Wer hat Angst vor Kalk? Die Sanierung der Stadtmauer in Isny (Landkreis )

Die umfangreichen Reste der Befestigungsanlage in Isny stellen noch heute ein eindruckvolles profanes Bauwerk des Mittelalters in der Stadt dar. Neben dem Schutz, den die Stadtbefestigung den Bewohnern gewährte, hatte sie im Mittelalter auch eine rechtliche Bedeutung und eine repräsentative Funktion. Der Wert der Architekturoberfläche für die Wirkung der Stadtmauer ist vor diesem Hintergrund nicht zu unterschätzen. Historische Mörtel und Putze in Kalktechnik sind unverzichtbare Bestandteile unserer Baudenkmäler. Jedoch werden sie vor allem am Außenbau nur allzu oft entfernt und erneuert und zu selten repariert. Anne-Christin Schöne

Der Grundriss der Stadt Isny im Allgäu weist eine Wie in vielen kleineren Städten Baden-Württem- nahezu elliptische Form auf, die durch die bei- bergs so ist auch in Isny die mittelalterliche Be- den rechtwinklig zueinander ausgerichteten festigungsanlage weitgehend bewahrt. Zwar gab Hauptachsen – der in südwestlich-nordöstlicher es auch hier die allgemein im 19. Jahrhundert zu Richtung verlaufenden Wassertorstraße/Obertor- beobachtenden Bestrebungen, die Stadt im Zuge straße und der von Nordwesten nach Südosten der Stadtentwicklung zu entfestigen, dennoch gerichteten Espantorstraße/Bergtorstraße – in blieb die Stadtmauer zwischen dem Wassertor vier Quartiere mit Nebenstraßen unterteilt ist und dem Espantor erhalten, ebenso der Bereich (Abb. 1). zwischen Obertorstraße und Bergtorstraße sowie

