Quick viewing(Text Mode)

Winterthur-Seen Vom Bauerndorf Zur Urbanen Vorstadt

Winterthur-Seen Vom Bauerndorf Zur Urbanen Vorstadt

Samstag, 8. September 2012 Europäischer Tag des Denkmals

Winterthur- Vom Bauerndorf zur urbanen Vorstadt

Identität und Veränderung Auf der Suche nach dem Dorfkern Baukulturelle Zeugen der Boomjahre : Ein neues Wohnquartier mit Geschichte

Vom Geldwirrwarr und alten Verkehrswegen, Bauernhäusern, Arbeiterkolonien und Schulen 2 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Inhalt

Programmübersicht Winterthur 4

Veranstaltungshinweise Kanton Zürich 6

Impressionen aus Seen 7

Die Siedlungsentwicklung in Seen 8

Vom Dorf zur Wohnstadt Peter Niederhäuser 11

Seen einst und heute 14

Studienbibliothek scannt alte Bilder Regula Geiser 16

Auf der Suche nach dem Dorfkern Peter Albertin 17

Die Entwicklung des bäuerlichen Holzbaus Raya Hauri 18

Schulbauten als Quartierzentren? Adrian Mebold 20

Schule statt Fabrik – der Bildungsaufbruch in Seen Verena Rothenbühler 21

Spuren der Industrialisierung in Seen Heinz Pantli 22

Ein Arbeiterdorf wächst aus dem Sumpf Stephanie Fellmann 24

Die Untervogtei Seen Miguel Garcia 25

Wertvolles bewahren und Neues wagen Walter Hollenstein 26

Heinrich Bosshard und sein Denkmal in Seen HansPeter Friess 27

Vom Geldwirrwarr und Rechnen mit Münzen Benedikt Zäch 28

Baukulturelle Zeugen der Boomjahre für die Zukunft erhalten Andreas Madianos 30

Tradition und Dynamik – die Spinnerei Hermann Bühler AG Peter Niederhäuser 31

Sennhof – ein ehemaliges Fabrikdorf boomt Peter Niederhäuser 32

Spuren des historischen Verkehrs in Seen: Alte Wege ins Tösstal Andres Betschart 34

Butter, Käsli und Fleisch für die Kyburg Ueli Stauffacher 35

Die Geschichte des Ortsvereins Seen Andy Mörgeli 36

Freitagsprogramm mit Sekundarklassen 37

Wohnen in ländlich geprägten Bauten – Projektbegleitungen 2011 / 2012 Raya Hauri 38

Winterthurer Genossenschaftssiedlungen und ihr Beitrag zur Gartenstadt Stephanie Fellmann 40

Seen im Spiegel der Zonenpläne Andreas Madianos 42

Titelbild Impressum Welche Seemerin, welcher Seemer kennt es nicht, das Dach Herausgeberin: Stadt Winterthur, Departement Bau, des Einkaufszentrums? War es zur Bauzeit in Beton ge­ Denkmalpflege gossener­ Fortschrittsglaube, wird es heute auch für die Redaktion: Christa Schudel, Kommunikation und Medien­ Bedrängnis des Seemer Dorfkerns verantwortlich gemacht. projekte, Winterthur, und Denkmalpflege Winterthur Mit dem Titelbild gelingt es dem Fotografen Christian Druck: Ziegler Druck- und Verlags AG, Winterthur Beutler, das gegenwärtige Nebeneinander von alter und Bezugsquelle junger Vergangenheit­ wertungsfrei festzuhalten. Stadt Winterthur, Denkmalpflege Technikumstrasse 81, Postfach, 8402 Winterthur Telefon 052 267 54 62, [email protected] 3

Seen – vom «Pfarrdorf» zur Wohnstadt

Liebe Winterthurerinnen, liebe Winterthurer

Seen wurde im Ortslexikon der Schweiz von 1862 folgendermassen beschrieben: «Ein grosses Pfarrdorf in einer angenehmen Gegend, in der Nachbarschaft von Winterthur mit 1665 Einwohnern, die sich mit Feld-, Weinbau und Viehzucht beschäftigen und zum Theil die umliegenden Fabriken besuchen.» Wie hat sich dieses «Pfarrdorf» in den letzten 150 Jahren entwickelt? Seen wurde 1922 gleichzeitig mit Wülflingen, , und Töss einge- meindet und wurde somit ein Stadtteil von Winterthur. 1922 lebten bereits 4000 Menschen in Seen, heute sind | Bild: Departement Bau Winterthur es 17 000. Das einstige Bauern- und Arbeiterdorf hat sich in den letzten hundert Jahren baulich stark verän- scheiden. Das Gebot der Stunde heisst jedenfalls nicht dert. Trotzdem erkennen und erahnen wir bei genau- Wachstum am Siedlungsrand, sondern Verdichten em Hinschauen noch die verschiedenen Seemer Sied- nach innen. lungen, Weiler und Höfe, welche die 1200-jährige Verdichten nach innen bedeutet, bereits bebaute Ge­schichte Seens sichtbar machen. Gebiete dichter zu bebauen, also Restparzellen baulich Angesichts des enormen Zustroms von Einwoh- zu nutzen oder kleinere Gebäude durch grössere zu nerinnen und Einwohnern ist es besonders erfreulich, ersetzen. Beim Verdichten nach innen müssen wir den dass sich die Seemer Bevölkerung noch heute stark mit vorhandenen Freiräumen noch besser Sorge tragen, ihrem Stadtteil identifiziert. Diese Verankerung im das heisst gewinnende Begegnungsorte, schöne Spiel- Quartier spürt man unter anderem jeweils an der See- plätze und attraktive Schulareale schaffen. Als Bau­ mer Dorfet, in den Vereinen und natürlich in der Quar- vorsteherin setze ich mich dafür ein. Die bauliche tierzeitung, dem «Seemer Boten». Auch unser Tag des Verdichtung soll qualitätsvoll und mit Respekt vor Denkmals soll ein Stück zu dieser Seemer Verbunden- wertvollen Bauten und lebendigen Quartieren erfol- heit beitragen. gen. Dabei leistet die Denkmalpflege einen wichtigen Seen ist ein vielschichtiges, sehr dynamisches Beitrag. Sie trägt zu einer nachhaltigen Stadtplanung Stadtquartier, das wie kein anderes dazu einlädt, über bei, indem sie bei Interessenkonflikten wirtschaftliche, die Veränderung unseres Lebensalltags nachzudenken. ökologische, soziale und kulturelle Anliegen sorgfältig In Seen findet man zum einen noch ländliche Idyllen, gegeneinander abwägt. oft sogar mitten im Siedlungsgebiet versteckt, zum Am europäischen Tag des Denkmals haben Sie andern erstrecken sich hier moderne Quartiere mit nicht nur die Gelegenheit, mit der Denkmalpflege ins grossen Wohnblöcken und Areale mit Kränen und Gespräch zu kommen, sondern vor allem auch zahl- Baugespannen, die auf weitere künftige Überbauungen reiche spannende Seemer Gebäude zu besichtigen. hinweisen. Diese starke bauliche Entwicklung hat pri- Schulhäuser, Kirchen, aber auch Bauten aus der Zeit mär zwei Gründe: das jährliche Bevölkerungswachs- nach dem Zweiten Weltkrieg können identitätsstiften- tum von 1,5 Prozent und unsere Ansprüche an die de und wichtige Zeugen der jüngeren Geschichte sein, eigenen vier Wände. Es gilt, die Entwicklung von Seen die wir nicht leichtfertig ver­ändern oder beseitigen positiv zu beeinflussen und trotz den vielen Neubauten sollten – Seen zuliebe. die hohe Lebensqualität in Seen zu bewahren. Ich wünsche Ihnen einen interessanten Tag mit Unsere Lebens- und Wohnqualität ist aber auch vielen überraschenden Entdeckungen. Geniessen Sie von den Freiräumen geprägt. Gerade die Diskussionen unser vielfältiges Programm. Zusammen mit den Mit- um haben gezeigt, dass wir unsere Stadt arbeiterinnen und Mitarbeitern des Amts für Städtebau konsequent nach innen verdichten müssen. Ein freue ich mich auf Ihren Besuch. Wachstum am Siedlungsrand stösst auf grossen Wider- stand, weil damit auch Freiraum und Lebensqualität Stadträtin Pearl Pedergnana, verloren gehen. Dass der Hang in Gotzenwil sicher Vorsteherin Departement Bau grün bleiben wird, freut uns alle. Ob die Ebene zwi- schen Gotzenwil und Weiherhöhe künftig zum Sied- lungsgebiet zählt oder nicht, wird der Kantonsrat ent- 4 | Europäischer Tag des Denkmals 2012 Programmübersicht Stadt Winterthur Samstag, 8. September 2012

Begrüssung Informationsstand Aufruf

9.30–10.45 Uhr 9–16 Uhr 9–16 Uhr

Eröffnung mit anschliessendem Apéro Informationen und Anmeldungen Stand Studienbibliothek Seite 16 in der Freizeitanlage (FZA) Kanzlei­ Am Informationsstand der Denkmalpflege Die Studienbibliothek der Winterthurer strasse der Stadt Winterthur können Sie sich Bibliotheken ist mit einem Stand vor Begrüssung: über die einzelnen Veranstaltungen Ort und bietet Einblick in ihre Bildersamm- Pearl Pedergnana, Stadträtin, Vorsteherin orientieren und sich für die Führungen lung. Zu sehen gibt es alte und neue Departement Bau an­melden. Ausserdem liegen Bücher Ansichten von Seen – und wer selbst noch Stefan Gasser, Leiter Denkmalpflege und Broschüren auf, die Hintergrund­ Fotos und Erinnerungen hat, bringt sie Winterthur informa­tionen bieten. am besten gleich zum Scannen und zum : Freizeitanlage Kanzleistrasse Erzählen mit. : Bei allen Führungen ist eine An­mel­dung : Mitarbeitende der Studienbibliothek am Informationsstand erforderlich. : Freizeitanlage Kanzleistrasse

Führungen

Alter Dorfkern Bauernhäuser Schulhaus Schulgeschichte Industrie und Siedlung Untervogtei Seite 17 Seite 18 Tägelmoos Seite 21 Gewerbe Rotenbrunnen Seite 25 Seite 20 Seite 22 Seite 24

11.00 11–12 Uhr 11–12 Uhr 11–12 Uhr 11–12 Uhr 11–12 Uhr 11–12 Uhr 12.00 13.00 14.00 14–15.30 Uhr 14–15 Uhr 14–15.30 Uhr 14–15 Uhr 14–15 Uhr 14–15 Uhr 14–15 Uhr 15.00 15.30–17 Uhr 15.30–16.30 Uhr 15.30–17 Uhr 15.30–16.30 Uhr 15.30–16.30 Uhr 15.30–16.30 Uhr 15.30–16.30 Uhr 16.00 : Peter Albertin : Raya Hauri und : Adrian Mebold : Verena Rothen- : Heinz Pantli : Stephanie : Julia Grütter Isabelle Schmid bühler und Fellmann und Miguel Garcia Henriette Hahn­ loser

: Freizeitanlage : Werdstrasse 9, : Freizeitanlage : Altes Schul- : Ehemalige : Strassengabe- : Rössligasse 11, Kanzlei­strasse vor dem Eingang Kanzlei­strasse haus, Sägeweg 3 Korbwaren­fabrik lung Oberseener- / vor dem Eingang : An­mel­dung : An­mel­dung : An­mel­dung : An­mel­dung Müller & Widmer, Rotenbrunnen­ : An­mel­dung erforderlich erforderlich erforderlich erforderlich Tösstalstrasse 297 strasse erforderlich : An­mel­dung : An­mel­dung erforderlich erforderlich

Transfer Seen–Sennhof: Zug (S 26), ab Bahnhof Seen jeweils :51 und :32, ab Bahnhof Sennhof-Kyburg jeweils :26 und :06, Fahrtdauer: 3 Minuten 5

Mittagsprogramm Münzkabinett

Musik: 12–12.30 Uhr 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, 15.30–16.30 Uhr Podium: 12.30–13.30 Uhr Der Weg des Geldes Seite 28 Musik: 13.30–14 Uhr In Seen sind in verschiedenen historischen Gebäuden Spuren des Podiumsdiskussion und Konzert Seite 7 Rechnens mit Geld erhalten geblieben. Diese Spuren bestehen aus Über Mittag findet eine Podiumsdiskussion zum Thema «Seen – archäologischen Funden in den Gebäuden und Hinweisen auf die verpasste Chancen, versteckte Qualitäten» über die städtebauliche Funktion der Bauten. In der reformierten Kirche kam bei Grabungen Entwicklung in Seen statt mit Fachexperten sowie Vertretern der 1984 ein französischer Rechenpfennig des späten 15. Jahrhunderts Stadt und der Seemer Bevölkerung. Vor und nach der Diskussion zum Vorschein. Wie kam er dorthin? gibt der Musikverein Seen je ein halbstündiges Konzert mit Liedern : Benedikt Zäch und Luisa Bertolaccini, Münz­kabinett und für Jung und Alt. Antikensammlung Winterthur : Freizeitanlage Kanzleistrasse : Reformierte Kirche Seen : An­mel­dung erforderlich

Wanderungen

Freitaghaus Heinrich-Boss­ Boomjahre Spinnerei Bühler Sennhof Seen–Sennhof Sennhof–Schloss Seite 26 hard-Denkmal Seite 30 Seite 31 Seite 32 Seite 34 Kyburg Seite 27 Seite 35

11–12 Uhr 11–12 Uhr 11–12 Uhr 11.00 12.00 13.00 14–15 Uhr 14–15 Uhr 14–15 Uhr 14–15 Uhr 14–15.30 Uhr 14–15.30 Uhr 14.00 15.30–16.30 Uhr 15.30–16.30 Uhr 15.30–16.30 Uhr 15.40–16.40 Uhr 15.40–17.10 Uhr 15.40–17.10 Uhr 15.00 16.00 : Walter Hollen- : HansPeter : Andreas : Martin Kägi : Peter : Andres : Ueli Stauffacher stein Friess Madianos Niederhäuser Betschart

: Steinacker- : Reformierte : Ecke Kanzlei- / : Spinnerei : Bahnhof : Freizeitanlage : Bahnhof weg 2, vor dem Kirche Seen Büelhof­strasse Hermann Bühler Sennhof-Kyburg Kanzlei­strasse Sennhof-Kyburg Eingang : An­mel­dung : An­mel­dung AG, Mühlau 12, : An­mel­dung : An­mel­dung : An­mel­dung : An­mel­dung erforderlich erforderlich Sennhof erforderlich erforderlich erforderlich erforderlich : An­mel­dung erforderlich

Zeichenerklärungen: : Leiterin / Leiter der Führung oder Veranstaltung : Treffpunkt oder Veranstaltungsort | Bilder: Freizeitanlage Kanzleistrasse, Christian Beutler. : Wichtige Information zur Veranstaltung Musikverein Seen. Rechenpfennig, Münzkabinett. 6 | Europäischer Tag des Denkmals 2012 Veranstaltungshinweise Kanton Zürich

Zürich Uster

Landesmuseum: Landesmuseum: Bruno Giaco­ Eine Ent­ Rund ums Bahn-­ Baumeister Katholische Keine lauten Abschluss-Apéro metti, Gesamt­ deckungsreise hofsquartier Antonio Bianchi Kirche Bilder kunstwerk durch Uster St. Andreas Stadthaus Uster

Samstag, 8. Sept. Samstag, 8. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. 14 und 16 Uhr 17 Uhr 11.30 und 14 Uhr, 11.30 und 14 Uhr, 11.30 und 14 Uhr, 11.30 und 14 Uhr, 12.30 und 15 Uhr, Dauer 1 Stunde Dauer ca. 1 Stunde Dauer ca. 1 Stunde Dauer ca. 1 Stunde Dauer ca. 80 Min. Dauer ca. 1 Stunde

: Christ / Ganten- : Landesmuseum : Roland Frisch- : Claudia Fischer- : Roger Strub : Roland Böhmer : Pietro Wall­ bein Architekten : Anschliessend knecht, Kunst­ Karrer, Histori­­ke­ und Nina Hüppi, und Andreas nöfer und Astrid und Kantonale an die letzte historiker rin / Kunsthistori­ ­ Kantonale Gallmann, Kan­to­ Schifferli, Denkmalpflege Führung findet : Beim Infostand ke­rin Denkmalpflege nale Denkmal­ Kantonale Denk- : Beim Infostand ein Apéro statt : Beim Infostand : Vor der Credit pflege malpflege : Anmeldepflicht Suisse, Bank­str. 5 : Beim Infostand : Vor der Kirche, Neuwiesenstr. 17 Regensberg

Bezirksgebäude Schulhaus Kieswerk Egli, Musikalischer Stadtrundgang Wanderung: Wanderung: Hasenbühl Riedikon Abschluss-Apéro Burgen, Hoch­ Auf Spurensuche wacht und im Lägerngebiet Marienwallfahrt

Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. Sonntag, 9. Sept. 12.30 und 15 Uhr, 12.30 und 15 Uhr, 12.30 und 15 Uhr, 16.30 Uhr 10–15 Uhr, jede 13–17 Uhr, davon 9.45–16 Uhr Dauer ca. 1 Stunde Dauer ca. 1 Stunde Dauer ca. 1 Stunde volle Stunde, ca. 2–3 Stunden ausser 12 Uhr Wanderzeit

: Regula Hug : Thomas Müller, : Jean- François : Bildhauer­ : Werner Wild, : Renata Windler, : Patrick Nagy, und Miroslav Kantonale Denk- Rossier atelier, Steig­ Kantonsarchäo­ Kantonsarchäo­ Kantonsarchäo­ Chramosta, malpflege : Vor dem Haus, strasse 4 logie logie logie Kantonale Denk- : Bushaltestelle Seefeldstrasse 60 : Beim Infostand : Beim Infostand : Bushaltestelle malpflege Spital : Feste Schuhe Regensberg Dorf : Vor dem Haupt- und gute Kleider : Feste Schuhe eingang, Gerichts­ und gute Kleider, strasse 17 Anmeldung bis 3.9. (043 259 69 11) Buchs Dübendorf Information

Römischer Gutshof Buchs Steinige Zeiten Das detailierte Programm zur Stadt und zum Kanton Zürich Sonntag, 9. Sept., 10.15, 11.15, 13.15, Sonntag, 9. Sept. , 10–12 Uhr finden Sie im Internet unter www.nike-kultur.ch 14.15, 15.15 Uhr, Dauer ca. 45 Min.

