261 KOMPAORE, Prosper: Théâtre et développement. In: Actes du colloque sur la littérature burki- nabé. S. 339. In: Nikiema, Clarisse (1992): La création Collective et son Impact Socio-culturel au Burkina Faso. Département des lettres modernes, Faculté des Langues, des Lettres des Arts, des Sciences Humaines et Sociales (F.L.A.S.H.S.). Université de Ouagadougou. S. 5.

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men und in ihren Alltag übernommen wurden, entzieht sich meistens der Kenntnis seitens der Theatermacher als auch der Auftraggeber. Diesem unbe- friedigenden Tatbestand kommt aufgrund der fast in keiner der bearbeiteten Literatur erwähnten Evaluierung bzw. in Bezug auf den Impact größte Auf- merksamkeit und damit verbunden ein enormer Aufholbedarf zu, ist dies immerhin einer der womöglich aussagekräftigsten Anhaltspunkte über eine Form der (positiv/negativ erfolgten) nachhaltigen Auswirkung auf die jewei- ligen Zielgruppen im Rahmen von entwicklungspolitisch motivierten Projekten, aber auch Debatten, ohne dabei jetzt aber näher auf Bottom-up- oder Top- Down-Methoden eingehen zu wollen.

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6. Gegenwärtige Entwicklungen im burkinischen Theater – Theater der Evangelisierung

6.1 Probelauf für das "Festival de Théâtre d’Evangélisation" Ende Mai 2008 fand vor der Kirche von Dapoya, einem der ältesten Stadtteile von Ouagadougou, sozusagen die Feuertaufe für ein Festival der anderen Art statt: das "Festival de Théâtre d’Evangélisation", organisiert von der Thea- tertruppe "La Parole" aus Ouagadougou. Das heuer erstmals stattfindende und eine Woche dauernde Festival scheint die Wiederaufnahme der Christiani- sierungs- bzw. Evangelisierungsbestrebungen seitens der katholischen Kirche zu sein, die vor ungefähr 108 Jahren durch das Wirken der "Pères Blancs" in Burkina Faso aktiv wurde. Auf die Anfänge der katholischen Kirche in Burkina Faso wurde bereits an anderer Stelle eingegangen (S. 101). Bei dieser Generalprobe bestand der Großteil der Zuseher aus Kindern aus dem Viertel, dementsprechend auch eine Lautstärke, die meist jene der Akteure auf der Bühne übertraf, der Rest setzte sich aus jungen Menschen mit vereinzelt erwachsenen Zuschauern, überwiegend Frauen, zusammen. Zuerst trat eine Tanzgruppe mit Kindern zwischen 6 und 8 Jahren auf, die von einer älteren Gruppe (zwischen 12 und 14 Jahren) auf dem als Bühne dienenden Vorplatz des Kircheneingangs abgelöst wurde, auch sie präsentierte Tänze (darunter den allseits beliebten kiègba262), eingebettet in Gesang und moderiert von einer Jugendlichen, die aber aufgrund der bereits angedeuteten Lautstärke kaum wahrzunehmen war – alles mit Bezugnahme auf den christlichen Kon- text. Es folgte ein kurzes, ebenfalls von Jugendlichen dargebotenes Theater- spiel, erst im Anschluss kam das eigentliche Hauptprogramm, eine Theater- aufführung von Schauspielern des "La Parole" mit Forumtheater-Charakter.

6.2 Das "Festival de Théâtre d’Evangélisation" Seinen ersten "offiziellen" Auftritt vollzog das Theater der Evangelisierung anlässlich der feierlichen Eröffnung des erstmals stattfindenden "Festival de

262 Dieser kiègba (umgangssprachlich auch als "Danse des fesses" bezeichnet) stellt einen der großen traditionellen Tänze der Mossi dar, der in vielen Regionen praktiziert und im Rahmen von Feiern dargeboten wird. Es ist ein "danse des femmes où à tour de rôle et deux par deux les femmes vont au centre du cercle et s’entrechoquent les fesses". In: KOMPAORE, Prosper. Les formes de théâtralisation dans les traditions de la Haute-Volta. S. 248.

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Théâtre d’Evangélisation", zu dem 9 Kirchen-Theatertruppen der Erzdiözese von Ouagadougou eingeladen wurden, am 2. Juni 2008 unter der Schirmherr- schaft der geistlichen Prominenz263 von Ouagadougou sowie der "Pères Blancs Missionnaires d’Afrique", eingebettet in Gesangs- und Tanzeinlagen, auf dem großen Gelände der Kathedrale von Ouagadougou. Nach dem Eröffnungsakt wurde eine Theateraufführung geboten, in der das Leben eines zu Lebzeiten eher unsoliden, seiner Familie gegenüber verantwortungslosen Zeitgenossen verhandelt wird, der sich mehr dem Alkohol als den Problemen seiner Familie hingibt und der aufgrund seines frühen Todes sich nun vor Gott und dem jüngsten Gericht verantworten muss – die Darbietungen sämtlicher im Rah- men dieses Festivals stattfindenden Theateraufführungen werden alle in der Landessprache Mooré gespielt; es wurde auch eine 3-köpfige Jury zur Bewer- tung der dargebotenen Forumtheater-Stücke im Hinblick auf eine Preisverlei- hung einberufen, unter anderem eine ehemalige ATB-Schauspielerin, Pauline Tapsoba, die sich mittlerweile – wie viele andere langjährige Schauspieler des ATB auch – selbständig gemacht hat und im Theater- und Filmbereich aktiv ist, ein anderes Jurymitglied ist von der Theatertruppe "Théâtre de Progrès".

"Tout est grace avec le théâtre. Conscientiser – Eduquer – Sensibiliser – Faire la publicité" – die Schlagworte "Bewusstmachen – Erziehen – Sensibilisieren – Bewerben" auf dem Programmzettel des ab 2008 jährlich stattfindenden "Fes- tival de Théâtre d’Evangélisation" könnten dem "Festival International de Théâtre pour le Développement (FITD)" des "Atelier Théâtre Burkinabè" (ATB) entlehnt sein und lassen klar die Linie und Inhalte des Festivalmachers Lam- bert Zabré erkennen: Theater steht zwar hier nicht im direkten Dienst der Entwicklung des Landes und seiner Bevölkerung, aber im jenen der katholi- schen Kirche, die zwar auch die Probleme der Bevölkerung thematisiert, aber immer mit Bedachtnahme auf die Verkündigung der christlichen Botschaft und die damit einhergehende Bekehrung der Anders- bzw. Nichtgläubigen. Neben allabendlichen Theateraufführungen und einer Konferenz zum Thema "Evange- lisierung" finden auch Workshops statt, die sich mit dem "zeitgenössischen Theater" (Leitung: Prosper Kompaore vom ATB), dem "Forumtheater", der

263 Seine Exzellenz Monseigneur Jean Marie Utanni Compaore und andere hohe geistliche Würdenträger von Burkina Faso.

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"Rolle des Christen innerhalb der Kirchengemeinschaft" als auch dem "Theater der Evangelisierung und der Definition der Rollen der Pfarr-Theatertruppen" auseinandersetzen.

6.2.1 Wiederaufnahme früherer religiöser Bestrebungen Seit knapp eineinhalb Jahren gibt es diese neue "alte" Theaterform nun in Burkina Faso und in Ouagadougou im Speziellen mit dem Ziel, sich dauerhaft zu etablieren; schon früher fanden, wie bereits an anderer Stelle beschrieben, Theateraufführungen mit christlichem Inhalt zu den kirchlichen "Hoch"zeiten Weihnachten und Ostern in den einzelnen Pfarrbezirken in Form des Krippen- spiels und der Passion statt, allerdings ohne Implementierung von Forum- theater.

6.3 Fragebogen-Feedback zum "Théâtre d’Evangélisation" Nicht nur aus Anlass dieses Festivals, auch das Interesse und die Neugier am "Théâtre d’Evangélisation" in der Theaterlandschaft von Ouagadougou führten zu einer weiteren Kontaktaufnahme mit dem Festivalbegründer Lambert Zabré und zur Beantwortung eines diesbezüglichen Fragebogens zu Wesen, Inhalt und Zielsetzungen dieser Theaterform.

6.3.1 Der Gründungsvater Lambert Zabré Lambert Zabré, der 1985 beim Amateurtheater der Kirche begann, entdeckte 1993 mit dem "Théâtre de l’Espoir" das Berufstheater, wo er von 1993 bis 1996 eine Schauspielausbildung und im Jahr 1998 eine Regieausbildung (nor- wegische Regisseurin: Théa Stabell) absolvierte. 2002 gründete er seine eige- ne Truppe namens "La Parole". Der Begriff und die Verwendung von "Theater- forum" sind ihm unter der allgemein gängigen Bezeichnung "Théâtre pour le Développement" vertraut: "beaucoup utilisé pour les sensibilisations dans notre pays"264.

264 E-Mail von Lambert Zabré vom 18. August 2008.

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6.3.2 Aufbau, Zielsetzung und Themen des "Théâtre d’Evangélisation"

Das "Théâtre d’Evangélisation" beschreibt er selbst folgendermaßen:

"Le théâtre d’évangélisation est un genre théatrale utilisé pour sensibiliser et éduquer les chrétiens. Elle comprend deux (2) phases: La pièce proprement dite; L’intervention du prêtre qui accompagne la troupe pour donner des éclairecissements au public sur certaines notions évangéliques traitées dans la pièce. Chaque représentation de théâtre d’évangelisation commence, et se termine par une prière. Le théâtre d’evangélisation est un outil de sensibilisation et d’éducation réligieuse, ce qui fait que toute fausse information et fausse interprétation peut s’avérer dangereuse. Dans ce genre théâtral, il faut mettre en scène des situations qui tiennent en compte les reférences bibliques."265

Das Theater der Evangelisierung, das seit April 2007 als neues Konzept exis- tiert, wird laut Zabré als Mittel zur Sensibilisierung und zur Erziehung der Christen eingesetzt und vollzieht sich in zwei Phasen: nämlich dem eigentli- chen Stück und im Weiteren der Intervention des Geistlichen, der die Truppe begleitet, um dem Publikum bestimmte im Stück behandelte Aspekte, die das Evangelium betreffen, zu erläutern. Dies muss auf äußerst verantwortungs- volle Art und Weise vor sich gehen, da jegliche falsche Information oder Inter- pretation sich als gefährlich erweisen können. Die behandelten Themen, die aus dem Evangelium stammen, gründen sich auf das Leben der Christen in der Gesellschaft. Der Unterschied des Theaters der Evangelisierung zu den mit Hilfe des Theaters unternommenen Missionierungsbestrebungen der "Pères Blancs" besteht für Zabré darin, dass diese damals das Leben Christi bzw. der Heiligen in ihren Theaterwerken präsentieren wollten.266 Dem Theater der Evangelisierung liegen aber Themen aus der Bibel zugrunde, die dann künst- lerisch verarbeitet und mit theatralischer Unterstützung im Sinne der Sensibi-

265 E-Mail von Lambert Zabré vom 18. August 2008. 266 Vgl. dazu Kapitel "Das Theater der Missionare im Zeichen der christlichen Feste": "Das Thema handelte immer vom Evangelium oder betraf das Leben Christi (Geburt – Weihnachten, Leiden und Sterben Christi – Ostern)."

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lisierung weiterentwickelt und verwendet werden, "pour éduquer les fidèles chrétiens, fortifier leur foi, cultiver une societé de paix"267.

6.3.3 Entwicklung der Theaterstücke Die Stücke werden ausgehend von einem der Bibel zugrunde liegenden Thema entwickelt. Sie werden kollektiv mit den Schauspielern und der Assistenz eines befugten Katecheten (für die Überprüfung der Bibelstellen) unter der Leitung eines Regisseurs kreiert. Da die Stücke eine für Christen sensibilisierende und erzieherische Absicht verfolgen, können diese Stücke vom Kirchenrat oder von den Basis-Christengemeinden in Auftrag gegeben werden, dies sei im Moment aber (noch) nicht der Fall.

6.3.4 Finanzierung des Festivals bzw. Bestreiten des Lebensunterhalts Das Festival wurde vom Verantwortlichen der "Pères Blancs Missionnaires d’Afrique" mit Sitz in Burkina Faso unterstützt. Anstatt des veranschlagten Budgets von 6.697.900 CFA kamen nur 1.180.000 CFA zustande, rückblickend war das Festival für den Veranstalter trotz der fehlenden finanziellen Mittel dennoch ein Erfolg. Was die Bestreitung des persönlichen Lebensunterhalts der Schauspieler bzw. des Festivalleiters betrifft, müssen sich diese andere Ein- kommensmöglichkeiten eröffnen, laut Zabré ist dieses Theater aufgrund sei- nes Konzepts, zu evangelisieren, noch zu neu und zu wenig bekannt, als das damit ausreichend Geld zur Deckung der Lebenskosten erzielt werden könnte.

6.3.5 Offene Fragen Zabrés nicht vollständige268 Beantwortung der an ihn gerichteten Fragen ergab neuerliche Fragestellungen, die trotz mehrmaliger Kontaktaufnahme per E-Mail leider unbeantwortet blieben; dies betrifft zum einen die Präzisierung der Ziel- gruppe (Sensibilisierung/Erziehung für Christen), die Themenwahl und Abgren- zung zum Theater der Missionare, zum anderen jene in der Darlegung der

267 E-Mail von Lambert Zabré vom 18. August 2008. 268 Dies bezog sich auf Frage 13 und 14 des an Zabré gerichteten Fragebogens: 13. "Vous tour- nez avec cette forme de théâtre aussi dans les differentes provinces au Burkina?" 14. "Combien de pourcentage occupe le théâtre d’évangelisation dans l’ensemble de votre travail théâtral?"

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möglichen Gefahr einer Falschinterpretation269, weiters die Auftragsvergabe von Stücken als auch Fragen zur sehr mageren Finanzierung des Festivals (1.180.000 CFA anstatt projektierte 6.697.900 CFA) und zu damit verbunde- nen möglichen Einschränkungen in Bezug auf Einladung von Truppen, Bezah- lungsmodalitäten etc.

Abb. 8: Probelauf für das "Festival de Théâtre d’Evangélisation" Ende Mai 2008 vor der Kirche des Stadtteils Dapoya, Ouagadougou270

269 "... toute fausse information et fausse interprétation peut s'avérer dangereuse." In: E-Mail von Lambert Zabré vom 18. August 2008. 270 Foto: Verfasserin, Ende Mai 2008.

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7. Die Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit

"L’ambivalence du thème culturel peut se traduire ainsi: Pour les pays donateurs, l’intégration de la dimension culturelle est-elle un nouveau moyen de faire passer leurs modèles de développement et donc de masquer les causes du sous-développement, ou bien représente-t-elle un renversement de la problématique des projets pour mieux les adapter aux cultures nationales, régionales ou sociales? Pour les pays béneficiaires, la revendication culturelle est-elle seulement de mobiliser des forces sociales nationales, en occultant les divergences internes, ou est-elle un moyen de créer une nouvelle politique de développement faisant appel aux ressources humaines, techniques et naturelles qui existent sur leur territoire? ... La culture est donc ambivalente, puisqu’-elle est un instrument à la fois de libération et de domination."271

Unter dem Aspekt "Kultur" können verschiedenste Motive, Absichten, Interessen, Ziele etc. verfolgt werden, das hängt ganz davon ab, auf welcher Seite im Weltengeflecht man zu stehen kommt: Sieht man sich in der Position eines Partner- bzw. Geberlandes oder hat man das Glück, als eines von 8 Schwerpunktländern der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit wie im Fall von Burkina Faso auserkoren zu werden. Dominique Desjeux vertritt die Ansicht, dass Kultur insofern ambivalent zu betrachten ist, als dass sie einmal zum Instrument der Befreiung als auch zu jenem der Beherrschung werden kann.

271 DESJEUX, Dominique: Le concept de culture dans les projets de développement. S. 30–31. In: Sanchez-Arnau, J.-C., Desjeux, D. (1994): La Culture. Clé du développement. Éditions L’Harmattan, Paris.

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7.1 Kultur als Impulsgeberin Am Beispiel des vor 12 Jahren stattfindenden "Sura za Afrika"-Festivals272, das in ganz Österreich unterschiedliche Schwerpunkte setzte, um bei der einhei- mischen Bevölkerung Interesse für die Vielfalt Afrikas zu wecken, und an dem zahlreiche NROs mit dessen Organisation und Durchführung beteiligt waren, wurde sichtbar, "… dass gerade über kulturelle Veranstaltungen neue Zielgrup- pen und mediale Aufmerksamkeit für entwicklungspolitische Inhalte erreicht werden können"273. Mit diesem ein knappes Monat dauernden Veranstal- tungsprogramm wurden in etwa 200.000 Menschen in ganz Österreich erreicht. "Wir waren alle der Meinung, hier sei uns ein wirklicher Beitrag zum besseren Verständnis dieses 'anderen' Afrika in Österreich gelungen."274

"'Sura za Afrika' ist ein Projekt der Entwicklungszusammenarbeit, an dem sich der Großteil der entwicklungspolitischen Einrichtungen Österreichs beteiligt. Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit im Außenministerium. 5 der insgesamt 7 Schwerpunktländer sowie 6 von 11 Kooperations- ländern der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit liegen in Afrika. Eines der wesentlichen Ziele von 'Sura za Afrika' ist es, die kaum bekannten, vielfältigen Gesichter der österreichischen Partner- länder und des gesamten Kontinents einer breiten Öffentlichkeit nahe zu bringen."275

"Sura za Afrika" kann als Auftakt eines Umdenkungsprozesses innerhalb der entwicklungspolitischen Landschaft Österreichs gesehen werden, indem die zunehmende Bedeutung von Kultur und interkultureller Verständigung, von

272 Dieses damals in vielerlei Hinsicht einzigartige Afrika-Festival, vertreten durch das VIDC – Wiener Institut für Entwicklungsfragen und -zusammenarbeit, die Österreichische Entwick- lungszusammenarbeit im Außenministerium sowie die Festivalagentur Rock Production, fand im Rahmen von Aktionen österreichweit vom 15.6. bis 7.7.1996 statt. Für die Dauer von zwei Wochen bezog ein afrikanischer Markt auf dem Wiener Rathausplatz Quartier mit abwechs- lungsreichem Kulturprogramm, Gastronomie- und Produktangebot. Es waren auch Wissen- schaftler wie Joseph Ki-Zerbo und Künstler wie Irène Tassembedo mit ihrer Tanzgruppe "Compagnie Ebène" zu diesem Festival eingeladen. 273 Programmheft des "Sura za Afrika"-Festivals 06. 274 Georg Lennkh, Leiter der Sektion Entwicklungszusammenarbeit im österreichischen Außen- ministerium (Quelle: http://www.ada.gv.at/service/publikationen/weltnachrichten/archiv/archiv 041999/menschen-aus-afrika-in-oesterreich.html). 275 Ebd.

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Kulturaustausch innerhalb der Nord-Süd-Beziehungen bzw. in der entwick- lungspolitischen Debatte (mittlerweile sind es 8 Schwerpunktländer der Österr. Entwicklungszusammenarbeit – OEZA, davon 6 in Afrika) von den Entschei- dungsträgern als maßgebliches Instrument in der Entwicklungszusammen- arbeit erkannt wurde.

"Die Berücksichtigung von Kultur in der Entwicklungszusam- menarbeit ist kein Luxus. Diese Erkenntnis setzt sich auch im österreichischen Kontext immer stärker durch. Austausch in Musik, Tanz, Theater oder Literatur ermöglicht zum einen sehr rasch gleichberechtigte Begegnung. Zum anderen ist die Achtung kulturell geprägter Werte einer Gesellschaft Grundvoraussetzung eines fruchtbaren Dialogs."276

7.1.1 Was wird unter "Kultur" generell und hier im Besonderen verstanden?

7.1.1.1 "Kultur" laut Duden277 Kultur "(lat. cultura = Landbau; Pflege (des Körpers u. Geistes), zu: cultum, Kult)" wird laut Duden im weiteren Sinn zum einen als die "Gesamtheit der geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen einer Gemeinschaft als Ausdruck menschlicher Höherentwicklung" beschrieben, kann aber auch die "Gesamtheit der von einer bestimmten Gemeinschaft auf einem bestimmten Gebiet während einer bestimmten Epoche geschaffenen charakteristischen geistigen, künstlerischen, gestaltenden Leistungen: die abendländische Kunst, ...; die Kunst der Griechen ..." meinen. Neben dieser sich auf die Gemein- schaft beziehenden Definition kann Kultur das Individuum im Sinne von „Ver- feinerung, Kultiviertheit einer menschlichen Betätigung, Äußerung, Hervor- bringung" oder von "Kultiviertheit einer Person" bezeichnen, was der zweiten

276 WELTNACHRICHTEN. Informationen der österr. Entwicklungszusammenarbeit im Außen- ministerium. Nr. 3/1998. Hg.: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Sektion Entwicklungszusammenarbeit. S. 1. 277 BROCKHAUS DUDEN NEUE MEDIEN GMBH (2006): Duden – Deutsches Universalwörterbuch. Office- Bibliothek, Version 4.10. 6. Aufl., Mannheim [CD-ROM].

