SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE

SWR2 Musikstunde

Richard Strauss 150 - eine Revision (4) : Ein Spätwerk?

Von Bernd Künzig

Sendung: Freitag, 13.06.2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Bettina Winkler

Bitte beachten Sie:

Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR.

Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030

Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de

2

Musikstunde 13. Juni 2014 Signet Musikstunde mit der letzten Folge unserer Reihe Richard Strauss 150 - eine Revision mit Bernd Künzig am Mikrophon. In der letzten Folge steht die Frage nach dem Spätwerk des Komponisten im Mittelpunkt.

Die letzten Lebensjahre von Richard Strauss waren überschattet durch persönliche und künstlerische Krisen, durch die Verstrickungen in die Kulturpolitik des Nationalsozialismus und durch schwere Depressionen, die mit dem Untergang Deutschlands im zweiten Weltkrieg einher gingen. Dennoch war der Komponist ein nahezu unermüdlicher Arbeiter bis zu seinem Tod am 8. September 1949. Er feierte in diesem Jahr noch seinen 85. Geburtstag und vollendete im Jahr zuvor die „Vier letzten Lieder“. So stellt sich schließlich auch die Frage nach einem Spätwerk. Die Kritiker nach dem zweiten Weltkrieg haben Strauss oft ein solches abgesprochen: das Erlahmen der schöpferischen Kräfte hätte nur noch zu bloßen Wiederholungen und kompositorisch bedenklich konservativen Haltungen geführt. Andererseits wird vieles aus dieser späten Schaffensphase bis heute viel zu wenig aufgeführt, um den Rang dieser letzten Werke wirklich gründlich einschätzen zu können. Das gilt unter anderem auch für die nach dem Tod Hugo von Hofmannsthals komponierte Oper „“. Der Tod seines langjährigen Librettisten stürzte Strauss in tiefe Verzweiflung. Mit , auf den ihn bereits Hofmannnsthal hingewiesen hatte, hoffte Strauss an ein enges und intensives, wenn auch nicht immer unkompliziertes Produktionsverhältnis anknüpfen zu können. Neben mehreren Vorschlägen entschied der Komponist, mit Zweig die freie Bearbeitung der Komödie „Epicoene or the silent woman“ des englischen Renaissance-Dramatikers Ben Johnson vorzunehmen. Daraus entstand ein komisches Opernpasticcio, das im Parlando-Stil der Opern Gioachino Rossinis und dem leichten, aber textdeutlichen Gesangston der französischen Opéra comique komponiert wurde. Eine deutsche Belcanto-Oper also. Schon im die Oper einleitenden orchestralen Potpourri wird diese Haltung deutlich. Das einleitende kurze Hornsolo nimmt unüberhörbar Anleihe beim „Carillon“ aus George Bizets „Arlèsienne“-Musik und dem Hochgeschwindigkeitstempo der Ouvertüren Rossinis.

Musik: Richard Strauss „Die schweigsame Frau“ – Poptpourri (4:13) Staatskapelle ; , Dirigent; EMI 5 59873 2 LC 06646