: Beat Horis­berger und Daniel Käch, : Stefan Schreyer und Andrea Tiziani, Kantons­archäologie Kantonsarchäologie : Keine Parkplätze vorhanden, Shuttle- : Kantonsarchäologie Zürich, bus ab Bahnhof Buchs-Dällikon, Ab­ Stettbachstrasse 7, beim Eingang fahrten um 9.55, 10.55, 12.55, 13.55, 14.55 auf der Rampe, seitlich vom Haus 7

Impressionen aus Seen

Ecke Wingertli- / Etzbergstrasse

Bollstrasse Rössligasse

Kreisel Kreuzung Kanzlei- / Landvogt--Strasse

Podiumsdiskussion Kein Stadtteil hat sich in den letzten Jahrzehn- ten so stark verändert wie Seen. Die Denkmal- pflege widmet sich am diesjährigen Tag des Denkmals mit einer Podiumsdiskussion zum Thema «Verpasste­ Chancen, versteckte Quali­ täten» der Frage nach der Seemer Identität Schwerzenbachstrasse, Blick Richtung Landvogt-Waser-Strasse in Zeiten raschen Wandels.

Moderation: Michael Hauser (Stadtbaumeister Winterthur) Gäste: Adrian Mebold (Kunst- / Architekturhis­ toriker), Johann Frei (Architekt, Heimatschutz), Walter Hollenstein (Architekt), Andy Mörgeli (Präsident Ortsverein), Verena Bula (Präsidentin reformierte Kirchgemeinde), Stefan Gasser (Leiter Denkmalpflege Winterthur)

Schulhaus Tägelmoos Kanzleistrasse | Bilder: Christian Beutler 8 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Die Siedlungsentwicklung in Seen

Seen um 1800

Die alte Landstrasse von Winterthur ins Tösstal verläuft um 1800 etwa auf der Linie der heutigen Grüzefeldstrasse– Seenerstrasse bis an den nörd- lichen Dorfrand Seens, das damals Unterseen hiess. Der weitere Strassenverlauf entspricht der heutigen Schwerzenbachstrasse–Hinter- dorfstrasse–Bollstrasse mit der Rössligasse als Abzweigung nach und . Unterseen Dieser Linie entlang hat sich das Dorf entwickelt. Weitere Siedlungskerne bestehen bei der Mühle, auf Stocken und in Oberseen. | Rekonstruktion der Siedlung und des Wegnetzes um 1800 auf der Wild-Karte von 1854 auf der Grundlage des Oberseen Zehntenplans von 1739

Seen um 1850

Die neue liberale Kantonsver- fassung von 1831 brachte die Niederlassungsfreiheit. Trotz- dem zählte Seen bis 1850 nur 1700 Einwohnerinnen und Einwohner. Die 1839 erbaute neue Tösstalstrasse führt auf gerader Linie von Winterthur nach Seen. Sie hat auch im Dorf Seen ein neues, direktes Trassee erhalten. Dieses bestimmt die Siedlung um 1850 allerdings noch kaum. und Krebsbach schlängeln sich unverbaut durch die Wiesen. Der Krebs- bach speist auch den Mühlekanal­ und -weiher. | Kartengrundlage: Wild-Karte, 1854, © Faksimile-Ausgabe 1990 – Amt für Raumentwicklung, 8090 Zürich 9

Seen 1911

Mit der 1875 eröffneten Tösstalbahn prägt ein neues Verkehrsmittel die Landschaft. Bei der Station, entfernt vom bisherigen Dorf, entsteht ein neuer Siedlungsschwer- punkt. Entlang der Verbin- dungsstrasse zwischen Bahn- hof und Dorf (Kanzleistrasse) und entlang der Strasse nach Oberseen wächst die Sied- lung. Die Tösstalstrasse ist inzwischen­ beidseitig bebaut, sodass sich im Dreieck Tösstal- strasse–Bollstrasse–Rössli­ gasse ein kompakter Dorfkern gebildet hat. Der Bau der Strassenbahn­ 1922 und deren Ersatz durch Trolleybusse 1941 verbesserten die Anbin- dung an das Stadtzentrum. | Kartengrundlage: Übersichtsplan der Gemeinde Seen, 1911, Stadt-­ archiv Winterthur

Seen 1947

1922 wird Seen eingemeindet und damit Teil der Stadt Winterthur. In der Zeit der Weltkriege hat sich das Siedlungsgebiet in Seen zwar kaum erweitert, aber an manchen Stellen verdichtet. Besonders gut ist dies im Neudorf, an den bevorzugten Wohnlagen am und im Gebiet der Mühle zu beobachten, wo die 1942 erbaute Siedlung Roten­ brunnen auffällt. Mittlerweile wohnen rund 4000 Personen­ in Seen. Noch immer zeigen sich Mattenbach und Krebs- bach unverbaut; der Mühle­ kanal und -weiher ist aber seit den frühen 1940er-Jahren verschwunden. | Kartengrundlage: Stadtplan Winterthur 1947, Stadt­ archiv Winterthur 10 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Seen 1973

Die Bevölkerung hat sich fast verdoppelt. Nach der ersten grossen Bebauungswelle­ der 1960er- und frühen 1970er- Jahre ist Seen kaum wiederzu­ erkennen:­ Die Seenerstrasse nach Oberwinterthur­ hat ein neues, begradigtes­ Trassee erhalten, ebenso die Obersee- nerstrasse. Mit der neuen Landvogt-Waser-Strasse ist die Erschliessung des Gebiets nördlich und östlich des alten Dorfkerns vorbereitet. Neben weiteren Neubauten prägt besonders die Wingertli- Wohnüberbauung­ im Norden des Dorfs das Siedlungsbild. Der Mattenbach, begradigt und verlegt, trennt jetzt das Siedlungs- vom Kulturland. | Kartengrundlage:­ Stadtplan Winter- thur 1973, Stadtarchiv Winterthur

Seen 2008

Die Siedlungen in Seen und Oberseen sind bis auf wenige Flecken zusammen­gewachsen; auch das Gebiet südlich des alten Dorfkerns und der Etzberg-Hang sind nun ganz überbaut. Seit Beginn des Bau- booms in den 1960er-Jahren hat sich die Seemer Bevölke- rung mehr als verfünffacht und zählt bereits 17 000 Einwoh­ nerinnen und Einwohner. Während im Norden und in der die grossen Siedlun­ ­ gen dominieren, ist der sonnige Etzberg-Hang im Osten klein- teiligen Strukturen wie Ein­ familienhäusern vor­behalten. | Kartengrundlage:­ Landeskarte 1:25 000, Bundesamt für Landestopo­ ­ grafie, © 2012 swisstopo (BA120100) 11

Seen ist als einziger Stadtteil bis heute dank einem Grüngürtel vom Zentrum abgetrennt. Luftansicht von 1958. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Vom Dorf zur Wohnstadt Von Peter Niederhäuser, Historiker

Heute der drittgrösste Stadtteil von Winterthur, lässt burger auf. Prägend war die kirchenpolitische Zuge­ sich Seen nur schwer fassen. Der dynamischen Ent­ hörigkeit zur Grosspfarrei Oberwinterthur, prägend wicklung der Gegenwart steht eine beschauliche war aber auch die wirtschaftliche Ausrichtung auf die Vergangenheit gegenüber, die oft im Schatten von nahe Stadt und die politische Zugehörigkeit zur Graf- Winterthur stand. schaft Kyburg. Während Zehnt- und Gerichtsrechte­ Ein «grosses Pfarrdorf in einer angenehmen Ge- zur Landes­­herr­schaft gehörten, befanden sich viele gend, in der Nachbarschaft von Winterthur» – so be- Bauerngüter in der Hand Winterthurer Bürgerinnen schrieb das Schweizerische Ortslexikon 1862 Seen. Die und Bürger oder kirchlicher Institutionen. Bevölkerung würde sich «mit Feld- und Weinbau und Mit diesem lockeren politischen Rahmen hing Viehzucht beschäftigen und zum Theil die umliegen- auch das Siedlungsbild zusammen, das von einer Viel- den Fabriken besuchen ...». An der Schwelle zur Neu- zahl kleiner und kleinster Weiler bestimmt wurde. zeit war Seen eine ländliche Siedlung, die sich immer Trotz einer Kapelle entwickelte sich (Unter-)Seen nicht schon auf die grosse Nachbarin Winterthur ausrichten zu einem bestimmenden Zentrum. Vielmehr trug das musste. Von den beschaulichen Verhältnissen ist heute hügelige «Hinterland» zu einer Aufsplitterung der nur mehr wenig zu spüren: Von den Bevölkerungs­ Landschaft bei, deren gemeinsamer Nenner einzig die zahlen her eine mittelgrosse Stadt, zeichnet­ sich Seen Pfarrkirche in Oberwinterthur war. Es überrascht da- als Wohn-, wenn nicht Schlafquartier­ aus. Geprägt von her wenig, dass im Unterschied zu anderen Dörfern einer immer weiter ausgreifenden,­ wenig strukturier- Seen auffallend spät, nämlich erst 1500, als Gemeinde ten Häuserflut, fällt es entsprechend­ schwer, Seen als aktenkundig wurde. besonderen Stadtteil wahr­zunehmen. Dazu beigetra- Der Schritt zur Eigenständigkeit gen haben aber nicht allein die Baupolitik, sondern An diesem bescheidenen Rahmen änderte sich lange auch historische Gegebenheiten. nichts. Einen Wandel brachte erst die Klage über die Die Lage am östlichen Rand des Winterthurer «Entlegenheit» der Pfarrkirche gerade bei schlechter Beckens und am Zugang zum Zürcher Oberland be- Witterung. Auf Initiative des wohl einflussreichsten stimmte über die Jahrhunderte die Entwicklung Seens. Seemers, des Untervogtes Hofmann, und mit Unter- 774 erstmals in einer Schenkung an das Kloster stützung des Landvogtes auf der Kyburg, Hans Hein- St. Gallen erwähnt, das bis weit ins Mittelalter hinein rich Waser, beschlossen die «Gemeindegenossen der Grundbesitzer blieb, taucht die kleine Ortschaft später Pfarr Oberwinterthur ennet der Grüze» 1648 den Bau als Ge­biet der Grafen von Kyburg, dann der Habs­ einer eigenen Kirche; ablehnend verhielten sich einzig 12 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Eine Ansichtskarte zeigt Seen um 1900 als beschauliches Dorf mit der «Handlung H. Binder» und dem «Gasthaus und Metzgerei zur Sonne» als Highlights. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

die Leute aus und , die von einem zwischen 1834 und 1839, die zwar für die Gemeinde «un­nötigen Götzenbau» sprachen. Während die Eid- eine enorme Belastung darstellte, dafür aber endlich berger schliesslich einlenkten, hielten die Ricketwiler gute Verkehrsverhältnisse gewährleistete. Gleichzeitig an ihrer Meinung fest, blieben der alten Pfarrkirche wertete diese Verbindung Unterseen auf, das nun tat- treu und gehören deshalb bis heute zu Oberwinterthur. sächlich zum Zentrum der grossflächigen Gemeinde 1649 konnte die neue Kirche in Seen eingeweiht wurde und sich – vorläufig noch zaghaft – auf die werden, wenig später folgte gar ein eigenes Schulhaus. Haupt­strasse ausrichtete, ablesbar am Platz beim (Unter-)Seen kam so zu zentralörtlichen Funktionen, Schul­haus Dorf. ohne jedoch zur bestimmenden Siedlung aufzusteigen. Die Eröffnung der Tösstalbahn 1875 bedeutete die Die Weiler hielten vielmehr ihre lokale Identität hoch zweite Zäsur. Wirtschaftlich für Seen weniger relevant, und wahrten Distanz zum Pfarrdorf. bildete sich beim Bahnhof ein neues Quartier und zog Die von einer auffallend disparaten Siedlungs- die «Stationstrasse» (heute Kanzleistrasse) eine neue struktur mit zwei Dörfern, verschiedenen Weilern und Achse ins Siedlungsbild. Weit wichtiger war die Eisen- vielen Höfen geprägte Landschaft, die einerseits nach bahn für die Entwicklung im Tösstal, wo sich zuerst in Winterthur orientiert blieb, andererseits ins Tösstal Kollbrunn, dann in Sennhof neben Textilfabriken rasch ausgriff, bestimmte den Alltag in Seen bis in die Neu- Fabrikdörfer ausbildeten. zeit. Seen blieb eine ausgesprochen landwirtschaft­ Getragen von der Unternehmerfamilie Bühler, liche Gemeinde, mit Viehzucht in der Hügelzone und entstanden auf dem Boden der politischen Gemeinde Reben an der Hanglage. Wie andernorts auch, ergänz- Seen auf grüner Wiese neue Siedlungen, die mit dem ten (Neben-)Gewerbe wie Korbmacherei, Heimwebe- alten Seen wenig zu tun hatten. Sennhof bildete gar um rei oder Käserei die Palette der Beschäftigung. 1870 eine eigene Zivilgemeinde – die wohl jüngste im Ein gewerblicher Aufschwung scheiterte an den Kanton Zürich. Diese schliesslich fünf Zivilgemeinden bescheidenen Wasserläufen, die einzig den Betrieb einer Mühle erlaubten. Die Töss hingegen lag allzu Sogar das Gewerbe in Seen weit von den Siedlungen entfernt, um anfänglich eine behielt lange einen ländlichen Rolle zu spielen. Zwar gab es 1831 / 32 Pläne für den Charakter: Werbung der Korbwarenfabrik Müller & Cie, Bau einer Papierfabrik und einer Baumwollspinnerei um 1900. | Bild: Winterthurer an der Töss, die sich dann aber wieder zerschlugen. Bibliotheken, Studienbibliothek Einzig die 1836 / 37 erstellte «Untere Fabrik» in Koll- brunn, damals noch Teil von Seen, wies den Weg in die Neuzeit und war lange die grösste Arbeitgeberin der Gemeinde, wenn auch in grosser Distanz zum Dorf. Aufbruch in die Moderne Der Weg in die Neuzeit verlief sprunghaft. Eine erste Zäsur markierte der Bau einer neuen Tösstalstrasse 13

Im Bauboom der 1970er-Jahre entstand das Wingertli- Quartier als grossstädtisch angelegte Wohnsiedlung mit gross­zügigen Grün­räumen. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

trugen den dörflich-disparaten Charakter Seens bis tendsten Arbeitgeber, die Etablissements der Familie ins 20. Jahrhundert weiter und standen für die lokale Bühler, jetzt ausserhalb der Gemeindegrenzen lagen. Identität, die sich nicht nur gegenüber Winterthur, In Seen selbst behielt das Ge­werbe seinen ländlichen sondern oft auch gegenüber Unterseen abgrenzte. Charakter: Holzhandlungen, Möbelbau und Schreine- War die politische Gemeinde ein übergeordnetes rei, Korbwaren oder eine Mosterei. Gremium, so kümmerten sich die Zivilgemeinden vor Eine besondere Dynamik erhielt die Entwicklung allem um die Infrastruktur, um Fluren und Wege, erst in den 1960er-Jahren mit dem Beginn eines bei- Feuer­wehr oder Energieversorgung. Da die Zivilge- spiellosen Baubooms. Lebten um 1950 knapp 4000 Per- meinden als Besitzerinnen von Ländereien oft wohl­ sonen im Stadtteil Seen, so waren es um 1970 bereits habender waren als die politische Gemeinde, die vom 7000, um bis 2010 auf über 17 000 Menschen anzu­ bescheidenen Steuerertrag lebte, kam ein Teil des steigen. Als Symbol der Hochkonjunktur wurde ein Fort­schritts von dieser Seite. Am bemerkenswertesten Einkaufszentrum mit Hochhäusern geplant, das dann ist vielleicht der Bau eines Elektrizitätswerkes auf aller­dings 1973 in deutlich bescheideneren Dimensio­ ­ Initiative der Wochengesellschaft. 1897 stimmte die nen eröffnet wurde und den Anspruch auf ein Wahr­ Zi­vil­gemeindeversammlung von (Unter-)Seen zu, we- zeichen des Stadtteils nicht einlösen konnte. nig später entstand das markante Backsteingebäude, Als wegweisender Entscheid sah der Stadtrat be- die heutige Freizeitanlage an der Kanzleistrasse, und reits in den 1950er-Jahren einen Grüngürtel vor, um lieferte den Strom für Strassen- und vor allem Privat- Seen optisch weiterhin von der Stadt abzugrenzen. lampen. 1922 fand die Eigenständigkeit ein Ende – die Umso rasanter hielt dann in Seen selbst, gefördert letzte grosse Zäsur in der Geschichte von Seen. Seit auch durch die Einführung der direkten S-Bahn-Linie dem 1. Januar 1922 und nach einer Volksabstimmung nach Zürich, der moderne Wohnungsbau Einzug. Die über die Eingemeindung gehört Seen zu «Gross- Folgen sind im Siedlungsbild abzulesen, das sich von Winterthur», musste jedoch auf Druck des Kantons­ der Ebene wenig organisch immer weiter in die Hügel- rates Töbeli und Bölsterli an Kollbrunn abtreten. Bei zone hinaufzieht. Die Eigenheit einer vielgliedrigen der Schaffung des Stadtteiles Mattenbach ging dann Ortschaft hat sich aber vorläufig halten können. Die 1973 auch im Westen ein Landstreifen «verloren». historisch gewachsenen Weiler wie Iberg, Eidberg, Ein Stadtteil im Wandel Gotzenwil oder Sennhof erinnern nicht nur an eine Mit der Eingemeindung begann zwar ein neues Kapitel, kleinräumige, lokale Geschichte, sondern bilden in doch vorläufig änderte sich wenig im Seemer Alltag. Richtung Oberland auch eine Zone des Übergangs – der Abgesehen von einer holprigen Strassenbahn, die Ende grüne Rand einer weiterhin wachsenden Grossstadt. 1922 eröffnet und 1941 durch den Trolleybus ersetzt wurde, blieb Seen ein ruhiger, ländlicher Stadtteil, Buchhinweis dessen Bevölkerung – zum Teil «Rucksäcklibauern» – Seen in der Neuzeit. Dorf – Vorort – Wohnstadt. Neujahrs- vor allem in Winterthurer Fabriken arbeitet. Seen bot blatt der Stadtbibliothek Winterthur Bd. 342 (2009). nur wenige Arbeitsplätze an, zumal die beiden bedeu- 14 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Seen einst und heute

