Baltische Monatsschrift
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Baltische Monatsschrift. Herausgegeben Friedrich Bienemann. Siebenundvierzigster Jahrgang« I.IX. Band.^ Riga 1SV3. Verlag der Baltischen Monatsschrift. Nikolaistraße Nr. 27. Inhaltsverzeichnis. Band I^IX. Seite Was liest unsre Jugend und was soll sie lesen? Von Ober lehrer Karl Arnold 1 ^ Laster und Leidenschaft in I.M. R. Lenz' Dichtung. Von Karl v. Frehmann 25 Was du mich gelehrt. Gedicht von S. V. S . 40 Nkortilo^ium ds>1tioum 1904 41 ^ Am Ufer des Lebens. Gedicht von K. V. Freymann .... 55 Otto Peter v. Stackelberg. Von O.M. V. Stalkelberg ... 56 Sieben Vorträge über Germanisierung der Letten. Eine Reminiszenz vom I. 1819 61 Japans Ethik. Von R. v. Engelhardt 72 " Literarische Schwestern. Von E. V. Schrenck 88 Der Salon des Rigaschen Kunstvereins. Ein Rückblick von Waldemar Frh. v. Mengden 101 Am Kamin. Gedicht von Ednard Fehre ^ 121 Ein Sangesleben. Gedicht von Helene v. Engelhardt - Pabst. 122 In welcher Weise könnten die riesengroßen Gemeinden Liv« lands geteilt werden? Von F. Rechtlich-Gudmannsbach. 125 Inmitten. Gedicht von Ednard Fehre . ^/. 140 Im Rigaer Gymnasium und auf der Dorpater Universität 1859/62. Erinnerungen von Th. Pezold ^ 141 Eine Unterredung mit K. P. Pobjedonoszew im I. 1885 . 154 Die Grundlagen der Hebbelschen Tragödie. Von K. Staven- hagen > 162 Idealismus und Realismus in den geistigen Strömungen der Gegenwart. Von Oberlehrer Clemens von Henke . 169 Die Minimal- und Maximal-Bestimmungen über den bäuer» lichen Grundbesitz in Livland.vVon Alexander Tobien. 181 Aus Tiefen zu Tiefen. Gedicht von Eduard Fehre.^ . 211 Die Ursachen des Verfalls der Reformation in Polen. Von Dr. K. v. Kurnatowski 212 ^ Mein Lied. Gedicht von K. V. Freymann 221 Zur Geschichte des Lehnswesens in Livland. Von H. von Brniningk 222 " Über Wolynskis »Der moderne Idealismus und Rußland." Von K. v. Freymann 226 ^ Wolynskis „Buch vom großen Zorn." Von K. P. Freymann . 260 Über Ursprung und Entwicklung des Dramas. Von K. Slaven- Hagen . -/ ' 335 Seite Ihm nach! Gedicht von K. Stavenhagen 245 Schiller im Spiegel der Zeiten. Festspiel. Von Erich Von Schrenck 247 Die Kunst als Evangelium bei Schiller. Ein Essay. Von Oberlehrer ea.nä. tdsol. E. Kröger 284 Nicht wie die Wellen des Meeres. Von Karl V. Freymann. 303 Schiller und Livland. Von Bernhard A. Hollander > . 307 Schillers Seelenadel. Von K. Girgensohn 338 Zwei Schiller-Biographien (Karl Berger und Otlo Harnack). Von K. Stavenhagen^und E. v. Schrenck'? 242 Sieben Tage unter dem Kugelregen der Japaner. Erinnerung an die Vorpostengefechte bei Siungjötschöng. (7.-14. Juni 1904.) Gedichte von Eduard Fehre. 371 Aus einem alten Tagebuch. Aufzeichnungen des Fräulein Ulrike Vou Stryk a. d. Hause Palla 376 Um die livländische Volksschule. Von K. Von Freymann . 391 Zum Memoire der Adelsmarschälle vom November v. I. 414 Bemerkungen zu A. Tobiens Aufsatz über die Minimal- und Maximalbestimmungen übex den bäuerlichen Grund besitz in Livland. Von Charles v. Stackelberg Abia . 417 Sozial? Verhältnisse in Finnland. Eindrücke und Betrachtungen. Van Th. Petzold . 449 Weitere Gedanken zur Pfarrteilung in Livland. Von H. Riekhoff, Pastor zu Torgcl 465 Das lettische Volkslied 482 Eine Bittschrift von Ao. 1699 501 Bücheranzeigen: v. Eglofs st ein, Kaiser Wilhelm I. und Leopold von Orlich. — G. Jansen, Nordwesto-'utsche Studien. — P. Heyse, Moralische Unmöglichkeiten. — Charl. Niese, Die Klabunkerstraße ... 