3

Die spielte unter der Leitung von Marek Janowski das Potpourri aus der „Schweigsamen Frau“. Das Pasticcio der Oper ist nicht vor- modern, sondern post-modern. Letztlich nimmt es durchaus durchbrochen das Parodistische vorweg, wie es in Igor Strawinskys 1951 uraufgeführter, siebzehn Jahre später komponierter Meta-Oper „The rakes progress“ in Erscheinung tritt. Die Fähigkeit zum parodistischen Tonfall erstaunt, wenn man sich die schwierigen, äußeren Zeitumstände der Entstehung vor Augen führt. Nach der Machtergreifung Hitlers im Jahr 1933 ist der Jude Stefan Zweig nicht mehr geduldet. Für die Dresdner Uraufführung 1935 erzwingt Strauss die Nennung seines Librettisten auf dem Plakat. Die Oper wird nach nur vier Vorstellungen abgesetzt und verboten. Vorausgegangen war der erzwungene Rücktritt von Strauss als Präsident der Reichsmusikkammer. Am 17. Juni 1935 hatte der Komponist seinem Librettisten einen politisch zwiespältigen, ja naiven Brief in völliger Verkennung der Realitäten einer Korrespondenz mit einem jüdischen Schriftsteller geschrieben: „Wer hat Ihnen denn gesagt, dass ich politisch so weit vorgetreten bin? Weil ich für Bruno Walter ein Konzert dirigiert habe? Das habe ich dem Orchester zuliebe – weil ich für andern ‚Nichtarier‘ Toscanini eingesprungen bin – das habe ich Bayreuth zuliebe getan. Das hat mit Politik nichts zu tun. Wie es die Schmierantenpresse auslegt, geht mich nichts an, und sie sollten sich auch nicht darum kümmern. Dass ich den Präsidenten der Reichsmusikkammer mime? Um Gutes zu tun und Größeres Unglück zu verhüten. Einfach aus künstlerischem Pflichtbewusstsein! Unter jeder Regierung hätte ich dieses ärgerliche Ehrenamt angenommen, aber weder Kaiser Wilhelm noch Herr Rathenau haben es mir angeboten. Also seien Sie brav, vergessen Sie auf ein paar Wochen die Herren Moses und die anderen Apostel und arbeiten Sie nur ihre zwei Einakter.“ Dieser Brief wurde von der Gestapo abgefangen und an die entsprechenden Ministerialstellen weitergeleitet. Für den Propagandaminister Goebbels war dies ein willkommener Anlass, den ungeliebten Strauss aus der Position des Präsidenten der Reichsmusikkammer zu entfernen. Bis heute bleibt Strauss Präsidentschaft umstritten. Er hat das Amt wohl einerseits angetreten, um bessere Urheberrechtsbedingungen der seriösen Musikkomponisten durchzusetzen. Dabei verkannte er aber fundamental, dass Goebbels eine Gleichstellung von E- und U-Musik-Komponisten unter anderem deshalb anstrebte, weil er mit leichter Schlagerunterhaltung die Massen eher erreichen konnte, als mit der Intellektualität von Strauss. Der Konflikt war damit vorprogrammiert. Dass Strauss als Dirigent allerdings uneigennützig an die Stelle Bruno Walters oder Arturo Toscaninis getreten ist, darf bezweifelt werden. Es war sicherlich nicht allein künstlerisches Pflichtbewusstsein, das ihn dazu drängte. Wenngleich er kein Vertreter des deutschen Nationalismus war, 4 wie etwa Hans Pfitzner, die Mischung aus Kalkül, Opportunismus, Naivität und Wurstigkeit bleibt irritierend. Zu den Peinlichkeiten gehört schließlich auch die Komposition der Olympischen Hymne für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin. Goebbels wollte ihm den Auftrag eigentlich entziehen, doch noch vor seinem Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer offerierte Strauss die Partitur Hitler persönlich. In Briefen stand er der Komposition ablehnend gegenüber, scheute sich aber wiederum nicht, sie 1936 selbst zu dirigieren.

Musik: Richard Strauss „ 1936“ M0039262.009 (3:52)

Von ganz anderem Kaliber als dieser uneigentliche Tonfall ist die ein Jahr später komponierte Oper „“. Nach der Emigration Stefan Zweigs sieht sich Strauss gezwungen mit dem wenig begabten und steifen Theaterhistoriker als Librettisten zusammenzuarbeiten. War der Tonfall des Briefwechsels mit Hofmannsthal teilweise angespannt, derjenige mit Gregor ist von einem gereizten Tonfall durchzogen. Bereits am Beginn der Zusammenarbeit herrscht er ihn 1935 an: „Nein, so geht es nicht!“ Und so wird es über die Jahre hinweg weitergehen. Dennoch gelingt mit der bukolischen Tragödie „Daphne“ noch einmal ein erstaunliches Anknüpfen an die beiden früheren Einakter „“ und „“. Die Metamorphose der Bergnymphe Daphne in einen lebendigen Baum durch Apoll, hatte Strauss seit längerem fasziniert. Das Baum- oder Pflanzewerden als universales Prinzip faszinierte den Komponisten seit der Lektüre seines Lieblingsbuches „Der Metamorphose der Pflanzen“ von Johann Wolfgang von Goethe. Das Thema der Verwandlung wiederum durchzieht fast das gesamte Schaffen des Komponisten: von den scheinbar banalen Verkleidungen im „Rosenkavalier“, über die Frauwerdung der „“ und der „Frau ohne Schatten“ bis hin zur Verwandlung der Ehekrise in ein liebendes Einverständnis in „“. Nach der tiefenpsychologischen „Elektra“ wendet sich der „germanische Grieche“, wie sich Strauss in späten Jahren selbst gerne bezeichnete, dem organisch Sprachlosen zu. Gregor plante für den Schluss der Oper einen wortreichen Anbetungschor. Doch Strauss wollte das Werk mit der wortlosen Transformation der Daphne mit Vokalisen beschließen. Den ursprünglichen Schluss Gregors komponierte Strauss erst 1943 als A capella-Chor mit „An den Baum Daphne“ nach. Die bukolische Tragödie endet mit dem Verlust von Sprache, die in reiner Musik aufgeht. Einer reinen Musik, die Natur, Körper und Stimme zugleich ist. Vielleicht ein letzter Nachklang jener Sprachkrise Hofmannsthals, die der Ausgangspunkt einer fruchtbaren Zusammenarbeit gewesen ist. Lucia Popp singt den Verwandlungsschluss aus der Oper „Daphne“. Sie wird begleitet vom Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Bernard Haitink. 5

