Monasterium Sancti Galli 8 TUOTILO Archäologie eines frühmittelalterlichen Künstlers

Herausgegeben von David Ganz und Cornel Dora

Verlag am Klosterhof St. Gallen Schwabe Verlag Basel 2017 Folgende Institutionen haben den Druck unterstützt: Stiftsbibliothek und Katholischer Konfessionsteil des Kantons St. Gallen Kunsthistorisches Seminar der Universität Zürich Lotteriefonds des Kantons St. Gallen Historischer Verein des Kantons St. Gallen Freundeskreis der Stiftsbibliothek St. Gallen

Tuotilo: Archäologie eines frühmittelalterlichen Künstlers (Monasterium Sancti Galli; 8)

St. Gallen: Verlag am Klosterhof, 2017 ISBN 978–3–905906–22–6 ISSN 1424–358X

Basel: Schwabe Verlag, 2017 ISBN 978–3–906819–19–8

© Verlag am Klosterhof, St. Gallen

Bestelladressen: Stiftsbibliothek St. Gallen, Postfach, 9004 St. Gallen, Schweiz; [email protected] Schwabe Verlag, Auslieferung, Farnsburgerstrasse 8, 4132 Muttenz, Schweiz; [email protected]

Gestaltung, Satz: TGG Hafen Senn Stieger, St. Gallen; Druck: Niedermann Druck AG, St. Gallen; Einband: Buchbinderei Grollimund AG, Reinach; Papier: Normaset Puro, 120 g/m2; Schrift: Rialto Inhaltsverzeichnis

Cornel Dora (St. Gallen) Vorwort...... 7

Bildtafeln ...... 8

David Ganz (Zürich) An Artist-Monk in Pieces. Towards an Archeology of Tuotilo ...... 21

Die literarische und künstlerische Überlieferung zu Tuotilo

Ernst Tremp (Freiburg im Üechtland) Tuotilo in den Casus sancti Galli Ekkeharts IV ...... 53

Franziska Schnoor (St. Gallen) Das Tuotilo-Bild in Texten vom Mittelalter bis zum Barock...... 73

Karl Schmuki (St. Gallen) «Sant Tütel» – ein Seliger oder Heiliger der Kirche? Ein stiftsanktgallisches Gutachten zur Kanonisierung des Tuotilo von 1776...... 91

Karl Schmuki (St. Gallen) Tuotilo-Portraits aus der Frühen Neuzeit...... 101

Künstlerische Aktivität im frühmittelalterlichen Kloster

Rupert Schaab (Göttingen) Tuotilo: Die Klostergemeinschaft und der Künstler ...... 109

Wojtek Jezierski (Göteborg) Tuotilo and St Gall’s Emotional Community. Monastic Sensations, Sentiments, and Sensibilities (9th–11th Centuries)...... 127 Philipp Lenz (St. Gallen) Tuotilo und das Evangelium longum: Alte und neue Wege ihrer Erforschung...... 151

Anfänge musikalischer Schöpfung

Andreas Haug (Würzburg) War Tuotilo ein Komponist?...... 175

Susan Rankin (Cambridge) Ut a patribus audiuimus. Tuotilo, as Framed by Ekkehart IV...... 195

Goldschmied, Elfenbeinschnitzer und Buchmaler

Joseph Salvatore Ackley (New York) Early Medieval Monastic Metalworking, and the Precious-Metal Book-Cover of the Evangelium longum ...... 213

Stefan Trinks (Berlin) Archäologie des Piercing. Tuotilo und die gebohrten Elfenbeine der Karolingerzeit...... 231

Fabrizio Crivello (Turin) St. Galler Buchmalerei zur Zeit Tuotilos: Die Evangelistenbilder ...... 255

Ittai Weinryb (New York) Material and Making: Artisanal Epistemology at St Gall ...... 269

Abbildungen ...... 285

Abbildungsnachweis ...... 361 Kurzbiografien...... 365

6 Vorwort

Unter den Büchern in der Stiftsbibliothek St. Gallen ragt das Evangelium Longum (Cod. Sang. 53) hervor, ein schon seines Formats wegen (39.8 × 23.5 cm) aussergewöhnliches Evangelistar mit den Bibelstellen, die im Lauf des Kirchenjahrs am Ambo in der Klosterkirche zu lesen waren.1 Die grossen geschnitzten Elfenbeintafeln auf dem Vorder- und Rückendeckel werden dem St. Galler Mönch Tuotilo zugeschrieben, der als erster nament- lich bekannter bildender Künstler aus dem Gebiet der heutigen Schweiz gilt. Er wurde wohl um 850 geboren, ist von 895 bis 912 urkundlich belegt und starb vermutlich am 27. April 913. Unter dem Titel Tuotilo – Archäologie eines frühmittelalterlichen Künstlers ver- anstalteten der Lehrstuhl für Kunstgeschichte des Mittelalters der Universität Zürich und die Stiftsbibliothek St. Gallen vom 26. bis 29. August 2015 in St. Gallen eine internationale Tagung. Dabei wurden neue Zugänge zu Tuotilos Leben, seinem Umfeld und seinem Werk als Goldschmied, Elfen- beinschnitzer, Maler, Dichter und Komponist sowie zu den verschiedenen Facetten des Tuotilo-Bildes späterer Jahrhunderte vorgestellt und diskutiert. Die Inhalte werden in diesem Band zugänglich gemacht. Ich danke David Ganz für die Initiative, die sehr angenehme Zusammen- arbeit und die fachlich hochstehende inhaltliche­ Betreuung sowohl der Tagung als auch des vorliegenden Bandes. Herzlicher Dank gilt auch den Referenten, die ihre Beiträge für die Publikation teilweise wesentlich über- arbeitet haben. Für die Mithilfe in der Redaktion und Produktion danke ich Franziska Schnoor, Roland Stieger, Daniela Fetz und Gallus Niedermann und für die Unterstützung der Tagung und der Publikation dem Katholischen Konfessionsteil des Kantons St. Gallen, dem Kunsthistorischen Seminar der Universität Zürich, dem Schweizerischen Nationalfonds, Swisslos | Kanton St. Gallen, dem Historischen Verein des Kantons St. Gallen sowie dem Freun- deskreis der Stiftsbibliothek St. Gallen.

St. Gallen, im Oktober 2017 Cornel Dora, Stiftsbibliothekar

1 Beschreibung von Cod. Sang. 53 in: Anton von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahr- hunderts, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, 3), Bd. 1, S. 425–431, Nr. 108.

7 BILDTAFELN

Taf. I: Rückdeckel des Evangelium longum, um 900 (Elfenbein) und 10. Jahr- hundert (Goldschmiedearbeit). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

8 BILDTAFELN

Taf. II: Vorderdeckel des Evangelium longum, um 900 (Elfenbein und Gold- schmiedearbeit). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

9 BILDTAFELN

Taf. III: Vorderdeckel des Evangelium longum in Schrägansicht, um 900 (Elfenbein) und 10. Jahrhundert (Goldschmiedearbeit). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

10 BILDTAFELN

Taf. IV: Rückdeckel des Evangelium longum in Schrägansicht, um 900 (Elfenbein und Goldschmiedearbeit). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

11 BILDTAFELN

Taf. V: Tuotilo, Elfenbeintafel vom Rückdeckel, Evangelium longum, um 900. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

12 BILDTAFELN

Taf. VI: Tuotilo, Elfenbeintafel vom Vorderdeckel, Evangelium longum, um 900. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

13 BILDTAFELN

Taf. VII: Buchrücken des Evangelium longum, um 900 (Rückdeckel) und 10. Jahrhundert (Vorderdeckel). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

14 BILDTAFELN

Taf. VIII: Schliessenseite des Evangelium longum, um 900 (Rückdeckel) und 10. Jahrhundert (Vorderdeckel). St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 53

15 BILDTAFELN

Taf. IX: Perengar überträgt seinen Besitz dem Kloster St. Gallen, 907 in Uster ausgestellte Urkunde, unterschrieben mit «Ego itaque Tuotilo indignus presbyter ad vicem Engilberti prepositi scripsi et subscripsi», möglicherweise ein Autograph Tuotilos. St. Gallen, Stiftsarchiv, Trad. Urk. IV, 456r

16 BILDTAFELN

Taf. X: Eintrag Tuotilos im Nekrolog, Kapiteloffiziumsbuch, 955. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 915, p. 316a

17 BILDTAFELN

Taf. XI: Ekkehard IV., Casus Sancti Galli (älteste erhaltene Abschrift): Beginn von Kapitel 34 mit der Beschreibung Tuotilos, um 1200. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 615, p. 116

18 BILDTAFELN

Taf. XII: Der Beginn des Tropus «Hodie cantandus est», Versicularium, Hymnar, Tropar, Sequentiar, um 930. St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. Sang. 381, p. 199

19 TUOTILO: KLOSTERGEMEINSCHAFT UND KÜNSTLER

Tuotilo: Die Klostergemeinschaft und der Künstler

Rupert Schaab

Auf p. XVII des St. Galler Professbuches findet sich von alter Hand der Name eines Notker unterstrichen (Abb. 1). Es ist der einzige unterstrichene Name und es gibt unter den zwischen 803 und 933 eingetretenen 415 Mönchen allein fünf dieses Namens. Vor mehr als zwanzig Jahren gelang es mir, die Professfolge dieses Zeitabschnitts zu rekonstruieren und den überwiegenden Teil der Mönche anhand der weiteren Überlieferung zu identifizieren.1 Es hat mich überrascht, dass ausgerechnet die unterstrichene Eintragung diejenige des berühmten, als heilig geltenden St. Galler Mönches Notker Balbulus (MSG 331) war. Doch woher wusste man, als man wohl aus Verehrung diese Unterstreichung vornahm, dass gerade dieser Eintrag ihm zuzuordnen ist? Ekkehart IV., der unser Bild von St. Gallen prägt und verstellt, berichtet, Notker sei ein Mitschüler Tuotilos (MSG 385) und Ratperts (MSG 386) gewesen, deren Namen sich jedoch nicht auf den erhaltenen Blättern des Pro- fessbuchs befinden. Nach der Professfolge sind sie um 873 eingetreten,2 wo- hingegen Notker Balbulus bereits für 858 bezeugt ist.3 Und auch Iso (MSG