1 Isny, Stadtansicht nach dem Brand von 1631, Gemälde von 1737.

107 Rechten und zwei neu gebauten Mühlen konnte Graf Wolfrad von Altshausen ab 1171 mit dem Ausbau der Siedlung beginnen und die ungefähr 350 Meter voneinander entfernt liegenden Sied- lungsbereiche Fronhof und Kloster miteinander verbinden. Möglicherweise noch im 12., spätestens in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erhielt die Stadt eine Befestigungsanlage (wohl mit Graben, Wall und Holzpalisaden). Deren genauer Verlauf ist bislang nicht bekannt; quellenkundlich für das 13. Jahrhundert belegt sind das Obertor und das Wassertor. In Folge der Erhebung Isnys zur Reichsstadt 1365 und unter dem zunehmenden Einfluss der Zünfte veränderten umfangreiche Baumaßnahmen das Bild der Stadt. Hierzu zählt auch der Bau der noch heute erhaltenen Stadt- befestigung. Ein überlieferter Rechtsstreit zwi- schen Kloster und Stadt aus dem Jahr 1377 weist auf umfangreiche Bauaktivitäten hin. So klagte der Abt des Klosters auf dem Städtetag in Ulm gegen die Stadt, weil diese durch den Bau eines Befestigungsgrabens zwischen Wassertor und Bergtor den Einsturz der Klostermauer verursacht hatte. Außerdem wurde das Viehtor (auch Altes 2 Untere Stadtmauer, an der Ostseite des Klosters. Nahezu unverbaut Kemptener Tor oder später Pulverturm) an der Stadtaußenseite, Blick ist auch der ehemalige Grabenbereich, der die Südostecke des Klosters gesperrt und die vor die- vom Grabenweg vor gesamte Stadt umschließt. Von den fünf Tortür- sem Tor befindlichen Gebäude für die Angehöri- Beginn der Maßnahmen. men bzw. Stadttoren sowie den fünf Wehrtür- gen des Klosters aus fortifikatorischen Gründen men wurden das Bergtor an der Straße nach niedergebrannt. Eine dendrochronologische Un- Kempten 1859, das an der Straße nach tersuchung von Hölzern auf dem rückwärtigen befindliche Obertor 1830 und das Eschautor in Gelände des Gebäudes Wassertorstraße 53 be- der Wasser-Vorstadt 1811 abgebrochen. stätigte den Bau der Stadtmauer um 1377 an die- ser Stelle. Überliefert ist außerdem der Bau des Baugeschichte der Stadtmauer Diebsturms (auch Weißer Turm) 1402; 1433 wird das Bergtor erstmalig erwähnt. Für das Espantor Unmittelbare urkundliche Belege für den Mauer- ist die Jahreszahl 1467 auf einer Steintafel über bau fehlen. Auch archäologische Ausgrabungen dem oberen Rechteckfenster belegt. sind bisher in Isny noch nicht durchgeführt wor- Auch wenn der Ausbau der Tor- und Stadtmau- den. Rückschlüsse auf den Bau der Mauer erlau- ertürme erst im 15. beziehungsweise im 16. Jahr- ben allein die bisher bekannten Quellen zur Sied- hundert (Hafendeckel, Mühlturm und Speicher- lungs– und Verfassungsgeschichte der Stadt und turm – auch Wocherscher-Turm) erfolgte, so war naturwissenschaftliche Erkenntnisse. doch die Herausbildung des spätmittelalterlichen Die erste urkundliche Erwähnung Isnys (villa Ysi- Stadtgrundrisses und der Bau der Mauer wohl im nensi) stammt aus dem Jahr 1042. In diesem Jahr 14. Jahrhundert im Wesentlichen abgeschlossen. ließ Graf Wolfrad von Altshausen eine dem Heili- gen Jakobus und dem Heiligen Georg errichtete Beobachtungen am Baubestand Kirche auf seinem nahe der Pfarre Rohrdorf gele- genen Fronhof weihen. Der auch heute noch ge- Die teilweise noch mit Wehrgang versehene bräuchliche Name „Hofstatt“ weist auf die Stelle Stadtmauer besteht aus zweischaligem Bruch- des Fronhofes in Isny hin. steinmauerwerk aus unbearbeiteten Flusskieseln 1096 erfolgte die Gründung des Klosters Isny (Wacken) durchsetzt mit Ziegel- bzw. Backstein- durch Graf Mangold von Altshausen. In den fol- bruchstücken; partiell sind auch Tuff, Sandstein genden Jahrzehnten entwickelte sich westlich und anderes Natursteinmaterial verwendet wor- des Klosters eine Marktsiedlung. Nach dem den. Im Unterschied zu benachbarten ehemali- Tausch einiger dem Kloster gehörender Häuser gen Reichsstädten (Leutkirch, Wangen, Ravens- und dem südlich von diesen gelegenen Land ge- burg) blieb die Mauer auch nach Aufgabe ihrer gen Teile des Flusses Ach mit den zugehörigen Funktion nahezu unverbaut.

