Victor Horta
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Victor Horta Jugendstilhäuser in Brüssel 1 Jugendstil (ca. 1890–1910) Der Jugendstil ist eine kunstgeschichtliche Epoche um die hatte. Zugleich war dies der programmatische Gegenentwurf Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Weitere zur Abgehobenheit und Abgesondertheit auratischer Kunst- Bezeichnungen sind art nouveau, Modern Style, Modernisme, werke in der reinen Sphäre der so genannten »hohen« oder Stile Liberty, Reformstil oder Wiener Secession; in Russland Stil »Bildenden Kunst«. Modern und in Frankreich wurde auch der Begriff Fin de sièc- Zur Programmatik des Jugendstils gehörte aber auch die le verwendet. Forderung nach Funktionalität und Ausdruck der Funktion in der Erscheinung der Dinge, dass also die Funktionen eines Herkunft des Begriffs Gebäudes auch dessen Gestaltung sichtbar bestimmen soll- te. So beispielsweise sollten die Fassaden nicht länger sym- Der Begriff ist nur im deutschsprachigen Raum, den Nieder- metrisch und von axialen Aufteilungen bestimmt sein müs- landen, den nordischen Ländern und in Lettland in Gebrauch, sen, sondern einer aus dem Grundriss entwickelten so benannt nach der 1896 gegründeten Münchner illus- Raumvorstellung folgen dürfen. Insgesamt gehört die Ab- trierten Kulturzeitschrift Jugend. Dabei ist dieser Begriff in kehr von den historischen Bauformen und die intensive Su- seinem heutigen relativ wertfreien Sinne durch die spätere che nach neuen dekorativen Gestaltungsmöglichkeiten in kunstgeschichtliche Rezeptionsliteratur geprägt worden. Beim Architektur und Kunstgewerbe zum erklärten Programm Aufkommen des Begriffs um 1901 wird der Jugend- und Se- vieler Künstler des Jugendstils. Eine der zentralen Fragen des cessionsstil in den einschlägigen Zeitschriften als kritisches Jugendstils war in gewisser Weiterführung der Stildebatten Etikett für die modische Popularisierung und die dabei als des 19. Jahrhunderts die Frage nach dem so genannten karikierend empfundene Nachahmung der neuen Formen in »modernen« Stil, dem »Stil unserer eigenen Zeit«. den (Einzel-)Werken von Künstlern wie etwa Henry van de Velde durch die Industrie mit ihrer (»billigen«) kunstgewerb- Historische Entwicklung und Verbreitung lichen Massenproduktion verwendet. Geschichtlich steht der Jugendstil zwischen Historismus und Kennzeichen und Programmatik moderner Kunst. Diese Stilrichtung dauerte ca. 20 Jahre. Er kann als eine Antwort auf verschiedene vorausgehende Zeit- Äußerlich kennzeichnende Teile oder Elemente des Jugendstils strömungen des 19. Jahrhunderts verstanden werden: sind dekorativ geschwungene Linien sowie flächenhafte flo- – Die industrielle Revolution und damit das Aufkommen von, rale Ornamente und die Aufgabe von Symmetrien. mit Verzierungen überladener, maschinell hergestellter Bei solchen formalen Klassifizierungen darf allerdings nicht Massenware im viktorianischen England. übersehen werden, dass der Jugendstil keineswegs eine so – Den Historismus im Frankreich der so genannten Belle Epo- geschlossene Bewegung war, wie die Bezeichnung »Jugend- que, der in Verbindung mit den Bedürfnissen des gehobe- stil« heute bei uns den Anschein erwecken mag. Es handelt nen Bürgertums in »Extravaganz« ausuferte. In etwas ver- sich um eine Reihe von teilweise auch sehr divergierenden einfachter Form dominierte der Historismus auch in Süd- Strömungen innerhalb Europas, die sich allenfalls in der Ab- deutschland. In Österreich war der Historismus im letzten kehr vom Historismus wirklich einig waren, also der Ableh- Jahrhundertdrittel hegemonial, in diesem Stil wurde die nung der bis dato gängigen Praxis der Nachahmung historisch Ringstraße erbaut. Schon von den Zeitgenossen als emble- überlieferter Formvorbilder. matisch empfunden wurde der zugehörige Malstil, vor al- Mit dem Jugendstil verbinden sich zahlreiche künstlerische lem Hans Makarts, mit seinen neobarocken Allegorien. Programme und Manifeste. Er steht im heutigen Verständnis – In München dominierte ebenfalls die großbürgerlich be- unter anderem auch für große gesamtkünstlerische Gestaltun- stimmte Malkunst, charakterisiert und beherrscht durch gen, wie etwa dem Palais Stoclet in Brüssel, in der alles vom den Lenbachkreis um den Maler Franz von Lenbach. äußeren Bauwerk bis zur dekorativen Innenausstattung im einheitlichen Sinne durchgestaltet wurde. Damit wurde auch Die Arts-and-Crafts-Bewegung in England die Forderung nach der großen Verschmelzung von »Kunst und Leben« verknüpft, der Wiedereinbeziehung der Kunst in Trotz der unterschiedlichen Bezeichnungen in den verschiede- das Alltägliche, im Sinne einer umfassenden künstlerischen nen Ländern muss der Jugendstil, die Art Nouveau, der Sezes- Neugestaltung aller alltäglichen Dinge, wobei den dekorativen sionsstil, der Modern Style als internationales