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und ursprünglichen Bedeutung von "Pflegen (des Körpers und Geistes)" nahe- kommt, es wird darunter aber auch die Grundbedeutung des Wortes "cultura" verstanden, nämlich der Landbau, der uns in Form von "Kultivieren des Bodens" bzw. von Pflanzen oder als "auf größeren Flächen kultivierte junge Pflanzen" in der Landwirtschaft, im Gartenbau und in der Forstwirtschaft begegnet. Dass der Begriff "Kultur" eine tiefer gehende Betrachtung erfordern würde, ist unbestritten, soll hier aber dennoch wieder zurück zur entwicklungspoli- tischen Debatte und zum damit verbundenen "Kultur"-Begriff führen, der hier in einen anderen als den eben beschriebenen Kontext gestellt wird.

7.1.1.2 Kulturbegriff in der Entwicklungszusammenarbeit Maßgebliche Impulsgeber waren hierfür der Bericht "Our Creative Diversity" der "World Commission on Culture and Development" (1995) und die UNESCO-Konferenz "The Power of Culture" in Stockholm (Frühjahr 1997).

"… Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit im Außen- ministerium ist dabei, diesen Diskurs in der Programm- und Projekt- arbeit zu verankern. … Der Begriff von Kultur, wie ihn die Weltkon- ferenz über Kulturpolitik (Mondiacult278) 1982 definiert hat, umfasst alle Formen menschlichen Zusammenlebens. Dementsprechend wird auch Armut als zentraler Gegenstand von Entwicklungszusammen- arbeit nicht nur als Mangel an lebenswichtigen Gütern und Dienst- leistungen angesehen, sondern als die Beschränkung von Lebens-

278 Die anfänglich wenig beachtete UNESCO, 1945 als Kulturorganisation der UNO mit Sitz in Paris gegründet und für Wissenschaft, Kunst und Bildung zuständig, verschaffte sich bei der UNESCO-Weltkulturkonferenz Mondiacult mit der "Erklärung der Weltkonferenz über Kultur- politik" von Mexiko-City 1982 globale und vor allem auch europäische Beachtung. Darin wurde ein erweiterter Kulturbegriff, der den elitären, bildungsbürgerlichen ablösen sollte, festge- schrieben, der von 126 teilnehmenden Staaten in seiner Konzeption zur Kenntnis genommen wurde. Darin wird u.a. von "Kultur ist Menschenrecht" ausgegangen und weiters, "dass 'alle Kul- turen Teil des gemeinsamen Erbes der Menschheit sind' und damit 'die Gleichheit und Würde aller Kulturen anerkannt werden'". Kultur, erstmalig als "Hauptelement des Entwicklungs- prozesses" verstanden, wird weiterführend aufgegriffen: "der Mensch" ist "Ursprung und Endziel der Entwicklung". Dieser Gedanke wiederum wird 1998 im "Aktionsplan über Kultur und Ent- wicklung" (Stockholm) an die Forderung zur Nachhaltigkeit gekoppelt mit der Schlussfolgerung, nachhaltige Entwicklung und kulturelle Entfaltung sind untrennbar miteinander verbunden, diese Erkenntnis wird in politischen Diskussionen aber immer wieder in Frage gestellt (SCHWENCKE, Olaf: Kleine Geschichte der Kulturpolitik in Europa. S. 21–22 (Quelle: http://www.kupoge.de/ jb/jb_17-31.pdf).

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chancen. Die Beschneidung der Entscheidungsfreiheit, das Leben nach den eigenen kulturellen Bedürfnissen, Vorstellungen und Wert- maßstäben zu gestalten, wiegt oft schwerer als die unmittelbare materielle Not. Die kulturelle Dimension bildet also nicht bloß die Grundlage oder ein Instrument für Entwicklung, sondern ist wesent- lich auch ihre treibende Kraft und letztlich ihr Sinn."279

Peter Kuthan, Konsulent für Kulturfragen der OEZA im Außenministerium und der österreichischen Forschungsstiftung für Entwicklungshilfe (ÖFSE) auf dem Gebiet der Evaluierung von Entwicklungszusammenarbeit, sieht das vermehrte Interesse für Kultur und die Betonung ihrer Vielfalt in direktem Zusammen- hang mit dem Phänomen der Globalisierung und den damit verbundenen welt- weiten Veränderungsprozessen. Im Globalisierungszeitalter kommen der kul- turellen Identität und dem kulturellen Selbstbewusstsein eines Landes beson- dere Bedeutung zu. Positive Faktoren wie vermehrte internationale Arbeits- teilung oder Kommunikation auf breiter Basis stehen einem "negativ emp- fundenen Anpassungsdruck" in Form von Liberalisierung der Märkte, bei der der ökonomisch Stärkere punktet, oder einer "kulturellen (v.a. westlich ge- prägten) Invasion" gegenüber. Durch den Wegfall des West-Ost-Gegensatzes erscheinen etablierte Ideologien zur Sinn- und Identitätsstiftung überholt, prognostiziert wird der von dem US- amerikanischen Politikwissenschaftler Samuel P. Huntington in seinem Buch "Clash of Civilizations and the Remaking of World Order" (1993) beschriebene Zusammenprall der Kulturen; erste Widerstände gegen eine "uniforme Moder- nisierung" zeichnen sich ab, jedoch nicht nur von Seiten der Islamisten und

"'Tribalisten der Entwicklungsländer, sondern … als fundamentalis- tische Rechristianisierung und Renationalisierung' gewinnt es 'auch in den westlichen Metropolen an Gewicht. Mit der gezielt geschürten Fremden- und Kulturfeindlichkeit auf Seiten der Modernisierungs- verlierer entsteht daraus ein gefährlicher Mix. Kulturelle Identität

279 WELTNACHRICHTEN. Informationen der österr. Entwicklungszusammenarbeit im Außenminis- terium. Nr. 3/1998. Hg.: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Sektion Entwick- lungszusammenarbeit. S. 2.

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und interkulturelle Verständigung werden in diesem Szenario zu zentralen Zukunftsfragen. Nicht im Sinne von Reideologisierung der Auseinandersetzung, sondern als Wahrnehmung einer neuen Chance und Aufgabe für globale Entwicklungszusammenarbeit. Kultur defi- niert sich immer in der Begegnung mit dem anderen, in der Aus- einandersetzung mit neuen Herausforderungen, in der Kritik der Zustände. Sie geht zugrunde, wenn sie sich selbst genug ist.'"280

Auch wenn das Zusammenführen von Kultur und Entwicklung keine neue Erkenntnis in der internationalen Debatte um Entwicklungszusammenarbeit ist und der Blick auf die kulturellen Besonderheiten des jeweiligen Partnerlandes nicht immer frei von ideologischen Verklärungen war, so muss nach Ansicht Kuthans konstatiert werden, dass dem Stellenwert von Kultur nicht jener Platz eingeräumt wurde, der ihm eigentlich zukommen sollte. "Aus dem 'Spleen' einiger Vorreiter ist inzwischen ein anerkanntes Medium der interkulturellen Begegnung geworden."281 Der vermehrt stattfindende Kulturaustausch trägt diesem Versäumnis nun Rechnung. Im Spiegel dieser "wieder"belebten Kulturkontaktaufnahme kann die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit ihre

"… eigenen Erfahrungen, die Programmatik und die Methodik … überprüfen und weiterentwickeln … und eine neue kulturelle Sen- sibilität für die Partnerseite entwickeln. Die Förderung der kulture- llen Vielfalt, die interkulturelle Verständigung über globale Fragen und Standards sind nicht 'Luxus', sondern unverzichtbar geworden. Gleichzeitig ist es unsere Aufgabe, die Grundanliegen der Entwick- lungszusammenarbeit wie Armutsbekämpfung oder Demokratieent- wicklung in der Debatte über Kultur und Entwicklung stärker zu akzentuieren und gleichzeitig die kulturelle Dimension in allen Projekten zu reflektieren. Konkret hat die Österreichische Entwick-

280 WELTNACHRICHTEN. Informationen der österr. Entwicklungszusammenarbeit im Außenminis- terium. Nr. 3/1998. Hg.: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Sektion Entwick- lungszusammenarbeit. S. 3. 281 Ebd.

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lungszusammenarbeit im Außenministerium eine Themenverant- wortung beim Referat Bildung festgelegt und die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt, um die Aufarbeitung der Erfahrungen und die kultursensible Bearbeitung von Strategien und Methoden auf Programm- und Projektebene anzugehen."282

7.1.2 Die mögliche Kehrseite von Kulturtransfers Der kulturelle "Waren"austausch birgt aber insofern Gefahren, wenn die spezifische Kultur eines afrikanischen Landes, losgelöst von ihrem histori- schen, politischen oder sozialen Kontext, zum bloßen, generalisierenden Abziehbild eines exotischen Afrika-Spektakels verkommt, wo altbekannte Klischees bedient werden. Anstatt die bereits mit Benachteiligung kämpfenden Länder Afrikas in ihrer eigenen Kultur wahrzunehmen, zu fördern bzw. zu bestärken, wird der kultu- relle Reichtum dieser des Öfteren in die kapitalistischen Staaten geholt, um sie neuerlich, aber auf einer anderen Ebene auszubeuten. Dieses "eine" Afrika erscheint dann aufs Neue als der lebens- und farbenfrohe, vor "energie- geladene und kraftstrotzende" (z.B. André Hellers Zirkus-Show "Afrika! Afri- ka!") oder mit Attributen wie "Wild! Exotisch! Erotisch! Anders!"283 besetzte (Circus der Sinne "Mama Africa"284) und nicht als der dauernd von Krisen und Katastrophen geschüttelte Kontinent. Die Anlässe, um aus Afrika zu berichten, finden entweder in Form von Krisen- oder Fachberichterstattung, im Rahmen von kulturellen Reiseberichten (z.B. Kunstbiennale in Dakar) oder im entwick- lungspolitischen Kontext statt. Es scheint, als gäbe es in Bezug auf Afrika, seine mediale Berichterstattung als auch seine in Europa stattfindenden Präsentationen im Bereich der darstellenden Kunst auf der Skala der euro- päischen (Kultur-)Rezeption nur zwei Farben: ganz Schwarz oder ganz Weiß, dazwischen gibt es (fast) nichts. Nur zu selten sind jene (Theater-)Veran-

282 WELTNACHRICHTEN. Informationen der österr. Entwicklungszusammenarbeit im Außenminis- terium. Nr. 3/1998. Hg.: Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten, Sektion Entwick- lungszusammenarbeit. S. 3. 283 Quelle: http://www.afrikanet.info/index.php?option=com_content&task=view&id=890&Itemid=2. 284 Diesem im Frühjahr 2008 durch Österreich tourenden Zirkus, bestehend aus 50 afrikani- schen Artisten unter der Leitung des aus Simbabwe stammenden Winston Ruddle, wurde das Kokettieren mit kolonialen Klischees und Stereotypen aus Profitgier vorgeworfen und war vor allem bei Österreichern afrikanischer Abstammung sehr umstritten.

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staltungen mit Bezug zu afrikanischen Ländern, die vielleicht mit weniger "Lärm", dafür aber mit changierenden Nuancen innerhalb dieser Skala ein Bewusstsein für eine andere Art des Kulturselbstverständnisses wecken kön- nen.

"Es gibt zwar zahlreiche Veranstaltungen im Bereich Vermittlung afrikanischer Kulturen und Kunst in Wien, jedoch sind sie eher problematisch und die Vielfältigkeit und Konzeption der verschie- denen Kulturen und künstlerischen Traditionen Afrikas werden wenig beachtet. Meist wird Afrika global und undifferenziert betrachtet."285

Wie wenig Theater aus Afrika bzw. Theaterstücke afrikanischer Autoren überhaupt wahrgenommen werden, bestätigt auch die Programmgestaltung der seit 1951 bestehenden "Wiener Festwochen": Im Zeitraum von 50 Jahren (1951–2001) gab es insgesamt 6 Produktionen286 afrikanischer Provenienz, die zum Theaterfestival eingeladen wurden. Von 2002 bis 2008 konnten 3 weitere Festwochenproduktionen mit Afrika-Hintergrund recherchiert werden, das heißt zusammenfassend: Seit Bestehen der "Wiener Festwochen" konnte das europäische Publikum sich anhand von insgesamt 9 Produktionen (in 57 Jah- ren) zumindest einen wagen Eindruck vom theatralen Schaffen auf dem afrika- nischen Kontinent machen.

285 Diskussionsabend "Anderswo anderes Kunstverständnis – Was ist globale Kunstrezeption?" im Afro-Asiatischen Institut (AAI) am 9.5.2001 anlässlich der Ausstellung "An/Sichten – Malerei aus dem Kongo 1990–2000" im Völkerkundemuseum in Wien. Die Ausstellung musste sich von Seiten Dr. Michael Stadler, Mitarbeiter von "kulturen in bewegung", den Vorwurf gefallen lassen, neokoloniale Züge aufzuweisen. 286 Caligula von Albert Camus und Murad III. von Habib Boulares, Troupe Municipalle de Tunis (1970); Renga-Moy von Roberto Serumaga, Abafumi-Company, Uganda (1976); Sarafina! The Music of Liberation von Mbongeni Ngema, Lincoln Center in Kooperation mit Committed Artists Johannesburg (1989), Magic at 4. The music of freedom von Mbongeni Ngema, Festwochen- produktion; Le costume von Can Themba, Bouffes du Nord (2001). In: Wiener Festwochen (2001): Wiener_Festwochen_1951-2001. Residenz Verlag, Salzburg. Full stop_End of line von "The obliged people Group" (2003), Tschepang von Lara Foot und Township-Stories von Paul Grootboom (2006) – für 2002, 2004, 2005, 2007 und 2008 konnte nichts diesbezüglich gefunden werden.

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7.2 Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit – ein Kurzporträt "auf Augenhöhe"287

"Entwicklungszusammenarbeit wird als ein Teil des sozialen Engage- ments Österreichs in benachteiligten Regionen der Welt vermittelt, als ein Beitrag für eine gerechtere und solidarische Welt."288

7.2.1 Von den Anfängen der OEZA In den 1960er Jahren gingen erste maßgebliche Impulse für entwick- lungspolitische Arbeit von in der Zivilgesellschaft verankerten Nichtregie- rungsorganisationen (NROs) aus, die bereits Beziehungsvorarbeit zur Bevöl- kerung in den Projektländern geleistet hatten. Dem Staat kam hierbei die Aufgabe zu, für die notwendigen, v.a. monetären Rahmenbedingungen zu sorgen, aus denen sich in weiterer Folge auch der Anspruch auf Verantwortung ableitete. Mitte der 1980er wurde die Handlungsweise der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit seitens der Medien hinterfragt, die sich mit dem Vorwurf289, ein sozialromantisches linkes Kartell (Kreisky-Ära) zu sein, kon- frontiert sah. Die 1990er Jahre gelten aufgrund der weltwirtschaftlichen Situa- tion nach dem Ende des Kalten Krieges als von der Weltbank bezeichnetes "verlorenes Jahrzehnt" in der Entwicklungszusammenarbeit, da "die innova- tiven Ansätze der 70er Jahre (neue Weltwirtschaftsordnung, Deckung der Grundbedürfnisse und die Förderung der Süd-Süd-Kooperationen) gescheitert waren und die Position der Entwicklungsländer schwächer war als in den 50er Jahren."290

287 Das Motto "auf gleicher Augenhöhe" findet sich in der Aussendung der für Herbst 2008 in Form einer interaktiv gestalteten, quer durch Österreich reisenden Info-Tour zur Österreichi- schen Entwicklungszusammenarbeit "Gemeinsam mehr zusammenbringen" und soll neben des Veranschaulichens der "gemeinsamen Anstrengungen, Programme und Projekte ... die vielfäl- tigen Aufgaben und Facetten der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit einem breite- ren Publikum" näherbringen, indem die Menschen, die diese Arbeit auf den verschiedensten Ebenen in unterschiedlichsten Positionen leisten bzw. mit ihr verwoben sind, "auf gleicher Au- genhöhe" zu Wort kommen (Quellen: http://www.ada.gv.at/aktuelles/news/gemeinsam-mehr-zusam menbringen.html, http://www.plansinn.at/plansinn/index.php?id=projekte&res=159&cHash=3d28110 bc2). 288 Quelle: http://www.plansinn.at/plansinn/index.php?id=projekte&res=159&cHash=3d28110bc2. 289 Dieser Vorwurf zielte vor allem auf die Aktivitäten in Nicaragua ab, mit dem sich viele Ideale und Illusionen verbanden, so Doris Groll von Horizont 3000 im Ö1-Beitrag "Für eine Welt – Perspektiven der Entwicklungszusammenarbeit" von Thomas Haunschmidt (3.9.2008). 290 MINICHBERGER, Daniela (1998): Theatre for development in Africa. Theater – ein Bildungs- medium in Afrika? Diplomarbeit an der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät, Uni- versität Wien. S. 48.

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Die erst seit 1998 politisch aktivierten Schwerpunkt- bzw. Kooperationsländer der OEZA, die sich geographisch auf fünf Schlüsselregionen konzentriert, wur- den durch die langjährigen Aufbauarbeiten der NROs vordefiniert. Hierbei wird zwischen Schwerpunktländern und Partnerländern unterschieden: Bei Schwer- punktländern wird angedacht, künftig durch eine stärkere Präsenz auch finanziell sichtbarer zu werden, vermehrt sollen Kooperationen mit der jewei- ligen Regierung als auch mit nationalen und internationalen Partnern einge- gangen werden, um eine tiefgreifende und anhaltende Zusammenarbeit zu gewährleisten, bei Partnerländern soll die Arbeit der NROs weiterfinanziert werden. Angestrebtes Ziel in der Entwicklungszusammenarbeit ist nicht mehr das Arbeiten nach dem bisher praktizierten Gießkannenprinzip, sondern das längerfristige Engagement in einem Land bei gleichzeitiger Intensivierung der Geldmittel.

7.2.2 Von Zielsetzungen und Schlagwörtern ... Die OEZA291, deren Hauptziele Armutsminderung, Schutz der Umwelt und natürlicher Ressourcen, menschliche Sicherheit und Friedenssicherung sowie Geschlechtergleichstellung und Empowerment von Frauen sind, versteht sich nicht als einseitige Zwangsbeglückung, sondern baut auf eine Zusammen- arbeit, die auf die einzelnen Projektländer zugeschnitten wird, und auf eine Weiterentwicklung der Fähigkeiten vor Ort. Begriffe wie Capacity-Bildung bzw. Capacity-Development292 sollen den neuen Trend in der Entwicklungszusam- menarbeit beschreiben, wo vom Auffüllen mit Arbeitskräften im klassischen Sinn abgegangen und mehr die Consultingtätigkeit in den Vordergrund gerückt wird, um lokale Kapazitäten so weit aufzubauen, dass diese selbst Strukturen entwickeln können (Austausch von lokaler Expertise mit mitteleuropäischem Knowhow). In diesem Zusammenhang liegt der Schwerpunkt auf der Verbes- serung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Rahmen- bedingungen des jeweiligen Projektlandes, da "es für eine nachhaltige Ent-

291 Dieses neue OEZA-Verständnis wurde dem Ö1-Beitrag "Für eine Welt – Perspektiven der Entwicklungszusammenarbeit" von Thomas Haunschmidt (3.9.2008) entnommen. 292 Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) versteht unter Capacity- Development "den Ausbau der Fähigkeit ('capacity') von Menschen, Organisationen und Gesell- schaften, Ressourcen effektiv und effizient einzusetzen, um eigene Ziele nachhaltig wirksam zu verwirklichen". Seit dem Jahr 1973 engagiert sich die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Burkina Faso (Quelle: http://www.gtz.de/de/themen/uebergreifende-themen/911.htm).

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wicklung nicht ausreicht, Menschen und Organisationen durch Aus- und Fort- bildung, Transfer von fachlich-technischem und organisatorischem Knowhow sowie durch technische Ausstattung zu stärken. Sind die politisch-institu- tionellen Rahmenbedingungen einer Gesellschaft ungünstig, werden alle An- strengungen nur begrenzte Wirkung zeigen und letztlich fehlschlagen."293

Beim Capacity-Development geht es neben dem Gender-Ansatz294 vor allem um den partizipativen Ansatz, um eine höhere Eigenbestimmung und um Empowerment295. Schlagwörter, die uns auf Schritt und Tritt auch in der Dis- kussion um "Theater for Development" begegnen und die dessen Ansatz bzw. Bemühungen verdeutlichen sollen. Was nicht vom Partner selbst ausgeht, kann nicht nachhaltig sein, die Menschen vor Ort selbst müssen den Wunsch bzw. das Bedürfnis in sich verspüren, Veränderungen zu wollen. Die lokale Bevölkerung soll einen stärkeren Einfluss über die zur Verfügung gestellten Ressourcen und ihren damit verbundenen Einsatz gewinnen. In der entwicklungspolitischen Debatte ging und geht es auch immer wieder um die Sinnhaftigkeit dieses Engagements. Slogans wie "Retten wir die Welt zu Tode" oder Vorwürfe wie "Die Problematik mit Geld zuschütten" werfen die berechtigte Frage auf, ob die Hilfe bei den Ärmsten auch wirklich ankommt. Von total bis gar nicht wirksam, lauten die unterschiedlichen Meinungen, und selbst die Weltbank ist nicht imstande zu definieren, wann Entwicklungshilfe effektiv ist und wann nicht. Nach über 50 Jahren liegen keine Befunde vor, ob eine sinnvolle und nachhaltige Auswirkung auf die Zielländer tatsächlich erfolgt

293 Quelle: http://www.gtz.de/de/themen/uebergreifende-themen/911.htm. 294 Unter "Gender" versteht die OEZA einen "'Begriff, der auf die zwischen Frauen und Männern bestehenden sozialen Unterschiede verweist, die erlernt werden, sich im Laufe der Zeit ändern können und sich sowohl innerhalb ein und derselben Kultur als auch zwischen verschiedenen Kulturen stark voneinander unterscheiden' ... 'Gender bezieht sich auf die Regeln, Normen und Praktiken, mit denen die biologischen Unterschiede zwischen Männern und Frauen, Jungen und Mädchen so interpretiert werden, dass sie zu ungleichen Bewertungen, Möglichkeiten und Lebenschancen führen'" (Quelle: http://www.ada.gv.at/fileadmin/user_upload/ADA/media/2Aus senpolitik_Zentrale/OEZA)._ab_Februar_2006/2244_oeza___gender_leitlinie_30_06_06.pdf). 295 Die OEZA definiert "Empowerment", das der amerikanischen Gemeindepsychologie entlehnt ist, folgendermaßen: "Empowerment (Ermächtigung zu eigenverantwortlichem Handeln): Pro- zess, in dessen Verlauf sich eine Person Zugang zu Möglichkeiten verschafft und sich Fähigkei- ten aneignet, die sie in den Stand versetzt, ihr eigenes Leben und das Los der Gemeinschaft, in der sie lebt, in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht mitzugestalten" (Quelle: http:// www.ada.gv.at/fileadmin/user_upload/ADA/media/2Aussenpolitik_Zentrale/OEZA_ab_Februar_ 2006/2244_oeza___gender_leitlinie_30_06_06.pdf).