Seen aus Distanz Moderne Wohnblöcke ver­ stellen die Sicht auf den alten Dorfkern. Die Kirche bleibt ein wichtiger Orien­tierungspunkt. Blick von Nordosten. | Bilder: links: Archiv Ortsverein Seen (1910), rechts: Christian Beutler (2012)

Kreuzung Seenerstrasse / Landvogt-Waser-Strasse Bauen auf der grünen Wiese: Der Boom in der Nachkriegs- zeit veränderte das Gesicht Seens nachhaltig. | Bilder: links: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek­ (1966), rechts: Christian Beutler (2012)

Tösstalstrasse I Einst Zentrum des dörflichen Lebens, heute vor allem Durch­fahrtsstrasse. Nach wie vor erkennbar ist das Restaurant Sonne. | Bilder: links: Archiv Orts­verein Seen (1923), rechts: Christian Beutler (2012)

Tösstalstrasse II Kutschen wurden durch Autos abgelöst, die Strassen­ sind asphaltiert. Es bleibt das Wirtshaus zur Sonne als Teil der Kernzone.­ | Bilder: links: Archiv Ortsverein Seen (1921), rechts: Christian Beutler (2012) 15

Tösstalstrasse III Die Strassenbahn wurde 1921 erbaut und 1944 durch Trolleybusse ersetzt. Links das Wirtshaus Krone, das bei einem Umbau ebendiese verlor. | Bilder: links: Archiv Ortsverein Seen (1927), rechts: Christian Beutler (2012)

Hinterdorfstrasse I Die Hinterdorfstrasse war Teil eines alten Dorfkerns in Seen. Der zweite Dorfkern befand sich bei der Rössli­ gasse. | Bilder: links: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek (1950), rechts: Christian Beutler (2012)

Hinterdorfstrasse II Die Hinterdorfstrasse liegt in einer Kernzone. Durch die erhöhten Anforderungen an Baumassnahmen können wichtige Elemente des Ortsbildes erhalten werden. | Bilder: links: Winterthurer Bibliotheken (Datum unbekannt), Studienbibliothek, rechts: Christian Beutler (2012)

Bahnhof Seen Der Bahnhof Seen wurde 1875 mit der Tösstalbahn eröffnet. | Bilder: links: Archiv Ortsverein Seen (1895), rechts: Christian Beutler (2012) 16 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Tösstalstrasse mit Wirtschaft zur Krone, Postkarte um 1900. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Studienbibliothek scannt alte Bilder Von Regula Geiser, Studienbibliothek

Die Studienbib­liothek der Winterthurer Bibliothe­ Bäckerei Jucker an der Kanzlei- ken ist mit einem Stand vor Ort und bietet Einblick strasse 15, erbaut 1904. in ihre Bildersammlung. Wer selbst noch Fotos und | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Erinnerungen hat, bringt sie am besten gleich zum Studienbibliothek Scannen und zum Er­zählen mit. Keine sechzig Jahre ist es her, da war Seen noch stark ländlich geprägt, eher ein Dorf als ein Stadtteil Stand Studienbibliothek Winterthurs. Dann kam der Boom, und das Dorf ver­ änderte sein Gesicht komplett. Dieser Wandel lässt sich 8. September 2012 in der Bildersammlung der Studienbibliothek verfol- 9–16 Uhr gen: Ansichten von Seen, von der Mitte des 19. Jahrhun­ derts bis zur Gegenwart, füllen 22 Bilderordner – dar- Alte und neue Ansichten unter neben Fotografien auch viele Tuschzeichnungen­ von Seen, Austausch von des Künstlers Emil Bollmann. Sie alle können am Tag thur neben Bildern und Fotografien noch einiges mehr Bildern und Erinnerungen, des Denkmals in Seen besichtigt werden. zu bieten: Urkunden, Chroniken und Nachlässe von Wettbewerb Möchten Sie Ihre Ortskenntnisse von Seen unter Winterthurer Persönlichkeiten und Vereinigungen so- Beweis stellen? Dann nehmen Sie an unserem Wett­ wie Briefe, Manuskripte, Tagebücher und Protokoll­ : Mitarbeitende der bewerb teil. Haben Sie selbst auch Fotos oder andere bücher. Sie dokumentieren die Geschichte und Sied- Studienbibliothek Dokumente und Erinnerungen zur Seemer Entwick- lungsentwicklung Winterthurs vom Mittelalter bis zur : Freizeitanlage Kanzlei­ lung und zum Leben im Ort? Dann bringen Sie sie mit. Gegenwart. In der Bildersammlung finden sich rund strasse Mitarbeitende der Studienbibliothek werden die Bilder 180 000 Bilddokumente, von der Tuschzeichnung bis vor Ort scannen und dokumentieren. Und auch wenn zur digitalen Fotografie. Zur Sammlung gehören Orts- Sie mit persönlichen Erinnerungen – hervorgerufen ansichten, Postkarten, Gruppenbilder von Vereinen, durch das eine oder andere Bild – etwas zum Seemer Schulklassen und Familien sowie Fotografien und Por- Geschichtsgedächtnis beitragen möchten, sind Sie am träts von Winterthurer Persönlichkeiten. In den neu Stand der Studienbibliothek herzlich willkommen! um­gebauten Räumen im historischen Museums- und Als kulturelles Gedächtnis der Stadt Winterthur Bibliotheksgebäude an der Museumstrasse 52 können hat die Studienbibliothek zu Geschichte, Kultur und Sie sich in die Geschichte Seens und Winterthurs ver- Landschaft von Seen und ganz allgemein von Winter- tiefen. 17

:RKQ XQG :LUWVKDXV ]XP 5|VVOL .\EXUJLVFKH 8QWHUYRJWHL

'DFKVWXKO 

:RKQWHLO .HUQEDX  %RKOHQVWlQGHUEDX 6FKHXQHQ 6WDOOVFKHXQH  :RKQKDXV.HUQEDX  :RKQKDXV HUZHLWHUXQJ HUZHLWHUXQJ HUZHLWHUXQJ  :RKQWHLO 6WDOO7HQQH  RIIHQHU 6WDOO 7HQQH  =ZLVFKHQUDXP JHVFKORVVHQ P 

Ein 2011 erstelltes dendrochronologisches Gutachten liefert neue Erkenntnisse über die Bauphasen des Doppelbauernhauses an der Rössligasse 7/ 9 / 11. | Plan: Stadt Winterthur, Überzeichnung Peter Albertin 2012

Auf der Suche nach dem Dorfkern Von Peter Albertin, Bauhistoriker

Seen, eigentlich Unterseen, wird 774 erstmals ur­ Seens ältestes Haus kundlich genannt. Der Ortsname leitet sich von Der andere Siedlungskern liegt am Zusammenfluss Sehaim ab, einem Heim an flachem Gewässer im von Mattenbach und Schwerzenbach. Im 15. Jahrhun- Grüzefeld. Doch Bauten aus dem Mittelalter fehlen dert wird dort ein Werdhof als Lehenshof von etwa ebenso wie ein eigentlicher Dorfkern. 20 Hektaren Ausdehnung genannt. Frühneuzeitliche In Oberwinterthur, Veltheim und Wülflingen ent- Bauernhäuser stehen entlang der Werdstrasse. Das standen rund um die frühmittelalterlichen Kirchhöfe dortige Bauernhaus Hinterdorfstrasse 16 gilt mit Bau- grosse Dörfer mit einer gemischten Bevölkerung aus jahr 1515 als bisher frühestdatiertes Gebäude Seens. Führung: Bauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden. An- Manche schmucken Riegelbauten vor allem an der Alter Dorfkern ders in Seen, dessen Bevölkerung – vor allem Bauern Hinterdorfstrasse entstanden nach einem Dorfbrand – nach Oberwinterthur zur Kirche ging. Noch heute im Juli 1830. 8. September 2012 zeichnen sich zwei Siedlungskerne ab und prägen In den 1830er-Jahren lösten die Aufhebung der 11–12 Uhr, 14–15.30 Uhr, unter dem Diktat der Tösstalstrasse die Dorfanlage. Lehensverhältnisse und der Dreizelgenwirtschaft 15.30–17 Uhr Am Boll, einem Ausläufer des Eschenberges mit (Pflanz- und Nutzungsordnung im Dreijahresrhyth- Übergang vom Eulachtal ins Tösstal, säumen grosse mus) eine grosse Boden- und Landwirtschaftsreform : Peter Albertin, Bau­historiker Bauernhäuser des 16. und 17. Jahrhunderts die platz­ aus. Der Staat trieb den Bau von Kantonsstrassen vor- artig geweitete Rössligasse. Bereits 1225 wird eine Hof- an. So entstand um 1838 die Tösstalstrasse. Sie trennt : Treffpunkt Freizeit­ stätte im Eigentum des Klosters Rüti genannt. Seit dem die beiden Siedlungskerne in diagonaler Lage zum anlage Kanzlei­strasse 15. Jahrhundert bewirtschafteten Mitglieder der Fami- vorherigen Bauraster – und verhinderte somit die Ent- lie Hofmann jenes Gut. Sie sind noch 1843 als Eigen­ stehung eines zusammenhängenden, lebhaften Seemer : An­mel­dung erforderlich tümer der Rössligasse 11 verzeichnet. Mehrfach stell- Dorfkerns. ten Vertreter der Familien den Untervogt des Amtes Kyburg, weshalb die Liegenschaft noch heute Kybur­ gische Untervogtei genannt wird. Das Doppelbauern- haus Rössligasse 7 / 9 / 11 entstand in verschiedenen Bau­etappen und letztlich aus dem Zusammenschluss Hinweis zweier Bauernhäuser. Im 17. / 18. Jahrhundert reihten Mehr Informationen zur Rössligasse 7/ 9 / 11 finden Sie sich entlang der Bollstrasse Wohn- und Ökonomie­ auf Seite 25. bauten von Kleinbauern und Handwerkern. 18

Im Dorfkern von Seen treffen Konstruktionsarten ver­ schiedener Jahrhunderte aufeinander. | Bild: Christian Beutler

Die Entwicklung des bäuerlichen Holzbaus Von Raya Hauri, Architektin

Ein Gang durch die Seemer Dorfkerne führt an Die Nordfassade des Bauern- prächtigen alten Bauernhäusern und Vielzweckbau­ hauses an der Werdstrasse ist ten vorbei. Ihre unterschiedlichen Holzkonstruk­ ein selten gewordener Zeuge tionen dokumentieren die Entwicklung der Holz­ der bäuerlichen Bohlenständer- bauweise der vergangenen fünf Jahrhunderte. bauweise. | Bild: Christian Beutler Holz bot sich in unseren waldreichen Gebieten als Baumaterial für den ländlichen Hausbau an. Es war während langer Zeit in ausreichenden Mengen vor- handen und konnte vor Ort gewonnen werden, sodass weite Transportwege entfielen. Die Seemer Bauern- häuser waren als Bohlenständerbauten gezimmert. Die­se Bauweise besteht aus einem Rahmengerüst Die zimmermannstechnischen Grundregeln der (Ständer und Schwellen) und eingenuteten Wand­ Ständerbaukonstruktion bedingen eine fest vorgege­ füllungen aus Bohlenbrettern. Nur noch wenige solche bene Grundrissgliederung. Die gebräuchlichste Gliede­ Konstruktionen sind in Seen erhalten. Die meisten rung mit zwei äusseren und zwei inneren in First­ Bauernhäuser wurden im Laufe der Zeit erweitert und richtung angeordneten Ständerreihen führt zu einer umgebaut, und da die Bohlenständerbauweise sehr Dreiteilung des Grundrisses, die den Begriff des «drei- holz­intensiv und das Auswechseln defekter Bohlen auf­ raumtiefen Bauernhauses» geprägt hat. Die räumliche wendig ist, wurden sie oft mit Fachwerkkonstruktionen Abfolge von Stube, Küche mit Herdstelle und Kammer oder Massivbau erweitert oder ersetzt. bestimmt bis weit in das 19. Jahrhundert die Grund- Eine aussergewöhnlich gut erhaltene Bohlenstän- rissordnung der Bauernhäuser des Mittellandes und derkonstruktion ist an der Nordfassade des Doppelbau- lässt sich auch in den meisten Seemer Bauernhäusern ernhauses Werdstrasse­ 9 / 11 in Seen überliefert. Mittels feststellen. Die mittig liegenden Küchen standen ur- Holzdatierungsverfahren konnte der älteste Teil des sprünglich bis zum First offen, erst später wurde der Hauses auf das Jahr 1663 / 64 datiert werden. Planunter­ Abzug mittels Rauchfang und Kamine über Dach ge- lagen und der überlieferte Bestand von unter­schied­­­ führt. Die wenigen heute noch anzutreffenden, von lichen Konstruktionstypen und -details ermöglichten Rauch verrussten und verpechten Balken deuten des- es Bauforscher Peter Albertin, die komplexe Entwick­ ­ halb meist auf ein entsprechend hohes Alter des Dach- lungs­­geschichte dieses Gebäudes aufzuschlüsseln. stuhls hin. Europäischer Tag des Denkmals 2012 | 19

Legende Bauetappen: 1664 1664, später entfernt nach 1664 bis 19. Jh. 20. Jh.

Dank dendrochronologischen Verfahren können die Balken und Ständer der Stallscheune datiert und die Bauetappen rekonstruiert werden. Oben: Querschnitt, links: Nord­ Wohnhaus Werdstrasse 11 Wohnhaus fassade. | Pläne: Peter Albertin im 20. Jh. Werdstrasse 9 strukturell erbaut 1795 erneuert

Führung: Bauernhäuser

8. September 2012 Holzmangel und Innovationen im Holzbau muster verleihen. Nach dem Grossbrand in Seen im 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, Das starke Bevölkerungswachstum im 17. Jahrhundert Jahr 1830, dem über sechzehn Bauten zum Opfer 15.30–16.30 Uhr führte in Seen innert weniger als sechzig Jahren zu fielen, entstanden mehrere prächtige Fachwerkbau- einer Verdoppelung der Einwohnerzahl. Damit einher ten, die das Dorfbild heute noch prägen. : Raya Hauri, Architektin, und Isabelle Schmid, ging eine rege Bautätigkeit – in diese Jahre fielen der Neue Materialien wie Tonziegel und das Bedürf- Denkmalpflege Winterthur Bau der Kirche, des Schul- und Gemeindehauses –, die nis nach grossen Dachräumen dürften im Laufe des einen allgemeinen Mangel an Bauholz zur Konsequenz­ 16. Jahr­hunderts zum Wechsel vom flach geneigten, : Treffpunkt Werd­- hatte. Restriktivere Holzschlagbestimmungen, aber mit Schindeln gedeckten «Tätschdach» zum ziegel­ strasse 9, vor dem Eingang auch neue feuerpolizeiliche Vorschriften waren zwei gedeckten Steildach geführt haben, der nur dank be- von mehreren Ursachen, die die Entwicklung vom trächtlicher Innovationen im Holzbau und neuen : An­mel­dung erforderlich reinen Holzbau zum sparsameren Fachwerkbau antrie- Dach­stuhlkonstruktionen möglich war. Solche bautech­ ben. Beim Fachwerk werden die Wandfüllungen zwi- nischen Entwicklungen, aber auch soziale und wirt- schen dem tragenden Rahmengerüst aus Bruchsteinen, schaftliche Veränderungen sind in historischen Holz- Ziegelsteinen, Rutengeflecht, Strohwickel und anderen konstruktionen gespeichert und bleiben ablesbar. Sie Baustoffen ausgeführt. Solcherart instabile Ausfachun- repräsentieren wertvolle zeit- und landschaftsgebun- gen erfordern eine Verstärkung des Rahmengerüstes, dene Zeugen der Bauleistung vieler Generationen. eine Aufgabe, die zusätzliche Verstrebungshölzer über- nehmen, die der Fachwerkfassade ihr typisches Grund- 20 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Das Schulhaus Tägelmoos verkörpert die Ideen der Schule als Abbild der traditionellen Stadt mit einem Platz und Grünflächen. Aber kann es das fehlende Dorfzentrum ersetzen?| Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Schulbauten als Quartierzentren? Von Adrian Mebold, Kunst- und Architekturhis­toriker

