Bejun Mehta »Man Sollte Zeit Haben, Neue Dinge Zu Kreieren
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»Man sollte Zeit haben, neue Dinge zu kreieren Starporträt Das Wesentliche am Singen ist in der Seele des Sängers – das, was Stimmen einzigartig macht ... Sie sind ein vielseitiger Künstler – Sänger, Cellist, Diri- Material bekommt und muß es auf eine Stunde zusam- gent, Producer/Tonmeister. Gibt es die Idee des »Univer- menschneiden, lernt man, die Essenz zu erkennen. Als salkünstlers« in Ihrem Selbstverständnis? Musiker ist der Blickwinkel dann nochmal ein anderer. Gerade in der momentanen Phase meines Lebens versu- Musikalisch und künstlerisch ist es so, dass ich meistens che ich die verschiedenen Pfade meines künstlerischen einen Gesamteindruck haben kann, obwohl ich gleichzei- Schafens zusammenzuführen. Wenn man als Sänger an- tig ein Teil davon bin. Ein Blick auf mich selber von außen fängt, muß man das zunächst ausschließlich machen. Ich sozusagen. Aus meiner Sicht ist alles eins, nur von außen bin jetzt schon 18 Jahre in diesem Geschäft und habe be- sind es mehrere Tätigkeiten. Ohne Zweifel: Im Hauptberuf reits als Kind gesungen. Während meines Studiums der bin ich Sänger. Aber egal was ich gerade mache. Das Ent- Deutschen Literatur an der Yale Universität habe ich ein scheidende ist, dass alles ein Ausdruck der Partitur ist, die Kammerorchester gegründet und auch dirigiert. Dann durch mich fießt. entschied ich mich, Sänger sein zu wollen – und das muß man als junger Mann machen – dirigieren kann man spä- Sie haben begonnen, ihre Stimme als Countertenor aus- ter auch noch. zubilden, als Sie mit sich als Bariton unzufrieden waren. Übrigens ist es nicht damit getan, das oder das zu sein. Wie kann man sich das vorstellen? Für mich geht es in erster Linie darum, immer tiefer in die Ich habe damals einen Fehler gemacht. 1992 begann ich Partitur einzutauchen. Deswegen liebe ich es, mich von im Alter von 23 Jahren wieder mit dem Singen. Nachdem vielen verschiedenen Seiten an die Musik anzunähern. ich meine Knabenstimme im Stimmbruch verloren hatte, Dinge zu tun, die man liebt, ist eine Freude für die See- musste ich wissen, ob ich eine erwachsene Stimme habe. le und die Kunst eines Lebens besteht darin, der eigenen Damals waren Countertenöre bei weitem nicht so akzep- Seele so gut wie möglich Ausdruck zu verschafen. Ich tiert wie heute, besonders in den Musikhochschulen. bringe das alles in meine Arbeit mit ein – und vielleicht Kein Lehrer kam auf die Idee, dass ich Countertenor war Bejun Mehta mache ich nebenbei ein »Gesamtkunstwerk« aus meinem – ich auch nicht. Dadurch habe ich einen großen Umweg eigenen Leben ... gemacht und vier, fünf Jahre versucht, als Bariton zu sin- gen, was körperlich gar nicht meine Stimmlage ist! Natür- ... in dem Singen ofensichtlich die Hauptrolle spielt. lich hat das dann nicht geklappt und ich habe aufgehört. Sänger sein ist etwas Besonderes. Ich denke, dass ich jetzt Im November 1997 las ich dann per Zufall eine Geschichte hier einiges erreicht habe und werde sicher noch viele über einen Countertenor in einem Magazin und das war Jahre singen. Ich könnte das ausschließlich machen, kei- wie eine Ofenbarung und Erlaubnis, es zu versuchen. Ich ne Frage. Aber ich fühle, dass jetzt eine Zeit in meinem wußte sofort, das war MEINE Stimme. Zuerst habe ich es Leben gekommen ist, wo mir erlaubt wird, Dinge