Musik: Richard Strauss „Daphne“ – Schluss (10:02) Lucia Popp, Daphne; Sinfonieorchester des Bayerischen Rundfunks; Bernard Haitink, Dirigent; EMI 6 98520 2 LC 00646

Nach der Komposition der „Daphne“ nehmen die Schwierigkeiten für die Familie Strauss zu. Der Sohn Franz heiratete 1924 die aus einer jüdischen Familie stammende Alice von Grab. Die Verwandten von Alice Strauss werden bis auf wenige Ausnahmen in den deutschen Konzentrationslagern im Osten ermordet. Die Enkelkinder werden in Garmisch von den Behörden und der Bevölkerung schikaniert. Strauss suchte um die Unterstützung von so zwiespältigen Bewunderern wie dem Wiener Gauleiter Baldur von Schirach nach, einem glühenden Antisemiten. 1941 siedelte er mit seiner Familie nach Wien über, um den Garmischer Schikanen zu entgehen. Noch erschütternder gerät 1943 die Komposition eines künstlerisch vollkommen belanglosen Dankesliedchens, das dem Generalgouverneur von Polen und gleichfalls erbarmungslosen Judenhasser Hans Frank gewidmet ist, dem sogenannten „Schlächter von Polen“, der 1946 zum Tode verurteilt wird. Mit selbstgedichteten, erbärmlichen Verschen dankt Strauss für dessen Unterstützung: „Wer tritt herein so fesch und schlank? Es ist der Freund Minister Frank Wie Lohengrin von Gott gesandt Hat Unheil er von uns abgewandt. Drum ruf ich Lob und tausend Dank Dem lieben Freund Minister Frank.“ Wiederum naiv, hilflos und die eigentliche Sachlage verkennend, ist Strauss 1943 unternommener Versuch, eine Angehörige von Alice Strauss aus Theresienstadt zu befreien. Nach einer Konzerttournee lässt er sich vom Chauffeur vor die Lagertore fahren und verlangt von der irritierten Torwache – natürlich vergeblich – die Angehörige der Schwiegertochter zu sprechen. All dies geht nicht spurlos vorüber: im Alter versinkt Strauss immer mehr in depressive Zustände, schließt sich ein, um sich der Lektüre der Werke Goethes hinzugeben. Dennoch komponiert er weiter. „Handgelenksübungen“ nennt er diese Werke, die allerdings über das Etüdenhafte weit hinaus reichen. Es ist ein reflektierendes, ja selbstreflektierendes Bilanzziehen, das Strauss nun unternimmt. Die musikalische Kultur, der er entstammt wird wie in einem Spiegel betrachtet. 1943 beginnt er mit der Komposition einer „Ersten Sonatine“ für sechzehn Blasinstrumente mit dem Beititel „Aus der Werkstatt eines Invaliden“. 1944 folgt die zweite Bläsersonatine „Fröhliche Werkstatt“, in deren Beititel noch einmal der jugendliche Anhänger von Nietzsches „Fröhlicher Wissenschaft“ durchschimmert. Klanglich unverhohlen setzt sich 6 diese zweite Bläsersonate mit der „Gran Partita“, der 1781 komponierten Bläserserenade Wolfgang Amadeus Mozarts auseinander. Nicht die Wendung zum unerwartet Neuen, sondern das hoch Reflektierte und Selbstreflektierende zeichnet diese letzten Kompositionen als veritable Spätwerke aus. Musik: Richard Strauss „Zweite Sonatine Es-Dur“ – 2. Satz Andantino M0060869 (5:13) Das war der zweite Satz aus der „Zweiten Bläsersonatine – Fröhliche Werkstatt“ mit dem Bläserensemble Sabine Meyer. Auch das 1945 komponierte Konzert für Oboe und Orchester atmet diesen Geist Mozarts. Als amerikanische Soldaten 1945 die Garmischer Villa besetzen, stellte Strauss erstaunt fest, dass sie ihn um Autogramme baten. Einer dieser Soldaten John De Lancie, ein junger Oboist, bat den Komponisten um ein Oboenkonzert. Zunächst lehnte Strauss ab, begann dann aber rasch die Komposition des Konzertes.