Was in Seen in den letzten 50 Jahren geschah, ist Innerhalb eines halben Jahrhunderts nur änderte schweizweit typisch für die Siedlungsentwicklung sich das Verhältnis vom unbebauten zum bebauten rund um die einstigen Bauerndörfer im Einflussbe­ Land radikal. Das alte Dorf sah sich alsbald einer reich einer Stadt. Das Agrarland bot sich als ideale Kulisse von Wohnbauten gegenüber, die in den letzten Freifläche für Wohnungs- und Industriebau im Jahren bis an die ausgefransten Ränder des Kerns vor- Zuge des wirtschaftlichen Aufschwungs an, zuerst drangen. Seen wurde endgültig zur Wohnstadt mit nach dem Zweiten Weltkrieg, gefolgt von weiteren einem baulich und funktional schwach entwickelten Führung: Wachstumszyklen bis in die Gegenwart. Zentrum – trotz kleinem Einkaufsparadies, Post und Schulhaus Tägelmoos Begleitet wurde die neue Prosperität nicht nur reformiertem Kirchgemeindehaus. In den Neubau­ von einem verstärkten Bevölkerungswachstum. Mit gebieten bilden die Schulbauten, einschliesslich der 8. September 2012 dem Wirtschaftswunder in den 50er- und 60er-Jahren katholischen Pfarrei, eine neue Form von Quartier­ 14–15.30 Uhr, wuchsen erstmals auch die Ansprüche nicht nur des zentrum. Die Schulhäuser Tägelmoos (1971), jüngst vor­ 15.30–17 Uhr Mittelstandes, sondern auch der Arbeiterschicht in ­bildlich renoviert, und Steinacker (1976), im Zustand Bezug auf Wohnkomfort. Die stadtplanerischen Ant- des langsamen Zerfalls, verkörpern die fortschrittli- : Adrian Mebold, Kunst- worten auf diese Herausforderungen orientierten sich chen Ideen der Schule als Abbild der traditionellen und Architekturhistoriker wesentlich an den in Deutschland erprobten Vorbil- Stadt mit einem Platz, darum herum Bauten mit unter- dern: Grosssiedlungen für die unteren Schichten in der schiedlichen Funktionen, Wegen und Grünflächen. : Treffpunkt Freizeit­ Ebene. Die Punkthochhäuser in Kombination mit nied- Seen prägen viele neue Strassen. Auf dem Reiss- anlage Kanzlei­strasse rigeren Bauten erlaubten einen relativ grosszügigen, brett entworfen und begleitet von Bauten ohne Inte­ : An­mel­dung erforderlich begrünten Freiraum. Als Beispiel dafür steht Seen- resse am Strassenraum, funktioniert beispielsweise Neudorf (um 1970). Der Seemer Westhang blieb den die Landvogt-Waser-Strasse einzig als effiziente Um­ Besserverdienenden mit ihren individualistischen Ein- fahrungs- und Verbindungsstrasse – ohne grossen An- familienhäusern vorbehalten. Zweifellos bietet Seen spruch an eine zusammenhängende Gestaltung. in verschiedenen, stark durchgrünten Quartieren mit Doppeleinfamilien- und kleineren Mehrfamilienhäu- sern eine sehr hohe Lebensqualität. Der Grüngürtel, der Seen von der Stadt trennt, ist eine städtebauliche Pioniertat, die Seen wertvollen Erholungsraum und stadträumliche Autonomie sichert. 21

Der Kindergarten an der Büelhofstrasse wurde 1931 / 32 gebaut. Im Zuge des Baubooms wurden die Schulräume aber bald wieder knapp. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Schule statt Fabrik – der Bildungsaufbruch in Seen Von Verena Rothenbühler, Historikerin

Das 1838 eröffnete Schulhaus Dorf in Seen markiert den Bildungsaufbruch im 19. Jahrhundert. Der Wert Im Schulhaus an der Kanzlei- der Schulbildung musste sich jedoch in einem strasse wurden bis zu hundert längeren Prozess erst durchsetzen. Nach einem Kinder von einem Lehrer gemächlichen Anfang wurde der Schulhausbau in unterrichtet. | Bild: Winterthurer Seen seit den 1960er-Jahren zur Daueraufgabe. Bibliotheken, Studienbibliothek Mit dem Schulgesetz von 1832 wurde im Kanton Zürich der Grundstein für das heutige Schulwesen ge- Führung: legt. Von diesem bildungspolitischen Aufbruch zeugt Schulgeschichte das Primarschulhaus Dorf von 1838. Die Schulpflicht stellte jedoch viele Arbeiter- und Bauernfamilien vor machte diese Wünsche obsolet. Dem Tempo, mit dem 8. September 2012 eine neue Situation. Der Verzicht auf die Kinderarbeit die Überbauungen in Seen in den Himmel schossen, 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, fiel ihnen schwer, und sie schickten ihre Kinder un­ entsprach auch der Bau des Schulhauses Steinacker. 15.30–16.30 Uhr willig und unregelmässig in den Unterricht. Wie der Das «Express-Schulhaus» wurde innerhalb von 13 Mo- Seemer Schulpräsident Pfarrer Rordorf 1836 berichtete, naten errichtet und 1976 bezogen. : Verena Rothenbühler, Historikerin, und Henriette schliefen die von der Fabrikarbeit erschöpften Kinder In den 1970er-Jahren erfasste der Bauboom Ober- Hahnloser, Denkmalpflege in der Schule oft ein. seen. Das Schulhaus in Oberseen erlebte allerdings Winterthur 1870 wurde in Seen die erste Sekundarschul­ eine lange Planungsgeschichte. Nachdem das Baupro- klasse eröffnet. Bald reichte der Platz auch im Jahr 1889 jekt mehrmals überarbeitet werden musste, verzögerte : Treffpunkt Altes Schul- aufgestockten Schulhaus nicht mehr aus. 1916 konnte es sich erneut wegen des schlechten Baugrundes am haus, Sägeweg 3 Seen das Sekundarschulhaus «auf Pünten» einweihen, Krebs­bach. Erst 1997 konnte das Schulhaus in Betrieb und die Raumprobleme schienen für die nächsten genommen werden. Unter keinem guten Stern stand : An­mel­dung erforderlich Jahrzehnte gelöst. Doch die Entwicklung verlief im auch das jüngste Seemer Schulhaus. Beim Bau der 20. Jahrhundert einiges schneller. Nachdem 1957 das Schulhausanlage im Sennhof kam es nach zahlreichen Sekundarschulhaus zum Oberstufenzentrum Bühl­ Pannen zu einem Baustopp. Das Gebäude konnte des- wiesen erweitert worden war, setzte in Seen der Bau- halb erst 2008, ein Jahr später als geplant, bezogen boom ein. Das 1971 in Betrieb genommene Schulhaus werden. Ob nun die hektischen Jahre der Raumbe- Tägelmoos sollte das Primarschulhaus im Dorf er­ schaffung in der Geschichte der Seemer Schule abge- setzen. Doch der rasante Anstieg der Schülerzahlen schlossen sind, wird sich erst in Zukunft zeigen. 22 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Die Mühle als Ursprung des Gewerbes ist auf diesem Bild von 1933 bereits stillgelegt und diente fortan als Restaurant. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Spuren der Industrialisierung in Seen Von Heinz Pantli, Bauforscher

Obwohl rundherum die Industrie aufblühte, waren Seen in die Stadt Winterthur eingemeindet wurde, der in Seen vorerst keine Zeichen dieser Entwicklung einzige Textilbetrieb der Gemeinde. Da ausreichen­de sichtbar. Die Gemeinde zählte um 1850 400 Haus­ Wasserkraft nur im Tösstal vorhanden war, siedelten halte mit insgesamt rund 1700 Einwohnerinnen und sich im und um das Dorf kaum industrielle Betriebe an. Ein­wohnern, aber nur ein verschwindend geringer Die Betriebe der Familie Bühler und das Aufblü- Teil davon war dannzumal in der Industrie um hen der Schwerindustriestadt Winterthur liessen hin­ Winterthur tätig. gegen die Bevölkerung in der Gemeinde bis 1906 fast Die erste Fabrik auf Gemeindeboden entstand auf das Doppelte anwachsen. Mehr als die Hälfte der 1836 / 37 an der Grenze zur Gemeinde Zell, am Orts- Haushalte lebte damals von der Arbeit in den Winter- rand von Kollbrunn. Die Spinnerei, «Untere Fabrik» ge­ thurer Industriebetrieben. nannt, folgte auf die 1832 ebenfalls von der Fabrikanten­ Wie andernorts auch, war die Mühle der Aus- familie Bühler erstellte «Obere Fabrik» in Kollbrunn. gangspunkt der industriellen Entwicklung. Das statt­­ 1860 kam die Spinnerei Sennhof von Eduard Bühler- liche Mühlegebäude stand östlich des Dorfes an der Egg (1833–1909) hinzu, die auf dem Boden der Gemein- Verzweigung Oberseenerstrasse / Grünmattenstrasse, de Kyburg stand. Die «Untere Fabrik» blieb bis 1922, als die ursprünglich nach Oberseen führte. Auf Wunsch

Die 1904 gegründete Schreinerei Kägi expandierte bald und nannte sich fortan Möbelfrabrik. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek 23

Der Hochkamin der Mosterei Erb war einst ein gewerblicher Leuchtturm. 1971 musste der Betrieb dem Einkaufszentrum weichen. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

der Gemeinde erbaute der Müller Ulrich Hofmann Südwestlich neben dem Bahnhof befand sich die 1835 neben der bisherigen Anlage eine Sägerei. Zwei «Holzhandlung, Sägerei und Imprägnieranstalt Mess- Wasserräder betrieben die Mahlmühle, eines die Säge- mer, Metzger & Jucker». Um die Wende vom 19. zum rei und Reibe. Das Wasser wurde im Krebsbach gefasst, 20. Jahrhundert gegründet, produzierte der Betrieb bis in zwei Weihern gespeichert und von dort den Rädern einige Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Der florie- zugeführt. Wegen Wassermangel wurde bereits 1855 rende Betrieb beschäftigte 1909 zehn Arbeiter und be- eines der Räder durch eine Dampfmaschine ersetzt. sass ein riesiges Holzlager, imprägnierte er doch gegen Der Betrieb wurde 1928 eingestellt, und das Gebäude 10 000 Baumstämme pro Jahr. diente danach als Werkhof für das Baugeschäft der Brü- 1904 gründete Heinrich Kägi eine Schreinerei, der Bär. Das Hauptgebäude musste 2004 einer Wohn- die sich bald Möbelfabrik nannte und bereits 1915 ein überbauung weichen. An die einstige Sägerei erinnert neues Werkstattgebäude für maximal 13 Arbeitsplätze im Ort nur noch die Strassenbezeichnung Sägeweg. erhielt und ein grosses Musterlager für Wohnungs­ Kurz vor der Mitte des 19. Jahrhunderts entstand einrichtungen unterhielt. westlich, unterhalb des Weilers Gotzenwil im Quellge- Seener Orangina Führung: biet des Krebsbachs, eine Handziegelei, die erstmals in Wo sich das heutige Einkaufszentrum Seen befindet, Industrie und Gewerbe der Kantonskarte um 1850 erscheint. Der Betrieb die- stand bis 1971 die im letzten Viertel des 19. Jahrhun­ ­ ser Kleinziegelei wurde bereits vor 1900 wieder einge- derts errichtete Mosterei Erb, mit Hochkamin. Als 8. September 2012 stellt, an seine Existenz erinnern noch die Flurbezeich- «Obst­weinkelterei und Dampfbrennerei» gegründet, 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, nung «Ziegelhütte» und der zugehörige Hof. nannte sie sich später «Obstverwertung» und produ- 15.30–16.30 Uhr Die Korbmacher von Seen zierte das «Seener Orange» (ein Süssmostgetränk mit Handwerklich-landwirtschaftlichen Hintergrund be­ Orangensaft). : Heinz Pantli, Bau­forscher sassen­ die Korbwarenfabriken. Die bedeutendste war Auf dem Ganzenbühl, südlich des Dorfes, er- die Fabrik von Henri Müller, etwa 200 Meter ausser- schloss Robert Weibel 1922 die heute noch bestehende : Treffpunkt ehemalige halb des Dorfes an der Tösstalstrasse. Das 1875 er­stellte Kiesgrube. Auf dem Areal mischt heute die Firma Korbwaren­fabrik Müller & Betriebsgebäude mit drei Paralleldächern ist das einzi- Toggenburger Beton. Und nördlich des Dorfes, hart an Widmer, Tösstalstrasse 297 ge erhalten gebliebene, bedeutende Industriegebäude der Grenze der ehemaligen Gemeinde Oberwinterthur, des Dorfes. Wohl um 1883 gründete Gottfried Wurster, entstand 1925 die Azetylenfabrik Winterthur. Bauherr : An­mel­dung erforderlich ein Korbmacher aus dem Schwarzwald, eine kleine war das Sauerstoff- und Wasserwerk Luzern AG. Korbfabrik bei der Bahnstation. Diese beschäftigte 1893 etwa zehn Personen, musste aber wegen der Konkur- renz wenige Jahre später die Zahl der Beschäftigten halbieren. 1913 wird die Korbwarenfabrik von Johan- nes Dütsch an der alten Dorfstrasse erwähnt. Dieser produzierte und handelte mit Korbwaren, Kinder­ wagen, Bürsten und Holzwaren. 24 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Vor 70 Jahren noch unbewohntes Sumpfgebiet am Rande der Stadt. Heute ist Rotenbrunnen eine typische Winterthurer Gartenstadtsiedlung mit | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek idyllischen Doppeleinfamilienhäusern. | Bild: Amt für Städtebau

Ein Arbeiterdorf wächst aus dem Sumpf Von Stephanie Fellmann, Denkmalpflege Winterthur

In den 1940er-Jahren erbaute die Gesellschaft für her kaum urbar gemachtem Gebiet zwei Kleinsiedlun- Erstellung billiger Wohnhäuser auf einem grossen gen, die sich mit ihrem charakte­ristischen «Dörflibild» Grundstück in Winterhur-Seen eine Wohnkolonie. an den Kolonien der SVIL orientierten. Die Architektur Die insgesamt vierzehn errichteten Doppeleinfami­ der Häuser war an den Heimatstil angelehnt, der seit lienhäuser bildeten eine in sich geschlossene «Dörf­ der Landesausstellung 1939 das «typisch Schweize­ chen­idylle». Zu jedem Haus gehörte bis zu 1500 Qua­ rische» aufleben liess. Holz war das bevorzugte Bau- dratmeter Pflanz­land, das eine Selbstversorgung material. Führung: ermöglichte. Bis heute ist der Charakter der Sied­ Die Siedlung Rotenbrunnen wurde auf sumpfigem Siedlung Rotenbrunnen lung weitgehend erhalten geblieben. Gelände erbaut. Die Architekten Keller und Müller re- Nach dem Ersten Weltkrieg waren Wohnungsnot alisierten 14 Doppeleinfamilienhäuser, die sich jeweils 8. September 2012 und Lebensmittelknappheit auch in der Schweiz allge- mit einem Schopfanbau und einem langgezogenen 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, genwärtig. Der Mangel an günstigen Wohnungen für Garten hinter dem Haus an der ländlichen Architektur 15.30–16.30 Uhr die Industriearbeiter führte zur Gründung vieler Ge- orientierten. Die einfach, aber zweckmässig ausgestat- nossenschaften, darunter der Schweizerischen Verei- teten 5- und 6-Zimmer-Häuser wurden 28 Familien mit : Stephanie Fellmann, nigung für Innenkolonisation und industrielle Land- insgesamt 120 Kindern aus der ärmeren Bevölkerungs- Denkmalpflege Winterthur wirtschaft (SVIL). Diese setzte sich für die Erstellung schicht zugestanden und sollten ihnen eine gesunde günstigen Wohnraums ein. Das preiswerteste Bauland und eigenständige Lebensweise ermöglichen. Das : Treffpunkt Strassen­ war in den Aussenquartieren der Stadt zu finden. Auf Pflanz­land war grosszügig bemessen und diente dem gabelung Oberseener- / Rotenbrunnenstrasse diese Weise sollte die Industriebevölkerung auf dem Gemüse-, Getreide- und dem Obstanbau. Nach einer Land eine Heimstätte erhalten und durch die Land­ Probezeit von zwei Jahren, in der auch die «sachge­ : An­mel­dung erforderlich arbeit auf dem eigenen Grundstück zudem einen Teil mässe und intensive Bewirtschaftung des Gartens» ge- der notwendigen Lebensmittel selbst produzieren. prüft wurde, konnten die Bewohner ihre Häuser zum Die Gesellschaft für Erstellung billiger Wohnhäu- Selbstkostenpreis von 27 000 Franken erwerben. ser (GEbW), die weitgehend von Winterthurer Gross- Die Wohnhäuser wurden in den letzten Jahrzehn- betrieben getragen wurde, nahm diese Idee Jahrzehn- ten umgebaut und den gewandelten Wohnansprüchen te später wieder auf. Im Schooren und im Rotenbrunnen angepasst. Aus der Arbeiterkolonie ist mittlerweile eine waren die Bodenpreise wegen der abgelegenen Lage sozial durchmischte Wohnsiedlung geworden. Trotz- niedrig, sodass die GEbW grössere Grundstücke er­ dem blieb der ursprüngliche Siedlungscharakter weit- werben konnte. 1941 bis 1943 entstanden hier auf bis- gehend erhalten. 25

Das Gebäude der ehemaligen Untervogtei beherbergt heute die Kreisbibliothek Beim Umbau im Jahr 2006 wurde die Bibliothek denkmalpflegegerecht saniert sowie Teile der Stadtverwaltung. | Bild: Michael Lio und räumlich besser organisiert. | Bild: Michael Lio