aus den nur für mich ausprobiert – keiner erfuhr etwas davon. verschiedenen mir möglichen Blickwinkeln anzugehen. Drei Monate lang – alleine! Das ist in unserer Schubladen-Gesellschaft gar nicht so einfach und ich weiß dieses Privileg sehr zu schätzen! Wie war Marilyn Horne als Pädagogin? Mehta Meine frühere Tätigkeit als Producer und Tonmeister gibt Marilyn Horne kannte mich aus den Zeiten meiner Kin- mir ganz automatisch eine zusätzliche Sicht auf ein Pro- derstimme. Als ich bereit war, meinem Umfeld von der jekt. Wie ich schon sagte, ich gehe ein Stück gerne von Entscheidung zu erzählen, es als Countertenor zu versu- verschiedenen Seiten an. Als Producer hat man einen chen, habe ich sie angerufen. Marilyn Horne war übrigens Ebenen anderen Blick als ein Sänger – wenn man stundenlanges nie meine richtige Gesangslehrerin, auch wenn das hin Mai/Juni 2015 15 und wieder behauptet wird. Meine einzige Gesangsleh- auch als künstlerischer Berater tätig. Wie war diese Er- das ist sehr ungewohnt: Man hört das Orchester manch- ich, dass einige der Projekte, die ich jetzt im Kopf habe, rerin als Countertenor war Joan Patenaude-Yarnell, (Cur- fahrung für Sie? mal nur noch über den Sender im Ohr und soll live dazu realisiert wurden. Momentan bin ich z.B. im Gespräch mit tis Institute and Manhattan School of Music) die mir von Die Erfahrung war toll und einzigartig! Ich bin sehr singen. Ich glaube, Sie bekommen einen Eindruck, was einem Lieblingsregisseur von mir – wir diskutieren eine meinem ehemaligen Freund empfohlen wurde. Marilyn neugierig, Dinge zu machen, die neu sind und die ich ich mit »schwierig« meine. Aber das Ergebnis ist gut, ich Melange zwischen Lied und Cantata und wollen das in ei- Horne war wertvolle Beraterin und quasi-Managerin, sie nie vorher gemacht habe. Aber diese Arbeit in Krumlov bin sehr stolz darauf, und besonders auf der schauspie- nem neuen Theaterstück zusammenbringen. Solche Ent- hat sich meine Stimme angehört und mir gesagt, dass es war die SCHWIERIGSTE meiner Karriere, im Sinne von lerischen Ebene war es interessant zu sehen, ob ich das wicklungen lassen sich nicht so einfach planen. klappen kann – und mir die ersten Angebote verschaft. reiner körperlichen Leistung. Stellen Sie sich vor: Eine überhaupt kann! Dann möchte ich zukünftig mehr dirigieren – mir persön- Rein zufällig hörte sie bei einer Vorstellung in der New Filmproduktion arbeitet natürlich in »Takes« und wir lich gibt das eine andere Tiefe für meine Kunst. Es geht York City Opera, dass ein Countertenor gesucht wird. Das haben alles LIVE gesungen – einen Take nach dem an- Gibt es noch einen anderen Orpheus für Countertenor in darum, alles gleichzeitig zu hören. Das Gesamtwerk muss war 1998 und mein Debut in Händels »Partenope«… deren! Durch Wiederholungen und Warten beim Film der Musikliteratur, den es sich lohnt, wiederzuentdecken? balanciert und allen Stimmen Gehör geschenkt werden. gibt es viele Unterbrechungen und das macht es nicht »Orfeo« von Monteverdi wird immer wieder gemacht. Ich Die Musiker schafen das Werk und der Dirigent macht die Sie singen sehr viele Barockpartien – und viel Moderne. einfacher. Man muß vorbereitet sein für jeden Take, per- persönlich würde gerne eine neue Oper schreiben las- Umgebung dafür passend, dass sie ihr Bestes geben kön- Wie stehen Sie zu der Zeit dazwischen? Käme es für Sie in manent die Spannung aufrecht halten und 