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ist. Bei Einzelprojektevaluierungen ist dies zwar überschaubar, auf der Makro- ebene ist diese Form der Wirkungsmessung aber nicht machbar.

7.2.3 ... zur internen Organisation296 ... Seit Beginn des Jahres 2004 hat die "Austrian Development Agency" (ADA) den operativen Teil der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) übernommen. Letztere fokussiert durch den vorgenommenen inneren Reform- prozess auf eine effizientere Erstellung von Programmlinien und eine kohä- rente Gestaltung der Entwicklungspolitik, während die gegründete ADA für die Umsetzung der konkreten Projekte und Programme verantwortlich zeichnet. Vier neue Förderinstrumente, die hier nicht näher bestimmt werden, sollen die Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen für Pro- gramme in den Partnerländern intensivieren. Ausgerichtet wird die Projekt- arbeit an den Millenniumsentwicklungszielen297 der Vereinten Nationen, welche die zentrale Vorgabe für Industrie- und Entwicklungsländer im Kampf gegen die weltweite Armut sind.

7.2.4 ... hin zu Zahlen, Zielen und ihrer Nichterfüllung

"Und was soll man von einer Entwicklungshilfe halten, die nicht verhindern konnte, dass im vergangenen Jahrzehnt die Zahl der Armen in Afrika gestiegen ist, dass südlich der Sahara die durchschnittliche Lebenserwartung zurückgeht, dass das Pro-Kopf- Einkommen sinkt ..."298

Vor 30 Jahren verpflichteten sich 22 Industrienationen der OECD in einer UNO- Resolution zur Aufwendung von 0,7 % des Bruttonationaleinkommens für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (EZA). Lediglich 5 Länder hatten die- ses Ziel im Jahr 2003 erfüllt. Österreich gehört als achtreichstes Land nicht

296 WELTNACHRICHTEN. Information der österreichischen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit. Nr. 1/2005. Hg.: Austrian Development Agency, Wien. 297 Die UN-Millenniumsziele von 1999 streben die Halbierung der in absoluter Armut lebenden Menschen bis 2015 an (ZIMMERMANN, Judith: Der vertagte Gipfelsturm. In: Materialien & Medien zum globalen Lernen. Südwind Aktuell 3/2002. Steiermark. S. 1 f.). 298 LEGGEWIE, Claus: Nach dem Inferno. Die Presse. Zeichen der Zeit. Februar 2004. S. III.

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dazu (2001: 0,29 %). Diese errechneten 0,7 % des Welteinkommens würden ausreichen, um Armut erfolgreich zu reduzieren, Frauenrechte zu verbessern, um Zugang zu Wasser, ausreichender Nahrung, zu Bildung und Gesund- heitsvorsorge weltweit umsetzen zu können. Um das EU-Ziel einer Erhöhung auf 0,7 %299 des Bruttonationalprodukts (BIP) bis 2015 zu erreichen, wäre laut AGEZ, dem Dachverband der entwicklungspolitischen Organisationen Öster- reichs, eine jährliche Steigerung von 200 Millionen Euro nötig. Im Bundes- budget für Entwicklungszusammenarbeit sind für 2007 und 2008 Erhöhungen in Höhe von knapp 5 Millionen Euro an Beiträgen für internationale Organi- sationen wie beispielsweise die UNO vorgesehen. Mit nur 2 Millionen mehr kann die bilaterale Projekt- und Programmhilfe, die das Kernstück der EZA bildet, rechnen.300 Derzeit ist kein politischer Wille in Österreich sichtbar, die 0,7-%-Marke des BIPs zu erreichen – 2007 waren es 0,47 % des BIPs (= 1,3 Mrd. €) – trotz der 1973 beschlossenen UNO-Resolution seitens der OECD- Staaten. Das Bundesministerium für Finanzen ist zuständig für den Mitteltransfer, der das aus dem Gesamtbudget der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit Österreichs entnommene Drittel, das auf die multilaterale Kooperation entfällt, zu den internationalen Finanzorganisationen – wie dem Internationalen Wäh- rungsfonds, der Weltbankgruppe, aber auch den regionalen Entwicklungs- banken – weiterleitet. Weiters laufen über das Finanzministerium Zahlungen an das EU-Budget und an den Europäischen Entwicklungsfonds. Diese Beiträge, die von den einzelnen Ländern an die internationalen Finanz- institutionen geleistet werden müssen, können nicht für bestimmte Projekte oder Länder zweckgebunden werden, dies garantiert aber auch eine objektive Entwicklungspolitik. Direkten Einfluss auf das Projektwesen kann Österreich über sogenannte Konsulententreuhandfonds nehmen, die Feasibility-Studien und projektbeglei- tende Beratung finanzieren, über die österreichischen Firmen und Konsulenten ein möglicher Einstieg bei internationalen Organisationen erleichtert wird.

299 Materialien & Medien zum globalen Lernen. Südwind Aktuell 4/2003. Steiermark. S. 10. 300 BUNDESMINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN, SEKTION ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT (2001): Engagement für Entwicklung. Ein Leitfaden der österreichischen Entwicklungs ZusammenArbeit. Wien. S. 7.

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Bei Verhandlungen betreffend den Schuldenerlass für die hochverschuldeten armen Länder (HIPC301) setzen sich österreichische Vertreter für das Einbrin- gen der Interessen der sog. Schwerpunktländer der Österreichischen Entwick- lungszusammenarbeit ein. Die vom Europarat initiierte Nord-Süd-Kampagne "Globalisierung ohne Armut" im Jahre 1998/99 "fußt auf der Erkenntnis, dass eine Vertiefung der inner- europäischen Beziehungen nicht von der Verantwortlichkeit hinsichtlich der Nord-Süd-Solidarität ablenken darf"302. Eine weitere Erkenntnis ist jene, dass sich der europäische wie weltweite Rahmen für Nord-Süd-Beziehungen seit dem Ende des Kalten Krieges dras- tisch verändert hat und entscheidende Fragen nicht mehr die alleinige Angele- genheit einer Nation sind. Gefordert werden daher eine Bewusstseinsbildung, die das Augenmerk auf globale Entwicklungen lenkt, weiters die Ausarbeitung und Bekanntmachung von Strategien zur weltweiten Bekämpfung von Armut und sozialer Benachteiligung.

7.2.5 Entwicklung mit (Wissens-)Gewinn? Dem Leitfaden der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit kann des Weiteren entnommen werden: "Entwicklung heißt auch, das Gefälle zwischen Haben und Nichthaben, zwischen Wissen und Nichtwissen auszugleichen."303 Im 21. Jahrhundert wird die techniklastige Informationsgesellschaft von der Wissenschaftsgesellschaft abgelöst. Wissen wird also nicht nur zu Geld ge- macht, sondern Wissen bedeutet auch Macht. Über Wissen zu verfügen, heißt einerseits, über sich selbst bestimmen zu können. Bildung wird zum Schlüssel für Emanzipation. Um an demokratischen Prozessen mitwirken zu können, bedarf es des freien Zugangs zu Grundwissen und zur Bildung. Andererseits setzen sich Mechanismen zur Kategorisierung von Wissen in Gang, also zu einer Vor-ab-Trennung in Wichtiges und Unwichtiges, die die Lehrinhalte von

301 "HIPC steht für 'heavily indebted poor countries' (hoch verschuldete arme Länder). Die HIPC- Initiative ist eine auf Anregung der G7 von Weltbank und IWF 1996 beschlossene Entschul- dungsinitiative für hoch verschuldete arme Länder" (Quelle: http://www.bmz.de/-de/service/- glossar/hipc-initiative.html). 302 BUNDESMINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN, SEKTION ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT (2001): Engagement für Entwicklung. Ein Leitfaden der österreichischen Entwicklungs ZusammenArbeit. Wien. S. 11. 303 Ebd.: S. 14.

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Schulen und Universitäten steuern, die den wissenschaftlichen Diskurs be- einflussen oder die Einfluss auf die Meinung der Individuen nehmen. Diese Rolle übernahm in früheren Feudalgesellschaften die Kirche, heute nimmt mehr und mehr die Wirtschaft diese Kontrollfunktion ein. Universitäten in Österreich304 oder in den USA können sich beispielsweise anfallende Nutzungsgebühren für die Abonnements von Fachzeitschriften leisten, in afrikanischen Ländern wird dies zu einem Problem mit weitgrei- fenden Konsequenzen. Das für Schwellen- und Entwicklungsländer nicht leist- bare und dadurch auch nicht zugängliche Wissen verhindert die Teilnahme am wissenschaftlichen Diskurs, in dem sie sowieso kaum aufscheinen, und schließt sie strukturell vom Wissensproduktionszyklus aus. Dies bezieht sich auch auf die Forschungsleistungen der Entwicklungsländer, die im Westen kaum wahr- genommen werden können.

"Schaut man sich etwa die wichtigste dieser Datenbanken, den Science Citation Index (SCI) unter 'geografischen' Gesichtspunkten an, sticht ein extremes Nord-Süd-Gefälle ins Auge. Von den derzeit 3.448305 dort erfassten Zeitschriften erscheinen nur 89, also weniger als drei Prozent, in den Entwicklungsländern. Und wer nicht im SCI geführt wird, publiziert quasi unter Ausschluss der Fachöffentlich- keit."306

Die Forschung in Entwicklungsländern ist mit zahlreichen Problemen konfron- tiert: kaum finanzielle Mittel, die eine mangelhafte Ausstattung bedingen, stark limitierter Zugriff auf wissenschaftliche Literatur (für den SCI beispiels- weise sind 11.000 US-Dollar zu berappen), ausgezeichnete Wissenschaftler wandern ab, politisch instabile Verhältnisse, Vorurteile gegenüber Wissen- schaftlern und ihren Forschungsergebnissen aus Entwicklungsländern und

304 Seit 1998 existiert ein partnerschaftliches Fakultätsabkommen zwischen der "Faculté des langues, des lettres, des arts, des sciences humaines et sociales" (FLASHS) der Universität Ouagadougou und der Geisteswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien. 305 Dies bedeutet, dass weniger als 5 % der Zeitschriften weltweit in diesem SCI geführt werden. Kritiker vertreten die Auffassung, dass durch diesen Index die Forschungsergebnisse der Entwicklungsländer noch weniger Beachtung finden. In: HOCHADEL, Oliver (1999): Der Impact- Faktor. Profil extra. Forschung. S. 60–61. 306 HOCHADEL, Oliver (1999): Schattenwissenschaft. Heureka! Das Wissenschaftsmagazin. Falter 1/99. Wien. S. 15.

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damit verbunden Fragen der Relevanz. Das Nichtaufscheinen im SCI, einer Datenbank für naturwissenschaftliche und medizinische Zeitschriften, löst laut Oliver Hochadel eine fatale Kettenreaktion aus: Man findet keine Beachtung und kann daher auch nicht zitiert werden, das Nicht-zitiert-Werden bedeutet einen niedrigen Impact-Faktor307 und hat die Nichtaufnahme in den SCI zur Folge. Diese komplexen, im Fall vom privatwirtschaftlich geführten Institut for Scientific Information aufgestellten elitären und monopolisierten (Ausschei- dungs-)Mechanismen veranlassen Wissenschaftler aus Entwicklungsländern schon im Vorhinein, nicht in Zeitschriften mit niedrigem Impact-Faktor und meist Entwicklungslandhintergrund, zu publizieren. Die Spirale dreht sich also weiter. Gegengesteuert wird nun mithilfe des britischen "Electronic Publishing Trust for Development" (EPT) mit dem Einrichten von speziell auf die For- schung aus Entwicklungsländern zugeschnittenen elektronischen Datenban- ken, dem Bereitstellen von Hard- und Software, dem Vermitteln des Know- hows zur Herausgabe von Online-Zeitschriften an Redakteure und dem Betreiben von Werbemaßnahmen. Dieser verbesserte Informationsaustausch muss aber auf einer funktionierenden Kommunikationsinfrastruktur aufbauen können – "In den Entwicklungsländern gibt es zuwenig Telefone, Computer und zu viele Stromausfälle"308 –, wenn die Informationskluft zwischen Arm und Reich nicht noch größer werden soll. Das Abgehen vom kostenintensiven Dru- cken wissenschaftlicher Zeitschriften hin zu für Entwicklungsländer leistbaren Internettechnologien wäre ein erster Schritt in diese Richtung.

"Demokratie und Wissensgesellschaft können nur eins sein, wenn alle Menschen die Möglichkeit haben, auf Wissen und Bildung frei zuzugreifen. Wenn strukturelle Hürden – zum Beispiel ein elitäres Bildungssystem oder finanzielle Barrieren – bestehen, die verhin- dern, an Wissen zu gelangen, kann sich eine Gesellschaft, in deren Zentrum eben dieses Wissen steht, nicht demokratisch nennen."309

307 Der vom Institut for Scientific Information (ISI) für jede Zeitschrift in Form einer Punktzahl ermittelte Impact-Faktor errechnet sich aus der Häufigkeit des Zitierens von Artikeln dieser Zeitschrift in anderen, ohne Bedachtnahme auf eine qualitative Aussage. In: HOCHADEL, Oliver (1999): Schattenwissenschaft. Heureka! Das Wissenschaftsmagazin. Falter 1/99. Wien. S. 5. 308 Miriam Balaban von der International Federation of Science Editors. In: Ebd.: S. 16. 309 MALTSCHNIG, Eva (2008): "Wir" und "die Anderen": Wenn Wissen teilt. Unique – Zeitung der

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Die OEZA macht sich u.a. im Bildungsbereich mit praxisbezogenem, bedarfs- orientiertem Lernen und mit Berufsausbildung stark. Vor allem den oft im Bil- dungsbereich stark benachteiligten Mädchen, das im Besonderen für Burkina Faso zutrifft, soll der Zugang zu Berufen, auch im technischen Bereich, erleich- tert werden, damit ihre Chancen auf wirtschaftliche wie soziale Unabhängigkeit steigen.310

7.2.6 Entwicklungspolitische Einrichtungen311 in Österreich Hier werden im Folgenden kurz zwei Organisationen aus einer Vielzahl vorgestellt, die sich (nicht nur) von Österreich aus, in Form von wechsel- seitigem Kulturaustausch bzw. mittels lokalen Einsatzes von Tanz, Musik, bil- dender Kunst und Theater für entwicklungspolitische Anliegen, u.a. in Burkina Faso, engagieren, wobei sofort vorausgeschickt wird, dass die hier erfolgte Vorstellung dieser beiden Organisationen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Sie wurden deshalb gewählt, da VIDC sich vor allem im Bereich des Kulturaustausches bzw. -transfers starkmacht und die Caritas durch die Verwendung von Theater in einem ihrer Projekte in Burkina Faso ins Auge fiel.

7.2.6.1 VIDC – kulturen in bewegung "kulturen in bewegung"312 ist die Kunst- und Kulturinitiative des "VIDC – Wiener Instituts für internationalen Dialog und Zusammenarbeit", eine in Wien ansässige und von der OEZA unterstützte Servicestelle und Veranstalterin für integrative Kulturprojekte, die sich seit mehr als 10 Jahren als Vermittlerin und als Agentur zwischen Künstlern aus dem Süden (Schwerpunkt- und Kooperationsländer der OEZA) und Kulturveranstaltern in Österreich sieht. Darüber hinaus leistet sie Beratung bei interkulturellen Projekten, liefert Infor- mation über außereuropäische Kulturen und gewährt Zuschüsse für ent-

ÖH Uni Wien, Nr. 01/08. Wien. S. 13. 310 WELTNACHRICHTEN. Information der österreichischen Entwicklungs- und Ostzusammenarbeit. Nr. 4/2005. Hg.: Austrian Development Agency, Wien. 311 "Ohne den Einsatz vieler privater Initiativen, Nichtregierungsorganisationen, Hilfsorga- nisationen, Unternehmen sowie Länder, Gemeinden und anderer öffentlicher Stellen wäre die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit nicht vorstellbar. Die österreichische Bundesre- gierung stellt einen bedeutenden Teil der Mittel für deren Projektarbeit in den Entwicklungs- ländern sowie für Bildungs- und Informationsarbeit in Österreich zur Verfügung." In: BUNDES- MINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN: Eine Welt für alle. Wien. 312 Quelle: http://kultureninbewegung.vidc.org/index.php?id=438.

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wicklungspolitische Kulturprojekte.313 Schon des Öfteren hat sie den Kultur- austausch vor allem im Bereich der Musik zwischen Burkina Faso und Öster- reich in Form von Konzerttourneen gefördert (z.B. Bil Aka Kora oder Mamadou Diabate etc.). Über burkinische Theatergruppen bzw. Gastauftritte lässt sich in den Archiven von "kulturen in bewegung" allerdings nichts finden. Es hat den Anschein, dass im entwicklungspolitischen Kulturprogramm für Burkina Faso dem Theater generell eine sehr untergeordnete Rolle zukommt. Nicht so in einem anderen Schwerpunktland der OEZA, Uganda, das ebenfalls mit Österreich eine lang- jährige Partnerschaft verbindet und das vor allem durch die Auftritte der "Ndere Troupe" international bekannt wurde.

7.2.6.1.1 Die "Ndere Troupe" aus Uganda314 Die "Ndere Troupe", die 1986 gegründet wurde, legt in ihrer vom Kollektiv bestimmten Theaterarbeit – neben der Bemühung um die Revitalisierung lokaler dramatischer Ausdrucksmittel – den Hauptakzent auf den didaktischen Ansatz, indem unter Zuhilfenahme traditioneller Ausdrucksmittel die Probleme der Bevölkerung unter verschiedensten Gesichtspunkten thematisiert werden, mit dem Ziel, mögliche eingespielte bzw. tradierte Verhaltensmuster zu über- denken (Gesundheit, Korruption etc.) und Letztere darin zu bestärken, den Mut zur Änderung bzw. zu einem Richtungswechsel aufzubringen. Die Theater- truppe, die bereits mit einer Vielzahl an internationalen und nationalen Orga- nisationen zusammenarbeitet, setzte im Rahmen des von der OEZA geför- derten EZA-Projekts "Entwicklungstheater – Ndere Troupe" folgende Schwer- punkte in die Praxis um: Förderung begabter, aber benachteiligter Jugend- licher durch die Aufnahme in die Theatertruppe, Entwicklung von Stücken zur Sensibilisierung und Bestärkung der lokalen Bevölkerung mit dem Ziel, ihre Lebenssituation zu verbessern, Aufbau eines ganz Uganda umspannenden Theaternetzwerks von Truppen, die den "Theater for development"-Ansatz praktizieren (Ugandan Development Theatre Association = UDTA), Zusam-

313 BUNDESMINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN, SEKTION ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT (2001): Engagement für Entwicklung. Ein Leitfaden der österreichischen Entwicklungs- ZusammenArbeit. Wien. S. 6. 314 WIENER INSTITUT FÜR ENTWICKLUNGSFRAGEN UND ZUSAMMENARBEIT: Echo. Das Infojournal 3/99. Wien.

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menarbeit mit NROs auf internationaler und nationaler Ebene zwecks Abbau von Kommunikationsbarrieren zwischen Projektarbeitern und einzelnen Ziel- gruppen und Bau eines Kulturzentrums als Spielstätte für die "Ndere Troupe" und als Basis für das UDTA-Netzwerk.