1 St. Gallen, Stiftsarchiv, Cist. c. 3 B. 56. Die Unterstreichung ist auch in der Faksimileausgabe erkennbar: Paul Krieg, Das Professbuch der Abtei St. Gallen, Augsburg 1931 (Codices liturgici, 2); vgl. Rupert Schaab, Mönch in St. Gallen. Zur inneren Geschichte eines frühmittelalterlichen Klosters, Ostfildern 2003 (Vorträge und Forschungen, Sonderband, 47). Im Folgenden wird auf die biographischen Nachweise zu den einzelnen Mönchen, die sich ebd., S. 39-99 finden, unter dem Kürzel MSG verwiesen. Die Anmerkungen Alfons Zettlers zu meinem Buchs beziehen sich im Wesentlichen auf die Anlage des Professbuchs um 803, vgl. ders., Otmars Gefährten. Studien zum St. Galler Gelübdebuch und zu den ältesten St. Galler Mönchslisten, in: Dieter Geuenich u.a. (Hg.), Libri vitae. Gebetsgedenken in der Gesellschaft des Frühen Mittelalters, Köln 2015, S. 175–201, hier: S. 184–185. Ich habe nicht beansprucht, eine ‹Edition› der ‹Leithandschrift› Professbuch vorzulegen, die kritisierten Rekonstruktionen und Synopsen erstellt er gleichfalls: ders., Biographisches zu Ekkeharts Casus sancti Galli. Zugleich ein Beitrag zur Rekonstruktion des St. Galler Professbuchs, in: Dorothea Walz (Hg.), Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart, Heidelberg 2002, S. 863–874, hier: S. 874–875. 2 Vgl. die gesicherten Zeitpunkte für die Eintritte Hiltiprets (MSG 376) und Engilgers (MSG 394) sowie die erste Bezeugung Ratperts 876, in: Urkundenbuch der Abtei Sanct Gallen, Bd. 1–3, hg. von Hermann Wartmann, St. Gallen 1863–1882, hier: Bd. 2, Nr. 596, S. 207–208. Im Folgenden wird auf das Urkundenbuch unter dem Kürzel W und der dortigen Urkundenzählung verwiesen. 3 W 465. Zur Datierung Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 268, 258 und 261.

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299), der nach Ekkehart IV. ihr Lehrer gewesen sei, war bereits 871 gestorben. 150 Jahre später, als Ekkeharts IV. seine Casus sancti Galli ver­fasste,4 waren die Kenntnisse, welche zu jener Unterstreichung führten, nicht mehr geläufig.5 Klostereintritt und Todestag bilden die Eckpunkte jedes Mönchslebens und entsprechend sind Professbuch und Nekrolog wichtig für die Mönchs- gemeinschaft. Schliesslich bildete nach dem 63. Kapitel der Benediktsregel die Reihenfolge der Profess das Kriterium für den alltäglichen Vorrang, für Autorität und Respekt. Es wurde nur in der Liturgie durch den Weihegrad übertroffen. Entsprechend ist die Urkunde aus dem Jahr 895 (W 698), mit der in der Gallusbasilika die Selbständigkeit des Klosters St. Alexander in Aadorf (TG) von St. Gallen feierlich bestätigt wurde,6 vom gesamten Konvent nach Weiherang und innerhalb des Weiherangs in der Folge des Kloster­ eintritts bezeugt. Im Gegensatz zur relativen Chronologie der Professfolge steht die zyk- lische Ordnung des Totengedenkens. Seit etwa 860 diente in St. Gallen ein systematisch geführtes Nekrolog zum täglichen Gebetsgedenken an die verstorbenen Mitbrüder und Wohltäter des Tages. In einer Abschrift von 955 ist es überliefert im Kapiteloffiziumsbuch, Codex 915 der Stiftsbiblio- thek.7 Jahr für Jahr wurde der Verstorbenen des jeweiligen Tages gedacht. Im Unterschied zum Professbuch, in welchem einzig der Eintrag des Mar- tyriums der Inklusin Wiborada am 1. Mai 926 mit Datum über Namen und Text der Professformel hinausgeht (p. XVI), finden sich im Nekrolog vielfach Weiheangaben, welche einzelne Mönche näher unterscheiden. Darüber hinaus sind im Grundbestand (vor 955) nur wenige Mönche weitergehend charakterisiert, die Kinder und Jugendlichen sowie die Lehrer und Gelehrten: Marcellus (MSG 300), der um 853 eingetretene Neffe des irischen Bischofs Marcus (MSG 291), Wichram (MSG 333), der um 858 ein­ getretene Verfasser eines kleinen Werkes zur Zeitrechnung sowie Hartmann (MSG 366), der um 865 eingetretene spätere Lehrer Bischof Ulrichs von 4 Ekkehart IV., Casus sancti Galli (St. Galler Klostergeschichten), hg. und übers. von Hans Haefele, 5. bibliographisch aktualisierte und mit einem Nachtrag erweiterte Aufl., Darmstadt 2013 (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters, 10); zur Datierung: Einleitung, S. 6. 5 Für ein ‹noch› oder ein ‹wieder› habe ich keine Anhaltspunkte. 6 Michael Borgolte, Gedenkstiftungen in St. Galler Urkunden, in: Karl Schmid u.a. (Hg.), Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert liturgischen Gedenkens im Mittelalter, München 1984 (Münstersche Mittelalter- Schriften, 48), S. 578–602, hier: S. 124. 7 Johanne Authenrieth, Der Codex Sangallensis 915. Ein Beitrag zur Erforschung der Kapitelsoffiziums­ bücher, in: Kaspar Elm u.a. (Hg.), Landesgeschichte und Geistesgeschichte, Stuttgart 1977 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission Baden-Württemberg, Reihe B, 92), S. 42–55.

110 Tuotilo: Klostergemeinschaft und Künstler

Augsburgs (923–973) und Abt.8 Auch die im Kapiteloffiziumsbuch ent­ haltenen Annalen gehen neben dem Todessturz des Subdiakons Wolo (MSG 352) im Jahr 876 nur auf die Todesjahre der Lehrer Iso und Notker ein. Nicht mehr von der Anlagehand – also erst nach 955 – wird auch an künstlerische Leistungen erinnert: an die Sequenzen Notkers und die Bildwerke Tuotilos.9 Eine Rekonstruktion der personellen Zusammensetzung des Kosters St. Gallen im 9. und beginnenden 10. Jahrhundert ist aufgrund der unge- wöhnlich reichen urkundlichen Überlieferung möglich, mit Hilfe derer sich auch die relative Chronologie des Professbuchs mit Erstbelegen zeitlich bestimmen lässt. Die gestörte Reihenfolge und die fehlenden Blätter lassen sich anhand der kleineren Listen in den Verbrüderungsbüchern von Pfä- fers und der Reichenau sowie der Konventsliste der Urkunde für Aadorf von 895 (W 695) ergänzen. Insgesamt lässt sich die personelle Zusammen- setzung des Konvents namentlich nahezu vollständig darstellen.10 Ausgangspunkt bei den Zuordnungen bilden jeweils die im Professbuch und Listenmaterial nur einmal vorkommenden Namen. Hieran schliesst sich die Bearbeitung der Mönche in Abhängigkeit von der Anzahl gleichnamiger Mönche und ihres Abstands in der Professfolge an, um die sicheren Punkte einzutragen, welche auch für zunächst Unsicheres dann manche Eingrenzung und Unterscheidung erlauben. Wichtig für die Identifizierung der Mönche ist neben Weiheangaben und den kanonischen Altersvorschriften für die höheren Weihen die Unterscheidung gleichnamiger Konventualen anhand ihrer Schrift. Dabei zeigt sich, dass es sich bei den meisten Urkunden der Zeit Tuotilos um Ausfertigungen des genannten Schreibers handelt11.

8 Andere Angaben betreffen zumeist Schüler und Auswärtige: 19.1. Cunzo diaconus Mediolanensis; 20.1. Reginfrid de Wizunburg; 30.1. Sigibertus infans; 31.1. Eusebius reclusus; 4.2. Cotabert adolescens; 25.2. Meroldus de Recia Curiensi; 23.3. Wolfdrige presbyter et monachus de Augia; 17.4. Hartwic monachus atque diaconus de Radespona; 18.4. Hitto monachus de Radespona; 20.6. Alawic infans; 28.6. Erinbert infans; 2.7. Clemens Scottus; 6.8. Wettinus adolescens; 6.9. Lantfrid infans; 30.9. Moengal cognomento Marcellus vir doctissimus et optimus; 13.10. Wichram eruditissimus et benignissimus doctor; 27.11. Manno chorepiscopus et monachus; 11.12. Ruadolf iuvenis. 9 Der Eintrag für Notker Balbulus am 6.4. wurde insgesamt überarbeitet. Ob die Erwähnung Notkers (6.4.) als magister auf den ursprünglichen Eintrag zurückgeht, kann deshalb nicht geklärt werden. Das qui sequentias composuit bildet einen Nachtrag zur Überarbeitung. Ebenso könnte die Nennung Ratperts am 25.10. als magister bereits der Anlagehand vorgelegen haben, doch wurde dieser Teil später ersetzt. 27.4. Tuotilo [Nachtrag:] Doctor iste nobilis celatorque fuit. 10 Im Folgenden: Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 13–99. Die Lücke betrifft den Verlust eines Blattes, das aber aus anderen Listen weitgehend rekonstruiert werden kann. Nur etwa elf Mönche, welche zwischen 850 und 869 im Kloster lebten, sind nicht bezeugt. 11 Die Belege sind in der Übersicht (ebd., S. 58–99) unterstrichen.

