„Die Hohe Stimme War Wie Eine Heimkehr“ Stefan Bollman Erklärt, Was Man Bejun Mehta Gilt Als Einer Der Besten Countertenöre Der Gegenwart
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R16 KULTUR Dienstag, 10. Dezember 2013, Nr. 285 DEFGH Leselust und Lustlesen „Die hohe Stimme war wie eine Heimkehr“ Stefan Bollman erklärt, was man Bejun Mehta gilt als einer der besten Countertenöre der Gegenwart. Jetzt bringt er sein aktuelles CD-Projekt schon immer wissen wollte „Che Puro Ciel“ auf die Bühne des Prinzregententheaters. Ein Gespräch über das Suchen und Finden in der Musik München –Manhältdiesenunberührten Wälzer in der Hand und fragt sich, ob eine interview:klaus kalchschmid auch zu vielen Konzerten. Dann hat George Leserin so aussehen muss wie die auf dem eine Karte von meiner Stimme gezeichnet, Cover. Ein sitzender Körper, Hals abwärts, München –BejunMehtaistnebenDavid auf der man sah, wie welche Töne klingen, ist durch die braunen Locken, die sich über Daniels und Andreas Scholl der vielleicht wie sie sich im Forte oder im Piano verän- ein geblumtes Sommerkleid ringeln, als aufregendste Countertenor der mittleren dert. Ich hab’ das nicht ganz verstanden Mädchen definiert: Dieses umfasst ein zer- Generation. In Salzburg war der 45-jährige (lacht). Während der Komposition habe ich lesenes Buch. Was sagt uns das? – Die Zu- Cousin von Zubin Mehta 2010 an der Seite George nur gebeten, dass er die Tendenz ordnung jeglicher Lektüre zum Unterleib vonChristineSchäfereingroßartigerDidy- der Partie in die Tiefe nicht zu sehr betont. der kopf- und deshalb vermutlich auch mus in Christof Loys Inszenierung von hirnlosen Konsumentin. Der Schutzum- Händels „Theodora“, 2012 konnte man ihn Wieistes,mitRenéJacobszusammenzu- schlag von Stefan Bollmanns „Frauen und dort in der Titelpartie einer konzertanten arbeiten, einem Dirigenten, der selbst Bücher. Eine Leidenschaft mit Folgen“ Aufführung von Händels „Tamerlano“ hö- ein berühmter Countertenor war. Kriti- (DVA) steht im Widerspruch zumindest ren. Auch in München konzertiert Mehta siert er Sie? Holen Sie sich Rat bei ihm? zum zweiten seiner beiden Bestseller-Ti- häufig, nur einmal aber stand er auf der Wir haben leider erst 2008 beim szeni- tel: „Frauen, die lesen, sind gefährlich“ Bühne des Nationaltheaters – in Händels schen „Belshazzar“ in Toulouse zusam- und „Frauen, die lesen, sind gefährlich und „Orlando“. Gerade ist seine neue CD „Che mengearbeitet. Ich hatte schon Angst, dass klug“.Der Autor wurde in Germanistik pro- Puro Ciel“ erschienen. Dieses Programm, er mich zwingen könnte, anders zu singen. moviert, betätigt sich als Lektor von Publi- das den Titel einer Arie von Glucks Orfeo Aber als wir uns dann endlich trafen, wa- kumsverlagen und befleißigt sich publizis- trägt und den Übergang vom Spätbarock ren wir beide so froh darüber, dass wir uns tisch seit acht Jahren der Recherche aller zur Klassik zum Thema hat, singt Bejun fragten, warum wir es nicht schon früher Ursachen, warum welche Frauen zu wel- Mehta im Prinzregententheater. gewagt hatten. Unter anderem haben wir cher Zeit was lesen und als Lesende Män- dann 2010 eine Händel-Platte zusammen ner schon längst überflügelt haben. SZ: Herr Mehta, gerade haben Sie letzte aufgenommen und jetzt „Che Puro