"Mit Unterstützung durch die Österreichische Entwicklungszusam- menarbeit entstand in Kampala das Ndere Centre, ein parkähn- liches Areal von 40.000 m2 mit Theaterhalle, Amphitheater, Probe- räumen, Galerie, Restaurant sowie Gästezimmern. Heimstätte für die Uganda Development Theatre Association (UDTA), einem lan- desweiten Netzwerk von über 2.000 (!) lokalen Theatergrup- pen. Primäre Ziele sind die Entwicklung der darstellenden Künste sowie der kreative Einsatz von Theater, Tanz und Musik zur sozialen Entwicklung und friedlichen Konfliktbewältigung."315

7.2.6.2 Die Caritas der Diözese Innsbruck316 Die Caritas der Diözese Innsbruck als Teilorganisation der katholischen Kirche finanziert seit 35 Jahren Projekte in Afrika, darunter auch und vor allem in Burkina Faso, für das sie immer wieder Schwerpunkttage in Tirol veranstaltet, um auf die Situation in diesem Land aufmerksam zu machen (z.B. "Afrika"-Tag – 4. August 2001). Im Rahmen dieser intensiven Projektarbeit kam es zu zahl- reichen Kontakten und Austauschbeziehungen, unter anderem zum Besuch von burkinischen Gesangs- bzw. Musikgruppen (z.B. Chor "Naaba Sanom"). Begonnen hat das Engagement der Caritas Innsbruck International (CII) für Burkina Faso, neben Senegal und Mali, in Form von Katastrophenhilfe anläss- lich der Dürrekatastrophe im Westsahel (1973/74). Seit diesem Zeitpunkt ist Burkina Faso ein Partnerland von CII, die sich im Bereich Gesundheit/AIDS, Hunger, Wasser, Soziales, Frauen etc. mit Projekten einsetzt. Im Februar 1999 war der Innsbrucker Bischof Dr. Alois Kothgasser als erster österreichischer Bischof zu Besuch in Burkina Faso.317 Wie eingangs dieser Arbeit erwähnt, bestätigte Verena Egger, Projektrefe-

315 Quelle: http://kultureninbewegung.org/index.php?id=359&tx_ttnews[backPid]=25&tx_ttnews[pS]= 1217454145&tx_ttnews[pointer]=2&tx_ttnews[tt_news]=37&cHash=20a1466f27. 316 Quelle: http://www.caritas-innsbruck.at/caritasinternational_laender.cfm. 317 ÖFSE (2000): Burkina Faso. Länderprofil. Wien. S. 25.

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rentin für Westafrika der CII, den Einsatz von Theater im Zusammenhang mit einem Projekt der Diözese in Kaya, 105 km nördlich von Ouagadougou. Darin geht es um die Sensibilisierung der Bevölkerung zum Thema "Brauchtum des Verstoßens von Frauen"; in welcher Art und Weise Theater hier zum Träger von entwicklungspolitischen Inhalten kommt, konnte nicht näher untersucht werden, da mehrere Kontaktaufnahmen mit OCADES KAYA scheiterten.

7.3 Burkina Faso – Schwerpunktland der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit

"Auch wenn Österreich keine historisch gewachsenen Beziehungen zu Afrika südlich der Sahara hat – Ausnahmen gibt es auch hier –, so dauert doch die Zusammenarbeit mit einigen Ländern wie etwa Kenia, Burkina Faso, Senegal schon sehr lange."318

Die Beziehungen zwischen Österreich und Burkina Faso sind durch eine solche langjährige Partnerschaft gekennzeichnet, die ihre Anfänge in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts nimmt. Ausgehend von einzelnen Initiativen319 im Bildungs- und Landwirtschaftsbereich privater Organisationen wurde Burkina Faso 1993320 offiziell ein Partnerland der OEZA, die 1996 ein eigenes Koor- dinationsbüro in Ouagadougou einrichtete. Als staatlicher Partner der OEZA vor Ort fungiert das für Entwicklungsfragen zuständige Finanzministerium von Burkina Faso. Die Zusammenarbeit baut in Form von bilateralen Koopera- tionsabkommen auf 3-jährigen Arbeitsprogrammen auf. Schwerpunkte der OEZA sind die ländliche Entwicklung (Maßnahmen zum Schutz vor Austrock- nung und Erosion des Bodens), die Berufsbildung (neben dem Aufbau und der

318 Quelle: http://www.ada.gv.at/service/publikationen/weltnachrichten/archiv/archiv041999/ menschen-aus-afrika-in-oesterreich.html. 319 In diesem Zusammenhang müssen auch die in den 1960er Jahren beginnenden Personal- einsätze des Instituts für Internationale Zusammenarbeit (IIZ) erwähnt werden, das zu Beginn der 1970er Jahre das "Centre Économique et Social pour l’Afrique de l’Ouest" (CESAO) in Bobo- Dioulasso einrichtete und auch weiterhin Personal nach Burkina Faso entstandte. In: ÖFSE (2000): Burkina Faso. Länderprofil. Wien. S. 19. 320 Seit 1993 besteht mit Burkina Faso ein Rahmenabkommen über bilaterale Kooperationen, seit 1995 ein zwischenstaatlich akkordiertes Sektorprogramm "Technisches Unterrichtswesen/ Berufsbildung Burkina Faso". In: BUNDESMINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGEGELEGENHEITEN, SEKTION VII – ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT (1995): Dreijahresprogramm der OEZA 1996 bis 1998. Fort- schreibung. Wien. S. 32.

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Verbesserung des Bildungssystems) und der Aufbau und die Entwicklung von Kleinbetrieben neben der generellen Bemühung einer nachhaltigen Verringe- rung der im Land herrschenden Armut. Für diese Armutsbekämpfung wurden von der OEZA bis Ende 2007 auf Basis dieses Kooperationsabkommens rund 13 Mio. Euro in die zuvor genannten Schwerpunkte investiert. Mit "Lokalen Entwicklungsfonds", die zum Aufbau der Wirtschaft in ländlichen Gebieten zusätzlich von der OEZA zur Verfügung gestellt werden, soll die lokale Bevöl- kerung, die von Beginn an aktiv in die Konzeptions- und Planungsphase von Projekten eingebunden ist, selbst vor Ort diese Fonds verwalten und über deren Einsatz entscheiden, um die Eigeninitiative, die eigenständige Organi- sation und die Selbstverwaltung der Dorfgemeinschaften neben gezielten Maß- nahmen zur Organisationsentwicklung zu fördern.321 Verantwortlich für die Umsetzung dieser OEZA-Programme ist die "Austrian Development Agency" (ADA) in Burkina Faso.

7.3.1 Von den Anfängen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit in Burkina Faso Dass diese eingangs erwähnte Zusammenarbeit Österreichs auf entwicklungs- politischer Ebene mit Burkina Faso schon so lange besteht (immerhin seit 1961), ist vor allem dem persönlichen Einsatz dieses Mannes zu verdanken: Dr. Bruno Buchwieser, der Gründer der "Österreichischen Jungarbeiterbewe- gung" (ÖJAB) und der Wegbereiter der Entwicklungszusammenarbeit für die- ses westafrikanische Land. Um das soziale Engagement Buchwiesers und seine Ambitionen für das damals den Österreichern wohl sehr fremde Burkina Faso nachvollziehen zu können, erfolgt im Zeitraffer ein Rückblick auf sein Leben und Werk.

7.3.2 Wer ist Dr. Bruno Buchwieser?

7.3.2.1 In die väterlichen Fußstapfen Während seiner Zeit bei den Sappeuren im 1. Weltkrieg lernte Bruno Buch- wieser senior Julius Raab und durch den "Österreichischen Gewerbeverein" in

321 BUNDESMINISTERIUM FÜR AUSWÄRTIGE ANGELEGENHEITEN, SEKTION ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT (2002): Burkina Faso. Management der Ressourcen. In: Weltnachrichten 1/2002. S. 18.

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weiterer Folge Eduard Heinl, den damaligen Handelsminister, kennen, Letzte- rer wurde zum Mentor der Jungarbeiteridee von Buchwiesers Sohn. Der Vater, Buchwieser senior, der als Familiare des Ordens der Unbeschuhten Karmeliter die Funktion eines Generalordensbaumeisters erwarb, war neben seiner inter- nationalen Bautätigkeit für den Orden auch für die fortlaufende Renovierung des Stephansdoms zuständig. In dieser Zeit kam es zu engen Verbindungen mit dem wegen seiner Rolle während des NS-Reichs umstrittenen Erzbischof von Wien, Kardinal Theodor Innitzer, die in Folge ausschlaggebend für die soziale Berufung von Buchwiesers Sohn werden sollten. Der junge Buchwieser (geb. 5.11.1919 – gest. 15.12.1993) promoviert am 6. April 1945 unter aben- teuerlichsten Bedingungen – Wien wurde am 2. April 1945 zur Festung erklärt – zum Doktor der Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule für Welthandel und wird von Kardinal Innitzer als Einsatzleiter mit dem jahrelangen Wieder- aufbau des durch den Angriff auf Wien teilweise zerstörten Stephansdoms be- traut, da Buchwieser senior angesichts der Kriegszerstörung resignierend die Leitung seiner Baufirma auf seinen Sohn und seine Tochter, Architektin Helene Koller-Buchwieser, überträgt. Zahlreiche junge, arbeitsuchende Menschen aus Niederösterreich und aus dem Burgenland kommen in der Nachkriegszeit nach Wien, erhalten aber mangels einer Unterkunft und eines Essensplatzes keine Arbeitserlaubnis.

7.3.2.2 Vom Vorbild der Zunfthäuser zur "Österreichischen Jungarbeiterbewegung" (ÖJAB) Angeregt durch seine Auseinandersetzung mit der Hutmacherzunft und des einstigen Zunftwesens im Rahmen seiner Dissertation, verwirklichte Buchwie- ser die Idee, "im Sinne der alten Dombauhütte für den Nachwuchs des Bau- handwerks ein Jungarbeiterinternat für Maurer- und Steinmetzlehrlinge zu gründen"322. Das erste Jungarbeiterinternat wurde 1946 mit großer finanzieller Unterstützung des Vaters in der zerbombten Himmelpfortgasse 19, einem Haus der Familie Buchwieser, eingerichtet. Kardinal Innitzer, selbst eine Lehre absolvierend, wurde mit Buchwieser zur treibenden Kraft der Jungarbeiter- bewegung. 1947 erfuhr die private Erziehungseinrichtung Buchwiesers durch

322 Folgende Hintergrundinformationen basieren auf: RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe.

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den Wiener Stadtschulrat die rechtliche Anerkennung. Aufgrund des Ansturms von Lehrlingen aus anderen Berufen auf das Heim wurde aus dem Jungarbei- terinternat für Maurerlehrlinge das "Erste österreichische Jungarbeiter- internat". Um der ganzen Idee aber Kontinuität zu gewährleisten, wurde die "Österreichische Jungarbeiterbewegung" als überparteiliche, überkonfessio- nelle Vereinigung, vorläufig noch ohne vereinsrechtliche Basis, gegründet, die allen offenstand, die sich zu Österreich, zum Christentum, zur Nächstenliebe und Brüderlichkeit bekannten, ungeachtet der Berufs- und Studienrichtung. Auch fasste Buchwieser den Begriff des "Jungarbeiters" weiter:

"... denn jeder Mensch, der sein Brot ehrlich verdient, ob als Professor oder als Taxifahrer, als Handwerker oder als Arzt, als geistiger oder als manueller Arbeiter – so ist doch jeder Arbeiter. Arbeiter nicht als Klassenbegriff, sondern als Ehrentitel für den arbeitenden Menschen. Also waren Lehrling, Gewerbeschüler, Stu- dent, Hilfsarbeiter, jeder für sich ein Jungarbeiter. Buchwieser ging davon aus, dass gerade das Zusammenwirken all dieser jungen Menschen etwas Wesentliches sei, um Klassenkampf und Diskrimi- nierung abzubauen."323

Buchwieser, den auch eine jahrelange Freundschaft mit Hermann Gmeiner, dem Begründer der SOS-Kinderdörfer, verband, verwehrte sich zeitlebens gegen jegliche Form der Vereinnahmung, ob parteipolitisch, konfessionell oder sonst wie geartet, stieß dafür aber nicht immer auf Gegenliebe.

7.3.2.3 "Vater Buchwieser"324 – ein Perpetuum mobile 1949 gab es bereits ein zweites, größeres Jungarbeiterinternat, das John- Schleiffer-Internat in Greifenstein, mit 70 Heimplätzen, das mit Unterstützung eines nach Amerika ausgewanderten und dort reich gewordenen Österreichers finanziert wurde, dem 1952 die Einweihung des früheren und zum Jungarbei- terdorf Hochleiten ausgebauten, international beachteten Perlhofs in Gießhübl durch Kardinal Innitzer im Beisein von Bundeskanzler Figl und Bundeskam-

323 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. 324 Ebd.

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merpräsident Julius Raab folgte. Sein Konzept beschreibt der Dr.-Karl-Renner- Preisträger mit folgenden Worten:

"... Ein weiterer Unterschied zum Lehrlingsheim liegt in der weitge- henden Betreuung während der Freizeit, unter anderem auch durch die Gewährung von Unterricht und Fortbildung. Es herrscht daher im Jungarbeiterinternat der Gedanke des zunftmäßigen Zusammen- schlusses und des Familienersatzes und damit des Wiederauflebens der alten Handwerksfamilie, des Zunftgeistes von einst, auf neuer und moderner Basis."325

In seiner Ansprache zur Verleihung des Karl-Renner-Preises an Bruno Buch- wieser (neben der Burgschauspielerin Prof. Helene Thiemig-Reinhardt) im Jahr 1953 erläutert Bürgermeister Franz Jonas die Beweggründe des Kuratoriums dieser Stiftung, die schon ein wenig in die Richtung des weiteren Wirkens Buchwiesers weisen:

"Es ist der Geist eines dem Fortschritt zugewandten, zu hoher Blüte der Humanität entfalteten Österreichertums, das mit allen Kräften des Herzens und des Verstandes an seinem sozialen Rechtsstaat baut. Es ist der Geist der Rechtschaffenheit, der in der hingebungs- vollen und opferbereiten Arbeit für das Gemeinwohl den höchsten Adel und in jedem Mitmenschen ein gleichberechtigtes Wesen er- blickt und sich tatkräftig um die friedliche Überwindung aller sozia- len und politischen Spannungen wie um die wirtschaftliche und kulturelle Hebung des gesamten Volkes bemüht ist. ... Es ist der Geist eines aufgeschlossenen Weltbürgertums, der im Bau von Brü- cken von Land zu Land und von Volk zu Volk seine vornehmste Aufgabe sieht, weil nur die aufrichtige Verständigungs- und Hilfs- bereitschaft nach innen und außen zu wirklichem Frieden und zu wirklichem Fortschritt und auch zur wirklichen Demokratie führt."326

325 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. 326 Ebd.

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Neben seinen zahlreichen österreichweiten Bauprojekten im Rahmen seiner Jugendarbeit – erste ökumenische Kirche (1954), Holland-Haus für ungarische Flüchtlinge (1957), Eigentumswohnbauten327 für Jungarbeiter, weitere Jung- arbeiterinternate, Studenten- und Jugendwohnheime und Jugendklubs der ÖJAB, die Europahäuser, Alters-Jugend-Heime – kam es auch auf der Ebene der Kultur-, Hobby- und Freizeitgestaltung für junge Menschen zu einer gan- zen Reihe von innovativen Kultureinrichtungen: Amateur-Jazz-Festivals im Wiener Konzerthaus unter zunächst österreichischer, dann internationaler Beteiligung, die im 2-Jahres-Rhythmus abgehaltene Graphik-Biennale, mit Adolf Frohner als erstem Preisträger, gemeinsam mit der Wiener Sezession, die Jugendmesse im Wiener Messepalast, der "Twen-Shop", Pflege des Chor- gesangs, des Volkstanzes, "Theatergruppen, Marionettenbühne, Amateur- funkstationen, eine Motorsportgruppe ..."328. Dieser Twen-Shop "wurde zu einer Woche der jungen Generation mit Jazz, Folklore, Beat und Pop-Musik, Filmvorführungen, Sportveranstaltungen, Diskussionen mit Politikern, Journa- listen und Künstlern, mit Dichterlesungen, mit einer Ausstellung moderner Kunst ..."329.

7.3.2.4 Buchwieser als moderner Netzwerker Der Visionär Buchwieser bewies von Beginn seiner Tätigkeit an, ein unglaubliches Geschick im Auftreiben von Mäzenen, "Social Sponsoring"-Part- nern – die Namensliste der "geistigen wie materiellen"330 Förderer und Unter- stützer seiner Jungarbeiteridee liest sich wie ein "Who’s who" der öster- reichischen Nachkriegsgeschichte: Manfred Mautner-Markhof, Leopold Figl, Julius Raab, Hans Lauda, sämtliche Präsidenten der Bundeskammer und der Wiener Handelskammer, Rudolf Sallinger etc. Ebenso setzten sich zahlreiche Politiker für die Idee der Jungarbeiterbewegung, die mittlerweile auch interna- tionale Beachtung fand, ein: Eduard Heinl, Heinrich Gleißner, Josef Klaus, Josef Holaubek, Theodor Körner u.a. Sie alle konnte er von seiner Idee

327 Die Wohnungen für Jungfamilien, die aus dem Familienfonds der ÖJAB finanziert wurden, kosteten im Jahr 1960 zwischen 4.000 und 10.000 Schilling (290–726 Euro). In: RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seiten- angabe. 328 Ebd. 329 Ebd. 330 Ebd.

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überzeugen, dennoch sah sich Buchwieser des Öfteren mit Anfeindungen (z.B. seitens der Gewerkschaft) oder Vorwürfen aus verschiedenen Lagern konfron- tiert, wie beispielsweise jenem, dass Katholiken und Protestanten "gemein- sam" in der ÖJAB tätig seien, die sich meist aus Interessenkonflikten, Macht- kämpfen, "Futterneid" bei der Verteilung der Fördermittel für die Jugend- erziehung etc. speisten.

7.3.2.5 Soziales Engagement über die Grenzen Österreichs hinaus Weitere wichtige Grundpfeiler im Lebenswerk Buchwiesers sind die Betreuung der Jugend in den von ihm gegründeten Jugendklubs, sein aktiver "Einsatz in der Entwicklungshilfe sowie die Arbeit zur Einigung Europas"331. Diese Bereiche werden aus dem durch die Vermietung erwirtschafteten Reingewinn des durch das im Sommer zum Hotel umgewandelten "Hauses International" finanziert. Das Konzept des Europahauses als Zentrum außerschulischer Bildung (Erwachsenen-Bildung), aber auch der Jugendarbeit, das in einigen europäi- schen Ländern bereits umgesetzt worden war, und das diese Europahäuser zu Orten der Begegnung werden ließ, war ein weiteres brennendes Anliegen Buchwiesers, der sich bereits in jungen Jahren für die Idee eines vereinten Europas begeisterte. Die Realisierung von 5 Europa-Häusern in Österreich und die damit verbundene Gründung der "Österreichischen Föderation der Europa- häuser" führten in weiterer Folge zu einer internationalen Föderation, deren Präsident Buchwieser 1964 wurde. Damit wurden die Türen zu internationalen Kontakten durch seine Präsenz im Straßburger Europarat, bei den Europäi- schen Gemeinschaften in Brüssel oder bei der Europäischen Bewegung aufge- stoßen. Mitte der 1950er Jahre wurde "Wien als erste Stadt außerhalb des Ost- blocks"332 von den kommunistischen Staaten als Veranstaltungsort für die "Weltjugendfestspiele" vorgeschlagen, denen sich Österreich als neutrales Land nicht verweigern konnte. Es wurde aber von einem Kreis von Funk-

331 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe. 332 Ebd.

200

tionären der Jugendorganisationen versucht, diese Festspiele mit sanftem333 Aktionismus zu sabotieren. Da weder die Kirche noch die Politiker die Eröff- nung übernehmen wollten, fiel auf Buchwieser als Vorsitzenden der Aktions- gemeinschaft die Wahl. Bei dieser Eröffnung suchte ein afrikanischer Geist- licher Buchwieser mit einem Anliegen auf.

7.3.2.6 Die ersten Burkinabe in Wien Dieser junge Geistliche war Pater Denis Tapsoba, der sich bereits in Frank- reich, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz erfolglos um Unterstützung bemüht hatte und Buchwieser sein Problem schilderte. Kom- munistische Länder wie Kuba oder die damalige Sowjetunion luden junge Menschen aus dem damals noch Obervolta benannten Burkina Faso ein, um dort eine Ausbildung zu erhalten. Die Angst Tapsobas bestand aber darin, dass die "Jugend Afrikas kommunistisch"334 werden würde. Weiters verfolgte der Jugendseelsorger die Absicht, eine Großreparaturwerkstätte für Autos einzu- richten, um damit den Jugendlichen seiner Diözese eine Arbeitsmöglichkeit zu geben. Buchwieser, der erst einmal nachfragen musste, wo Obervolta335 denn liege, handelte daraufhin einen Vertrag aus, indem sich die ÖJAB verpflichtete, auf ihre Kosten 6 Lehrlinge aus Burkina Faso nach Wien einzuladen, um ihnen eine Ausbildung zu finanzieren.

"So entstand die Euro-Afro-Asiatische Aktion der Jungarbeiterbewe- gung. ... Mitte Oktober 1961 trafen die sechs jungen Männer aus Obervolta in Wien ein. Den Weltspartag benützte Bruno Buchwieser, um die Gruppe, in ihre malerische Tracht gekleidet, dem Oberku- rator der Ersten Österreichischen Spar-Casse, Präsident Dr. h.c. Manfred Mautner-Markhof, sowie den Herren der Geschäftsleitung vorzustellen, was beträchtliches Aufsehen am Wiener Graben erreg- te – und der Jungarbeiterbewegung einen Scheck von 100 000

333 "Sanft" deshalb, da Außenminister Figl diesem Agieren zustimmte, unter der Bedingung, dass der Regierung daraus keine außerpolitischen Schwierigkeiten erwüchse. 334 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe. 335 Am 4. August 1984 wurde der Name "Obervolta" in "Burkina Faso" geändert.