111 Rupert Schaab

Das dritte Merkmal zur Unterscheidung sind die in den Zeugenlisten genannten Klosterämter. Sie ermöglichen analog zur Datierung anhand der Amtszeiten von Königen, Herzögen, Grafen, Vögten, Bischöfen und Äbten die Einordnung zahlreicher nicht, widersprüchlich oder unsicher datierter Urkunden sowie die Unterscheidung gleichnamiger Amtsträ- ger.12 Schon zu Beginn der Zuordnung erwies sich dabei die Schilderung Ekkeharts IV. als irrig, in St. Gallen hätten die Ämter more Romano jährlich gewechselt.13 Seine Apostrophierung Notkers, Ratperts und Tuotilos als nostrae reipublicae senatores14 entspringt derselben antikisierenden Idealisie- rung des Konvents. Untersucht man die Reihenfolge der Amtsträger in den Zeugenlisten, sowie das Alter und die Ämterfolge in den einzelnen Biographien,15 so erweisen sich die Ämter des Cellerars, Kämmerers und Aussenpropsts als Eingangs- und diejenigen des Sakristans, Hospitiars und Dekans als Altersämter. Dabei wurden in den ersten Monaten eines neuen Abbatiats (mit Ausnahme des Amtsantritts Hartmuts 872) die meisten Äm- ter neu besetzt, um die Herrschaft des Abtes zu sichern. Neben letzten Nennungen in Urkunden und datierbaren Listenbelegen spielen für die Bestimmung des Lebensendes einiger Mönche die Auffüh- rungen im Nekrolog eine Rolle.16 In ihm wurden zu den einzelnen Tagen die Mönche in der Reihenfolge ihres Todes verzeichnet. Für jeden Mönch gewinnen wir mit der Professfolge genauere Angaben zu seinem Kloster- eintritt, in vielen Fällen jedoch noch wesentlich mehr. Auf der Vielfalt der Angaben aufbauend, welche einzelnen Personen zugeordnet werden kön- nen, lassen sich nähere Aussagen zum Konvent treffen. Zunächst lässt sich feststellen, dass die Eintrittsfrequenz deutlich schwankte und Auswirkun- gen auf die Grösse des Konvents hatte. Mit Bestimmung der Eintrittszeit kennen wir aus drei datierbaren Konventslisten auch die Zusammenset- zung des Konvents nach dem Professalter. Die daraus als mathematische Funktion beschreibbare Mortalität lässt sich verwenden, um die Grössen- entwicklung und die wechselnde Zusammensetzung des Konvents hin- sichtlich des Professalters ermitteln. Demnach gehörte St. Gallen zwischen 803 und 933 mit durchschnittlich 112 Mönchen zu den grossen Klöstern des Reiches. Zwischen 860 und 880 fiel die Konventsgrösse auf 90. Diesen

12 Ebd., S. 257–274. 13 Ekkehart IV., Casus (wie Anm. 4), S. 246 (c. 127). 14 Ebd., S. 80 (c. 35). 15 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 193–233. 16 Vgl. ebd., S. 25–33, 54–56 und 242–256.

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Rückgang versuchte man durch eine kurzfristige Aufnahmewelle um 885 auf 120 Mönche wieder auszugleichen, doch fiel danach die Eintrittsfre- quenz so stark, dass die Gemeinschaft um 933, dem Ende meiner Untersu- chung, auf etwa 47 Mönche zurückging.17 Der Rückgang ab 870 erfolgte während der kulturellen Blütezeit des Klosters, in welcher Tuotilo lebte. In ihr bildet das Abbatiat des vom Kon- vent gewählten Abts Bernhard (883–890, MSG 319) eine Ausnahme, da dieser sich der Opposition gegen König Arnulf anschloss und am Ende abgesetzt wurde. In seine Amtszeit fällt die Eintrittswelle und erreichte das Verhältnis zwischen Neueintritten und erhaltenen Schenkungsurkunden den ungünstigsten Wert. Möglicherwiese hat eine daraus entstandene wirtschaftliche Schieflage zu seiner Absetzung beigetragen.18 Die allermeisten Mönche unseres Zeitraums erreichten während ihres Lebens höhere Weihen, wurden Subdiakon, Diakon oder Priester.19 Diese Klerikalisierung des Mönchtums liegt insbesondere in der Vermehrung der Altäre und der Einführung der Privatmessen begründet, doch spielte dabei sicherlich auch die Zuschreibung einer grösseren Gnadennähe der Geweih- ten eine Rolle. Als wesentlich für die Vermittlung der Gnaden wurde die Reinheit des Klerikers angesehen. Zur Bewahrung dieser Reinheit diente die wohl ziemlich konsequent realisierte custodia über den Nachwuchs.20 In diesem Zusammenhang geraten die Mönche in den Blick, welche bereits als Kinder dem Kloster übergeben wurden.21 Vielfach besteht die Meinung, die oblatio habe sich zum vorherrschenden Zugang zum Kloster- leben entwickelt, auch wegen der besseren Möglichkeiten zum Erlernen des Lateins. Hierzu tragen die Schilderungen Ekkehart IV. bei, doch finden sich während des 9. und beginnen 10. Jahrhunderts zahlreiche erst spät eingetretenen Mönche, die bereits die höheren Weihen erhalten hatten. Die Unterscheidung zwischen ungebildeten, analphabeten Konversen, wel- che nur niedrigere Dienste verrichteten einerseits und seit Kindesbeinen im Kloster lebenden, hochgebildeten Priestermönchen andererseits ent-

17 Ebd., S. 135–154. 18 Ebd., S. 139–140. 19 Ebd., S. 119–122. 20 Patricia A Quinn, Better than the Sons of King. Boys and Monks in the Early , New York 1989 (Studies in History and Culture, 2); Mayke de Jong, In Samuel’s Image. Child Oblation in the Early Medieval West, Leiden 1996 (Brill’s Studies in Intellectual History, 12). 21 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 122–126.

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sprach vielleicht der Zeit Ekkeharts IV., aber nicht dem 9. Jahrhundert.22 Sein Ratpert war in Wirklichkeit noch 25 Jahre nach seinem Eintritt nur Diakon, wohingegen Sindolf (MSG 374), der angeblich ungebildete Gegen- spieler seiner inseparabiles (Notker, Ratpert und Tuotilo), der nach Ekke- hart IV. kaum Latein beherrschte und aus Bosheit gar eine griechische Handschrift zerschnitten habe,23 in der Urkunde von 895 für Aadorf (W 697) als Priestermönch bezeugt ist, während einige seiner Mitprofessen noch unter den Diakonen erscheinen. Bei Ekkehart bekleidet Sindolf folg- lich die Ämter eines Refektorars und eines Werkdekans, wie sie im 9. Jahr- hundert nicht bezeugt sind, aber einem Laienbruder der Zeit Ekkeharts IV. angemessen waren.24 Durchschnittlich verweilten die Mönche 27,5 Jahre im Kloster St. Gallen. Vergleicht man die Aufenthaltsdauer im Konvent, wie er sich zu den Zeit- punkten 868/869 und 895 darstellt, mit Daten, welche aus Gräberfeldern und Steuerlisten gewonnen wurden, so lassen sich rechnerisch insbesonde- re Professen jüngeren und fortgeschrittenen Alters erkennen. Dabei sank der Anteil der erst im hohen Alter Eingetretenen zwischen den 868/69 und 895 im Konvent Lebenden von 40% auf 5%. Das Kloster diente im letz- ten Drittel des 9. Jahrhunderts demnach kaum noch als Instrument der Alterssicherung. Aber auch der Anteil von unter 14jährigen Professen (Ob- laten) war damals von circa 53% auf circa 28% zurückgegangen. Demgegen- über lässt sich ein Zuwachs an jungen Professen (14–27 Jahre) von circa 6% auf 58% beobachten.25 Die Benediktsregel sieht vor, dass die Übergabe des Kindes an das Klos- ter direkt zur lebenslangen Zugehörigkeit zum Konvent führt. Soweit für Oblationen in St. Gallen jedoch Schenkungsurkunden erhalten sind, geht aus diesen eindeutig hervor, dass die Oblation kein endgültiger Akt war, sondern der Eintritt in das Kloster mit der Mündigkeit einer erneuten Bestätigung bedurfte, andernfalls fiel auch die Schenkung zurück. In der Tat finden sich im Professbuch Eintragungen, deren Bestätigungskreuz eindeutig erst nach weiteren Eintragungen ausgeführt wurde. Als Zeit- punkt des Klostereintritts galt die Oblation, hinsichtlich der Eignung fürs Klosterleben fiel die Entscheidung aber erst mit Erreichen der Mündigkeit.

22 Ebd., S. 117–119. 23 Ekkehart IV., Casus (wie Anm. 4), S. 82 (c. 36) und 102–104 (c. 46). 24 Steffen Patzold, Konflikte im Kloster. Studien zu Auseinandersetzungen in monastischen Gemeinschaften des ottonisch-salischen Reichs, Husum 2001 (Historische Studien, 463), S. 194–196. 25 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 154–156.

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Die Oblation ist von der Intention dauerhaft, aber es wird in den Urkun- den angenommen, dass ein Mönchsleben auch scheitern kann.26 Vergleicht man das Namensgut der St. Galler Mönche mit demjenigen der Unfreien, Vögte und Grafen, so wird deutlich, dass es am stärksten dem des Lokaladels südlich des Bodensees ähnelt. Dies entspricht dem Schwer- punkt der Güterschenkungen und der Ausbildung der Grundherrschaft. Wenn Ekkehart IV. vielfach auf die Zugehörigkeit seiner Protagonisten zu einzelnen Geschlechtern eingeht, so liegt darin nicht nur Klostertradition, sondern auch Selbstverständnis und Überlieferung der einzelnen Sippen.27 Die starke Einbindung in den lokalen Adel bedingte Zugeständnisse für dessen Angehörige im Konvent: Es finden sich Privatbesitz, Sonderunter- bringung und sogar Diener für einzelne Mönche. Und zumindest im 10. und 11. Jahrhundert spielten bei Auseinandersetzungen im Konvent die Angehörigen der Protagonisten eine deutliche Rolle.28 Weder hinsichtlich der Oblaten noch hinsichtlich der Mönche trug die Herrschaft des Klosters über seine Mönche im 9. und beginnenden 10. Jahr- hundert also totalitären Charakter.29 Die ‹kultische Reinheit› der Liturgen30 als auch das Gebot, sich zu zweit in die Welt zu begeben (Mk 6,7), welches im Mönchtum aufgegriffen wird,31 mag einen für unsere Vorstellungen von Privatheit schwer nachvollziehbar engen Rahmen geschaffen haben. Im Kloster wurde den jungen Mönchen ein erfahrener Mönch zugeord- net, der sie betreute und beaufsichtigte.32 Dieses Verhältnis wurde vielfach mit Schulbegriffen bezeichnet, doch hat es darüber hinaus Unterricht durch dazu bestimmte Lehrer gegeben. Gleichfalls unterrichtet wurden Kinder, welche nicht für die Mönchsgemeinschaft bestimmt waren. Hier- unter finden sich junge Adlige, für die eine geistliche Karriere angestrebt wurde. Fünf spätere Bischöfe und drei weitere Mitglieder der Hofkapelle lassen sich zwischen 850 und 950 namentlich feststellen.33 Inwiefern die