Die Untervogtei Seen Von Miguel Garcia, Denkmalpflege Winterthur

Die ehemalige Untervogtei an der Rössligasse 9/11 1830 wird das ehemalige Wohnhaus (Rössligasse 11) als war jahrhundertelang das herrschaftliche Zentrum Weinschenke bezeichnet. Seither erlebte das Gebäude von Seen. Seit 1980 befinden sich darin Teile der mehrere Umbauten. Mittelalterliche Baureste fehlen Verwaltung und die Kreisbibliothek. Trotz einer be­ im heutigen Gebäude, könnten allenfalls archäologisch wegten Baugeschichte sind die historischen Räum­ gefunden werden. Im Zug des grossen Umbaus des lichkeiten nach wie vor erlebbar. ganzen Gebäudekomplexes im Jahr 1980 kam es ver- Wer früher von Winterthur ins Tösstal wollte, kam mutlich zu einschneidenden Eingriffen in die histori- an der Strassenverzweigung Bollstrasse und Rössli­ sche Bausubstanz. Seither sind Büros der Stadtverwal- Führung: gasse vorbei. Dort stand die «Untervogtei». Den Namen tung in der ehemaligen Untervogtei. Untervogtei erhielt das Haus, weil darin zeitweilig die Familie Hof- Es wird davon ausgegangen, dass die ehemalige mann wohnte, die mehrmals den Untervogt der Land- Scheune der Untervogtei (heute Rössligasse 9) aus dem 8. September 2012 vogtei Kyburg stellte und in ihrem Wohnhaus auch Jahr 1669 stammt. Im 18. Jahrhundert wurde deren 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, amtliche Geschäfte abwickelte. Die Untervogtei bildete Dachstuhl ausgebaut und mit denjenigen der Untervog­ 15.30–16.30 Uhr zusammen mit der Kirche von 1648 und dem Pfarrhaus tei und dem Wirtshaus Rössli zusammengeschlossen. von 1758 gewissermassen ein Ensemble, das die geist- 1980 wurde die Scheune unter Erhalt des Dachstuhles : Julia Grütter, Architektin, Architektengruppe 4, und liche und weltliche Herrschaft in Seen repräsentierte. umgebaut. Seither befinden sich darin die Kreisbiblio- Miguel Garcia, Denkmal- Das Gebäude geht in seinem Kern auf das 16. Jahr- thek und die Ludothek. Die Fassadengestaltung soll an pflege Winterthur hundert zurück (siehe Seite 17). Ostseitig stösst es an die ursprüngliche Nutzung erinnern. Der Stall Rössli- die Bauten des Wirtshauses Rössli an und bildete mit gasse 7 wurde in eine Militärküche umgenutzt. Letztes : Treffpunkt Rössli­- diesem zusammen den grössten Gebäudekomplex im Jahr wurde die Bibliothek saniert und auf Räumlich- gasse 11, vor dem Eingang historischen Seen. Gemeinsam mit dem gegenüberlie- keiten des ehemaligen Wohnhauses ausgeweitet: So genden Fachwerkbau aus dem 18. Jahrhundert (Rössli- wurde etwa der frühere Archivraum mit dem doppel- : An­mel­dung erforderlich gasse 6) und dem Bauernhaus (Rössligasse 8 /10), das ten Kreuzgewölbe und der massiven Metalltür mit al- im Kern ebenfalls ins 16. Jahrhundert zurückreicht, tem Federschloss zur einladenden Lese­lounge. Damit entstand ein wertvolles Ensemble, das noch heute von wird das ursprüngliche Leben in der historischen der baulichen Entwicklung in Seen zeugt. Räumlichkeit wieder wahrnehmbar und erlebbar. Seine zentrale Stellung im alten Dorfkern büsste die Untervogtei mit dem Bau der neuen Tösstalstrasse Architektur: Architektengruppe 4, Winterthur um 1839 und der Tösstalbahn um 1875 ein. Im Jahr 26

Das Freitaghaus ist ein gutes Beispiel für nachhaltiges Planen und Bauen. | Bild: Walter Hollenstein

Wertvolles bewahren und Neues wagen Von Walter Hollenstein, Architekt

Beim «Freitaghaus» handelt es sich um ein typisches volumen und dessen Primärstruktur ausgeführt. Die Mehrzweck-Bauernhaus, das im Jahre 1830 erstellt Neu­baukonstruktion ermöglichte unter anderem, die wurde. Es zeichnet sich aus durch die klassische vielen haustechnischen Installationen einfach auszu- Gebäudestruktur eines traditionellen Bauernhauses führen. mit Wohnhaus, Tenn, Stall und Scheune sowie ei­ Alle Gemeinschaftsräume wurden im alten Wohn­ nem grosszügigen, beeindruckenden Bauerngarten. hausteil untergebracht. Die ehemalige Bauernstube ist Im Jahre 2003 vermachte die Familie Freitag das heute Treffpunkt und Aufenthaltsraum der Bewohnen- Führung: Haus als Legat der Stiftung Altersheim St. Urban den. Der Trennbereich wurde zur Erschliessungszone: Freitaghaus mit der Auflage, die Liegenschaft als Wohnraum für Ein grosser, neuer Eingangsbereich ersetzt das ur- ältere, behinderte Menschen zu nutzen. sprüngliche Tenntor und bildet den neu interpretierten 8. September 2012 Das Freitaghaus ist im kommunalen Baudenk­ Hauszugang, der ins Treppenhaus führt. Aus Brand- 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, mälerinventar der Stadt Winterthur aufgeführt und be- schutzgründen und zur statischen Aussteifung erfolgte 15.30–16.30 Uhr findet sich in der Kernzone Seen. Die verschiedensten die Ausführung in Sichtbeton. Der Winterthurer Künst- Anforderungen wie z. B. der Wärme- und Schallschutz, ler Werner Hurter gestaltete diesen Bereich eindrück- : Walter Hollenstein, feuerpolizeiliche Auflagen, hindernisfreies Bauen so- lich mit einer animierenden, fröhlichen Farbkompo­ hollenstein architekten wie die Auflagen der Denkmalpflege, der Gesundheits- sition. In diesem neu erbauten Scheunenteil befinden winterthur direktion des Kantons Zürich und – nicht zuletzt – der sich die Zimmer der Bewohnerinnen und Bewohner, Betreibenden und Betreuenden galt es zu erfüllen und ein stimmungsvoller, vielseitig nutzbarer Dachraum : Treffpunkt Steinacker- weg 2, vor dem Eingang unter einen Hut zu bringen. sowie ein Personenlift, der vom Erdgeschoss bis ins Ziel der Projektierung war, das Gebäude auf die Dachgeschoss führt. : An­mel­dung erforderlich ursprüngliche Struktur zurückzuführen. Darum wur- Das Freitaghaus ist ein gutes Beispiel für ein den nachträglich erstellte Anbauten entfernt, und die reibungsloses, rücksichtsvolles und interdisziplinäres wertvollen Ausbauelemente im Wohnhausteil, wie die Planen und Bauen unter dem Motto «Wertvolles be- Bauernstube mit Kachelofen und Boden-, Wand- und wahren und Neues wagen». Bewohnende, Angehörige Deckenbeläge liess man bestehen. Die vielseitigen und die Pflegenden schätzen diese Komposition und An­forderungen an ein Wohnheim für Menschen mit das besondere Ambiente. Demenz erforderten den Ersatz des ehemaligen Öko­ nomieteils durch einen Neubau. Dieser wurde in Architektur: hollenstein architekten winterthur sorgfältiger Anlehnung an das bestehende Gebäude­ Europäischer Tag des Denkmals 2012 | 27

Das Denkmal wurde Heinrich Bosshard, dem Dichter des Sempacherliedes, 1911 zum 100. Geburtstag von seiner Heimatgemeinde Seen errichtet. | Bild: Archiv Ortsverein Seen

Heinrich Bosshard und sein Denkmal in Seen Von HansPeter Friess, Lehrer

rung wird Auskunft geben, wessen Einfluss und Auto- rität für diese Standortnachbarschaft auf dem Kirch­ Das Bossharddenkmal teilt den hügel gesorgt hat. Aus welchem sozialen Stand kam prominenten Aussichtsplatz Bosshard? Weshalb wurde Bosshards Name als Stras­ mit der reformierten Kirche senbezeichnung in Seen, in Kollbrunn und in Zürich Seen. | Bild: Christian Beutler verwendet? Was war der Grund für seine Bekanntheit? Was hat seine bekannteste Dichtung mit der Volksmu- sik zu tun? Wie kam es, dass der Winterthurer Rechts- Führung: anwalt und spätere Bundesrat Ludwig Forrer Heinrich Heinrich-Bosshard- Bosshard einst verteidigen musste? Denkmal Die Führung gibt auch Gelegenheit, die Kirche bei einem kurzen Rundgang als Baudenkmal vorzustellen 8. September 2012 und ihre Geschichte auszuleuchten. Die Gründung 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, einer reformierten Kirchgemeinde mit eigenem Gottes- 15.30–16.30 Uhr haus wurde ein Jahrhundert nach der Reformation : HansPeter Friess, Lehrer mög­lich. Gegen die Trennung von der ehemaligen Pfarr­kirche Oberwinterthur setzten sich ein Pfarrer so- : Treffpunkt reformierte Das Denkmal zu Ehren des Seemer Dichters, Leh­ wie die Bewohnerinnen und Bewohner einer Seemer Kirche Seen rers und Reformers Heinrich Bosshard und die Aussenwacht zur Wehr. Wer hat in diesem Streit ver- reformierte­ Kirche sind ortsgeschichtlich beide von mittelt, und wer unterstützte die mutige Seemer Ein- : An­mel­dung erforderlich Bedeutung. Sie teilen sich den Standort auf dem wohnerschaft? Wie gross waren die Eigenleistungen Kirch­hügel, einst bester Aussichtspunkt der damals der Bevölkerung für den Kirchenbau? Durch wessen kleinen Bauerngemeinde. Unterstützung wurde der Bau erst möglich? Welche Herkunft und Wirken des gebürtigen Seemers baugeschichtlichen­ Zeitabschnitte sind zu erkennen, Heinrich Bosshard fallen in die gesellschaftspolitisch und birgt die Innenausstattung besonders wertvolle unruhige Zeit der liberalen Zürcher Staatsverfassung Elemente? mit all ihren Auswirkungen. Das birgt Zündstoff und Nach der Denkmal-Besichtigung stehen den Teil- regt zum Fragen an, denn Bosshard hat sich als junger nehmenden im Begegnungsraum der Kirche Sitzgele- Lehrer mit konservativen Pfarrern gestritten. Die Füh- genheiten zur Verfügung. 28 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Ein Rechentisch aus dem 18. Jahrhundert. Die Linien halfen beim Rechnen und waren mit den Münzeinheiten und Wertstufen angeschrieben. | Bild: Schlossmuseum Thun

Vom Geldwirrwarr und Rechnen mit Münzen Von Benedikt Zäch, Münzkabinett Winterthur

Vor der Einführung der Einheitswährung in der Münzsystem, das mit einem Gulden zu 15 Batzen oder Schweiz im Jahr 1850 war der Umgang mit Münzen 60 Kreuzern rechnete, der Kreuzer zählte 8 Pfennige. und Währungen kompliziert. Über 60 Orte prägten Weitere Systeme kamen hinzu, französische, italieni- in der Schweiz eigenes Geld, die Währungsgebiete sche, niederländische. waren klein. Auf einer Reise von Zürich nach Kon­ Das Rechnen mit Geld war daher eine tägliche stanz musste man mit drei oder vier verschiedenen Notwendigkeit. Neben dem Abakus, dem Zählrahmen, Arten von Münzen zahlen. Den Bewohnerinnen und war vor allem das «Rechnen auf den Linien» gebräuch- Bewohnern von Winterthur und Seen ging es nicht lich. Damit erleichterte man sich das Addieren, Multi- besser, obschon beide Orte zum Zürcher Währungs­ plizieren, Subtrahieren und Dividieren von Geldbe­ gebiet gehörten. trägen. Das Linienrechnen wurde mit Rechentischen, Da vor 1850 kein Kanton genügend Münzen für Rechenbrettern oder Rechentüchern vorgenommen, den eigenen Geldumlauf prägen konnte, herrschte die auf Linien mit den Münzwerten bezeichnet waren. überall ein buntes Durcheinander von einheimischen Als Stellvertreter für die Münzen dienten Rechenpfen- und fremden Münzsorten und Währungen, mit denen nige, münzähnliche Objekte aus Messing, mit denen man rechnen musste. Oft ist von «Münzwirrwarr» die die «Rechnung gelegt» wurde. Die Begriffe «Rechnung Rede. Der Begriff unterschätzt allerdings die Fähigkeit ablegen» und «belegen» bezeichnen genau diese Tätig- der Zeitgenossen, mit der Vielfalt des Münzgeldes um- keit, denn die Rechnungen wurden auf dem Tisch so- zugehen. Zählen, wägen, rechnen und prüfen gehörten zusagen ausgelegt und damit belegt. für viele zum Alltag des Geldes. Auf den Spuren des Geldes Die umlaufenden Münzen musste man genau an- In Seen haben sich bei verschiedenen historischen Ge- sehen: Wohin gehörten sie? Sie mussten nach Grösse bäuden Spuren des Rechnens mit Geld erhalten. Diese und nach Gewicht geordnet werden: Welche Wertein- Spuren bestehen aus archäologischen Funden in den heit hatte man vor sich? Waren die Münzen zu leicht? Gebäuden und Hinweisen auf die Funktion der Bauten. Und man musste viel rechnen, aber nicht im Dezimal- In der reformierten Kirche kam bei Grabungen 1984 system, sondern in Zwölfer-, Sechser- und Achterrei- ein französischer Rechenpfennig des späten 15. Jahr- hen. Die Zürcher Währung rechnete mit einem Pfund hunderts zum Vorschein. Wie kam er dorthin? zu 20 Schillingen, der Schilling zählte jeweils 12 Pfen- Kirchen waren im Mittelalter nicht einfach Orte nige, das Pfund hatte also 240 Pfennige. Viele fremde des religiösen Kults, sondern auch öffentliche Räume, Münzen aus Süddeutschland gehörten aber zu einem in denen man sich begegnete und Gespräche führte. 29

Geldwechseln hiess wägen, zählen, prüfen und nach­ schlagen in Münztarifen. Wechsler hatten durch ihre speziellen Kenntnisse immer einen Informationsvor- sprung, was das umlaufende Geld anging. | Bild: Marinus van Reymerswaele, Der Geldwechsler und seine Frau, 1539, Prado Madrid

Man traf Absprachen und machte auch Geschäfte aller Art. Wenn es die archäologischen Umstände erlauben, finden sich denn auch in Kirchenböden zahlreiche Gegenstände ganz alltäglicher Art. In der Stadtkirche St. Laurentius in Winterthur enthielten die archäolo­ gischen Schichten unter den ehemaligen Holzböden nicht nur zahlreiche Münzen, sondern auch Reste von Schmuck, Appliken und Metallteilen von Kleidern, ja sogar­ kleine Ohrkratzer aus Metall. Man betete eben nicht nur in der Kirche, sie waren gesellschaftliche Treffpunkte. Die Führung bewegt sich in Seen an den Brenn- punkten des Umgangs mit Geld und des Rechnens mit Münzen. Sie beginnt in der reformierte Kirche und Führung: bewegt sich dann zur «Untervogtei» im Haus Rössli, Der Weg des Geldes das lange im Besitz der Familie Hofmann war, welche Untervögte der Vogtei Kyburg waren. Als Beamte der 8. September 2012 Zürcher Herrschaft rechneten sie im Haus mit Geld 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, und legten dort wohl auch Rechnung ab. Hier gibt es Anne, Königin der Bretagne (1489–1514), ab 1499 Königin von Frank- 15.30–16.30 Uhr auch Gelegenheit, sich mit der Praxis des Rechnens reich. Rechenpfennig für die Stallungen der Königin. Rückseite: Gesatteltes Pferd vor zweigeteiltem Hintergrund; links Lilien, rechts und Vergleichens von Münzen vertraut zu machen, wie : Benedikt Zäch und Kreuze mit Hermelintüpfeln. Umschrift: POVR SERVIR A LESCVRIE Luisa Bertolaccini, Münz­ sie vor 200 Jahren auch in der Seemer Schule gelernt DE LA ROINE («Zum Gebrauch in den Stallungen der Königin»). – kabinett und Antiken- wurde. Französische Rechenpfennige des Hochadels wurden oft für ein sammlung Winterthur ganz bestimmtes Hofamt hergestellt. Französische Rechenpfennige wurden im 15. Jahrhundert bei uns neben den Rechenpfennigen : Treffpunkt reformierte aus Nürnberg verwendet. Kirche Seen | Bild: Münzkabinett Winterthur, Depositum Kanton Zürich : An­mel­dung erforderlich 30

Mit der Nordfassade und dem freistehenden Kirchturm markiert die Kirche St. Urban Präsenz. Die Südfassade mit den Eingängen zu den Kirchen- räumen sind einladender­ und versprechen Geborgenheit. | Bild: Christian Beutler

Baukulturelle Zeugen der Boomjahre für die Zukunft erhalten Von Andreas Madianos, Denkmalpflege Winterthur