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Schilling einbrachte, um damit den Aufenthalt der Schwarzafrikaner zu finanzieren."336

Abb. 9: "Manfred Mautner-Markhof, Oberkurator der Ersten Österreichischen Spar-Cassa, begrüßt die ersten Jungarbeiter aus Obervolta" (rechts: Bruno Buchwieser)337

7.3.2.7 Die österreichisch-burkinischen Beziehungen vertiefen sich ... Diese österreichweit erste Gruppe von Burkinabe schloss im Schuljahr 1965/66 ihre Lehre in technisch-gewerblichen Berufen ab. Zwischenzeitlich war eine Delegation 1964 der ÖJAB nach Burkina Faso geflogen, um die Idee für eine dortige technisch-gewerbliche Schule zu besprechen. 1965 berichtete der damalige "voltaische" Außenminister Ilboudo im Auftrag seiner Regierung bei seinem Wien-Besuch Außenminister Bruno Kreisky vom Fortschritt des Schulprojektes als auch von der Intention, ein Generalkonsulat in Wien errich- ten zu wollen. Buchwieser seinerseits arbeitete ein Entwicklungshilfeprojekt aus, das dem "Interministeriellen Komitee zur Förderung der Entwicklungs- länder" unterbreitet wurde, und gründete die Österreichische-Burkinische

336 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe. 337 Übernommen aus: RITSCHEL, Karl Heinz: Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne J. + S.

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Gesellschaft, um Entscheidungsprozesse positiv zu beschleunigen. Am 29. Juli 1966 wird Buchwieser "zum Honorar-Generalkonsul der Republik Obervolta in Wien mit dem Amtsbereich für ganz Österreich"338 ernannt. Das General- konsulat wurde seit diesem Zeitpunkt als Bürogemeinschaft mit der ÖJAB geführt und stellte bis 1997 die einzige österreichische Vertretung von Burkina Faso dar. Seit 1997 gibt es eine offizielle Botschaft in Wien, der die ÖJAB bei organisatorischen und anderen Fragen als Beraterin zur Verfügung steht.

7.3.2.8 Ausbildungszentren in Mödling und Ouagadougou Die Ernennung zum Generalkonsul hatte folgenden Hintergrund: Das von der Jungarbeiterbewegung initiierte und heute noch von dieser betreute öster- reichische Schulprojekt – das technisch-gewerbliche Berufsausbildungszen- trum CAFTP (Centre Autrichien de Formation Technique Professionelle) – lief auf Hochtouren, man stand im regen Verhandlungsaustausch und schloss mit der "Republik Obervolta" diesbezüglich einen Vertrag ab. Ein eigens gegrün- deter Schulverein und die ÖJAB wurden mit dem Bau und der Leitung der Schule beauftragt. Aufgrund der miserablen wirtschaftlichen Verhältnisse wurde Buchwieser ersucht, die Interessen für das westafrikanische Land in

Wien als sein Generalkonsul zu wahren.

Am 16. Oktober 1966 wurde Pater Denis Tapsoba von Papst Paul VI. zum Bischof von Ouahigouya ernannt. Tapsobas Wunsch war es, die Weihe in Wien empfangen zu dürfen, da er sich zutiefst der Jungarbeiterbewegung verbunden fühlte. Kardinal König nahm in Anwesenheit von Buchwieser, dem persönlichen "Vertreter des Staatspräsidenten von Obervolta"339, die Konsekration des ers- ten afrikanischen Bischofs in Österreich vor. Bald darauf machte sich die erste Gruppe der ÖJAB zur Realisierung des Schulprojekts nach Burkina Faso auf.

338 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe. 339 Ebd.

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Abb. 10: "Bischof Denis Tapsoba, Mitglied der ÖJAB, in Wien zum Bischof geweiht"340

Parallel zu den Aktivitäten für das afrikanische Land wurde 1969 in Koope- ration "mit der Republik Österreich und der Bundeskammer der Gewerblichen Wirtschaft ein Ausbildungszentrum für Berufsschullehrer aus den Entwick- lungsländern und für österreichische Entwicklungshelfer"341 (Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht, Schulerhalter: ÖJAB) realisiert, das sich regen Zustroms erfreute. Deshalb wird seit Mitte 1976 die Schulung über das Berufspä- dagogische Institut für Entwicklungshilfe (BPI) in Mödling abgewickelt, das auch in Kooperation mit dem Außenministerium die EZA-Projekte der ÖJAB in Afrika, Asien und Lateinamerika koordiniert.

340 Übernommen aus: RITSCHEL, Karl Heinz: Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne J. + S. 341 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe.

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1970 wird die Schule mit technisch-gewerblicher Ausrichtung unter dem Namen "Centre Autrichien de formation technique et Professionnelle" (CAFTP), der in Folge dreimal geändert wurde und in seiner jetzigen Namensführung auf seinen einstigen Gründer hinweist, in Ouagadougou mit Mitteln der öster- reichischen Entwicklungszusammenarbeit eröffnet. Weiters wurden auch Sti- pendien für Personen aus Burkina Faso, aber auch aus anderen armen Ländern zum Studium an österreichischen Hochschulen vergeben und österreichische Einrichtungen, die sich mit Entwicklungszusammenarbeit auf Forschungsebene befassten, erhielten finanzielle Zuwendungen.

"'Österreich bekennt sich zu den Zielen der 'Internationalen Strategie der zweiten Entwicklungsdekade der Vereinten Nationen', nach welcher bis 1980 ein Prozent des Bruttonationalproduktes für Entwicklungshilfe zur Verfügung gestellt werden soll.' Österreich liegt allerdings, wie viele andere Länder auch, erheblich unter diesem Ziel und es bedarf wohl Männer wie Buchwieser, um das soziale Gewissen der satten Indus- trienationen aufzurütteln und den Entwicklungsländern zu helfen."342

Auch wenn sich der zu leistende Prozentsatz des Bruttonationalprodukts von 1980 in der Zwischenzeit auf 0,7 beläuft, ist Österreich von der Erfüllung dieses Versprechens damals wie heute noch immer weit entfernt. Buchwiesers persönliches Aktivwerden für Burkina Faso manifestierte sich konkret in der Schaffung dieses Technisch-Gewerblichen Berufsausbildungszentrums in Form von 2 Lehrwerkstätten für Maschinenbau und Elektrotechnik mit angeschlos- senem Internat (200 Heimplätze) in der Hauptstadt Ouagadougou; neben der technischen Ausbildung sollten die Schüler auch eine umfassende Schulbildung erhalten, in 6 Klassen werden 30 bis 40 Schüler unterrichtet.

Abschließend kann festgehalten werden, dass Dr. Bruno Buchwieser durch sein spontanes Handeln zum Wegbereiter und Vorreiter einer dauerhaften Entwick- lungszusammenarbeit für Burkina Faso wurde – sein Motto "Schenkt ihnen

342 RITSCHEL, Karl Heinz (o.J.): Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne Seitenangabe.

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keine Fische, sondern lehrt sie, selbst Fische zu fangen"343 setzte er mit verschiedenen Projekten dahingehend in die Tat um. 1977 wurde ihm dies mit einem Orden der ehemaligen Republik Obervolta gedankt. Mittlerweile gibt es ein Repräsentanzbüro der ÖJAB und des BPI in Ouaga- dougou (seit 1998), das ÖJAB-Projekte der Entwicklungszusammenarbeit betreut. Die Fachschule für Maschinenbau und Elektrotechnik, das "Centre d'Enseignement Technique et de Formation Professionnelle – Dr. Bruno Buch- wieser" (CETFP/BB), das für Mädchen und Buben zugänglich ist, bietet den jungen Menschen in diesem Land eine fundierte Berufsausbildung und damit erhöhte Chancen auf bessere Lebensbedingungen. Die Schule selbst wurde 1995 dem Staat Burkina Faso überantwortet, ganz im Sinne von "Hilfe zur

Selbsthilfe", wie es Buchwieser intentierte.

7.4 Die "Austrian Development Agency" (ADA) in Ouagadougou

7.4.1 Kurzporträt der ADA 1996 wurde von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ein Koor- dinationsbüro (Bureau de Coordination de la Coopération pour le Dévelop- pement) in Ouagadougou eingerichtet, das wie bereits erwähnt für die Umset- zung der konkreten Projekte und Programme vor Ort verantwortlich zeichnet. Die in Burkina Faso vor allem unter dem Namen "Coopération Autrichienne pour le Développement" bekannte ADA tritt neben ihrem eigentlichen von der OEZA vorgegebenen Schwerpunktprogramm gelegentlich durch (Ko-)Produk- tionen (Konzert von Hubert von Goisern, 2002) mit dem Centre Culturel Fran- çais Georges Méliès als auch anderen Partnern bzw. durch Sponsoring von Kulturveranstaltungen ins Bewusstsein der burkinischen Öffentlichkeit ("Jazz à Ouaga"-Festival).

343 Quelle: http://www.oejab.at/ueber_uns/taetigkeitsbereiche/entwicklung/index.htm.

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7.4.2 Relevanz von Theater innerhalb der OEZA-Projekte Die Kontaktaufnahme mit der ADA in Ouagadougou bezüglich Verwendung von Theater in ihren Projekten erfolgte über einen längeren Zeitraum in mehreren Etappen mit unterschiedlichen Ansprechpartnern – über E-Mail-Verkehr, aber auch in Form von Treffen direkt vor Ort im zuständigen ADA-Koordinations- büro in Ouagadougou während mehrmaliger persönlicher Aufenthalte in Burki- na Faso. Im Rahmen einer mittels Fragebogen gestalteten Befragung erklärte sich die derzeitige Leiterin, Mag. Elisabeth Sötz, freundlicherweise im Sommer 2008 bereit, Antworten auf Fragen in Bezug auf die Entstehungsgeschichte und Beweggründe des entwicklungspolitischen Engagements der OEZA/ADA in Burkina Faso einerseits und auf den möglichen Einsatz von Theater bei Projektpartnern etc. andererseits zu geben. Diesem Frage-Antwort-Katalog geht jedoch eine erstmalige Anfrage bezüglich Einsatz von Theater in der EZA- Arbeit im Frühling 2002, ebenfalls an Mag. Elisabeth Sötz, voraus.

7.4.3 Ergebnisse der ersten Anfrage vom Frühling 2002 Auf die Frage, inwieweit Theatergruppen in die Arbeit der OEZA in Burkina Faso eingebunden werden, wurde diese an den Koordinator Lucien O Ye des Projekts GERN (Projet d’appui à la Gestion des Ressources Naturelles) in der Region um Bobo-Dioulasso, wo es laut Mag. Elisabeth Sötz die meisten Erfahrungen in diesem Bereich damals gab, weitergeleitet, mit der Bitte, seine diesbezüglichen Erfahrungen zusammenzuschreiben. Frau Sötz schreibt des Weiteren:

"... der Einsatz von Theatergruppen für die Aufklärung im Ländlichen Raum wird zwar auch bei uns schon länger diskutiert, aber ist (noch?) nicht in allen Projekten verwirklicht. Beim Projekt GERN handelt es sich um (ein) Projekt, das sich breit angelegt mit der Verbesserung der Situation im ländlichen Raum beschäftigt – von Ressourcenschutz (Baumpflege) über Gewährleistung der Trink- wasserversorgung bis zu gezielter Förderung von Dorfgenos- senschaften und Fraueninitiativen."

207

7.4.3.1 Das Projekt GERN – ein anschauliches Fallbeispiel für "Theater der sozialen Intervention" Das als Durchführungsagentur für die Abwicklung der Projektdetails zustän- dige Büro ist die Entwicklungswerkstatt Austria, ein in Hallein ansässiger Verein, der auch eine Vertretung in Burkina Faso hat. Eine Teilfinanzierung für dieses Projekt GERN kommt von der Caritas Tirol, der Rest wird von der OEZA, also mit Mitteln des Außenministeriums, getragen. Dieses Projekt ist seit 1993 im Westen von Burkina Faso tätig, seit Jänner 2001 kam es zu Veränderungen sowohl vom Standpunkt der Vorgehensweise als auch in der Interventionszone selbst, die mit dem Entstehen neuer Dörfer konfrontiert war. Um eine bessere Implikation der Projektpartner an der Basis zu ermöglichen, wurde im Rahmen des Projekts vorgeschlagen, Theater- aufführungen in den Dörfern der Interventionszone zu veranstalten.

7.4.3.2 Wie kann die lokale Bevölkerung besser mit Informationen erreicht werden? Der Prozess der lokalen Entwicklung, dessen Hauptinstrument der "Lokale Entwicklungsfonds" (Fond de Développement Local – FDL) ist, stützt sich wie der demokratische Prozess des ganzes Landes auf Transparenz und wechsel- seitigen Austausch. Um die Basis für einen funktionierenden Informationsfluss zu gewährleisten, gibt es den Einsatz von Kommunikationsmitteln wie Radio, Fernsehen oder Zeitschriften, allerdings sind diese nur für einen kleinen Teil der Bevölkerung zugänglich und damit nicht effizient, da sie nicht die wirklich betroffenen Randgruppen erreichen, die gewisser Informationen dringend be- durften. Im ländlichen Bereich werden bei Entwicklungsprojekten wie bei- spielsweise GERN in Burkina Faso Sensibilisierungs- bzw. Informations- veranstaltungen, Animationen, aber auch Diskussionsrunden abgehalten, um die Botschaften der Projektträger zu transportieren. Sechs Monate später, nachdem der "Lokale Entwicklungsfonds" in das Projekt GERN eingeführt wurde, hatten einige externe Berater den Eindruck, dass zahlreiche Informationen bezüglich des "Lokalen Entwicklungsfonds" der Bevölkerung nicht bekannt waren. Die "Cellule d’Appui Technique" (CAT) hat durch das Überprüfen einiger Variablen wie das generelle Verstehen der Bot-

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schaft der Animationsteams oder die Sachdienlichkeit der in den Finanzie- rungsunterlagen enthaltenen Informationen einen wichtigen Informations- verlust der Botschaft identifiziert. Um diesen Informationsverlust zu verrin- gern, wurde nach einer Lösung gesucht, um mehreren Menschen die gleiche Botschaft im selben Moment zukommen zu lassen.

"Que faire quand on sait que les réunions classiques ne mobilisent plus les populations et ne permettent pas de toucher certaines catégories (femmes, jeunes, enfants ...) qui sont exclues soient par la communauté ou par elles-mêmes ... A notre connaissance, le seul moyen qui puissent répondre à cette fonction est le théâtre qui a l’avantage qui au-delà de l’utile, permet de joindre l’agréable."344

Aus der Erfahrung der Projektkoordinators über die Schwierigkeit, die Bevöl- kerung an der Teilnahme von klassischen Versammlungen zu mobilisieren, aber auch benachteiligte Gruppen wie Frauen, Jugendliche oder Kinder zu erreichen, entschied sich der Koordinator für den Einsatz des Theaters und wandte sich an die Truppe "Trace Théâtre" mit den vorher beschriebenen, ausgearbeiteten Zielvorgaben, um dieses von der Theatertruppe geschriebene und inszenierte Theaterstück dann in den Dörfern der Projekt-Interventions- zone spielen zu lassen.

7.4.3.3 Die mittels Theateraufführung verfolgten Zielsetzungen seitens des Auftraggebers (Terme de référence – TdR) Die Theateraufführung sollte dazu beitragen, das Projekt GERN der Bevöl- kerung besser vorzustellen, und zwar in Bezug auf:

. seine Philosophie und seine Interventionsmethodik, . seine Interventionszone, . seine Verwaltungsstrukturen, . seine Richtlinien zur Finanzierung von Mikrokrediten.

344 Lucien O Ye in "Reponses à quelques questions du BUCO sur le théâtre au GERN".

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7.4.3.4 Die szenischen Vorschläge seitens des Auftraggebers Um die zuvor beschriebenen Zielsetzungen zu erreichen, wurden folgende mögliche Szenarien in 4 Akten geplant: 1. Das Publikum wird mit einem Dorf konfrontiert, das mit allen nur denkbaren Problemen (Wasserproblem, sozioökonomischer Art etc.) zu kämpfen hat. Die Projektpartner treffen ein und machen eine Bestandsaufnahme des Dorfes für eine künftige Intervention. Für diese Projektintervention wird der Schwerpunkt auf die Unterstützung durch das Projekt, aber auch und vor allem auf das persönliche Eigenkapital (interne Anstrengungen) gelegt. Manche Dorfbewoh- ner sind dem Projekt gegenüber voller Vorbehalte, andere gehen auf das Angebot ein. Es bietet sich hier auch die Gelegenheit, das Projekt GERN und seine Interventionszone zu präsentieren. 2. Die Wahlen für die Aufstellung der OVD (Organisation Villageoise de Développement – Dorforganisation für Entwicklung) erfolgen. Im Verlauf die- ser Wahlen soll der Akzent auf die Werte der Demokratie gelegt werden, da einige Personen ein bereits im Alleingang beschlossenes Büro durchsetzen wollen. Es ist auch der Zeitpunkt, die Rolle eines jeden Mitgliedes dieses Büros zu erklären. 3. Die Bauern erscheinen mit Finanzierungsunterlagen für das Mikroprojekt, manche von ihnen gehören aber keiner dörflichen Gruppierung an. Es muss ihnen also erklärt werden, dass sie, um eine Finanzierung erhalten zu können, einer Gruppierung beitreten müssen. Anderen wiederum, die bereits einer Gruppierung angehören, deren Unterlagen aber schlecht aufbereitet sind, muss ebenfalls verständlich gemacht werden, dass sie diese besser ausarbeiten müssen. Hier bietet sich die Möglichkeit, die Finanzierungs- richtlinien den Dorfbewohnern näher zu bringen. 4. Über die Finanzierungsanträge berät ein Entscheidungskomitee im Rahmen einer Zusammenkunft, das die Anwesenheit des Präfekten des Verwaltungs- bezirks, des RAV (Responsable Administratif du Village – Verwaltungs- beauftragter des Dorfes), der Vertreter des technischen Diensts, der Reprä- sentanten des OVD (Organisation Villageoise de Développement – Dorforgani- sation für Entwicklung) und jene des Projekts GERN erfordert. Das Szenario soll einerseits ein Beispiel für einen ordnungsgemäß gestellten

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Finanzierungsantrag, dem durch Abstimmung zugestimmt wird, und anderer- seits eine Anfrage zur Finanzierung eines Mikroprojekts, das allerdings aufgrund seiner schlechten Aufbereitung abgewiesen wird, aufzeigen.

7.4.3.5 Damit verbundene Auflagen seitens des Auftraggebers Die damit beauftragte Theatertruppe muss den Hauptakzent auf den Gender- Aspekt legen (Partizipation von Frauen, Berücksichtigung der Anliegen von Frauen, vorteilhafte Finanzierungsart, vermindertes Eigenkapital). Seitens der Projektträger von GERN ist eine einzige Aufführung intendiert, die gefilmt werden soll, um später in den Dörfern von Betreuerteams zur Sensibilisierung gezeigt zu werden. Die Theatertruppe muss einen Kostenvoranschlag unterbreiten.

7.4.3.6 Die Truppe "Trace Théâtre" Diese 1992 gegründete und in Bobo-Dioulasso ansässige Theatertruppe unter der Leitung von Moussa Sanou besteht aus jungen Schauspielern, die bereits Erfahrung mit "théâtre de sensibilisation" zu folgenden Themen gesammelt haben:

. SIDA (AIDS), Auftraggeber: PPLS (Projet 'Plurisectoriel de lutte contre le VIH/SIDA'), 1996 . Umweltverschlechterung und Kampf gegen die Buschbrände in den Provinzen Houet und Kénédougou, Auftraggeber: CONAGESE (Comité National de Gestion et du Suivi de l’Environnement), 1996 . Familienplanung, Aufftraggeber: PPLS, 1996 . Umweltverschlechterung und Kampf gegen die Buschbrände in Ouarkoye, unter der Ägide der "Directions Régionales de l’Environnement des Hauts-Bassins et du Mouhoun", Finan- zierung: CILSS (Comité Permanent Inter-Etats de Lutte contre la Sécheresse dans le Sahel), 2000 . Verschlechterung der Flussböschung des Flusses Mohoun in Padema, unter der Ägide der "Directions Régionales de l’Environnement des Hauts-Bassins et du Mouhoun", Finan- zierung: CILSS (Comité Permanent Inter-Etats de Lutte contre la Sécheresse dans le Sahel), 2000 . Interventionsmethodik des 3. Stadtentwicklungsprojekts, 2000–2001

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"Suivre des traces pour laisser des traces" („Den Spuren zu folgen, um Spuren zu hinterlassen“) steht für die Idee hinter dem gewählten Truppennamen und soll gleichzeitig auch die Richtung dieses Theateransatzes erkennen lassen, nämlich das "Théâtre pour le Développement". Theater wird von den "acteurs de la vie sociale" als Beförderungsmittel für Information, Kommunikation und Erziehung begriffen, mit dem sie im Rahmen ihrer Auftragsarbeiten direkt zur Bevölkerung in den burkinischen Städten und Dörfern kommen.