Phänomen, Künsten ein ganz besonderes Gewicht zukam. In diesem das die gesamte westliche Kunst umfasste, verstanden Punkt knüpfte der Jugendstil allerdings an den Historismus an, werden. Ihren Ursprung hat sie in der Arts-and-Crafts- der bereits das »Gesamtkunstwerk« zum Programm erhoben Bewegung in England. Wegbereiter waren die Werkkünstler 2 William Morris, der Architekt Philip Webb, der Kunstkritiker Verbreitung in Deutschland und Sozialphilosoph John Ruskin und die präraffaelitische Bru- derschaft um die Künstler Dante Gabriel Rossetti und Edward Der Jugendstil ist in Deutschland aus lokalen Bewegungen Burne-Jones. Letztere ähnelt in einigen Aspekten der Bewe- und Künstleravantgarden entstanden, die erst im Laufe der gung der Nazarener im deutschsprachigen Raum. 1861 grün- Jahre und über die vielen neu gegründeten Kunstzeitschriften dete Morris, der überzeugt war, dass sich alles Kunstgewerbe zu einem überregionalen Ideenaustausch gelangten. in völliger Entartung befand, mit Freunden die Firma Morris, Namensgeber der Bewegung, die in Deutschland zuvor als Art Marshall, Faulkner & Co. Ab 1875 hieß das Unternehmen Mor- Nouveau oder als Yachting Style bezeichnet wurde, war die ris & Co. Ideale dieser Werkstatt waren einfache Schönheit, künstlerische Wochenzeitschrift Die Jugend, die erstmals im Nützlichkeit und Qualität. Maschinenarbeit war ausgeschlos- Mai 1896 in München erschien. Als weitere einflussreiche sen. Noch heute berühmt sind die Morris-Tapeten. 1891 grün- Zeitschriften sind der Münchner Simplicissimus und die Berli- dete Morris einen bibliophilen Verlag, die Kelmscott Press. Das ner Zeitschrift Pan zu nennen. erste Buch dieses Verlages, The Story of Glittering Plain, mit Einer der rührigsten Mitarbeiter bei Jugend und Pan war der eigens entworfenen neuen Techniken, Materialien und Schrift- Maler und Gestalter Otto Eckmann. Ebenso wie seine Vorgän- typen, wurde ein überwältigender Erfolg beim Publikum. ger in England befasste er sich intensiv mit der japanischen 1887 gründeten verschiedene Artist-Designers, die sich dem Kunst. Ihn interessierte besonders die flächige Darstellung von Kunsthandwerk verpflichtet fühlten, die Arts and Crafts Exhi- Naturmotiven. Sein Lieblingstier, der Schwan, wurde zu einem bition Society, die 1888 ihre erste Ausstellung organisierte. der Leitmotive des Jugendstils. Bereits zuvor waren ähnliche Zusammenschlüsse entstanden, beispielsweise 1882 die Century Guild von Arthur Mackmurdo. Ende des Jugendstils Auch das japanische Stilelement fand über England seinen Ein klares Ende des Jugendstils in den Wirren der Jahre bis zum Eingang in die europäische Kunst und sollte zu einem prägen- und im Weltkrieg zu setzen, ist schlecht möglich. Es ist zu den Bestandteil der Jugendstilkunst werden. In den Jahren vergegenwärtigen, dass jede Stilbezeichnung eine sehr verall- 1854 und 1862 fanden in London große Ausstellungen japa- gemeinernde und zugleich abstrahierende Betrachtungsweise nischer Kunst statt. 1858 schloss England ein Handelsabkom- oftmals divergierender Zeitströmungen, rivalisierender und men mit Japan. Japanische Holzschnitte, Möbel, Keramiken parallel laufender künstlerischer Trends verschiedener Sparten und Lackarbeiten wurden in großer Anzahl nach England im- der Kunst darstellt und sich stets die Frage aufwirft, was und portiert. Unter denjenigen, die sich für diese Kunst begeister- wer mit dem Begriff eingeschlossen werden soll, und was und ten, war der Designer und Dozent Christopher Dresser, der wer außerhalb zu betrachten ist. mit seinen kunsthandwerklichen Entwürfen, vor allem aber Das Einsetzen des allmählichen Endes des Jugendstils in mit seinen Büchern einen großen Einfluss auf die Bewegung Deutschland kann man auf die große Dresdner Kunstgewer- hatte. 1877 reiste er im Auftrag der New Yorker Firma Tiffany beausstellung 1906 datieren. In deren unmittelbarer Folge nach Japan. wird 1907 der Deutsche Werkbund gegründet, unter Beteili- Der gebürtige Amerikaner James McNeill Whistler, seit 1859 gung oder späterer Mitwirkung einer Reihe von mit dem Ju- in London lebend, war ebenfalls einer der Pioniere, die den gendstil bekannt gewordenen Künstlern (wie van de Velde, Japonismus in England populär machten. Japanische Farbholz- Behrens, Niemeyer), der nunmehr – insbesondere unter sei- schnitte waren in besonderem Maße das stilistische und tech- nem Vorsitzenden Hermann Muthesius – die Sachlichkeit, nische Vorbild für Whistlers Arbeit. Schlichtheit und Gediegenheit zu neuen Leitbildern erhebt. Als weitere Protagonisten sind die Architekten und Designer Für die Zeit zwischen 1906 und 1914 hat sich in der kunstge- Ernest Gimson und Charles Voysey sowie der Unternehmer Sir schichtlichen Literatur keine allgemein gebräuchliche Stilbe- Arthur Liberty und der Künstler Charles Ricketts zu nennen. zeichnung etabliert,