Bauten der 1950er- bis 1970er-Jahre sind oft nur un­ Das Schulhaus Tägelmoos war mit achtzehn Klas- genügend wärmegedämmt und unterliegen im Zuge senzimmern das erste Grossschulhaus der Stadt. Die der aktuellen Energiedebatte einem grossen bauli­ An­lage wurde von 1969 bis 1971 nach Plänen der Archi- chen Erneuerungsdruck. Ihnen widmet sich die ge­ tekten Gubelmann & Strohmeier aus standardisierten plante Ergänzung des Inventars der schutzwürdi­ und vor­fabrizierten Leca-Beton-Elementen errichtet. gen Bauten der Stadt Winterthur. So können die Sie ist in einen Klassentrakt, einen Spezialraumtrakt wichtigen Zeugen dieser Epoche erhalten werden. mit Singsaal und einen Trakt mit zwei Turnhallen ge- Führung: Erstmals werden zwischen dem Zweiten Welt- gliedert, die einen leicht erhöhten, weiträumigen Pau- Boomjahre krieg und den 80er-Jahren erstellte Bauten systema- senhof mit einer geometrisch gestalteten Brunnen­ tisch hinsichtlich ihrer denkmalpflegerischen Be­ anlage umschliessen. 2009 bis 2011 wurde die Anlage 8. September 2012 deutung untersucht. Ziel ist es, das Inventar der saniert. Dank umsichtigen energetischen Verbesserun- 11–12 Uhr, 14–15 Uhr, schutzwürdigen Bauten der Stadt Winterthur auf die gen und einer gelungenen Instandsetzung der Aussen- 15.30–16.30 Uhr bedeutenden Objekte dieser Epoche auszudehnen. Die räume bietet dieser Zeuge der Baukultur der 70er- Aufnahme ins Inventar bewirkt nicht automatisch den Jahre heute einen ansprechenden Rahmen für die viel- : Andreas Madianos, Schutz der Objekte, jedoch muss bei grösseren Bau­ fältigen Bedürfnisse des zeitgemässen Schul­be­triebs. Denkmalpflege Winter­­- vorhaben die Schutzwürdigkeit ermittelt werden. Im Mit dem Seemer Bevölkerungswachstum nahm thur Spannungsfeld zwischen dem Erhalt des baukultu­ auch die Zahl der katholischen Kirchgänger und rellen Erbes und der Entwicklungs­möglichkeit der Kirchgängerinnen zu. Diese hatten jedoch nicht nur : Treffpunkt Ecke Kanz- lei- / Büelhofstrasse­ betrof­fenen Liegenschaft muss der Schutzumfang für das Bedürfnis nach Messebesuchen, Heiraten, Taufen, jedes Objekt einzeln festgelegt werden. Komm­unionen und Abdankungen, sondern wollten : An­mel­dung erforderlich Öffentliche Gebäude prägen ihre Nutzerinnen auch Unterhaltung und Geselligkeit in der Kirche le- und Nutzer. Zudem sind sie wegen der ihnen zugrunde ben. Die katholische Kirche St. Urban entsprach diesen liegenden Architekturwettbewerbe oft von überdurch- Anliegen mit einem additiven Raumkonzept, in dessen schnittlicher Qualität. Dem in den 50er-Jahren in Seen Zentrum ein Mehrzweckraum steht. Die grob verputz- einsetzenden Bauboom entsprechend mussten auch ten Baukörper weisen mit Sichtbetonelementen und in öffentliche Infrastrukturbauten errichtet werden. In die Fassaden heruntergezogenen­ Kupferblechbahnen Seen stehen daher die Kirche St. Urban und das typi­sche Stilmerkmale der 70er-Jahre auf. Auch wegen Schul­haus Tägelmoos zur Diskussion, ins Inventar der der skulpturalen Ausformulierung ist die Anlage ein schutzwürdigen Bauten aufgenommen zu werden. be­deutender Zeuge seiner Epoche. Europäischer Tag des Denkmals 2012 | 31

Eine Arbeiterin in der Spinnerei prüft die Maschinen zur Herstellung der Baumwoll­ Die 1812 gegründete Spinnerei Bühler errichtete 1858 ein Fabrikgebäude in Sennhof. fäden. Aufnahme von 1959. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek Aufnahme von 1981. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Tradition und Dynamik – die Spinnerei Hermann Bühler AG Von Peter Niederhäuser, Historiker

Die Spinnerei Sennhof, mittlerweile die letzte Schwierige Zeiten Spinnerei der Schweiz, blickt auf ein besonderes Dem Auf und Ab der Weltwirtschaft folgend, erlebte die Jubiläum zurück. Vor genau 200 Jahren begannen Spinnerei wiederholt dramatische Tage und stand nämlich die Anfänge des traditionsreichen Familien­ immer wieder vor der Herausforderung, Baumwolle unternehmens, das buchstäblich Geschichte schrieb. möglichst günstig aus Ägypten und vor allem aus 1812 teilte Hans Jakob Bühler mit seinem Bruder Amerika zu importieren und das Garn geschickt an Hans Heinrich das väterliche Erbe und baute als Ab­nehmer im In- und Ausland zu bringen. Als Antwort Wagner und Zimmermann ein kleines Gewerbe in auf diese Herausforderungen schloss die Firma 1965 Führung: Freudwil auf. 1825 zog er nach Illnau, um mit Hilfe der das Werk in Kollbrunn und produziert seither nur Spinnerei Bühler Wasserkraft der Kempt eine Spindelfabrik und einige noch am Standort Sennhof, der schrittweise moder­ni­ Spinnstühle zu betreiben. Nur sieben Jahre später siert wurde. 8. September 2012 nahm er dann in Kollbrunn die «Obere Fabrik» in Seit 1931 eine Aktiengesellschaft, hat sich das 14–15 Uhr, Betrieb und gehörte damit zu den frühen und erfolgrei- Familienunternehmen mit seinen rund 150 Angestell- 15.40–16.40 Uhr chen Industriepionieren im Zürcher Oberland. ten auf hochwertige und spezielle Garne konzentriert. : Martin Kägi, Mitglied der Wichtiger Arbeitgeber Mit knapp 50 000 Ring- und Compact-Spindeln werden Geschäftsleitung Spinne- Nach einem weiteren Ausbau unter seinen Söhnen er- hochwertige Produkte hergestellt und besondere Kun- rei Hermann Bühler AG folgte 1858 / 59 eine Zäsur, indem das Unternehmen denwünsche flexibel erfüllt. Mit Innovationen wie dem aufgeteilt wurde. Die Firma Eduard Bühler & Co pro- Rainbow-Garn und der Ausrichtung auf Biobaumwolle : Treffpunkt Spinnerei duzierte bis 1989 in Kollbrunn, die Firma Hermann sucht heute der Betrieb im harten Konkurrenzkampf Hermann Bühler AG, Bühler AG besteht als Nachfolgerin von J. H. Bühler & seine Nischen. Trotz Internationalität bleibt Bühler Mühlau 12, Sennhof Söhne bis heute, mit einem Standbein in Jefferson dem Standort an der Töss verbunden. Dafür steht der (USA). Entscheidend für diese Kontinuität war der Erhalt des Anerkennungspreises Wirtschaft 2011, und : An­mel­dung erforderlich, Sprung nach Sennhof, wo von 1858 bis 1860 auf dem dafür steht das 200-Jahr-Jubiläum, das kürzlich ge­ Zug (S 26), ab Seen jeweils Boden der Gemeinde Kyburg die bis heute bestehende feiert werden konnte. :51 und :32, ab Sennhof-­ Baumwollspinnerei gebaut wurde. Kyburg jeweils :26 und :06, In der Blütezeit fanden gegen tausend Menschen Fahrtdauer: 3 Minuten Arbeit in den Etablissements der Familie Bühler, die ihren Aufstieg in herrschaftlichen Villen in Winterthur zum Ausdruck brachte. 32 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Eine Ansichtskarte aus dem 19. Jahrhundert zeigt Sennhof als beschaulichen Weiler und präsentiert das alte Schulhaus und die Spinnerei Bühler als Attraktionen. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Sennhof – ein ehemaliges Fabrikdorf boomt Von Peter Niederhäuser, Historiker

ein Bauernhof, der im Mittelalter auf überschwem- Die Holzschnitzelheizung mungsgefährdetem und deshalb wenig attraktivem des neuen Schulhauses steht Boden der Gemeinde Seen errichtet worden war und für die Entwicklung von ursprünglich der Versorgung der Kyburg diente. Der Sennhof zu einem modernen Name «Sennhof» weist auf eine frühe Vieh- und Milch- Stadtteil. | Bild: Näf und Partner wirtschaft hin. Dieser Hof stand lange isoliert, und zu dieser Topografie passt auch der Beschluss der Ge- meinde Seen, 1847 hier das kommunale Armenhaus zu errichten. Bis 1883 wurden arme Familien hierhin «abgeschoben», zu einem «sittlichen» Lebenswandel verpflichtet und zu Eigenversorgung angehalten – ein heikles Unterfangen. Weit wichtiger für die langfristige Entwicklung Als «Tor zum Tösstal» erlebt Sennhof heute einen war dann der Verkauf von Gemeindeland auf der Töss- Wandel, der ein neues Kapitel in der Geschichte der wiese 1830 an Johann Jakob Bühler. Dieser hatte kurz jungen Siedlung darstellt. Sennhof boomt – nicht vorher vom Regierungsrat das Recht zur Nutzung von zuletzt dank der S-Bahn hat der Wohnungsbau den Wasser «zu einer mechanischen Spinnerey oberhalb scheinbar abgelegenen, ländlichen Standort ent­ dieser Wiese» erhalten, und wenig später – kurz bevor deckt. Mit dem modernen Schulhaus samt Holz- die neue Tösstalstrasse gebaut wurde – liess Bühler die schnitzelheizung, den bereits errichteten und noch «Obere Fabrik» in Kollbrunn errichten. Als wohlhaben- geplanten genossenschaftlichen Überbauungen, der de und vorausschauende Unternehmer sicherten sich Kleinkunstbühne im Wolferhaus und einem vorläu­ die Bühlers im Laufe der Jahre von Kollbrunn aus töss­ fig nur auf dem Papier bestehenden Quartierzen­ abwärts den Boden. Wasser war und blieb eine ent­ trum verwandelt sich Sennhof rasant in Richtung scheidende Energiequelle. Gleichzeitig verschlangen eigenständiger Stadtteil – eine keineswegs selbst­ Uferverbauungen und die Nutzung der Wasserkraft verständliche Entwicklung. regelmässig stattliche Summen an Geld. Noch vor kurzem war Sennhof ein in die Jahre Schicksalsgemeinschaften gekommenes Fabrikdorf, dessen Zukunft eher düster Bereits 1858 konnten die Unternehmer Bühler erfolg- aussah. Am Anfang dieser Geschichte steht allerdings reich auf ihre Landreserven zurückgreifen. Mit der 33

Früher gehörte fast der ganze Boden der Spinnerei Bühler, heute ist der grösste Teil des Landes nordöstlich der Töss mit Wohnblöcken überbaut. Flugaufnahme von 1963. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Einführung der Elektrizität. Wohlfahrt und Abhängig- keit lagen allerdings nahe beisammen, und hinter dem Das Kosthaus wurde während Engagement standen immer auch die Interessen der des Ersten Weltkrieges erbaut­­ Fabrik an einer Arbeiterschaft, die sich mit ihrem und zeugt von den Bemü­ Betrieb identifizierte. Die aufgeschlossene Haltung der hungen der Industriellen, Patrons führte noch in der Zeit des Ersten Weltkriegs die Lebensverhältnisse ihrer Arbeiter zu verbessern.­ zum Bau eines Kost- und eines Reihenhauses. Die bei- | Bild: Winterthurer Bibliotheken, den Werke der Winterthurer Architekten Rittmeyer & Studien­bibliothek Furrer sind bemerkenswerte Zeugnisse der damaligen Sozialpolitik. Von der Fabrik zur Agglomeration Die erste Generation Kosthäuser wich dann in der Nachkriegszeit Wohnblöcken, wo zunehmend Gast­ Errichtung der Spinnerei Sennhof baute sich Johann arbeiter lebten. Es passt auch zur Geschichte des Führung: Heinrich Bühler in der Mülau auf dem Boden der Ge- Fabrikdorfes, dass um 1980 praktisch die Hälfte der Sennhof meinde Kyburg einen neuen Standort auf; die «Untere Bewohnerinnen und Bewohner aus dem Ausland Fabrik» in Kollbrunn hingegen, die in der Gemeinde stammte und der Alltag multikulturell aussah. Erst im 8. September 2012 Seen lag, kam an seinen Neffen Eduard Bühler. Ähn- ausgehenden 20. Jahrhundert lockerte sich die enge 14–15.30 Uhr, lich wie Kollbrunn in den 1830er-Jahren entwickelte Verzahnung von Dorf und Fabrik. Auf den Landreser- 15.40–17.10 Uhr sich Sennhof ab 1860 rasch zu einem Fabrikdorf. Wo ven der Spinnerei entstanden Überbauungen, die das noch 1850 knapp 50 Leute als Bauern oder als Insassen dritte Kapitel in der Geschichte von Sennhof einläute- : Peter Niederhäuser, Historiker des Armenhauses wohnten, schossen plötzlich Kost- ten. Schon bald soll Sennhof 1500 Einwohnerinnen und häuser in die Höhe. Um 1900 lebten 300 Menschen in Einwohner zählen. Wie das ehemalige Fabrikdorf mit : Treffpunkt Bahnhof Sennhof. Fast alle Wohnhäuser in Sennhof gehörten der Herausforderung von Anonymität und Agglomera- Sennhof-Kyburg der Firma Bühler – Spinnerei und Dorf bildeten eine tion umgehen kann, wird allerdings erst die Zukunft Schicksalsgemeinschaft, weshalb Sennhof gelegentlich zeigen. : An­mel­dung erforderlich, als «Bühlerdorf» Erwähnung fand. Zug (S 26), ab Seen jeweils Die enge Verzahnung von Arbeit und Alltag be- :51 und :32, ab Sennhof-­ stimmte lange das Leben in Sennhof, das als typisches Kyburg jeweils :26 und :06, Fabrikdorf vom paternalistischen Engagement der Fahrtdauer: 3 Minuten Patrons geprägt war. Diese kümmerten sich schon früh um die sozialen Verhältnisse, unterstützten bedürftige Familien, sorgten für Lebensmittel, schenkten den Boden für das 1899 errichtete Schulhaus, subventio- nierten die Feuerwehr oder kümmerten sich um die 34 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Der Hohlweg zwischen Nübrechten und Sennhof ist noch heute im Gelände deutlich Blick von Nübrechten gegen Seen. So könnte die alte Tösstalstrasse ausgesehen zu erkennen. | Bild: Andres Betschart haben. | Bild: Andres Betschart

Spuren des historischen Verkehrs in Seen: Alte Wege ins Tösstal Von Andres Betschart, Verkehrshistoriker

Für die Entwicklung der Wege und Strassen in Seen in die Gemeinde. Seen sah viel Aufwand und wenig war der Transitverkehr ins Tösstal seit je ebenso Nutzen im neuen Verkehrsmittel, und das Engagement wichtig wie die lokale Erschliessung. Spuren im blieb lau. Gelände und Hinweise auf alten Karten ergeben ein Doch wo führten die alten Verbindungen von Seen plastisches Bild der historischen Verkehrsverhält­ ins Tösstal durch? In den letzten 250 Jahren wechsel- nisse zwischen Seen und der Töss. ten sie mehrmals den Verlauf: Die ältesten Wege führ- Niemand liebt heute den Transitverkehr in den ten aus Winterthur über die Grüze nach Seen und Wanderung: Siedlungen. Er bringt Lärm, Abgas und Gefahren, aber folgten von da der direkten Linie über Iberg nach Au Seen–Sennhof kaum einen Gegenwert. Das war schon im 18. Jahr- im Tösstal sowie über Nübrechten nach Sennhof ins hundert nicht anders. Allerdings störten damals nicht Flussbett der Töss. Der Bau der neuen Tösstalstrasse 8. September 2012 die Emissionen der Fahrzeuge die Gemeindebewohne- 1838 / 39 brachte die Konzentration des Verkehrs auf die 14–15.30 Uhr rinnen und -bewohner, sondern die Aufwendungen für Linienführung, die noch heute gültig ist. Die Eisen- den Bau und Unterhalt der Strassen. Denn diese hatten bahn schliesslich folgte 1875 ihrem eigenen Trassee. : Andres Betschart, sie zu tragen, ob sie nun von der Verkehrsverbindung Auf einem Spaziergang von Seen nach Sennhof lassen Verkehrshistoriker profitierten oder nicht. In Seen war die Situation auf- sich Spuren der historischen Wege noch heute im Ge- grund des weit­läufigen Gemeindegebiets besonders lände entdecken. Der eindrücklichste Zeitzeuge ist ein : Treffpunkt Freizeit­­­ brisant: Weshalb sollten die Bauern von Eidberg ihre mehrere Meter tiefer Hohlweg im steilen Abstieg von anlage Kanzleistrasse Arbeitskraft für die Tösstalstrasse hergeben, die weit Nübrechten nach Sennhof – kaum zu glauben, dass

: An­mel­dung erforderlich, weg von ihren Höfen verlief und in erster Linie für hier noch vor weniger als 200 Jahren Wagenladungen Zug (S 26), ab Seen jeweils Holztransporte aus dem Tösstal nach Winterthur und mit Wein, Brennholz, Baumaterialien und Baumwolle :51 und :32, ab Sennhof-­ Fuhren der Textilindustrie­ genutzt wurde? Der Konflikt bergauf und bergab geführt wurden! Kyburg jeweils :26 und :06, war unter diesen Gegebenheiten programmiert – nicht Fahrtdauer: 3 Minuten nur mit der Obrigkeit, sondern auch unter den Frak­ Bei grosser Nachfrage tionen in der Gemeinde selbst. kann eine zweite Führung Tösstalstrasse änderte Verkehrswege organisiert werden. Der Zwist zog sich bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Das neue Strassengesetz des Kantons Zürich schuf 1833 fürs Erste klare Verhältnisse, doch das Tösstalbahn- Projekt brachte in den 1860er-Jahren wieder Unruhe 35

Der Stich von Herrliberger / Mit der Eröffnung der Tösstalbahn 1875 erhielten Sennhof Schellenberg zeigt leicht und Kyburg ihre gemeinsame Bahnstation. Julian Falat idealisiert­ das Schloss Kyburg, hielt 1885 den Blick durchs Berental entlang der Bahnlinie auf den Steg über die Töss und Kyburg fest. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek den Hof im Linsental. | Bild: David Herrliberger­ nach Johann Ulrich Schellenberg, Schloss Kyburg, Die Tössbrücke von 1843 ist mit einem doppelten Hängespreng­­­ -­­­­ Topographie der Eidgenossenschaft, werk konstruiert und löste den einfachen Steg über Bd. 1, Abb. 110, 1754. den Fluss ab. | Bild aus: Häberle, Alfred: Die Kyburgbrücke an der Töss im Linsental bei Winterthur, in: Zürcher Taschenbuch 1977, S. 87–143.