Ciel“. Korrekturen an einer Verfilmung von 400 emsig recherchierte Seiten Glucks „Orfeo ed Euridice“ vorgenom- WaswardieIdeebeidiesemungewöhnli- und eine triviale Erkenntnis men. Was war das für ein Projekt? chen Programm, das den Untertitel „The Bejun Mehta: Zunächst war ein Film nach Rise of classical Music“ trägt? Die Frauen, mit denen sich Bollmann in einer historisierenden Aufführung mit Pu- Die Arien stammen aus einem sehr kurzen seinem jüngsten Elaborat befasst, Frauen, blikum im wunderbaren alten Theater von Zeitraum, 1758 bis 1772, aber von Kompo- die bereits vor 250 Jahren mit Lust lasen Cesky Krumlov aus dem Jahr 1650 geplant. nisten aus drei Generationen, dem jungen (und/ oder auch schrieben), was eigentlich Doch ausgerechnet die Reform-Oper so Mozart, dem alte Hasse und mittendrin der darob beunruhigten männlichen Hälf- rückwärtsgewandt zu zeigen, schien mir Tommaso Traetta, Johann Christian Bach te der Menschheit vorbehalten war, gehör- einAkt gegen die Musikgeschichte. Irgend- oder Gluck. Das war eine Phase des Experi- ten gehobenen gesellschaftlichen Kreisen wann wurde dann die Idee geboren, einen mentierens, der Versuch, die alten Formen an. Erst heute lesen sie quer durch die „richtigen“ Film zu machen: ohne Publi- zu öffnen. Viele der Stück sind keine Da-ca- Schichten, emanzipiert im Lesen wie auch kum, aber nicht Play-back, sondern live ge- po-Arien mehr, sondern durchkompo- in der Lust. Unter den zwölf Frauen, denen sungen mit Orchester, das man allerdings niert. Arbaces „Vo solcando un mar crude- Bollmanns offizieller Dank gilt und mit de- nur selten sieht. Wir haben auch unter der le“ aus Johann Christian Bachs „Artaserse“ nen er offenbar so vertraut ist, dass er sie Bühne, in den Gängen und Garderoben Schätzt die Natürlichkeit beim Singen: Countertenor Bejun Mehta. FOTO:JOSEPMOLINAist vielleicht die altmodischste Arie der CD, nur mit Vornamen nennt, findet sich auch und im – leeren – Zuschauerraum gefilmt. aber manches klingt schon sehr neu. Die „Elke“.Damit ist wohl Elke Heidenreich ge- Das Stück muss nun auch nicht mehr mit Platte endet ganz bewusst mit Farnaces meint, mit der Bollman sein Buch nun im Musik beginnen und auch nicht mit dem Jahre gewartet, bis Sie wieder mit dem Wie haben Sie ihre hohe Stimme dann Na, die hohe Stimme – nur etwas tiefer – „Già dagli occhi“ aus dem „Mitridate“ des Literaturhaus präsentiert. „Happy End“ enden. Aber ich verrate Singen anfingen? wieder gefunden? wiederzufinden, war wie Heimkehr. „Ah 14-jährigen Mozart, wo man ahnen kann, Bollmann spannt den Bogen also von nicht, was wir genau zeigen werden! Ich sollte kurz danach mit Leonard Bern- Mit 27 oder 28 habe ich einen Artikel über das ist es“,dachte ich sofort, sogar die alten was später passieren wird. Das ist bereits Klopstock, den die Frauen nach seinen Le- stein seine „Chicester Psalms“ machen David Daniels gelesen und da sah ich, dass Übungen habe ich damals verwendet. der Beginn von etwas ganz Neuem. sungen küssten, über „Marilyn Monroe, Wann ist Premiere? und hatte einfach das Gefühl, es könnte et- seine Geschichte auch meine war; und ich die lesende Sexbombe“ und verkannten Die ist für verschiedene Orte geplant, viel- was passieren. Eigentlich ging der Stimm- habe entschieden, ganz allein einen Monat George