26 Ebd., S. 101–133. 27 Ebd., S. 128–133. 28 Patzold, Konflikte (wie Anm. 24), S. 306–313. 29 Wojtek Jezierski, Total St. Gall. Medieval Monastery as a Disciplinary Institution, Stockholm 2010 (Stockholm Studies in History, 92). 30 Arnold Angenendt, Mit reinen Händen. Das Motiv der kultischen Reinheit in der abendländischen Askese, in: ders., Liturgie im Mittelalter, Münster 2004, S. 245–268. 31 Quellen und Texte zur Benediktusregel, hg. von Michaela Puzicha, St. Ottilien, 2007, S. 553–555. 32 Mayke de Jong, Growing up in a Carolingian Monastery. Magister Hildemar and his Oblates, in: Journal of Medieval History 9 (1983), S. 99–128. 33 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 157–75.

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Oblaten von diesen angehenden Klerikern getrennt waren, wissen wir nicht. Nach dem St. Galler Klosterplan (Cod. Sang. 1092) lebten die Oblaten gemeinsam mit den angehenden Konversen (pulsantes) in einer klosterähn- lichen Anlage östlich der Basilika.34 Ob beide mit den angehenden Kleri- kern diese ‹äussere Schule› nördlich der Basilika besuchten oder aus- schliesslich separat unterrichtet wurden, wird nicht berichtet. Die Schule der angehenden Weltgeistlichen war räumlich und organisatorisch dem Hospitiar zugeordnet.35 Als Hospitiare begegnen uns unter Abtbischof Salomo III. zwischen 892 und 912 das ‹Dreigestirn› Ekkeharts IV.: Notker, Ratpert und Tuotilo36. Die ‹äussere Schule› bestand mehr als zweihundert Jahre und prägte we- sentlich das Profil des Klosters.37 Werden im Nekrolog des Kapiteloffiziums- buchs abgesehen vom Abt die Mönche nur mit ihrem Weihegrad genannt, so finden sich bereits von der Anlagehand um 955 zwei Mönche als Lehrer oder Gelehrte bezeichnet.38 Zum Unterrichtsstoff gehörten Dichtkunst und liturgischer Gesang.39 Neben Notkers Liber ymnorum sind in den Handschrif- ten viele Dichtungen einzelnen Mönchen zugeschrieben, doch verschafften die Zuschreibungen schon Ekkehart IV. nicht immer Klarheit.40 Dass Notker Sequenzen schuf und Tuotilo Elfenbein‑ und Metallarbeiten fertigte, wurde erst nach 955 zu ihrem Todestag schriftlich festgehalten (Taf. X).41 In dieser erst viele Jahrzehnte nach seinem Tod dokumentierten Tradition wird Tuotilo auch als doctus bezeichnet. Ob sich dies nur auf den Text der ihm zugeschriebenen Tropen und Bildwerke bezieht, wissen wir nicht. Abgese- hen von den Berichten Ekkeharts IV. über die «Künstler-Mönche»42 wissen

34 Hoc claustro oblati pulsantibus adsociantur. Vgl. Walter Horn, A Catalogue of the Explanatory Titles of the Plan of St. Gall, in: ders./Ernest Born, The Plan of St. Gall, A Study of the Architecture and Economy of, and Life in a Paradigmatic Carolinian Monastery, 3 Bde., Berkeley 1979, Bd. 3, S. 1–88, hier: S. 54–56. 35 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 159. 36 W 686, 693, 697, 705, 712, 715, 723, 736, 746, 738, 749, 754, 760, 761, 763, 768 und 771. Vgl. Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 259. 37 Ebd., S. 174–175. 38 30.9. Moengal cognomento Marcellus vir doctissimus et optimus; 13.10. Wichram eruditissimus et benignissimus doctor. 39 Peter Stotz, Ardua spes mundi. Studien zur lateinischen Dichtung aus St. Gallen, Bern 1972 (Geist und Werk der Zeiten, 32). 40 Ekkehart IV., Casus (wie Anm. 4), S. 104 (c. 46). 41 6.4. Obitus […] Notkeri magistri [qui sequentias composuit] (Nachtrag auf Rasur, [interlinear] ); 27.4. Obitus Tuotilonis monachi atque presbyteri [Doctor iste nobilis celatorque fuit] [Nachtrag]. 42 Johannes Duft, St. Galler Künstler-Mönche im frühen Mittelalter, in: ders. (Hg.), Die Abtei St. Gallen, Bd. 2, Sigmaringen 1991, S. 221–237.

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wir nur aus den Gesta Karoli noch von einem St. Galler Mönch, der sich auf das Giessen von Glocken verstand.43 Im St. Gallen des 9. Jahrhunderts war ‹Künstler› keine monastische Kategorie. Schreiben war eine asketische Übung, welche das Versäumen des Stundengebets rechtfertigte.44 Von mehr als einem Viertel der Mönche sind Urkunden erhalten.45 Da für viele nur ein oder zwei Stücke überliefert sind, dürfte der Anteil in Wirklichkeit deutlich höher gelegen haben. Das Urkundsgeschäft wird zu- meist von einem Schreiber unter Aufsicht eines Mitbruders durchgeführt, welcher als Aussenpropst die Interessen des Klosters wahrnahm. Vermutlich waren sie in klostereigenen Dependancen längere Zeit vor Ort. Während die Schreiber durchschnittlich sechs Jahre oder mehr dem Konvent angehörten, zählten die Aussenpröpste bereits mehr als 25 Jahre zur Gemeinschaft.46 Die St. Galler Handschriften zwischen circa 850 und Ende des 10. Jahr- hunderts sind aufgrund ihres hohen paläographischen Niveaus und ihrer Initialen berühmt.47 Wie viele Mönche an ihrer Herstellung beteiligt waren, ist nicht bekannt. Entgegen weit verbreiteter Ansichten lassen sich auch Mönche fortgeschrittenen Alters an der Herstellung von Handschriften be- obachten.48 Sollte die Angabe Ekkeharts IV. zutreffen, Sintram (MSG 393) habe das nach Auskunft der Dendrochronologie um 900 entstandene Evan- gelium longum (Cod. Sang. 53) kalligraphiert, wäre er zu diesem Zeitpunkt bereits 25 Jahre im Kloster gewesen.49 Die ihm durch Anton von Euw zu­ geschriebenen weiteren Handschriften würden eine Schreibtätigkeit noch weitere zwei Jahrzehnte nahelegen.50 Während die liturgischen Prachthand- schriften oft von einer Hand ausgeführt wurden, teilten sich die Mönche die Abschrift grösserer Werke der Kirchenväter vielfach lagenweise.51

43 Tanco (MSG 32). Vgl. Notker Balbulus, Gesta Karoli, hg. von Hans F. Haefele, Berlin 1959 (Monumenta Germaniae historica. Scriptores rerum Germanicarum, NS 12), S. 39 (l. I, c. 29). 44 Heinrich Fichtenau, Mensch und Schrift im Mittelalter, Wien 1946 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, 5), S. 154–156; Jean Leclercq, Wissenschaft und Gottverlangen, Düsseldorf 1963, S. 140–141. 45 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 177–179. 46 Ebd., S. 202. 47 Vgl. Überblick und Katalog bei: Anton von Euw, Die St. Galler Buchkunst vom 8. bis zum Ende des 11. Jahrhunderts, St. Gallen 2008 (Monasterium Sancti Galli, 3). 48 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 180–184. 49 Ekkehart IV., Casus (wie Anm. 4), S. 58 (c. 22); Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 182. 50 Anton von Euw, Wer war Sintram? Zu Ekkehart IV. Casus sancti Galli, c. 22, in: Walz (Hg.), Scripturus vitam (wie Anm. 1), S. 423–434; von Euw, Buchkunst (wie Anm. 47), S. 169–171. 51 Albert Bruckner, Scriptoria medii aevi Helvetica, Bd. 3, Genf 1938, S. 26.