Butter, Käsli und Fleisch für die Kyburg Von Ueli Stauffacher, Museumsleiter Schloss Kyburg

Schon zu Zeiten des letzten Kyburger Grafen wird Linsental. Letzterer wurde 1520 an das Spital Winter- ein Hof in der Nübrechte erwähnt, es ist der spätere thurer verkauft und beherbergte ab dem 17. Jahrhun- Sennhof. Der Name deutet es an: Hier wurde Milch­ dert eine Weinschenke für durstige Fussgänger, die wirtschaft betrieben. Das Tal der Töss unterhalb der sich vor dem Aufstieg zum Schloss nochmals stärken Burg bot Landwirtschaftsflächen, Verkehrsmöglich­ wollten. Im Linsental konnten auch Zugtiere und Wa- keiten und später Energie, der Fluss brachte aber gen untergestellt werden, wenn die Töss wegen hohen auch Gefahren mit sich. Wasserstands eine Überquerung nicht zuliess. 1848 be- Die Wanderung beginnt im Mittelalter, als die schloss der Stadtrat die Landwirtschaft aufzulösen: Wanderung: Bildlegende Bildlegende Bildle- Kyburger Grafen an der Tössschlaufe Wald roden lies­ Die Höfe wurden abgebrochen, die Acker- und Wiesen­ Sennhof–Schloss Kyburg gende Bildlegende Bildlegende sen («Nübrechete») für einen Wirtschaftshof. 1348 tau- flächen wieder aufgeforstet. Bildlegende 8. September 2012 chen die «Sennen von Nübrechten» in einer Quelle auf, Der Fussweg von (Nieder-)Winterthur auf die Quelle: Bla Bla Bla was darauf hindeutet, dass auf den Schwemmflächen Kyburg folgt wohl seit dem Bau der Burg beinahe der 15.40–17.10 Uhr Vieh weidete, um die Kyburg mit Milch, Butter, Käse Luftlinie und führt vom Zelgli über den Eschenberg und auch Fleisch zu versorgen. Unter den Habsburgern hinunter zum Linsental. Über die Töss gab es lange : Ueli Stauffacher, wurde dieser «Sennhof» verkauft, sodass die Zürcher Zeit nur einen schmalen Brettersteg, der etwas unter- Museumsleiter Schloss Kyburg Landvögte später weiter flussabwärts auf der Höhe des halb der heutigen Brücke lag, und dann ging es über Gamsers einen neuen Wirtschaftshof ausbauten, die die Chilestapfete (heutiger Waldlehrpfad) steil hoch : Treffpunkt Bahnhof «Sennschür». Der Sennhof entwickelte sich zu einem zum Schloss. Etwas komfortabler war der Reitweg, der Sennhof-Kyburg der grössten Bauernhöfe der damaligen Zeit: 1704 bis ins 18. Jahrhundert noch in Serpentinen die Schloss- zählte er gut 20 ha Ackerland, 4 ha Wiesen, 5 ha Wald halde hochkurvte. Der einfache Steg über die Brücke : An­mel­dung erforderlich, und noch etwas Weide, das ist mehr als der moderne musste nach jedem Hochwasser erneuert werden, was Zug (S 26), ab Seen jeweils durchschnittliche Zürcher Bauernbetrieb an Fläche be- jeweils zu Streitigkeiten über die Kostenbeteiligung :51 und :32, ab Sennhof-­ sitzt. Der Bauernhof stand an der heutigen Kreuzung der Stadt Winterthur führte. Noch schwieriger wurde Kyburg jeweils :26 und :06, von Tösstal- und Linsentalstrasse. es, als Kyburg 1834 auch eine sichere Strassenver­ Fahrtdauer: 3 Minuten Entlang der Töss befanden sich auf Winterthurer bindung an die Tösstalstrasse im Sennhof forderte. Seite noch zwei weitere Bauernhöfe: der schon im Erst nach neunjährigen zähen Verhandlungen konnte 14. Jahrhundert erwähnte «Häseler», später Häsental die – heute noch befahrbare – Brücke, ein doppeltes genannt (beim Pumpwerk der Stadtentwässerung am Hängesprengwerk, samt Strasse gebaut und eingeweiht unteren Dorfrand), und spätestens ab 1500 der Hof im werden. 36 | Europäischer Tag des Denkmals 2012

Die Geschichte des Ortsvereins Seen Von Andy Mörgeli, Präsident Ortsverein Seen

Gegründet im Jahr 1972, entstand der Ortsverein der Verschönerung von Seen auszuüben, wurde der Seen (OVS) aus der Fusion zweier altehrwürdiger Jahresbeitrag statutarisch auf 1 Franken festgelegt. Der Seemer Vereine: der gut hundertjährigen Wochen­ Verein erreichte vieles, wovon Seen noch heute profi- gesellschaft und dem Verkehrs- und Verschöne­ tiert. So zum Beispiel die meisten Ruhebänke in und rungsverein Seen. um Seen, bis hinauf zum Sessel. Aber auch Anregungen­ Die Wochengesellschaft war der kulturelle Verein zum Bau und Unterhalt von Strassen und Wegen, von Seen. Trotz noch erhaltenen Statuten aus dem Jah- Stras­senbeleuchtungen, Bekämpfung von übermässi- re 1877 lässt sich das Gründungsjahr leider nicht mehr gem Verkehr und dessen Immissionen usw. gehörten genau ermitteln. Im damals selbstständigen bäuerli- zum Tätigkeitsbereich des Vereins. chen Dorf Seen versuchte man sich durch Vorträge, Aus zwei mache eins Lesungen und gesellige Abende weiterzubilden und zu Um 1970 herum fand man, die veränderten Lebens­ unterhalten. Man traf sich ausschliesslich am Mitt- formen und andere Umstände würden es rechtfer­ wochabend. Daher der ursprüngliche Name Mittwoch- tigen, die zwei Vereine zu verschmelzen. Beide Vor- gesellschaft, später zur Wochengesellschaft gewandelt. stände waren einverstanden. Dem neuen Verein wurde Mitglied konnte jeder Einwohner von Seen werden, ein passendes Kleid gegeben und alle Aufgaben der wenn er «in bürgerlichen Ehren und Rechten» stand. beiden alten Vereine in überarbeiteter Form über­ Mit der Eingemeindung von Seen im Jahr 1922 tragen. Dazu kamen wichtige neue Aufgaben aus dem wurde in den Statuten die politische und konfessio­ Bereich der Gemeinwesensarbeit, war doch Seen durch nelle Neutralität des Vereins verankert. Der Wochen- die grosse Bautätigkeit in den 60er- und 70er-Jahren gesellschaft verdankt Seen auch die heutige Bibliothek zum grossen, modernen Stadtkreis herangewachsen. an der Rössligasse. 1957 als Volksbibliothek im Pfarr- Es hatte nur noch wenig mit dem ehemals beschauli- haus an der Tösstalstrasse gegründet und vom Pfarrer chen Bauerndorf zu tun. So wählte man aus verschie- betreut, wurde sie beim Ausbau des Sekundarschul- denen Vorschlägen den Namen «Ortsverein» aus. Mit hauses Büelwiesen zur Freihandbibliothek umfunk­ neuen, rechtlich abgesicherten Statuten begann der tioniert. Am 18. November 1972 übernahm sie die Ortsverein Seen OVS sein Wirken am 10. Mai 1972. Stadt und richtete die Kreisbibliothek an der Tösstal- Seither ist aus dem OVS mit über 600 Mitgliedern strasse 234 (Zani-Gebäude) ein, bevor sie später an und einem Jahresumsatz von rund 300 000 Franken ihren jetzigen Standort umzog. eine veritable Institution geworden. Das vielfältige An- Verschönern im Stillen gebot an Kursen und Veranstaltungen zu Gunsten der Der Verkehrs- und Verschönerungsverein Seen wurde Seemer Bevölkerung ist aus dem Zusammenleben im Jahr 1913 gegründet und wirkte meist im Stillen. nicht mehr wegzudenken. Letzteres gilt auch für den Damit möglichst alle Klassen der Bevölkerung die Seemer Boten, der fünfmal jährlich als farbiges Publi­ Möglichkeit erhielten, dem Verein beizutreten und kationsorgan des OVS erscheint und sich grosser Be- eine gewisse Mitsprache bei der Verkehrsplanung und liebtheit erfreut.

Der Ortsverein Seen auf einem Vereinsausflug. | Bild: Andy Mörgeli 37

Freitagsprogramm mit Sekundarklassen

Denkmalpflege und Stadtgeschichte kann auch für Der Workshop besteht aus mehreren Teilen. Einerseits Jugendliche interessant sein. Die Denkmalpflege­ machen sich die Teilnehmenden mit dem Abakus, dem startet dieses Jahr am Tag des Denkmals einen Zählrahmen, vertraut. Damit wurde und wird bis heu- Pilotversuch, bei dem drei ausgewählte Sekundar­­ te im Orient mit Geld gerechnet. Andererseits üben klassen aus Seen zu verschiedenen Themen Rund­ wir das «Rechnen auf Linien»; so wurde bei uns auf gänge und Workshops besuchen. Rechenbrettern und -tüchern mit Geld gerechnet. Da- für verwendete man Rechenpfennige. Wir schauen uns solche im Original genauer an. Es wollen auch Schulgeschichte Rechen­aufgaben mit Münzen gelöst werden, wie es vor 200 Jahren Teil des Schulstoffs war. Der Workshop wird von Luisa Bertolaccini, Museumspädagogin im Münzkabinett Winterthur, geleitet.

Vom Lagerfeuer zum Hochhaus

Das Klassenzimmer im 1931 / 32 errichteten Kindergarten an der Büelhofstrasse. | Bild: Winterthurer Bibliotheken, Studienbibliothek

Der Rundgang beginnt beim alten Schulhaus am Säge- weg. In dem kleinen, dunklen und schlecht belüfteten Schulzimmer wurden oft bis zu 120 Kinder von einem Lehrer gemeinsam unterrichtet. Als 1838 das neue Schul­haus an der Kanzleistrasse eröffnet wurde, ver- besserten sich auch in Seen die Unterrichtsverhält­ nisse markant. Auf dem Rundgang mit der Historikerin Verena Rothenbühler, der vom alten zum neuen Schul- haus führt, kann einiges über den grossen Wandel der Volksschule und den Alltag der Seemer Kinder vom 19. Jahrhundert bis heute erfahren werden.

Der Weg des Geldes

Wie baut man ein Haus? Ständer- und Blockbauweise sind zwei wichtige Konstruktionsprinzipien alter Holzbauten.

| Bild: Peter Albertin

Vor 500 000 Jahren begann der Mensch mit der Nut- zung des Feuers und setzte damit den Beginn unserer Baugeschichte. Der Bauhistoriker Peter Albertin zeigt mit Hilfe einfachster Mittel Grundprinzipien des Haus- baus. Wir verstehen anhand von Seemer Gebäuden, wie unsere Wohnbauten entstanden sind und sich wei- terentwickelt haben. Das grüne Rechentuch aus dem 16. Jahrhundert stammt aus Bayern und wurde als Zählhilfe auf den Tisch gelegt.

| Bild: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München 38 | Europäischer Tag des Denkmals 2012 Aktuelles aus der Denkmalpflege der Stadt Winterthur

Wohnen in ländlich geprägten Bauten – Projektbegleitungen 2011/2012

Auf dem Stadtgebiet von Winterthur erstrecken sich Fallenstettenweg: Das heute noch weitläufige Acker- und Waldflächen mit Bauernhaus aus dem mehreren ländlich geprägten Dorfkernen. Histo­ frühen 18. Jahrhundert wird rische Bauernhäuser faszinieren und machen den zurzeit saniert und bietet Ort einmalig. Die Denkmalpflege der Stadt Winter­ danach wieder eine thur begleitet regelmässig Baumassnahmen an ge­ idyllische Wohn­situation. schichtsträchtigen Bauernhäusern. | Bild: Amt für Städtebau Der Spagat zwischen modernen Wohnansprüchen und dem Erhalt historischer Bausubstanz stellt beson- dere Herausforderungen an die planenden Architekten und die Denkmalpflege. Sorgfältige bautechnische Ab­ klärungen und massstäbliche, winkelgerechte Plan- aufnahmen sowie Bauforschung bilden die unabding- baren Grundlagen für einen erfolgreichen Umbau. Fallenstettenweg: Meist besteht ein Bauernhaus aus einem Konglo- Der schmalste der alten merat von mehreren Bauten mit einer enormen räum- Einbauschränke in lichen Vielfalt. Gerade das Nebeneinander der klein­ der Stube war einer Uhr teiligen Strukturen im historischen Wohnbereich und mit Pendel vorbehalten. den grosszügigen Ökonomiebereichen mit Stall und | Bild: Nick Brändli Tenn bietet ein spannendes Potenzial für neue Wohn- räume. Dabei lohnt es sich, die ursprüngliche Struktur sowie den Charakter eines Altbaus zu achten und da- von ausgehend eine Nutzung zu entwickeln.

Fallenstettenweg 9,

Das Bauernhaus geht auf das Jahr 1706 zurück. Es wird Architektur: Ruedi Lattmann, Winterthur zurzeit umgebaut und bietet danach in idyllischer Umgebung mit grossem Obstbaumgarten einer jungen Familie eine neue Wohnsituation. Viehstall dient als Werkstatt, und das riesige Raum­ Die im Rahmen des Umbaus erfolgte Baufor- volumen des Tenns wird als multifunktionaler Raum schung zeigte auf, dass der Kern des Gebäudes wahr- für Gartengeräte, Velos, Technik, Lagerung, Spiele und scheinlich aus einem einfachen Ökonomiebau, einer vieles mehr genutzt. Scheune oder Ähnlichem, bestand. Dieser wurde im Laufe der Zeit zu einem bescheidenen Wohnhaus mit Werdstrasse 9 / 11, Seen kleinem Stall ausgebaut und zeugt heute noch von den damals beengten Wohnverhältnissen von Kleinbauern. Der Kern der bäuerlichen Doppelhofstatt Werdstrasse Später wurde es schliesslich mit weiteren Ökonomie- 9 / 11 reicht bis ins Jahr 1663 (siehe Seiten 18 / 19) zu- anbauten auf das heute stattliche Volumen erweitert. rück. Anfang des 18. Jahrhunderts wurde der älteste Vor den Umbauarbeiten stand das Gebäude einige Gebäudeteil mit einer Scheune erweitert, und kurz vor Jahre leer und war ungenutzt, sodass Wasserschäden der Jahrhunderwende wurde an der anderen Giebel- und Holzschädlinge der Holzkonstruktion zusetzen seite ein weiterer Wohnteil angebaut. Unterschiedliche konnten. Zu Beginn der Arbeiten mussten deshalb zu- Holzbautech­niken kamen während der verschiedenen nächst einsturzgefährdete Bereiche gesichert werden. Ausbau­etappen zur Verwendung und lassen die lange Die heutige Nutzung der Räume orientiert sich Geschichte des Gebäudes ablesen. an der ursprünglichen Raumstruktur, die dadurch 2010 begann ein neues Kapitel in der Geschichte praktisch unverändert bleibt. Schlaf- und Wohnräume des Hauses. Unter der jetzigen Eigentümerin soll das befinden sich nach wie vor im historischen Wohnteil; Haus sorgfältig restauriert und als Wohnhaus umge- im östlich angrenzenden Ökonomieteil befindet sich baut werden. Das Haus wird als Mehrgenerationen- heute eine grosszügige Wohnküche. Der ehemalige haus bewohnt werden, und in den grosszügigen Räu- 39

Werdstrasse: Das lang­ gestreckte Doppel­bauernhaus prägt den Strassenraum der Werdstrasse in Winterthur Seen. | Bild: Christian Beutler

Römerstrasse: Die Fach­ werkfassade mit ihren histo­ rischen Fenstern wurde sorgfältig restauriert. | Bild: Amt für Städtebau

Werdstrasse: Wo einst die Kammern und Stuben der Bauersleute waren, enstehen neue, gemütliche Wohnräume.­ | Bild: Peter Albertin

Römerstrasse: Im renovierten Bauernhaus treffen alte Holzbalken auf eine moderne Inneneinrichtung und bieten eine einmalige Wohnatmo­­ sphäre. | Bild: Architektengruppe 4

Architektur: hollenstein architekten winterthur Architektur: Architektengruppe 4, Winterthur men des Ökonomieteils werden ausserdem Praxisräume Nachdem das Gebäude einige Jahre leer gestan- und ein Atelier Platz finden. Auf einen ausbauDach­ den hatte, wurde es kürzlich saniert und umgebaut wird verzichtet. Der Heuboden­ – liebevoll «Sommer- und dient heute als Mehrgenerationen-Wohnhaus. Die haus» genannt – bleibt vielseitigen künftigen Nutzun- historischen Sprossenfenster wurden restauriert und gen vorbehalten. mit einer Glasaufdoppelung energetisch aufgewertet. Das Nebeneinander unterschiedlicher Raumcha­ ­ Auch die alten, noch brauchbaren Biberschwanzziegel rak­tere im historischen Wohnteil und der Scheune wurden wiederverwendet, und zahlreiche historische bietet eine spannende Voraussetzung für moderne Ausstattungselemente wie Herd, Kachelöfen, Täfer und Wohn- und Arbeitsräume in diesem gut erhaltenen Parkette konnten sorgfältig restauriert werden, sodass Bauernhaus. das Bauernhaus auch nach dem Umbau mit gemütli- chen Stuben von hoher Wohnqualität aufwartet. Römerstrasse 212, Oberwinterthur Von Raya Hauri, Architektin Die Liegenschaft Römerstrasse 212 steht in Oberwinter­ ­ thur, einem Ortsbild von überkommunaler Bedeutung. Das Gebäude ist bau- und raumstrukturell vollständig aus der Hausbauzeit von 1839 erhalten und funktio- nierte ursprünglich als zwei übereinanderliegende­ Geschosswohnungen neben einem grossen Tenn; über beiden erstreckt sich ein riesiger Dachstock, der frü- her als Scheunenraum genutzt wurde. 40 | Europäischer Tag des Denkmals 2012 Aktuelles aus der Denkmalpflege der Stadt Winterthur