96 H. Prutz, Bismarcks Bildung. Von K. Girgensohn . - 178 Schillers Sämtliche Werke. Von F. S 246 Neuerschienene Bücher 99 Vom Tage: Briefe vom Embach. Von F 239. 424. 503 Im Spiegel der Presse. Von I'L. 429. 512 Eine kurze Antwort auf den I. Brief vom Embach. Von —s— 508 Nachwort. Von F 511 Beilage: Baltische Chronik vom 1. Sept. bis zum 23. Nov. 1904. M liest Ufte Jllgend, Ni> was soll sie lese«?* Von Oberlehrer Karl Arnold - Motto: „Ein Buch hat schon oft auf eine ganze Lebenszeit einen Menschen gebildet oder verdorben." leben in einer stürmisch bewegten Zeit. Es ist nicht nur die wilde Kriegsfurie, die fern im Osten ihr furchtbar blutiges Theater aufgeschlagen hat, in das auch wir mit unsern teuersten Empfindungen je länger je mehr hineingezogen werden; es gibt daneben so manche hochbedeutsame, unser gesamtes heimatliches Kulturleben betreffende Frage, die die Gemüter eines jeden Mannes, einer jeden Frau, die sich nicht mit Gewalt der Welt um sich verschließen, bewegen muß. Auf dem Gebiet der Religion, auf dem Gebiet der Kunst, auf dem Gebiet der Politik haben sich Gegensätze gebildet, sind die Meinungen auf einander geplatzt, ringen Altes und Neues mit einander; Partei wird alles, Farbe muß jeder bekennen, wenn anders er es ernst mit seinen Pflichten gegen sich, seine Familie, sein Land nimmt. Da kann es nicht ohne Risse, zum Teil tiefe Risse, in unsrer Gesellschaft abgehen. Die einen verteidigen mit zähem Trotz jeden Fußbreit alter Anschauungen und wollen der neuen Zeit nirgends Konzessionen machen, und andere wiederum geben nur zu leicht die oft bewährten Güter unsrer Vorfahren auf, um sie gegen neue, wahrlich nicht immer bessere Münze einzutauschen. Nun, meine Damen und Herren, ich bin gewiß nicht für Stillstand, denn Stillstand bedeutet Rückschritt. Wir sollen mit der Zeit vorwärtsstreben. Wir wollen frische Luft auch in unserm stillen Winkel, nur so kann manche Wolke, die in der Vergangenheit *) Vortrag, gehalten im Gewerbeverein zu Mitau, in: November 1904. Baltische Monatsschrift ISvö, Heft 1. 1 2 WaS soll unsre Jugend lesen? unsern Blick trübte, verscheucht werden. Aber in gewissen Fragen müssen wir konservativ bleiben, konservativ im besten Sinne des Wortes, und gewisse Anschauungen unsrer Altvorderen, gewisse Ideale alter Zeit in Religion und Kunst, Sitte und Eigenart dürfen wir uns nicht rauben lassen, wenn wir bleiben wollen, wozu die Geschichte uns hier ins Land gesetzt hat. Diesen Anschauungen, diesen Idealen müssen aber nicht nur wir Alten treu bleiben, sondern wir müssen sie auch in unsre Kinder hineinpflanzen; das ist unsre heilige Pflicht, denn sie sind die Träger der Zukunft. Was hilft es, wenn wir noch so fest, noch so treu im wildflutenden Strome der Gegenwart unsre teuersten Güter zu wahren suchen, wenn die, denen wir dieses Erbe unsrer Väter einst überantworten, leichten Sinnes sie wieder fahren lassen? Und da frage ich nun Sie, meine Damen und Herren, die Sie Väter oder Mütter, Lehrer oder Erzieherinnen sind, ob Sie nie die Empfindung gehabt haben, daß die heran wachsende Jugend, die Ihrer Hut anvertraut ist, in jenen für unsre Eigenart wichtigen Fragen nicht mehr ganz so denkt, wie wir; daß in beängstigender Weise ein neuer Geist sich dieser Jugend bemächtigt, der nicht mehr der Geist ist, der uns, unsre Väter und Großväter stark sein ließ? Haben Sie sich noch nie die Frage vorgelegt: Werden