7.4.3.7 Arbeitsmethode von "Trace Théâtre" Aufbauend auf den Zielvorgaben seitens des Projektträgers GERN schreibt die Truppe ein Stück – "en faisant ressortir quelques mauvaises attitudes et habitudes des responsables face á leur rôles, et proposer un comportement exemplaire dans la gestion du Fond de Développement Local (FDL)" –, das mit den Verantwortlichen des technischen Diensts (CAT) diskutiert wird. Die Truppe stellt das Stück in Rechnung, das von nun ab das Eigentum der Projektträger ist. Die Truppe erarbeitet eine Inszenierung mit anschließender Aufführung für die Auftraggeber aus, um die Umsetzung der Projektzielvorgaben mit der Insze- nierung beurteilen und überprüfen zu können. Wenn der Auftraggeber zu- stimmt, wird die Programmierung der Auftritte festgelegt. Jeder dieser Auf- tritte wird extra verrechnet, das Ganze wird innerhalb eines Dienstleis- tungsvertrags geregelt. Die Methode und Hauptstrategie zur Erarbeitung und Präsentation eines Stückes erfolgt in 3 Phasen:

7.4.3.7.1 Die Konzeption Während dieser Phase erhalten die Schauspieler der Truppe einen Crashkurs in Bezug auf das zu erarbeitende Thema. Der Dramaturg und der Regisseur sammeln die notwendigen Informationen bei der Animationstruppe des Projekts GERN ein. Diese Vorgangsweise erlaubt dem Regisseur bzw. dem Dramaturgen, den Kanevas der Aufführung zu konzipieren und allen anderen der Truppe ein Schauspiel zu gestalten, das den Erwartungshaltungen der Auftraggeber entspricht. Auch begünstigt diese Arbeitsweise eine bessere

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Vorbereitung auf Fragen, die während der Debatten gestellt werden können.

7.4.3.7.2 Die Kreation des Stücks (die künstlerische Recherche) Diese Phase ist durch das gemeinsame Schaffen unter der Leitung von Moussa Sanou auf der Basis eines bereits geschriebenen Kanevas gekennzeichnet. Die theatrale Ästhetik legt hier den Akzent auf die Geste, ein wichtiges Kommu- nikationselement in Afrika, unter Verwendung von Dioula, jener Sprache, die im Westen von Burkina Faso am meisten verwendet wird (Kap. 3.3 "Kultur- einrichtungen und -aktivitäten in den Provinzen von Burkina Faso", S. 55). Die Projektvorgabe sieht das Theaterspiel in den Dörfern vor, deshalb wird das Stück auch schlicht angelegt, um den Transport und den Aufbau des Dekors zu erleichtern, aber vor allem um die Intervention an verschiedenen Orten ("Centre Culturel", jegliche Art von Veranstaltungssälen, Schulhöfen, öffent- lichen Plätzen, "Maison des jeunes", Bars) stattfinden zu lassen.

7.4.3.7.3 Die Tournee (die Realisierung der Vorstellungen) Es handelt sich um mindestens acht Aufführungen in verschiedenen Dörfern. Für den Erfolg der Veranstaltung ist der Tourneeverantwortliche aufgefordert, neben den politischen, den dörflichen und administrativen Autoritäten vor allem die Menschen des jeweiligen Orts, die eigentlichen Zielgruppen, zu mobilisieren.

7.4.3.8 Verpflichtungen seitens der Theatertruppe Die Truppe bedingt sich höchstens 30 Tage, mindestens aber 15 Tage zum Kreieren des Stückes (Proben) aus. Die Kostenübernahme für die anfallenden 15 Tage wird dem Projekt GERN angelastet, die nachfolgenden Tage liegen in der Verantwortlichkeit der Theatertruppe. Am Ende des Kreationsprozesses werden die Projektverantwortlichen zur Generalprobe eingeladen; ihre Bemer- kungen und Vorschläge, mit dem Zweck, das Niveau der Vorführung bzw. die Form oder den Inhalt zu verbessern, werden berücksichtigt und bei den nächs- ten Proben eingearbeitet. Wird die Phase der Aufführungen nicht übernom- men, auch wenn die Arbeit von den Verantwortlichen als zufriedenstellend beurteilt wird, muss dies schriftlich an die Adresse der Kompanie erfolgen. Die

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Aufführung umfasst das Dekor, die Kostüme und die Accessoires. An jede Aufführung schließt eine Debatte an, was der Zielgruppe, also der lokalen Bevölkerung erlaubt, sich direkt in die Diskussion einzubringen und Gelegenheit für einen befruchtenden Austausch bietet.

7.4.3.9 Verpflichtungen seitens des Auftraggebers Das Projekt GERN sichert als Arbeitgeber die Kostenübernahme des im Rahmen der Aufführungen benötigten Personals zu, weiters den Transport in beide Richtungen, die Bereitstellung eines Stromaggregats während der Aufführungen und alle weiteren damit in Zusammenhang stehenden Kosten.

7.4.3.10 Von der Truppe formulierte Erwartungshaltung Die Realisierung dieses Projekts erlaubt den betroffenen Zielgruppen:

. besseres Kennenlernen des Projekts GERN und der Verwaltungsstrukturen des "Lokalen Entwicklungsfonds" (FDL), . besseres Verständnis für die Mechanismen der Antragstellung für Mikroprojekte und den Finanzierungscode für FDL, . in Bezug auf die Frauen: besseres Verständnis für die Aktivitäten des Projekts GERN und die damit verbundenen Vorteile, die ihnen damit eingeräumt werden.

7.4.3.11 Wurden die Erwartungen erfüllt? Nach acht Aufführungen scheint das Theaterprojekt die darin gesetzten Erwartungen erfüllt zu haben und der Auftraggeber ist mit dem erreichten Ergebnis zufrieden. Um die aussagekräftigen Indikatoren viel genauer bestim- men und damit den Impact der Theatertruppe zunächst auf die Bevölkerung und des Weiteren auf die Projektaktivitäten einschätzen zu können, dürfen folgende Punkte festgehalten werden:

. die Zahl der mit Informationen erreichten Personen hat sich beträchtlich erhöht, . jene Bevölkerungsgruppen, die am schwersten zu mobilisieren waren, sind bei den Aufführungen die am interessiertesten (Frauen, Jugendliche, Kinder), . der Prozess des "Ländlichen Entwicklungsfonds" wurde besser verstanden, was sich anhand der Fragestellungen nach den Veranstaltungen oder an jenen während eines Dorfbesuchs bzw. im Projektbüro selbst erkennen lässt, . die Zahl und die Qualität der Finanzierungsanträge haben sich erhöht, . das Diskussionsniveau im Rahmen von Entscheidungssitzungen hat sich gesteigert.

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7.4.3.12 Resümee Dieses hier sehr detailliert beschriebene Projekt, dessen Koordinator sich mit ganz bestimmten Erwartungshaltungen an die Truppe "Trace Théâtre" wendet, um mittels des Einsatzes von Theater die unterschiedlichen Bevölkerungs- gruppen zu erreichen, zeigt sowohl die Intentionen und Vorgaben der Auftrag- geberseite, des Projektkoordinators, als auch den Leistungskatalog und die Auflagen seitens der Auftragnehmerseite, der Theatertruppe, anschaulich auf. Dies ist für das Gesamtbild der weiteren Forschungsarbeit insofern von gro- ßem Interesse, als während des dreimonatigen Forschungsaufenthalts beim "Atelier Théâtre Burkinabè" eine solche Einsichtnahme in die Zusammenarbeit mit Projektpartnern bzw. Auftraggebern nicht möglich war. Darüber hinaus erfährt man aber auch von Frau Mag. Sötz, dass auf entwicklungspolitischer Entscheidungsebene "der Einsatz von Theatergruppen für die Aufklärung im Ländlichen Raum" zwar angedacht wird, dieser in der Praxis aber kaum statt- findet. Die in der Entwicklungszusammenarbeit verwendeten Termini345 sind für außerhalb dieser Debatte Stehende anfänglich ein wenig gewöhnungs- bedürftig, so beispielsweise bei Begriffen wie "Interventionszone", Empower- ment oder "Sensibilisierung", die sehr oft in solchen Projekten verwendet werden. Von der ursprünglichen Intention seitens des Auftraggebers, nur eine Aufführung spielen zu lassen, die gefilmt werden soll, um dann in den Dörfern zur "Sensibilisierung" gezeigt zu werden, ist man abgegangen, wie die im Protokoll festgehaltenen 8 Theateraufführungen bestätigen. Die Gründe für das Abgehen vom ursprünglichen Konzept werden nicht angeführt, vermutlich konnte die Truppe den Koordinator von der Wichtigkeit des Theaterspiels und seiner Unmittelbarkeit, aber vor allem von der Interaktion mit dem Publikum, das ja die betroffenen Bevölkerungsgruppen sind, überzeugen, vielleicht waren andere Beweggründe ausschlaggebend. Obwohl Theater als solches keine größere Rolle in der Vermittlung von entwicklungspolitischen Inhalten generell spielt, wurde hier dem Theater als Einzigem die Kraft zugesprochen, die Menschen in den Dörfern zu mobili-

345 In diesem Zusammenhang wäre die im ÖFSE leider nicht mehr auffindbare Forschungsarbeit von Brigitta Bauchinger sehr aufschlussreich gewesen. Siehe: BAUCHINGER, Brigitta (2000): Ent- wicklungszusammenarbeit und Partnerschaft: Studie über wandelnde Begriffsbelegungen und deren Auswirkungen in den gemeinsamen Projekten zwischen Burkina Faso und Österreich am Beispiel der technischen Berufsbildung. Strasbourg.

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sieren: "A notre connaissance, le seul moyen qui puissent répondre à cette fonction est le théâtre qui a l’avantage qui au-delà de l’utile, permet de joindre l’agréable."346 Bei Theateraufführungen kann also das Nützliche mit dem Angenehmen verbunden werden; die ländliche Bevölkerung, vor allem die oft von der Gemeinschaft ausgeschlossenen oder sich selbst ausschließenden Ziel- gruppen wie Frauen, Jugendliche oder Kinder, die klassischen Versammlungen fernbleiben, können im Rahmen von Theateraufführungen erreicht werden. Das konnte auch sehr deutlich beim Kapitel 3.3 "Kultureinrichtungen und -aktivitäten in den Provinzen von Burkina Faso" (S. 55) und bei seinen 5 Kulturachsen in Bezug auf die Publikumszusammensetzung und ihre Beteili- gung bei Kulturveranstaltungen im Rahmen dieser Arbeit aufgezeigt werden. Ausgewählt wurde eine Theatergruppe aus der unmittelbaren Region, die zum einen die lokale Sprache, Dioula, beherrscht und in ihrer Theaterarbeit ver- wendet (siehe Übersichtstabelle "Kulturachse 1 – der Westen von Burkina Faso"), die zum anderen aber schon einige Erfahrungen im Bereich "théâtre de sensibilisation" und in der Zusammenarbeit mit Organisationen vorweisen kann und den Ansatz der Theater-Debatte vertritt und praktiziert. Das Stück wird im Rahmen einer "création collective" erarbeitet, basierend auf einem vom Regisseur/Dramaturgen vorgegebenen, geschriebenen Textgerüst. Damit die Aufführung von möglichst vielen Menschen im jeweiligen Zielgebiet gese- hen wird, ist der Tourneeverantwortliche aufgefordert, jene Werbemaßnahmen zu treffen, die den größten Impact haben (siehe Kap. 3.3.1.1 "Kulturachse 1 – der Westen von Burkina Faso", S. 58). Die Kürze der veranschlagten Probe- dauer von 15 Tagen lässt auf die Professionalität der Truppe schließen. Der Auftraggeber sieht seine Zielvorgaben erreicht, die in einer höheren Parti- zipation bestimmter Bevölkerungsgruppen und in einer damit verbundenen Akzeptanz des Projekts GERN als auch in einem veränderten (Finanzierungs-)- Antrags- und Diskussionsgebaren zum Ausdruck kommen.

346 O YE, Lucien: Terme de référence pour création et représentation théâtrale. Bobo-Dioulasso. Frühling 2002.

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7.4.4 Ergebnisse der zweiten Anfrage vom Sommer 2008 Zum besseren Verständnis und aus Gründen der Nachvollziehbarkeit werden die Fragen an Mag. Elisabeth Sötz und ihre Antworten vom Sommer 2008 nachfolgend wiedergegeben:

7.4.4.1 Fragen-Antworten-Katalog

1. Seit wann ist die "Coopération Autrichienne pour le Développement" (CA) in Burkina Faso tätig und was waren die anfänglichen Beweggründe für ein Engagement in diesem westafrikanischen Land? Welchen Bezug gibt es im Vergleich zu einem Land wie Frankreich, dessen Präsenz durch historische Ereignisse nachvollziehbar ist?

"Ein offizielles Abkommen zwischen der Republik Österreich und Burkina Faso über die Aktivitäten der CA wurde 1991 unterzeichnet, das Koordinationsbüro 1996/97 eingerichtet. Die Gründe lagen in der Präsenz österreichischer NRO im Land seit den 60er Jahren, es gab also schon eine weitreichende Erfahrung in der (informellen) Zusammenarbeit."

2. In Uganda gibt es in den letzten Jahren die Tendenz, Theater als Kommu- nikationsmittel für verschiedene Themen bzw. Botschaften einzusetzen, die unter anderem von der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit geför- dert werden ("Ndere-Group", Daniela Minichberger, Institut für Theaterwissen- schaft, Universität Wien, wurde vor ein paar Jahren mit einem diesbezüglichen Forschungsprojekt beauftragt). Wie schaut die Situation in Burkina Faso aus? Gibt es ähnliche Erfahrungen?

"Es gab und gibt keinen direkten Projektvertrag mit Theatergruppen in Burkina Faso, aber mehrere Projekte setzen Theater als Mittel in der Sensibilisierung ein. Eine Förderung findet punktuell auch über die Öffentlichkeitsarbeit des Koordinationsbüros statt, so wurden z.B. zum Nationalfeiertag 2007 die Partner des Koordinationsbüros zu einer Aufführung der 'Geste des Etalons' eingeladen, eine Art Zirkus-Theater, das zum Ziel hat Traditionen zu bewahren, zu erneuern und dabei auch Sensibilisierungs- themen einfließen zu lassen (in diesem Fall: Bodenproblematik, Konfliktmanagement, Gender)."

3. Gibt es Projekte seitens der CA, in denen Theater in irgendeiner Form eine Rolle spielt? Wenn ja, welche?

"1) Die Projekte, die von EWA (Entwicklungswerkstatt Austria, eine österreichische NGO) durchgeführt werden, nutzen Theaterelemente vor allem in der Sensibilisierung für das Thema Gender und bei Kursen zur Förderung von Frauen (Rhetorik, Lobbying etc.). 2004 hat eine lokale Theatergruppe ein Stück ausgearbeitet, das vor allem Part- nerInnen der Projekte PFDL/BH347 und Prom’Art/BF348 gezeigt wurde (i.e. landwirt- schaftlich Tätigen und HandwerkerInnen im Westen, Nord-Westen und Norden Burki- nas). Die Ziele des Stücks werden angegeben mit:

347 Programm zur Unterstützung der Verwaltung des Lokalen Entwicklungsfonds in den Provinzen Balé und Houet – PFDL/BH (Quelle: http://www.ewa.or.at/index.php?sprojektuebersicht.html). 348 Programm zur Handwerkerförderung in Burkina Faso – PROM’ART/Burkina Faso (Quelle: http://www.ewa.or.at/EWA_Jahresbericht_2004.pdf).

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• 'Démontrer les inégalités entre les gens et les différentes composantes de la population d’une même communauté au plan socio-économique par des exemples concrètes (échelle ménage), comme la division sexuel du travail, l’accès aux ressources et aux moyens de productions et leurs contrôle, (contrôle des bénéfices), prise de décisions. • Démontrer les inégalités entre les gens et différentes composantes de la population au sein d’une même communauté dans la prise de décisions communautaire (échelle village). • Sensibiliser les groupes cibles des projets sur la nécessité de confier aux femmes des postes de responsabilité. • Sensibiliser les groupes cibles des projets sur l’importance de l’accès et de la participation des femmes aux activités du projet. • Démontrer qu’un développement durable n’est possible que si l’ensemble des composantes d’une communauté est impliqué de manière équitable. • Informer les groupes cibles des projets sur les possibilités de changement.'

Eine eigene Evaluierung hat nicht stattgefunden, die allgemeinen Projekt- evaluierungen weisen aber auf einen positiven Impact dieser Methodik hin."

"2) Das Projekt PFDL/CE349 (durchgeführt von Austroprojekt, in den Provinzen Kouri- tenga und Koulpélogo in Südost- bzgl. im östlichen Zentralburkina) setzt in der Sensi- bilisierung auf verschiedene Medien, besonders auf Lokalradio und Forumtheater. Letzteres wird z.B. an Markttagen der einzelnen Dörfer organisiert, um eine möglichst große Zielgruppe zu erreichen, im Durchschnitt gibt es ca. 80 ZuschauerInnen pro Vorstellung. Thema ist die Vorstellung der Anbote des Projekts (z.B. Lokale Entwick- lungsfonds – was bieten sie, was ist die Rolle der einzelnen Akteure, was müssen die AntragstellerInnen selbst einbringen).

Eine Evaluierung gibt es leider auch hier nicht."

Frage 4350 und 5351 haben sich durch die vorhergehende Beantwortung erübrigt.

6. Wie hoch ist der Anteil der Projekte seitens der CA, die generell mit Kultur, im Besonderen aber mit Theater innerhalb des CA-Engagements zu tun haben? Welchen Stellenwert hat Kultur prinzipiell innerhalb des Schwerpunktpro- gramms der ADA in Burkina Faso?

"Eine genaue Anteilsschätzung ist schwer möglich. Das 'Schwerpunktprogramm' (NB: es ist das Programm der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, nicht der ADA – die ADA ist verantwortlich für die Umsetzung, aber unterschrieben wird das Programm vom BMeiA) definiert drei Schwerpunktsektoren (Berufsbildung, Hand- werksförderung/MKMB, Nachhaltige Ländliche Entwicklung), alle Aktivitäten müssen aber grundsätzlich die Prinzipien der OEZA beachten, unter denen auch die Berück-

349 Programme d’appui à la gestion de Fonds de Développement Local dans la Région du Centre- Est au Burkina Faso (Quelle: http://www.bmeia.gv.at/fileadmin/user_upload/bmeia/media/2Aus senpolitik_Zentrale/ab_Mai_2008/Burkina_Faso_Evaluation_Strategi-que__Development_Rural. pdf). 350 4. "Wenn nein, gibt es dahingehende Überlegungen, Theater in eines dieser Projekte zu inte- grieren, da eventuell andere Länder wie die GTZ bereits positive Erfahrungen damit gemacht haben?" Diese Frage hat sich durch die positive Beantwortung von Frage 3 erübrigt (Anm. d. Verf.). 351 5. "Gibt es dazu auch Evaluierungen, inwieweit diese Form der Vermittlung positive Auswir- kungen auf die Bevölkerung hat?" – siehe Beantwortung der Frage 3 (Anm. der Verf.).

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sichtigung des soziokulturellen Umfelds genannt wird (festgelegt im EZA-Gesetz, vgl. dazu auch http://www.ada.gv.at/laender-themen.html) – und in Burkina impliziert das auch die Beschäftigung mit Theater.

Im Bereich 'außerhalb der Schwerpunktsetzung' unterstützt das Koordinationsbüro auch den Austausch zwischen österreichischen und burkinischen KünstlerInnen (bis- lang v.a. im Bereich Musik und Bildende Kunst, keine Anfragen von Theater- schaffenden bekannt), zur Förderung des interkulturellen Dialogs. Das bedeutet vor al- lem logistisch-organisatorische Unterstützung, in selteneren Fällen Finanzierung (z.B. für eine Gruppenaustellung burkinischer MalerInnen in Wien im September 2006) – vgl. auch die Unterstützung im Rahmen der Veranstaltungen zum Österreichischen Nationalfeiertag, s. Frage 2."

7. Beispielsweise hat die CA auch das kürzlich über die Bühne gegangene Jazzfestival mitfinanziert – was ist der Beweggrund?

"Das Festival 'Jazz à Ouaga' widmet sich dem interkulturellen Dialog – es werden KünstlerInnen aus verschiedenen afrikanischen, aber auch außerafrikanischen Ländern eingeladen. Es werden junge Kulturschaffende gefördert, Gruppen, die traditionelle Musikstile und -instrumente nutzen und weiterentwickeln, aber auch sozialkritische KünstlerInnen. Darüber hinaus bringt das Festival internationale Publicity, was den Bekanntheitsgrad des Landes Burkina Faso, und damit das potentielle Interesse der Öffentlichkeit in 'entwickelten' Ländern, stärkt."