8-10 Stunden sen – nach der Aeschylus Fassung vom Tod Orfeos. Es gibt nen. Es ist eine menschliche Gabe, das Beste aus anderen Frage, »Hosenrollen« zu singen? präsent singen. SO arbeiten Sänger normalerweise nie. eigentlich mehrere Legenden, die ich zusammenbringen Menschen herauszuholen. Nicht nur in der Musik. Aber Für mich käme vielmehr in Frage, Liederabende mit eher In der Regel geht es bei Opernflmaufnahmen darum, möchte: Die Götter haben keine Gnade, Euridice bleibt in der Kunst sollte die Kreativität des Einzelnen immer romantischer Musik zu singen. Das habe ich übrigens ein Werk fortlaufend aufzunehmen und man hat maxi- tot, Orfeo wird wahnsinnig und liederlich, stirbt am Ende im Mittelpunkt stehen. Dirigieren ist nicht »Arme hoch- auch schon öfter gemacht. Aber Liederabende sind so- mal darauf zu achten, dass die eigene optische Wirkung durch einen Fluch und Löwen reißen ihn entzwei. Sein heben«. Dirigieren transportiert die energetische Idee wieso aufwendig und daher kann ich nur alle paar Jah- bei Close-Kamera-Einstellungen gut ist. Dies hier war Kopf wird auf einem Bach davongetrieben, aber er singt des Dirigenten zu den Musikern, die das dann auf ihren re eine neue Idee in dieser Richtung realisieren. Jetzt im anders. Praktisch den ganzen Tag singen am Stück – das weiter. Diese Geschichte wurde bisher – so weit ich weiß Instrumenten hörbar machen. Frühling fahre ich deshalb nach London um mit meinem passiert einfach nie in der Oper und soviel habe ich nicht – nicht vertont. Sie hat kein »Happy End« in dem Sinne Außerdem plane ich größere Auszeiten innerhalb eines Liedbegleiter Julius Drake an unserem neuen Programm mal bei Plattenaufnahmen gesungen! Im Gegensatz zu – vielleicht ist das der Grund. Man kann es aber auch so Jahres. Bisher habe ich NUR gearbeitet und ich fürchte, zu arbeiten. nachsynchronisierten Filmen muss dann immer noch sehen: Orfeo leidet an der verlorenen Liebe (was jeder dass ich mich ein wenig darüber verloren und meine in- gleichzeitig die Optik stimmen – auch bei Wiederholun- versteht), aber selbst nach seinem Tod ist die Kunst in ihm nere Stimme nicht mehr gehört habe. Jetzt gerade bin ich Sie haben 2014 den Orfeo in Glucks »Orfeo ed Euridice« gen. Dazu kam, dass wir ein Orchester im Graben hat- immer noch stärker. Man kann es als Sieg der Kunst inter- in einer Art »Sabbatical«, um das zu ändern. Im Septem- gesungen, der im Theater in Krumlov aufgenommen und ten und selber zum Teil weit weg und irgendwoanders pretieren … Das wäre MEIN Orpheus. ber geht es dann wieder voll los. verflmt wurde. Außerdem waren Sie in der Produktion sein mussten – ganz wie die Regie es verlangte. Auch Was halten Sie von den Kompositionen für Countertenor Wie gehen Sie mit dem oft auftretenden Widerspruch von Peter Eötvös? zwischen künstlerischer Freiheit und wirtschaftlichen In- Sehr viel. Ich habe ja bereits eine Oper von ihm gesun- teressen um? gen. Oder denken Sie an George Benjamin. Seine Oper Es gibt noch ein Problem, das die Branche mitbringt: Sän- »Written on Skin« ist ein großartiges Werk, und er hat die ger müssen immer gehorchen – z.B. man bekommt ein Countertenor-Partie für mich geschrieben. Vor kurzem Angebot und es besteht generell die Erwartungshaltung, hat er auch noch ein Konzertstück für mich komponiert. dass man zusagt. Die Vision eines Sängers über die eigene Karriere tritt dabei oft in den Hintergrund.