unsre Kinder, wenn auch sie einst Kinder zu erziehen haben, diese in dem Geiste groß werden lassen, in dem wir selbst unter den Augen unsrer Eltern herangewachsen sind? Ich glaube, daß jeder, der sich ernstlich solche Fragen vorlegte, antworten muß: Unsre Jugend ist schnell, erschreckend schnell anders geworden, als wir es sind. Und mancher hat vielleicht in der Stille seines Herzens schon kampfesmüde mit dem alten Atting hausen gesprochen: Unter der Erde schon liegt meine Zeit; Wohl dem, der mit der neuen nicht mehr braucht zu leben! Aber so dürfen wir nicht sprechen, das wäre ein Ver brechen an uns, an unsern Kindern, an unsrer Heimat. Im Gegenteil, wir müssen uns ernstlich fragen: Tragen wir nicht wenigstens zum Teil selbst Schuld an diesem neuen Geist der Jugend? Wie können wir ihm Halt gebieten? Wie können wir dazu beitragen, daß auch unsre Kinder die starken Wurzeln ihrer Kraft dort suchen und finden, wo wir sie gefunden? Es kann natürlich nicht meine heutige Aufgabe sein, die aufgeworfene Frage in ihrem ganzen Umfange zu beantworten, es würde das vor allem zu einer gewissenhaften Prüfung führen. Was soll unsre Jugend lesen? S inwieweit wir etwa selbst andere geworden und würde zugleich eine Aufrollung unseres gesamten Erziehungswesens bedeutend Nur zwei Nebenfragen möchte ich besprechen, die aufs engste mit dem eben berührten Thema zusammenhängen, und deren Erörte rung sich kein Elternpaar, das es mit seinen Pflichten ernst nimmt, entziehen kann, ich meine die Fragen: „Was liest unsre Jugend, und was soll sie lesen?" Wer in seiner eigenen Jugend nachgräbt, der weiß, welche Fülle von Freude einem das Lesen gebracht. Mit Heißhunger verschlang man da all' die herrlichen Bücher, die Eltern und Ver wandte einem auf den Weihnachts- oder Geburtstagstisch gelegt hatten, und es öffnete sich eine Welt vor einem, so groß, so neu, so wunderbar. Was Wahrheit war, was Dichtung, wir konnten es damals noch nicht unterscheiden, aber unsre Phantasie wurde mächtig angeregt, das wissen wir noch heute, und mancher der Bände wurde 4, 5 mal oder noch häufiger immer mit gleichem Interesse, mit gleicher Spannung durchgelesen. Und wenn wir unsre Kinder ansehn, sie machen's nicht anders, und es muß schon ein besonders stumpfsinniges Wesen sein, das nicht gerne liest. Also es steht fest, daß wir in der Lektüre ein leicht zu ver wertendes Mittel besitzen, um den Gesichtskreis des Kindes zu erweitern, denn Faulheit, Trägheit, jene bösen Feinde der Bildung, werden uns wenigstens bei jüngeren Kindern nur selten stören. Aber dieses Mittel ist ein zweischneidiges Schwert, und wenn Montaigne Recht hat, da er die Bücher für das beste Rüstzeug erklärt, das er auf seinem Lebenswege gefunden habe, so ist es beachtenswert, daß ein Rousseau behauptet, er sei vor allem durch ungeregelte Lektüre ein Spielball jäher Neigungen, ein Sklave einer zuchtlosen und unberechenbaren Phantasie, ein unglücklicher, mit sich selbst zerfallener Mensch geworden. Es gilt eben die Leselust unsrer Kinder richtig zu leiten, daß nicht das, was für das Kind zum Segen werden kann, ihm zum Verderben aus schlage. Tun wir Eltern das? Tun wir das gewissenhaft auch nur bei unsern jüngeren Kindern, von denen hier zunächst einmal die Rede sein soll? Nach meinen Erfahrungen herrscht in dieser Hinsicht vielfach ein geradezu sträflicher Leichtsinn. Es ist merkwürdig: während i) Oberlehrer L. Goertz hat unlängst in einem in der „Bali.