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Die enorme Produktivität des Skriptoriums in den zweiundvierzig Jahren unter den Äbten Grimald (841–872)52 und Hartmut (872–883, MSG 235) wird durch die Verzeichnisse ihrer Privatbibliotheken und des jeweiligen Zuwachses der Klosterbibliothek eindrucksvoll dokumen- tiert.53 Demnach vermehrte sie sich um 158 Bände, wobei insbesondere unter den Privatbibliotheken auch Bände anderer Herkunft sind.54 Geht man davon aus, dass etwa zwei Drittel der Bände aus dem St. Galler Skrip- torium stammen, so wären pro Jahr zwei bis drei Handschriften entstan- den. Während dieser Jahrzehnte lebten etwa 240 Mönche im Konvent, wobei die Zahl von 120 beim Amtsantritt Grimalds auf 90 am Ende des Abbatiats Hartmuts zurückging.55 Dass an einer Handschrift mehr als zehn Mönche beteiligt waren,56 dürfte die Ausnahme gewesen sein. Lässt sich ein Viertel der Mönche als Schreiber von Urkunden nachweisen, so haben kaum mehr im Skriptorium gearbeitet.57 Weil die Vermehrung der Biblio- thek unter den Äbten Grimald und Hartmut so aussergewöhnlich war, wurden die beiden Zuwachsverzeichnisse und der Katalog der Privatbib- liothek Hartmuts von Ratpert in seine Casus sancti Galli aufgenommen.58 Neben der planvollen Vervollständigung der Bibliothek war die eigent- liche Leistung die Arbeit am Bibeltext,59 wie sie wahrscheinlich durch Abt Grimald in St. Gallen initiiert wurde. Grimald selbst war angeblich Schüler Alkuins (796–804) und hatte nicht nur dessen Bibeltext, sondern auch die Ausgabe Theodulfs von Orleans (798–821) nach St. Gallen gebracht. Dort erarbeitete man unter Hinzuziehung älterer Überlieferungen einen eige-

52 Dieter Geuenich, Beobachtungen zu Grimald von St. Gallen, Erzkappelan und Oberkanzler Ludwigs des Deutschen, in: Michael Borgolte (Hg.), Litterae medii aevi, Sigmaringen 1988, S. 55–68; Johannes Duft, Grosse Äbte – blühende Abtei. Die Äbte Gozbert, Grimald, Hartmut, Salomo (816–929), in: ders. (Hg.), Abtei (wie Anm. 42), S. 211–220. 53 Hannes Steiner, Buchproduktion und Bibliothekszuwachs im Kloster St. Gallen unter den Äbten Grimald und Hartmut, in: Wilfried Hartmann (Hg.), Ludwig der Deutsche und seine Zeit, Darmstadt 2004, S. 161–183. 54 Bernhard Bischoff, Bücher am Hof Ludwigs des Deutschen und die Privatbibliothek des Kanzlers Grimalt, in: ders., Mittelalterliche Studien, Bd. 3, München 1981, S. 187–323. 55 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 79–91 und 147–150. 56 Vorstellungen von hunderten an der Arbeit des Skriptoriums beteiligten Mönchen, wie sie Albert Bruckner äusserte, erscheinen so ziemlich unrealistisch; ders., Scriptoria (wie Anm. 51), Bd. 3, S. 23. 57 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 177–179. 58 Ratpert, Casus sancti Galli (St. Galler Klostergeschichten), hg. und übers. von Hannes Steiner, Hannover 2002 (Monumenta Germaniae historica. Scriptores rerum Germanicarum, 75), S. 204–214 (c. 26), 220–224 (c. 29) und 226–228 (c. 30). 59 Rupert Schaab, Bibeltext und Schriftstudium in St. Gallen, in: Peter Ochsenbein (Hg.), Das Kloster St. Gallen im Mittelalter, Stuttgart 1999, S. 119–136 und 248–253.

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nen Text und legte ihn in mehrbändigen Bibeln nieder. Als um 850 die Iren Marcus (MSG 300) und Moengal (MSG 335) in den Konvent kamen, bemüh- te man sich um das Verständnis des griechischen Bibeltextes und schuf In- terlinearbilinguen des Psalters, der Evangelien und der Paulusbriefe. Für diese drei Teile der heiligen Schrift und die Prophetenbücher erstellte man darüber hinaus kommentierte Ausgaben, in welchen der Haupttext beid- seits mit Kirchenväterzitaten erläutert wird. Im Unterschied zur diesen Bi- belausgaben wirkt die Herstellung der liturgischen Bücher uneinheitlich. Allein die beiden Spitzenwerke, der Folchart-Psalter (Cod. Sang. 23) und der Goldene Psalter (Cod. Sang. 22) verfolgen völlig unterschiedliche Konzepte. Der Goldene Psalter ist Ausdruck der erreichten Nähe zum karolingi- schen Königtum.60 Grundlage hierfür war die Tätigkeit Grimalds am Hof. Schon vor seiner Ernennung 848 zum Erzkaplan Ludwig des Deutschen hatte er dessen Ambitionen unterstützt und bis 870 blieb er die massgebli- che Kraft am Hof. Seit 849 wurde er in St. Gallen von Dekan Hartmut ver- treten. Für St. Gallen erwirkte Grimald 854 das Privileg der freien Abtwahl und errichtete die zweite grosse Kirche zur Ehren des Klostergründer Ot- mars. Er liess das Gallusmünster, die Otmarskirche und die neuerrichte Abtspfalz von Reichenauer Malern ausschmücken. Höhepunkt der Königs- nähe war der Besuch Karls III. im Jahr 883. Aus diesem Anlass entstanden neben Empfangsgedichten drei wichtige Werke Notkers: der Liber Ymno- rum, die Gesta Karoli und das Prosimetrum de Vita sancti Galli. Zu jenem Zeit- punkt enormer Kreativität befand sich der Konvent zahlenmässig im Niedergang, der Anteil der weniger als 19 Jahre im Koster Verweilenden war auf 28% gesunken.61 Tuotilo und Ratpert waren seit zehn, Notker be- reits seit 26 Jahren Mönch in St. Gallen. Wenn Ratpert in seinen Casus sancti Galli die beiden Zuwachsverzeich- nisse Grimalds und Hartmuts sowie den Katalog der Privatbibliothek Hartmuts anführt,62 so unterstreicht dies den enormen Fortschritt, den St. Gallen in jenen Jahren hinsichtlich seiner wissenschaftlichen Anstren- gungen und Bibliothek gemacht hatte. Ihre Würdigung nimmt verglichen mit den Berichten zu den baulichen Tätigkeiten viel mehr Raum ein. Die programmatische Rolle des systematisch aufgebauten Bücherschatzes wird

60 Rupert Schaab, Aus der Hofschule Karls des Kahlen nach St. Gallen. Zur Entstehungsgeschichte des Psalterium aureum, in: Peter Ochsenbein u.a. (Hg.), Codices Sangallenses, Sigmaringen 1995, S. 57–80. Zuletzt: von Euw, Buchkunst (wie Anm. 47), S. 400–408. 61 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 153. 62 Wie Anm. 58.

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auch durch die um 885 entstandene Notatio de viris illustribus des Notker Balbulus für den damals abwesenden späteren Abtbischof Salomo III. ersichtlich.63 Geht man davon aus, dass Ratperts Casus erst in den Anfangsjahren Salomos III., das heisst bald nach 890 entstanden sind, wofür Hannes Steiner gewichtige Argumente vorlegte,64 so wird neben der Kritik an der erneuten Abhängigkeit des Klosters von Konstanz auch eine Kritik am Niedergang des Skriptoriums während des Abbatiats seines Vorgängers Bernhard (883–890, MSG 319) deutlich. Wenn Notker in der Handschrift Nr. 672 der St. Galler Stiftsbibliothek auf p. 64 anmerkt, alleine für die unvollständige Fertigstellung der zweiten Hälfte (p. 65–136) habe man fünf Jahre benötigt,65 so mag dies für die eingetretene Stagnation des Skriptoriums stehen. Abt Bernhard war zwar aus freier Wahl hervorgegangen und wollte an die alte Grösse des Klosters anknüpfen, indem er die Anzahl der Mönche auf 120 erhöhte. Dieser Eintrittswelle stand jedoch kein entsprechender Zuwachs an Schenkungen gegenüber.66 Ohne solche konnten der Aufwand für den vergrösserten Baubestand und die gewachsenen Memorialleistun- gen des Klosters schlecht erbracht werden. Als Bernhard sich 890 der Rebel- lion gegen König Arnulf anschloss, kam es nach deren Erledigung zu seiner Absetzung. Nennenswerte Impulse scheinen von seinem Abbatiat nicht ausgegangen zu sein. Wie unter Abt Grimald geriet St. Gallen auch unter Salomo III. (890– 919)67 nochmals in unmittelbare Nähe zum königlichen Hof. Salomo war 63 Notatio de viris illustribus, hg. von Erwin Raumer, in: Mittellateinisches Jahrbuch 21 (1986), S. 35–39; Bernice M. Kaczynski, Reading the Church Fathers. ’s Notatio de illustribus viris, in: The Journal of Medieval Latin 17 (2007), S. 401–412. 64 Hannes Steiner, Einleitung, in: Ratpert, Casus (wie Anm. 58), S. 1–122, hier: S. 19–24. 65 Beat von Scarpatetti, in: Katalog der datierten Handschriften in der Schweiz in lateinischer Abschrift vom Anfang des Mittelalters bis 1550, Bd. 3, Zürich 1991, Textband, S. 53–54 (Nr. 146). Bemerkenswerterweise wurde der überaus seltene Text in St. Gallen auch noch verkürzt, vgl. die Marginalie p. 112: priora sunt de initiis concilii constantinopolitani, sequentia vero de ultimis que et necessariora videbantur. Vgl. Rainer Jakobi, Die handschriftliche Überlieferung der Akten des 5. Ökumenischen Konzils zu Konstantinopel, in: Revue d’histoire des textes 31 (2001), S. 299–303. 66 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 139 und 149–150. 67 Helmut Maurer, Konstanz als ottonischer Bischofssitz, Göttingen 1973 (Veröffentlichungen des Max-Planck- Instituts für Geschichte, 39), S. 22–24; Otto Paul Clavadetscher, Wolfinus Cozperti palatini comitis filius, in: ders. (Hg.), Florilegium Sangallense, Sigmaringen 1980, S. 149–163; Reinhard Düchting, Wieder­ge­fundene Verse Salomos III., in: Walter Berschin (Hg.), Lateinische Dichtungen des 10. und 11. Jahrhunderts, Heidel­berg 1981, S. 118–128; Michael Borgolte, Salomo III. und St. Mangen, in: Helmut Maurer (Hg.), Churräthisches