108 Im Stadtinneren präsentiert sie sich heute als und hellen Gesteins- bzw. Quarzstücken und ver- steinsichtige Mauer mit deutlich aus der Flucht leihen dem Mörtel einen hellen, rötlichen Ocker- heraustretenden, rundlichen Flusskieseln mit un- ton. Aufgrund der Befundlage muss dieser Mör- regelmäßigem Fugennetz. Entsprechend diesem tel als bauzeitlich eingestuft werden. Bild wurden bei den in den vergangenen Jahr- Derselbe Mörtel konnte auch nach Abbruch des zehnten durchgeführten Reparaturmaßnahmen an die Stadtmauer angebauten Gebäudes die ausgewaschenen Fugen mit Mörtel geschlos- „Obere Stadtmauer 24“ nachgewiesen werden sen und die Flusskiesel so weit von Mörtelresten und zwar hier als vollflächig auf die Stadtmauer gereinigt, bis sie bollig aus dem Mauerverband aufgetragener Putz. Damit hob sich das Wand- hervortraten. Erst die im Rahmen der Instandset- stück optisch deutlich von den angrenzenden, zung des aus Tuffsteinen erbauten Diebsturmes steinsichtigen Mauerbereichen ab. Durch eine durchgeführten Untersuchungen und die Be- Materialanalyse gelang der Nachweis, dass es funde auf der Maueroberfläche nach dem Abriss sich tatsächlich um einen mit dem Diebsturm- des an die Stadtmauer angebauten Wohngebäu- mörtel vergleichbaren Mörtel handelt. des Obere Stadtmauer 24 im Jahr 2001 gaben Davon ausgehend, dass die Mauerinnenseite voll- Anlass, das bisherige Reparaturkonzept grund- ständig verputzt war, fanden im September 2003 sätzlich zu überdenken. und Mai 2004 erneut Untersuchungen der Obe- ren Stadtmauer zwischen Pulverturm und ehe- Vorbereitende Untersuchungen maligem Obertor statt. Zwar konnte die An- nahme bestätigt werden, die angetroffenen Der Witterung viele Jahrzehnte ausgesetzt, war Reste des ursprünglichen Verputzes waren je- der Fugenmörtel an der Westseite des unver- doch nur gering erhalten. Ein stellenweise beob- putzten Diebsturmes weitgehend ausgewa- achteter gräulicher Fugenmörtel aus reinem Kalk schen. An vielen Stellen waren die offenen Fugen muss als historische Reparatur angesprochen und die Oberfläche des Tuffsteins mit zementhal- werden. Hierbei wurden allerdings nur die Fugen tigem Mörtel überputzt worden. Gegenüber dem ausgebessert. Zusammenhängende Putzflächen hellen, fast weißen Tuffstein zeichnete sich das konnten hingegen 2005 an der Unteren Stadt- graue Fugennetz der Reparaturen deutlich ab. mauer zwischen Espantor und Wassertor dort Die Verwendung des außerordentlich harten Aus- festgestellt werden, wo Bauten die Mauer be- besserungsmörtels führte an dem darunter lie- schatten. Dank der Unterstützung der Stadt Isny genden Material zu Abplatzungen, Schalenbil- wurde die systematische Untersuchung der histo- dungen und Rissen an den überputzten Stellen. rischen Architekturoberfläche der Stadtmauer Wie die restauratorische Befunduntersuchung 2006 fortgeführt. Die ersten Ergebnisse sind be- zeigte, war der Turm ursprünglich nicht verputzt; achtlich, zeigen sie doch, dass sich an der Mau- auch Fugenritzungen wurden nicht festgestellt. eraußenseite – im Gegensatz zur Mauerinnen- Trotz der Verluste konnten große Reste des bau- seite – der historische Verputz großflächig erhal- zeitlichen Mörtels sichergestellt und untersucht ten hat (Abb. 2 und 3). Die Annahme, dass die werden. Bei den analysierten Mörtelproben han- Mauer ursprünglich vollständig verputzt war, delte es sich um einen Kalkmörtel mit ho- scheint somit bestätigt. hem Feinanteil. Die feinkörnigen Zuschlagstoffe (ca.0–4 mm Korngröße) bestehen aus roten Zie- Maßnahmenkonzept und Beginn der gelstücken und Ziegelmehl sowie aus schwarzen Konservierungsarbeiten

Bei dem Bestreben, die materielle und ästhetische Identität der Architekturoberfläche zu erhalten, stießen die Denkmalpfleger weniger auf Hinder- nisse technischer Art als vielmehr auf differie- rende Bewertungsmuster. Die seit Jahrzehnten reduzierten und damit purifizierten Mauerober- flächen haben die Sehgewohnheiten geprägt und entsprachen den romantischen Vorstellun- gen von einer rustikalen, wehrhaften Befesti- gungsanlage einer mittelalterlichen Stadt. Zur Findung eines Konservierungs- und Restau- 3 Untere Stadtmauer, rierungskonzepts wurden zunächst Musterflä- Stadtaußenseite, Blick chen angelegt. Als Bindemittel wurden sowohl vom Grabenweg auf dispergiertes Weißkalkhydrat als auch holzge- das Espantor vor Beginn brannter Sumpfkalk getestet. Aus Kostengrün- der Maßnahmen.