Benjamin hat die Countertenor- Gibt es Vorbilder, die Sie geprägt haben? Bücherwurm bis hin zu „Shades of Grey“. leicht ist schon der kommende Januar in bruch ganz allmählich vor sich, die Sprech- zu üben. Noch nicht einmal mein damali- Partie seiner Oper „Written on skin“, die Aber bitte! Wie viele darf ich nennen, nur Der fleißige Germanist braucht 412 kennt- Salzburg möglich, wenn ich dort Orfeo in ei- stimme sank einfach immer mehr. Doch ger Freund wusste davon. Dann ging ich zu letztesJahrinAix-en-Provenceuraufge- Soprane? Nur drei? Wie wär’s mit Arleén nis- und faktenreiche Seiten, um mitzutei- ner ganz anderen szenischen Produktion ich bekam den Rat, bloß nicht wieder zu Marilyn Horne, die ich von meiner Knaben- führt und auf CD veröffentlicht wurde, Auger,ChristaLudwigund–FritzWunder- len, dass die dreibändige Sado-Maso-Plot- singen werde. früh mit dem Singen anzufangen. Darauf Sopran-Karriere her kannte, und von da an für Sie komponiert. Haben Sie den Kom- lich. Die drei verbindet vor allem eines, die te von E.L. James letztlich genauso unter habe ich gehört und dann den Fehler mei- ging alles sehr schnell. ponisten im Vorfeld getroffen, hat er sei- Natürlichkeit beim Singen, und das schät- die Ehe- und Tugendromane falle wie wei- WarumhabenSie,obwohlSiemit14Jah- nes musikalischen Lebens gemacht: in- ne Musik auf Sie abgestimmt? ze ich ungemein. land vor zweieinhalb Jahrhunderten Samu- ren noch eine großartige Platte mit Hän- dem ich als Bariton wieder anfing. Aber Wenn man Sie auf dieser CD, aufgenom- Er hat sich alles angehört, was ich gemacht el Richardsons „Pamela“.Aber ungleich ge- del, Schuberts „Der Hirt auf dem Fel- was für gute Countertenöre gab es damals men vor 31 Jahren, und heute hört, fällt hatte. Dann habe ich ihn mehrmals in Lon- wichtiger (und trivialer) fällt sein Fazit aus, sen“,Brahms und Britten aufgenommen –MittederAchtzigerjahre–alsVorbild, auf, dass es fast die gleiche Stimme ist, don getroffen; er hat Klavier gespielt, ich Bejun Mehta, Akademie für Alte Musik, Mittwoch wonach Romane, die in Weiberherzen Lust haben, nach dem Stimmbruch sieben nicht zuletzt in den USA? bis hin zum charakteristischen Vibrato. habe Verschiedenes gesungen. Er kam 20 Uhr, Prinzregententheater träufelten wie auch eindeutige Phantasien ins Hirn, seit je nicht nur Leselust, sondern auch das Lustlesen provozierten. Phanta- sien mündeten in sexuelle Handlungen – und nicht nur bei Frauen. Fiktion als Sinnsucher F. .-Vorlage – endlich schreibt’s mal ei- ner. eva-elisabethfischer Die theoretisch überfrachteten Installationen des thailändischen Konzeptkünstlers Pratchaya Phinthong in der Lothringer 13 München –SeitFelixRuhöfer2011dieLei- Die an Ort und Stelle wohl tatsächlich die „Original“-Kopie in Lusaka bewacht, „Frauen und Bücher“, Dienstag, 10. Dezember, tung der Lothringer 13-Halle übernom- konträr geführte Diskussion, ob der Zoo auf Entdeckungsreise durch das einstige 20 Uhr, Literaturhaus men hat, ist er als Ausstellungsmacher der nordthailändischen Stadt Chiang Mai britische Mutterland gehen. Die Authenti- ziemlich konsequent gewesen. Seine Prä- ein Eisbärengehege brauche und ob das ge- zitätsdebatte versucht er in der Münchner sentationen in dem städtischen Kunst- planteArealdenBedürfnissenderTierege-