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mit seinem Bruder Waldo von Freising (883–906) bereits in St. Gallen unter Notker Balbulus zur Schule gegangen. Vor seinem Abbatiat wirkte er in der Kanzlei König Arnulfs. Seit 909 war er als Kanzler Ludwig des Kinds und Konrads I. an führender Stelle in der Reichspolitik aktiv. Er brachte Reliqui- en des heiligen Magnus aus Füssen nach St. Gallen und gründete dort 898 das gleichnamige Chorherrenstift. Unter ihm kamen zahlreiche Güter und die Klöster Faurndau und Pfäfers in den Besitz St. Gallens. Wie 883 unter Hartmut wurde 911 ein mehrtägiger Königsbesuch prachtvoll begangen. Auch das Skriptorium konnte wieder an die Leistungen des Klosters unter Grimald und Hartmut anschliessen. War auch der Aufbau der Biblio- thek im Wesentlichen abgeschlossen, so legte er neue Schwerpunkte mit der Erarbeitung neuer Ausgaben: Das Psalterium quadripartitum, das Sacramenta- rium triplex, das Martyrologium Notkers und wahrscheinlich auch eine Aus­ gabe des Liber glossarum, das sogenannte Glossarium Salomonis68 gehen auf sein Abbatiat zurück. Hatte schon Hartmut ein mit Edelsteinen, Gold und Silber verziertes Evangeliar und ein mit Elfenbein geschmücktes Lektionar für das Galluskloster fertigen lassen,69 so entstehen unter Salomo III. das Evangelium longum, zu welchem nach Ekkehart IV. Tuotilo die Elfenbeine geschaffen hat, sowie weitere liturgische und hagiographische Prachthand- schriften.70 Das Evangelium longum71 ist bekanntlich nicht signiert, doch trägt der Einband den Vermerk, dass eine Amata zwölf Denare zu seiner Herstellung

und sanktgallisches Mittelalter, Sigmaringen 1984, S. 195–223; Duft, Äbte (wie Anm. 52), S. 68–72. 68 Rolf Schmidt, Reichenau und St. Gallen. Ihre literarische Überlieferung zur Zeit des Klosterhumanismus in St. Ulrich und Afra zu Augsburg um 1500, Sigmaringen 1985 (Vorträge und Forschungen, Sonderband 33), S. 89–92; Franck Cinato, Le ‹Goth Ansileubus›, les Glossae Salomonis et les glossaires wisigothiques. Mise au point sur les attributions et les sources glossographiques du Liber glossarum, in: ders. /Anne Grondeux (Hg.), L’activité lexicographique dans le haut Moyen Âge latine. Rencontre autour du Liber Glossarum (suite) (= Dossiers d’HEL 8 [2015] ) S. 37–56, . 69 Wahrscheinlich das Lindauer Evangeliar, New York, Pierpont Morgan Library, Ms. 1 und das Epistolar Morgan MS. M. 91; vgl. Ratpert, Casus (wie Anm. 58), S. 220–221 (c. 9), d. h. Zuwachsverzeichnis Abt Hartmuts (872–883): Lectiones evangelii, quem librum auro et argento ac lapidibus preciosis ornavit. Lectionarium elephanto et auro paratum. Trotz dieser Bezeugung und der auch seinerseits festgestellten stilistischen Zusammenhänge mit dem Folchart-Psalter ordnet von Euw sie der Wirksamkeit Abt Bernhards zu, vgl. ders., Buchkunst (wie Anm. 47), S. 133–141 und 408–414; vgl. auch David Ganz, Buch-Gewänder. Prachteinbände im Mittelalter, Berlin 2015, S. 131–148 und 154–155. 70 Von Euw, Buchkunst (wie Anm. 47), S. 142–191. 71 Johannes Duft/Rudolf Schnyder, Die Elfenbein-Einbände der Stiftsbibliothek St. Gallen, Beuron 1984 (Kult und Kunst, 7), S. 55–93; von Euw, Buchkunst (wie Anm. 47), S. 154–166 und 425–431; Ganz, Buch- Gewänder (wie Anm. 69), S. 258–289.

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gestiftet hat (Taf. VIII). Deren Name bzw. dessen Initiale findet sich auch oberhalb des Schriftspiegels auf den Seiten 199–233. Eine Stifterin dieses Namens wird auch in einer Urkunde zugunsten des Hospitals des Gallus- klosters vom 13. Dezember 903 (W 729) genannt. Wer 903 Hospitiar war, wissen wir nicht, aber im Anschluss zwischen 904 und 912 ist hierfür Tuo- tilo bezeugt. Auch im Anfang des 10. Jahrhunderts in St. Gallen entstande- nen Evangeliar von Einsiedeln (Abb. 2), das als Cod. 17 noch heute in der dortigen Stiftsbibliothek verwahrt wird, ist auf der Innenseite des Buchde- ckels auf der zur letzten Lage gehörigen p. 384 eine Amata eingetragen. Der Eintrag lautet: Adilsant, Amata, Reginbold diaconus, Vuilharius presbyter, Eberhardus presbyter.72 Möglicherweise handelt es sich auch bei Adalsint um eine Stifterin St. Gallens, begegnet uns doch eine Frau dieses Namens in einer Urkunde vom 28. März 905.73 Anton von Euw hat auf einige Merk- male aufmerksam gemacht, welche die beiden Evangeliare aus St. Gallen und Einsiedeln teilen.74 Sicher ist, dass das Einsiedler Evangeliar bereits vor 948 dorthin gelangt ist. Möglicherweise gehörte es wie die Reliquien der Heiligen Columban, Gallus, Othmar und Magnus zur aus St. Gallen stammenden ‹Grundausstattung› des unter Förderung des Herzogs Her- mann I. von Schwaben 934 gegründeten Klosters75. Die Stärke des Konvents nahm unter Salomo III. zwar ab, stand aber nun wieder in einem ausgewogeneren Verhältnis zu den Schenkungen.76 Dennoch machen sich einige Änderungen im Konvent bemerkbar. War es zuvor unüblich, dass ein Mönch mehrere Ämter zugleich innehatte, so kommt es nun zu Ämterhäufungen. Die einfachste Erklärung ist die gerin- gere Konventsstärke, doch finden sich zugleich Belege, dass den Amtsträ- gern Privatbesitz eingeräumt und Erträge aus bestimmten Gütern über- schrieben wurden. Der junge Mönch Wolvene (MSG 476), Sohn des Pfalz- grafen Gozbert, erhielt sogar das Stift Sankt Mangen. Vermutlich war er als Nachfolger Salomos III. vorgesehen.77 72 Vielleicht handelt es sich beim letztgenannten um den Gründer des Klosters Einsiedeln, Propst Eberhard aus Strassburg, in dessen Familie sich eine Adelsint findet. Er hatte sich schon vor Gründung als Eremit cum magno apparatu nach Einsiedeln zurückgezogen; vgl. Hagen Keller, Kloster Einsiedeln im ottonischen Schwaben, Freiburg 1964 (Forschungen zur oberrheinischen Landesgeschichte, 13), S. 13–18. 73 Urkundenbuch (wie Anm. 2), Bd. 3, Anhang Nr. 3, S. 685, zugehörig zu Bd. 1, Nr. 370, S. 344–345. Der genannte Präpositus Albrich ist vermutlich MSG 449. 74 Von Euw, Buchkunst (wie Anm. 47), S. 420–422. 75 Keller, Einsiedeln (wie Anm. 72), S. 27–34. 76 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 139–140 und 149–150. 77 Ebd., S. 131–133, 202–203 und 229.

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War schon Salomo III. mit seinem Bruder ein Schüler St. Gallens gewe- sen, so findet sich Anfang des 10. Jahrhunderts mit dem späteren Bischof Ulrich von Augsburg (923–973) ein weiterer angehender Kleriker in der ‹äusseren Schule›, dessen verwandtschaftliche Verbindungen weite Perspek- tiven eröffneten.78 Doch war St. Gallen unter Salomo III. in Gegensatz zum entstehenden schwäbischen Herzogtum geraten. Dies gipfelte in der Gefan- genschaft Salomos durch den Pfalzgrafen Erchanger 914 und der Niederla- ge und Hinrichtung desselben 917.79. Nach dem Tod Konrads I. am 23. De- zember 918 und dem Tod Salomos III. am 5. Januar 919 konnte aufgrund der ungeklärten Situation zunächst kein Nachfolger bestimmt werden. Seither findet sich ein deutlicher Einfluss der schwäbischen Herzöge auf das Kloster.80 Dekan Cozzolt (MSG 410) agierte glücklos und verlor die Abtei Pfäfers (W 779), sein Nachfolger als Dekan, Albrich (MSG 449), fand viele Jahre Akzeptanz im Konvent, ihm fehlte aber wohl der politi- sche Rückhalt. Hartmann (MSG 366), welcher drei Jahre nach dem Tod Salomos III. zum Abt bestimmt wurde, zeigt sich als Dichter und Förderer des liturgischen Gesangs, konnte aber weder wirtschaftlich noch politisch grössere Erfolge erzielen. Unter dessen Nachfolger Abt Engilbert (MSG 407) geht mit dem Ungarneinfall 926 die Blütezeit St. Gallens zu Ende. Zwar handelten noch die bereits aus der Amtszeit Salomos bekannten Mönche Albrich (MSG 449), Waldhere (MSG 411), Waldram (MSG 448) und Ruodker (MSG 441) in den Ämtern, zwar bestand die Schule fort und zeugt das Inklusentum81 von der durch den Märtyrertod Wiboradas (926) bereicherten spirituellen Anziehungskraft St. Gallens, aber die Gunst der Stunde besass das von Herzog Hermann I. von Schwaben neu gegründete Kloster Einsiedeln.82 Ekkehart IV. berichtet, als die Ungarn 926 die Abtei verwüsteten, habe sich der einfältige Mönch Heribold geweigert zu fliehen und die rück­ kehrenden Mönche mit seinen Erzählungen beeindruckt.83 Nun lässt sich

78 Johannes Duft, Bischof Ulrich und St. Gallen, in: ders, Abtei (wie Anm. 42), S. 189–200; Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 161. 79 Helmut Maurer, Der Herzog von Schwaben, Sigmaringen 1978, S. 36–48; Alfons Zettler, Geschichte des Herzogtums Schwaben, Stuttgart 2003, S. 82–91. 80 Zettler, Geschichte (wie Anm. 79), S. 106–109 und 128–129. 81 Emil Schlumpf, Quellen zur Geschichte der Inklusen in der Stadt St. Gallen, St. Gallen 1953 (Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte, 41.2). 82 Wie Anm. 75. 83 Ekkehart IV., Casus (wie Anm. 4), S. 116–124 (c. 52–56).