Musik: Richard Strauss „Oboenkonzert“ 1. Satz: Allegro moderato M0012049.001 (2:59)

Lajos Lencses, begleitet vom Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Nevillle Marriner spielte diesen Ausschnitt aus dem ersten Satz des 1945 vollendeten Oboenkonzerts. Strauss hatte das Konzert während der Komposition eines ganz anders gelagerten, wesentlich verdüsterteren Werkes eingeschoben. Wie die Oper „Daphne“ setzen die „“ für Streicher eines der naturwissenschaftlichen Hauptwerke Goethes kompositorisch um. Aus einer zweitaktigen Zelle erwächst die rund dreißigminütige Komposition wie ein Wurzel- oder Baumgeflecht. Es ist ein organisches Keimzellenwachstum, das keiner klassischen Formanlage mehr folgt, sondern dem Prinzip der Wucherung und Verdichtung, wie es in der Avantgarde nach dem zweiten Weltkrieg etwa das Werk von Pierre Boulez bestimmen wird. Nur ist dessen Klangsprache von derjenigen Strauss denkbar weit entfernt. Am Ende des Werkes zitiert Strauss nicht nur den Tristan-Akkord aus Wagners „Tristan und Isolde“, sondern auch den Trauermarsch aus Beethovens 3. Sinfonie „Eroica“ in den Kontrabässen. An dieser Schlussstelle schreibt er unter die Bassstimme „In Memoriam“. Es ist ein Gedenk- und Trauergesang an die 1945 in Schutt und Asche versunkene Kultur Wagners und Beethovens, in deren Geist sich Strauss bis zuletzt sah.

7

Musik: Richard Strauss „Metamorphosen“ - Schluss M0013179.001 (8:18)

Nach diesem Abgesang aus den „Metamorphosen“ mit den Streichern des Radiosinfonieorchester Stuttgart des SWR unter der Leitung von Neville Marriner, wollen wir uns am Ende dieser Re-Vision des Komponisten Strauss die Frage stellen, welche Bedeutung dessen komplexes und umfangreiches Werk für Komponisten der heutigen Zeit hat. Die heutige Großvätergeneration der Avantgarde nach 1945 hat einen weiten Bogen um Richard Strauss gemacht. Eine entideologisierte Generation der um 1980 geborenen Komponisten, besitzt jedoch einen entspannteren Umgang mit Werk und Person des vor hundertfünfzig Jahren geborenen Komponisten. Den slowenischen Komponisten Vito Zuraj, der während seines Kompositionsstudiums in Dresden, wo die meisten Strauss-Opern uraufgeführt wurden, das Werk des Komponisten durch Konzert- und Opernaufführungen intensiv kennen lernen konnte, habe ich nach seinem Verhältnis zu diesem Vertreter einer fast schon archäologisch gewordenen Moderne befragt.

O-Ton: Richard Strauss - O-Ton Vito Zuraj zu Richard Strauss (2:26)

Ein heute vielleicht entspannterer Umgang hat den Komponisten Vito Zuraj recht zeitgemäß zu einem fast DJ-artigen, lustbetonten, halb ernst, halb spaßig gemeinten Zusammenschnitt des Faszinosums Richard Strauss angeregt, mit dem wir unsere Musikstunde zu Ende gehen lassen.

Musik: Richard Strauss - Zuraj Strauss Mix (1:32)

Das war die letzte Folge unserer Musikstunde Richard Strauss 150 - eine Revision. Sie war dem Spätwerk des Komponisten gewidmet und ging zu Ende mit einem Strauss-Mix des Komponisten Vito Zuraj. Am Mikrophon verabschiedet sich als Autor Bernd Künzig.