109 gestalterischen Anspruch an Oberflächenstruktur und Farbigkeit in der Bauzeit erkennen. Schließ- lich war Isny im 14. und 15. Jahrhundert ein be- deutendes Handels- und Handwerkerzentrum mit überragender ökonomischer Stellung in der Region. Die bisher verwendeten trass- oder zementhalti- gen Produkte haben sich als ästhetisch und bau- physikalisch unverträglich erwiesen. Der nun in Struktur, Farbe und Zusammensetzung an den Befund angepasste Reparaturmörtel ermöglicht dem originalen Erscheinungsbild nahe zu kom- men und die positiven Eigenschaften der histori- schen Rezeptur zu nutzen.

Literatur und Quellen

Andrea Bräuning und Uwe Schmidt: Archäologi- 4 Obere Stadtmauer mit den fiel die Entscheidung zugunsten einer Rezep- scher Stadtkataster Isny, Landesdenkmalamt Baden- Diebsturm, Stadtinnen- tur mit holzgebranntem Sumpfkalk (Abb. 4). Württemberg, Abt. II, Ref. 25, Stuttgart 1995. seite, Blick von der Hof- Das einvernehmlich mit den beteiligten Personen Deutscher Städteatlas: Isny, hg. v. Heinz Stoob, statt nach Abschluss der und Institutionen abgestimmte Instandsetzungs- 1973. Maßnahmen. konzept beschränkt sich auf die Sicherung der Karl Friedrich Eisele: Aus der Geschichte der Städte vorhandenen Substanz. Wangen, Isny und Leutkirch, in: Der Kreis Ravens- So werden die losen älteren Reparaturen mit ze- burg, hg. v. Landratsamt Ravensburg, Stuttgart– menthaltigem Mörtel vorsichtig entfernt, loses 1976, S. 108–120. Fugenmaterial ausgekratzt bzw. gefestigt und Angelika und Rainer Ewald: Die Gestalt der Stadt ausgewitterte Fugen mit dem Reparatur- und Si- Isny im Allgäu. Neue Forschungsmethoden und Er- cherungsmörtel geschlossen (im Bereich der obe- kenntnisse von Stadt und Landschaft, dargestellt am ren Stadtmauer zwischen 2001 und 2006 durch- Beispiel der Stadt Isny im Allgäu, in: Allgäuer Ge- geführt). Aufgrund der Fugenschließung und schichtsfreunde 86, 1986, S. 116–138. durch den Verzicht auf das Herauspräparieren der Isny, in: Die Kunstdenkmäler des ehemaligen Kreises Wackensteine entsteht zwar eine geschlossenere Wangen, hg. v. Württembergischen Landesamt für Oberfläche, in der Abwägung zwischen architek- Denkmalpflege, Stuttgart 1954, S. 134–192. tonischer Wirkung, Gesamtgestaltung (Bereiche Hubert Krins: 800 Jahre Stadt Isny, in: Denkmal- mit intaktem zementhaltigem Fugenmörtel blie- pflege in Baden-Württemberg, 3, 1972, S. 31–36. ben erhalten) und Kosten soll jedoch auf eine Dušan Cˇolicˇ (Restaurator): Untersuchungsberichte vollständige Neuverputzung verzichtet werden und Dokumentationen, Regierungspräsidium Tübin- (Abb. 5). gen, 2002–2006. Die gute Befundlage auf der Maueraußenseite der Unteren Stadtmauer vermittelt auch heute Anne-Christin Schöne noch anschaulich, wie die Oberfläche der wohl Regierungspräsidium Tübingen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts Referat 25 – Denkmalpflege stammenden Stadtmauer aussah. Hier ist der Putz als heller, ockerfarbener „Fassadenputz“ großflächig erhalten. Aufgrund der Befundlage beschränken sich die ab Frühsommer 2007 ge- planten Maßnahmen hier weitgehend auf eine Reinigung und Putzsicherung.

Resümee

Die erhaltene Architekturoberfläche der Stadt- 5 Obere Stadtmauer, Stadtinnenseite, Blick mauer in Isny zeugt nicht nur von den verwende- entlang der Mauer nach ten historischen Baustoffen und Handwerkstech- Westen mit Diebsturm niken, sondern ist auch Träger kultureller Infor- nach Abschluss der Maß- mationen. So bot der Putz nicht nur einen nahmen. Wetterschutz, sondern lässt auch heute noch den

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