123 Rupert Schaab

kein passender Mönch dieses Namens vor 933 in der Professfolge nachweisen,84 aber für den 2. Februar findet sich ohne weitere Zusätze ein Heribold im St. Galler Nekrolog. Hinter ihm wurde zum selben Tag ein Prunwart nachgetragen. Über beiden Eintragungen steht als späterer Zu- satz: Iste sancti Galli servus erat et plurimos Ungariorum cum rege ipso convertit.85 – Jahr für Jahr wurden also am 2. Februar die Namen dieser Verstorbenen mit den Ungarn in Verbindung gebracht. Was lag näher, als dass Ekkehart IV., indem er für die stilisierte Figur eines einfältigen Laienbruders86 als Augenzeugen des Ungarnunfalls einen Namen suchte, in seiner Erinne- rung auf den Namen eines Heribolds stiess, von welchem ansonsten nichts bekannt ist. Wir wissen zu wenig darüber, wie sich die Mönchsgemeinschaft ihrer Vergangenheit erinnerte, wie verlässlich die Zuschreibungen einzelner Werke an einzelne Mönche sind. Offenkundig ist aber, dass Ekkehart IV. in seinen Casus sancti Galli die Figuren seiner exempla zu diesem Zweck sehr stark stilisierte und die Konflikte vor dem Hintergrund seiner Zeit und seiner Aufgabe als Lehrer für den innerklösterlichen Gebrauch darstellte. Doch auch ohne die Aussagen Ekkeharts IV. wissen wir noch viel über die Mönchsgemeinschaft und ihre Vertreter. Es gibt unter den zwischen 803 und 933 eingetretenen Mönchen zwei mit Namen Tuotilo. Aufgrund ihrer Position in der Professfolge ist der erste (MSG 385) circa 874, der andere (MSG 494) um 920 eingetreten. Der erste wird bereits 895 als Priester erwähnt und ist in den Ämtern des Cellerars (898/899) und des Sakristans (902?) sowie 904 bis 912 als Hospitiar be- zeugt. Dass er in den Ämterlisten der urkundlichen Bezeugung zwischen 898 und 912 immer wieder genannt wird, deutet auf seine wichtige Stellung im Konvent und seine Nähe zu Abtbischof Salomo III. Dass er ab 913 nicht mehr in den Ämterlisten begegnet und an seiner Stelle Wito (MSG 355) als Hospitiar bezeugt ist, heisst nicht, dass er zuvor verstorben sein muss, doch hätte er damals bereits mehr als 38 Jahre der Gemeinschaft angehört. Als Sakristan war er für die Belange der Liturgie verantwortlich gewesen, als

84 895 (W 687) ist nur ein Priestermönch gleichen Namens (MSG 357) in der vollständigen Konventsliste bezeugt und danach keiner mehr eingetreten. 85 Aufgrund dieses Zeugnisses gilt Prunwart als der Missionsbischof Ungarns, der Geza, den Vater Stephans zum Christentum bekehrte; vgl. Ademar von Chabannes, Chronicon, hg. von Pascale Bourgain, Turnhout 1999 (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, 129), S. 152–153 (III, 31). 86 Ernst Tremp, Heribald von St. Gallen und die Ungarn, in: Walz (Hg.), Scripturus vitam (wie Anm. 1), S. 435–441; s.o. seine Stereotypen zu Sindolf.

124 Tuotilo: Klostergemeinschaft und Künstler

Hospitiar für die Armensorge und die Gäste des Klosters. Gottesdienst und Armensorge galten als die wichtigsten Aufgaben eines Klosters.87 Sowohl Ratpert als auch Notker bekleideten dies hochangesehene Altersamt, welches neben dem Hospital auch für die ‹äussere Schule› zuständig war. Und in diesem Amt hatte Tuotilo es mit Amata zu tun, welche 903 für das Hospital stiftete (W 729) und auch die Anfertigung des Evangelium longum mit einem namhaften Betrag unterstützte. Seniorität, Nähe zu Kanzler Salomo III. sowie als Hospitiar der Kontakt zur Aussenwelt mit wohlhabenden Stifterinnen und die Zuständigkeit für die Schule bilden die Grundlage für den Schmuck der Liturgie mit Gesang und kostbarer Buchkunst, welche die Klostertradition wohl zu Recht mit Tuotilos Namen verbindet. Auch die Werke Notkers sind aus dieser Kon­stellation entstanden.

87 Schaab, Mönch (wie Anm. 1), S. 206–210.

125 Abbildungen

285 7. RUPERT SCHAAB

Abb. 1: Professbuch des Kloster St. Gallen, Professeinträge St. Galler Mönche für die Jahre 857–860, der Name Notker ist unterstrichen. St. Gallen, Stiftsarchiv, Stiftsarchiv, Cist. c. 3 B. 56, p. XVII

306 ABBILDUNGEN

Abb. 2: Dedikationsbild, Evangeliar von Einsiedeln, um 900. Einsiedeln, Stifts­ bibliothek, Cod. 17, p. 23 (retuschiert)

307 Abbildungsnachweis

361 ABBILDUNGSNACHWEIS

TAFELTEIL Taf. I, II, V, VI: Achim Bednorz Köln Taf. IX: Stiftsarchiv St. Gallen

1 – GANZ Figs. 1, 2: Pierpont Morgan Library New York Fig. 5: Carlo Capponi (ed.), L’altare d’oro di Sant’Ambrogio, Mailand 1996, p. 34

5 – SCHMUKI Abb. 1, 2: Stiftsarchiv St. Gallen, Foto: Urs Baumann

6 – SCHMUKI Abb. 1, 2, 4: Stiftsbibliothek St. Gallen, Foto: Urs Baumann Abb. 3, 9: Katholischer Konfessionsteil des Kantons St. Gallen, Foto: Urs Baumann Abb. 5: Foto: David Ganz Abb. 6: Fürstlich Leiningische Verwaltung Amorbach, Foto: Hans Hechtfischer, Klingenberg Abb. 7, 8: Landesdenkmalpflege Baden-Württemberg

7 – SCHAAB Abb. 1: Stiftsarchiv St. Gallen Abb. 2: Stiftsbibliothek Einsiedeln (http://www.e-codices.unifr.ch)

12 – ACKLEY Fig. 5: Johannes Duft/Rudolf Schnyder, Die Elfenbein-Einbände der Stifts­ bibliothek St. Gallen, Beuron 1984 (Kult und Kunst, 7), p. 91 Fig. 6: © KHM-Museumsverband, Wien Figs. 7, 8: © Victoria and Albert Museum, London

13 – TRINKS Abb. 1: Alberto Busignani, Die Heroen von Riace. Krieger aus dem Meer, Frankfurt a.M. 1982, Taf. 3 Abb. 2: Viktor H. Elbern, Vier karolingische Elfenbeinkästen. Historische, symbolische und liturgische Elemente in der spätkarolingischen Kunst, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 20 (1966), S. 10 Abb. 5, 7, 9, 16, 18: Foto: Stefan Trinks, Berlin Abb. 6, 11: Florentine Mütherich/Joachim E. Gaehde, Carolingian Painting, New York 1976, S. 100 und 118

362 ABBILDUNGSNACHWEIS

Abb. 8: Bibliothèque nationale de France, Paris Abb. 10: Foto: Rainer Kahsnitz, Berlin

14 – CRIVELLO Abb. 1, 2, 3, 15, 16: Bayerische Staatsbibliothek, München () Abb. 4: Bibliothèque nationale de France, Paris () Abb. 5, 7, 8: Universitätsbibliothek Innsbruck () Abb. 9, 10, 11, 12: Stiftsbibliothek Einsiedeln () Abb. 13: Bibliothèque Municipale Reims () Abb. 14: Pierpont Morgan Library New York () Abb. 17, 18: Public Library, New York ()

15 – WEINRYB Fig. 2: Photo: Ittai Weinryb, New York

Alle anderen: Stiftsbibliothek St. Gallen

363 Kurzbiografien

Joseph Salvatore Ackley is currently Term Assistant Professor of Art History at Barnard College. A specialist of medieval metalwork, he received his doctorate from the Insti- tute of Fine Arts in 2014 with a dissertation on Ottonian gold repoussé and the medieval church treasury. Additional research interests include figural sculpture, medieval theories of matter, and the late medieval altarpiece. Recent and forthcoming publications include essays on medieval church treasury inventories, late medieval precious-metal figural statuettes, the treasury of the Lüneburger Goldene Tafel, and the relationship between surface and substrate in precious metalwork. He is currently preparing a book-length study of medieval gold, broadly defined and understood, across all media.

Fabrizio Crivello ist Professor für mittelalterliche Kunstgeschichte und Geschichte der Buch- malerei an der Università degli Studi di Torino. Er hat Kunstgeschichte an der Universität Turin und der Scuola Normale Superiore in Pisa studiert, wo er 2000 promoviert wurde. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Buchmalerei des Mittelalters, insbesondere der karolingischen und der otto- nischen Zeit, der kulturelle Transfer zwischen Italien und den Gebieten jenseits der Alpen, die Bezüge zur künstlerischen Tradition der Antike und die Rezeption byzantinischer und mediterraner Vorbilder. Publikationen u.a.: La miniatura a Bobbio tra IX e X secolo e i suoi modelli carolingi, Turin/ London/Venedig 2001; Le «Omelie sui Vangeli» di Gregorio Magno a Vercelli. Le miniature del ms. CXLVIII/8 della Biblioteca Capitolare, Florenz 2005; (Mit- arbeit an Wilhelm Koehler [†]/Florentine Mütherich), Die Karolingischen Miniaturen, Bd. 7–8, Wiesbaden 2009–2013.

Cornel Dora ist Stiftsbibliothekar von St. Gallen. Er wurde 1963 in St. Gallen geboren und studierte Anglistik, Geschichte und Musikwissenschaft an der Universität Zürich. Dort doktorierte er 1995 in Geschichte mit einer Arbeit über den St. Galler Bischof Augustinus Egger, und bildete sich zum Wissenschaft­lichen Bibliothekar BBS weiter. 2012 erwarb er einen Executive Master in General Business Administration an der Executive School der Universität St. Gallen.

365 KURZBIOGRAFIEN

Von 1993 bis 2001 war Cornel Dora in der Stiftsbibliothek St. Gallen tätig und von 2001 bis 2013 leitete er die Kantonsbibliothek Vadiana in St. Gallen. Seit 1. November 2013 ist er Stiftsbibliothekar von St. Gallen. Seine wissen- schaftlichen Interessen liegen in der Kultur- und Kirchengeschichte sowie in der Buch- und Bibliothekswissenschaft.