7.4.4.2 Auswertung der Antworten und Resümee 1. Was die Anfänge Österreichs in Bezug auf entwicklungspolitisches Engage- ment betrifft, bestätigen sich die Antworten von Mag. Sötz mit den beschrie- benen historischen Prozessen dieses Kapitels. 2. Die starke Förderung von Theater, wie es in Uganda seitens der OEZA der Fall ist, steht in Burkina Faso vorläufig noch auf eher wackeligen Beinen, obwohl positive Rückmeldungen (Impact) dieser Methodik zu verzeichnen sind. Es gibt zwar das eine oder andere Projekt (siehe Projekt GERN), wo das Poten- zial von Theater in der Entwicklungszusammenarbeit erkannt wird, dennoch gibt es derzeit keinen Projektvertrag mit burkinischen Theatergruppen. 3.1 Hier begegnet uns wieder die Entwicklungswerkstatt Austria vom Projekt GERN, die nach ihren ersten positiven Erfahrungen mit Theater zur Durch- setzung des "Ländlichen Entwicklungsfonds" 2004 wieder auf dieses Kommu- nikationsmittel im Rahmen von Sensibilisierungskampagnen und Erwach- senenbildung zurückgreift. Die hier kurz zusammengefassten Ziele sind:

. Bereich Hausarbeit: Aufzeigen von Ungleichheiten sozioökonomischer Natur innerhalb einer Gemeinschaft an konkreten Beispielen wie geschlechtsbezogene Arbeitsteilung,

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Zugang zu Ressourcen, zu Produktionsmitteln und ihre Kontrolle (Gewinnkontrolle), Beschlussfassungen. . Bereich Dorf: Aufzeigen von Ungleichheiten innerhalb einer Gemeinschaft in Bezug auf gemeinschaftliche Entscheidungsfindungen. . Sensibilisierung der Zielgruppen, Frauen mit verantwortungsvollen Ämtern zu betrauen. . Sensibilisierung der Zielgruppen, Frauen den Zugang und die Teilnahme an Aktivitäten des Projekts zu ermöglichen. . Aufzeigen, dass eine Entwicklung nur dann dauerhaft sein kann, wenn alle Beteiligten angemessen in diesen Prozess eingebunden werden. . Die Zielgruppen über die Möglichkeiten eines Wandels informieren.

Obwohl keine Evaluierung stattgefunden hat, zeigen sich die Projektver- antwortlichen mit den Auswirkungen auf die Zielgruppen zufrieden. 3.2 Austroprojekt setzt im Rahmen seiner Sensibilisierungsprogramme ("Lokale Entwicklungsfonds") neben der Verwendung des Lokalradios auf den Einsatz von Forumtheater (!), das an den sich abwechselnden Markttagen der einzelnen Dörfer stattfindet (80 Zuschauer pro Vorstellung). Evaluierung gibt es – wie in den meisten Fällen bei Verwendung von Theater – keine. 6. Es wäre interessant gewesen, hier den Anteil der mit Theater befassten Projekte innerhalb der OEZA in Zahlen fassen zu können, um sich darin die prozentuelle Gewichtung zu vergegenwärtigen, aber das scheint bei allen mit "Théâtre pour le Développement" verbundenen Projekten die Achillesferse zu sein, ob auf Seiten der Theatertruppen wie des "Atelier Théâtre Burkinabè" von Prosper Kompaore oder auf Seiten der Auftraggeber. Vermutlich ist der damit verbundene Aufwand zu kosten- und zeitintensiv und wird deshalb fast überall vernachlässigt bzw. gescheut. Auch wenn von Mag. Sötz als eines der Prinzipien der OEZA "die Berücksichtigung des soziokulturellen Umfelds" und damit als Implikation die Beschäftigung mit Theater ins Treffen geführt wird, so steht Letzteres wohl eher abseits des Rampenlichts.

7.5 Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Burkina Faso

"Es ist international anerkannt, dass die Beiträge von Nichtregie- rungsorganisationen (NRO) in der Entwicklungszusammenarbeit einen wichtigen Bestandteil der EZA-Leistungen sowohl in den

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Partnerländern wie auch im Inland darstellen. Eine wesentliche Charakteristik der nichtstaatlichen Entwicklungszusammenarbeit ist der direkte Zugang zu zivilgesellschaftlichen Gruppen im Süden/ Osten und in Österreich selbst. Sie arbeiten mit Partnerorga- nisationen vor Ort und auch direkt mit den betroffenen lokalen Ziel- gruppen zusammen. NRO sind wichtige Akteure beim Brückenschlag zwischen strategischen Zielen und deren Umsetzung sowie im Rahmen des nationalen und internationalen entwicklungspolitischen Dialogs."352

7.5.1 Kurzer Rückblick353 Die ersten Nichtregierungsorganisationen wurden um die Zeit der Entkolo- nialisierung aktiv, die erste kam 1957 ins Land: Secours Catholique Français (heute als Caritas bekannt). Zur Zeit der Dürrekatastrophen (1970er Jahre) steigerte sich die Zahl der NROs rapid. Bestimmten anfänglich ausländische NROs die entwicklungspolitische Landschaft, kam es sukzessive zu einer Präsenz von nationalen NROs, die aufgrund ihrer profunden Kenntnis lokaler Gegebenheiten in der Folge eine Mittlerrolle zwischen den ausländischen Initiativen und der lokalen Bevölkerung übernahmen. Die erste Phase der NRO-Arbeit war vor allem durch Krisenmanagement und Hilfeleistungen in Notzeiten gekennzeichnet, die sich allmählich zu kurz- und mittelfristig geplanten Entwicklungsprojekten hin verschob. Heute gibt es in Burkina Faso laut amtlichem Telefonbuch354 derzeit 159 registrierte nationale wie internationale nichtstaatliche Organisationen (auf Französisch "ONG" – "organisation non gouvernementale"), die sich alle mehr oder weniger in entwicklungspolitischen bzw. gesundheitlichen Bereichen starkmachen. Das schließt die UNESCO oder UNICEF genauso mit ein wie die Caritas Burkina, die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit, die "Coopé- ration Autrichienne pour le Développement" oder das PNUD. Neben den bereits

352 BUNDESMINISTERIUM FÜR EUROPÄISCHE UND INTERNATIONALE ANGELEGENHEITEN (2007): NRO-Koope- ration. Leitlinie der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit. Wien. 353 Dieses Kapitel bezieht sich auf einen Vortrag von Cyrille Benon, Chefkoordinator der NROs in Burkina Faso, im Jahr 1996, gehalten im Afro-Asiatischen Institut. 354 OFFICE NATIONAL DES TÉLÉCOMMUNICATIONS (ONATEL) BURKINA FASO (2007): Annuaire Téléphonique 2007. Ministère des Postes et des Technologies et de l’information et de la communication. Ouagadougou.

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zuvor genannten staatlichen bzw. nichtstaatlichen österreichischen Organisa- tionen wie dem VIDC, der Caritas der Diözese Innsbruck oder dem ÖJAB gibt es folgende Organisationen bzw. Vereine, die sich in Burkina Faso engagieren: Entwicklungswerkstatt Austria (EWA – seit 1986), Austroprojekt, Österrei- chisches Rotes Kreuz, Licht für die Welt, "Nong Taaba" und viele andere mehr.

7.5.2 Arten von (Selbst-)Hilfeorganisationen in Burkina Faso Bereits vor der Kolonialzeit kam es zur Bildung von traditionellen Solida- ritätssystemen, wo sich Dorfgemeinschaften zu verschiedenen Tätigkeiten wie Ackerbau, Hausbau etc. zusammenfanden. Diese von der Gemeinschaft getra- genen Aktivitäten werden durch die von den Kolonialherren eingeführten Gemeinschaftsformen abgelöst: Kooperativen, Dorfgruppierungen, Kassen. Daneben etablieren sich voluntaristische Organisationen ohne Gewinnaus- richtung, die die Entwicklung der Gemeinde als primäres Ziel vor Augen haben und als NROs bezeichnet werden können. Diese nationalen wie internationalen NROs können gemäß ihren Schwerpunkten unterschieden werden:

. "Feld"-NROs: Es wird direkt mit den Betroffenen zusammengearbeitet, um Entwick- lungsvorhaben voranzutreiben. . Ausbildungs-NROs: Diese haben sich auf die Ausbildung des Führungspersonals, anderer NRO-Mitarbeiter und die Bauern spezialisiert. . Unterstützende NROs: Diese wiederum unterstützen andere NROs und Basis- organisationen technisch und finanziell.

1996 zählte man 203 NROs mit Regierungs-Kooperationsabkommen (davon 76 nationale und 127 fremde), 6.000 Non-Profit-Organisationen ohne Regie- rungs-Kooperationsabkommen, ca. 11.600 Dorfinitiativen und 68 Koopera- tiven. Dabei konzentrierte sich die räumliche Verteilung der NROs vor allem auf die Hauptstadt Ouagadougou (74 %), der Rest teilte sich auf die größeren Städte (Bobo-Dioulasso, Fada-N’Gourma, Ouahigouya, Koudougou und Kaya) in den Provinzen auf. Wieso es hier zu einem derartigen Stadt-Land-Gefälle kommt, wo doch die wirklich mit Armut und vielerlei Problemen kämpfenden Gebiete in den ganz entlegenen Winkeln des Landes liegen und nicht in einer mit den Annehmlichkeiten eines fast europäischen Standards ausgestatteten

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Hauptstadt, wäre interessant zu klären, kann hier aber nicht weiter beant- wortet werden.

7.6 Von Burkina Faso initiierte Kulturkooperationen Wenn hier vom Tandem "Kultur-Entwicklung" die Rede sein soll, muss die Sprache noch einmal kurz auf das panafrikanische Film- und Fernsehfestival FESPACO mit seinem regen Filmtreiben, auf seine zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen, die immer wieder im Dienst der Entwicklung des Landes stehen, kommen. Viele Organisationen, überwiegend staatliche und nichtstaat- liche, wie die Europäische Kommission oder die PNUD (Programme des Nations Unies pour le Développement), aber auch die Kommune von Ouagadougou selbst arbeiten dabei Hand in Hand mit Filmemachern, um mittels Film und Fernsehen ihre unterschiedlichen Botschaften bzw. Anliegen zu transportieren. Es werden ebenso zahlreiche Filmwettbewerbe mit Preisgeldern für afrika- nische Filmemacher ausgeschrieben, mit der Intention, entwicklungspolitisch relevante Themen für die Bevölkerung aufzubereiten. "L’Audiovisuel: un support privilégié d’information de sensibilisation et de formation à la prévention des risques professionels."355 Aber auch im Theater, hier vor allem im Bereich "Théâtre pour le Dévelop- pement", im Tanz und in der Musik kommt es bei Erstgenanntem zu zahlrei- chen internationalen Kooperationen und bei beiden Letzteren zu einem regen Kulturaustausch (siehe VIDC in Österreich und OEZA in Burkina Faso).

7.7 Resümee In diesem Kapitel wurde versucht, beginnend bei der Rolle der Kultur inner- halb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit, ihrer Begriffsbe- stimmung über die Anfänge der OEZA, ihre Zielsetzungen und interne Strukturierung hin zu Buchwieser, der sein soziales Engagement bis nach Afrika ausdehnte, und zu seinem Lebenswerk, der Österreichischen Jungarbei- terbewegung, einen Bogen zu spannen, um die Beweggründe für entwick- lungspolitisches Engagement generell, für Österreich aber im Besonderen darzulegen und ein Bewusstsein für die äußerst komplexe und vielschichtige

355 Flyer des "Comité National de Lutte contre le SIDA et les Maladies Sexuellement Trans- missibles" zur Ausschreibung des Filmwettbewerbs "Prix Jeunesse et Santé de la Reproduction".

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Beziehung "Kultur – Entwicklung" zu schaffen. Im Weiteren wurde dann ein Sprung nach Burkina gemacht, um die Arbeit der ADA der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit vorzustellen, ein Projekt, das sich auf den Einsatz von Theater zur Vermittlung seines Anliegens beruft, von A bis Z unter die Lupe zu nehmen und einen Blick auf das Entstehen und Wirken von Nichtregierungsorganisationen zu werfen. Das zunehmende Interesse der österreichischen Kunstszene für Künste und Kulturen des Südens, vor allem Afrikas, stellt für die Österreichische Entwick- lungszusammenarbeit eine Herausforderung und Chance dar, da der künstleri- sche Diskurs und die entstehenden Kulturkooperationen neue Zielgruppen, Partner und Ressourcen auf beiden Seiten erschließen. "Für Entwicklungs- organisationen kann kulturelle Zusammenarbeit eine Quelle der Innovation für Armutsbekämpfung und nachhaltige Entwicklung sein."356 Diese kulturelle Zusammenarbeit bzw. der darauf basierende Austausch stellen aber auch für alle anderen an diesem Prozess Beteiligten in einer sich zunehmend über die Kontinente hinweg vernetzenden Welt eine Chance und einen Gewinn dar, über den vielzitierten "österreichischen" Tellerrand zu blicken, um erkennen zu können, wie nah und vertraut das sogenannte Fremde sein kann, ebenso können dadurch gegenseitige Wissens- und Lernprozesse in Gang gesetzt werden.

356 Statement eines anonym gebliebenen Symposiumsteilnehmers im Rahmen des 2006 veranstalteten "Sura za-Afrika"-Festivals.

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8. Zusammenfassung und Ausblick

Die gemeinsame Ankunft der französischen Kolonialherren und der Missionare zu Beginn des letzten Jahrhunderts und damit einhergehend ihre zunächst noch akkordierten Bestrebungen und ihr verzahntes Wirken waren der Auftakt für eine auf mehreren Ebenen stattfindende, 70 Jahre andauernde Interven- tionsgeschichte, die Burkina Faso wie andere kolonialisierte Länder in Afrika auch nachhaltig geprägt und beeinflusst hat. Von dieser massiven Einfluss- nahme blieb auch das Theater, das bis zu dieser zwangsweisen Kontaktauf- nahme mit Europa aus autochthonen Theatralisierungsformen wie dem hier ausführlich beschriebenen Kotèba bestand, und das weiters als ideales Instru- ment zur Vermittlung kolonialer Denk- und Lebensweisen erkannt wurde, nicht verschont. Eine Reihe an Formen, aber damit verbunden auch Bestrebungen war im Laufe seiner kolonialen Geschichte, aber auch in den Jahren vor und nach der Unabhängigkeit im Jahr 1960 bis in die Jetztzeit auszuloten, gleich- zeitig war diese postkoloniale Phase aber auch von einem Hin- und Hergeris- sensein zwischen totaler Akzeptanz, die bis hin zur Verleugnung und Diffa- mierung der eigenen burkinischen Geschichte und Kultur ging, und absoluter Ab- bzw. Auflehnung in Bezug auf den implantierten Kulturimport und seinen Umgang damit gekennzeichnet. Doch das Instrumentalisieren des Theaters reißt auch nach dem Weggang der Kolonialverwalter nicht ab, die Interven- tionsträger kommen nun aus den eigenen Reihen, verfolgen aber unter- schiedliche Interessen. Die Vereinnahmung des Theaters aus machtpolitischen Interessen erfährt in den frühen 1980ern eine Ablösung durch eine stark von Idealismus und Veränderungswillen geprägte Aufbruchsstimmung junger, überwiegend aus dem Schultheater kommender Theatermacher, die das Thea- ter in den Dienst der Gemeinschaft stellen und sich seit fast mehr als 25 Jah- ren mit einem Theateransatz – praktisch wie theoretisch – auseinandersetzen, der sich in der theaterwissenschaftlichen Literatur als "Théâtre pour le Déve- loppement" eingeschrieben hat. Diesem Begriff werden verschiedenste Termi- nologien subsumiert – "Theater der Sensibilisierung", "théâtre utile", "theater of participation", "Theater der sozialen Intervention", "social action theatre", "community based theatre" – und seine Werkzeuge sind das "théâtre rural",

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das später von Kompaore in Forumtheater umbenannt wird, um sich damit mehr Gestaltungsmöglichkeiten einzuräumen, die von Jean-Pierre Guingané praktizierte Theaterdebatte, Erzählabende, "théâtre communautaire" etc. Es handelt sich um keine einheitlich fixierte Disziplin, sondern um unterschiedli- che Formen, Ausprägungen und Entwicklungsstufen und erfreut sich sowohl bei den Theatertruppen als auch bei der Bevölkerung großer Beliebtheit in den unterschiedlichen afrikanischen Ländern. Eine der Schlüsselaufgaben, die dem aktuellen Theater von Burkina Faso als Medium der Entwicklungskommunikation im Rahmen von Gesundheitsmaß- nahmen, Alphabetisierungs- oder Familienprogrammen seitens der Theater- macher, aber auch staatlicher wie nichtstaatlicher Entscheidungsträger zuge- schrieben wird, ist seine aufklärende, bewusstseinsbildende Funktion für die Gesellschaft, für eine Gesellschaft, die ihrerseits die darstellende Kunst, wenn sie mit ihr vertrauten Codes wie beispielsweise der Verwendung einer regio- nalen Sprache oder mit Elementen des traditionellen Erbes arbeitet, bejaht und begeistert aufnimmt. Die einzelne Zielgruppe kann nur durch Botschaften bzw. Dinge erreicht werden, mit denen sie sich selbst in ihrem Leben identifi- zieren kann und die ihr wichtig sind, bevor eigenes Verhalten und Handeln kritisch hinterfragt werden können. Deshalb basiert sich beispielsweise das Kotèba, ein wichtiger Impulsgeber für die Herausbildung dieses theaterpäda- gogischen Ansatzes, auf das Gemeinschaftsleben in seinem "Rohzustand", in- dem es Prozesse traditioneller Gesellschaften aufgreift, die sich durch eine periodische Generalüberholung von sozialen Regeln selbst in Frage stellen und sich so zur Selbstkritik zu ermutigen.

"Contemporary African theatre retains a sense of function in the sense that it serves a purpose within communities and cultures that is much greater than simply that of entertainment or diversion. This functional quality gives the theatre a sense of purpose, and influences not only its material but also the nature of its performance and reception. The present-day theatre is enriched and complemented by its co-existence with traditional forms, skills and understanding."357

357 BANHAM, Martin, HILL, Errol, and WOODYARD, George (o.J.): The Cambridge Guide to African and Carribean Theatre. Cambridge University Press.

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Diese Koexistenz des gegenwärtigen, durch ein Wechselbad der Geschichte gekennzeichneten Theaters mit den traditionellen Elementen des eigenen kul- turellen Erbes des Landes ist es auch, die die Essenz dieses von Prosper Kom- paore mit seinem "Atelier Théâtre Burkinabè" und Jean-Pierre Guingané mit seinem "Théâtre de la Fraternité" beschrittenen Weges ausmacht, die ähnlich wie in der Antike Theater als Foren der gesellschaftlichen Auseinandersetzung begreifen. Der Begriff "traditionell" ist aber frei von abwertendem oder nostal- gisch verklärendem Beigeschmack zu sehen, er wird im Sinne von "autoch- thon" und "nicht importiert" verstanden, da diese traditionellen Ausdrucksfor- men nie von der Bildfläche verschwunden sind und parallel zu den Entwicklun- gen innerhalb des modernen bzw. neuen Theaters praktiziert wurden. Die Theatergeschichte Burkinas ist aber auch eine Geschichte des wechselnden Publikums: Ist es zunächst die einfache Bevölkerung beim "Theater der Missio- nare", verengt sich der Fokus bei den Aufführungen der William-Ponty-Schule auf ein Publikum, das sich vor allem aus im französischen Kolonialdienst ste- henden Verwaltungsbeamten und ausgewählten Kollaborateuren zusammen- setzt, dieser elitäre Kurs wird von den mit französischem Gedankengut infil- trierten Absolventen der Ponty-Schule treu fortgesetzt, die für einen Kreis von Intellektuellen Theaterstücke in ausschließlich französischer Sprache produzie- ren. Erst mit den im Rahmen des Schultheaters während der Schulferien statt- findenden, von Schülern und Studenten gestalteten Aufführungen erfährt das Theater eine neuerliche Ausrichtung auf eine vor allem ländliche Bevölkerung, die in weiterer Folge die Herausbildung eines "Theaters der sozialen Interven- tion" begünstigt.