Winterthurer Genossenschaftssiedlungen und ihr Beitrag zur Gartenstadt Die Gartenstadt Winterthur zeichnet sich aus durch Verheerende Wohnungsnot Kleinhaussiedlungen mit Gärten, die der Selbstver­ Meistens bestanden die Siedlungen aus zweigeschos­ sorgung dienten. Bereits im 19. Jahrhundert bemüh­ sigen Reiheneinfamilienhäuschen mit maximal fünf ten sich Industrielle um die Erstellung bezahlbarer Zimmern oder aus kleinen Mehrfamilienhäusern. Die Wohnungen für die Fabrikarbeiter, und im 20. Jahr­ Ausstattung der Wohnungen war auf ein Minimum be- hundert wurden zahlreiche Wohnbaugenossenschaf­ schränkt. Dafür waren die Siedlungen in der Regel von ten mit demselben Ziel gegründet. grosszügigen Grünflächen umgeben. Ein enormer Die Idee der Gartenstadt stammte aus England Bevölkerungszuwachs zu Beginn des 20. Jahrhunderts und wurde in Winterthur durch den Bebauungs­ und die grosse Arbeitslosigkeit in der Zwischenkriegs- planingenieur Albert Bodmer in den 1920er-Jahren zeit führten in Winterthur zu einer verheerenden um­gesetzt. Wohnungsnot, der mit günstigen Wohnungen Abhilfe

Ebenezer Howards Garten- stadt-Projekt sieht auf dem Land eine neu gebaute Stadt vor, in der die Bevölkerung fernab der Industrie wohnen kann. Verschiedene Satelliten- städte sind kreisförmig um die Hauptstadt angeordnet und durch eine Eisenbahnlinie untereinander­ und mit dieser verbunden. | Bild: Ebenezer Howard, Garden Cities of tomorrow, Sonnenschein Publishing, 1902

1926: Albert Bodmers Bebau- ungsplan für Winterthur lehnt sich der Gartenstadtidee Howards an. Dabei kommt ihm die topografische­ Lage der Wohnsiedlungen mit grossen Gärten und nied­ ge­schaffen werden musste. So wurden vor allem nach Stadt mit ihren sieben Hügeln rigen Häusern prägen das Winterthurer Stadtbild seit 1944 zahlreiche Genossenschaften – hauptsächlich- zugute.­ Sie bilden natürliche dem 19. Jahrhundert. Ihnen verdankt Winterthur den durch die Arbeiterbewegung – gegründet. Die Stadt Grünflächen, die bis heute Namen «Gartenstadt». Damals engagierten sich Winter­ leistete Hilfe, indem sie günstig Land zur Verfügung weitgehend unbebaut blieben. thurer Industrielle wie Heinrich Rieter oder Charles stellte. | Plan: Stadtarchiv Winterthur Brown zusammen mit der Hülfsgesellschaft für die Er- Vielgeschossige Wohnanlagen waren in Winter- stellung bezahlbarer Wohnungen für die Fabrikarbei- thur bis in die 1960er-Jahre selten. So war ein boden- ter und legten so den Grundstein des gemeinnützigen nahes, individuelles Wohnen möglich. In diesem Sinne Wohnungsbaus. hat Winterthur­ die Bezeichnung «Gartenstadt» verdient. Die Kolonien der Genossenschaft Gartenstadt Das Konzept der Gartenstadt stammt jedoch ursprüng- Winterthur am Brühlberg sowie der Baugenossenschaft lich aus England und ist nicht mit dem hiesigen Bild Union im oberen Vogelsangquartier (beide um 1912) vergleichbar. Der Parlamentsstenograf und Utopist sind frühe und prominente Beispiele einer Gartenstadt­ Ebenezer Howard entwickelte 1898 die «Garden City» siedlung. Ihnen folgten nach dem Ersten Weltkrieg als Reaktion auf die unmenschlichen Wohnbedingun- weitere Genossenschaften mit der Erstellung möglichst gen der arbeitenden Bevölkerung in den englischen preisgünstiger Wohnungen wie die Heimstätten-Genos­ Industriestädten. In seiner Vorstellung waren die Gar- senschaft (HGW), die im Oberwinterthurer Bircher- tenstädte ringförmig um einen grossen Park angelegt. müesliquartier Reiheneinfamilienhäuser baute, die Wohnen und Arbeiten sollten getrennt sein. So waren je­weils mit einem «Pflanzplätz» zur Selbstversorgung die öffentlichen Gebäude direkt um den Park vor­ ausgestattet waren. gesehen, die Wohnzone mit privaten Gärten weiter 41

ausserhalb. Im äussersten Ring siedelte Howard die rität innerhalb der Gemeinschaft: Genossenschaften Fabriken an. sind gemeinnützige Unternehmungen, die auf dem In Winterthur gelang dem Bauamtmann Alexan- Prin­zip der Kostenmiete funktionieren. Ihr Handeln ist der Isler 1909 mit den Vorschriften über die Bebauung nicht gewinnorientiert, und alle Einnahmen werden der äusseren Quartiere die Festlegung der ersten für anfallende Kosten wie Sanierungen oder Neubau- Zonenordnung der Schweiz. Nach der Eingemeindung ten aufgewendet. So sind die Liegenschaften generell der Aussenquartiere 1922 besetzte Albert Bodmer die der Spekulation entzogen und bleiben auch langfristig neu geschaffene Stelle des Bebauungsplaningenieurs. bezahlbar. Sein Nutzungsplan von 1926 basierte auf Howards Die Denkmalpflege der Stadt Winterthur möchte Gartenstadtidee und war für 150 000 Einwohner aus­ die Bevölkerung und die Politik für die Besonderheit gelegt. der Kleinhaussiedlungen sensibilisieren und deren

Die Siedlung Zelgli im Mattenbachquartier, die noch während des Zweiten Weltkriegs entstand, ist ein typisches Beispiel für eine Genossenschaftssiedlung der 40er-Jahre. Ärmere Fami- lien fanden darin ein Zuhau- se und hatten genügend Platz, um sich aus dem eige- nen Garten mit Früchten und Gemüse zu versorgen.

| Bild: Winterthurer Bibliotheken, In die Höhe bauen wichtigen Beitrag zur Gartenstadt ins Bewusstsein Studienbibliothek Heute wird es ohne die Hilfe der Stadt immer schwie­ zurückrufen. Nicht zuletzt deshalb ist sie um eine Zu- riger, preiswertes Bauland zu erwerben. Deshalb sammenarbeit mit den Genossenschaften bemüht und weichen viele Genossenschaften mit ihren Neubau­ strebt in Gemeinschaft mit dem Regionalverband In der Überbauung Grüze- projekten auf Aussengemeinden aus. In der Stadt selbst Winter­thur des Schweizerischen Verbandes für Woh- feld manifestiert sich 1967 hat sich das Siedlungsbild in den letzten Jahrzehnten nungswesen (SVW) in verschiedenen Projekten eine zum ersten Mal in Winter- teilweise verändert. Seit den 1960er-Jahren kehrte man Sensibilisierung für diese Thematik an. thur die moderne urbane sich vom Gartenstadtgedanken ab und wendete sich Verdichtung. Die Ver­ dem Bau hoher Gebäude zu. So sind vermehrt grosse Von Stephanie Fellmann, Denkmalpflege Winterthur wendung vorfabrizierter Wohnblöcke wie die Überbauung Grüzefeld entstan- Betonelemente verkürzte den, die auf verhältnismässig wenig Grund eine Viel- Hinweis die Bauzeit beträchtlich zahl an Wohnungen ermöglichen und von parkähn­ Die UNO feiert 2012 das internationale Jahr der Genossen- und ermöglichte eine preiswerte Erstellung der lichen Grünanlagen eingefasst sind. Erst in den schaften. Die Denkmalpflege der Stadt Winterthur hat ge- Wohnungen. 80er-Jahren wurde die Qualität der Gartenstadt wieder meinsam mit dem Schweizerischen Verband für Wohnungs­ | Bild: Winterthurer Bibliotheken, entdeckt. Dank der Rückzonung von 1986 konnten ein- wesen (SVW) Regionalverband­ Winterthur in diesem Studienbibliothek zelne Siedlungen mittels Sonderbauvorschriften besser Jahr verschiedene Anlässe zum Thema gemeinnütziger geschützt werden. Diese Bemühungen wurden 1989 Wohnungsbau organisiert. mit dem Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes gewürdigt. Wider die Spekulation Die Wohnbaugenossenschaften sind demokratisch und bieten den Bewohnern ein Mittel zur Selbsthilfe. Die Mieter sind meistens auch deren Mitglieder, was ihnen eine hohe Wohnsicherheit und ein Mitspracherecht garantiert. Sie verpflichten sich aber auch zur Solida­ 42 | Europäischer Tag des Denkmals 2012 Aktuelles aus der Denkmalpflege der Stadt Winterthur

Seen im Spiegel der Zonenpläne Seit knapp hundert Jahren regeln die Winterthurer noch ein allein stehendes Dorf war, und sicherte diese Zonenpläne die Bebauung Seens. Verschiedenen Alleinstellung des Dorfes für die Zukunft. Eine neue Ge­nerationen von Plänen lagen unterschiedliche politische Haltung im Umgang mit den eingemeinde- Konzepte zu Grunde. Diese drückten immer die ten Dörfern zeichnete sich ab. Seen musste nicht zwin- bau- und bodenpolitischen Haltungen, die Vor­ gend mit der Stadt zusammenwachsen, sondern durfte stellungen über zukünftige Entwicklungen und das weiterhin allein stehen. Diese Haltung kam auch in der städtebauliche Verständnis ihrer Autoren aus. neu geschaffenen Geschäftszone an der Kanzleistrasse Bereits 1926 hatte Winterthur – als erste Stadt der zum Ausdruck. Während im Nutzungszonenplan von Schweiz überhaupt – einen Nutzungszonenplan, der 1926 lediglich die Altstadt farblich hervorgehoben und die Bebauung des Stadtgebiets regelte. Damals waren als klares Zentrum aus­gewiesen war, erstarkte das die 1922 eingemeindeten Dörfer rund um Winterthur Bewusstsein für die fusionierte Stadtgemeinde in den noch als solche zu erkennen und um die freistehende folgenden vier Jahrzehnten so weit, dass den ehemali- Altstadt in die Landschaft eingebettet. Bis in die 1950er- gen Dörfern in den Geschäftshauszonen eigenständige Jahre sind dem Planwerk entsprechend die Räume gewerblich-kommerzielle Zentren zugestanden wer- zwischen Winterthur und den umgebenden Dörfern den konnten. Mit dem Zentrum Töss und dem Römer- zur Gartenstadt zusammengewachsen, die sich nun tor in Oberwinterthur manifestierte sich diese Politik von Töss bis nach Oberwinterthur und Wülflingen er- auch baulich. Das Zentrum Seen wurde jedoch entge- streckt. Seen bildete die einzige Ausnahme: Ende der gen ersten Plänen nicht mit einem Turm versehen. 1950er-Jahre war es immer noch als allein stehendes Der Ortskern gerät unter Duck ... Dorf im Grünen wahrnehmbar, die Gartenstadt wuchs Die mit dem Zonenplan von 1965 geschaffenen Mög- nicht über das Mattenbachquartier hinaus. lichkeiten wurden nicht nur auf der grünen Wiese Bauboom erfasst Seen zahlreich genutzt, sondern auch im historischen See- Der Boom der 1950er- und 1960er-Jahre liess den Be- mer Dorfkern. Bis in die 80er-Jahre sind viele histori- darf nach zusätzlichen Wohnungen rasant in die Höhe sche Bauten dem Boom zum Opfer gefallen. schnellen. Während sich Gartenstadtsiedlungen in ... und wird schonend weiterentwickelt allen anderen Stadtkreisen ausgebreitet hatten, war in In den 80er-Jahren wurde eine grundlegende Zonen- Seen noch viel Platz. Zu Beginn des einsetzenden Sied- planrevision vorbereitet. Das wachsende denkmal­­­pfle­ lungsbaus in Seen musste man sich in langwierigen gerische Verständnis ermöglichte die Erarbeitung eines Verfahren mit einzelnen Bebauungsplänen behelfen. Inventars der historischen Bauten im Ortskern von 1965 wurde dann der erste Zonenplan im heutigen Seen. Anhand dessen konnte die Ausdehnung des nur Sinn erlassen. «Der Zonenplan wurde positiv aufge- schonend weiterzuentwickelnden Gebiets bestimmt nommen», erinnert sich der damalige Stadtpräsident, werden. Da aber die Erfahrung mit Kernzonen fehlte, Urs Widmer, «endlich konnte man bauen.» war die Festsetzung der zugehörigen Bauvorschriften Diese Entwicklungshaltung kam auch in den anspruchsvoll. Schliesslich resultierte jedoch ein grosszügigen Ausscheidungen von Wohnzonen entlang zweck­dienliches Regelwerk, das in seinen Grundzügen der Tösstalstrasse zum Ausdruck. Entsprechend den bis heute Gültigkeit hat. Es schont das Ortsbild und städtebaulichen Konzepten der Nachkriegsmoderne, lässt die Umnutzung der ehemaligen Bauern­häuser zu welche die Konzentration der Volumen auf hohe gross- modernen Wohn- und Gewerbe­bauten zu. So konnte formatige Bauten und dazwischen frei fliessende Land- die verbleibende historische Bausubstanz­ einer zu- schaften vorsah, wurden die beiden Wohnzonen im kunftsfähigen Nutzung zugeführt werden, was letztlich Gutschick und im Wingertli durch einen Grün­gürtel Voraussetzung für den Erhalt dieser baugeschichtli- getrennt. Die Prinzipien der Gartenstadt wurden also chen Zeugen und ihrer ortsbau­lichen Struktur ist. auf die damals vorherrschenden Verhältnisse adaptiert. Voraussetzung für die Freihaltung dieses siedlungsglie­ Von Andreas Madianos, Denkmalpflege Winterthur dernden Grünraums war der städtische Grundbesitz, der auf eine äusserst aktive Bodenpolitik in den vorher­ gehenden Jahren zurückzuführen ist. Eigenständigkeit Seens Dieser Grüngürtel zwischen Mattenbach und Seen trug aber auch dem Umstand Rechnung, dass Seen 1960 43

Legende Bodmer-Plan: Gemischtes Gebiet Reines Wohngebiet Grünflächen Landwirtschaft Wald

Seemer Ausschnitt aus dem Bodmer-Plan von 1926 (ganzer Ausschnitt aus dem Übersichtsplan von 1947: Seen steht Plan Seite 40): Zwischen dem Dorfkern und der Altstadt als Dorf allein in der Landschaft. | Karte: Stadtarchiv Winterthur sollte die Gartenstadt wachsen. | Karte: Stadtarchiv Winterthur

Legende Zonenplan von 1965: Wohnzone, 2 Geschosse Wohnzone, 3 Geschosse Wohnzone, 4 Geschosse Geschäftshauszone Freihaltezone (Grün­- gürtel)

Legende Zonenplan von 1987: Kernzone Zentrumszone 4 Wohnzone, 2 Geschosse Wohnzone, 3 Geschosse Wohnzone, 4 Geschosse Wohn- und Gewerbe-­ zone, 3 Geschosse Wohn- und Gewerbe-­ zone, 4 Geschosse Zone für öffentliche Bauten Freihaltezone Landwirtschaftszone Zonenplan von 1965: Festsetzung des Grüngürtels, der Zonenplan von 1987: Erhalt des Grüngürtels und Festset- Wald Geschäftshauszone und der grossflächigen Wohnzonen. zung der Kernzone. | Karte: © Vermessungsamt Winterthur

| Karte: © Vermessungsamt Winterthur Samstag, 8. September 2012 Europäischer Tag des Denkmals

Winterthur-Seen Die Veranstaltungsorte auf einen Blick Reproduziert mit Bewilligung des Vermessungsamtes der Stadt Winterthur vom 25.7.2012 der Stadt Winterthur vom Reproduziert mit Bewilligung des Vermessungsamtes

Veranstaltungsorte Infostand, Freizeitanlage Kanzleistrasse A Bahnhof Seen 1 Werdstrasse 9 / 11 B Bahnhof Sennhof-Kyburg 2 Steinackerweg 2 3 Ecke Kanzlei- / Büelhofstrasse 4 Rössligasse 9 / 11 Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln 5 Reformierte Kirche Seen: Mit dem Zug (S12) oder dem Bus Nr. 2 ab Winterthur HB 6 Ehemalige Korbwarenfabrik, Tösstalstrasse 297 Transfer Seen–Sennhof: Mit dem Zug (S26), ab Bahnhof 7 Rotenbrunnen- / Oberseenerstrasse Seen je­weils :51 und :32, ab Bahnhof Sennhof-Kyburg jeweils 8 Spinnerei Bühler :26 und :06, Fahrt­dauer: 3 Minuten