David Ganz ist Inhaber des Lehrstuhls für Kunstgeschichte des Mittelalters an der Univer- sität Zürich. 1990 bis 1996 studierte er Kunstgeschichte, Philosophie und Klassische Archäologie in Heidelberg, Marburg und Bologna. 2000 promo- vierte er an der Universität Hamburg (Barocke Bilderbauten. Erzählung, Illusion und Institution in römischen Kirchen. 1580–1700, Petersberg 2003), 2006 habi- litierte er sich an der Universität Konstanz (Medien der Offenbarung. Visions­ darstellungen im Mittelalter, Berlin 2008). 2007 bis 2013 war er Heisenberg- Stipendiat der DFG. Neuere Publikationen: (mit Ulrike Ganz) Visionen der Endzeit. Die Apokalypse in der mittelalterlichen Buchkunst, Darmstadt 2016; (hg. mit Marius Rimmele) Klappeffekte. Faltbare Bildträger in der Vormoderne, Berlin 2016; Buch-Gewänder. Prachteinbände im Mittelalter, Berlin 2015.

Andreas Haug ist Inhaber des Lehrstuhls für Musikwissenschaft II (Musik des vorneuzeit- lichen Europa) an der Universität Würzburg. Nach seiner Promotion in Tübingen 1985 war er an den Universitäten Stockholm (Schweden) und Erlangen tätig, nach seiner Habilitation in Tübingen 1999 als Professor am Zentrum für Mittelalterstudien der Universität in Trondheim (Norwegen) und bis 2008 als Nachfolger von Fritz Reckow auf dem Erlanger Lehrstuhl für Musikwissenschaft. An den Universitäten Wien und Basel sowie an der University of Oregon, Eugene (USA), hatte er Gastprofessuren inne. Sein hauptsächliches Forschungsgebiet ist die Geschichte der Musik und des Musikdenkens von der Spätantike bis zum Hochmittelalter. Er ist Heraus- geber des Corpus monodicum und Mitherausgeber der Monumenta monodica medii aevi.

Wojtek Jezierski is currently Researcher in Medieval History at the Department of Historical Studies, University of Gothenburg, Sweden. He defended his PhD thesis, Total St Gall. Medieval Monastery as a Disciplinary Institution, at Stockholm University in 2010 and has published several articles on monastic power

366 KURZBIOGRAFIEN relations, cloistral surveillance, and identity and subject-formation in early medieval St Gall. He was a post-doctoral researcher at the Deutsches Histor- isches Institut Warschau from 2011–2012. He has recently co-edited the volumes Rituals, Performatives, and Political Order, c. 650–1350, Turnhout 2015 and Imagined Communities on the Baltic Rim, from the Eleventh to Fifteenth Centuries, Amsterdam 2016. His current research interests are the senses of danger and security among Baltic missionaries and the historical semantics of emotions in the eleventh to thirteenth centuries.

Philipp Lenz ist seit 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftsbibliothek St. Gallen. Er studierte Allgemeine Geschichte, Englische Sprache und Literatur sowie Internationale Beziehungen an den Universitäten Genf und Nottingham. Es folgten die Ausbildung zum Gymnasiallehrer sowie 2012 die Promotion in mittelalterlicher Geschichte an der Universität Freiburg i.Ü. Er war Mit­ arbeiter am Katalog der liturgischen Handschriften: Codices 450–546, Liturgica, Libri precum, deutsche Gebetbücher, Spiritualia, Musikhandschriften 9.–16. Jahrhundert, Wiesbaden 2008, Mitautor des Werks Die Vetus Latina- Fragmente aus dem Kloster St. Gallen, Dietikon 2012 und hauptverantwortlich für den Katalog der juristischen Handschriften: Codices 670–749, Iuridica, Kanonisches, römisches und germanisches Recht, Wiesbaden 2014. Seine Disser- tation erschien unter dem Titel Reichsabtei und Klosterreform. Das Kloster St. Gallen unter dem Pfleger und Abt Ulrich Rösch 1457–1491, St. Gallen 2014. Mehrere Aufsatz­publikationen, darunter kürzlich Die Glossen Ekkeharts IV. als paläographisches und methodisches Problem, in: N. Kössinger u. a. (Hg.), Ekkehart IV. von St. Gallen, Berlin 2015.

Susan Rankin is Professor of at the University of Cambridge and a Fellow of Emmanuel College. From a first publication on a fifteenth-century manuscript, her scholarly work has moved back in time: she has just finished a monograph on musical notation in the ninth century. Between these two extremes, she has written on medieval manuscripts and musical notations, with St Gallen and Winchester as central points of interest, and on music as an element of ritual. A special focus has been the palaeography of early medieval musical sources, and she has edited facsimiles of two Sankt Gallen tropers and the Winchester Troper, demonstrating how the earliest European repertory of two-part polyphony can be recovered. She was elected Fellow

367 KURZBIOGRAFIEN of the Academia Europaea in 2007, Fellow of the British Academy in 2009, Corresponding Member of the American Musicological Society in 2015 and Corresponding Fellow of the Medieval Academy of America in 2016.

Rupert Schaab ist stellvertretender Direktor der Niedersächsischen Staats- und Universitäts- bibliothek Göttingen. Er studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie in Heidelberg und Bonn und promovierte mit der Arbeit Mönch in Sankt Gallen. Zur inneren Geschichte eines frühmittelalterlichen Klosters, Ostfildern 2003. 1996 war er Fachreferent an der Universitätsbibliothek Erfurt, 1999 bis 2005 leitete er die Forschungsbibliothek Gotha.

Karl Schmuki ist seit 1987 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Stiftsbibliothek St. Gallen tätig. Er studierte an der Universität Zürich Allgemeine Geschichte und Geographie und promovierte mit einer sozial- und wirtschafts­ geschichtlichen Dissertation über die frühneuzeitliche Stadt Schaffhausen. An der Stiftsbibliothek St. Gallen forschte und publizierte er zu verschiede- nen Aspekten von Geschichte, Kultur und Bibliothek des Benediktiner- klosters St. Gallen. Zu den grösseren Publikationen gehören der Zimelien- band der Stiftsbibliothek St. Gallen (1998, 2000), der aktuelle Bibliotheks- führer Stiftsbibliothek St. Gallen. Ein Rundgang durch Geschichte, Räumlichkeiten und Sammlungen, St. Gallen 2003 und 2007, die Monographie Der Indianer im Kloster St. Gallen, St. Gallen 2001 und 2015, sowie umfangreichere Aufsätze zum Kuriositätenkabinett der Stiftsbibliothek (im Sammelband G. Schrott [Hg.], Klösterliche Sammelpraxis in der Frühen Neuzeit, Nordhausen 2010) und zur Geschichte der Stiftsbibliothek zur Zeit der Klosteraufhebung um 1800 (im Druck).

Franziska Schnoor ist als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Stiftsbibliothek St. Gallen tätig. Sie studierte Lateinische Philologie des Mittelalters, Musikwissenschaft und Germanistik an der Universität Freiburg im Breisgau. Dort legte sie ihr Magisterexamen mit Erstedition einer spätmittelalterlichen Nonnenvita ab (Die Vita venerabilis sororis Sophye aus der Pommersfeldener Hand- schrift 30. Kritische Edition und Kommentar, in: Analecta Bollandiana 125 [2007], S. 356–414). Von 2004 bis 2010 war sie wissenschaftliche Mitarbei- terin am Lehrstuhl für Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neu-

368 KURZBIOGRAFIEN zeit an der Universität Göttingen. 2017 erschien ihre Dissertation über Das lateinische Tierlobgedicht in Spätantike, Mittelalter und früher Neuzeit. Sie ist Co- Autorin zahlreicher Ausstellungskataloge der Stiftsbibliothek St. Gallen.

Ernst Tremp war von 2000 bis 2013 Stiftsbibliothekar von St. Gallen und nebenamtlicher Titularprofessor an der Universität Freiburg i. Ü. Sein gegenwärtiger For- schungsschwerpunkt sind die Casus sancti Galli Ekkehards IV., zu denen er eine Edition im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica vorbereitet. Zahlreiche Veröffentlichungen zur karolingischen Geistes- und Kultur­ geschichte und Historiographie, zum Kloster St. Gallen im Mittelalter, zum St. Galler Klosterplan, zum Mönchtum und Adel im Hochmittelalter, zu den Zisterziensern und Prämonstratensern.

Stefan Trinks vertritt gegenwärtig die Professur für Geschichte und Theorie der Form an der Humboldt-Universität Berlin. Er studierte Kunstgeschichte, Geschichte, Klassische und Mittelalter-Archäologie in Bamberg und Berlin. Seit 2007 war er wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kunst- und Bildgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. Die 2010 verteidigte Dissertation Antike und Avantgarde. Skulptur am Jakobsweg im 11. Jahrhundert: Jaca – León – Santiago erhielt den Internationalen Romanikforschungspreis. 2017 habi- litierte er sich über Glaubensstoffe und Geschichtsgewebe – Ikonologie belebter Textilien in der mittelalterlichen und zeitgenössischen Kunst. Im Sonderforschungs- bereich 644 «Transformationen der Antike» leitete er den Teilbereich «Neu- gier im Mittelalter». In diesem Rahmen arbeitete er an einer Monographie über Curiositas et Diversitas – Mittelalterliche Elfenbeine als mobile Bilddaten­ träger von Neugier auf die Antike.

Ittai Weinryb is an Associate Professor of History at the Bard Graduate Center in New York. His first book The Bronze Object in the Middle Ages, Cambridge 2016 deals with bronze and its reception in medieval Europe. He is currently organizing an exhibition on votive offerings scheduled to open at the Bard Graduate Center galleries in September 2018. Weinryb is currently devel- oping two new book projects. The first, entitled Art and Experience in the Age of the Astrolabe, focuses on the reception of the technology of the astrolabe and its influence on image and object making in medieval Europe. The

369 KURZBIOGRAFIEN second, Art and Frontier focuses on the early moments of European coloni- alism through the prism of mines and mining culture as means to control indigenous populations.

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