Im Eingangskapitel wurde also versucht, eine kompakte Zusammenfassung der Basisdaten von Burkina Faso, eine kurze geographische sowie soziökono- mische Beschreibung des Ist-Zustands, aber vor allem eine ausführlichere Be- standsaufnahme der gesundheitspolitischen Situation, vor allem in Hinblick auf die Position der Frau, als auch einen historischen Schnelldurchlauf seit der Entstehung des Königreichs der Mossi im 15. Jahrhundert zu liefern. Im Ver- mitteln eines Bewusstseins für die gegenwärtigen burkinischen Lebensum- stände mit all ihren Problemfaktoren, die maßgeblich den Fortschritt des

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Landes, aber auch die ökonomische wie soziale Prosperität seiner Menschen hemmen bzw. lahmlegen, kann der von den Theatermachern in den letzten Jahren praktizierte Theateransatz eines "Théâtre pour le Développement" bes- ser nachvollzogen werden. Letzterer soll der Stärkung der Frau in allen Berei- chen, der sexuellen Gesundheit als auch Fragen im Bildungs- und Schulsystem Rechnung tragen, wobei in diesem Zusammenhang auf die Gefahr hingewie- sen wurde, Bildung – ähnlich wie Theater – zu einem Instrument der Befreiung bzw. Unterdrückung zu machen. Gleichzeitig sollte damit die Basis als auch die Brücke zu den in dieser Arbeit weiterführenden Themen – die Kultureinrichtungen bzw. -aktivitäten des Lan- des, die die Entwicklung des burkinischen Theaters beeinflussende koloniale Vergangenheit als auch entwicklungspolitische Betrachtungen zum Thema "Kultur" – gelegt werden. Das Einführungs-, aber auch vor allem Kapitel 7 "Die Rolle der Kultur inner- halb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit" sollen zudem ver- deutlichen, welche elementare, aber noch immer seitens der Entscheidungs- träger unterschätzte Funktion aufklärenden bzw. sensibilisierenden, landes- weiten Kampagnen beispielsweise im Fall von AIDS oder weiblicher Genital- verstümmelung, die seit 1996 gesetzlich in Burkina Faso verboten und mit Haft- und Geldstrafen belegt ist, zukommt. Um die hier skizzierten und sich überlagernden Probleme wirklich in den Griff zu bekommen, mit der Ziel- absicht, diese nachhaltig lösen bzw. beseitigen zu können, bedarf es zum einen der aktiven, partizipativen Einbindung als auch der tiefgreifenden und langfristigen Mobilisierung der breiten lokalen Bevölkerung. Kultur, im Beson- deren aber (Forum-)Theater, kann hier mit seiner Direktheit in der Interaktion und seinem Anknüpfen an traditionelle afrikanische Kommunikationsmodelle wie dem speziell in Burkina Faso und Mali verankerten Prozess der gemein- schaftlichen Problemlösungsfindung, dem "Kotèba", lange bevor Einflüsse von Augusto Boal und Paulo Freire die Theatermacher in Burkina erreichten, als auch dem "Palaver" in seiner ursprünglichen Bedeutung zum Portal bei der "sozialen Intervention" werden. Auf das Problem eines nicht flächendeckenden Kulturnetzes bzw. auf die kul- turelle Unterversorgung der Provinzen, wie sich anhand der beschriebenen

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Kulturachsen erkennen lässt, wird an unterschiedlichen Stellen dieser Arbeit immer wieder Bezug genommen. Der lokalen kulturellen Entwicklung, die mit einer verstärkten Dezentralisierung der kulturellen Aktion einhergeht, als auch der Förderung der einzelnen künstlerischen Disziplinen sollte künftig noch mehr Aufmerksamkeit seitens der politischen Entscheidungsträger als bisher entgegengebracht werden. Die ideelle Verschränkung der übersichtsmäßig aufbereiteten aktuell vorhandenen burkinischen Kultureinrichtungen mit den einzelnen Stationen der Theatergeschichte lässt aufgrund ihrer baulichen Manifestationen mancher heute noch bestehender Relikte aus der Kolonialzeit – Centre Culturel Français Georges Méliès (CCF-GM) oder die diversen "Maisons des jeunes et de la culture" in den Provinzen – die sich darin widerspiegelnde Vergangenheit erahnen. Als persönliches wissenschaftliches Highlight kann die Erforschung des Begriffs "Kotèba" eingestuft werden, der immer wieder in Zusammenhang mit dem burkinischen Forumtheater im Rahmen von "Théâtre pour le Développement", aber auch und vor allem mit dem in Mali praktizierten "théâtre utile" von Philippe Dauchez auftaucht, da es die lang gehegte Frage nach einer eigenständigen Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent, unabhängig von Augusto Boals "Theater der Unterdrückten", erhellt. In Kapitel 5 "Die Entwicklung des modernen Theaters in Burkina Faso – eine Geschichte der Interventionen" sollte nicht nur ein Bild dieses modernen burki- nischen Theaters gezeichnet, sondern auch eine Beschreibung seiner Metho- den und seiner Entwicklung geliefert sowie seine verschiedenen Möglichkeiten als auch seine Anwendungen herausgearbeitet werden. Dies implizierte die Beschreibung der historischen Prozesse, wobei die Analyse nicht nur auf die chronologische Entwicklung des Theaters, sondern auch auf die treibenden Komponenten dieser Entwicklung abzielte. Das anfänglich von den französischen Kolonialverwaltern den Missionaren in Alleinregie überlassene Theater, die auch in diesem Bereich eine für die bur- kinische Bevölkerung nicht gekannte und daher auf Ablehnung stoßende strik- te Geschlechtertrennung praktizierten, erfährt im Theater der Jugendbewe- gungen eine inhaltliche wie formale Aufweichung der Gepflogenheiten des missionarischen Theaters, da es kaum mehr religiöse Themen behandelt und

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es das einzige im christlichen Gefüge ist, wo Mädchen und Buben erstmals gemeinsam in einem Stück auftreten durften. Die William-Ponty-Schule im senegalesischen Dakar entwickelt sich zur regel- rechten Kaderschmiede für den ausgewählten Nachwuchs der französisch besetzten westafrikanischen Länder, wo die Schüler nach den Vorstellungen der damaligen Kolonialverwaltung herangezogen werden, die in weiterer Folge als erfolgreiche Absolventen die koloniale Ideologie in ihre Heimatländer unter anderem in Form von Theateraktivitäten in den von der Verwaltung gegrün- deten "Centres Culturels" weitertragen und langfristig den Missionaren das Monopol des Theatermachens entziehen sollen. Um etwaige Querdenker gar nicht erst aufkommen zu lassen, entspringt die Idee der Schaffung von kultu- rellen Zentren, die den Kolonialherren gleichzeitig erlaubt, die künstlerischen Aktivitäten dieser Hoffnungsträger zu kontrollieren. Stand beim Theater der Missionare primär der Spielaspekt im Vordergrund, so kommt es mit der Einrichtung der CCs zum Aufblühen der dramatischen Schreibkunst, gleichzeitig kommt es unter dem Einfluss der Ponty-Schule auch zu einer stufenweisen Einführung von kostenpflichtigen Aufführungen, ganz im Gegensatz zum "Theater der Missionare", das durch seine Unentgeltlichkeit bei Darbietungen allen Bevölkerungsgruppen offenstand. Beim "Theater der sozia- len Intervention" erfolgt eine Rückkehr zu kostenlosen Aufführungen. Dieser Umstand als auch die fast ausschließliche Verwendung der französischen Spra- che, die vom Großteil der Burkinabe nicht beherrscht wurde, verstärkten den selektiv-elitären Charakter des Theaters der CCs. Dieses Kräftemessen zwi- schen weltlichen CCs und von den Missionaren als Reaktion darauf gegrün- deten katholischen CCs ließen die einstigen Verbündeten zu Gegner werden, da keiner auf das Theater verzichten wollte. Nach einer Phase der äußerst ambivalenten Identitätssuche büßt Europa als einstiger Nabel der (Bühnen-)Welt mit der Erlangung der Unabhängigkeit der westafrikanischen Länder seine Einflussnahme durch die von den Truppen vorgenommene Themenwahl ein. Aber erst die von den Schülern getroffene Auswahl der Stücke als auch ihre Bereitschaft, die Probleme der vor allem ländlichen Bevölkerung zu thematisieren, lassen die spätere Tendenz einiger Theatermacher erkennen, sich mit einem theaterpädagogischen Ansatz wie

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dem des "Théâtre pour le Développement" in den Dienst einer alles umfas- senden Entwicklung ihres Heimatlandes zu stellen. Es sind eigentlich Schüler und Studenten mit ihrem Schultheater, die Anfang der 1970er der ursprüng- lich an die als Theaterleiter fungierenden Ponty-Absolventen der "Maisons des Jeunes et de la Culture" postulierten Forderung nachkommen, Theater als sozialpolitische Verantwortung zu begreifen. Abschließend lassen sich also zwei wichtige Einflüsse bzw. Auswirkungen dieses Schultheaters festhalten: Zum einen hat das Schultheater – neben seinen vor allem beim ländlichen Publikum beliebten Animationen – wesentlich zum Kennenlernen des Theaters nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land beigetragen. Zum anderen stellte dieses Theater den Ausgangs- punkt für all jene dar, die heute fest im burkinischen Theater verankert sind, und es konnte sich vor allem während einer Phase des Vakuums, wo die freien Truppen kein Lebenszeichen von sich gaben, seine Theaterbegeisterung bis zum Wiedererwachen der Theaterszene bewahren. Diese Neuorientierung re- sultiert u.a. auch in der Verdrossenheit der jahrelangen ausschließlichen Ver- wendung der französischen Sprache und im damit einhergehenden Ignorieren einer gewissen Publikumsschicht. Das moderne Theater in Burkina Faso ist also eines mit vielen Gesichtern und die unterschiedlichen Wandlungen dieses Theaters bzw. die mittels Theater erfolgten Interventionsversuche spiegeln sehr oft seine soziale und politische Situation wider. Im abschließenden Kapitel wurde versucht, beginnend bei der Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit, ihrer Begriffs- bestimmung über die Anfänge der OEZA, ihre Zielsetzungen und interne Strukturierung hin zu Buchwieser, der sein soziales Engagement bis nach Afrika ausdehnte, und zu seinem Lebenswerk, der Österreichischen Jungarbei- terbewegung, einen Bogen zu spannen, um die Beweggründe für entwick- lungspolitisches Engagement generell, für Österreich aber im Besonderen darzulegen und ein Bewusstsein für die äußerst komplexe und vielschichtige Beziehung "Kultur – Entwicklung" zu schaffen. Im Weiteren wurde dann ein Sprung nach Burkina gemacht, um die Arbeit der ADA der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit vorzustellen, ein Projekt, das sich auf den Ein-

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satz von Theater zur Vermittlung seines Anliegens mittels "Theater der sozia- len Intervention" beruft, von A bis Z unter die Lupe zu nehmen und einen Blick auf das Entstehen und Wirken von Nichtregierungsorganisationen zu werfen.

Abschließend sei noch angemerkt, dass dieses "Theater der sozialen Interven- tion" in einem der ärmsten Länder der Welt mit erheblichen Schwierigkeiten vor allem auf materieller Ebene zu kämpfen hat. Ist man von der Kapazität dieses theaterpädagogischen Ansatzes im sozialen Entwicklungsprozess über- zeugt, müssen diese Probleme gelöst werden. Da es ein Theater für die Bevöl- kerung ist, muss es auch zu dieser in die Dörfer und kleineren Ortschaften gebracht werden. Die derzeitigen Tourneen machen meist beim Hauptort der jeweiligen Provinz aber halt. Transportmittel, Unterkunft und Verpflegung der Schauspieler sind für viele Truppen ein kaum zu bewältigendes finanzielles Problem, vor allem für jene, die über keine Finanzierungsmöglichkeit in Form von Auftragsarbeiten seitens der Ministerien, der Institutionen, der Nichtregie- rungsorganisationen verfügen. Sie müssen zwangsweise mit ihren Stücken in den Städten bleiben und spielen für ein Stadtpublikum, das diese Form der Stücke eher ablehnt. Auch ist der Staat aufgefordert, die dafür notwendigen Rahmenbedingungen in einer Art und Weise (effiziente und unabhängige Kul- turpolitik, Bildungsreform, Subventionen) zu schaffen, die den Truppen ein kontinuierliches Produzieren und Theaterspielen auf hohem und vor allem verantwortungsvollem Niveau (laut Kompaore: "Ethik der Verantwortlichkeit") mit Fokus auf das Gemeinwohl ermöglicht, um in diesem Sinn dem Theater als Schlüsselfunktion und der darin stattfindenden Kommunikation jene Aufmerk- samkeit zukommen zu lassen, die ihnen in diesem Zusammenhang gebühren. Andererseits könnte die bereits ab der Grundschule bis hinauf zu den höheren Schulen stattfindende starke Auseinandersetzung mit dem Theater in Burkina Faso, die oft in einem Wettstreit innerhalb der einzelnen Schulen ihren Höhe- punkt findet, durchaus als Anregung bzw. Impulsgeber für das österreichische Schul- und Bildungswesen verstanden werden, verfolgt man die österrei- chische Debatte mit der damit verbundenen Forderung nach einer Öffnung der Schule für mehr Kreativität.

232

"'Viele Schulen sind noch geschlossene Anstalten', so Schmied. Bis zum Ende der Legislaturperiode sollen Schulen geöffnet werden – durch kreative Kooperationen mit Museen, Theatergruppen oder künstlerischen Institutionen. 'Wir müssen Begegnungen herstellen' ... Diese will die Ministerin etwa durch Schreibkurse mit Drama- turgen und Theater-Workshops mit Schauspielern forcieren."358

So viel zum Blick über den vielzitierten "österreichischen" Tellerrand ... und zu der damit verbundenen Frage, was kann Österreich von Burkina Faso lernen?

358 BAIERL, Sandra, WALTON, Emily (28. Juni 2008): "In der Wirtschaft ist das unvorstellbar". Kurier. Karrieren-Teil. S. 2

233

Im Weltdorf daheim

"Würden wir die Weltbevölkerung auf ein Dorf mit 100 Personen reduzieren, dann wohnten darin 57 Asiaten, 21 Europäer, 14 Amerikaner und 8 Afrikaner. 6 Personen besäßen 59 % des Welt- reichtums, 50 würden an Unterernährung leiden, je einer würde gerade sterben und geboren werden, besäße einen Computer und hätte ein Doktorat. Wer nie Kriegsgefahr, Hunger, die Einsamkeit ei- nes Gefangenen verspürt hat, dem geht es besser als 500 Millionen Menschen. Mit einem Sparbuch und etwas Geld gehört man zu den 8 % der Wohlhabendsten dieser Welt. Wir alle wohnen längst schon in diesem Dorf, doch kaum verlassen wir den vertrauten Vorgarten unseres Hauses, macht sich Ohnmacht und Unbehagen breit; man verliert die Übersicht. Täglich erfahren wir, wie es unseren Nachbarn geht, dennoch sind sie uns fremd. Es braucht dringend eine neue Dorfkultur. Wer kann sie schaffen, wenn nicht die Bewohner selbst? Werte mit neuen Inhalten und das Du entdecken; die Kultur des Gebens leben, echte Freude erfahren ..."359

359 Aus dem Programmheft von Ferienmariapoli 2001.

9. Literatur-, Internetadressen-, Abbildungs- und Abkürzungsverzeichnis

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Politische Übersichtskarte von Afrika (Quelle: BICIAB 2005, Ouagadougou) Abb. 2: Administrative Einteilung von Burkina Faso in Provinzen (Quelle: Jeune Afrique Atlases: Burkina Faso Atlas. Les Éditions J.A., Paris. 1998. S. 26)

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Abb. 3: Szenenfoto aus dem Stück C’est la tradition qui l’exige der Truppe UJFRAD Diebougou/Bougouriba im Rahmen des CTF 2008 (Concours de Théâtre Forum) hin Ouagadougou zum Thema "Weibliche Beschneidung, Zwangsheirat und Schulabbruch" (Foto: Verfasserin, Frühling 2008) Abb. 4: "Maison des Jeunes et de la culture" im Stadtteil Baskuy von Ouagadougou (Foto: Verfasserin, Frühsommer 2008) Abb. 5: Die 5 geographischen Kulturachsen von Burkina Faso (Hintergrundkarte – Quelle: Jeune Afrique Atlases. Burkina Faso Atlas. Les Éditions J.A., Paris. 1998. S. 53) Abb. 6: "Mogho-Naba, Chef de tous les Mossé et un serviteur"

(übernommen aus: CONOMBO, Joseph I. Une autre conquête de l’afrique par l’amour et la charité. Editions Firmament. Ouagadougou. 2003) Abb. 7: "S. Exc. Mgr Thevenoud"

(übernommen aus: CONOMBO, Joseph I. Une autre conquête de l’afrique par l’amour et la charité. Editions Firmament. Ouagadougou. 2003) Abb. 8: Probelauf für das "Festival de Théâtre d’Evangélisation" Ende Mai 2008 vor der Kirche des Stadtteils Dapoya, Ouagadougou (Foto: Verfasserin, Ende Mai 2008) Abb. 9: "Manfred Mautner-Markhof, Oberkurator der Ersten Österreichischen Spar-Cassa, begrüßt die ersten Jungarbeiter aus Obervolta"

(übernommen aus: RITSCHEL, Karl Heinz: Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne J. + S.) Abb. 10: "Bischof Denis Tapsoba, Mitglied der ÖJAB, in Wien zum Bischof geweiht"

(übernommen aus: RITSCHEL, Karl Heinz: Bruno Buchwieser. Auftrag und Ziel ... Edition Reinartz, Salzburg. Ohne J. + S.)

Abkürzungsverzeichnis

ATB Atélier Théâtre Burkinabè CA Coopération Autrichienne pour le Développement CC Centre Culturel CCF-GM Centre Culturel Français Georges Méliès CCLs "créations collectives" CITO Carrefour International de théâtre de Ouagadougou CLAC Centre de lecture et d’animation culturelle CPL Centre populaire de loisirs DPEBA Direction provinciale de l’Enseignement de base et de l’Alphabétisation MJC Maison des jeunes et de la culture MJCOs Maison des Jeunes et de la Culture de Ouagadougou OEZA Österreichische Entwicklungszusammenarbeit

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10. Abstract

Die vorliegende Arbeit, die sich anhand des westafrikanischen Landes Burkina Faso (ehemaliges Obervolta) zwei Fragekomplexen widmet, versucht – neben einer einführenden sozioökonomischen und gesundheitspolitischen Zustands- beschreibung des Landes, der Skizzierung eines nationalen Kulturrasters und der Beschreibung des für die Herausbildung eines "Theaters der sozialen Inter- vention" unerlässlichen Kotèba, einer traditionellen Theatralisierungsform – als ersten großen Themenblock die unterschiedlichen Aspekte bzw. Mechanismen von Intervention, ob positiv oder negativ konnotiert, durch die Instrumen- talisierung von Theater – die historisch bereits erfolgten Interventionen zunächst in Form des "Theaters der Missionare", dann durch die von der unter dem Einfluss der französischen Kolonialverwaltung stehenden Schule des William Ponty in Gorée ausgehenden Impulse für das Theaterschaffen in Burkina Faso vor und nach der erlangten Unabhängigkeit im Jahr 1960 oder das in den letzten Jahrzehnten im Zuge des Demokratisierungsprozesses ver- stärkt von einer Vielzahl von burkinischen Theatertruppen praktizierte "Thea- ter der sozialen Intervention" – aufzuzeigen, indem die Annäherung an diese Thematik aus verschiedensten Blickwinkeln erfolgt. Der zweite große Fragen- bzw. Themenblock wendet sich der Rolle der Kultur innerhalb der (Österreichischen) Entwicklungszusammenarbeit (OEZA) zu, um prinzipiell zu untersuchen, in welche Richtung sich Entwicklungszusammen- arbeit entwickelt oder nicht entwickelt (hat) und wie viel oder wie wenig dem Faktor Kultur, im Besonderen dem Theater, und seinen Möglichkeiten in die- sem Zusammenhang Beachtung geschenkt wurde und wird. Weiters wird hier der diesen zweiten Fragekomplex überhaupt aufwerfenden Schlüsselfrage auf den Grund gegangen, was nämlich Österreich, das in Afrika nie Kolonien besaß, eigentlich mit Burkina Faso zu tun hat und welcher Stellenwert dem Einsatz von Theater in OEZA-Projekten für das westafrikanische Land derzeit zukommt.

243

Dank an ...

Prosper Kompaore und seinem "Atelier Théâtre Burkinabè"

Lambert Zabré, Théâtre de la Parole

Den Mitarbeitern der Bibliothek an der Universität von Ouagadougou, im Speziellen Moumouni A. Sawadogo

Charlotta Saul, Service Allemand de Développement (DED), Ouagadougou

Elisabeth Sötz, Austrian Development Agency, Ouagadougou

Dr. Joseph Issoufou Conombo für seine Großzügigkeit

Nicole Boulsa für ihre Unterstützung

Der Studienstipendienstelle, die mir durch das gewährte Stipendium den Abschluss meines Studiums überhaupt ermöglicht hat

Ao. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Marschall, Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft, Wien

Claude und Liam Tiga sowie seinem Opa für ihr Verständnis und ihre Geduld

Sabine Bergthaler, Martin Bruch und Heinz Wiesbauer für wertvolle Anregungen

Allen Freundinnen und Freunden, die mich in meinem Vorhaben bestärkt, ermutigt und unterstützt haben

Alles, was wir sind, und alles, was wir haben, schulden wir nur einmal unserem Vater, aber zweimal unserer Mutter. Amadou Hampâté Bâ

Meiner Mutter für alles ...

Curriculum Vitae Geboren 1967 in Kempten/BRD Aufenthalte in Griechenland, in den USA, in Brasilien und Westafrika Sprachen: Deutsch, Französisch und Englisch

Schulausbildung

Volksschule Allerheiligen, Innsbruck Mädchenhauptschule der Ursulinen, Innsbruck Höhere Bundeslehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe, Innsbruck

Akademische Ausbildung

Studium der Theaterwissenschaft und einer Fächerkombination aus Kunstgeschichte, Philo- sophie und Psychologie (1. Studienabschnitt); aus Kunstgeschichte, Kultur- und Geistesge- schichte, Kunst- und Wissenstransfer (2. Stu- dienabschnitt), Universität Wien

Berufserfahrung

Ausstattung und Kostüm für Film-, Theater- und Tanzproduktionen (Spiel- und Dokumentarfilm)

Ausstattungsassistenz für Werbespots (Ikea, Gelbe Seiten, Fixies, Meinl)

Mitgestaltung, -organisation und künstlerische Gestaltung an diversen Ausstellungen: "Volkskunst aus Georgien", Burg Hasegg/Tirol "Bruchlandungen" des Künstlers Martin Bruch, Museumsquartier/Wien "Vom Winde verweht. Sanddünen und Löss", Schloss Niederweiden/Marchfeld im Auftrag der NÖ Landesregierung

Redaktion und Lektorat bei Forschungsprojekten an der Universität für Bodenkultur, Institut für Landschaftsplanung (z.B. 300-seitige Studie für MA 45 – Wasserbau)

Langjährige freiberufliche Lektorats- (Buchpro- duktion und Zeitschriften) und Messetätigkeiten beim Österreichischen Agrarverlag, Wien

Laufende Lektoratstätigkeiten für diverse Auf- traggeber: Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Fabelhaft, Forum für Land- schaftsplanung, Kammer der Architekten und In- genieurkonsulenten, Lentos Kunstmuseum Linz, MA 45 – Wasserbau, NÖ Landesregierung, Planact, Planbox, Plansinn, Pool, Schuh, Tilia, Wiesbauer, Zuckerstätter

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